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Robert Musil

Skizzen zu einer Autobiographie

(Aus dem Tagebuch-Heft 33: 1937–1941)

Die beiden schönsten Augenblicke in meiner Schriftstellerlaufbahn, ich weiß nicht, ob sie das gewesen sind, aber sie sind mir so in Erinnerung geblieben:

Ich hatte den Ingenieurberuf aufgegeben, war von Stuttgart nach Berlin gekommen, hatte mich an der Universität inskribiert, bereitete mich auf die Gymnasialmatura vor oder hatte sie schon bestanden, besuchte jedenfalls wenig die Vorlesungen und hatte die Zeit benutzt, um die in Stuttgart begonnenen Verwirrungen des Zöglings Törleß zu vollenden. Als ich fertig war, wurde mir das Manuskript von mehreren Verlagen mit Dank zurückgestellt und abgelehnt. Darunter von Diederichs-Jena, auch erinnere ich mich an Bruns in Minden und Schuster und Löffler in Berlin. Es waren Verlage, vornehmlich die beiden ersten, die ich mir mit geisteskindlichen Gefühlen ausgesucht hatte, und wie bei Kindern war die Sympathie auch nicht auf guten Kenntnissen aufgebaut. Es bestürzte mich etwas, daß alle drei, und alle drei auch in gleicher Kürze, nachgeprüft und abgelehnt hatten. Ich wollte damals sowohl Dichter werden als auch die Habilitation für Philosophie erreichen und war unsicher in der Beurteilung meiner Begabung. So bin ich zu dem Entschluß gekommen, eine Autorität um ihr Urteil zu bitten.

Meine Wahl fiel auf Alfred Kerr, und daran war immerhin etwas Merkwürdiges. Vielleicht hatte ich einige seiner Kritiken gelesen, die damals im Berliner »Tag« erschienen, und hatte hinter seiner Schreibart, die mir als Süddeutschem besonders maniriert vorkam und mich, gleich einem fremden Fasching, anzog und ausschloß, das gut Begründete der Sprache und der Urteile gespürt; ich glaube aber die wirkliche Ursache lag in meiner Kenntnis seines Büchleins über die Duse, das in der Sammlung Die Fruchtschale erschienen war, und nicht einmal darin lag sie, sondern ich erinnere mich, daß bloß eine kleine Gruppe von zwei bis vier Sätzen mein »Zugehörigkeitsgefühl« geweckt hatte. Dieses Büchlein hatte ich noch in Brünn gelesen, und die Erinnerung daran ist mit der »Esplanade« verknüpft, einer mit Bäumen bepflanzten Strecke, wo man Sonntags zu Militärmusik auf einer Seite hin- und auf der anderen her ging. Warum das mit dem Buch über die Duse zusammenhing weiß ich nicht mehr, aber ich glaube mich gut zu erinnern, daß dieses hellgrau mit Goldaufdruck und von Kleinquartformat gewesen sei (Prüfen!), und ebenso hängt es mit der Esplanade zusammen. Es mag so gewesen sein: An den entsetzlich langweiligen Sonntagen machte man dort den Versuch der Lebensberührung und alles war so, wie es in kleineren Städten eben ist, und wahrscheinlich hatte ich das Buch unter dem Arm mitgenommen, um interessanter junger Mann zu sein. Auf diese Weise bin ich zu Alfred Kerr gekommen.

 

Oft hat mich mein Vater ersucht, ich möge ihm etwas erklären, womit ich mich beschäftigte: ich bin nie dazu imstande gewesen. Ich habe das noch heute; wollte ich jemand die Kapitel über Gefühl [siehe »Der Mann ohne Eigenschaften«] erklären, an denen ich nun schon so lange und beinahe schon mit Erfolg schreibe, ich verwirrte mich alsbald und bliebe stecken. Mit Selbstliebe gesehn, wäre es die Grundeigenschaft eines Mannes ohne Eigenschaften, der Unterschied von den Schriftstellern, die alles klar vor sich haben, das »gestaltende« Denken an Stelle des rein rationalen. Aber es ist auch die große Unklarheit meines Lebens. Ich bin kaum ein unklarer Kopf zu nennen, aber auch kein klarer. Mit Nachsicht: das Klärungsvermögen ist stark, das Verunklärende gibt aber nur im einzelnen nach.

Mein Vater war sehr klar, meine Mutter eigentümlich verwirrt. Wie verschlafenes Haar auf einem hübschen Gesicht.

 

Selten ein politisches Wort im Elternhaus.

Ich will noch nicht mit mir zu Gericht gehn, ich will bloß erwägen, was war.

Die Angst des Kindes vor den Russen und vor den Arbeitern ist ohne Einfluß geblieben. Erwägenswert aber, wie gute Leute, wie meine Eltern, die streikenden und unruhigen Arbeiter zum voraus als bös empfanden. Welche Freude als Militär nach Steyr dirigiert wurde.

Welches Verhältnis hatten wir im Militärinstitut zur Politik? Revolutionen erschienen uns als Unordnung; ich wenigstens hatte nicht die mindeste Sympathie für die französische. (Obwohl wir kaum beeinflußt wurden.) Ich glaube die Figur Napoleons übte den bestimmenden Einfluß aus; nicht seine Person, von der ich noch heute zu wenig weiß, sondern die in ihm verkörperte Weltverachtung, Kraft und ähnliches. Es ist mir im Nachdenken eingefallen, daß außerdem wohl ästhetische Elemente das Nächstbestimmende sind. Das feierliche Blasen der Hörner, das Wirbeln der Trommeln, die geschlossene Masse. Wir waren weder dynastisch noch auch sehr patriotisch gesinnt; aber gewisse Augenblicke fuhren durch Mark und Bein. Welche Aussicht für das heutige Deutschland?

Später in Brunn war es wohl bloß die Abseitsstellung des jungen Mannes, natürlich doch auch vernünftige Erwägungen, was mich mit dem Sozialismus sympathisieren ließ, so daß beinahe mein erstes literarisches Auftreten das als Theaterkritiker des »Volksfreund« gewesen wäre. Welcher Schicksalswitz, daß der Theaterausschuß in diesem Augenblick dem Blatt den Sitz sperrte! Der Besuch beim Abgeordneten Czech, der Vortrag im Arbeiterheim; muffige Atmosphäre: auch hier waren ästhetische Elemente abstoßend entscheidend.

 

Ich muß meinen Eltern durch meine Heftigkeit, die allerdings ein Reflex der Heftigkeit meiner Mutter war, aber doch auch mit einem reizbaren Selbstbewußtsein zusammenhing, große Sorgen bereitet haben. So ist es zu erklären, daß sie mich, obwohl sie mich sonst verwöhnten, in die Militärschule eintreten ließen, die wahrhaftig kein Erziehungsinstitut war. Ich bin also ein schwer erziehbares Kind gewesen, und ich weiß heute, wie hilflos man dem gegenübersteht, ohne die seither ziemlich allgemein gewordenen Erkenntnisse, die also wirklich eine große Leistung unsrer Zeit sind. Aber waren sie vor unserer Zeit vielleicht entbehrlich?

 

Ich behandle das Leben als etwas Unangenehmes, über das man durch Rauchen hinwegkommen kann! (Ich lebe, um zu rauchen.)

 

Es sieht aus, als hätte mein natürlicher Werdegang so aussehen müssen: Annahme der Dozentur in Graz. Geduldiges Tragen der langweiligen Assistententätigkeit. Geistiges Miterleben der Wendung in der Psychologie und Philosophie. Dann, nach Sättigung, ein natürlicher Abfall und Versuch zur Literatur überzugehen.

