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I.

Weit, weit aus ferner Zeit,
Aus grüner Jugendwildniß
Grüßt mich in Lust und Leid
Ein wundersames Bildniß.

Denn ob in Kampf und Schmerz
Kein Hauch der Jugend bliebe:
Nie doch vergißt das Herz
Den Traum der ersten Liebe.

Emanuel Geibel.

 

Beim Himmel, dieses Kind ist schön!

Goethe, Faust.

 

Es ist viele Jahre her, viele Jahre; sie dünken mich Ewigkeiten. Die Zeit hat ihre Schleier über all' das Vergangene gebreitet; aber wenn ich sie in einsamen Stunden hinwegziehe, so strömt mir Veilchenduft des Lebensmaies entgegen, und mir wird wunderbar zu Muthe: rosige Wolken seh ich ziehen im Himmelsblau, und ein Mädchenantlitz schaut mir daraus verklärt entgegen, wie ich niemals wieder eins erblickte. –

Es war eine Straße, in welcher der Frühlingssonnenschein so seltsam, so dunkelgolden wie fluthender Rheinwein gebreitet lag. Die Häuser lächelten sich so verklärt und trunken an, der blaue Himmel leuchtete so still und sanft hernieder, und es war ruhig auf der Straße. Nur wenige Menschen gingen durch den Sonnenschein, geleitet vom holdesten Frieden; Schwalben flogen mit raschem Flügelschlage hindurch, und wonnige Mailuft wehte leise. O räthselhaft-selige Empfindung, die du durch mein junges, unverdorbenes Jünglingsherz zogst, als ich langsam dahinging und mit träumenden Augen den Himmelsfrieden in mich einsog, als mein Blick an den Häusern dahinglitt, und ich an einem Fenster deine süße Gestalt, von weißen Gardinen umrahmt, erblickte, o Angelica!

Ich sehe dich noch! – Dein schöner Kopf war auf den Arm gestützt; dein zartes, blasses Gesicht war überhaucht von himmlischer Klarheit. Die Flechten krönten es, gleich einem Diadem; darunter quoll die dunkle Lockenfülle hervor und ergoß sich träumerisch über den Busen, den das lichte Frühlingsgewand umschloß. Mit deinen braunen Rehaugen schautest du den Träumer an, und dein unergründlicher Blick traf ihn mitten ins Herz. –

Ich weiß es auch noch, wie jener Tag verlief. – Als ich zu Hause ankam und in die rothe Stube trat, saß meine Schwester Margareth am Flügel und spielte eine Sonate von Beethoven. – Ich legte meine Schulbücher auf einen Tisch, setzte mich an das Fenster und hörte dem Auf und Niederwogen der Töne zu. Und in dem Melodienstrome, der mich umfluthete wie der Sonnenschein, der hell das Gemach erfüllte, stieg und sank immer das schöne Gesicht mit den sanften, dunkeln Augen. Manchmal war es, als zöge es auf den Wellen dahin, dann sank es unter; aber immer sah ich es. Und wenn es mir so nahe kam, so ganz nahe, daß ich es glaubte küssen zu können, dann rieselte ein freudiger Schauer über meine Seele, die so überfließend, so selig war, wie nie zuvor in meinem Leben.

Draußen im Parke, welcher dem Hause gegenüber lag, sproßte und blühte Baum und Strauch in freudigster Lenzeslust. Das junge Laub der Kastanienallee, die bis an das Ufer des Flusses hinab führte, glänzte im Sonnenschein; dazwischen blitzte das breite Silberband des Wasserspiegels herauf. Auf den Rabatten der weiten Rasenflächen blühte ein buntfarbiger Blumenflur.

Es wehte wie ein Grüßen, ein Verheißen zu mir herüber, und mein Herz schlug höher. Ich gedachte meines Lieblingsortes am Flusse und fühlte einen unwiderstehlichen Drang, denselben aufzusuchen.

O fände ich dich dort! – Ich würde dich in die Arme schließen, ich würde dich küssen! ich würde – – –

»Willst du nicht Kaffee trinken, Richard?« sagte auf einmal Margareth, die zu spielen aufgehört hatte und den Kopf nach mir umwandte.

Kaffee? – Was denn? – Kaffee! – Nein!« Schnell ergriff ich meine Mütze und eilte zur Thür hinaus.

»Die Andern sind im Garten!« rief sie mir noch nach; doch ich eilte nicht in den Garten hinter dem Hause, sondern an der Parkmauer und einigen Villen vorüber in das Flußthal hinab.

All meine Gedanken flossen bunt durcheinander. Ach, damals war ich ein Phantast, ein romantischer Schwärmer! – Jene seltsame blaue Blume, die einst in stürmischer Nacht dem Heinrich von Ofterdingen so heiße, tiefe Sehnsucht erweckte, daß er nicht schlafen konnte in dem kleinen Kämmerlein seines Elternhauses zu Eisenach, daß er hinaus mußte in die weite Welt, sie zu suchen: jene blaue Blume sandte auch in mein Herz ihren Duft. –

Strahlender Sonnenschein lachte auf die weiten, saftig-grünen Wiesen hernieder, die sich am Ufer des Flusses bis zur Stadt erstreckten, deren Häuser und Thürme im Hintergrunde auftauchten; Sonnenschein glitt auf und ab in des Stromes grünen Wellen; Sonnenschein durchfluthete die Wipfel der Bäume des Waldes jenseits auf der Hollunderinsel; und Sonnenschein umkränzte die blühenden Fliedersträuche, die sich auf steilen, in den Fluß hineinragenden Felsen zwischen den Trümmern einer Burg ausgebreitet hatten.

Dann erreichte ich den Tannenberg, von dessen breitem Plateau man eine herrliche Aussicht über ein weites, blühendes Thal genießt. Hier setzte ich mich auf erhöhtem, grasbewachsenem Felsgestein nieder und schaute voll seliger Träume hinaus in das weite Land, das im Frühlingsglanze vor mir lag, und das der Himmel, dessen dunkelblaue Aetherflläche nicht das kleinste Wölkchen trübte, leuchtend umfing. Grünende Fluren, Dörfer, Berge und Wälder! Da und dort aus der Ebene blitzte der Fluß herüber, und aus der blauen Himmelshöhe tönten die Triller einer Lerche, Ich sah Blüthenflocken fallen, mich umströmten Veilchendüfte, denn am Rande des Berges standen viele Tausende der kleinen Blumen. Im wilden Drange meiner heißen Sehnsucht fing ich laut zu deklamiren an:

»Du bist wie eine Blume« – – –

»Ja Blume! du Blume aller Knittelversdichter!« sagte plötzlich Jemand hinter meinem Rücken, indem seine Stimme die meinige parodirte. – Erschreckt sprang ich empor. Vor mir stand der Freund. Er war ein junger Mensch mit einem hübschen, geweckten Gesicht, woraus zwei muntere, blaue Augen hervorblitzten. –

»Da steht Ihr nun erstarrt, wie Vater Loth's selige Gemahlin!« rief er fortlachend. »Ihr müßt Euch offenbar sehr hoch mit Eurem Pegasus verstiegen haben, daß Euch meine Worte, die Euch aus der schwindelnden Höhe der Idealität in den gewöhnlichen Kohl des Lebens herabstürzten, so sehr deprimirt haben. Mensch besinne dich!« – und er klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter – »ich bin dein Freund Fritz Schütz, mit dem du heute Sophokles' Antigone präpariren wolltest, statt an dem Flusse das Wasser deiner Verse zu schöpfen. O du Versifex! Muß ich schon wieder einmal die heilige Hermandad bei dir vertreten und dich deinen Büchern wieder zuführen?«

»Laß mich!« sagte ich mißmuthig, als der Zerstörer meiner gehobenen Stimmung seinen Arm in den meinigen hängen wollte. »Ich kann heute keinen Spaß vertragen, und was die Knittelverse anbelangt, so ist das ein längst überwundener Standpunkt, wie du recht gut weißt.«

Nun, werthgeschätztester Castor, was trieb dich denn aber zu so ungelegener Zeit an diesen stillen Ort, wo man dich sonst nur finden kann, wenn Feierabend oder göttlicher Feiertag ist, und welches ist der geheime Impuls deiner Ueberschwenglichkeit? Bist du krank, oder verliebt? – Umfächelt ein holder Wahnsinn mit sanftem Flügelschlage dein ambrosisches Haupt?«

»Es ist vielleicht alles der Fall,« erwiderte ich; »doch sage mir, da du mein Spazierengehn so sehr mißbilligst, was trieb denn dich gerade zu derselben Stelle, zu welcher ich meine Schritte lenkte?«

»Ich will es Euch unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertrauen, herzliebster Castor mein,« sprach er geheimnißvoll, legte seinen Mund an mein Ohr und rief laut: »Das that die Liebe!« »Und wie es kam –« fuhr er leiser fort – »das will ich dir alsbald mittheilen. Erst wollen wir uns aber auf diese Bank »von Holz« setzen, dem Wanderer zur kurzen Ruh bereitet», der ich so sehr benöthigt bin. – So! – Und nun höre auf die Stimme der Weisheit, die vernehmlich also zu dir redet:

»Als um die zwölfte Stunde des heutigen Tages unser ebenso langer, wie langweiliger Magister und Doctor Specht seinen berühmten Vortrag über das Ende aller Dinge endlich beendet hatte, und ich der ebenso mageren, wie frugalen Tafel meiner Pension zuwandelte, begab es sich, als ich mich durch die Kastanienstraße schlängelte, daß mir zwei Jungfrauen entgegen kamen. Die eine erhaben-schön, wie der Schein des Nordlichts, die andere lieblich und sinnig-schön wie Mondesglanz; die eine mit brünettem Haar und braunen Augen, die andere mit blondem Haar und blauen Augen. Da ich nun, wie du weißt, Verehrtester, ein Freund so schöner Göttinnen bin, so beruhigte ich die Furien, die ihr grausames Spiel in meinem leerem Magen trieben, auf eine Weile durch Nichtbeachtung und war ganz Auge für die mir entgegen schwebenden Schönheiten. Und jetzt kommt der Conflict, das böse Princip!«

»Das Pflaster deiner lieben Vaterstadt ist leider, wie du bezeugen mußt, nicht im vollendetsten Zustande, und man gleitet durchaus nicht darauf hin, wie auf einer Blumenwiese. Ein eclatanter Beweis hierfür ist meine Schusterrechnung. Als nun die Blauäugige von dem Trottoir auf den Fahrdamm schreiten will, war dieses Pflaster so böswillig, einen Stein hervorzustrecken; ihr zarter Fuß strauchelte, und sie wäre unbarmherzig gefallen, hätte sie nicht dieser starke Arm hier davor bewahrt. Ihr süßes Gesicht wurde von Purpurröthe übergossen, und leise hauchte sie: »Ich danke!« Die Andere aber blickte sie vorwurfsvoll an, nickte mir dankend zu, und bald waren beide meinen verzückten Blicken entschwunden, indem sie in eine andere Straße einbogen.

Mein Herz aber kann sie nicht vergessen. Es scheint in beide verliebt und unschlüssig zu sein, welcher es sich weihen soll. Und doch muß es sich eine ausküren, denn die Bigamie ist in unserm theuren Vaterlande leider nicht sanctionirt.

Darum, mein Castor, sollst du jetzt Paris sein und mir offenbaren, welcher du den Apfel geben würdest.

Es wird zunächst eine Liebe per Distance!

– Ich habe die eine der beiden Göttinnen vorher in ihrem vermuthlichen Vaterhause am Fenster sitzen sehen und werde mir die Freiheit nehmen, so oft es mir gestattet ist, vorüber zu defiliren und der Erkorenen durch eindringliche Blicke meine Zuneigung zu erkennen geben. Und nun sprich, o Paris, ich sehe deinem Urtheilsspruch in großer Erwartung entgegen!«

»Wie kann ich ein Urtheil fällen, wenn ich die Mädchen noch nicht gesehen habe!« sagte ich.

»Doch, du hast sie gewiß schon gesehen; gehst du doch alle Tage am besagten Fenster vorüber, wenn du deine Schritte zu unserm Tempel der Weisheit beflügelst.«

»Wo thronen denn die Königinnen deines Herzens?«

»In der Krüppelstraße, im zweiten Hause rechts.«

»Was! Welche saß denn am Fenster?« rief ich hastig, denn ich wußte sogleich, daß das angebene Haus dasjenige sei, an dessen Fenster ich die Jungfrauengestalt erblickt hatte, deren süßes Bild ich im Herzen trug.

»Nanu!« sagte er, »du thust ja gerade, als wärest du recht bekannt da! Es war die Brünette.«

»Die mit braunem Haar und braunen Augen?«

»Ja, ja, Theuerster, ganz recht, die mit braunem Haar und braunen Augen!«

Ich senkte traurig meinen Kopf; seine schwatzhaften, ironischen Worte verletzten mein Gemüth so sehr, daß ich mit Wehmuth und Schmerz erfüllt wurde.

