Adolf Pichler
Frau Elsa
Adolf Pichler

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Frau Elsa.

Eine Geschichte aus Tirol

von

Adolf Pichler

 


 

Aus: Jochrauten – Neue Geschichte aus Tirol, 2. Band
Verlag von Georg Heinrich Meyer, Leipzig
1897

 


 

Jeremias Tupfer! – Der Sohn eines kleinen Beamten, den man wegen Kränklichkeit mit 200 fl. Pension kalt gestellt hatte, war er als armes Studentlein nach Innsbruck gekommen; Wohlthäter gaben ihm Kosttage, fiel einer aus, so erhielt er an einer Klosterpforte ein Stücklein Brot, bei den Kapuzinern war es allerdings sehr rauh, aber das »Gsegn's Gott!« des Pförtners klang so gut gemeint, daß er es an einem Brunnen hinunterwürgte . . . Das Gymnasium wurde durchgefrettet. Er kam an die Universität, man vertraute ihm jüngere Knaben zum Unterricht an; ein Stipendium half nach, so daß seine Zehen nicht mehr neugierig aus den Schuhen guckten und er schon im ersten Winter einen Überzieher aus 224 grobem Loden trug. Nach so viel Elend wurde er fast stolz und trank nun hier und da ein Krüglein Bier mit doppeltem Behagen, weil ihn jetzt die Kellnerin mit »Herr!« anredete. Als Praktikant bei der Finanz kämpfte er sich mit Ehren durch; vielleicht weil er als armer Student die Pfennige klieben gelernt hatte, und so war er endlich noch verhältnismäßig jung in einem Amt so weit emporgestiegen, daß ihn vornehmere Kandidaten, die einst hochmütig auf ihn herabsahen, beneiden mußten. Steht so ein Häuter einmal auf einer gewissen Höhe, interessiert er auch die Frauen, insbesondere die Mütter, wenn auch die Töchter gewöhnlich das Portepee und die Sternchen am Hals jedem goldenen Kragen mit Rosetten vorziehen – bis sie in ein gewisses Alter vorrücken. Jeremias, denn mit diesem unromantischen, aber vordeutenden Namen hatte man ihn einem Oheim zuliebe getauft, tappte auch richtig hinein. Nachdem er soviel Geringschätzung erfahren hatte, that es ihm gar zu wohl, sich in einem guten Hause 225 mit Auszeichnung behandelt zu sehen und bei der Damenwahl, obschon er eigentlich nur trampelte und nicht tanzte, von dem allerdings nicht mehr jungen Fräulein erkoren zu werden. Wie oft hatte ich ihn gewarnt – vergebens! Zum Dank dafür schnipfte er mir die schönsten Blümchen, an denen ich meinen Schülern Staubfäden und Stempel erklären wollte, aus der Botanisierbüchse, um der Braut ein Sträußchen zu bringen, stolz darauf, wenn sie es an den Busen steckte. Er war etwas schüchtern; als ich ihm den Verdacht äußerte, er habe den ersten Kuß erhalten, ohne darum zu bitten, wurde er rot und knurrte wie ein Dachs. Wahrscheinlich lud er mich deswegen nicht zur Hochzeit; wenn es ihm nicht etwa Elsa verbot, die sich öfters über meine losen Worte beklagte. Das war mir eigentlich recht, weil ich meine, man solle erst dreißig Jahre nach der Trauung ein Fest feiern, denn da sieht man endlich, wie die Sache sich angelassen hat. Das erste Jahr ging der Karren ganz gut; ich besuchte ihn einmal, er hieß mich jedoch 226 nicht einmal niedersitzen und das salzige Gesicht des Weibchens ließ sich nur durch die Spalte einer Thür, die dann barsch zugeschlagen wurde, bewundern. Nun, er wollte sein Glück allein genießen, warum nicht? – Sie rekognoszierte klug und weise vorher das Schlachtfeld, wo sie siegen wollte, und so begann im zweiten Jahre das Knarren und das Quietschen. Es galt den Kampf um die Herrschaft und die seinige wäre doch so leicht zu ertragen gewesen, sie machte sich ja kaum bemerkbar! – Wenn er etwas verlangte, wurde ihm bedeutet, er sei unhöflich, er sollte bitten, da versagte er sich denn manches oder besorgte es selbst. Die Dienstboten merken so etwas gleich und folgen dem Beispiel der Frau; sie behandelten ihn gleichgültig, wenn sie ihn nicht gar vernachlässigten. Die paar Groschen, die die Gnädige von den Eltern empfing, reichten für ihre Bedürfnisse bei weitem nicht aus, da kamen allerlei Rechnungen von Putzmacherinnen, Schneidern und Zuckerbäckern; er bezahlte erst schweigend, als es sich wiederholte, machte er 227 einige bescheidene Einwendungen. Sie zog die Nase in die Höhe und antwortete schnippisch: »Meinst du, ich habe dich geheiratet, um ein Haustier zu werden?« Die Schwiegermutter machte ihn gelegentlich auf die Ehre aufmerksam, daß ihm Fräulein Ypsilon die Hand gereicht habe – aus dummer Liebe, denn sonst wäre sie längst Hofrätin. Diese erinnerte sich rechtzeitig an ihr Schnupftuch, und that, als ob sie eine Thräne trockne. Jeremias schlich kleinlaut davon; er versäumte den Augenblick, wo er Spitz und Knopf auf Biegen oder Brechen zusammensetzen sollte, weil er sie in seiner arglosen Gutmütigkeit nicht durchschaute. Und dann! Aus leisen Andeutungen konnte er schließen, daß ihm ein Vaterglück blühen werde. Da wußte er kaum noch, was er thun, welche Rücksichten er nehmen solle, um sie stets heiter zu erhalten. Es war aber nichts; wohl aber nahte der Fasching des dritten Jahres. Wenn er hoffte, sich an der Seite der Gattin abends von der Mühe des Amtes zu erholen, wie täuschte er sich. Freundlich grüßte er beim 228 Eintritt in das Zimmer, sie stand nicht auf, ihm entgegenzugehen, sondern nickte mit dem Kopf; wenn er nun von den Erlebnissen des Tages sprach, erwiderte sie, ohne ihren Roman aus der Hand zu legen: »Das geht mich ja nichts an, das langweilt mich.