Johann Peter
Und dann rennen wir
Johann Peter

Johann Peter

Und dann rennen wir!

Ein lustiges Pascherstück’l aus dem Böhmerwalde

(1903)

»Mandl, bleib’ daheim und geh’ heut’ nicht paschen! Mir ahnt, daß dir heut’ was Schlimmes bevorsteht, daß dich heut’ die Finanzer kriegen. Und dann sind wir ruiniert fürs ganze Leben!«

So sprach die Mandlin zu ihrem Mann, dem Mandl, als er sich am frühen Morgen anschickte, sein Haus zu verlassen und über die Grenze zu gehen, um aus dem nahen Bayern Tabak und Zigarren ins Böhmische hinüberzuschmuggeln.

Der Mandl richtete sich stolz auf und sah sein ängstliches Weib mit großen Augen an.

»Mich, einen Mandl, soll so ein Fichtelkriecher kriegen? Mich, einen Mandl? Seit die Welt steht, ist so etwas noch nicht gehört worden! Weib, du scheinst deine Fünfe nicht beisammen zu haben, denn sonst würdest du keinen solchen Unsinn schwätzen. Mich, den Mandl, vor dem die ganze Grenzwache weitum zittert, soll ein Fichtelkriecher fangen? Mach’ mich nicht heiß, sonst stopf’ ich dir dein Mundloch zu, daß du es dein Lebtag nimmer aufbringst!«

»Mir hat es heute geträumt, daß dich der Oberaufseher Schmied drunten beim Hammer erwischt und ins Zollamt geführt hat, und was mir träumt, das wird auch immer wahr. Drum bleib’ nur heut’ daheim und geh’ lieber morgen, wenn du das Paschen schon nicht lassen kannst, hinüber nach Maut. Morgen gilt der Traum nicht mehr.«

»’s Maul hältst, auf der Stell’!« brauste der Mandl auf und sein Barthaar sträubte sich. »Der Aufseher Schmied ist selbst ein leidenschaftlicher Brisilschnupfer und im Trinken ist er auch kein Schulbub’. Der fängt eher eine Katze als den Mandl, und gesetzt auch, er bekäme mich, so ist es doch noch die Frage, ob er mich auch wirklich ins Zollamt bringt!«

»Du wirst ihn doch nicht am End’ umbringen wollen?« rief die Mandlin aus und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.

»Umbringen? Gans du, alberne! Als ob der Mandl kein Christenmensch wäre! Kein Haar werd’ ich ihm krümmen, nicht einmal anrühren tät’ ich ihn – aber gescheiter, gescheiter wär’ ich als er, und dem Gescheiteren gehört immer der Sieg. Verstehst du das, Muhhorn?«

»Du sprichst mir zu hoch!« jammerte die Mandlin in fast weinendem Tone. »Kommst viel in der Welt herum und hast von den Herrenleuten das Reden gelernt, und was die zusammensprechen, das versteht nicht jeder. Mußt also schon Nachsicht haben mit mir, wenn ich dich nicht ganz begreife!«

»Also, wenn du mich nicht begreifst, so halt’ fein still dein Maul und misch’ dich nicht in Dinge hinein, die dich einen gelben Pfifferling angehen! Ich geh’ paschen, und vor Mitternacht bin ich wieder da. Richt’ mir ein gutes Essen zurecht und einen Trunk Bier – ich bring’ dir dafür ein Pfund Schweizerkäse und einen Radi mit, und dann leg’ ich mich schlafen! Ist dir’s recht so?«

»Mir muß es ja recht sein, wenn du es sagst!« erwiderte sie jetzt fast zärtlich und sah ihn lieb an. »Tracht’ nur, daß sie dich nicht kriegen, und wenn sie dich kriegen, so schau’ halt, daß du ihnen wieder auskommst! Nur keinen Mord, daß deine arme Seel’ nicht ewig verloren ist!«

»Das ist meine Sach’, und jetzt Punktum! Leb’ wohl, längstens um 11 Uhr nachts bin ich da, und dann reden wir ein gescheiteres Wörtl miteinander, das dir und mir besser gefallen wird.«

Sprach’s und verließ die Stube, um rüstig der nahen Landesgrenze zuzuschreiten. Sein Weib sah ihm nach, bis er endlich im bayrischen Staatsforste verschwand; dann nahm sie den Rosenkranz zur Hand und betete für ihren Mann, den Pascher, daß ihn nicht der Arm der Gerechtigkeit ereile.