»Was ist Euch, mein Castor?« sagte Fritz; »weshalb werdet Ihr so betrübt? Seid Ihr vielleicht selbst in die Brünette verliebt? Ja, Ahnung erfüllt mich, wie weiland der heilige Geist die Apostel! Liebst du sie?«

»Ach, was willst du nur!« erwiderte ich scheinbar gleichmüthig; aber ich konnte meine innere Erregung doch nicht ganz verbergen.

»Und doch scheinst du sie zu lieben. Ich will dich aber nicht drängen, mir die Schleier deiner Herzensgeheimnisse zu lüften; ich werde mich bescheiden und mich an ihre holde Schwester machen,« sagte er. – »Doch siehe, wie die dunkeln Tannen da droben auf jenem Berge sich in Nebelmäntel hüllen und vernimm, wie das schäumende Wasser da unten in der Dunkelheit dahinrauscht, als sei es der schaurige Styx. Nein, noch soll uns Charon nicht holen, noch wollen wir uns freuen am Rosenduft und Sonnenschein! – So wirf deine dunkeln Träume ins dunkle Thal hinab und komm ins Sonnenland der Liebe! Vorerst aber nach Hause, Antigone zu präpariren; denn zum Teufel! unser Specht ist ein ganz knifflicher Kerl.«

So schwatzte er immer fort, zog meinen Arm unter den seinen und entführte mich dem Orte meiner Träume. Als wir vor meinem Elternhause anlangten, sagte er:

»So, mein Sohn, sei fleißig! ich will es auch sein.«

Dann verschwand er eilig in einer Nebenstraße. –

Ich fand meine Angehörigen nicht mehr im Garten; sie saßen in der rothen Stube, in der jetzt statt des Sonnenscheins eine Lampe ihr mildes Licht verbreitete. – Die Fenster waren geöffnet, und von dem Parke drüben zog das Lied der ersten Nachtigall durch die abendliche Ruhe und in das stille Gemach.

In der Mitte desselben am runden Tische saßen meine Mutter und Margareth, jene mit einer Strickarbeit beschäftigt, diese aus einem Buche vorlesend, dessen Rücken gegen den Fuß der Lampe gelehnt war.

»Wo bleibst du denn wieder einmal!« sagte meine Mutter bei meinem Eintreten. »Wir haben schon lange gegessen.«

»Ach, du hast viel versäumt, Richard!« rief mir Margareth zu. »Ich sage dir, Tante Louise hat uns ein paar junge Damen zugeführt, so schön, daß sie dich gewiß bezaubert hätten.«

»Zwei Feen also?« frug ich lächelnd.

»Nein, aber zwei Sterne: Angelica und Franziska Stern; sie werden in unserem Donnerstags-Kränzchen glänzen.«

»Das wird Richard wenig interessiren!« sagte meine Mutter. »Geh in die Küche, Katharine soll dir das Abendbrot in deine Stube bringen, damit du ruhig arbeiten kannst!« Und ich gehorchte.

Ich hatte sehr zerstreut gearbeitet, und es war spät geworden, als ich meine Bücher zuklappte. Ich lehnte mich zu dem Fenster hinaus, das nach dem Garten ging. Die Nachtigall sang ein schluchzend-süßes Brautlied. Aus weiter Ferne, von den Wiesen, kam das unaufhörliche Geschrei der Frösche. Die lauen Wellen der Nachtluft trugen mir würzige Fliederdüfte zu und ihr traumhaftes Rieseln ging von Zeit zu Zeit durch das Gesträuch unter mir. Auch in meinem Innern spürte ich ein seltsames Rieseln; eine ganz neue Empfindung ging in meinem Gemüthe auf, ein Gemisch von Freude und Wehmuth. War es Liebe, oder war es stille Andacht, mit der man sein Ideal anbetet, oder war es beides?

Ich wußte es nicht. – Es zerfloß bei mir alles ineinander, wie die dunkle Bläue des weiten, weiten Himmels dort oben ineinander fließt.

II.

Sie ist hold und schön fürwahr;
Aber sie ist spröde. –
Er ist klug und jugendklar;
Aber er ist blöde. –

G. Emil Barthel.

 

Und ist nicht Fritz, der kecke, tolle Junge,
Stets frisch zur That?

Ernst Eckstein, Schach der Königin.

 

O Jugendthorheit, du bist dahin! Der Strom der Zeit ist über mich brausend gegangen und hat nichts zurückgelassen, als tief im Innern eine süße Erinnerung.

Wenn ich in meines Lebens Buche zurückblättere bis auf meine aufknospende Leidenschaft, so muß ich lächelnd meiner äußeren knabenhaften Unbeholfenheit gedenken, die seltsam mit den wilden Gefühlen contrastirte, die mein Inneres durchlohten.

Ich weiß es auch noch, daß mein Gesicht immer dunkelroth wurde und mein Herz hörbar schlug, wenn ich, meine Bücher unter dem Arm, an ihrem Fenster vorüberging und meine hingebenden Blicke ihre holdselige Gestalt trafen. Wenn sie dann zufällig herabsah und ihr Auge, gleichgiltig oder verwundert, flüchtig auf mir geweilt hatte, trottete ich mit einem klaffenden Riß durch mein Herz weiter, den allerdings der fröhliche Jugendleichtsinn bald wieder schloß. –

Ach, wie gern hätte ich mich dem Gegenstande meiner heißen Gefühle genähert, wenn nur eine Gelegenheit gekommen, oder ich nicht zu blöde gewesen wäre, eine zu suchen! Doch das Schicksal erbarmte sich meiner.

Es waren ungefähr drei Wochen verflossen, seitdem Fritz mit mir auf dem Tannenberge zusammentraf; da kam Margarethens Geburtstag. Ihre Freundinnen, das Donnerstags-Kränzchen, waren eingeladen und hatten sich in der Rebenlaube unseres Gartens versammelt. Auch einige Herren, Brüder der jungen Mädchen oder sonstige Bekannte, die gekommen waren, meiner Schwester zu gratuliren, hatten Platz genommen und erfreuten sich am leichten, hierhin und dorthin flatternden Gespräch mit den Schönen.

Ich kam von dem Gymnasium, ging sogleich auf mein Zimmer hinauf, schaute, mein Vesperbrot schmausend, aus dem Fenster und amusirte mich von oben herab über die Gesellschaft.

Da saßen sie Alle unter mir! – Sie waren aus der Laube, in der es jedenfalls zu warm geworden war, ausgewandert und hatten unter einem breitästigen Akazienbaume Platz genommen. Da saßen sie und schlürften Kaffee, und stippten Kuchen, und neigten sich lachend und sich unterhaltend herüber und hinüber!

Ich kannte sie Alle. – Doch wer waren die zwei schlanken, violett gekleideten Damen, von denen die eine sich so heiter mit ihrem Nachbar unterhielt, und die andere, mit etwas geneigtem Haupte, den Auseinandersetzungen des chevaleresken Assessors Römer lauschte? – Sie saßen seitwärts; ich konnte ihre Gesichter nicht erkennen. Doch jetzt bog sich die zweite lächelnd mit einer Frage zu meiner Schwester hinüber, und ich erkannte – o Götter! – erkannte Angelica!

Schnell an ein anderes Fenster, wo ich ihr Antlitz sehen kann! Hastig lief ich in die Nebenstube. Ja wahrhaftig, das ist sie! und ist so lieb und schön, und die durch das dunkle Laubdach spielenden Sonnenstrahlen umglänzten sie so wunderhold!

Ja, das sind die lieben, süßen Züge, die braunen, ausdrucksvollen Augen, das ist die dunkle Lockenfülle! – Sie ist es! – Ja, sie ist es! –

Und wie anmuthsvoll sind ihre Bewegungen! wie schlank und weiß die zarten Hände! wie liebenswürdig ihr lächelnder Blick! – Was soll ich thun? – Mein Gott, was soll ich thun? – Soll ich hinunter gehen? –

Aufgeregt lief ich im Zimmer umher, fuhr mit der Hand durch die Haare und trat dann zum Fenster, um mich immer wieder zu überzeugen, daß die angebetete Gestalt wirklich da unten sitze.

Endlich faßte ich einen energischen Entschluß, öffnete die Thür und eilte die Treppe hinab. Doch als ich in den Garten trat, ergriff mich plötzlich eine unbezwingbare Blödigkeit; mein Herz schlug heftig. Ich fühlte, als ich der Gesellschaft näher kam und Aller Augen sich nach mir wandten, wie eine dunkle Röthe über meine Wangen schoß, und brachte nur mühsam einen Gruß hervor.

Meine Schwester sagte mit einer bezeichnenden Handbewegung zu mir hin:

»Mein Bruder Richard.«

Man grüßte mich leicht und wandte sich wieder dem Gespräch zu. Auch sie, zu der ich einen verlegenen Blick hinübergleiten ließ, nickte kaum merklich, und richtete dann eine Frage an den Assessor Römer.

Scham und Schmerz kämpften in mir und wurden nur noch mehr erregt, als Minette Fischer, ein munteres Mädchen mit blitzenden Augen und rothen Backen, mir zurief:

» Allons Monsieur Richard, halten Sie mir gefälligst mein Strickgarn, daß ich ein Knäuel wickeln kann!«

In mir kochte es. – Wie ein Bedienter soll ich behandelt werden, und vor ihr?

»Bitte, lassen Sie sich doch von dem Herrn bedienen, der neben Ihnen sitzt; er ist ja näher,« antwortete ich.

»Aber wie ungalant, Richard!« sagte Margareth.

»Wie du mir, so ich dir.«

»O, wie garstig, Richard! Geh!«

Und ich ging wirklich, wandte der Gesellschaft den Rücken und kehrte in mein Zimmer zurück. –

Hier setzte ich mich auf den Stuhl vor dem Tische, stützte meinen Kopf auf die Arme und sah lange vor mich hin. – Das also war mein Debüt vor Angelica! – Dieser Ausbruch meiner Empfindsamkeit waren die ersten Worte, die sie von mir gehört hatte! – O, wie verwerfend blickten mich ihre dunkeln Augen an, als ich sie herausstieß! Und doch, – konnte ich mir das bieten lassen, ohne gereizt zu werden? – Nein! nein! – Aber wie bitter war dieser Rückzug! Nun ist wohl alles vorbei? – Alles?

Ich ließ meinen Thränen, die sich schon lange hervordrängen wollten, freien Lauf; und Zorn und Schmerz, die in hochgehenden Fluthen durch meine Seele wogten, ergossen sich in heißen Tropfen.

Ich hatte nicht bemerkt, daß sich die Thür hinter mir geöffnet und Jemand ins Zimmer getreten war. Erst, als sich eine Hand auf meine Schulter legte, fuhr ich empor und sah durch meinen Thränenflor, daß Fritz neben mir stand, der jetzt mit pathetischer Stimme deklamirte:

»Weine nicht, es ist vergebens!
Alle Freuden dieses Lebens
Sind ein Traum der Phantasei.«

»Sprich, mein Castor,« – sagte er weiter – »was hat dir den Humor verhagelt? Meine Trostworte sollen über dich kommen, wie Manna in der Wüste. Vertraue mir und meinem Stern!«

Er war bei diesen Worten an das Fenster getreten, wohl durch das Lachen, das von unten heraufscholl, dorthin gezogen.

»Alle Wetter!« rief er, seinen salbungsvollen Sermon lebhaft unterbrechend, »bei Euch ist ja großer Zauber! Und da bist du – – heiliger Nepomuk! Da sitzen ja auch meine Göttinnen!

»Flink, flink, Richard! Die Gelegenheit ist günstig! – Und du weinst? Und du sitzest hier oben? Bist nicht schon längst an der Seite derjenigen, die du liebst? – Hast du keine Courage? – O, gütige Götter, erleuchtet das Herz dieses Jünglings, auf daß er sich ergötzen möge am zarten Minnespiel! – Und nun sei einmal vernünftig, Richard! Ich muß auf jeden Fall hinunter und der himmlischen Aphrodite meine Reverenz machen, und du, als liebenswürdiger Wirth, mußt mich geleiten.«

»Ich war schon unten, und habe genug davon!«

»Du warst schon unten? – und so, in diesem gemüthlichen Schulrock und mit diesem Slips aus antediluvianischen Zeiten! O mein Freund! sag deinem Vater »Europens übertünchte Höflichkeit« sei kein leerer Wahn; er solle dich in die Tanzstunde schicken. –

»Jetzt aber will ich dich alten Adam einmal in einen strahlenden Helden der Liebe verwandeln; und zwar muß es in Augenblicks-Geschwindigkeit geschehen, denn die Zeit eilt aus hurtigen Sohlen, als flöge sie davon. Also, ordne einmal deine Locken zu zierlicher Eleganz und knüpfe dir den besten Slips um, den du besitzest! Ich werde inzwischen das Innere deines Kleiderschrankes einer Ocular-Inspection unterziehen.«

Er öffnete schnell den Schrank und stöberte zwischen meinen Kleidern herum.

