Von der Zarin nahm der Zar
Abschied; lang die Reise war.
Und die Zarin klagte sehr,
harrt des Zaren Wiederkehr,
sitzt am Fenster früh und spät
und hinaus ins Weite späht;
schmerzt vom Sehn ihr das Gesicht,
und der Zar kommt immer nicht!
Bricht der Winter schon herein,
Schnee hüllt Wald und Felder ein.
Schon neun Monde sind dahin,
und in wehmutvollem Sinn
sitzt die Zarin, früh und spät
nach des Gatten Heimkehr späht.
Weihnachtsabend bricht herein,
schenkt ihr Gott ein Töchterlein.
Kaum ward ihr dies Glück beschert,
als ihr Gatte wiederkehrt;
früh am Morgen war er da –
und als ihn die Zarin sah,
außer sich ganz vor Entzücken,
wollte sie ans Herz ihn drücken;
doch zu stark war die Erregung,
ihre freudige Bewegung
schuf der Kranken Weh und Not,
und am Mittag war sie tot.
War der Zar voll Gram und Pein,
und wie könnt es anders sein?
Wie ein Traum entschwand ein Jahr,
da aufs neue freit der Zar.
Und die Frau, die er erkoren,
war zur Zarin wie geboren,
weiß, von stolzem Gliederbau,
eine schöne, kluge Frau;
doch voll Hochmut nebenbei,
auch von Eifersucht nicht frei,
eigenwillig, eigensinnig,
aber wirklich schön und minnig.
Nichts war ihr ins Eheleben
als ein Spiegel mitgegeben,
klein, doch eine seltne Habe,
denn ihm wurde Redegabe.
Sah sie nach dem Spiegel hin,
war die Zarin froh im Sinn,
er war ihr zum Trost und Spiel,
nichts war sonst, was ihr gefiel.
Rief sie: »Lieber Spiegel, sage
treu mir Antwort auf die Frage:
Ziemt mir nicht der Schönheit Preis?
Bin ich nicht so frisch und weiß,
hold und lieblich von Gebärden,
daß kein Weib mir gleicht auf Erden?«,
gab der Spiegel Antwort gleich:
»Ja, du bist so anmutreich,
hold und lieblich von Gebärden,
daß kein Weib dir gleicht auf Erden!«
Und mit strahlendem Gesicht
hört sie, was der Spiegel spricht,
läßt der Freude freien Lauf,
zieht die weißen Schultern auf,
hat bald hier, bald da zu lüften,
stemmt die Arme in die Hüften,
dreht und biegt sich, blinzt und nickt,
stolzen Auges um sich blickt.
Doch das Töchterlein des Zaren
wurde größer mit den Jahren,
wuchs zu wunderbarer Blüte;
sanft von Herzen und Gemüte
war sie, blendend von Gesicht,
schönre Jungfrau sah man nicht.
Wie Prinz Jelissej sie schaut,
hält er um sie an als Braut.
Willigt gern der Vater ein,
kommt der Prinz, um sie zu frein.
Man beschenkte sie aufs beste:
Hundertvierzig Prunkpaläste,
sieben Städte, groß und reich,
gab der Zar als Mitgift gleich.
Schon versammeln sich die Gäste
im Palast zum Hochzeitsfeste.
Doch die schöne Zarin kleidet
sich noch an, im Spiegel weidet
sie das stolze Angesicht,
und aufs neu die Zarin spricht:
»Spiegel, lieber Spiegel, sage
treu mir Antwort auf die Frage:
Ziemt mir nicht der Schönheit Preis?
Bin ich nicht so frisch und weiß,
hold und lieblich von Gebärden,
daß kein Weib mir gleicht auf Erden?«
Und was sagt der Spiegel wieder?
»Schön geformt sind deine Glieder,
frisch und weiß ist dein Gesicht,
doch die Schönste bist du nicht,
denn das schöne Zarenkind,
das der Prinz als Gattin nimmt,
ist so lieblich von Gebärden,
daß kein Weib ihr gleicht auf Erden.«
Wie die Zarin da erbittert
aufspringt und voll Ingrimm zittert!
Tobend ihren Arm bewegt,
zornig nach dem Spiegel schlägt:
Mit den Füßchen auf die Erde
stampft sie, ruft in Zorngebärde:
»Oh, du schlechtes Spiegelglas!