Warum ist es so nicht gekommen? Daß wir vor der Heirat nicht nach Graz wollten, wäre zu überwinden gewesen. Entscheidend war, daß ich naive Hoffnungen in den weiteren Verlauf meiner Schriftstellerkarriere gesetzt habe. Daß ich durchaus nicht wußte, wie gefährlich es im Leben ist, nicht seine Chancen auszunützen.

(Provinziell großartig, verträumt großartig, Folge gesicherter Jugend) Anständigerweise, daß ich mich psychologisch nicht versiert genug fühlte und wenig Freude am psychologischen Experiment hatte; schon in Berlin dem Betrieb ferngeblieben war. Dummerweise, daß ich für mich die Vorstellung: man arbeitet sich in die Materie mit Energie ein, die einem das Leben über den Weg legt: nicht im mindesten anerkannte, sondern mit Energie nur machte, was ich mir selbst aussuchte. Wichtig: daß ich mich wohl immer mit Ethik befassen wollte, aber keinen Zugang wußte, der mir gepaßt hätte. Mit anderen Worten daß ich zu wenig studiert hatte! denn Scheler hat den Zugang gefunden! Daß ich mir eingebildet hatte, das Wichtigere wäre, was man will, aus sich selbst zu holen und erst zur Prüfung und Ergänzung Rat zu suchen. Bei der ersten Belastung durch das Leben ist das zusammengebrochen. Es wäre auch zu sagen: Der Phantast hatte dem Denker ein Bein gestellt.

Noch einmal etwas später hätte ich in den natürlichen Weg einlenken können, wenn ich als Bibliothekar nicht mich mit Dichtung ohne nötige Sammlung gequält, sondern mir gesagt hätte, man könne ein Gelehrter auch außerhalb der Universität werden. Zeit und Bibliothek war da. Ich legte aber das Gewicht auf den Dichter, und obwohl ich mit der Psychologie in Fühlung zu bleiben trachtete, trieb ich von ihr ab. Ursache: Interesseteilung, wobei das größere der Dichtung galt. Zweite Ursache, die auch im ersten Fall eine Hauptsache war: Daß ich ohne bestimmtes Ziel nicht expeditiv bin und auch da nicht immer. Melancholische Schwerflüssigkeit. Fehlen der Neugierde »kennen zu lernen«, was vorgeht, die ein Gelehrter in großem Maße braucht. Ich habe mich nie in meiner geistigen Mitwelt »umgesehen«, sondern immer den Kopf in mich selbst gesteckt.

 

Daß ich langsam lese, hat in vielem mein Schicksal bestimmt.

Dabei habe ich eine rasche Auffassung oder hatte sie wenigstens.

 

Es fällt mir sehr leicht ein, jemand zu töten; ich glaube aber, daß ich es im Alter weniger denn je täte. Es ist die Revolte der inneren Ohnmacht. Der Knabe mit den unernsten Selbstmordideen. Müßte ich diesen Fehler nicht endlich abstreifen? Was gerinnt, am Licht ausbreiten. Ich will also auch meiner privaten Unverantwortlichkeit an den Leib rücken!

Schriftstellerneid? Von den Menschen verlassen sein, die Waffen zerbrochen, den Jubel und die Musik hören, die den triumphalen Einzug von Fortunas Liebling begleiten: gilt es denn nicht als eine tragische Situation?!

 

Es ist mir verwehrt, in Österreich ein Dichter zu werden:

Mein Vater hat seine ganze Kindheit und Jugend in Graz verlebt, ist dort in die Schule gegangen, von der Kinderschule bis zur Ingenieurprüfung, er hat sich sein Leben lang als ein Grazer gefühlt, und es ist sein größter Schmerz gewesen, daß er nie dort an die Technik berufen worden ist. Aber er ist durch Zufall in Temesvar geboren worden und in Brünn als unfreiwilliger Angehöriger des tschechoslowakischen Staats gestorben.

Sein Vater ist in den besten Mannesjahren nach Graz gekommen, hat sich diese Heimat gewählt, ist dort Arzt gewesen und hat sich dann als Landwirt in der Nähe der Stadt auf einem Gut niedergelassen. Aber er ist geboren worden in Rychtařow in Mähren.

Die Großeltern meines Vaters mütterlicherseits haben in Salzburg gelebt und sind dort gestorben, meine Großmutter vaterseits ist dort geboren.

Meine Großmutter mutterseits ist in Salzburg begraben, so daß ich dort auf dem Friedhof drei Ahnen liegen habe.

Meine Mutter ist in Linz geboren.

Ihr Vater ist einer der vier Erbauer der Bahn Linz-Budweis gewesen, später ihr Leiter, und ich erinnere mich selbst noch an das herrschaftliche in einem schönen Garten liegende Geburtshaus meiner Mutter, wo sie ihre Kindheit verlebt hat. Dieser in die Lokalgeschichte von Linz somit nicht ganz unbedeutend verflochtene Großvater ist aber in Böhmen geboren worden.

Ich selbst bin in Klagenfurt geboren worden.

Meine Kindheit habe ich in Steyr verbracht und ihre Mundart ist das gröbste Oberösterreichisch gewesen, das man sich nur wünschen mag.

Sogar Rosegger ist ein angeheirateter Verwandter von mir gewesen.

Aber keines der Bundesländer beansprucht mich für sich.

 

Weshalb eigentlich nicht? Weil sie zu provinziell sind, um mich zu kennen, und nirgends ein Familienglied ist, das nachhülfe. Aber bin ich denn nicht auch in die Deutsche Dichterakademie nicht aufgenommen worden. Als mich eine Minderheit vorgeschlagen haben soll, soll mich die Mehrheit wirklich mit der komischen Begründung abgelehnt haben, ich sei zu intelligent für einen wahren Dichter.

Es scheint also etwas an mir und in meinem Leben zu sein, das da mitspricht. »Mann mit zugeknöpften Taschen ...!« Aber kann man denn paktieren mit diesen Leuten!

Und doch messe ich solche, die sich mir freundlich nähern, durchaus nicht mit der Strenge wie Fremde. Da kennzeichnet mich eine Inkonsequenz, die zu prüfen bleibt.

Ich bin mit derselben Gleichgültigkeit freundlich wie unfreundlich. Ich bin es nur peripher. Ich kann sehr gutwillig sein; aber unter den richtigen Bedingungen? Ich bin lebenslang unausgeglichen geblieben, usw.

 

Beginnen wir es mit dem Temperament. Ich bin sehr schweigsam, und plötzlich kann ich übersprudeln.

 

Ich bin doch ganz naiv überzeugt, daß der Dichter die Aufgabe der Menschheit ist, und außerdem möchte ich ein großer Dichter sein. Welche gut vor mir selbst versteckte Eigenliebe!

 

Nochmals über Geld: Ich hatte als Junge und Jüngling ganz naiv die Meinung, daß Geld ein Familieneigentum sei, von den Eltern also zwar genossen werden dürfe, aber doch so verwaltet werden müsse, daß es mir dereinst ungeschmälert, wenn schon nicht vermehrt zukomme. Ich stellte also auch meine Ansprüche daran, und daß ich bis zum 30sten Jahr nur meiner Ausbildung lebte, erschien mir ganz natürlich. Ich bin kein angenehmer Sohn gewesen.

 

Mein Vater und seine Brüder hatten dagegen auf ihr väterliches Erbteil verzichtet, um die Mitgift ihrer Schwester zu vergrößern. Dabei fällt mir ein: mein Vater ist Romantiker, letzter Auslauf, gewesen.

 

Die Art, in der ich für mich in Anspruch nahm, daß meine Wünsche erfüllt werden, ist die eines triebstarken Menschen gewesen. Ich bin »egoistisch«, allerdings auf bestimmte Themen beschränkt.