»Diese Inexpressibeln werden es sich zur Ehre anrechnen, deine Fortbewegungsinstrumente zu umkleiden; dazu wird dich dieser Rock zu einem Adonis stempeln. Hingegen wird der schwarze hier, wenn du es gütigst gestattest, für heute meine schlanken Formen umschließen; denn ich bin aus jenem dumpfen Loch, allwo ist: Heulen und Zähneklappern, Präpariren und Exercitienschreiben, entschlüpft, um mich in deiner Gegenwart auf eine Stunde von diesen drückenden Fesseln frei zu fühlen, und siehe! ich wandle, wenn auch nicht im Rocke des Schlafs, so doch in der Joppe des Hauses einher.«

»Zieh ihn nur an!« sagte ich. – »Meinetwegen brauchst du dich aber nicht zu bemühen, da ich auf keinen Fall zum zweiten Male hinunter gehen werde.«

»Du bist ein Thor und wirst nie ein Don Juan werden, weil es dir gänzlich an der famosen Frechheit gebricht! Was hast du denn Böses da unten erlebt?«

»Etwas Angenehmes jedenfalls nicht. Man pflegt über solche Vorkommnisse keine Worte zu machen.«

»Nun, dann muß ich mich wohl anschicken, meinen Weg allein hinab zu nehmen«, sagte Fritz. »Du kannst den Kriegsschauplatz aus deiner Vogelperspective hier betrachten und beurtheilen, ob meine Taktik von besserem Erfolg gekrönt wird, als die deinige.«

Er zog bei diesen Reden meinen Rock an, der ihm trefflich saß. Und wie er jetzt, sein Exterieur musternd, vor dem Spiegel stand und sein schmuckes Gesicht mit den selbstbewußten Blicken anlächelte, mußte ich mir sagen, daß die Gesellschaft diesen übermüthigen Jüngling mit seinen heiteren Mienen, seiner schlanken, schmieg- und biegsamen Gestalt und seiner sprudelnden Redeweise gewiß ganz anders aufnehmen würde, als mich mit meiner linkischen Unbeholfenheit.

Und wirklich! – als er mir nun ein kurzes » à revoir!" zugeworfen hatte und dann, in den Garten tretend, von der Gesellschaft bemerkt wurde, fand ich meine Vermuthung bestätigt. Er that erstaunt, als er der Festlichkeit ansichtig wurde, und wollte sich nach einer anmuthigen Verbeugung gegen meine Schwester wieder zurück ziehen. Doch diese lud ihn höflich ein, zu verweilen, und er zauderte durchaus nicht, dieser Einladung Folge zu leisten; und ich sah, wie er, nachdem die Vorstellungsscene vorüber war, bei Franziska Stern Platz nahm. Diese schien sehr erfreut zu sein, denn sie war bald in einem lebhaften Gespräche mit ihm begriffen, und die Beiden schienen großes Gefallen an einander zu finden. Er war offenbar bemüht, sich durch seine ganze Liebenswürdigkeit und Beredsamkeit in das glänzendste Licht zu setzen.

Mich hatte er wohl ganz vergessen? Denn kein Blick von ihm flog zu mir hinauf; und er würde doch in meinen trübseligen Mienen seinen vollständigen Triumph gelesen haben.

Ach! ich war der Erreichung meiner Wünsche ferner denn je, während jener mit kühner Hand die Früchte eines schnell errungenen Sieges brach! –

Mir schien meine Zukunft grau und nebelhaft, da ich mich der nicht nähern durfte, die in meinem jungen Herzen so innige Gefühle erweckte, und die doch so nahe vor mir saß! – So nah, und doch fern! – O ich fühlte mich elend, elend und lebensmüde.

Und diese Stimmung wurde immer intensiver, da ich bemerken mußte, daß auch Assessor Römer bei der »Bastion« Angelica keinen Widerstand fand, sondern willkommen in ihr Herz einzog, was seinem ausdrucksvollen Gesicht einen triumphirenden Zug verlieh.

III.

Blau lacht oben der Himmel, er spiegelt sich zitternd
im Wasser,
Aber am herrlichsten doch strahlt ihn Dein Auge zurück.

Albert Möser, Idyllen.

 

Er taucht hinab – o Glück! er faßt
Mit starkem Arm die süße Last!
Er taucht hinauf mit kräftgem Stoß:
Ein starker Schwimmer, sammt der Bleichen,
Er zwingt das dunkle Todesloos
Und hebt sie zu des Lichtes Reichen.

Gottfried Kinkel, Otto der Schütz.

 

Stille, geheimnißvolle Sommerabende, gedenke ich eurer und der träumerischen Empfindungen, der Hoffnungen, der Freude und Wehmut, die zu jener Zeit so bunt wechselnd durch meine Brust zogen, so ergreift mich schier eine heimliche Sehnsucht nach euch! –

»Mondbeglänzte Zaubernacht,
Die den Sinn gefangen hält,
Wundervolle Märchenwelt,
Steig' auf in der alten Pracht!«

Ich sehe den Vollmondsglanz über den dunklen Garten ergossen, in dessen Wipfeln und Gebüschen die laue Sommerluft geheimnißvoll rauscht und flüstert. – Die mondscheintrunkenen Blumen aber strömen unverholen ihre Düfte, ihre geheimsten Gefühle aus, die zu dem dunkelblauen, sternbesätem Himmelsgewölbe hinauf ziehen. Kein Weltgeräusch erklingt mehr; es ist, als stände die schnellgehende Zeit still und ich vernähme die tiefen Athemzüge der lauen Sommernacht.

In den Gartenpfaden wandeln langsam zwei Mädchengestalten auf und ab. Manchmal, – wenn ein Windzug kommt, – kann ich ihr halblautes Gespräch vernehmen. Es ist Margareth und Angelica. –

Zwischen den beiden war bald ein inniges Freundschaftsbündniß entstanden. Um des Austausches ihrer Gedanken so oft als möglich theilhaftig zu werden, hatten sie beschlossen, sich alle Abende zu besuchen. Wenn schlechtes Wetter herrschte, ging Margareth zu Angelica. Dann saßen sie wohl stundenlang beieinander und erzählten sich ihre Tageserlebnisse, oder theilten sich ihre Pläne und Wünsche für die Zukunft mit. War aber das Wetter günstig, so konnte man die Freundinnen Arm in Arm und in traulichem Gespräch in dem Parke, der unserm Hause gegenüber lag, promeniren sehen. Und ich bog mich dann weit zum Fenster hinaus, das süße Gesicht der Angebeteten in dem ungewissen Lichte des Mondscheins zu erkennen. – Ach, und was für bunte, räthselhafte Gedanken dabei meine Brust bestürmten! –

O, du blöder Knabe! – Wie wurde dir zu Muth, wenn du den wohlbekannten festen, männlichen Schritt auf dem Kiese erschallen hörtest! – Es war Assessor Römer. – Ach, er liebte sie ja! Ich fühlte, wie meine Seele sich in krampfartigem Schmerz zusammenzog.

Wie konnte es der Unverschämte wagen, seine Hand nach meinem Kleinod auszustrecken? Freilich gehörte mir das Kleinod nicht eigenthümlich, und freilich besaß dieser Mensch ein glattes Gesicht und eine klangvolle Stimme. Seit Margarethens Geburtstag, wo ich die beiden hatte so verständnißinnig zusammen plaudern gesehen, verfolgte ihn mein unauslöschlicher Haß, weil ich wohl fühlte, daß sie sich gegenseitig gewogen waren.

Nun mußte ich sehen, wie ihm Angelica freundlich entgegen lächelte und seinen Gruß erwiederte; wie sie lebhaft wurde und seinen Reden angelegentlich folgte, auch oft in der für ihn angenehmsten Weise auf seine Fragen Antwort gab. Dann konnte ich mir wohl denken, daß auf dem Nach-Hause-Wege, wo das störende Geleite meiner Schwester fehlte, ihr Gespräch noch eine innigere Färbung annehmen würde. Und wenn ich dann noch in Betracht zog, daß er Gerichtsassessor war und Angelica auf eine Verbindung mit ihm höchstens soviel Monate zu warten hätte, wie Jahre auf mich, so würde das alles genügend gewesen sein, meinen jugendlichen Liebesrausch in einem gesunden Schlafe verfliegen zu lassen.

Doch es kam ein Tag, der meine Stellung zu Angelica in eine vortheilhaftere Lage brachte, als bisher; und gedenke ich jenes Tages, so durchschauert mich noch jetzt ein bitter-süßes Gefühl.

Es war ein glühend-heißer Sommer- Nachmittag, als die Gesellschaft, welche Margarethens Geburtstag gefeiert hatte, eine Wasserfahrt nach der Hollunderinsel unternahm. Auf dieser befand sich, inmitten schöner Parkanlagen, ein ländliches Wirthshaus, zu dem man sich begeben wollte, um im Schatten der alten Buchen die Zeit zu verplaudern und sich mit Gesellschaftsspielen zu erlustigen.

Auch Fritz und ich waren unter der hellen Schaar, die in fröhlichster Stimmung durch die schwüle Atmosphäre dem Flusse zuwanderte.

In zwei Gondeln wurde Platz genommen, und bald durchschnitten sie neben einander das stille, träge Wasser, über dem die heiße Luft zitterte, daß uns der Schweiß in hellen Tropfen über Stirn und Wangen rann. Doch wurde die Fröhlichkeit nicht im mindesten dadurch beeinträchtigt; und die muntern Scherze, die unter Gelächter herüber und hinüber flogen, gaben genugsam Zeugniß von der animirten Stimmung der Gesellschaft.

Ich aber gehörte nicht zu den Fröhlichen. Ich saß still und unbeachtet am Steuer des Kahnes, worin zwischen den Uebrigen auch Römer und Angelica Platz genommen hatten, und sah mit heimlicher Eifersucht, wie vertraut er mit ihr that und wie ruhig sie das geschehen ließ, während sie verklärt ihrer Schwester zulächelte, um deren Gunst Fritz sichtbar und angelegentlich sich bemühte. –

Die Bäume der Hollunderinsel standen in dunkler, träumerischer Colonne am Wasser entlang und warfen ihren Schatten weit darüberhin. Eine wohlthuende Kühlung wehte aus der matten Dämmerung unter den dichten Kronen zu uns herüber, und aufathmend, befreit von dem unerbittlichen Drucke der Sonne, wurde die Gesellschaft immer lebhafter.

Die andere Gondel, die uns etwas vorausgeeilt war, landete eben an der Haltestelle, und die Herren waren den jungen Mädchen beim Aussteigen behilflich. Da sich unser Kahn nicht anders befestigen ließ, wurde er an den ersteren gebunden, und wir stiegen durch diesen ans Land hinüber.

Nun standen wir alle auf dem Rasen, und einige Herren und Damen verschwanden schon hinter dem Gebüsch des Waldes, als Angelica mit den Worten:

»Verzeihen Sie! einen Augenblick!« sich von Römers Arm, den er ihr gereicht hatte, los machte und leichten, behenden Schrittes zu den Kähnen zurückeilte. Als wir ihr folgten, sahen wir sie über die Bänke der Gondeln zu ihrem Sitzplatze schreiten, um ein rothes Halstuch zu holen, welches sie dort liegen gelassen hatte.

»Aber Fräulein, warum sagten Sie mir das denn nicht!« rief ihr Römer vorwurfsvoll zu.

»O, es ist ja nicht der Mühe werth!« antwortete sie und bückte sich, um das Tuch aufzuheben. Aber, – wehte ein Lüftchen, oder kam es durch die schnelle Bewegung unter ihren hastigen Tritten, – das rothe Tüchelchen glitt in den Fluß. Sie wollte es auffangen und verlor das Gleichgewicht; die Gondel neigte sich plötzlich stark nach einer Seite, Angelica fiel ins Wasser und war sofort unsern Blicken entschwunden.

Das Alles war das Werk eines Augenblicks.

»O Gott!« rief Römer und bemühte sich eifrigst, die engen Glacéhandschuhe von den schweißigen Händen zu bringen; doch ehe es geschehen war, lagen meine Stiefel und mein Rock am Boden, und meine Arme theilten die Fluthen, denn jetzt tauchte Angelica eine Strecke stromabwärts empor.

Das kalte Element griff mich durch die Kleidung hindurch wie mit Todtenhänden an, Frostschauer durchrieselten mich; im Kopfe aber wurde ich kühl und klar und handelte deshalb richtig. Denn als ich nun bei der Gesunkenen tauchte, griff ich ihr hinterrücks unter die Arme und hob so die theure Bürde langsam vor mir empor. – Sie lag schwer an mir; ihr Kopf ruhte auf meiner Schulter. Römer und zwei andere Herren zogen sie. heraus und legten sie unter einer Buche in das Moos nieder. Als ich hinzutrat, standen die jungen Mädchen weinend und wehklagend, die Herren augenblicklich rathlos um Angelica herum. Ihre Kleider lagen schlaff und wassertriefend am Körper; auch an den dunkeln Flechten, die aufgelöst über das schöne, wachsbleiche Gesicht hingen, rieselten die Tropfen nieder. Die Augen waren geschlossen. Neben der Leblosen kniete ihre Schwester Franziska und rief sie in den süßesten Schmeichelnamen. – –

Nachdem sich die aufgeregten Gemüther etwas beruhigt hatten, wurde beschlossen, die Verunglückte, die nach einiger Zeit die Augen öffnete und trübe, unbewußte Blicke umhersandte, in das nahe Gasthaus zu bringen, um sie dort zu erwärmen und zu beleben.

