Theodor Mügge

Elsi

 

Gesammelte Novellen. Dritte Abteilung.
Einzelausgaben.
Zweiter Teil


 

Neu herausgegeben
von
lobo.dox@freenet.de

2024

 

Erstes Kapitel.

Vor mehreren Jahren war ich in Zürich, eben als die Tagsatzung Die Tagsatzung war in der Schweiz bis 1848 die Versammlung der Abgesandten der Orte (Kantone) der Alten Eidgenossenschaft. Sie besaß sowohl exekutive als auch legislative Kompetenzen, allerdings war ihre Macht sehr beschränkt, da diese zumeist bei den Kantonen lag. Die Bezeichnung »Tagsatzung« ist abgeleitet von der Formulierung »einen Tag setzen« und bedeutet die Vereinbarung eines (Rechts-)Tages beziehungsweise des Termins für diese Zusammenkunft. dort versammelt war und mit dem feierlichen Zuge nach dem Großmünster den ersten Akt der schweizerischen National-Repräsentation begann. Es war ein prächtiger Julitag, Zürich mit Fremden gefüllt, die aus allen Ländern Europa's zusammenströmten; geputzte Leute füllten die Straßen, Damen und Herren in allerlei Trachten hielten die Fenster der Häuser an der Limmat besetzt, wo der Zug vorüber mußte, und ein bunter Menschenstrom eilte den Hügel hinauf, auf welchem der Münster liegt, um die Gallerien zu erobern und die Reden der Herrn Präsidenten zu hören.

Auch mir war eine Einlaßkarte versprochen worden, und Herr von Eschenheim, ein reicher Handelsherr aus einem der alten städtischen Geschlechter, an den ich empfohlen war, hatte mir seine Begleitung zugesagt. Er war ein noch ziemlich junger Mann, der Freund eines meiner Freunde, mit dem er in Heidelberg studirt hatte, dessen Brief mir sein Haus und seine nähere Bekanntschaft öffnete, was in der Schweiz nicht viel weniger zu sagen hat, wie in England, da es schwer ist in die Familienkreise zu gelangen, welche gewöhnlich ganz zurückgezogen leben. Zu meinen Gunsten wurde eine Ausnahme gemacht und seit der Woche, wo ich in Zürich lebte, kam ich mit Moritz von Eschenheim zusammen, der als Geld- und Geburtsaristokrat überhaupt eine andere Lebensweise führte, als die meisten seiner reichen Landsleute, welche mit sehr wenigen Ausnahmen ungemein nüchtern und einfach auszukommen wissen.

Eschenheim war, als großer Geschäftsmann, gezwungen vielerlei Menschen zu sehen, und zuweilen selbst ein Diner zu geben. Seine prächtige Villa am See war von Paris aus dekorirt und meublirt worden; er war ein Mann von Bildung und Geschmack, der sogar für Kunstsachen, Gemälde, Statuen und Broncen, Geld ausgeben konnte, was ihm gewiß so leicht kein reicher Schweizer nachmacht. Dabei besaß er von Vater und Großvater her eine ausgezeichnete Bibliothek, historischer und naturhistorischer Werke, die er nie las, aber als Familiensache fortgesetzt vermehrte, ebenso ein numismatisches Kabinet, das alle Kenner besuchten, die nach Zürich kamen, und an welchem die Eschenheim seit drei Jahrhunderten gesammelt hatten.

Es ist sonderbar mit den alten Patrizierfamilien in der Schweiz, zu denen auch diese gehörte. Sie sind in allen diesen kleinen Republiken ein halbes Jahrtausend über die Regenten und harten regierungssüchtigen Herren gewesen, die jede Freiheitsregung fürchterlich ahnten, ihr größter Schmerz ist somit der, daß sie es nicht mehr sein können, obwohl sie, als Männer von Bildung und Einsicht, sich eigentlich am leichtesten klar machen müßten, daß in der Republik Macht und Herrschaft auf ganz andere Weise gewonnen werden muß, als durch historische, wohlerworbene Rechte. –

Mit Ausnahme der Junker von Bern haben die Schweizer-Aristokraten aber niemals ihre Macht auf bedeutenden Grundbesitz stützen können. In Zürich waren die Patrizier vorzugsweise immer Handelsherrn, Bankiers und große Gewerbetreibende, die, wie die Eschenheim, kolossale Vermögen sammelten, Familienschätze in den Familienhäusern und Familienkisten aufhäuften und mit Hülfe der erbgesessenen, bevorzugten Stadtbürger die Landbewohner knechteten und in Ehrfurcht hielten.

Das blieb so, bis die französische Revolution sich auch über die Schweiz stürzte, und Napoleon das Land centralisirte und französisch frei machte. Im Jahre 1814 wurde die gute alte Ordnung wieder hergestellt, allein die Keime zu Umwälzungen waren nicht auszurotten. Nach der Juli-Revolution wurden auch die Patrizier der Schweiz überall aus ihren Sitzen geworfen, und wenn es ihnen auch glückte, Gegen-Revolutionen zu machen, so waren diese doch immer nur von kurzer Dauer. Der Baum ihrer Macht hatte die Wurzeln verloren.

Mit diesen regierenden Familien war auch die Eschenheim in den Winkel zu den Todten geworfen, aber sie waren die reichen Bankiers und Handelsherrn geblieben und hätten sich somit, besser als viele andere, über die Vergänglichkeit aller irdischen Größe trösten können. Das thaten sie jedoch nicht. Moritz von Eschenheim z. B. konnte, trotz alles Geldes, es nicht verschmerzen, daß er bei den letzten Großrathswahlen durchgefallen war und in irgend einem Landbezirk, einem ganz unbedeutendem Gemeinde-Vorsteher hatte weichen müssen. Diese Verbitterung war allgemein und führte zu den tiefsten Familien-Zerwürfnissen, wenn einzelne Glieder und Zweige der alten Geschlechter etwa abgefallen waren, und sich so weit vergessen konnten mit der radikalen Volkspartei gemeinsame Sache zu machen. –

Die Leute von gutem Blut und gutem Recht standen grollend und hassend von fern, und zu den unversöhnlichsten wurde Eschenheim gerechnet, der mit seiner stolzen, kalten Vornehmheit zu nichts weniger paßte, als zum Volksmanne.