Verhältnis zur Politik: Nicht einmal die Wissenschaft ist sicher, geschweige denn der Dichter. Irgendwo, zum Beispiel in der Abneigung gegen den militärischen Drill, muß er sich immer auf sein Gefühl verlassen. Richtiger gesagt: die Entscheidung, was ich glaube, fällt beim Schreiben. Ich glaube vorher, manches zu glauben, aber im Augenblick der Darstellung wird es mir unmöglich. Mit Fehlerquellen ist dieses Verhalten gewiß behaftet, aber man muß den Dichter nehmen, wie er ist; diese Toleranz muß der Staat haben, oder er bringt die Dichtung zum Versiegen.

 

Ich habe 1931 Wien verlassen, weil Rot und Schwarz darin einig gewesen sind, an Wildgans einen großen österreichischen Dichter verloren zu haben.

 

Ich bin so bekannt wie unbekannt, was aber nicht halb bekannt ergibt, sondern eine merkwürdige Mischung.

 

Schwert und Feder. – Die Feder wie ein Schwert zu führen, Ideal vieler Schriftsteller. Rührt wohl aus den 48 er Jahren her. Aber ich bin beim Schwert aufgewachsen, ich bin mißtrauisch gegen diese Vertauschung. Ich weiß, daß ich mit einer Wachskerze fechten müßte!

 

Ich habe ein sehr geringes Mitteilungsbedürfnis: Eine Abweichung vom Typus des Schriftstellers.

 

Ich bin undankbar.

 

Wenn ich anfange, jemand brieflich lieber Freund zu nennen, bin ich böse auf ihn und versuche es zu überwinden. Oder es schaltet sich eine Gewöhnlichkeitsapparatur ein, wie damals im Krieg, als [Johannes von] All. [esch] und ich uns du zu sagen begannen.

 

Während der rund 10 Manuskripte zu den ersten 200 Seiten des Mann ohne Eigenschaften: Die bedeutungsvolle Selbsterkenntnis, daß die mir gemäße Schreibweise die der Ironie sei. Gleichbedeutend mit dem Bruch mit dem Ideal der Schilderung überlebensgroßer Beispiele. Gleichbedeutend auch mit der Erkenntnis, daß ein Dichter nicht bis zum philosophischen System vordringen soll (und kann).

 

Eine Hauptidee oder -illusion meines Lebens ist es gewesen, daß der Geist seine eigene Geschichte habe und sich unbeschadet alles, was praktisch geschehe, schrittweise erhöhe. Ich habe geglaubt, daß die Zeit seiner Katastrophen vorbei sei. Daraus ist mein Verhältnis zur Politik zu verstehen.

 

Ein junges Wesen, findest du dich eines Tags in einer unbekannten Gegend, von der dir nur das Nächste vertraut ist. Menschen sind bei dir, die dir die nächsten Wege weisen und dich dann verlassen, wenn sie auch gelegentlich wiederkehren. In dieser Gegend, die Verlockendes und Schreck birgt, beginnst du nun vorsichtig, an dich zu nehmen, was dich anzieht, und dich mit dem auseinanderzusetzen, was dich schreckt. So fängst du an, eine so handelnde wie seelische Beziehung zur Welt herzustellen. Ich glaube, das ist die Ausgangslage, worin sich meist der Mensch vorfindet und die für die meisten Dichter einen Beginn ihrer Tätigkeit vorstellt. Die Spuren zum Beispiel bei Thomas Mann.

Anders ich. Habe aggressiv begonnen und mich orientiert, indem ich das Bild der Welt in den höchst unvollkommenen Rahmen meiner Ideen preßte. Das heißt natürlich bloß mehr als andere. Der Wunsch, das Gesetz zu diktieren, unterscheidet sich vom Wunsch, gut zu liegen zu kommen, und von der staunenden Frage: wie liege ich denn überhaupt da?: so ungefähr wäre es auszudrücken.

Die starke Realistik des Denkens kommt erst innerhalb des zuvor geschehenen eigenen Zurechtbildens zum Wort.

Und erst Mitte 40 und 50 hole ich die erstaunte Frage nach: wie bin ich geworden, bin ich recht geworden usw.?

 

Das Verhältnis des Dichters zu seiner Zeit. Daß man nicht mitgeht, zurückbleibt, den Anschluß versäumt, nicht beiträgt und ähnliches: Ich habe mich spezifisch dichterisch geöffnet: Dostojewski, Flaubert, Hamsun, d'Annunzio und andere: Nicht ein Zeitgenosse ist darunter gewesen! 20-100 Jahre früher haben sie geschrieben!

 

Das Favorisieren der [Landsmännischen] Lokaldichter (Rosegger usw.) ist auch ein Symptom des Verfalls des allgemeinen Begriffs der Dichtung.

 

Wenn ich bedenke, welche Erfolge ich mit angesehen habe! Von Dahn und Sudermann bis George und Stefan Zweig! Und da erklären sie es für Snobismus oder Dekadenz, wenn man das Publikum verschmäht! Erklär dir, wie es wirklich ist.

 

Mein Begriff der Literatur, mein Eintreten für sie als Ganzes, ist wohl das Gegengewicht zu meiner Aggression gegen die einzelnen Dichter. Gewiß anerkenne ich vorbehaltlos, wo ich es tue, aber ich werde viel öfter abgestoßen als angezogen. Mit der Zeit mag sich auch eine Unart daraus gebildet haben. Ich mache mir darum einen utopischen Begriff der Literatur.

Wenn ich doch endlich zum Schreiben darüber komme, muß ich es mir zur Haltung wählen. Immer der Literatur geben, was ich dem Einzelnen abspreche!

 

Eigentlich müßte doch meine Lebensgeschichte dadurch interessant sein, daß ich ein sehr disziplinierter Schriftsteller, ein strenger, bin, meine Aszendenz aber allerlei Belastendes aufweist. Meine ruhigen Großeltern. Ihre »originellen« Söhne. Der epileptische, früh verstorbene Sohn mit dem inselartigen Zahlengedächtnis. Der geisteskranke Vorfahre, von dem ich augenblicklich nicht weiß, ob er der Erblinie angehört oder einem Seitenzweig.

Psychisch übergegangen auf mich durch die Mutter. Ich will ihren Wunsch erfüllen, nichts Schlechtes von ihr zu reden. – Die heroische, edle Seite ihres Charakters, ihre Kindesliebe zu Vater und Brüdern. Was kann vom übrigen gesagt werden? Große nervöse Reizbarkeit; Heftigkeit und Weiterbohren eines Reizes bis zum Ausbruch. Heftigkeit übergehend in Weinkrampf. Abhängigkeit dieser Vorgänge von inneren. Auf gesteigert glückliche oder verhältnismäßig harmonische Tage folgte unweigerlich ein zum Ausbruch treibender. Der Zusammenhang mit ihrer Ehe unklar. Sie hat meinen Vater geschätzt, aber er hat nicht ihren Neigungen entsprochen, die anscheinend in der Richtung des männlichen Mannes gegangen sind. Späterhin hysteroide Züge. Aber auffallenderweise ohne Lüge, auch ohne Theatermachen. Also wohl eher ein nervöses Nichtzurechtkommen mit etwas, das zur krampfartigen Reaktion geführt hat, wie es bei schwachen Personen auch ohne Hysterie vorkommt. In dieser Art ein Kampf um meine Sohnesliebe und Sohnesbewunderung.

Aber niemals ein Streit der Eltern um die Vormacht über das Kind.