Ich zog schnell Rock und Stiefel an und erbot mich, nach dem Hause zu laufen und dort alles zum Empfange Angelica's anordnen zu lassen; auch mußte ich sehen, daß ich meine Kleider gegen dort geborgte wechseln und trocknen konnte, denn ich fühlte mich höchst ungemüthlich in meiner nassen, anklebenden Hülle, und meine Zähne klapperten vor Frost.

Als ich über die Wiese eilte, die den Wald von den Parkanlagen trennt, bemerkte ich mit Schrecken, daß sich an dem dunstumschleierten Himmel dunkle, gewitterschwere Wolken aufthürmten, die einen tüchtigen Regenguß in nahe Aussicht stellten. O, wenn nur das Wetter so lange fortbliebe, bis wir Angelica unter dem schützenden Dache in Sicherheit gebracht hätten! –

Der Wirth und seine Frau waren sofort bereit, uns zu helfen. Auf das Sofa in dem geräumigen Gartensalon, der glücklicher Weise ganz leer von Gästen war, wurden Betten gelegt. Der Wirth ging Angelica, die wir von den Herren über die Wiese her antragen sahen, entgegen, während ich einige Sachen von ihm als Nothbehelf anzog und die meinigen zum Trocknen an den Küchenofen hing.

Später trat ich leise in den Salon. Angelica lächelte matt, als ich an ihre Lagerstätte kam, und reichte mir ihre Hand. Die jungen Mädchen mochten ihr wohl alles Vorgefallene mitgetheilt haben.

Auch die übrigen Herren kamen nun heran, den Unfall bedauernd und sie zu ihrer Errettung beglückwünschend. Freilich mußte ich da sehen, daß die Blicke und das Lächeln, womit Angelica Römer begrüßte, viel inniger und liebender waren, als die schwesterlichen, womit sie mich empfangen hatte. Doch was kümmerte das meine frohe, selbstzufriedene Stimmung! Mein Herz war voll jauchzender Entzückung. Nun war ich ja ein anderer! nun hatte ich ja ein gewisses Anrecht auf Angelica! nun durfte ich ihr ja näher treten! – Wohin war meine Blödigkeit? – O ich fühlte mich frei und selbstbewußt! –

Ich trat an ein Fenster. Draußen war das Unwetter mit wilder Macht herein gebrochen. Der Regen stürzte in Strömen aus den schwarzen Wolkenmassen hernieder und riß tiefe Kanäle in die Wege des Gartens. Da strudelten und schäumten und quirlten die Wasser zu der Wiese hinab. Mit blindwüthender Gewalt brauste ein orkanartiger Sturm durch die Wipfel der Bäume, daß sie sich ächzend krümmten und bogen. Er zauste sie unbarmherzig hin und her und trug die abgerissenen Blätter weit in die dunkle Luft. Blitze auf Blitze zuckten und ringelten sich gleich feurigen Schlangen am Firmamente hin, und das dumpf rollende Getöse des Donners erschütterte fortwährend die Natur.

Hei! – strömt nur herab ihr Wolkenbrüche! – Zuckt nur ihr Blitze! – Wett're nur Donner! – Mein Herz jubilirt: Du hast sie gerettet!

IV.

Tausend süße Schmeichelworte,
Tausend Küsse wurden sein.

Lebrecht Dreves, Der treue Wächter.

 

Kaum hat die Blüthe des Mai's sich erschlossen,
Kaum sich gestaltet die Rose im Mai,
Kaum m's Gemüthe sich Liebe ergossen,
Fallen die Blätter und – Alles vorbei!

Lebrecht Dreves.

 

Meine kühnen Hoffnungen wurden jedoch nicht erfüllt.

Zwei Monate waren seit jenemTage verflossen, und ich stand Angelica ferner denn jemals; ja es war zwischen uns ein peinliches Verhältniß entstanden. Sie glaubte sich mir zu Dank verpflichtet, und sie wußte wohl, daß ich sie mit aller Gluth meines Herzens liebte; sie hatte es mit der, den Frauen eigenen Zartfühligkeit längst empfunden. Doch was sollte ihr die Liebe eines Primaners, eines Schülers! – Sie fand in ihrem Herzen kein Echo. Aber sie wollte mir in ihrer und Römer's Gegenwart kein schmerzliches Gefühl bereiten, und dieses Dilemma hatte etwas Bedrückendes, sowohl für sie als auch für mich. Ich vermied es daher, als mir das immer bemerkbarer wurde, in den Bekanntenkreis Margarethens zu kommen.

So wurde jenes Ereigniß, von dem ich glaubte, daß es die Brücke zu einer Annäherung zwischen uns sein würde, der Anfang einer Kluft, die immer tiefer und breiter wurde. Wie mir das durchs Herz schnitt und mir oft in einsamen Stunden die heißesten Thränen entpreßte, ist mir noch deutlich in der Erinnerung.

Doch hatte ich nicht Zeit, und das war gut, mich meinen Gefühlen ganz und gar hinzugeben, weil die Schule gerade jetzt größere Anforderungen als bisher an meinen Fleiß stellte.

Dem Sommmer war der Herbst gefolgt; im nächsten Semester sollte ich mein Abiturienten-Examen bestehen. Da hieß es also: arbeiten, um mit Ehren daraus hervorzugehen.

Und die Arbeit wurde meinem Schmerz eine heilsame Trösterin. Wenn ich auch anfänglich oft genug die Schulbücher mißmuthig bei Seite warf und die trüben Gefühle frei schalten und walten ließ in meinem Gemüth, ja sie sogar beförderte, indem ich Heine's und Lenau's Gedichte immer wieder aus dem Bücherschrank holte und mich oft in die höchste Aufregung durch die schmerzdurchwobenen Verse jener Lyriker versetzte, – so brach sich doch der beruhigende Einfluß, den dann wieder griechische oder lateinische Klassiker ausübten, immer mehr Bahn und besänftigte die Wogen meines Gemüths.

Am Spaliere im Garten lugten aus dem gelblichen Laube die dunklen, reifen Weintrauben; auch Birnen und Pflaumen hingen, ein lieblicher Anblick für lüsterne Augen, dichtgedrängt an den fast unter der Last brechenden Zweigen, von denen sich schon manches Blatt löste und lautlos aus den Rasen hinabsank. Astern und Lilien mahnten schmerzlich an den Tod der Rosen. Mild grüßte die Sonne vom blauen Himmel herab, unter dem langsam die Symbole der Sehnsucht, weiße, glänzende Wolken dahinzogen, die zuweilen von großen Schaaren südwärts ziehender Schwalben verdunkelt wurden.

Mir war heute so still, so feierlich zu Muth, als ich eine schwierige Arbeit mit viel Eifer und Genugthuung beendet hatte, und nun aus dem geöffneten Fenster lange Zeit in die klare Herbstlandschaft hineinschaute.

Die Natur erschloß mir, was sie lange nicht gethan, ihr innerstes Wesen: verständnißinnig schaute ich ihr in das liebe, wehmüthiglächelnde Antlitz. Ich sah die zarten Herbstfäden durch den Sonnenschein gaukeln; ich horchte mit Andacht auf das Geschrei der Spatzen, die an dem reifen Obste Diebstahl trieben; ich träumte dem Zuge der Wolken in die Ferne nach. – Alle früheren Tage waren abgelöst aus meinem Denken; ich war zufrieden wie nie. –

Da – es klopfte hastig laut an meine Stubenthür! Ich wandte mich um; Fritz stürmte herein.

»Famos, daß du noch da bist!« rief er. – »Aber, was ist denn, du hast dich ja noch nicht adonisirt? – Hast du denn ganz vergessen, daß das Kränzchen nach der Hollunderinsel gewandelt ist? –

»Mach schnell! packe deine Siebenfachen zusammen, ziehe dich an und komm mit an den Fluß! Dort lassen wir uns übersetzen.

»Heute wird's was mit Franziska! Mir rieselt's noch ganz warm den Rücken 'runter, wenn ich daran denke, wie zärtlich sie mir neulich die Hand gedrückt hat, und wie ich einen Kuß auf ihr »Pflaumenpätschen siegelte«, wie der große Clauren sagt.

»Na, mache doch, und staune nicht länger!« – rief er mit gesteigerter Hast. »Du stehst ja ganz consternirt da!«

»Ich komme nicht mit!« – sagte ich entschieden.

»Dann bleibe du, und verliebe dich in deinen Homer und seinen göttlichen Sauhirten!« und schnell, wie er gekommen, war er verschwunden. –

Ich sah wieder zum Fenster hinaus, aber ich verstand nicht mehr die Seele der Natur. Unzufriedenheit triumphirte über all' meine früheren stillfrohen Gefühle, und ich sagte mir: Sieh, du Träumer, jener entschlossene Mensch hat mit Leichtigkeit errungen, was dir ganz unmöglich ist: er wird geliebt, und du? – bleibst unbeachtet. Unruhe flog mit ängstlich flatternden Flügel durch mein ganzes Wesen.

Ich eilte in die Familienzimmer; es war niemand darin. – »Du sollst allein sein,« sagte ich mir selbstquälerisch. – »Allein – allein!«

»Ich will nicht allein sein!« schrie ich auf, zog entschlossen meinen Rock an, nahm den Hut und eilte in das Flußthal hinab.

Bald war ich nach der Hollunderinsel übergesetzt und schritt schnell auf dem Wege dahin, der nach dem Wirthshaus führt. Ich hoffte die Gesellschaft noch vollzählig um den Kaffeetisch versammelt zu finden; doch es war nicht der Fall, nur meine Eltern saßen in dem milden Sonnenschein vor dem Hause. Sie waren erfreut, daß ich mich auf kurze Zeit von meiner Arbeit losgemacht hätte, und meine Mutter schenkte mir sogleich eine Tasse Kaffee ein.

»An den Tüchern und Hüten, die rings auf den vielen Stühlen liegen, bemerke ich, daß Eure Societät sehr zahlreich sein muß;« sagte ich. »Wo sind denn die Andern?«

»Sie machen Gesellschaftsspiele. Du findest sie hinter dem Berge dort, auf der Wiese,« erwiederte der Vater.

»Wenn du voraufgehen willst, so thue es; wir kommen bald nach,« setzte die Mutter hinzu.

»Nun, dann bleibt nicht lange mehr!« sagte ich, nachdem ich die Tasse geleert hatte, und ging voraus, an einigen Beeten vorüber, auf denen die letzten Sommerblumen der Sonne entgegen lächelten.


Diesen Theil der Insel gränzte ein Fels ab, der vermittelst eines kurzen Stollens durchbrochen war. Zu beiden Seiten hing zartes Laubgeranke über die Eingänge. Oben bildete ein grüner Zaun eine Brüstung, und man hatte eine herrliche Aussicht von dem kleinen Plateau, zu dem von rechts und links verschiedene Wege zwischen dichtem Gebüsche hinaufführten.

Ich ging durch den gewölbten Gang, fand aber die Gesellschaft nicht auf dem angegebenen Platze und stieg nun einen der Wege zur Höhe hinauf, um die Gesuchten vielleicht von dort zu erspähen.

Aber auf einmal blieb ich unterwegs gebannt stehen: ich vernahm durch das gelbliche Laub ein halblaut geführtes Gespräch und unterschied nun die Stimmen von Fritz und Franziska.

Sie schritten auf einem Seitenwege neben mir her. Wenn der leise Wind die dürren Blätter hob, sah ich des Mädchens helles Kleid schimmern, und jetzt, bei einem Durchblick, sah ich noch mehr: Fritz hatte seinen Arm um ihre Taille geschlungen und hielt mit der andern Hand ihre Rechte. Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter; manchmal hob sie ihn und sah liebelächelnd zu ihm empor.

»Mein süßes Fränzchen, ich kann dir gar nicht sagen, wie glücklich ich mich fühle und wie mich deine Liebesworte berauschen,« sagte Fritz, indem er sein Haupt zu ihr herabneigte, und – nun klang ein Geräusch herüber, das nur durch schnelles Aufeinanderlegen und Zurückziehen zweier Lippenpaare entstanden sein konnte.