Mir zum Hohne sagst du das;
ich soll ihrer Schönheit weichen?
Wie kann sie sich mir vergleichen!
Warte nur, ich will sie lehren,
sich so stolz herauszukehren!
Zu verwundern ist es nicht,
daß so schneeweiß ihr Gesicht,
sah die Mutter immer nur
aus auf die verschneite Flur;
doch soll darum gleich ihr Kind
schöner sein als ich? Oh, blind
mußt du sein, mir das zu sagen!
Brauchst den Blick nur aufzuschlagen:
Wer, in meines Zaren Reichen,
mag sich mir an Schönheit gleichen?«
Gab der Spiegel Antwort gleich:
»Schön bist du und anmutreich,
doch die Zarentochter ist
schöner, als du selber bist!«
Nie ward ihr so großes Leid.
Voll von Eifersucht und Neid,
warf sie, grimmig von Gebärde,
ihren Spiegel auf die Erde,
rief Tschernawka, ihre Zofe,
durch das Fenster her vom Hofe,
gab Befehl, das Zarenkind
in den tiefsten Wald geschwind
fortzuführen und zu binden,
möge sie den Tod dort finden.
Hätte selbst der Teufel Mut,
einem Weib in ihrer Wut
von Vernunft zu reden? Bald
kam Tschernawka in den Wald
mit dem schönen Zarenkinde,
schickt sich an, daß sie es binde.
Und das Zarenkind erschrickt,
jammernd auf zur Zofe blickt,
fleht mit ausgestreckten Armen
sie um Mitleid und Erbarmen:
»Gott, was ist denn mein Verschulden,
daß ich solches soll erdulden?
Rette mich, laß mich am Leben,
reichen Lohn will ich dir geben
künftig, wenn ich Zarin werde!«
ruft sie flehender Gebärde.
Und die Zofe hört ihr Flehen,
kann, gerührt, nicht widerstehen,
denn sie liebt die schöne Maid,
spricht: »Ich tue dir kein Leid,
mög der Himmel mit dir sein!«
Ließ sie, kam nach Haus allein.
Und die Zarin fragt geschwind:
»Nun, wo ist das schöne Kind?«
Spricht die Zofe: »Dort im Wald
steht sie festgebunden, bald
wird sie dort ihr Leid vergessen,
werden sie die Wölfe fressen.«
Kam die Mär zu aller Ohren,
daß das Zarenkind verloren!
Schmerzgebeugt ob solcher Kunde
ward der Zar. Zur selben Stunde
Jelissej bereitet sich,
betet erst inbrünstiglich,
eilt, von Sehnsucht fortgetrieben,
auszuspähn nach seiner Lieben.
Die Prinzessin kummerschwer
irrt im Walde hin und her;
schon der Tag im Osten graute,
plötzlich sieht sie eine Baute
hochgezäunt. Es kommt ein Hund
auf sie zu, umkriecht sie rund,
schnüffelt, wedelt, bellt und springt;
und die Zarentochter dringt
in den Hofraum mit dem Hunde –
tiefes Schweigen in der Runde.
Und sie faßt sich Mut und leicht
auf die breite Treppe steigt,
macht die Tür auf, und im Schimmer
mustert sie ein großes Zimmer,
rings von Bänken eingehegt
und mit Teppichen belegt.
Heil'genbilder an der Wand,
und ein eichner Tisch befand
sich darunter; um den tiefen
Ofen bunte Fliesen liefen.
Alles zeigte deutlich ihr:
Gute Menschen wohnen hier,
und man wird sie gut empfangen.
Doch, so weit sie auch gegangen
ringsum, niemand ist zu sehn!
Müde von dem vielen Gehn,
zündet sie ein Wachslicht an.
Heizt den großen Ofen dann,
macht im Hause alles rein,
legt sich hin und schlummert ein.
Mittag naht. Vom Hof herauf
schallt ein Lärm; sie wachte auf.
Sieben Recken auf einmal,
stolz, mit Schnurrbart und in Stahl,
treten ein. Der Älteste spricht:
»Seht nur! Täuscht mich mein Gesicht?
Alles glänzt so schmuck und rein,
jemand muß im Hause sein,
der uns alles schön bereitet!«
Und der Recke spähend schreitet
durch das Zimmer: »Tritt hervor!