Immer die Form der Heftigkeit. Von mir teils aus gleicher Anlage erwidert; auch ich bin von Natur heftig, auch ich steigere mich nervös, anstelle eines ruhigen Entschlusses. Diesen, die normale Reaktion, habe ich niemals kennen gelernt. Mein Vater hat nur gesucht, mit guten Ermahnungen auf mich einzuwirken. Ich habe immer den Eindruck gehabt, daß er bei diesen Streitigkeiten beiseite trete. Als wollte er nicht entscheiden. Er ist seltsam gewesen. Andernteils hat mir der knabenhaft-männliche Bereich mitgesprochen, der sich von einer Frau nicht auszanken lassen wollte. So war in dem Verhältnis auch etwas Geschlechtlich-Polares, ohne daß wir es spürten. Um mein zehntes Jahr haben sich diese Szenen so gesteigert (es ist bei uns wohl auch ein intellektueller Protest dabei gewesen, ich wollte meine »geistige« Unabhängigkeit haben, und ein wiederkehrender Vorwurf war der, daß ich nicht kindlich-liebevoll sei), daß ich im Einvernehmen aller drei in ein Institut gegeben worden bin.

Bei meinem Vater haben wohl auch die Aussichten auf die Laufbahn mitgesprochen.

 

Die Schilderung einer »k. u. k. Militär-Erziehungs- und Bildungsanstalt« wäre seltsam genug, auch abgesehen von der Wichtigkeit des Zöglings für die spätere Politik.

Die Umformung im Törleß.

Die Wahrheit. – Gehörte sie zur Franzisco-Josephinischen Ära oder ist der Ursprung älter? Es war noch etwas daran wie der Grundsatz, der Offizier solle aus der Mannschaft hervorgehn. 48? Grenzergeist? Gleiche Grundidee wie die alte Kadettenschule? Ich müßte nachlesen. Sagen wir, spartanisch.

Die Erziehung war, mit Ausnahme der Akademie, fast ganz unteroffiziersmäßig. Die Lehrgehilfen und der Klassenfeldwebel (und meine Opposition gegen ihn). Die Monturen und das Schuhwerk. Die bloß nicht passende Paradeuniform und die aller Beschreibung spottenden Schulmonturen. Ärger als Sträflinge. Die Waschgelegenheiten und »Globusterbeeren«. Die Abtritte.

Dabei ein Bild der Schulwiese in Eisenstadt mit den überall turnenden Zöglingen.

Meine Reinlichkeit heute noch eine Überkompensation?

Warum haben meine Eltern nicht protestiert? Heute noch unverständlich. Mensch!

 

Man hat mir in meiner Kindheit und Jugend oft gesagt: du bist wie dein Großvater (vaterseits)! Das hieß: eigensinnig, energisch, auch erfolgreich, schwer umgänglich, und doch mit einem Unterton der Achtung gesagt. Es wurde nie ins Einzelne verfolgt, erklärt und beurteilt. Ich habe es immer gern gehört. Solche Kindern gemachte Bemerkungen sind wichtig; ungreifbar, werden sie zu Leitsternen, stärken die Eigenliebe auf fruchtbare Art usw. Das Merkwürdige ist das Hereinspielen des Halbausgesprochenen, Phantasieanregenden. Es hat etwas vom Wesen des dichterischen Vergleichs.

 

Ich erinnere mich, daß Hofmannsthal die Grigia sehr gelobt hat, aber den Einwand machte, daß es nach seiner Meinung bedauerlich sei, daß ich der Konstruktion der Erzählung, dem Rahmen, nicht mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte. Ich erinnere mich, geantwortet zu haben, daß, und wohl auch warum, ich es mit Absicht unterlassen hätte, ohne jedoch tiefer auf diese Frage einzugehen.

Heute ist mir eingefallen: Ich habe dem Einwand eigentlich immer recht gegeben und mir den gleichen Vorwurf gemacht; Eile und teilweis Gleichgültigkeit haben sich im Gedächtnis als Ursachen befestigt.

 

Vielleicht ließe sich sagen: Die Wissenschaft strebt nach dem Allgemeinen, die Kunst nach dem Exemplarischen.

 

Mein Großvater ist ein Mann gewesen, der seinen Kreis durchbrochen und dabei Erfolg gehabt hat. Mein Vater hat ganz innerhalb des ihm Gegebenen gestrebt, durchaus in Anpassung an die Möglichkeiten, und nur zuletzt (Wien, Graz) ohne Erfolg. Ich bin wie mein Großvater (meinem Vater eigentlich unverständlich), aber ohne Erfolg. Alois [berühmter Orientalist, Mitglied der Royal Society] hat das Schicksal meines Großvaters, seines Großonkels, wiederholt.

«Er ist der größte heute lebende Dichter!« Sie sollten sagen: den ich noch verstehe!

 

Wenn es mir geschmeichelt hat, daß Philosophen und Gelehrte meine Gesellschaft gesucht und meine Bücher vor anderen ausgezeichnet haben, welch ein Irrtum! Sie haben nicht meinen philosophischen Gehalt gewürdigt, sondern sie dachten, hier wäre ein Dichter, der den ihren verstünde!

 

Ich bin nicht redselig (und auch nicht unmittelbar schreibselig): welche Paradoxie für einen Dichter! – Aber aufs völlig Ausgebrannte, wie ein Philosoph, gehe ich auch nicht. Ich gleiche einem Hund, der seinen Knochen beiseite trägt, indem ich das im Lauf der Konzeption oder Aufnahme Überdachte »sich setzen« lasse, oft auf Nimmerwieder, manchmal bis ein neuer Einfall davon Gebrauch macht. Man könnte das zum Teil wohl auch Phantasiemensch nennen. Aber es gibt eine versenkte Phantasie und eine geschäftige. Die versenkte Phantasie des stillen Kindes, durchkreuzt von einer gewissen Anlage zum Geschichtenausdenken, ist meine gewesen.

 

Ich weiß nicht, wozu man lebt: könnte ich sagen. Was lockt, lockt mich nicht. Schon von Kindheit an. Mit wenigen Ausnahmen. Das ist der unfröhliche und »unappetitive« Mensch. Nach der vorherrschenden Psychologie, wäre da nicht zu erwarten, daß ich mir die Genüsse durch Schreiben verschaffe? Ich schreibe aber auch nicht gern, wiewohl leidenschaftlich. Wahrscheinlich muß man das Leben lieben, um leicht zu schreiben. Es müßte also locken, und dazu eine Umleitung auf die Schreiberfüllung. Der Mensch, dem nichts dafür steht, welche Spezialität ist der?

 

(Ende September 1939 in Genf) Gestern habe ich, etwas suchend, viele Hefte durchblättert, was mit großer Niedergeschlagenheit endete. Manchmal ein guter Einfall, fast nie ein Fortschritt. Es kommt freilich auch davon, daß sich ganze Hefte mit einer speziellen Situation beschäftigen, z.B. mit den Vereinigungen. Aber ich habe nie etwas über die Anfänge hinausgeführt (allerdings die Bücher, die Narben davon tragen, beendet). Es hätte so nahe gelegen, die Überlegungen ordentlich auszugestalten; das wären Abhandlungen oder Bücher geworden, die ein kleines Lebenswerk ergäben.

Aber ich habe es weder gewollt noch fühle ich mich selbst heute dazu imstande ... Ich hatte gestern den Eindruck einer Person, die nichts taugt und nicht bestimmt war, etwas Bedeutendes zu erreichen.

 

Dabei ist mir eingefallen: wenn es noch eine Rettung geben sollte, müßte ich wohl nicht aus diesen Heften schreiben, denn zu Ende werde ich diese Gedanken niemals führen können, ja nicht einmal zur Bedeutung; sondern ich müßte über diese Hefte schreiben, mich und ihren Inhalt beurteilen, die Ziele und Hindernisse darstellen. Das ergäbe eine Vereinigung des Biographischen mit dem Gegenständlichen, also der beiden lange miteinander konkurrierenden Pläne.