Der liebe Gott soll es eben allen Menschen recht machen, auch denen, die auf verbotenen Wegen wandeln.

Der Mandl war ein stattlicher, herkulisch gebauter Mann von fast zwei Metern Höhe und mit einer Brust, an der er einen Baumstamm hätte erdrücken können. Ein dichter schwarzer Vollbart wallte tief auf die Brust hinab und verlieh dem Hünen mit den feurigen, funkelnden Augen und dem stolz in die Höhe strebenden rabenschwarzen Kopfhaar etwas Majestätisches. Die Weiber nannten ihn einen »schönen« Mann und die Mandlin, seine Alte, sprach stets nur von ihrem »süßen« Mann.

»Süß kann er sein«, pflegte sie oft zu sagen, »wie eine Butterbirne, und wenn er manchmal auch ein wenig hantig wird, so ist das doch nichts gegen seine Süße.«

Er war der leidenschaftlichste Pascher im Quellengebiete der Moldau und Ilz. Und er hätte solch verbotenes Geschäft wahrlich nicht nötig gehabt, denn ein blühendes Anwesen und einen Stall voll stattlicher Rinder nannte er sein eigen, schuldenfrei war seine Wirtschaft, Geld hatte er in der Sparkasse und keine Kinder belasteten sein Gemüt mit Sorgen. Und trotzdem konnte er das Paschen nicht lassen.

»Wenn ich keinen Brisil und keine Zigarren mehr paschen kann«, meinte er treuherzig, »so hat für mich das Leben keinen Reiz mehr. Ich lebe nur so lange, so lange ich pasche, und wenn das nicht mehr geht, so will ich auch nicht mehr leben.«

Gut zwanzig Jahre schon betrieb er den Schleichhandel an der Grenze, ohne daß es trotz der größten Wachsamkeit einem Finanzwachaufseher gelungen wäre, ihn dingfest zu machen. Oft waren ihm die Aufseher knapp an der Ferse, vermeinten ihn schon zu haben – da, wie wenn ihn der Wind hinweggeblasen hätte, verschwand er plötzlich vor ihren Augen im Gewirr der Stämme, und alles Suchen und Spüren im Walde blieb vergebens. Und wenn sie endlich vor seinem Hause erschienen, um seine Heimkehr abzuwarten, lag er im Bette und schnarchte entsetzlich.

So bildete sich förmlich eine Wunderlegende um ihn und man meinte steif und fest, daß er mit dem Schwarzen im Bunde stehe, der ihn mit einer Art von Tarnkappe schütze. Oft sagte er öffentlich seine Paschergänge an, und dann warteten ganze Posten an der Grenze auf ihn – aber nicht einmal zu Gesicht kam er ihnen, und lange schon hatte er den glücklich über die Grenze gepaschten Brisil an seine zahlreichen Kunden abgeliefert, wenn die todmüden Posten zähneknirschend und halb frosterstarrt in ihre Kasernen zurückkehrten und dem geriebensten aller Pascher Rache auf Leben und Tod schworen.

Gestern nun hatten sich die Honoratioren droben im Tannwald bei einem Streichkonzert herrgöttlich vergnügt, und noch heute saßen Jägerei und Finanzwache im Kruge beisammen, um den Tag blau zu machen.

Das wußte der Mandl ganz genau, denn allzeit arbeiteten für ihn seine Kundschafter. Namentlich von dem Oberaufseher Schmied, den die Mandlin ob ihres bösen Traumes so scheute, brauchte er nichts zu fürchten, denn der saß seit gestern so sternhagelvoll auf seinem Platz am Stammtisch, daß die ganze Welt nicht imstande gewesen wäre, ihn davon wegzubringen. Er schnupfte leidenschaftlich Brisil und trank des Bieres in schwerer Menge. Und trotzdem er heute Grenzdienst drunten beim Hammer vorgeschrieben hatte, gelang es dem gutmütigen Respizienten doch nicht, ihn von der belebenden Wirkung der ozonreichen Waldluft zu überzeugen. Für heute sollte ihm unbedingt die dunst- und rauchgeschwängerte Wirtshausluft gut genug sein.