»Mein lieber Fritz«, entgegnete sie, »ich liebe dich schon lange. Schon seit jenem Tage! – Als ich aus der Straße hinfallen wollte, und du mich hieltest, – weißt du noch? – da stieg es siedendheiß in mir herauf.«

»Du süße kleine Hexe! Warte, ich verrathe es deiner Schwester, oder du giebst mir zur Strafe noch drei Küsse!«

Wieder kam das mysteriöse Getön herüber und zwar herzhafter, und es schien nie enden zu wollen.

Ich wandte mich von den Liebesseligen ab und schritt zurück. Plan- und gedankenlos irrte ich in den Wegen umher; meine junge Seele in mir schrie nach Liebe. –

»Hollah, Herr Träumer! – Wohin geht die Wanderschaft?« rief mir aus dem Gebüsch plötzlich die Stimme Margarethens zu. – Allons, »Böckchen, Böckchen schiele nicht, wird gespielt«; es fehlt uns gerade das Böckchen!«

Ich stand auf der großen Wiese und vor mir, paarweise hintereinander, standen die jungen Mädchen und Herren, im Begriff, das bekannte Haschespiel zu vollführen. Mein Blick überflog schnell die Paare; Angelica und Römer waren nicht dabei. Ich gedachte an Fritz und Franziska, als ich frug:

»Wo ist denn Fräulein Angelica Stern und Herr Assessor Römer?«

»Letzterer brütet zu Hause über Acten, und Erstere ist uns nebst ihrer Schwester abhanden gekommen,« – antwortete mir einer der Herren.

»Wollen Sie vielleicht die Damen suchen?« frug mich ein anderer, der in meinem Gesicht lesen mochte, wie unschlüssig ich war, ob ich bleiben oder wieder gehen solle.

»Ja, das will ich!« sagte ich und schritt, ohne auf die Nachrufe zu achten, quer über die Wiese dem Walde zu.

Das Gespräch hatte ein dumpfes Gefühl der Gleichgiltigkeit in mir erweckt, so daß ich wenig auf die Reize achtete, die der in den bunten Schattirungen des Herbstes prangende Wald entfaltete, durch den die rothen Strahlen der untergehenden Sonne glänzten. Doch meine Sinne wurden plötzlich wieder durch das Bild bezaubert, das sich mir darbot, als ich nun aus dem Walde ins Freie trat:

Da saß Angelica, mir den Rücken zuwendend, auf einem Baumstamm und blickte, den Kopf auf dem Arm gestützt, in die gluthroth bestrahlte Landschaft hinaus.

Hier war das Ende der Insel. Der Fluß vereinte seine Arme und floß nun breit durch ein schönes, von bewachsenen Hügeln begränztes Thal. Weit unten war der purpurdämmernde Tannenberg sichtbar, der tiefer und tiefer in das Abendgold tauchte.

Eine Gondel schaukelte auf dem Flusse durch den rosigen Schimmer hin. Fröhlicher Gesang der Darinsitzenden scholl weit durch die abendliche Ruhe.

War es ein Märchen? – eine Sage aus längst verschollener Zeit, die nun wieder auftauchte, als neckende Fata Morgana? ein Ritter, der sein lang gesuchtes Liebchen endlich findet? –

»O nein! die Hoffnungen haben sich abgelöst von mir, wie sich von den Bäumen dort die Blätter lösen und zu Boden fallen. Nie wirst du mein werden, Angelica!«

Ich mußte wohl das letzte Wort für die Besitzerin des Namens hörbar gesprochen haben; sie hob den Kopf, wie aus einem Traum erwachend, und wandte ihn nach mir um. Erschreckt fuhr sie auf:

»Sie hier, Herr Richard! – Was wollen Sie?« rief sie.

»Ich wollte Sie nicht stören, Fräulein Angelica; es war nur Zufall, der mich hierher führte,« sagte ich nähertretend.

»O,« sagte sie, »ich habe Ihnen wehe gethan. Nein, nein, das wollte ich nicht; bitte, verzeihen Sie mir!«

Ihre Züge hatten einen ängstlichen Ausdruck angenommen; sie mußte in dunkle Gedanken versunken gewesen sei, denn in ihren schönen Augen schwammen Thränen.

»Wie könnte ich Ihnen je zürnen, Fräulein Angelica?« sprach ich wehmüthig. »Schmerzt Sie denn mein Anblick so sehr? – O wenden Sie das Gesicht nicht ab! – Ich weiß es ja, daß Sie mich nicht lieben. Geben Sie mir nur ein einziges Mal Ihre Hand – als ein Zeichen Ihrer Freundschaft für mich!«

Ich ergriff ihre herabhängende Hand; doch sie entzog sie mir, schlang beide Arme um meinen Hals und küßte mich unter Thränen.

»O Sie lieber, treuer Mensch, mein Lebensretter; vergeben Sie mir meine Liebe zu dem Andern! Ich kann nicht von ihm lassen.«

Dann machte sie sich von mir los, lehnte sich an den Stamm des neben ihr stehenden Baumes und barg das Gesicht in ihre Hände.

»Gehen Sie,« sagte sie; »lassen Sie mich allein!«

Sie war rührend schön; der letzte Sonnenstrahl fiel über ihr Gesicht und verwandelte ihre Thränen in Blutstropfen.

»O leben Sie wohl, leben Sie wohl, Angelica!« rief ich und eilte in den Wald zurück.

Lange irrte ich in der Dämmerung umher. Mein Herz wollte schier brechen, und auf meinen Lippen brannten ihre Küsse wie Feuerflammen.

V.

Sie sucht des Mannes, wie sie kann,
Zu pflegen und zu warten;
Sie spinnt und näht für ihren Mann,
Bestellt ihm Haus und Garten,
Und scheuet weder Frost noch Gluth
Beständig flink und wohlgemuth.

Voß, Luise

 

The Lady of his love; – Oh! she was changed
As by the sickness of the soul.

Byron, The Dream.

 

Wieder waren einige Monate verflossen, und zwar sehr arbeitsreiche für Fritz und mich. Nachdem endlich das Examen glücklich bestanden war, wandte sich Fritz der Postcarrière zu, und ich dampfte im »wunderschönen Monai Mai« dem schönen Heidelberg und der fröhlichen Studentenzeit entgegen, mit einem Herzen, das überwunden, und das nun das jungfräulich-ahnungsvolle Gefühl einer rosigen Zukunft und das zart-wehmüthige der Entsagung gleichmäßig durchzitterte.

Doch das Letztere verschwand bald gänzlich in dem frischen, frohen Leben, das mir ausging, und kam mir nur zuweilen dann wieder nahe, wenn ich einen Brief aus der Heimat erhielt.

In der ersten Zeit unserer Trennung hatte Angelica die wenigen Briefe, die ich an sie zu schreiben wagte, regelmäßig beantwortet; und in diesen Briefen wurde vieles laut, was sich früher in den tiefsten Falten der Seelen verborgen hatte.

Aber dieser Verkehr war abgebrochen, seitdem ich die Nachricht von ihrer Verheirathung mit Römer empfangen hatte. Damals fühlte ich einen heftigen Schmerz in meinem Herzen, und ich weiß heute noch, wie tief traurig ich einige schöne Sommertage hindurch in den Straßen Heidelbergs umher lief und in den Auditorien der Universität saß.

Wenn ich in den Ferien zu Hause war, vermied ich es soviel wie möglich, sie zu sehen.

Dann, nachdem die Universitäts-Studien vollendet, war ich Jahre lang Hauslehrer in einer entfernten Gegend unseres Vaterlandes. Und in dieser Zeit, wo ich die Heimat und Angelica nicht wiedersah, verblaßte ihr Bild mehr und mehr in mir vor den Erlebnissen in der Fremde. Aber wie lebhaft stieg die Erinnerung an sie und die vergangenen Zeiten in mir wieder herauf, als ich in die Vaterstadt zurückkehrte!

Bekannter und immer bekannter werden die Fluren, durch die der Eisenbahnzug mit seinem feuerspeienden Rosse in beängstigender Schnelligkeit dahinsaust. Das sinnverwirrende Stoßen, Schieben, Aechzen, Stöhnen der Räder, das Knacken und Knarren der Wände wird uns die wilde Melodie zu den stürmischen Gedanken: Wie wirst du den und jenen wiederfinden! was wird sich alles in der Stadt und in dem Kreise deiner Freunde und Bekannten verändert haben! wie wirst du zu Hause empfangen werden, du unerwarteter Ankömmling! – Ich hatte Niemand mitgetheilt, daß ich gerade jetzt kommen würde.

Zwischen all' diesen Fragen wogten plötzlich wieder aufgetauchte, alte Erinnerungen und auch Gedanken aus den zuletzt verlebten Tagen. Da – plötzlich ein starker Ruck, – ein Stoß, – der Zug hält. –

Der Schaffner öffnete die Thür, ich stieg auf den Perron des heimischen Bahnhofes, und nachdem ich meine Gepäcksangelegenheit geordnet hatte, betrat ich die Straßen.

Es war schon ziemlich spät Abends – ein warmer, weicher Sommerabend. Ruhe herrschte überall in den alten Straßen; nur mitunter ging jemand mit weit hinhallenden Schritten auf dem Trottoir entlang.

Als mein Blick zum Himmel hinauf flog, sah ich, wie sich des Mondes Scheibe durch blasse, vorgelagerte Wolken drängte und mattes Licht auf die Häuser und das Pflaster herabgoß. Doch, dann gerieth er hinter andere, dunklere Wolken, und sein Schein wurde schwächer. So war es ein wechselndes Licht- und Schattenspiel, ein verworrenes Durcheinander, gerade wie gleichzeitig in meinem Kopfe. Wenn ich an Nebenstraßen vorüber schritt und den Glanz so räthselhaft-träumerisch an die Häuser geschmiegt sah, und die Giebel in die verschwommene Dunkelheit tauchten, ihre Contouren sich jedoch scharf von dem blassen Himmel abhoben, so beschwor das die alten Erinnerungen am lebhaftesten empor. Lieblich, kraus-verwirrt gaukelten sie durch meinen Sinn: Kindheitstage, – Weihnachtskerzen, – Nixenaugen, – Liebesträume, – blaue Blume, – Angelica.

Da blieb ich plötzlich wie gebannt vor einem wohlbekannten Hause stehen und sah lange auf die mondbeglänzten Fenster. Mir war, als ob ein Antlitz hinter den Gardinen hervorlausche; doch es war ein süßer Trug, nur das bleiche Licht flimmerte in den Scheiben.

Dann rauschte mir der alte Nußbaum auf dem Hofe meines Vaterhauses sein leises, trauliches Willkommen zu. – Ich eilte die Treppe durch das stille Haus hinauf und zog die Klingel an der Entréethür. Unsere alte Magd Katharine kam mit einem Lichte aus der Küche und öffnete mir.

»Herr Jes, der junge Herr!« rief sie verwundert aus. »Sind Sie's denn aber auch wirklich? – Wahrhaftig! Na, guten Abend. – Sie kommen ja noch so spät! Wir haben Sie heute noch nicht erwartet.«

»Hoffentlich komme ich doch aber recht, Katharine?«

»Na freilich, na freilich! Nur, es ist leider niemand zu Hause, denn die Concordia feiert heute ihr Stiftungsfest, und da sind die Eltern und Fräulein Margareth mit ihrem Kränzchen dazu eingeladen. Sie sind Nachmittags in Gondeln nach Tannstädt gefahren, und dort ist nun Conzert und Tanzvergnügen.«

»Das trifft allerdings unangenehm,« sagte ich; »doch ich könnte ja hinausgehen, da würde die Ueberraschung noch größer werden.«

»Sie wollen 'raus?« Na, kommen Sie nur erst herein und essen Sie etwas; Sie werden hungrig sein. Wir haben heute Ihr Leibgericht gehabt: Eierkuchen und rothe Sauce. Es ist noch davon da.«

»Nein, Katharine; es ist schon spät, und zu essen bekomme ich gewiß auch in Tannstädt.«

»Ach Gott, na gehen Sie nur! Sie haben ja doch immer keine Ruhe gehabt. Nein, wie Sie aber stattlich geworden sind! Mit Ihrem großen Barte hätte ich Sie fast gar nicht erkannt. – Ja, und was ich sagen wollte: viel hübsche Mädchen finden Sie draußen; da werden Sie sich amusiren. Aber sehn Sie, in der langen Zeit, wo wir hier schwatzen, hätten Sie essen können! Kommen Sie doch nur ein kleines Weilchen herein!« bat sie eindringlicher; »ich mache Ihnen gleich alles zurecht.«

»Nein, nein, Katharine! Ich will fort. Du bist's ja ganz allein, die mich aufhält. Leb' wohl bis später!« –

Da kam ich nun an den Fluß, der so viel von meiner Freude und meinem Schmerz zu erzählen weiß! Es war still, tief-still, und der Mondschein lag überm Thale. Nur leise, kaum hörbar rauschten des Flusses Wellen durch seinen beweglichen Glanz. Droben vom dunkelblauen Himmel blitzten die klarfunkelnden Sterne weit über den stillen Grund hinaus. Wunderbar tönte das Rauschen der Bäume von der Hollunderinsel herüber. Zwischen dem geheimnißvollen Dunkel der Stämme schwebte dort, wo ich vor Jahren Angelica aus dem Wasser gezogen hatte, ein weißer Nebel wie ein Elfenreigen hin. Manchmal flog über meinem Haupte eine schnell hinhuschende Fledermaus; manchmal vernahm ich das Springen der Fische im Wasser, oder aus weiter Ferne, aus den Dörfern, das Anschlägen eines Hundes. So schritt ich rüstig durch die Einsamkeit vorwärts. – Nun erhoben sich vor mir die alten Burgtrümmer, über die bleiche Wolken wie seltsam gestaltete Gespenster dahin zogen, und an deren verwitterten! Gestein der geheimnißvolle Zauberglanz des Mondes leis verschwommen hin und her spielte. In meiner traumhaften Stimmung würde ich mich gar nicht gewundert haben, wenn sich aus einem der zerfallenen Fenster ein schlankes Ritterfräulein gebogen und mir mit weißem Tuche entgegen geweht hätte.