Titel: Die 40 Hefte.

Haltung: die eines Mannes, der auch mit sich nicht einverstanden ist.

 

Ein Grundfehler: Fremde Schmerzen, Bemühungen, Leistungen vermag ich selten anzuerkennen, nehme sie als selbstverständlich hin: darum lehne ich als Kritiker auch so leicht ab und sehe nur auf das Defizit statt auf die Addition. Ein Junge, der immer voll Anerkennung für die Güte oder das Können anderer war, könnte einen anderen, aber guten Typus Kritiker, einen wahren Ordner, ergeben.

 

Meine Bescheidenheit: Ich bin auf das äußerste vielseitig ungebildet ... (Ich bin von sehr vielseitiger Unwissenheit.)

 

Als einer der stärksten alten Kriegseindrücke fällt mir nach und nach (und mit einemmal) auf, daß ich plötzlich von lauter Menschen umgeben war, die nie ein Buch lasen; daß man Bücher schreibe, außer fachlichen, sich nicht als etwas Anständiges vorstellen konnten; und es für völlig richtig hielten, daß man die Zeitung, und nichts als die Zeitung, lese. Ich glaube, daß sich höchstens in jedem Bataillon ein Mensch fand, der wußte, was lesen ist. Welche unerwartete und breite Berührung mit dem Durchschnittsleben! (Siehe: die Notiz über den Fachbeirat, der nur Blätter großer Parteien las.)

 

Einen Brennofen (Porzellanbrennerei, Ziegelbrennerei) kann man nicht in jedem Augenblick öffnen: Erklärung, weshalb die Arbeit, auch wenn sie nur schleichend von statten geht oder wenn ich nicht arbeite, nicht gestattet, einen Brief zu schreiben.

 

Es scheint eine für mein Leben typische Situation zu sein: Ich befinde mich in Genf und kein Mensch kennt mich, zu keiner die Kunst berührenden Veranstaltung werde ich eingeladen, Prof. Bohn.[enblust], der kleine Papst, schneidet mich. Und ähnlich in der ganzen Schweiz. Es erinnert an das Brünn früher Jugend, wo Strobl für eine das Höchste versprechende Erscheinung galt und ich für den ›Paraphrasen‹-macher.

 

Morgens spontan den Einfall gehabt: Es gehört eigentlich ins 40. oder 50., aber nicht ins 60. Jahr: Wer und wie bist du? Was sind deine Grundsätze? Wie gedenkst du das abzurunden?

Jedenfalls ein Schriftsteller dieser Epoche. Mit viel und wenig Erfolg. Das ist interessant genug.

Oft das starke Bedürfnis, alles abzubrechen. Halte dann mein Leben für verfehlt. Habe kein Vertrauen in mich; schleppe mich aber arbeitend weiter, und aller zwei, drei Tage scheint es mir einen Augenblick wichtig zu sein, was ich schreibe. Ich habe auch nach mir und meinen Erfahrungen und Grundsätzen so zu fragen, wie es diesem Zustand entspricht. Nicht weil es interessant sein könnte, sondern weil es in einer Lebenskrisis geschieht. Davon fiele auch genug Licht auf die Umzeit.

Beschluß: (wie lange hält er vor??): So will ich das Buch zum 60. Jahr schreiben! So könnte ich schon die Anfangslinien ziehen.

 

Ich kann aus verschiedenen Gründen nicht in dieser Zeit für mich plädieren. Ich erwarte auch keine bessere. Ich kann sie höchstens supponieren. Am Vielleicht.

 

Je älter man wird, desto mehr findet man sich ab.

Man hängt weniger am Leben (Hat es satt). Einesteils, weil man seine Traurigkeit usw. kennt. Andernteils, weil die Triebe nicht mehr so hungrig und unabgenutzt (scharfe Messer) sind wie in der Jugend. Auch fügt man sich mit der Zeit ins Unentrinnbare. Das ist ein großes Heil.

In welchem Maße tritt auch ein positives, metaphysisch beeinflußtes Verhältnis hinzu? Wende beim Tod meiner Mutter.

(Das meiste gilt für den Menschen der 2 großen Kriege schlechthin.)

Die »Lebensgefährtin« – Neben vielen recht zweifelhaften Lebenseinfällen hat die Sozialdemokratie während der Zeit ihrer Herrschaft dieses Wort und diesen Begriff hervorgebracht. – Gefährtin ohne Sakrament und staatlichen Zwang. Bloß Würde des Menschenlebens. – Gemeinsame Hinnahme von Freud und Leid durch viele Jahre ist keine Leidenschaft, aber eben etwas mehr an die Konstitution Gehendes. – Bestimmtsein, gemeinsam das Leben zu tragen. Seine ungeheure Zweideutigkeit und Unverläßlichkeit. – Man ist von Kind auf bestimmt für eine solche Gemeinschaft. Man will die Lebensgefährtin haben, ehe noch das Geschlechtliche fertig und anwendungsbereit ist. Solche Menschen können füreinander bestimmt sein. – Das Geschlecht ist eine der Naturgewalten, denen sie sich gemeinsam ausgesetzt sehen. – Sie wecken es nicht ineinander, sie empfangen es voneinander. – Es ist gut, wenn sie sich nicht jungfräulich gefunden haben. – Sie wandeln das Heimtückische in Vertrauen. – Keiner nimmt dem andern ein Stück Welt fort – Es gehört dazu, daß einer den andern bewundert, in dem Maße als der es braucht. Oder wenn er es nicht tut (Schönheit, Lyrik), daß der es einsieht. Oder daß sie sich gemeinsam wundern (nicht bewundern), beisammen zu sein. – «Ergänzen« ist angenehm, aber bewundern muß doch auch dabei sein. – Nachgiebigkeit, die den Eigensinn nicht dadurch beleidigt, daß sie zu allgemein ist usw: es gehört viel einzelnes hiezu. – Ich kannte eine glückliche Ehe; er schauspielerisch ehrgeizig und erfolgreich, sie intrigant ehrgeizig, förderte ihn durch Ehebrüche, von denen er nichts wußte, als daß er die mirakulösen Erfolge bewunderte. – Im allgemeinen sind Gemeinschaften besser, denen der Ehebruch u ä. vorangegangen ist.

 

Ich werde einmal sagen müssen, warum ich für die »flache« Experimentalpsychologie Interesse habe und warum ich keines für Freud, Klages, ja selbst für die Phänomenologie habe.

 

Zu meinem Verhältnis zur Politik gehört: Ich bin ein Unzufriedener. Die Unzufriedenheit mit dem Vaterland hat sich sanft ironisch niedergeschlagen im Mann ohne Eigenschaften. Ich bin aber auch von der Untauglichkeit des Kapitalismus oder des Bürgertums überzeugt, ohne daß ich mich ja für seine politischen Gegner hätte entschieden. Gewiß darf der Geist unzufrieden mit der Politik sein.

Aber der Geist, der da keine Kompromisse versteht, wird ausgleichenden Männern als zu individualistisch erscheinen.

 

Von der Realität ausgehend: Das Nebeneinander von Interessen ganz verschiedener Dimension in mir. Die Zukunft und Schuld Deutschlands und der Welt und mein Bedürfnis, mein Werk richtig hinzustellen. So etwas ist störend, zugleich aber auch der reale Ausgangspunkt!