Als ich an jenem Tage in sein Haus trat, fand ich zwei Fremde bei ihm, die ihn so eben verlassen wollten. Sie waren von ihren Plätzen schon aufgestanden und näherten sich der Thür, welche ein wenig geöffnet wurde. Es war ein alter Herr begleitet von einer Dame, deren Arm in dem seinen lag. Eschenheims Hand hielt den Drücker der Thür, die Beiden standen ihm gegenüber. Er sprach zu ihnen, wie ich vernahm, von der heutigen Eröffnung der Tagsatzung und wie wenig Gutes man leider von dieser Versammlung erwarten dürfe, in welcher die Umstürzungsgelüste die Oberhand hätten.

Ich bedaure das gleich heute hören zu müssen, erwiderte der alte Herr, aber es kann nicht anders sein. Leichtsinn verdirbt Menschen, wie Völker, und bringt Unglück über Schuldige und Unschuldige. Wann sehen wir uns wieder?

Ich hoffe, Sie erweisen mir heut Mittag jedenfalls die Ehre, meine Mutter wird sich freuen, sagte Eschenheim.

Gut, um zwei Uhr also! rief der alte Herr, und die Thür wurde weit geöffnet. Er ging bei mir vorüber und grüßte mich, als ich zur Seite trat. Es war ein großer, starker Mann mit kahler Stirn und vollem Gesicht. Die Dame schien mir jung und schön zu sein, meine Beobachtung währte jedoch nur einen Augenblick, denn Eschenheim bewillkommnete mich, reichte mir die Hand und führte mich hinein.

Ich bemerkte, daß er mißgestimmt sein mußte. Seine schmalen scharfen Lippen preßten sich dicht zusammen, er wischte sich mehrmals über die Stirn, um die Falten fortzustreifen, dann, während er sprach, nahm er einige Papiere, die wie Briefe aussahen, vom Tische und schloß sie in eine Casette, welche vor dem Spiegel stand.

Wir wollen also gehen, sagte er, und unsere regierenden Herrn betrachten. – Schöne Regenten! – Bei Gott! – Es ist weit mit uns gekommen. Warten Sie einen Augenblick, ich bin gleich wieder hier.

Er ging durch ein Nebenzimmer fort und blieb lange aus. Ich spazierte auf und nieder, trat an's Fenster und sah hinaus, kehrte zurück, blickte in das Kabinet hinein und befand mich hier mitten unter den Münzschränken und Medaillenkasten, die in langer Reihe aufgestellt waren. Mein Interesse an dieser Sammlung war nicht groß, ich warf flüchtige Blicke darüber hin und war froh, als Eschenheim zurückkehrte. –

Nun, vorwärts, sagte er, wenn diese Raritäten Sie loslassen, um andere Raritäten zu schauen.

Ich habe keinen rechten Begriff davon, erwiderte ich, wie man überhaupt dergleichen sammeln mag.

Sie halten es mit den neuen reellen Münzen in der Tasche, ich ebenfalls, erwiderte er lachend, aber es muß auch solche Käuze geben, die aus allerlei Kellern, Rathhauswinkeln und vermoderten Truhen, dergleichen halbverrostete und zerfressene Zeichen zusammensuchen, welche beweisen, daß die Völker immer Wechsler, Handel und Kaufleute nöthig hatten.

Diese Erklärung numismatischer Sammlungen belustigte mich. Stützen Sie darauf Ihren Stammbaum, rief ich, oder ist dies wenigstens die Ursache, daß Ihre berühmte Familie seit Jahrhunderten dies Kabinet gründete?

Scherz bei Seite, sagte er, ich weiß nicht, wer zuerst von meinen Vorfahren den Einfall hatte, sich mit dem Zeuge abzugeben, aber sie werden solche, oft kostspielige und mühsame Spielereien, in der Schweiz nicht selten antreffen. In den alten Familien fanden sich häufig Männer, die keine Lust hatten, sich mit dem Regierungswesen einzulassen, oder mit ihren Ansichten nicht dazu paßten. Sie studirten, wurden Gelehrte, zogen sich auf ihre Erbgüter zurück, trieben dort allerhand Liebhabereien, sammelten Gott weiß welche Kuriositäten und hinterließen diese ihren Nachkommen, die das Angefangene fortsetzten. So sind die meisten Privatkabinette entstanden.

Bei Euch sammeln die Fürsten im großen Maßstabe und errichten Museen in prachtvollen Gebäuden, fuhr er dann fort, bei uns thaten es die Aristokraten, die man dafür mit Hohn und Schmach bedeckt und beraubt hat. Was diese Sammlung aber betrifft, so hat mein Onkel sie erst so bedeutend gemacht. Er kaufte, was er konnte, gab große Summen dafür aus und hinterließ einen Wirrwarr, dem mein Bruder erst ein Ziel setzte, indem er Jahre lang sich damit beschäftigte, bis er Ordnung hineinbrachte und das Ding so aufstellte, wie es jetzt ist.

Sie haben einen Bruder, erwiderte ich. Es muß ein vorzüglicher Gelehrter in diesem Fache sein.

Ein stiller Mann, sagte er lächelnd, indem er seinen Hut ergriff.