Das ereignete sich nun zwar nicht; aber wie ich auf dem verlassenen Wege am Fuße der Burg hinging, kam mir plötzlich ein Herr mit einer Dame am Arme entgegen.

Sie kamen mir sehr bekannt vor, als müsse ich sie vor Jahren öfter gesehen haben. Er hatte, wie ich das im blassen Lichte nur ungewiß bemerken konnte, ein hübsches lebhaftes Gesicht mit keckem Schnurrbart; ihre Züge konnte ich nicht deutlich unterscheiden, weil sie ein breitrandiger Strohhut beschattete.

Auch ich mußte den Beiden bekannt vorkommen, denn sie schauten mich groß und fragend an; doch wir gingen an einander vorüber: fremd und wie längst bekannt. Als ich noch einige Schritte gemacht hatte, durchzuckte mich Erinnerung und, ihrer Eingebung folgend, legte ich die hohle Hand an den Mund und rief ein zaghaftes, aber doch vernehmbares:

»Fritz!« zurück.

»Richard!« antwortete es; dann näherten wir uns wieder.

»Sagte ich nicht, daß es mein Castor sei!« rief Fritz Schütz, denn er war es: »Ja, ja, schon erkennt der »Schul-«Freund in Korinth, die Züge, die ihm theuer sind.«

Er hatte den Arm seiner Franziska – denn sie war es, die er führte – losgelassen und schüttelte mir beide Hände.

»Lebst du denn wirklich noch unter den Sterblichen; oder kommst Du geradenwegs vom Olymp herab?

»Man sollte es fast glauben. Du siehst ja so fremd, so martialisch aus mit deinem großen Vollbart. Ist es nicht so, Schätzchen?« frug er Franziska.

»Ja, ja!« erwiederte sie, wie abwehrend.

»Ich muß dir nämlich sagen, Richard,« wandte er sich wieder an mich – »daß ich und hier mein Fränzchen seit zwei Wochen Mann und Frau sind. Wärest du an dem Tage, der unsre Herzen für Zeit und Ewigkeit aneinander schloß, hier gewesen, so würden wir nicht verfehlt haben, dich als schwarzgekleideten Jungherrn pflichtschuldigst und ergebenst einzuladen. Jedoch in Ermangelung deiner mußten wir uns begnügen, unser Eheschifflein ohne dich flott zu machen, was mir als seekundigen Steuermann und wohlinstallirten Postsecretär, Gott sei Dank! nicht allzu große Schwierigkeit verursacht hat. Sieh! es ist noch kein Sturm, kein häuslicher Zwist eingetreten; obgleich einem Unparteiischen baldigst auffallen muß, daß diese kleine Frau ein sanftes Pantoffelregiment über ihr getreues und ergebenes Ehegespons ausübt.«

»Aber Fritz!« sagte sie vorwurfsvoll, jedoch mit einem zärtlichen Blick auf ihn, »was du doch wieder für Reden führst! Laß doch andere Menschen auch zu Worte kommen!«

»Siehst du!« sagte er lächelnd zu mir; »jedoch ich schweige.«

»Mein Glückwunsch,« erwiederte ich, beiden meine Hand reichend, »kommt mir vom Herzen. Habe ich doch diese Liebe entstehen und wachsen sehen. Dort auf dem Tannenberge wurde mir der erste Einblick in Fritzens lieberfülltes Herz.«

»Wohin führt dich denn aber jetzt dein Weg?« frug er. »Doch nicht etwa in dein altes Traumland der Romantik? Jedenfals begiebst du dich in den Tannstädter Kaffeegarten, wo sich deine Eltern befinden, und wo wir auch waren; aber wir machten uns auf Antrieb der kleinen Frau Schütz schon früh davon, während die Andern noch flott tanzen.«

»Ja, ich gehe nach Tannstädt,« erwiederte ich.

»Weißt du, Liebchen, wir könnten eigentlich Richard in unserm Kahn hinbringen und dann über die Berge zurückgehen. Es ist ja nur ein Katzensprung.«

»Es ist wohl schon sehr spät,« erwiederte sie; »aber wenn du willst, Fritz, dann komme ich gern mit.«

»O, es ist ein kleines herziges Frauchen,« sagte er und streichelte sanft ihre Hand, die er festhielt.

Ich sage dir, Richard, solch ein treues, wirtschaftliches Hausmütterchen giebt's auf der weiten Welt nicht mehr. Vor der hat man die ganze Zeit keine Ruhe, wo man zu Hause ist. Das geht immer: Bitte, lieber Fritz, schlag mir einen Nagel zu meinen Bratpfannen in der Küche ein; – Herzensfritz, was soll ich heute zu Mittag kochen? – Schätzchen, komm 'mal schnell her und sieh dir meinen gefüllten Wäscheschrank an! Dabei läuft sie in ihrem coquetten Häubchen mit den rosa Schleifen und dem hellen Latzschürzchen immer um einen her; man könnte sie jede Minute festhalten und abküssen.«

Es war Franziska sichtlich unangenehm, daß ihr Gatte so schonungslos meinen profanen Ohren die süßen Geheimnisse ihrer jungen Ehe offenbarte; doch sie erwiederte nichts als: »aber Fritz!« und sah erregt auf das schimmernde Wasser des Flusses.

Einige Schritte stromabwärts lag zwischen Weidengebüsch in einer kleinen Bucht ein Kahn an der Kette. Ich machte diese von dem Haltpfahl los und hielt das Fahrzeug fest. Franziska stieg zuerst hinein.

»Bitte, lieber Fritz, setz' dich hier her, – hier neben mich!« bat sie.

»Du Närrchen! hast du Angst? Du bist doch sonst immer mein herzhaftes Weibchen!«

»Ach, bitte, thue es mir doch zu Gefallen! Vorhin schwankte der Kahn immer so sehr, und wie du dich beim Rudern einmal über den Rand bogst – – – Huh, das Wasser ist schwarz!«

»Nun, mein Schätzchen, fängst du mir auch mit romantischen Grillen an? O ihr Frauenzimmerchen! sobald ein phantastischer Jüngling in eure Nähe kommt, werdet ihr von ihm inspirirt, und ihr wißt dann nicht mehr was ihr wollt. – Theurer Freund,« wandte er sich an mich, »da du daran Schuld bist, daß meine Frau Gemahlin mich an ihre holde Seite beruft, und ich als gehorsamer Gatte, wie du weißt, Folge leisten muß, so magst du auch die Ruder ergreifen und beweisen, daß die zwingende Kraft deines Armes ebenso stark, wie die deines Geistes ist.«

»Das sollst du bald sehen,« erwiederte ich und ergriff die Ruder.

»Und nun,« fing Fritz wieder an, als wir dahintrieben, »erzähle uns in der Sittsamkeit und Ehrbarkeit, welche dir so wohl ansteht, deine Irrfahrten aus dem brausenden Strome des Lebens.«

»Was sollte ich da viel zu erzählen haben? Wie du wohl wissen wirst, war ich am Rhein.«

»Jawohl, ich weiß es! obgleich du mich nie für würdig befunden hast, mir ein paar Zeilen von da aus zu spenden.«

»Fritz, mache doch deinen Rockkragen in die Höhe, es zieht ja hier so stark!« fing da seine Frau plötzlich an, die fast keinen Blick von ihm gewandt hatte und fortwährend seine Hand in der ihrigen hielt, mit der sie nun, ihren Worten selbst nachkommend, den Kragen in die Höhe klappte.

»Du wirst mich noch ganz und gar zu einem Zärtelfritzen machen!« sagte er. »Wozu denn das nun wieder?«

»Ja, heute beim Essen hast du so oft gehustet; du wirst dich erkältet haben.«

»Ach, weißt du, woher das kam? Nein, es ist doch zu köstlich! – Also heute Mittag, Richard, brachte meine kleine Hausfrau eine Schüssel auf, den Tisch, die eine Portion Reissuppe für zwei Personen enthielt. Diese hatte sie aber, aus Liebe zu mir, so stark gesalzen, daß ich darob husten mußte. Und das gebraucht nun diese kleine hinterlistige Person als Vorwand, mich zu verwöhnen. Es ist doch zu köstlich! ha, – ha, – ha!« Er lachte laut, aber sie sah wieder verschämt abseits.

»Na, nichts für ungut, süßes Weibchen!« sagte er. – »Komm gieb mir ein Küßchen! – Du bist doch ein kleines, kluges, falsches Geschöpfchen, wie alle Frauen!«

Ich war hier das fünfte Rad am Wagen.

Diese beiden Leutchen befanden sich in ihren Flitterwochen, und da ist bekanntlich die Gegenwart einer dritten Person der größte Ueberfluß. Doch da wurde meine Aufmerksamkeit auch schon auf etwas anderes gelenkt; denn vor uns kam, aus dem Dunkel der Nacht von Tannstädt her, eine, mit bunten Papierlaternen umhängte, große Gondel auf dem Flusse dahergezogen.

Wie eine schöne, stille Märchengestalt bewegte sie sich langsam uns entgegen, und ihr farbiger Wiederschein spiegelte sich weit in der Fluth.

»Aha!« sagte Fritz, da kommen die Alten und die Küchlein, die die ungezogenen Jünglinge niemals zum Tanze holen! Na Richard, da hast du nun die Auswahl; es sind nur noch die schönsten Mädels draußen, du kannst das Tanzbein munter schwingen.«

»Wahrscheinlich werde ich gar nicht tanzen, da mich die Eisenbahn den ganzen Tag lang gerüttelt und geschüttelt hat.«

»Und da liegst du nicht schon längst im Neste und dehnst deine müden Glieder? Mensch, willst du dich zu Grunde richten? Bestätigst du nicht wieder einmal augenscheinlich das Sprichwort, daß Jugend keine Tugend hat? Da sind wir denn doch bessre Menschen, nicht wahr, liebe Alte?« frug er Franziska und fuhr dann, ohne ihre Antwort abzuwarten, fort:

»Weißt du was? – Wir steigen mit in die Gondel und lassen Richard allein weiterfahren; denn dieser Schwärmer hat jedenfalls ein recht interessantes Liebes-Abenteuer vor, und dabei brauchen wir nicht zu assistiren. Wir sind auch längst über dieses Kapitel hinaus. Ist es nicht so, mein Herz?«

»Ach Fritz,« erwiderte sie, »du schwätzt heute Abend gar so viel! Ja, wir wollen gleich hier umsteigen.«

Die Gondel hatte sich so weit genähert, daß wir die Personen darin erkennen konnten. Unter den Zunächstsitzenden befanden sich meine Eltern, die ich nun begrüßte. Sie waren natürlich sehr erstaunt und erfreut, mich hier so unvermuthet zu treffen, und wollten mich sogleich mit nach Hause nehmen; doch da ich Margareth und Angelica nebst ihrem Manne nicht erblickte, so bat ich meine Eltern, die Schwester in Tannstädt begrüßen zu dürfen; ich würde dann mit derselben nachkommen.

So fuhr ich denn, als das junge Ehepaar hinüber gestiegen war, allein weiter in die schweigsame Nacht. Bald bog ich in einen schmalen, sich rechts abzweigenden Arm des Flusses ein, über den die breiten Aeste der Bäume von beiden Ufern ein Laubdach bildeten. Drüben rauschten die Wasser weithin vernehmbar über ein Wehr und zogen dann in die Welt hinaus. Ich aber kettete nun meinen Kahn an einen Lindenbaum an, zwischen einigen Gondeln, die noch auf ihre Insassen warteten.

Das Gebüsch eines großen Gartens nahm mich auf. Jasmin- und Rosendüfte durchwürzten die weiche Luft, und durchs Geäst der Bäume blitzten Lichtstrahlen, und Musikaccorde ertönten in schwungvoller Tanzweise.