Aufzeichnungen eines Schriftstellers nähme es auf unpersönliche Art. Ich müßte aber auch eine Art haben, wenn nicht mein Werk, so doch meine (einstige) Absicht wichtig zu nehmen. Soweit das nun in den jetzigen Problemkreis des Mann ohne Eigenschaften mündet, ginge es verhältnismäßig leicht. Wie aber die älteren Sachen? Unzeitgemäßer, so berühmter wie unbekannter Schriftsteller? Gegenteil in allem eines Großschriftstellers! Oder einfach Rekonstruktion des schier unbegreiflichen Wegs. Ausgehend von der Jugend, die das Genie, das alles anders machende, im Leibe fühlt? Dazu müßte aber auch der Endpunkt, der Zustand bestimmt sein, in dem die Niederschrift erfolgt. Beherrscht mich Hoffnung, und welche, oder Müdigkeit? Die Wahrheit ist wohl: Überdruß. Aber das ist kein Schaffenszustand. Die Wahrheit ist: Ich beanspruche keinen Erfolg. Aber warum denn nicht? Ich habe ihn doch beinahe! Die Antwort führte wohl auf das Utopische oder die utopischen Voraussetzungen meines Werks. Auf: Literatur als Utopie. Auf den nicht appetitiven, kontemplativen Menschen, für den auch biographisch vieles spricht. Die Ergänzung müßte sein: Bestimmung seiner Funktion und Aufgabe in der wirklichen Welt ...

 

Unentschlossenheit: die Eigenschaft, die mich am meisten gequält hat, die ich am meisten fürchte.

 

Ich halte es für wichtiger ein Buch zu schreiben als ein Reich zu regieren. Und auch für schwieriger.

 

Jeder erlebt die Symbole seiner Zeit. Bloß werden sie ihm oft erst spät verständlich.

 

Einfall: Ich bin der einzige Dichter, der keinen Nachlaß haben wird. Wüßte nicht wie.

Theoretisches zu dem Leben eines Dichters (1935)

(Entwurf einer Vorrede zum «Nachlaß zu Lebzeiten«)

Es muß ein Bedürfnis nach nachgelassenen Schriften geben, denn sonst gäbe es diese Schriften nicht in solcher Anzahl; aber mir ist es, weiß Gott, fremd. Die Herausgabe von Nachlässen ist mir selten anders als eine übelangebrachte Ehrfurcht erschienen; wenn es überhaupt Ehrfurcht ist, und nicht unter deren Vorwand Geschäftigkeit und Geschäftsgeist und Ausbeutung der verzeihlichen Schwäche, die das Publikum für einen Dichter hat, der es zum letzten Mal in Anspruch nimmt.

Nicht umsonst hat schon das Wort Nachlaß einen verdächtigen Doppelgänger in der Bedeutung, etwas billiger zu geben. Auch der Nachlaß des Künstlers enthält das Unfertige und das Ungeratene, das Noch nicht- und das Nichtgebilligte. Außerdem haftet ihm die peinliche Berührung von Gemächern an, die nach dem Ableben des Besitzers der öffentlichen Besichtigung freigegeben werden. Ich weiß freilich, daß es auch wunderbare und überraschende Nachlässe gibt ...

 

Man muß genauer sein, wenn man schon darüber reden will. Es gibt fünf Arten Nachlässe. Erstens, die blühenden. Der Lebende kann gerade in einer Wandlung gewesen sein; oder er war in seinem öffentlichen Werk von ästhetischen Repräsentationspflichten behindert, die er sich selbst auferlegt hat, und ist dort, wo er sich unbefangen gibt, quellenreicher, als man dachte. In diese Gruppe gehören als geheimes Anstück auch die nicht zu veröffentlichenden Nachlässe und die im voraus erst zur posthumen Veröffentlichung bestimmten Urteile über Zeitgenossen und Zeiterscheinungen. Eine zweite Gruppe bilden die Nachlässe, durch die ein Autor überhaupt erst nachträglich ersteht; ich glaube, Büchner wäre ein großes Beispiel dafür, aber auch Novalis. Eine dritte Gruppe bilden die lehrreichen. Unfertige Zustände, wie der prachtvoll angelegte [Lucien] Leuwen Stendhals, der doch noch nirgends die letzte Farbe hat; Abwandlungen wie die Schriften Nietzsches bei schon deutlicher Krankheit gehören dazu, auch Vorstudien u ä. Das erlaubt ungemein wichtige Schlüsse, die allerdings meist auf sich warten lassen, gehörte aber eher in die ästhetische Prosektur als hinter offene Türen. Die letzte Gruppe der Nachlässe bilden dann erst die überflüssigen.

Zu diesen wird jedenfalls der meine gehören.

 

Was immer sich sonst noch darüber sagen ließe, ich habe beschlossen, die Herausgabe meines Nachlasses zu verhindern, ehe es soweit ist, daß ich das nicht mehr tun kann; als ein Mittel dazu fange ich an, ihn selbst herauszugeben.

Man mag billig einwenden, ob ich denn so sicher sei, daß man es mit mir überhaupt versuchen werde. Darauf vermag ich aber Rede zu stehen, denn es wird ganz davon abhängen, wann ich die Ehre haben werde, kein gegenwärtiger Mensch mehr zu sein. Wäre ich ihrer z.B. mit 27 Jahren, oder mit... Jahren teilhaftig geworden, ich hätte einen Nachlaß bekommen, selbst wenn es nicht anders gegangen wäre, als auf die Schulaufsätze zu greifen! Das waren Zeiten der Literatur, wo es den Toten besser erging als heute den Lebenden!

In vielen dazwischen liegenden Jahren hätte ich dagegen die deutsche Literatur höchstens mit dem Abgangszeugnis verlassen: Betragen ungewöhnlich; Begabung zart, wenn auch zu Ausschreitungen neigend (Noch heute werde ich in einem vielbenutzten österreichischen Schullesebuch als »perverser« Schriftsteller angeführt); hat, nach überschätztem Anfang, mäßige Beachtung in einem Kreis von Liebhabern des Besonderlichen gefunden. Das wäre noch freundlich gewesen.

Ich habe mir vorgenommen, das zum allgemeinen Nutzen heute etwas eingehender noch auszuführen.

 

Mein erster Erfolg ist mit meiner ersten Veröffentlichung »Die Verwirrungen des Zöglings Törleß« zusammengetroffen. Er hat sogar bis heute angedauert, aber in jenen Jahren galt der kleine Roman, den ich geschrieben hatte, dreifach: als das starke Wort einer neuen »Generation«, als ein Schlüsselwerk des Erziehungswesens, und als Gesellen-, wenn nicht Meisterstück/Antritt/erstes Auftreten/Antrittsrede/Probestück/eines jungen Dichters, in den man die größten Erwartungen setzte. Ich bekam kritische Zustimmung und eifrige Anfragen aus aller Welt.

Abgesehen von dem Gewinn der Freundschaft einiger bedeutender Kritiker, die größtenteils auch vorgehalten hat, schien dieser Erfolg aus einer Reihe von Mißverständnissen zu bestehn. Man rühmte an mir die »Psychologie« und den »Realismus«, und viele glaubten ein »Erlebnis-«, wenn nicht gar »Bekenntnisbuch« vor sich zu haben; namentlich Pädagogen wollten von mir »Genaueres« erfahren, worin ich sie in meinen Antworten dann nach Kräften enttäuschte.

 

Die Wahrheit war, daß ich auf den vorgezeigten »Stoff« selbst gar keinen Wert legte. Natürlich hatte ich Ähnliches mit eigenen Augen einmal gesehn, aber es bewegte mich persönlich so wenig, daß ich es zwei Jahre, bevor ich es selbst benutzte, einem anderen jungen Schriftsteller erzählte, dessen krasser Realismus mir für diesen Stoff viel geeigneter erschien, und ihm fest versicherte, daß dies ein Stoff für ihn wäre, aber nicht für mich. (Ich selbst versuchte mich damals in einer Art lyrischer Meditationen) Soviel über das »Erlebnis- und Bekenntnisbuch«. Warum ich dann (1902/03) doch den Stoff selbst anpackte, weiß ich nicht mehr zu sagen; ich glaube es geschah in einer besonderen Lebenslage aus Langweile und auch, weil ich mich, nachdem ich für meine Gedankenpoesie keinen Verleger gefunden hatte, etwas fester auf die Erde stellen wollte.