Schallt mein Rufen an dein Ohr,
wisse, es ist gut gemeint,
tritt hervor, sei unser Freund!
Bist du alt schon von Gebärden,
sollst du unser Oheim werden.
Bist du jung noch auf den Füßen,
laß als Bruder dich begrüßen,
bist du eine alte Frau,
ist dein Haar in Ehren grau,
wollen wir dich Mutter heißen,
dich zu ehren uns befleißen.
Doch bist du ein Jungfräulein,
sollst du unsre Schwester sein!«
Und das Zarenkind in Zittern
naht, verbeugt sich vor den Rittern
und, schamrot von Angesicht,
manches zur Entschuld'gung spricht,
daß am Abend ungebeten
sie zum Hause eingetreten.
Und die Recken allsofort
merkten an der Jungfrau Wort,
daß sie Zarentochter sei,
holten Kuchen, Wein herbei,
luden sie zum Essen ein –
doch sie dankte für den Wein,
und vom Kuchen, den es gab,
brach sie nur ein Stückchen ab.
Gar zu müde war sie, hätte
gern ein Stübchen und ein Bette.
Noch beim hellen Tagesschimmer
führte man sie in ein Zimmer
oben, ließ sie dort allein,
und bald schlummerte sie ein.
Tag auf Tag also entschwand,
und das Zarenkind befand
sich noch immer wohlgemut
in der sieben Recken Hut.
In der Frühe stets von Haus
ziehn die sieben Brüder aus,
streifen auf verschiednen Wegen,
wilde Enten zu erlegen,
Sarazenen aufzujagen
oder Köpfe abzuschlagen
von Tataren und Tscherkessen.
Und das Zarenkind indessen
weilt im Waldeshaus allein,
läßt sich's angelegen sein,
einer Hausfrau gleich zu schalten,
alles ordnend zu erhalten.
Tag auf Tag also vergeht,
froh in Eintracht alles steht.
Doch die Brüder, alle sieben,
sich ins Zarenkind verlieben.
Einstmals, schon beim Frührotschimmer,
treten alle in ihr Zimmer.
Hebt der Ältste an zu reden:
»Holde Maid, du kennst nun jeden
von uns, weißt, daß alle sieben
dich wie eine Schwester lieben;
jeder würde glücklich sein,
dich als Ehgemahl zu frein.
Doch das geht nicht, drum gestehe:
Welchen wünschest du zur Ehe
von uns sieben? Einen wähle,
und auf alle ändern zähle
wie auf Brüder. Ach! Du schweigst,
still das Köpfchen du nur neigst.
Ist dir keiner zu Gefallen,
liebst nicht einen von uns allen?«
»Ach, ihr Brüder, meine Lieben,
schwesterlich euch alle sieben
lieb ich« – so die Jungfrau spricht.
»Doch euch freien kann ich nicht.
Strafe Gott mich, wenn ich lüge,
euch durch falsches Wort betrüge:
Meinem Herzen wert und traut
seid ihr – doch ich bin schon Braut!
Alle seid ihr hochgemut,
weise, edel, stolz und gut.
Alle seid ihr gleich vernünftig,
aber ich gehöre künftig
einem andern. Lieb ich schon
Jelissej, den Königssohn.«
Standen alle Brüder stumm,
kratzten sich am Ohr herum.
»Fragen ist nicht sünd'gen«, spricht
drauf der Ältste, »zürne nicht,
gut gemeint war unser Wort,
schweigen wir davon hinfort!«
Sprach die Jungfrau: »Liebe Herrn,
euch zu zürnen sei mir fern!
Laßt auch mich Verzeihung hoffen,
daß ich meine Minne offen
euch bekannt...« Und alle sieben
Brüder grüßten sie und blieben
freundlich, wie sie immer waren,
mit dem holden Kind des Zaren.
Doch die Zarin hat indessen
nicht das Zarenkind vergessen.
Jeder Tag in ihrem Innern
weckt ein neidisches Erinnern.
Lange Zeit in ihrem Haß
geht sie nicht zum Spiegelglas.
Doch sie kann nicht widerstehen
auf die Dauer, muß es sehen,
macht ein freundliches Gesicht,
spiegelt sich im Glas und spricht:
»Gruß dir, lieber Spiegel! Sage
treu mir Antwort auf die Frage:
Ziemt mir nicht der Schönheit Preis?