Das glaube ich gern, war meine Antwort. Wer Jahre lang sich solchen peniblen Arbeiten hingiebt, hat sicher nichts mit den übrigen Leiden und Freuden dieser Welt zu thun und kümmert sich wenig um der Menschen Streit und Plagen.

Im Allgemeinen haben Sie Recht, erwiderte er. Die eigentlichen Gelehrten sind noch immer meist Menschen, kindisch unbrauchbar für Alles, was nicht zu ihrem Kram gehört. Aber mein Bruder war Offizier.

Offizier? –

In auswärtigen Diensten.

Und dabei Gelehrter?

Aus Liebhaberei. Vor einigen Jahren kam er zurück und beschäftigte sich wieder mit Büchern und Münzen. Er war sehr jung damals, brachte französische Schwindeleien mit nach Haus, und verließ uns endlich, um nach Deutschland zu gehen.

Wo lebt er dort?

Ich weiß es nicht. Er soll, wie man uns benachrichtigt hat, nach Amerika gegangen sein.

Und Sie haben keine Nachricht?

Wahrscheinlich ist er todt, sagte Eschenheim gleichgültig, erst heut habe ich eine Nachricht erhalten, die dafür spricht. Das Schiff, auf welchem er sich befand, scheiterte dicht vor der Hudsonbey im Nebel, das ist vorläufig Alles, was ich erfahren konnte. Sie essen bei mir in meinem Landhause, ich will Ihnen sein Bildniß zeigen, das dort hängt, ich weiß selbst nicht mehr wo.

Diese letzten Worte waren so auffällig, daß ich mich eines verwunderten Blickes nicht enthalten konnte; sie bezeugten deutlich, daß die beiden Brüder in keinen besonders guten Verhältnissen gestanden haben konnten. –

Eschenheim begriff, was ich dachte, ohne Mühe.

Es ist so, fuhr er mit feinem gekniffenen Lächeln fort, er hat uns mancherlei Aerger und Kummer gemacht. Alles in der Welt, nur kein Leichtsinn, der immer zu Unheil und Schande führt.

Das sagte der alte Herr auch, welcher vorher bei Ihnen war, fiel ich ein.

Ah der, rief Eschenheim, Sie werden ihn heut Mittag wieder finden und näher kennen lernen. Er ist ein Verwandter, Oberst Rüttiberg. Sie wissen, wir haben oft militairische Titel, in Folge unserer Milizverhältnisse; inzwischen ist mein Vetter, der tapfere Oberst, einer unserer größten Fabrikanten und Grundbesitzer, überhaupt ein höchst angesehener Mann, der selbst von unseren jetzigen Regenten mit Respekt behandelt wird, obwohl er ihnen den Rücken kehrt, wie wir Alle.

Und die junge Dame an seinem Arm war seine Tochter?

Meine Cousine und – im Vertrauen gesagt – meine zukünftige Frau, antwortete Eschenheim sich an mein Ohr neigend.

Diese letzte Mittheilung machte er mir mitten unter dem Trommel- und Pfeifenlärm des Miliz-Bataillons, das an uns vorüberzog um die Limmatbrücke zu besetzen und ein Spalier zu bilden, durch welches die Herrn Abgeordneten der zwei und zwanzig Cantone, sammt ihrem Gefolge und den Gesandten der Großmächte nach dem Großmünster ziehen sollten. Die Unterbrechung war mir nicht unangenehm, denn ich kam mit einem kurzen allgemeinen Glückwunsche davon, und war nicht sonderlich neugierig vor der Hand mehr zu geben, oder zu erfahren, da es mich wenig interessirte, wann und wie dieser Geldmann seine goldene Hand in eine eben so goldene Hand legen wollte. Auch Eschenheim sagte nichts weiter.

Wir eilten, um rasch über die Brücke zu kommen, ehe sie abgesperrt wurde, denn schon nahte der Zug. Wir gingen deshalb auf einen Seitenpfad, um dem Gedränge zu entkommen, den steilen Hügel hinauf, auf welchem die Kirche liegt. Viele Damen und Herrn drängten sich dort an den Eingängen, um Plätze auf den Gallerien zu erobern, andere stellten sich an den Thüren auf, den Zug zu erwarten und zu beschauen, und diesen Neugierigen schlossen wir uns an, weil mein Begleiter mir die bedeutendsten Persönlichkeiten der Tagsatzung zeigen wollte. Rund umher standen dem Anschein nach Fremde, die in den Gruppen, zu denen sie gehörten, englisch, deutsch oder französisch sprachen, ihre verschiedenen Nationalitäten somit deutlich genug kund gaben. –

Nach wenigen Minuten hörten wir von der Brücke her die Militairmusik und das Klirren der Gewehre, welche vor den Gesandten präsentirt wurden, und alle Blicke wandten sich dem Stufenwege zu, wo die Spitze der großen eidgenössischen Fahne sichtbar wurde.

Der Zug machte in der Ferne, als er sich, wie eine lange schwarze, buntgefleckte Schlange, die felsige Höhe heraufwälzte, einen weit größeren Eindruck, als nahebei betrachtet. In Monarchieen, wo man für Prunk und Pracht und Alles, was dem Auge gefällt, viel besser eingerichtet ist, wo man mit knappen und geschmackvollen Uniformen aufwarten kann und Garden, Trabanten, Hofdiener aller Art, sammt einer zahlreichen Bureaukratie dazu verwendet, sind dergleichen Schaustellungen weit stattlicher zu machen.

Hier war von dem allen wenig oder nichts. Der Bundespräsident ging an der Spitze, ihm voran wurde die große Bundesfahne getragen, dann folgten die Gesandten, je nach den Cantonen und der Rangordnung, die den kleinen Hirtenstaaten vom Vierwaldstädter See den Vorrang zuspricht, weil aus dieser Urschweiz die Schweiz hervorgegangen ist. –

Der größte Theil der Gesandten waren ältere Männer und Greise, die meist sehr plebejisch aussahen und mit ihren Schmerbäuchen, oder von Arbeit und Lebensmühen verdorrten Gestalten, wunderlich genug im schwarzen Frack, aufgeschlagenen Hut, den Galanteriedegen an der Seite, paradirten.