« Schon wollte er sich, wie einst als Junggeselle, wieder in das Wirtshaus flüchten, bis ihn endlich die Schwiegermutter aufmerksam machte, er werde doch begreifen, daß er eine junge Frau auf Bälle und Gesellschaft führen müsse. Wie gern hätte er seine Abende in stiller Häuslichkeit hingebracht, so mußte er als Notnagel in den glänzenden Sälen, bei der rauschenden Musik aushalten bis zum Hahnenschrei und durfte ihr höchstens ein Glas Limonade oder eine Schale Himbeereis oder Vanillecrême bieten, wenn es nicht bereits vor ihm ein galanter Herr gethan hatte. Und dann die Kosten. Sie überstiegen bereits seine Einnahme; um sie zu decken, blieb ihm nichts anderes übrig, als Nebenarbeiten. Er hoffte auf die Sommerfrische, in der Einsamkeit des 229 Landlebens werde alles wieder ins Gleichgewicht kommen; seine Gemahlin hatte sich jedoch überreizt und bedurfte zur Beruhigung der gespannten Nerven eines Bades. – Gut! Nun wurde er jedoch allmählich ungemütlich, er begann zu knurren, Hader und Zwietracht zogen ein, und weil er sich trotz seiner Leidenschaftlichkeit nicht zur Gewalt fortreißen ließ, so setzte sie ihm jeden Tag die bekannten Kifferbsen auf. Nach der Heimkehr wollte er Ordnung schaffen; die gnädige Frau hatte aber unterdes allerlei Bekanntschaften gemacht und dabei weniger auf gute als auf vornehme Ware geschaut. Wenn sich in einem Felsen eine Spalte bildet, so dringen die Wurzeln des Unkrautes ein, wachsen tiefer und tiefer, bis sie ihn endlich zersprengen; zeigt sich zwischen Eheleuten ein Riß, dann wittern es gleich die Schmarotzer, die Ohrenbläser, die das Vertrauen erschleichen und den Bruch unheilbar machen. Da war ein Fräulein Mali, etwas übertragen, mit einem Gesichte aus Juchtenleder; sie hatte sich in manchen hohen Häusern 230 abgerieben und wußte daher Schick und Manier. Sie ward das Orakel: »Du mußt das thun, er muß jenes lassen, besteh' darauf.« – So wurde endlich ein jour fix festgestellt, wo Frau Urian obenan thronte und die Huldigungen der Schmeichler empfing, für welche die Delikatessen aus dem Sacke des armen Jeremias bezahlt wurden. Er that Einsprache, sie blickte ihn verächtlich an, denn er hatte sich bis jetzt alles gefallen lassen, und kehrte ihm stolz den Rücken. Da jubelte denn im hellen Salon die bunte Gesellschaft, er saß finster schmollend im abgelegenen Kämmerlein, bis ihm die Magd einige Brocken zum Nachtessen brachte. Dann sprang er auf, nahm den Hut und warf die Thür zu, daß das Haus zitterte; als er spät, spät heimkehrte, war der Lärm noch toller. – »Die Hundspeitsche.« Er griff zur Thürklinke, doch besann er sich, sollte er in seiner Stellung einen öffentlichen Skandal machen? – »Scheiden!« rief er dumpf und warf sich auf das Sofa, wo er heute übernachtete. Er gehörte zu den Männern, denen man lang, 231 lang alles bieten darf, bis sie endlich gefrieren, aber dann tauen sie auch nicht mehr auf. In der Früh kam er nicht mehr zum Kaffee, seine Frau schickte eine schnippische Botschaft und spöttelte: so möge er im Winkel nüchtern bleiben und dann zur Kommunion gehen. – Als er sie von nun an mit eisiger Kälte thun und machen ließ, was sie wollte, wurde ihr ein bißchen bang, der Lieutenant, ein junger Kavalier, der als Hausfreund sich bisweilen auch Geld zu borgen sich herabließ, scherzte jedoch die üble Laune bald weg und so ging es mit eigensinnigem Trotz im angefahrenen Geleise fort. Jeremias beobachtete mit dem kalten Auge des Hasses, er sah alles, wenn er auch nichts zu sehen schien, bis er endlich die Zeugnisse hatte, die er brauchte, um vor Gericht aufzutreten. Als Jurist gewissenhaft in jeder Beziehung, wollte er sie auch noch dadurch ins Unrecht setzen, daß er ihr Gelegenheit zur Umkehr gab, obschon er zum vornhinein von der Vergeblichkeit jedes Versuches überzeugt war. Er sann hin und her: »Wie, wo, wann?« – 232 Da bot sich unerwartet eine Gelegenheit. Zu Kufstein war bei der Ablösung der Gilten Streit zwischen den Beteiligten entstanden, nun sollte eine Kommission, wie es das Gesetz in solchen Fällen fordert, darüber entscheiden. Jeremias hatte den Vorsitz zu führen. Er wollte eben den Überrock anziehen, den ihm die Magd unwillig ausgebürstet hatte, da polterte seine Frau herein:

»Warum sagst du denn nichts, daß du verreisest?«

»Nun, dir liegt wohl nicht so viel daran, wo ich mich aufhalte?«

»Man könnte wenigstens fragen, ob im Hause etwas nötig sei.«

»Was du willst, forderst du ja stets ohne Einleitung.«

»Nur das Notwendige! Hier ist eine Rechnung der Nähterin.«

»Wozu? In anderen Familien besorgt das die Frau mit den Dienstboten.«

»Ich bin keine Magd!«

»Auch gut.«

233 »Wie lange bleibst du aus?«

»Vielleicht vierzehn Tage.«

»Da könnte ich indes mit Mali eine kleine Reise machen. Ich bin lang nicht mehr von Innsbruck fortgekommen; die Diäten für die Kommission bringen dir gewiß viel Geld.«

»Du bleibst zu Hause!«

»Ahhh!«

Er lächelte spöttisch und das wirkte, daß sie eine Ohnmacht unterließ. Nun trat er vor sie hin; seine Stimme war streng, sein Blick ernst, wie noch nie. »Wir müssen unsere Wirtschaft einschränken, so geht es nicht mehr fort; soll ich dir mit Ziffern nachweisen, daß sich der Aufwand nicht mehr erschwingen läßt?«

»Ziffern? Ich bin kein Rechnungsrat!«

»Das Addieren und Multiplizieren scheinst du allerdings seit der Schule vergessen zu haben, umsomehr muß ich rechnen. Du hast mich an meinem eigenen Herde fast wieder zum Bettelstudenten herabgedrückt, ich bin aber der Herr.«