Bin ich nicht so frisch und weiß,
hold und lieblich von Gebärden,
daß kein Weib mir gleicht auf Erden?«
Gab der Spiegel Antwort gleich:
»Schön bist du und anmutreich,
doch wo sich ein Haus erhebt
tief im Eichenwalde, lebt
ohne Ruhm zu dieser Frist
eine, die noch schöner ist;
schönre Jungfrau sah man nie!
Sieben Recken hüten sie!«
Stürzt die Zarin zornesvoll
auf Tschernawka, ruft in Groll:
»Wie hast du mit falschem Sinn
mich betrogen! Und worin!«
Und Tschernawka, voller Schrecken,
eilt, ihr alles zu entdecken.
Drauf die grimme Zarin droht
ihr mit martervollem Tod,
tötet sie nicht selbst geschwind
das verhaßte Zarenkind.
Eines Tags das Zarenkind
sitzt am Fenster spät und spinnt,
dreht das Spinnrad schnurrend, harrt
ihrer Brüder Gegenwart.
Plötzlich bellt's im Hofe laut,
springt sie auf und späht und schaut:
Eine arme Frau treibt dort
mit dem Stock den Hofhund fort.
Ruft das Zarenkind ihr zu:
»Warte nur, gleich schaff ich Ruh,
werde selbst den Hund verjagen,
Speise dir hinuntertragen!«
Und die Alte spricht zu ihr:
»Schöne Jungfrau, Dank sei dir!
Sieh, wie das verwünschte Tier
wütig bellt und schnappt nach mir,
hat mich blutig schon gebissen,
hätte mich beinah zerrissen!«
Und das schöne Zarenkind
eilt mit Brot hinab geschwind,
es der armen Frau zu bringen;
doch der Hund hebt an zu springen,
wie sie nie gesehn – ein Bellen,
Heulen, daß die Ohren gellen,
sucht gewaltsam von der Alten
seine Herrin fernzuhalten –
Kaum naht sich die Alte ihr,
stürzt, gleichwie ein wildes Tier,
auf sie los der Hund in Wut.
Hat gewiß schlecht ausgeruht!
»Fang!« Die Jungfrau wirft das Brot,
und die Alte fängt's mit Not:
»Segne Gott dich für die Gabe,
nimm zum Dank, was ich hier habe!«
Sprach's, und einen Apfel zog
sie hervor, der Apfel flog...
Sucht der Hund ihn zu erwischen,
springt empor und heult dazwischen,
doch das Zarenkind gewandt
fängt den Apfel mit der Hand.
Wie er frisch und mürbe war,
glänzend wie von Golde gar!
Nochmals dankend, rief die Alte:
»Daß der Himmel dich erhalte,
wie du bist, so schön und rein!
Iß den Apfel, denke mein ...«
Also sprach sie, mit der Hand
winkt' sie grüßend und verschwand ...
Und hinauf die Treppenstufen
eilt die Jungfrau. Ungerufen
folgt der Hund ihr, springt und bellt
nach dem Apfel, den sie hält,
kann den Apfel nicht erreichen;
sieht der Hund mit schmerzenreichen
Blicken ihr ins Angesicht,
und sein flehend Auge spricht –
denn der Zunge fehlt das Wort:
Laß den Apfel, wirf ihn fort!
»Nun, was hast du?« fragt sie, schmeichelnd
ihn mit zarten Händen streichelnd.
»Komm, mein Hündchen, lege dich,
ruh dich aus und pflege dich!«
Eilt die Jungfrau in ihr Zimmer,
schließt die Türe leis, wie immer,
setzt ans Fenster sich und harrt
ihrer Brüder Gegenwart.
Doch vom Apfel in der Hand
wird kein Auge abgewandt:
Wie er saftig, rosig, mürbe,
schade, wenn der so verdürbe!
Schmeckt er gut? Sie riecht daran,
führt ihn an die Lippen dann,
beißt ein Stückchen ab und schluckt.
Plötzlich wirr ihr Auge zuckt,
fiebernd zittern alle Glieder,
ihre Arme sinken nieder;
des Bewußtseins ganz beraubt,
stürzt sie hin und lehnt ihr Haupt
an die Bank, die an der Wand
unter Heil'genbildern stand ...