Der burleske Anblick wurde jedoch hauptsächlich durch die Herolde, oder Waibel bewirkt, die jeder Cantonsgesandtschaft zur Seite schritten und in den Standesfarben gekleidet waren. Trotz der brennenden Julisonne waren diese armen Teufel in dicke Wollenmäntel gehüllt, die bis zur Erde reichten und meist aus zweifarbigem Tuch bestanden, d. h. die eine Hälfte war roth, die andere Hälfte grün, oder gelb und himmelblau, oder schwarz und karmoisin u. s. w., je nach den Fahnen der verschiedenen Cantone. Dazu trugen sie ungeheure Dreimaster auf den Köpfen und Stäbe in den Händen; sie waren in Schweiß gebadet und konnten eher Gegenstand des Mitleids sein, als des Gelächters und der Spötterei, die ihnen von manchen Seiten zu Theil wurde.

Es ist eine alte Sitte und alte Sitten soll man heilig halten, sagte Eschenheim. Lieber mögen die dicken Burschen schwitzen, ehe man die Mäntel und Dreimaster aufgiebt, was schon mehrmals beantragt worden ist, wie denn überhaupt die radikalen Umwälzer den ganzen Zug zur Kirche längst abgeschafft hätten, wenn sie damit durchdringen könnten.

Ich machte eine Bemerkung, die sich darauf bezog, daß zu solchen Aufzügen auch die Männer und Einrichtungen darnach sein müßten, um einen günstigen Eindruck zu bewirken. –

Sie hätten den Zug früher sehen müssen, fiel Eschenheim beistimmend ein. Alle Gesandte stammten damals aus den alten Familien; die reichsten und angesehensten Männer aller Cantone setzten eine Ehre darin, bei der Tagsatzung zu sein. Die Hallwyls, die Watewylls, die Erbach, die Muralt, die Fischer, die Mohr, die Abyberg und viele Andere wetteiferten unter sich, und die Gesandten der Großmächte fehlten niemals bei den Festen der Präsidenten und Herren, welche weder in Paris, noch in Wien, glänzender sein konnten. Damals kostete ein einziger Abend oft dem Präsidenten der Tagsatzung mehr, als sein ganzes Jahres-Einkommen betrug. Was fragte er danach! Er stammte sicherlich aus einem Hause, das jeden Aufwand decken konnte. Jetzt hat das souveraine Volk sich den Advokaten Furrer gewählt, der sich weigerte, das Amt anzunehmen, weil er zu arm sei, um seine Advokatenpraxis zu missen, und nicht eher verstand er sich dazu, bis seine Vaterstadt Winterthur es übernahm, ihm ein Jahrgeld auszusetzen.

Der geringschätzende Ton, in welchem Eschenheim dies laut sprechend mittheilte, machte mich besorgt, daß es ihm Unannehmlichkeiten bereiten könnte. Manche der Umstehenden sahen ihn streng an, einige Landjäger und Soldaten bildeten hinter uns eine Gruppe, und selbst aus dem Zuge der Gesandten richteten sich die Blicke auf ihn.

Er nickte Mehreren Grüße zu, und sagte dann lachend:

Que m'importe! sein Sie ohne Furcht, wir sind hier in der Schweiz wenigstens noch im Besitz der Redefreiheit und dürfen uns erlauben, unbehindert unsere Betrachtungen über unsere Nachfolger zu machen. – Sehen Sie da! dort kommt der berühmte Staatsrathspräsident von Waadtland, Heinrich Druey. Wie fett, ordinair und gemüthlich sieht er aus! Wer sollte denken, daß in dieser schwammigen Falstaffhülse ein Kerl steckt, der Gottes Thron umstürzte, wenn er ihn fassen könnte?! Da lobe ich mir seinen Collegen, den dünnen, blassen, durchsichtigen Eytel, der neben dem watschelnden Druey hertrippelt. Jeder Zoll ist Neid, Bosheit und schwarze Galle. Das ganze Wichtchen sieht aus, wie eine Kreuzspinne. – Habe ich nicht Recht? haha! hat er nicht die größte Aehnlichkeit damit?

In dem Augenblicke sagte eine Stimme hinter uns: Schweig still, elender Bub'! und diese Beleidigung machte auf meinen Nachbar eine Wirkung, wie ein Donnerschlag. Er verfärbte sich und drehte sich so schnell um, daß er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte, denn er taumelte auf mich, daß ich ihn halten mußte, allein es ging ihm gerade so, wie mir. Wir sahen beide nichts, als jene Landjäger und Soldaten, die unter einander scherzten und von denen Einer wahrscheinlich die verhängnißvollen Worte gebraucht hatte, ohne zu ahnen, daß ein Dritter sie auf sich beziehen könnte.

Eschenheim warf mir einen verständigenden Blick zu und zuckte spöttisch mit den Lippen, aber seine Augen forschten durch alle Gruppen umher, als sei er noch immer nicht ganz überzeugt, ob er den Thäter nicht wo anders suchen müsse.

Während dessen war der Zug in die Kirche gelangt, und wer noch hinein wollte, eilte so schnell er konnte. Wir machten es daher, wie alle Anderen. Bei unseren Anstrengungen gute Plätze zu finden, wurde jedoch Eschenheim von meiner Seite gedrängt; als ich mich nach ihm umsah, war es unmöglich, ihn zu entdecken.


Zweites Kapitel.