»Und ich die Frau!«

234 »Ich, der Herr, verbiete dir von jetzt an den jour fix und die kostbaren Gesellschaften.«

»Du bist wohl gar eifersüchtig?«

Er lachte hell auf. »Ich habe wahrlich nie gedacht, dir in dieser Beziehung einen Vorwurf zu machen; du bist ja aus einem vornehmen Hause, wo man auf Ehre hält, und dann hast du dich vor dem Spiegel gewiß längst darauf besonnen, was dir die Pflicht in jedem Falle gebeut.«

Sie blickte ihn mit den schwarzen Äuglein an wie eine Viper und zischte: »Grobian!«

»Es thut mir leid, daß ich so reden muß; aber ich muß es, nicht etwa bloß meinetwegen, sondern auch zu deinem Wohle. Vielleicht blüht in keiner Stadt der Klatsch so wie in Innsbruck, hüte dich vor übler Nachrede, wenn du auch schuldlos bist.«

»Der biet' ich Trotz,« rief sie und richtete sich in stolzer Erhabenheit auf; »ich bleibe, wie ich bin.« Sie ballte die Faust und stampfte mit dem Fuß.

Er seufzte tief. »Dann sind wir fertig!« 235 Als er zur Thür hinaus ging, stieg etwas wie eine Thräne in seinem Aug' ohne über das Lid zu fließen, oder war es eine Perle von Eis?

Bald danach kam die Freundin Mali; in heftiger Erregung erzählte sie dieser den ganzen Auftritt und fragte, was sie meine? Diese klatschte lebhaft in die Hände! »Vortrefflich, daß du fest geblieben bist, jetzt hast du gewonnen für immer!« – Das Duett unterbrach der Lieutenant; obwohl die Gnädige abwehrte, erzählte ihm das Fräulein doch sogleich die ganze Scene; als er jedoch den »alten Bären« in Ton, Gang und Haltung spottend nachäffte, schüttelte Elsa den Kopf, ja sie lehnte sogar die Einladung zu einem Ausflug auf die Lanserköpfe ab, weil sie ein gewisses unheimliches Gefühl nicht ersticken konnte.

Jetzt wird die Geschichte pikant, wie man es von einer modernen Novelle erwarten darf und das bis jetzt Mitgeteilte ist wohl nur die Ouverture? – Die Frauen mögen ruhig weiter lesen, wir haben vom sechsten Gebot, das man als Wahlspruch für den größten Teil der neuen 236 Litteratur benützen könnte, nichts zu erzählen. Das wäre im Grund genommen nicht so schwer und sogar unsere Blaustrümpfe kennen schon das Rezept, nach dem man jetzt kochen muß, um Beifall zu erhalten, allein wir bleiben bei der glatten Alltäglichkeit, die ewig alt und ewig neu, aber eben deswegen ewig wahr ist und vielleicht sind wir gar so schlau, eine Karte auf den Realismus zu setzen, der ja gegenwärtig alles übertrumpft, was je dagewesen ist und kommen wird.

Die Gnädige hat schlecht geschlafen, als es morgens an der Thür läutet, öffnete sie selbst, um einen Brief zu empfangen.

Er trägt die Aufschrift von Jeremias, feiner und zierlicher als je; sie erbricht das Siegel und beginnt zu lesen – atemlos bis zum Ende. Kein unfreundliches Wort, kein Vorwurf, nur eine kurze Darstellung ihres bisherigen Verhaltens mit dem Hinweis auf so und so viel unanfechtbare Zeugen. Zum Schluß die trockene Frage: »Ob sie es auf die gerichtliche Scheidungsklage ankommen lasse, obschon 237 sie einsehen müsse, daß das Urteil gegen sie ausfallen werde, dann würde sie freilich nichts mehr von ihm erhalten. Oder ob es ihr beliebe, noch vor seiner Ankunft die Wohnung zu räumen und Innsbruck zu verlassen – unter was immer für einem Vorwand, das sei ihm gleichgültig, dann setze er ihr jährlich fünfhundert Gulden aus, welche sie wo immer verzehren möge. Auf Erörterungen lasse er sich durchaus nicht ein: Hier gelte nur ein Ja oder Nein! das sie hier auf einer offenen Korrespondenzkarte schreiben möge.«