Bald darauf aus blut'gem Strauß
kehrt die Brüderschaft nach Haus.
Bellend kommt auf ihren Wegen
ihnen schon der Hund entgegen;
unter kläglichem Gewimmer
führt er sie hinauf ins Zimmer.
In des Hundes Wimmern, Keuchen
sehen sie ein schlechtes Zeichen –
treten ein und staunend sehen,
was hier Gräßliches geschehen.
Und der Hund laut bellend springt
auf die Frucht, die er verschlingt,
und sich winselnd streckt; es trifft
tötend selber ihn das Gift.
Doch die Brüder, alle sieben,
tiefgebeugten Hauptes blieben
trauernd bei der Schwester stehn.
Schön im Tod noch anzusehn
war sie. Nach inbrünst'gern Beten
leis die Brüder zu ihr treten,
legen ihr ein Grabkleid an,
wollen sie begraben dann,
doch beschließen anders wieder –
denn so frisch sind ihre Glieder
anzusehn und ihre Wangen,
als ob Schlummer sie umfangen.
Und drei Tage so verstrichen,
doch sie war und blieb verblichen.
Nach der Totenfeier barg
man den Leib in einem Sarg
von Kristall. Um Mitternacht
ward die Leiche fortgebracht
ins Gebirg. Die sieben Ritter
zogen um den Sarg ein Gitter,
drin sechs runde Säulen standen:
Fest an diese Säulen banden
sie den Sarg mit Eisenketten,
als ob sie gefürchtet hätten,
daß man sie noch rauben könnte,
ihr die letzte Ruh nicht gönnte.
Eh sie von der Leiche schieden,
sprach der Allste: »Ruh in Frieden!
Schnell, als Opfer böser Leute,
wurdest du des Todes Beute.
Lebst im Himmel jetzt als Engel
ohne Fehl und ohne Mängel.
Deiner Schönheit feine Blüten
suchten wir für den zu hüten,
den du liebend selbst erkoren,
doch er blieb für dich verloren –
keinem hast du dich im Leben,
nur dem Grab ganz hingegeben.«
An dem Tag der Zarin war es,
als ob etwas Wunderbares
vorgefallen; heimlich geht sie
hin zum Spiegel, fragend steht sie:
»Spiegel, lieber Spiegel, sage
treu mir Antwort auf die Frage:
Ziemt mir nicht der Schönheit Preis?
Bin ich nicht so frisch und weiß,
hold und lieblich von Gebärden,
daß kein Weib mir gleicht auf Erden?«
Gab der Spiegel Antwort gleich:
»Ja, du bist so anmutreich,
schön und lieblich von Gebärden,
daß kein Weib dir gleicht auf Erden!«
Jelissej in seinem Schmerz
sucht indessen allerwärts
seine Braut, doch ach, vergebens,
denn kein Ende seines Strebens
zeigt sich ihm. Auf seine Fragen
kann ihm niemand Antwort sagen.
Löst sein Schmerz sich auf in Tränen,
und gar viele Menschen wähnen
ihn in Wahnsinn: Wenn er spricht,
lacht ihm einer ins Gesicht,
zeigt den Rücken ihm der andre.
Ob er alle Welt durchwandre,
die Verlorne sieht er nicht!
Endlich auf zum Sonnenlicht
hat er seinen Blick erhoben,
spricht: »Du schöne Sonne oben,
aller Welt mit warmem Schein
leuchtest du jahraus, jahrein,
auf und ab am Himmel ziehst du,
und auf Erden alles siehst du.
Hör mich, helle Sonne, sage
wahr mir Antwort auf die Frage:
Sahst du nicht, die ich erkoren,
meine Braut, die sich verloren?«
Und die helle Sonne spricht:
»Die Verlorne sah ich nicht;
ob sie lebt und wo sie wohnt,
weiß ich nicht. Vielleicht der Mond
kann, mein Nachbar, Kunde geben,
ob sie wirklich noch am Leben.«
Jelissej in schwerem Gram
harrte, bis der Abend kam,
und kaum war der Mond erschienen,
fragt' er ihn mit bangen Mienen:
»Lieber Mond, aus tiefstem Dunkel
hebt sich strahlend dein Gefunkel,
rund und voll ist dein Gesicht,
silbern deiner Augen Licht;
und im strahlenden Gewimmel
schaun die Sterne rings am Himmel
liebend auf dich hin! O sage
wahr mir Antwort auf die Frage:
Sahst du nicht, die ich erkoren,
meine Braut, die sich verloren?«
Und der Mond zur Antwort spricht:
»Die Verlorne sah ich nicht.