So wie er, so dachten auch die anderen Grenzwächter und schließlich versahen alle ihren Dienst beim – Maßkrug. Der Mandl hatte also heute leichtes Spiel – er mußte gar keine Vorsicht anwenden, denn so rein war für ihn die Luft noch nie und deshalb ging er unbesorgt hinüber in die Maut, machte dort seine Einkäufe an Brisil und Zigarren und ließ sich dann das bayrische Bier, Rettich, Kalbshaxen und Ochsengaumen schmecken, soviel sein Magen vertragen konnte, um mit einbrechender Nacht seine Rückkehr anzutreten.

Inzwischen aber hatte sich in Tannwald etwas Seltsames ereignet. Wie die lustigen Herren so gemütlich beisammen saßen und soeben den Gemeindevorsteher und dessen Eheweib hoch leben ließen, fuhr der die Finanzwache inspizierende Sektionsleiter daher und nahm seinen Kurs direkt nach der ausgestorbenen Kaserne. Das traf die Herren von der Grenzwache wie ein Blitz aus heiterer Höhe. Sogar der Oberaufseher Schmied wurde jetzt licht und sorglich beseitigte er von seinem Gesichte die Spuren des reichlich genossenen Brisiltabaks. Dem findigen Förster gelang es, den Sektionsleiter ein Viertelstündchen vor dem Wirtshaus aufzuhalten. Während dieser Zeit entflohen die Aufseher durch eine Hinterpforte, holten schnell ihre Gewehre und eilten auf ihre vorgeschriebenen Posten, und als der Sektionsleiter in die Kaserne kam, fand er alles in bester Ordnung.

Der Oberaufseher Schmied hatte seinen Posten drunten beim Hammer in der Teufelsschlucht. Fast eine Stunde mußte er gehen, bevor er sein Ziel erreichte, und während dieser Wanderung war er vollends licht geworden. Die ersten Sternlichter blitzten am Himmel auf und die ruhsame Nacht stieg langsam auf den Felsenthron der Berge hernieder. Silbernes Mondenlicht ergoß sich über die weiten, leisrauschenden Wälder, feierliches Schweigen herrschte in der Wildnis.

Schmied legte sich unter ein Dickicht und wartete auf die Pascher. Eine gute Stunde mochte er so gelegen sein, und schon wollte der Schlaf sich auf seine Augen senken, als er plötzlich in nächster Nähe die dürren Zweige knistern und Schritte hörte. Leise erhob er sich und spähte mit scharfem Auge hinaus in die Lichtung des Hammers. Und er brauchte nicht lange zu spähen. Ruhig und sorglos kam der Mandl daher und trug eine schwere Hucke auf dem Rücken.

»Der Mandl ist’s!« jubelte es in Schmied’s Herzen. »Der geriebenste Pascher, den noch niemand erwischt hat. Mir führt ihn der Teufel in die Hände, mir gebürt der Ruhm, einen Mandl festgenommen und eingeliefert zu haben! Es kann nicht fehlen: in einem Monat bin ich Respizient!«

Und energisch trat er dem Nichtsahnenden in den Weg, erfaßte ihn an der Schulter, und ihn festhaltend, rief er mit mutiger Stimme: »Halt! Endlich einmal in die Falle gegangen! Mit mir ins Zollamt!«

Der Mandl bebte zurück, doch bald erlangte er seine Fassung wieder.