 

Länger haftete mir der Ruf des Psychologen an. Ich habe mich von Anfang an gegen ihn gewehrt (und konnte es tun, weil ich wirklich Psychologie studiert hatte und damals sogar auf ein Haar an einer Universität für sie habilitiert worden wäre). Denn was an einer Dichtung für Psychologie gilt, ist etwas anderes als Psychologie, so wie eben Dichtung etwas anderes als Wissenschaft ist, und die unterschiedslose Anwendung des Worts hat wie jede wichtige Aequivokation schon viele verwirrende Folgen gehabt. Ich glaube, die Unterscheidung wird sogar heute noch nicht genug beachtet und z.B. fast jedes Mal außer acht gelassen, wenn sich Forscher auf Dichter berufen, als sollten ihnen diese das Material oder eine fertige Vorstufe liefern.

Die Unterscheidung selbst ist einfach: Dichtung vermittelt nicht Wissen und Erkenntnis.

Aber: Dichtung benutzt Wissen und Erkenntnis. Und zwar von der inneren Welt natürlich genau so wie von der äußeren.

Wie sie sich verflechten, ergänzen und teilen sollen: es ginge nicht nur über den Rahmen von »Bemerkungen« hinaus, sondern es kann auch noch gar nicht als aufgeklärt gelten. Doch was mich selbst betrifft, will ich auf 2 Folgerungen aufmerksam machen:

 

Ich habe die Antwort mit Anstrengung zu suchen begonnen, als ich mein zweites Buch schrieb, die 2 Novellen Vereinigungen, und vornehmlich deren erste. Das Anekdotische dieses Falls ist so: Ich war aufgefordert worden, in einer literarischen Zeitschrift, der von F[ranz] B.[lei] damals herausgegebenen ..., eine Erzählung zu veröffentlichen. Meine Absicht war, mir schnell und ohne viel Bemühen eine Gelenkprobe zu geben und die übliche galante Erzählung ein wenig im Sinn irgendwelcher Gedanken, die mich gerade beschäftigten, zu spiritualisieren. Das sollte mich 8 bis 14 Tage kosten.

Was daraus wurde, war ein 2½jähriges verzweifeltes Arbeiten, währenddessen ich mir zu nichts anderem Zeit gönnte.

Verschärft dadurch, daß der Effekt – eine kleine Erzählung, deren Rahmen keine Ellbogenfreiheit gewährte – unmöglich dem Arbeitsaufwand entsprechen konnte.

Was schließlich entstand: Eine sorgfältig ausgeführte Schrift, die unter dem Vergrößerungsglas (aufmerksamer, bedachtsamer, jedes Wort prüfender Aufnahme) das Mehrfache ihres scheinbaren Inhalts enthielt. Ich hatte nichts getan, um das zu erleichtern. Im Gegenteil, selbst die Interpunktion gliederte den Inhalt nicht für den Leser, sondern nur für das gewählte Gesetz. Ich habe sogar eine vorsichtige, liebenswürdige und kluge Bitte des Verlegers eigensinnig abgelehnt.

Für mich entstand ein großer Mißerfolg daraus.

Wieder zeigt sich, was so oft geschieht, daß Erstlingswerke Blender sind: schrieben die, denen ich schon anfangs nicht gefallen hatte. Schrieben, die ein Erlebnisbuch begrüßt hatten. Schrieben aber auch die meisten meiner Gönner. Mir sind im ganzen Leben sehr wenig Menschen begegnet, die gespürt hatten, was dieses Buch sein sollte und gewiß z.T. auch ist.

Es ist das einzige meiner Bücher, worin ich heute noch manchmal lese. Ich ertrage keine großen Stücke. Aber ein bis zwei Seiten nehme ich jederzeit – abgesehen von bestimmten schmerzlichen Ausdrucksmängeln – gern wieder in mich auf.

Was sich in diesen 2½ Jahren vollzogen hatte und die angesponnenen Überlegungen fortzusetzen gestattet, bedeutete zweierlei: 1) die Abwendung / deutliche Wendung: denn schon im Törleß war es angedeutet / vom Realismus zur Wahrheit 2) von der Psychologie, die ein realistisches Element ist, zu etwas ihr Ähnlichem und doch von ihr gründlich Verschiedenem, dem ich zunächst keinen Namen geben will.

ad 1) Was der Realismus unter Wahrheit verstanden hat, war: Aufrichtigkeit, Mut, Schilderung der Dinge, wie sie wirklich sind, ohne sie zu beschönigen. Das ist gut, das sollte unvergeßlich sein, aber das ist zu wenig.

(Ein Wahrheitsbuch. Was man unter Wahrheit verstanden hat) (Mit einer als Reaktion verständlichen Neigung zum Brutalen) Es ist klar, daß Wahrheit nicht sowohl ein relativer Begriff in die Breite ist, da nebeneinander das Verschiedenste für wahr gilt, als auch in die Tiefe relativ ist. Die Wahrheit des Realismus ist die einer getreuen Schilderung der Oberfläche gewesen. Die Gliederung in die Tiefe führt dagegen auf die Frage, wie sich Dichtung mit Wahrheit überhaupt verträgt, welches wunderliche Zusammenleben sie mit ihr führt.

Wozu benutzt Dichtung Erkenntnis? Inwieweit ist sie an die Wahrheit gebunden? Wie behandelt sie sie? Was ist sie, wenn weder Photographie noch Phantasie, Spiel, Schein? Ohne Zweifel wäre es schwer, wenn nicht unmöglich, darauf eine ausreichende Antwort zu geben. Eine Reihe von Fragen, jede interessant, keine endgültig zu beantworten. Ich habe einigemal Skizzen dazu veröffentlicht, aber sie erheben nicht den Anspruch zu genügen. Wahrscheinlich bestünden da zuerst sogar mehrere Theorien gleichberechtigt nebeneinander.

Ich weiß nicht einmal, ob ich das, wofür ich mich persönlich entschied, richtig wiedergebe, wenn ich sage: Die Dichtung hat nicht die Aufgabe das zu schildern, was ist, sondern das was sein soll; oder das, was sein könnte, als Teillösung dessen, was sein soll.

Mit anderen Worten: Dichtung gibt Sinnbilder. Sie ist Sinngebung. Sie ist Ausdeutung des Lebens. Die Realität ist für sie Material. (Aber: Sie gibt auch Vorbilder. Und sie macht Teilvorschläge) Zwei Fragen knüpfen sich daran, a) Was ist Sinn? b) Tut sie wirklich nichts sonst?

Zu a) Sinnvolles Erfassen ist etwas anderes als nüchternes Verstehen. Es ist nicht nur Verstandes-, sondern in erster Linie Gefühlsordnung. Sinngebung ist jedenfalls auch innere Lebensgebung. Ohne Frage, sie ist – was ja auch schon ausgesprochen wurde – mit dem Religiösen verwandt; sie ist ein religiöses Unterfangen ohne Dogmatik, eine empiristische Religiosität. Eine fallweise.

Die Lösung solcher Fragen liegt am Ende unendlicher Prozesse.

 

Aber wenn sie auch so gut wie unmöglich ist, der einzelne Schritt erscheint uns viel bestimmter. Der Unterschied, etwas sinnvoll und es sinnarm zu erleben, ist bekannt. Es muß nicht der letzte Sinn sein. Und so ist es auch in der Kunst.