Weißt nicht, ob sie nah, ob ferne,
denn ich hüte nur die Sterne;
und auf Erden viel geschieht,
was mein strahlend Aug nicht sieht!«
Jelissej laut weint und klagt.
Und der Mond aufs neue sagt:
»Warte, weiß vielleicht der Wind
von dem schönen Zarenkind;
tröste dich, auf deine Fragen
wird er gern dir Antwort sagen.«
Jelissej auf seinen Wegen
eilt dem Winde schnell entgegen,
ruft ihm zu: »O mächt'ger Wind,
unsichtbaren Laufs geschwind
wandelst du einher auf Erden!
Wolken treibst du gleichwie Herden
vor dir her; bei deinen Stürmen
muß das blaue Meer sich türmen;
fürchtest rings im Räume keinen,
bist nur dienstbar Gott, dem einen.
Sahst du nicht, o mächt'ger Wind,
in der Welt ein Zarenkind,
das ich mir zur Braut erkoren
und in Trauern dann verloren?«
So der Wind zur Antwort sprach:
»Sieh, dort hinter jenem Bach,
murmelnd geht sein Schlangenlauf,
steigen hohe Berge auf.
In den Bergen gähnt ein Schlund;
auf des Schlundes finsterm Grund,
zwischen Säulen hingestellt,
ein Kristallsarg steht; ihn hält
ringsum eine Eisenkette.
Nirgends nah der wüsten Stätte
wohnt ein Mensch – kein Auge schaut
auf das Grabmal deiner Braut.«
Sprach's der Wind und weiter weht,
Jelissej, laut schluchzend, geht
ins Gebirg zur wüsten Stätte,
um in ihrem Todesbette
noch einmal – zum letzten Male! –
seine Braut zu sehn. Vom Tale
in die Berge kommt er bald.
Gähnt vor ihm ein Felsenspalt,
öffnet ihm den Weg zum Schlunde,
wo auf tiefem, finsterm Grunde
der Kristallsarg steht; dort ruht
seine Braut in treuer Hut.
Jelissej tat einen Schlag,
daß der Sarg zerbrochen lag.
Und er steht und staunend schaut
seine totgeglaubte Braut
plötzlich neu erwacht zum Leben
aus dem Sarge sich erheben.
Und sie streckt' sich, schluchzte tief,
rieb die Augen sich und rief:
»Ach, was ich geschlafen habe!«
Dann entstieg sie ihrem Grabe ...
Beide weinten laut vor Glück.
Jelissej führt sie zurück
an das Tageslicht, ins Freie.
Scherzten, herzten sich die zweie,
waren ganzer Wonne voll.
Und mit Blitzesschnelle scholl
das Gerücht in allen Landen,
daß das Zarenkind erstanden!
Weilt im Haus die Zarin müßig,
und des Nichtstuns überdrüssig,
sitzt sie vor dem Spiegel nieder,
scherzt mit ihm und fragt ihn wieder:
»Spiegel, lieber Spiegel, sage
treu mir Antwort auf die Frage:
Ziemt mir nicht der Schönheit Preis?
Bin ich nicht so frisch und weiß,
hold und lieblich von Gebärden,
daß kein Weib mir gleicht auf Erden?«
Und der Spiegel zu ihr spricht:
»Schön bist du von Angesicht,
doch die Zarentochter ist
schöner, als du selber bist.«
Tobend, zornig von Gebärde,
sprang die Zarin auf, zur Erde
schmettert sie das Spiegelglas,
stürzt zur Türe leichenblaß –
plötzlich kommt auf ihren Wegen
ihr das Zarenkind entgegen.
Da versagten ihr die Glieder,
tot vor Schrecken schlug sie nieder.
Hochzeit hielt das junge Paar,
als sie kaum begraben war,
mit der jungen, schönen Braut
wurde Jelissej getraut;
nie, seit Erd und Himmel stehn,
sah man solch ein Fest begehn!
Ich war dort, trank Met und Bier,
naß ward nur der Schnauzbart mir.