Kaum hatte sich Elsa vom ersten Schrecken erholt, so schickte sie eine Magd zu Mali, um mit ihr zu beraten. Es war nicht mehr weit zum Mittagstisch, sie kam daher schleunig. Schluchzend teilte ihr die Unglückliche alles mit, Mali aber sagte achselzuckend: »Ich habe mir immer gedacht, daß es so enden werde, du hast es zu weit getrieben, warum warst du nicht klüger. Die Sache ist allerdings unangenehm, du erhältst jedoch jährlich fünfhundert Gulden, und wenn du nebenbei fleißig arbeiten 238 willst, kannst du ganz gut leben.« – Nach einigen gleichgültigen Worten entfernte sie sich. Auch der Lieutenant kam nicht mehr, er mied sogar die Gasse, und soll im Wirtshaus gelegentlich mit tugendhafter Entrüstung Jeremias bedauert haben, daß er an ein so böses Weib geraten sei. Er werde jedenfalls einmal eine klügere Wahl treffen.

Kein jour fix mehr; die Gäste schauten, wenn sie vorübergingen, höchstens gleichgültig zum Fenster empor, hinter dem sie so gut gespeist und getrunken hatten.

Die Frau schrieb mit zitternder Hand das »Ja«. Vater konnte als Pensionist einen beliebigen Aufenthalt wählen, es wurde gepackt und die ganze Familie reiste nach dem Süden, denn Elsa war plötzlich von einem Brustleiden befallen, das schnelle Hilfe forderte. Daß der wahre Sachverhalt in allen Winkeln bekannt wurde, dafür sorgte schon Mali.

Nach der Rückkehr fand Jeremias alle Schlüssel in den Kästen stecken; auf seinem Bette lag neben dem Trauring eine 239 Visitenkarte: Elsa Tupfer, geb. Strada. Sein Name war durchstrichen, sie bestätigte dadurch die Thatsache der Trennung voll und ohne Rückhalt. Nun zog er auch seinen Ring vom Finger und legte beide sorgfältig in ein zierliches Etui. Am ersten jedes Monates sandte er ihr durch Postanweisung das Geld, jeder Verkehr blieb für immer abgebrochen. Zu ihrer Ehre müssen wir sagen, daß nie eine Klage über ihn aus ihrem Munde kam; sie hatte das Bewußtsein der Schuld und war stolz genug, sie allein und ganz zu tragen. Nach zwei Jahren erhielt er ihren Totenschein, darauf folgte ein Brief des Priesters, der ihr die Sterbesakramente gereicht hatte, sie bat ihn am Thore der Ewigkeit um Vergebung für das Herzeleid, das sie ihm angethan. Eine Thräne quoll aus seinem Auge und floß über die Wange nieder, er holte das Etui und steckte beide Ringe an den Finger, wie es Witwer zu thun pflegen; er hatte vergeben, werden die Frauen auch ihm vergeben?

Dann kaufte er abseits von der Stadt auf dem Höttingerried ein Gütchen mit einem kleinen 240 Garten und etlichen Obstbäumen; er lebte dort einsam und zurückgezogen, für seine Bedürfnisse sorgte eine alte, treue Magd. Nur mit Studenten verkehrte er gern, man sah ihn sogar hier und da mit den jungen Leuten am Wirtshaustische; er erinnerte sich an das Elend, aus dem er sich emporgerungen und stellte manchen wackeren Jungen, der ins Schwanken geriet, wieder auf die Füße, so daß er ihm seine ganze Zukunft verdankte. Als ich zur Ergänzung meiner geologischen Vorträge Ausflüge veranstaltete, schloß er sich bisweilen an; ich erinnere mich gar wohl, wie er auf der Veranda zu Torbole unter den fröhlichen Jünglingen saß und leise mitsang, wenn sie ein Lied von Uhland anstimmten, wie sie zu seiner Zeit beliebt waren. Dann kamen wohl auch die neuen Gesänge von Scheffel, da sagte er endlich: »Das ist ja frisch, schön, trefflich; aber, meine Herren, vergessen Sie ja nicht, daß es auch eine höhere Tonart der Lyrik giebt, als das – Remplem!« – Er las gern und viel, meist ältere Werke; Walter Scott und Manzoni waren ihm noch immer 241 teuer, auf die neuere Litteratur ließ er sich nicht mehr ein: »Diese Schriftsteller im Blechharnisch oder mit dem ägyptischen Pschent auf dem Schädel kommen mir vor wie eine Maskerade am Aschermittwoch. Ihre Romane werden nur für den Müßiggang aus dem Müßiggang geschrieben. Gäbe es keine Damen, so würden diese Blasen nicht aus dem Sumpfe steigen. Das Weib, das nach dem alten Spruch der Bibel des Mannes Gehilfin sein soll, hat kaum Zeit für all den gefirnisten Unflat. Ja, die Damen! Vor mir gilt nur das Ideal der echten deutschen Frau; wie gern gedenk' ich der edlen Gräfin Therese Sarnthein oder ihrer Freundin Cornelie!« – Wenn er ins Moralisieren kam, war er schwer zu hemmen; hätt' er lieber manches, was er gesehen und erfahren, aufgeschrieben! – Um ihn zu versuchen, brachte ich ihm einmal Diderots Briefe an die Voland. Er gab mir nach einigen Wochen das Buch zurück: »Das ist ein Franzose in der Wolle, hab' mich daran nicht erbaut, aber gewärmt.«