Dann kam ich auf einen Platz, den Bäume mit gewaltigen Wipfeln umstanden. An der einen Seite erhob sich ein großes, altertümliches Haus, in dessen oberem Stockwerk viel Lustigkeit herrschte. Die Fenster waren geöffnet; drinnen war ein Lichtmeer ausgegossen, das weit herausstrahlte und hier das Mondlicht verdrängte. Pauken- und Trompetenklänge wälzten sich wild durcheinander; dazwischen tönte, nur manchmal hörbar und wie klagend, das Waldhorn. Heiß quoll mein Blut zum Herzen. – Eine ganze Weile stand ich und starrte zu den Fenstern empor, an denen Paare vorüber huschten, sich schwingend im hastigen Tanz. Dann stieg ich die breite Treppe zu dem Saale hinauf, öffnete die Thür und trat hinein.

Zunächst blieb ich an der Thürpfoste gelehnt stehen, um mich erst in dem Gewühl, das vor mir wogte, zu orientiren.

Viele Gesichter waren mir wohlbekannt; ich blieb dagegen im Tumult der Festlichkeit gänzlich unbeachtet. Weder Margareth, noch Angelica und Römer sah ich unter den Tanzenden. Schon wollte ich mich anschicken, eine Wanderung durch den Saal zu unternehmen, um sie so aufzufinden, als plötzlich die Musik verstummte und sich der Menschenknäuel vor mir auflöste.

Da sah ich denn an einem Tische, mir gerade gegenüber, die Gesuchten sitzen, die sich lebhaft und lachend mit noch einigen anderen Personen unterhielten. Die Schönste, aber auch die Heiterste und am meisten Sprechende mar Frau Angelica Römer.

Hatte die Ehe das Naturell der beiden Schwestern vertauscht? war Franziska die Stille, Sanfte geworden, während diese deren Lebhaftigkeit erhalten hatte? Augenscheinlich war ja wohl Angelica recht glücklich? – – Doch, – da traf mich ihr Blick und weilte lange, sinnend auf mir! Erinnerung warf einen Schatten über ihr Antlitz; sie wurde still und ernst. Aber da ich keine Anstalten machte, zu grüßen und mich zu nähern, sondern ihren stillen, ernsten Blick still und ernst erwiederte, so wandte sie sich mit einer Frage an meine, neben ihr sitzende Schwester. Diese hatte mich kaum erblickt, als sie eilig von ihrem Stuhle aufsprang und zu mir kam.

»Mein Gott, du bist's ja, Richard!« rief sie. »Wie kommst du denn aber in aller Welt so spät hierher?«

»Direct aus der Fremde, liebe Margareth,« erwiederte ich und drückte ihr begrüßend die Hand.

»O das ist ja schön! doch warum stehst du jetzt hier wie eine Statue und kommst nicht hin zu unsern Freunden und Verwandten?«

»Ich wollte erst beobachten, liebe Margareth.«

»Nun, so komm aber jetzt!« Wir schritten hinüber.

»Willkommen, mein theurer Freund! Willkommen in der Heimat!« sagte Angelica und reichte mir lächelnd ihre Hand. »Ich wußte ja doch, daß Sie es waren, der dort an der Thür lehnte, fremd und dunkel-trotzig, wie ein Byron'scher Held.«

Ich wollte etwas erwiedern; doch schon wurde ich von allen Seiten umringt und mit tausend Fragen bestürmt: wie es mir ginge, ob es mir am Rhein gefallen hätte, wie ich hierher käme. Ich hatte große Mühe, Allen nur einigermaßen gerecht zu werden, und war froh, als ich endlich zum Sitzen kam und das Butterbrot mit Schinken vertilgen konnte, das die um mein Leibeswohl besorgte Schwester bestellt hatte. Auch setzte die Capelle jetzt wieder zu einem Walzer ein, der die Meisten von uns ab und in den Kreis derer zog, die sich zum Tanzen aufstellten.

So konnten wir mit wenigen Zurückgebliebenen gemüthlich plaudern, und das geschah dann auch.

Angelica behandelte mich mit einer gewissen neckischen Vertraulichkeit. So frug sie mich, ob ich am Rhein ein Schätzchen zurückgelassen hätte, das meiner in Sehnsucht gedächte? Und als ich das verneinte, rieth sie mir, den Umgang mit dem schönen Geschlecht ja nicht zu vernachlässigen, denn ich wüßte doch, was der erfahrene Altmeister Goethe gesagt habe: »Willst Du genau erfahren, was sich ziemt« u. s. w.

Es fiel mir aber auf, daß ihre Stimmung oft umschlug, daß sie kurz nach einer heiteren lächelnden Frage oft sehr ernst wurde und mit leiswehmüthigem Tone Erinnerungen aus unserer Vergangenheit in mir wachrief. Wie sollte ich mir diesen schnellen Wechsel erklären? War sie doch nicht so glücklich, wie es zuerst für mich den Anschein hatte? Ruhte etwas auf dem Grunde ihres Herzens, das sie gern unterdrücken wollte, und das doch immer wieder ernst-mahnend empor stieg? Was war es nur? – – Ich sah zu Römer hinüber und bemerkte eben noch, wie er uns forschend beobachtet hatte. War der Mann eifersüchtig? – Welches dunkle Geschick schwebte über den Häuptern dieser beiden Menschen? – Doch – da kam wieder eine lustige Frage, die meine quälenden Gedanken vertrieb. Ganz einschlafen konnten sie aber doch nicht; und daß Römer wirklich eifersüchtig war, bestätigte mir ein Vorfall, der sich ereignete, als die Gesellschaft aufbrach und lärmend und lachend der voranziehenden Musik zu den Gondeln folgte. Ich wollte nämlich Angelica zuvorkommend meinen Arm reichen, um sie durch den Garten zu geleiten, was sie auch freundlich annehmen wollte, als er, der dabei stand, im kurzen Tone zu mir sagte:

»Bitte, lassen Sie nur! Ich werde meine Frau selbst führen.«

Nun, ich ließ es, aber meine Gedanken verwirrten sich: ich mühte mich, etwas zu ergründen, was doch vielleicht nur ein grundloser Verdacht war.

Die rauschenden Musikaccorde, die fortwährend unsere Fahrt begleiteten; das Feuerwerk, das von einem kleinen nebenher ziehenden Boote in die Nacht gesandt wurde und über unsern Köpfen verknatterte und verzischte; das Lachen und Lärmen und Singen der Gesellschaft konnte meine trüben Träume nicht verbauen. Ich dachte daran, daß sie mich als einen Byron'schen Helden begrüßt hatte. Hatte sie vielleicht selbst ein Tröpflein Byron'sches Blut in sich aufgenommen? Mir fiel eine Stelle aus einem Gedichte des Briten ein, die ich, während wir der Stadt zuschaukelten, fortwährend in Gedanken trug:

»Vermählt war die geliebte Maid mit Einem,
Der sie nicht heißer liebte: – fern von ihm
Wohl tausend Meilen weit, im eignen Hause,
In ihrer Heimat weilte sie, umblüht
Von ihrer jungen Kinder Flor; – doch siehe!
Auf ihrem Antlitz lag des Grames Wolke,
Der Schatten innren Kampfes, der nie wich;

Oft schloß ihr Auge zuckend sich, als wären
Die Wimpern schwer von unvergoßnen Thränen.
Was war ihr Gram? – sie hatte, was sie liebte,
Und Er, der so sie liebte, war nicht da,
Um ihrer Seele Reinheit ihr zu trüben
Mit sünd'gem Wunsch und schlecht verhehlter Trauer.
Was war ihr Gram? – sie liebte ihn ja nicht,
Gab niemals Grund ihm, sich geliebt zu glauben.
Er konnte keinen Theil an ihrem Kummer
Mehr haben – ein Gespenst vergangner Zeit.«

VI.

Since doubting things go ill often hurts more
Than to be sure they do.

Shakespeare,Cymbeline. Act I. Scene VI. (7.)

 

Blaß und auf immer stumm, auf immer! liegst du
Hingestreckt, o Geliebte, auf der Bahre!
Deine Reize lockten den Tod, er kam, er
Hält dich umarmet!

Meine gebrochene Stimme ruft dir bange
Nach: »Ich liebe dich ewig!« O wie selig
Wär' ich nun, anwortete meinem Schmerz dein
Leisestes Nicken!

Nicolaus Lenau.

 

Es giebt Gedanken, die nicht auszusprechen sind, Gefühle, von deren Entstehung man sich keine Rechenschaft geben kann. Ein Musikaccord, ein schönes Gemälde, ein Vers, eine wehmüthige Erinnerung haben sie plötzlich in uns hervorgerufen. Nun wogen sie durch unsere Seele, unerklärlich, doch unser ganzes Wesen ergreifend, uns hin und her schleudernd in einem Strudel von Vermuthungen, Schmerzen, bangen Befürchtungen und traurigen Empfindungen, von allen denen wir nicht sagen können, woher sie kommen und wohin sie gehen. Kurz, sie sind da; sie haben uns erfaßt mit ganzer, beängstigender Gegenwart.

Wie die Blasen, die aus den Tiefen des Flusses aufsteigen, uns kund thun, daß hier ein Gegenstand versunken sei, den uns aber die grüne, wogende Fluth nicht erkennen läßt, so steigt manchmal aus unbewußter Tiefe der Brust eine dunkle, quälende Ahnung auf, von der wir wohl wissen, daß sie sich erfüllen wird, erfüllen muß; denn sie ist der Schatten, den das Zukünftige vor sich her wirft. Wir stehen unter dem Banne des Uebersinnlichen; wir sind in einem Augenblick den höheren Mächten näher gerückt, die unser Loos bestimmen, denn wir haben einen blitzschnellen Blick in den dunkeln Schlund der Zukunft gethan. – Taumelnd sind wir zurückgefahren und möchten auslöschen in unserer Seele, was sie gesehen. Aber wir können es nicht; wir sehen es wieder und deutlicher und deutlicher. Es bedrückt, es quält, es ängstigt uns; wir sehen es näher und näher kommen. – Dann schließen wir die Augen und drücken das Gesicht in beide Hände.


Abermals waren einige Jahre verflossen; ich bekleidete in Leipzig ein Schulamt und hatte die Vaterstadt lange nicht wiedergesehen.

Da, an einem Frühlingstage, stiegen die längst begrabenen Gefühle und Gedanken plötzlich aus ihrer dunkeln Gruft empor und umschwebten und berückten mich wie ein Gespensterreigen.

Es war ein schöner, etwas schwüler Mai-Sonnabend in den letzten Wochen der Ostermesse, – ich weiß es noch wie heute. – In heiterer Gesellschaft hatte ich den Nachmittag auf etwas burschikose Weise verlebt, wozu die Ostermesse selbst und die durch den Brand des Schulgebäudes veranlaßte Ferienzeit Gelegenheit bot. Der Abend führte uns dann in einen Weinkeller am Markt; und hier, in einem heimlichen Winkel, der nur wenig von dem Schein des strahlenden Lichtes erreicht wurde, setzten wir unter dem Einfluße der Blumendüfte, die unsern Gläsern entstiegen, den Scherz des Tages fort.

Seitwärts von uns saßen drei böhmische Harfenistinnen, die von Zeit zu Zeit ihre klangreichen Stimmen in Gemeinschaft und auch einzeln ertönen ließen. Ihre hübschen, anmuthigen Gesichter, ihre klaren, dunkeln Augen, und die Jungfräulichkeit ihrer Erscheinung unterstützten ihren von Harfen und Violine begleiteten Gesang sehr erfolgreich.

Anfangs achtete ich nur wenig darauf, denn die lustigen Reden eines Genossen hielten uns alle gefangen. Als aber das eine der Mädchen nach einem kurzen Präludium ein mir wohlbekanntes, lange nicht gehörtes Lied anstimmte, wurde ich aufmerksam. Doch der Klang ihrer wohlgeschulten Stimme berührte mich nicht sympathisch; er hatte etwas Gemüthloses und fast Herausforderndes. Dabei irrten ihre Blicke zwangslos über die Gäste hin, und ihre Züge nahmen einen sinnlich kecken Ausdruck an.

Aber ein paar ermunternde Bravo's belohnten ihre Leistung, und das mochte sie bestimmen, ihre Nachbarin zu einer ähnlichen zu veranlassen, denn sie sprach lange und lebhaft auf sie ein. Diese schüttelte den Kopf. Als ihre Genossin aber eine spöttische Miene machte, sah sie eine Weile nachsinnend vor sich hin, strich sich dann mit der Hand die dunkeln, von einer blitzenden Goldspange zusammen gehaltenen Haare zurück, griff einen wirkungsvollen Accord und sang mit schöner, tiefbewegter Mittelstimme das Barthel'sche Lied:

Wo heimlich der ruhelose,
Der junge Priester steht,
Da ruht eine Mädchenrose
Todt unterm Rosenbeet.

Daß sich ihre Seelen fanden
In namenloser Lust,
Sie haben sich 's niemals gestanden.
Und niemand hat es gewußt! –

Das Gesicht des Mädchens hatte, während sie sang, einen ernsten, fast traurigen Ausdruck, und ihre Augen schauten müde, todesverlangend drein. Aber da – was war das? als sie die Stelle sang:

Todt unterm Rosenbeet –,

da richtete sich ihr träumerisches Singe ausschließlich, so schien es mir, aus mich.