Ich mußte mich ruhig verhalten, denn im innern Raume der Kirche begannen die Reden der Präsidenten, von denen Alle etwas hören wollten, dabei konnte ich weder rück- noch vorwärts, denn jeder Fußbreit Raum war besetzt, aber der Zufall hatte mich wenigstens in soweit begünstigt, daß ich einen großen Theil der Tribünen und Chöre überblicken konnte, wenn ich auch von den Herren Gesandten nichts sah und ziemlich unverständliche Bruchstücke ihrer rednerischen Weisheit vernahm. –

Meine Augen flogen daher über die große Gallerie und ihre Anhänge, die vorzüglich mit Damen gefüllt waren und blieben plötzlich dann, ganz in meiner Nähe, an dem Gesicht eines jungen Mädchens hängen, das in seiner ganzen Lieblichkeit mir zugewandt war. Indem ich sie bemerkte, erkannte ich in dem Herrn, welcher sich zu ihr neigte, denselben, den ich bei Eschenheim gefunden und wiedertreffen sollte, den Obersten und reichen Industriellen, und jetzt erst erweckte mir seine Tochter ein vermehrtes Interesse, da ich sie als die Verlobte meines Gönners betrachten mußte.

Ein gewisses Gefühl des Mitleids und des Unwillens regte sich in mir. Ich konnte mir nicht denken, daß diese kaum aufgeblühte, feine, frische Rose sich gern an solchen Stock binden möchte, wenn ihr nicht gewaltsam der Bast der Ehe um Hals und Glieder gelegt werde. Eine geraume Zeit sah ich sie an und mußte immer wieder Augen und Gedanken dahin richten.

Die Schweizerinnen sind größtentheils weder besonders zart, noch graziös, noch mit geistiger Reizbarkeit reichlich ausgestattet, die ihren Widerschein in lebensvollen oder idealen Gesichtszügen ausdrückte. Die materielle Denkweise der Schweizer, ihre emsige Geschäftigkeit, ihr Nützlichkeitstrieb und die engbegrenzte Anschauung ihres irdischen Daseins, muß auch auf ihr Frauen übergehen, deren Erziehung obenein ganz darauf eingerichtet ist, um bei höchst mäßiger Bildung und geringen Ansprüchen, im engen Haus- und Familienkreise, sich ganz zufrieden zu stellen. –

Höchst selten findet man eine auffallend schöne Erscheinung und wo man wirklich sich daran erfreuen möchte, stören gewöhnlich doch wieder die schlechten Zähne, das Erbtheil aller Schweizer und, wie man meint, die Folge des schlechten Wassers in diesem Berglande. –

Um so mehr war ich überrascht, als ich alle Reize jugendlicher Schönheit hier wirklich bei einer Schweizerin vereint fand. Ihre dunklen Augen besaßen das feuchte Feuer und den sanften, schimmernden Ausdruck, welchen lange Wimpern und schöne hochgewölbte Augenbrauen geben; ihr Lächeln war süß und leise, die feinen Lippen hätten einen Künstler entzücken können und wie reizend öffneten sie sich, um die schönsten Zähne zu zeigen. –

Dies liebliche Wesen, das kaum achtzehn Jahre zählen konnte, sollte dem sechs- oder acht und dreißigjährigen Eschenheim hingeworfen werden, der von dieser bezaubernden Aussicht, wie es nur schien, nicht im Entferntesten berührt worden war; höchstens daß seine Eitelkeit dabei gekitzelt wurde, oder der Blick auf seine Geldsäcke ihm einige höfliche Verpflichtungen auflegte, aber ich hatte nicht bemerkt, daß er in seinem Hause, beim Abschiede von ihr, irgend eine besondere Theilnahme an den Tag legte; eben so wenig war eine Regung davon zu bemerken, als er mir mittheilte, daß er sie heirathen würde. Er betrachtete sie, wie ich nicht bezweifelte, als einen Handelsartikel, oder einen gezogenen Wechsel, den er am Verfallstage einzustreichen hatte und welcher ihm ganz sicher war.

Mitten in diesen Betrachtungen endete plötzlich die kirchlich-politische Ceremonie der Tagsatzung. Die Menschenmasse wälzte sich hinaus und nahm mich mit. In der Nähe der Thür entstand ein entsetzliches Drängen; eine Zeitlang war keine Bewegung möglich, indem ich mich aber völlig eingequetscht sah, fühlte ich, daß irgend Jemand hinter mir etwas in meine Hand drückte, die ich auf dem Rücken hielt, um mich dort zu sichern. Ich machte vergebens den Versuch mich umzuwenden, eben so vergebens meine Hand vorzubringen, um zu sehen was es sei; erst nach einiger Zeit gelang mir dies und ich erblickte einen zusammengefalteten kleinen Zettel, ein Streifchen zerknittertes Papier ohne Aufschrift, ohne zu wissen wer ihn mir gegeben hatte.

Ich blickte in die Gesichter der Umstehenden, die keine Notiz von meinen fragenden Blicken nahmen. Es waren Bürger und allerlei Leute, die sich über das Tagesereigniß lebhaft unterhielten und denen ich keinen Antheil an diesem Vorgange zumuthen konnte. Ziemlich erstaunt entfaltete ich das Papier und sah hinein. Es standen wenige Worte mit Bleistift geschrieben darin:

»Jemand, der Sie kennen zu lernen wünscht, erwartet Sie heut Abend um zehn Uhr auf dem Lindenberge.«

Ein Abentheuer! sagte ich spottend indem ich den Zettel zerriß; der Lindenberg ist die rechte Gegend dazu. Es ist dies ein Hügel auf welchem einst ein römisches Kastell gestanden haben soll; jetzt werden die engen Häuser dort von allerlei Volk bewohnt.