Wir erfassen etwas nicht gedankenlos und unbeteiligt oder mit konventioneller Beteiligung, sondern wir werden aufgerührt, werden erweckt (d.h. in ganz neue Gefühls- und Gedankenzustände geworfen), wir lernen uns selbst gegenüber und dem Leben gegenüber um.

Ich habe Dichtung einmal eine Lebenslehre in Beispielen genannt. Exempla docent. Das ist zuviel. Sie gibt die Fragmente einer Lebenslehre.

 

Zur Dichtung gehört wesentlich das, was man nicht weiß; die Ehrfurcht davor. Eine fertige Weltanschauung verträgt keine Dichtung. Sie muß für sie ein KPQ [Kriegspressequartier] errichten. Eine Speichelleckerabteilung.

Das gilt für alle Arten vermeintlich fertiger Weltanschauungen.

Dichtung ist lebendiges Ethos. Gewöhnlich eine Schilderung moralischer Ausnahmen. Aber von Zeit zu Zeit auch eine Zusammenfassung der Ausnahmenmoral.

 

Hier knüpfen alle die Fragen an: Dichtung und vollkommener Staat. Dichtung und Handeln. Dichtung und Politik. Die Ausnahmestellung und die Wichtigkeit des Dichters.

 

Zu b) (s.o): Sie tut sogar in erster Linie anderes. – Wirkliche Dichtung unterscheidet sich von alltäglicher sofort anders: Dichte der Beziehungen (Inbeziehungen). Reinheit der Gestalt (Strenge der Form), Vermeidung alles Überflüssigen (kürzester Weg), Größe der Sprache (an einem Wort läßt sich oft der Dichter sofort fühlen); wie wir an einer eintretenden Person sofort bemerken, daß sie eine Persönlichkeit ist, fühlen wir es auf der ersten Seite eines Buchs; dann aber auch Eigenschaften wie: Erzählerischkeit, Spannen, Vorgänge, fesselndes Milieu usw.

Man faßt es als die formale Gruppe der Eigenschaften zusammen.

Über das Verhältnis von Form und Inhalt siehe [den Essay] Literat und Literatur [1931]

zT. ist das einfach historisch-Handwerklich.

Man muß es können. Die Frage des: warum, entscheidet da nicht. Warum gibt es überhaupt Dichtung (und nicht bloß Essay)?

 

Das war der in den Vereinigungen angebahnte Weg.

Es bleibt die Frage nachzuholen, wie sich das im Verhältnis der Dichtung zur Psychologie ausdrückt. Ich hatte den Weg zu beschreiben, der von einer innigsten Zuneigung beinahe bloß binnen 24 Stunden zur Untreue führt. Es sind psychologisch hundert und tausend Wege. Es hat keinen Wert, einen von ihnen zu schildern. (Er kann den größten Wert haben: ./.) Die Psychologie zeigt uns aber vielleicht einen oder den anderen von besonderer Bedeutung. Typologie des Ehebruchs. Doch ist das nicht Sache des Dichters. S. -logie. Es ist eine Vernunftfrage.

Persönlich bestimmend war, daß ich von Beginn an im Problem des Ehebruchs das andere des Selbstverrats gemeint hatte. Das Verhältnis des Menschen zu seinen Idealen.

Wie immer aber: ich war nicht determiniert. Ich hatte so viel Ursache einen bestimmten Ablauf wie viele andere zu beschreiben.

Da bildete sich in mir die Entscheidung, den »maximal belasteten Weg« zu wählen / den Weg der kleinsten Schritte / den Weg des allmählichsten, unmerklichsten Übergangs/.

Das hat einen moralischen Wert: die Demonstration des moralischen Spektrums mit den stetigen Übergängen von etwas zu seinem Gegenteil.

Es kam aber hinzu und entschied ein anderes Prinzip. Ich habe es das der »motivierten Schritte« genannt. Seine Regel ist: Lasse nichts geschehen (oder: tue nichts), was nicht seelisch von Wert ist. D.h. auch: Tue nichts Kausales, tue nichts Mechanisches.

Ich will nicht behaupten, daß dies ein gutes Prinzip ist, nicht einmal ein durchführbares und eindeutiges. Ich bin jetzt erst dabei (Mann ohne Eigenschaften) dieses Prinzip in seinen Beziehungen zur Welt näher zu untersuchen.

Aber es ist ein heroisches Prinzip (damals – nicht heute! – gewähltes Wort). Ein prometheisches. Eines das die Kampfkräfte der Seele vom Unfug ablöst und dem Wesentlichen dienstbar macht. Ein – wie mir schien – weiterführend-klassisches. Es ist das Prinzip der Größe.

Es bestimmt nicht, was man tun soll, sondern wie man es tun soll. (Zu diesem moralischen Grundsatz siehe wieder Mann ohne Eigenschaften)

Aber es ist nichts weniger als eindeutig. Es ist bestimmend, aber die ergänzenden Bestimmungen bis zur eindeutigen Wahl dessen, was niederzuschreiben ist, erfolgen aus der Einengung durch den gewählten Stoff udgl.

In der Tat sind die Vereinigungen (Claudine) ein aufs genaueste ausgeführtes Vorerleben ohne tote Strecke. Ein Erleben, das scheinbar durch den leisesten Hauch von außen bewegt wird, im Entscheidenden aber von außen ganz unbeweglich ist.

Die Schwäche war, daß in diesem Nichtgeschehen, das eine immer länger werdende Motivkette umspannen mußte, das Äußere überdehnt wurde, etwas allzu Leises entstand, scheinbar eine Absonderlichkeit, scheinbar eine ästhetische Abgeschlossenheit udgl. so daß niemand den festen Grund bemerken wollte.

 

Die Schwärmer sind als eine verbesserte Wiederholung des gleichen entstanden. Auch zeitlich schon während der Arbeit an den Vereinigungen beginnend. Was vermieden werden sollte, war das Inzüchtige. Nichts konnte sich besser dazu eignen als der Zwang, für eine Bühne zu arbeiten.

Neu kam hinzu eben die Problematik der Bühne.

Man kann sagen, die Bühne hat sogar eine eigene Scheinkausalität entwickelt, die sich immerdar wiederholt.

Es ist ein abgemachtes Glockenspiel mit den gleichen Glocken und Klöppeln.

Das Wesentliche über das Theater.

Meine Abneigung gegen Ibsen (gegen den »andern« Ibsen nicht ganz berechtigt)

Das Prinzip der motivischen Schritte.

 

Das ziemlich erschöpfende Zitat aus Maeterlinck.

Bühne als moralische Anstalt. Weshalb man ins Theater gehen könnte.

Und das damals aufkommende Regisseurtheater.

 

Ich habe nachher nicht wenig Theatererfahrung erworben (Kritiker) Aber ich bin bei meiner Auffassung geblieben.

Und die Schwärmer sind kein Buchdrama.

 

Ihr Prinzip: der Kampf um den Sinn. In einem Ausschnitt gezeigt.

Aber nicht nur der Kampf, sondern die Mittel im Kampf. Sinn wurde gegeben. Aus der Sinnbewegung folgte erst die der Handlung. Also eine Anwendung des Prinzips der motivischen Schritte.

Diese Leidenschaften bewegten nicht kausal, sondern im Wesen.

 

Die Indetermination: Die Wesensbewegung kann sich sehr verschieden einkleiden. Die verschiedenen Handlungen der Schwärmer zu schon feststehendem Dialog.

[Nachtrag: daß sich der Mensch auf der Bühne nur im Dialog wirklich äußert]

 

Das Schicksal der Schwärmer.