Ich stieg wohl hier und da zu seinem 242 Häuschen empor. Er wurde immer betagter, da saß er dann auf der Bank in der Sonne und lüftete, wenn ich eintrat, das schwarze Käppchen, denn sein braunes Haar war weiß und schütter geworden, und ich nahm Platz neben ihm, um ein bißchen zu rasten, zu schwätzen. Wir schauten auf die Stadt, die sich immer mehr ausbreitete, zeigten da und dort auf ein altes Gebäude und redeten von einer Vergangenheit, die weit hinter uns lag: im späten Herbste von einem Frühling, der nie wiederkehren sollte. Zum Abschied schenkte er mir immer eine oder die andere Blume und lud mich ein, bald wieder zu kommen: bis dort werde dieser oder jener Stock neue Blüten erschließen.

Von seinem Unglück sprach er nie, nur einmal deutete er darauf hin. Es war am Allerseelentag. Der volle Glanz des Spätherbstes mit seiner milden Wärme ruhte still und friedlich auf dem Thal; die Stadt umhüllte ein leichter bläulicher Rauch; rechts schimmerten die Mauern des Friedhofes mitten im grünen 243 Felde. Da klangen alle Glocken und verkündeten den Beginn der Prozession. Er atmete tief und sagte dann: »Sie kennen die harmonia praestabilite von Leibniz? Vielleicht gilt sie für die Menschen, so daß sie, wie Klopstock meinte, für einander geschaffen werden. Die Frau, die zu mir gehört, hat entweder vor meiner Geburt gelebt, oder sie wird erst geboren, wenn ich tot bin. Ja wohl; die Ewigkeit jedoch gleicht das alles aus. Warten wir also!«

Der Winter war hart und streng. Im Januar erhielt ich eine Todesanzeige: »Jeremias Tupfer . . .«, ich las nicht weiter. Am nächsten Tag stieg ich nach Hötting empor, um seine Leiche zu begleiten. Hinter der Bahre humpelte die alte treue Urschel; eine Thräne holte die andere ein, und als die gefrorenen Schollen auf den Sarg niederkollerten, schluchzte sie laut in den Totenchoral: »Er war ein guter, guter Herr!«

Für die sorgfältige Pflege, die sie ihm durch so viele Jahre gewidmet, hatte er ihr den 244 Nutzgenuß des Gütchens vermacht, nach ihrem Tode sollte es verkauft und der Ertrag dem Akademischen Unterstützungsverein zugewendet werden. Zu Hause machte ich in meinem Kalender wieder ein Totenkreuzlein . . . das wie vielte.

Ich bin zu Ende. Ihr mögt diese Geschichten nennen, wie ihr wollt; es wird sich wohl ein ästhetisches Schubfach finden, wo man sie hinstecken kann, – vielleicht: Sittenbilder, nur soll man mir nicht die Absicht unterschieben, als wollte ich belehren. Das wäre verlorene Liebesmüh, wie ich nur zu oft erfahren. Auf meiner Palette liegen noch manche Farben; soll ich das nächste Mal das moderne Anilinrot wählen? Warten wir!