Ich vergnügte mich noch an dieser Auflösung des Räthsels, als ich neben mir Fräulein von Rüttiberg erblickte, die sich ängstlich nach allen Seiten umschaute und in dem Gedränge nicht recht wußte, wohin sie sich wenden sollte.

Ich begrüßte sie und sagte höflich: Sie suchen Ihren Herrn Vater, mein gnädiges Fräulein, ich glaube ihn dort unten im Innern der Kirche zu erblicken; jedenfalls ist er hier noch nicht herausgekommen.

Sie dankte wir und erröthete leicht. Später sagte sie mir, daß sie mich sogleich wieder erkannt habe, und weil ich ihr als Eschenheim's Freund gegolten, sie bei mir stehen geblieben sei.

Ich theilte ihr mit, wie Eschenheim sich von mir verloren und scherzte über unser ganz ähnliches Schicksal.

Glücklicher Weise, fügte ich dann hinzu, ist für Sie dabei gar keine Gefahr, da Sie in Ihrer Vaterstadt genau bekannt sein werden.

Ich bin nicht so genau bekannt, wie Sie meinen, erwiderte sie lächelnd, obwohl meine Aengstlichkeit weit weniger um mich, wie um meinen Vater sorgt, der nicht wissen wird, wo ich geblieben bin.

Sie sind so eben von einer Reise zurückgekehrt? fragte ich.

Ja, war ihre Antwort. Ich war mit meinem Vater in Deutschland und Frankreich. Den letzten Winter über wohnte ich auf Rath der Aerzte in Nizza, weil die scharfe Luft unserer Berge meiner Gesundheit nicht zusagte.

Und diese Luftveränderung hat, wie ich hoffen darf, ihre heilsame Wirkung geübt.

Ich glaube wohl, erwiderte sie mit einer kleinen, dankenden Neigung des Kopfes. – Aber ich weiß nicht was ich jetzt thun soll; ich muß fürchten, daß mein Vater dem Zuge der Tagsatzung gefolgt ist, und den Ausgang auf der andern Seite des Münsters benutzt hat.

Sie machte eine Bewegung, um sich zu entfernen, und ich bot ihr meine Begleitung und meinen Beistand an, als um die Ecke des Kirchplatzes der Oberst und Eschenheim uns entgegen kamen.

Da sind sie ja beide! rief dieser, als er uns erblickte.

Ein paar rauhe Worte des alten Herrn unterbrachen ihn. Er machte seiner Tochter Vorwürfe, ihn nicht auf der Stelle, wo er sie verließ, erwartet zu haben, und kümmerte sich nicht um ihre sanfte und bittende Einwendung, daß das Stehenbleiben unmöglich gewesen sei.

Du bist, wie immer, ein Kind, Elise, sagte er, man hat beständig für Dich zu fürchten. Dein Vetter Eschenheim ist dreimal durch die Kirche gesprungen um Dich zu suchen.

Ich befand mich unter dem Schutz dieses Herrn, dem ich sehr dankbar sein muß, erwiderte die junge Dame ihren Vater anblickend, indem sie sich vor mir verbeugte.

Der Oberst verstand den Wink. Er zog den Hut, sah mich scharf an und murmelte etwas von vielem Dank, aber es war eben kein einladender Blick, der mir zu Theil wurde. Das Mißtrauen saß in seinen grauen, buschigen Augenbrauen, Mißtrauen gegen Fremde ist aber allen Schweizern eigen, und dieser alte Industrielle schien, seinem ganzen Auftreten und Aussehen nach, ein heftiger, energischer und starrköpfiger Mann zu sein.

Eschenheim mischte sich lachend ein, indem er mich dem Herrn von Rüttiberg in aller Form vorstellte und dann sich an das Fräulein wendend mit dieser über ihre »Verirrung« scherzte. –

Sie sehen, mein Mühmchen Elise, sagte er, wie leicht es ist, aus den Irrwegen des Lebens, oder einer schönen Stunde, eine ganze Geschichte zu machen, die aber doch endlich mit einem glücklichen Wiederfinden endigt. Während dessen habe ich für eine Entführung gesorgt, die nicht fehlen darf. Mein Wagen wartet unten an den Stufen auf uns. Geben Sie mir den Arm und lassen Sie uns eilen, um so schnell wir können unsere glückliche Einsamkeit zu erreichen.

Mit diesen Worten führte er sie die Stufen hinab, wir folgten nach. In wenigen Minuten rannten seine englischen Pferde mit uns und dem atlasgepolsterten Wagen aus Paris, an dem reizenden Seeufer hin, wo an beiden Seiten ausgezeichnete Kunststraßen angelegt sind. –

Nach einer halben Stunde bog der Weg zum Landhause dann zwischen Weinbergen ab, die einer der reichen Seegemeinden gehörten. Laubholzhöhen und schöne Fruchtfelder spannten sich nach allen Seiten aus und ließen eine malerische Scenirung bis in weite Fernen verfolgen; endlich aber, als wir einen kleinen Buchwald durchkreuzt hatten, lag die Villa vor uns, ein etwas alterthümliches massives Gebäude, dicht beschattet von mächtigen Buchen, mit seiner Gartenfront jedoch dem See zugewandt, der tief unten seinen hellblauen Spiegel zeigte.

Der Wagen fuhr auf dem Kieswege, bis vor die Säulentreppe der Vorhalle, welche reich mit Blumen besetzt war.

Orangenbäume in reicher Blüthe bildeten einen Halbkreis davor, Weinterrassen und Bogengänge zogen den Abhang der Höhe gegen den See hinunter; ein Ziergarten mit einem prächtigen Blumenflor füllte den mittleren Theil, und an diesen schloß sich im Hintergrunde ein Park alter Bäume, deren dichte Belaubung keinen Sonnenstrahl einließ.