»Ich geh’ schon mit!« sprach er ruhig. »Nur auslassen müssen Sie mich! Ich kann das Halten nicht ausstehen!«

»Gut! Drei Schritte vor mir! Wie Sie ausreißen wollen, brenn ich Sie nieder!«

»Aufseher, das dürfen Sie nicht! So viel versteht der Mandl auch! Wär’ es mir darum zu tun, Ihnen auszukommen, so würd’ ich Sie einfach da an einen Baum festbinden und dann meines Weges gehen. Ich fürchte Sie samt Ihrem Gewehr nicht! Denn ich bin der Mandl! Aber ich will mich nicht wehren und gehe freiwillig mit Ihnen!«

»Um so besser für Sie! Nun hübsch vorwärts, es wird kalt!«

Der Mandl schritt ruhig voraus, knapp an der Ferse folgte ihm der glückliche Aufseher. Über die Hammerlichtung führte der Pfad zum jenseitigen Saume des Hochwaldes. Dort angekommen, blieb der Mandl plötzlich stehen, wendete sich zum Aufseher zurück und sprach:

»Jetzt rasten wir, dann schnupfen wir, und dann – dann rennen wir! Ist’s Ihnen recht so?«

»Das Erste und Zweite können Sie tun!« erwiderte der Aufseher. »Das Letzte werden Sie nicht tun!«

»Wir werden es tun!« versicherte der Mandl. »Wir kommen so früher ins Zollamt!«

»Eile mit Weile! So kommt man auch zum Ziel! Dabei bleibt es ! Gerannt wird nicht!« erklärte der Aufseher kurz und bündig. »So, jetzt rasten Sie!«

Der Mandl zog aus der inneren Rocktasche eine ziemlich große, weithalsige Schnapsflasche heraus, die mit echtem Brisil gefüllt war. Er reichte sie dem begierlich äugenden Aufseher hin und sprach: »Das erste Schnüpfl nehmen Sie!«

»Ich bin k. k. Finanzwachaufseher und darf keinen gepaschten Tabak schnupfen. Schnupfen Sie nur allein, und dann trachten Sie, daß wir weiter kommen!«

»Aber, Herr Oberaufseher, ich weiß ja doch, daß Sie den Brisil fürs Leben gern schnupfen! Hier sieht Sie niemand, und ich halte reinen Mund! Ich selbst hab den Tabak in der Maut gerieben, geschmalzen hab’ ich ihn gut, und ich weiß bestimmt, daß Sie noch nie so ein gutes Schnüpfl in Ihre Nase gebracht haben werden. Sehen Sie nur, wie gut das schmeckt!«

Dabei schüttete er eine stattliche Prise auf seine obere Handfläche und sog dieselbe begierig in seine Nüstern hinauf.

Schmied begann unruhig zu werden. Die Versuchung kam über ihn. Lüstern ruhte sein Auge auf der Flasche.

»Also schnupfen Sie, und dann rennen wir!« forderte der Mandl wieder auf.

»Gut!« sprach der Aufseher, »schnupfen will ich einmal, aber aus dem Rennen wird nichts! Schütten Sie mir eine Prise heraus auf die Hand!«

Er streckte die Rechte aus und der Mandl schüttete ihm eine so stattliche Prise darauf, daß sie einem kleinen Ameisenhaufen glich.

Aufmerksam, um ja kein Stäubchen zu verstreuen, führt der Aufseher die Hand an die Nase, und in dem Augenblick, als er schnupfen wollte, schlug ihm der listige Mandl die Hand so fest ins Gesicht, daß er ganze Tabak in die Augen flog und der arme Aufseher vor Schmerz aufstöhnte.

»So, jetzt rennen wir, Herr Aufseher!« höhnte der Mandl, und im nächsten Augenblick war er im Hochwald verschwunden. Schmied stand da wie festgebannt und konnte kein Auge öffnen. Wohl eine halbe Stunde dauerte es, bevor er das Sehvermögen wieder erlangte, und nun bemächtigte sich seiner ein solches Schamgefühl, daß er am liebsten geweint hätte. Wie ein abgeregneter Hahn kehrte er ums Morgengrauen, nachdem seine Dienstzeit abgelaufen war, in die Kaserne zurück und schwieg über sein Abenteuer wie das Grab. Aber auch der Mandl hielt reinen Mund. Nur wenn er zufällig allein mit dem überlisteten Aufseher zusammenkam, raunte er ihm boshaft zu: »Und dann rennen wir!«