Es war ein langer, tief eindringender Blick, der auf den Saiten meiner Seele eine unbeschreibliche Melodie zu spielen begann, die mit magischer Kraft die Schauer des Todes aus mir herauf beschwor. Ich dachte an meine Mutter, – und dann nacheinander an all' die Lieben daheim. Es war mir plötzlich, bei einem unendlich wehmüthigen Gefühl, als ob einer von ihnen gestorben wäre und ich sähe seinen frischen Grabhügel vor mir.

Die Mädchen musicirten weiter; aber ich vernahm nichts, und der Wein blieb unberührt in dem grünen, bauchigen Glase vor mir stehen. In mich zusammen gesunken, lauschte ich dem Nachhall jenes meteorgleich in meine Seele gefallenen Klanges, bis einer der Bekannten, der mich von der Seite beobachtet haben mochte, an mich herantrat und, seine Hand auf meine Schulte legend, frug:

»Was hat Sie so plötzlich ergriffen?

Ich fuhr empor. »O nichts,« erwiederte ich. »Ich dachte nur nach Haus und dann, – – ich habe auch etwas Kopfweh. Ich muß einmal an die Luft.« Dann stand ich auf, verabschiedete mich und eilte auf die Straße.

Hier suchte ich meinen inneren Aufruhr zu beschwichtigen; doch es gelang mir nur wenig.

Was ist das denn nur? frug ich mich, und ich entsinne mich, daß ich lange an einem Laternenpfahl stehen blieb, in die Flamme hinauf starrte und nachgrübelte: Droht mir ein persönliches Ungemach, oder steht einer meiner Verwandten am Rande eines Unglücks? Mein Vater? – Meine Mutter? – Margareth? – Oder vielleicht Angelica? – Angelica? frug ich nochmals. War mein unerklärliches Gefühl Heimweh, das mich so heiß, so sehnsüchtig beschlich; war es plötzlicher Liebesgram, was in mir aufstieg? Ich wußte es nicht. Ich fühlte immer nur noch den Zauberblick der Sängerin, und ihr wehmüthiges Lied klang fortwährend in mir nach.

Doch da schreckte mich plötzlich ein heftiger Windstoß aus meinen Gedanken. Ein Gewitter schien zu nahen, die Schwüle des Tages zu vertreiben. Sein Vorbote, der Sturm, raste wild durch die Straßen und machte die Scheiben der Laternen erklirren.

Ich eilte in meine Wohnung. Dort ging ich lange unschlüssig auf und ab, während der Mond, mehr aber noch die rasch aufeinander folgenden Blitze das Zimmer erhellten. Draußen rauschte der Regen wild und immer wilder hernieder. Da zündete ich meine Lampe an, setzte mich nieder und schrieb einen Brief nach Hause, in welchem ich bat, man möge mich unverzüglich benachrichtigen, ob dort irgend ein ungewöhnliches Ereigniß eingetreten sei. Mich beängstige die Ahnung einer Gefahr.

Dann, als der Brief fertig vor mir lag, stützte ich meinen Kopf und starrte lange darauf hernieder. Ein tiefes unergründliches Heimweh hatte mich erfaßt. Ich lauschte auf den Regen, dessen Heftigkeit nachgelassen hatte, und der nun wie träumerisch herniederrieselte. Nach einiger Zeit, als ich das Fenster öffnete, hatte er ganz aufgehört, und eine frische, erquickende Luft wehte von der Straße ins Zimmer herein. Ich ergriff meinen Hut, steckte den Brief zu mir und trug ihn selbst zur Post. Dann kehrte ich zurück und legte mich zu Bett.

Aber ich fand keine Ruhe in dieser Nacht. Mich hin- und herwälzend sann und grübelte ich meinem schmerzvollen Gefühle nach. Das Bild der Heimat zeigte sich immer berückender meinem inneren Auge. Es schien mir zu winken, mir sagen zu wollen, daß dort etwas vorgehe, was mit meinen Empfindungen im Zusammenhange stehe. Es bemächtigte sich meiner die größte Sehnsucht. Ich mußte nach Hause, das wußte ich nun. Hier hielt mich ja auch nichts fest. Ich faßte daher einen schnellen Entschluß, und als das Frühroth des neuen Tages heraufleuchtete, fand es mich schon im Coupé des Zuges, welcher mich der fernen Vaterstadt entgegen brachte.

Nach langer Post- und Eisenbahnfahrt und kurzer Uebernachtung im Hôtel erreichte ich sie gegen Abend des zweiten Tages, und meine beflügelten Schritte wandten sich nun dem Elternhause zu.

Da ging ich wieder durch die alten bekannten Straßen, die wie einst an jenem Tage, als ich Angelica zum ersten Male erblickte, voll Maienglanz waren. Wie lebhaft wurde ich daran erinnert! Ja, so golden fluthete damals der Sonnenschein, so sapphirblau war der Himmel, so lau und wonnig säuselte die Luft, und so, in großen Bogen auf- und niederschießend, flogen die Schwalben hindurch. Und ich? – Nun ich war damals ein beseligter, hoffnungsvoller Träumer, den die schöne Mädchengestalt dort hinter dem wohlbekannten Fenster mit ihrem süßen, elegischen Gesicht und den großen brennenden Augen darin plötzlich bezaubert hatte.

Doch heute ging ich mit einem stillen Gruße vorüber und bog bald in eine Nebenstraße ein. Als ich hier schnell an den Häusern entlang schritt, blieb mein Blick zufällig an dem kleinen weißen Schilde einer Hausthür haften, auf dem mit schwarzer Schrift geschrieben stand:

 

Adolf Römer,
Kreisrichter.

 

Also hier wohnte nun Angelica?! Ich trat ein wenig näher, und flüchtig glitt mein Auge hinauf zu jenen Fenstern, hinter deren einem sie vielleicht jetzt saß. Plötzlich mußte ich ganz unvermittelt an vorgestern Abend denken; in meinem Ohre klang es wieder

Todt unterm Rosenbeet –,

und wie von Geisterhänden hingestellt, stand wieder das Bild vor meiner Seele, das mich da berückt hatte. Unter diesem Eindrucke öffnete ich mechanisch die Thür und trat in's Haus. Dann schritt ich ein paar Stufen empor, und unter meinem Fuße hallten die Fließen der stillen Hausflur wieder.

Als ich jetzt aufathmend vor einer weißen Thür stillstand, fragte ich mich, was ich eigentlich hier wolle. Was wollte ich hier in dieser Familie? Was wollte ich bei Frau Angelica Römer? Sie sitzt vielleicht da drinnen: eine gute verständige Hausfrau, und strickt Strümpfe für ihre Kinder, und ihr eifersüchtiger Gatte sitzt dabei, damit ja kein unberufener Eindringling – – – Unwillkürlich neigte ich mein Ohr, denn es klang irgend ein Ton von innen heraus. Es war, wie ich nun vernahm, der Pendelschlag einer Uhr. Langsam und mahnend ging es immer: Tick – tack, tick – tack. Und wieder, als ob die Blutstropfen, die mein Herz durchwallten, einzeln abgezählt würden wie die Kügelchen an einem Rosenkranze: Tick – tack, tick – tack. Dazwischen klang verworrenes Geräusch von draußen her; – dann wieder nur vernehmbar das laute: Tick – tack.

Da klopfte ich an die Thür, aber es blieb alles still. Ich legte die Hand auf die blitzende Messingklinke, sie gab nach, die Thür ging auf, und ich trat in das Gemach. Es war niemand darin, und auch von weither nichts vernehmbar. Nur die große Uhr, die an einer der Wände hing, ließ fortwährend ihr einförmiges Tick – tack vernehmen.

Das Zimmer war groß, saalartig; und außer der Uhr, einem schönen alterthümlichen Nußbaumschrank, einigen großen Kupferstichen in breiten, schwarzen Rahmen und langen Reihen von hochlehnigen Stühlen war nichts an den Wänden.

Wie ich so dastand und mich unschlüssig wandte, spürte ich plötzlich einen feinen, scharfen Firniß-Duft, der aus der Spalte der angelehnten Doppelthür, die ins Nebenzimmer führte, dringen mußte; denn als ich darauf zuschritt, wurde er intensiver. Entschloßen schlug ich den angelehnten Thürflügel zurück und schritt hinein.

Ich stand in einem Todten-Gemach. – In der Mitte war ein Sarg auf je zwei, zu Füßen und Häupten stehenden Stühlen niedergesetzt; und auf diesem einfachen Katafalk ruhte eine schöne todte Frau.

Es war Angelica. – Kränze und Blumen lagen über der schlanken Gestalt, die von einem weißen Gewände umhüllt war und auf weißem Linnen ruhte. – Röthliche Sonnenstrahlen, die sich durch die geschlossenen Gardinen hereindrängten, warfen einen überirdischen Schein auf das blasse, ruhig-ernste Antlitz, dem sein holdseliger Liebreiz noch im Tode bewahrt blieb. – Ich trat näher.

»O Angelica, du süße Geliebte meiner Jugend, todt! todt!« flüsterten leise meine Lippen. Mir war auf einmal so ruhig, so still zu Muthe geworden. – Lange sah ich in die holden Züge, die nicht mehr der Glanz der schönen Augen überstrahlte, weil die Lider geschlossen waren. Die Locken aber waren entfesselt und umgaben das bleiche Gebild harmonisch wie ein dunkler Rahmen. Sie war so viel still-schöner als damals, wo ich sie aus dem Fluße gezogen; wo sich ihre wieder auflebende Natur, ängstlich aus den Schatten des Todes in das Licht des Lebens emporrang. Hier war alles vorbei! – Es war, als wüßte sie das, und ruhig-erhaben lag sie da, umflossen von einen Abglanz der Ewigkeit, der aus dem dunklen Jenseits herüber fluthet auf diese, von Sünde und Tod beherrschte Erde

Mein Blick glitt über ihre Gestalt. Ich mußte mich fragen, warum sie so jung habe sterben müssen, und ob sie wohl glücklich gewesen in ihrem Ehebunde. Es fielen mir jener Abend in Tannstädt mit seinen trüben Befürchtungen und jene Byron'schen Verse wieder ein; und als ich, darüber sinnend, einen Kranz von ihren schönen, schmalen Hände empor hob, da war es mir, als ob die Finger zuckten; als wollten sie mir erzählen, daß sie oft in qualvollem Gebete gerungen hätten, um einen tiefen seelischen Schmerz abzuwenden.


Leise knarrte eine Thür, die nach einem anderen Gemache führte. Ich wandte mich. Eine große, gebrochene Männergestalt mit einem kleinen Mädchen auf dem Arme trat herein. Es war Römer. Und das Kind – wie sah es seiner Mutter ähnlich mit dem feinem Gesichtchen und den dunkeln Sammetaugen, die erstaunt und schüchtern auf mir weilten! Auch Römer schaute mich verwundert mit seinem kummervollen Gesichte an; doch er erkannte mich sogleich, kam auf mich zu und reichte mir stumm, wie im Einverständniß, die Rechte.

»Ich weiß, Sie haben sie auch geliebt,« sagte er »Nicht wahr, sie ist schön? – O, so schön und gut giebt es kein anderes Weib auf dieser Welt! – Was soll nun werden? – Ja, was soll nun werden?« frug er nochmals tonlos.

»Woran starb sie?« frug ich leise.

»Sie hatte eine heftige Gemüths-Bewegung; dann fühlte sie, ohne gerade krank zu sein, eine große körperliche Schwäche und geistige Abspannung; aber schon nach einigen Tagen endete sie an einem Herzschlage.« – »Ach!« fuhr er fort, »was hat sie aus mir gemacht, aus mir, dem kalten, eingebildeten Egoisten! Ach! wo soll ich ihren liebevollen Umgang, ihr warmes Herz, ihr zartes Gemüth wiederfinden? Wie soll ich leben ohne sie? – Ohne sie?« Der starke Mann schlug sich von Schmerz überwältigt an den Kopf und weinte bitterlich. Dann drückte er sein Kind fest an sich:

»O, du theuerstes Kleinod, das sie mir gelassen!« rief er. Da fing das Kind laut zu weinen an und schlang seine Arme um den Hals des Vaters.

»Da liegt deine Mutter!« rief er. »O mein Weib, mein süßes, liebes Weib! Warum hast du mir das gethan? – Angelica, warum starbst du uns?«


Wie ich hinausgekommen bin, weiß ich nicht mehr. Als ich aber im Freien stand und mein bekümmertes Herz tief aufathmete, sprachen leise meine Lippen die Worte des Dichters:

»Dich liebt ich immer, dich lieb' ich noch heut',
Und werde dich lieben in Ewigkeit.«

– – – In Ewigkeit!


Druck von G Hunckel.

 

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