Unter der Vorhalle, hinter einem Tischchen, erwartete uns die alte Frau von Eschenheim, welche, als der Wagen hielt, aufstand und aus dem Schatten der Oleander hervortrat.

Da ist meine Mutter! rief ihr Sohn. Hier bringe ich Dir die lang entbehrten Flüchtlinge, Mama.

Ich hatte die alte Dame schon einige Male gesehen, meine Bekanntschaft war jedoch eine sehr flüchtige geblieben. Es war eine große, dürre Frau, eine von denen, die wie Mumien anzusehen sind, deren Haut von einer chemischen Masse durchzogen auf den Knochen gelb und hart fest getrocknet zu sein scheint. –

Heute hatte sie eine Haube mit Rosen und Bändern aufgesetzt, dicke falsche Locken zu beiden Seiten befestigt und ein graues schwer seidenes Kleid angezogen, das an dem Körper lang und faltig niederfloß, Sie ging bis an die Stufen vor und breitete ihre unermeßlichen Arme den Nahenden entgegen, als wollte sie alle drei mit einem Zuklappen an sich ziehen; indeß war es zuerst der Oberst, dann Elsi, die in diese Fangzangen geriethen und mit einigen Küssen und zärtlichen Worten regalirt wurden.

Frau von Eschenheim verschönte sich bei dieser Erregung ihrer Gefühle jedoch keinesweges; es kam mir vielmehr vor, als träte ihre Häßlichkeit noch stärker an's Licht und ich konnte mich nicht enthalten, ihr alle möglichen bösen Eigenschaften heimlich nachzusagen, als sich ihre grünlichen Augen und das hohle, scharfe Gesicht mit so vieler widerlicher Freundlichkeit füllten.

Wir wurden in den prächtigen Salon geführt, wo ich ein ziemlich stummer und geduldiger Zeuge der Gespräche war, die zwischen den Verwandten statt fanden. Ich lernte daraus, daß Fräulein Elise, wie ich von ihr selbst schon vernommen, nachdem sie den Winter in Nizza bei einer verwandten Familie zugebracht, mit dem Vater, der sie abgeholt, durch Südfrankreich und über Paris in die Schweiz zurückgekehrt sei, und daß die Aerzte nun eine Molkenkur angerathen hätten, welche die dauernde Herstellung verbürgen sollte. –

Wo diese Kur gehalten werden mochte, ward Gegenstand der Berathung. Die Bäder in Appenzell wurden in Vorschlag gebracht. Interlaken erhielt dann den Vorzug, Eschenheim erwähnte den Genfersee und schlug Montreux vor, aber Herr von Rüttiberg sagte endlich mißgestimmt:

Bäder und Reisen und Reisen und Bäder, hole sie alle der Henker! Ich habe es satt in der Welt umher zu ziehen, wie der ewige Jude, und wenn Elsi wirklich noch Molken nöthig hat, – diese Doktoren sind überall dieselben Charlatans, es fehlt ihr ja nichts! – nun so mag sie zu Haus die Sache abmachen. Kühe haben wir überall, und wie wir es machen müssen, wissen wir auch. Ich habe viele Arbeit, muß nach meinen Werken sehen. Es kostet mich genug, daß ich so lange schon auswärts war und Elsi ist am liebsten in Richtersbühl am Wallenstättersee, da kann sie ungestört wohnen. Ist es nicht so, Mädchen?

Eschenheim wandte sich zu mir und sagte lachend:

Dagegen müssen wir Alle Einspruch thun, Sie müssen uns beistehen. Der Oberst besitzt eine große Fabrik am Wallenstätter See und nicht weit davon liegt sein Gut Richtersbühl auf einem steilen Vorsprung, dicht über dem schwarzen Wasserschlund. Ein altes Haus, ehemals eine Art Klause, oder Vorwacht, der fetten Benediktinermönche in Pfeffers. Kennen Sie den Wallenstätter See?

Nein, sagte ich.

Für eine romantische Seele ist dieser See das Erhabenste, was sich denken läßt, fuhr er fort. Rund umher nackte, wildzerklüftete Felsen, 6000 Fuß hoch und höher noch; nirgend Weg noch Steg, kein Mensch kann hinüber. Der Kahn ist das einzige Mittel, oder das Dampfschiff, das von Wesen nach Wallenstatt fährt.

Lassen Sie sich von dieser Schilderung nicht abschrecken, fiel der Oberst ein, besuchen Sie uns und Sie werden finden, daß das alte Haus auf dem Bühl doch nicht so übel ist.

Ich verbeugte mich, aber Eschenheim faßte mich beim Arm und rief abwehrend:

Nehmen Sie keine Einladung nach dem schwarzen Hause an, wie es in der ganzen Umgegend genannt wird. Wenn die vermoderten Benediktiner Sie dort auch in Ruhe lassen, so thut es der rauhe Wind nicht, der von den Eisstöcken des Glärnisch und Tödi herunterfährt. Ich denke nicht, Vetter Rüttiberg, daß Sie in Ernst daran denken mein armes Mühmchen Elsi in diese kalte Einsamkeit zu führen, die für Lämmergeyer zwar der anmuthigste Aufenthalt in der ganzen Schweiz ist, aber unmöglich für Elsi paßt.

Er stellte ihm eindringlich vor, daß Richtersbühl den schädlichsten Einfluß auf eine so zarte Organisation üben müsse und daß für eine Dame, die so eben aus einem südlichen Klima zurückkehre, am allerwenigsten die scharfe Gebirgsluft jener Seeufer zuträglich sein könne.

Nach einigen Zwischenreden, in welchen der Oberst die Einwürfe ablehnte, kam es endlich zu einem vorauszusehenden Ergebniß. –

Eschenheim berief sich auf seine Mutter und diese legte ihre eine magere Hand auf Elsis Finger, die andere auf den Arm des Obersten.

Ich denke, mein lieber Vetter, sagte sie im entschiedenen Tone, Sie werden es mir nicht verweigern, Elsi bei mir zu behalten. Unser Gut hier liegt sonnig und warm, ich werde über des theuren Kindes Wohl wachen und meinen sollte ich doch, Rüttiberg, daß es paßlich wäre Elsi bliebe bei mir, leistete mir Gesellschaft und sähe, wie es sich in Mariaschein lebt.

Sie nickte dem Obersten zu und beide lächelten. Die Sache war abgemacht, er ließ es sich gefallen und, wie es schien, hatte er auf diese Erklärung gewartet, denn er gab seine Einwilligung mit der Bemerkung, daß es allerdings keinen passenderen Ort für Elsi gäbe, als so dicht in der Nähe der würdigsten Frau, die er kenne, und daß ihn diese Einladung doppelt freue, da er selbst längere Zeit in Zürich während des Sommers verweilen werde.

Die junge Dame, um deren Wohl und Zukunft sich diese ganze Verhandlung drehte, war inzwischen gar nicht um ihre Meinung befragt worden. Sie saß da, geduldig, wie ein Opferlamm, ihre Hand noch immer zwischen den langen Knochenfingern der gütigen Beschützerin und ihre Augen niedergeschlagen, wahrscheinlich vor den Blicken Eschenheims, der, dann und wann, sie lächelnd betrachtete. –

Nach einiger Zeit stand sie auf, trat unter das Portal und stieg die Stufen hinab, indem sie die Blumen betrachtete und im Schatten der Weingehänge weiter ging.

Eschenheim erzählte inzwischen seiner Mutter, wie der Oberst ihn heut früh unverhofft überrascht habe, wie wohl er sein Aussehn gefunden, und wie erfreut er gewesen sei, Elsi in einem Gesundheitszustande zu erblicken, der wenig zu wünschen übrig lasse.

Nur so froh, wie sonst, finde ich sie nicht, erwiderte die alte Dame, indem sie dem jungen Mädchen nachsah.

Das machen die alten Erinnerungen, liebe Mama, sagte Eschenheim. Es hat eine Zeit gegeben, wo sie, wie ein Hirsch, durch diese Weingänge sprang. Diese Zeit wird gewiß wieder kommen. Jetzt freilich liegen Schatten auf ihrer Seele und, eben jetzt, mögen diese besonders schwer darauf drücken.

Sie müßte endlich aufhören an etwas zu denken, was ihr, wie uns Allen, schon so vielen Kummer bereitet hat, antwortete die Dame im strengen Ton.

Wir müssen Geduld haben mit einer Kranken, fuhr ihr Sohn fort, um so mehr, da ihr Gemüth in den letzten Tagen von einer Nachricht erschüttert worden ist, die auch für Sie, meine Mutter, ihr tief Schmerzliches hat.

Frau von Eschenheim hob langsam den Kopf zu ihm auf und blickte ihn fragend an.

Ich glaube es Ihnen nicht verschweigen zu dürfen, was ich heut erst erfahren habe und was der Oberst mir bestätigend mittheilte, der dieselbe Nachricht auf anderem Wege erfahren hat. – Rudolf ist todt!

Eine Minute lang folgte dieser plötzlichen Mittheilung tiefes Schweigen. Eschenheim lehnte über den Stuhl seiner Mutter und legte tröstend den Arm um sie, der Oberst saß ihr gegenüber, die Füße gekreuzt, seine Stirn faltig zusammengezogen, die Hand in der Brust seiner Weste und die Augen auf einen Punkt am Boden gerichtet. Ich stand in einer Fensterhöhlung im Hintergrunde, man schien mich vergessen zu haben.

Dank sei Gott! sagte die alte Frau endlich, die Hände zusammenlegend, und ohne einen Zug ihres Gesichts zu verändern, fügte sie mit fester Stimme hinzu: Wie ist er gestorben?

Hier ist das Zeitungsblatt, das Rüttiberg erhalten hat, antwortete Moritz; der Brief, den ich aus Rotterdam empfing, besagt dasselbe. – Das Packetschiff, Prinz Eduard, scheiterte vor der Hudsonbay und ging mit Mann und Maus verloren. Nach den Schiffslisten befanden sich vierzehn Reisende am Bord, darunter ein Schweizer-Ingenieur aus bekannter Familie, Herr Rudolf von Eschenheim.

Die alte Dame nahm das Blatt aus ihres Sohnes Hand, blickte hinein und ließ es mit ihren Händen in den Schooß zurückfallen.

Weiß es Elsi? fragte sie dann mit derselben Ruhe.

Der Oberst nickte. Sie hat es durch Zufall zuerst erfahren, sagte er.

Und sie hat überwunden, fuhr Frau von Eschenheim fort, wie es einer christlichen Jungfrau ihres Standes und ihrer Familie geziemt. So steht denn unsern Wünschen und Hoffnungen nichts mehr im Wege.

Nichts mehr, liebe Mutter, als Rudolfs Todtenschein, oder doch der sichere Beweis, daß er nicht mehr am Leben ist. Der Oberst verlangt ein solches Dokument, wir haben heut früh schon darüber gesprochen, wie aber sollen wir ohne große Zeitverluste dergleichen herbeischaffen? Ich habe ihm vorgeschlagen, fuhr er fort, als keine Antwort erfolgte, Ende des Sommers spätestens mir Elsi zu geben, besteht er jedoch auf seine Forderung, so müssen wir zunächst nach Rotterdam, dann nach England schreiben, endlich von New-York uns beglaubigte Atteste über den Untergang des Schiffes kommen lassen. Ein Meer von Weitläuftigkeiten und Hindernissen, worüber viele Monate vergehen können.

Alles wahr, sagte der alte Herr, allein warum nicht noch einige Zeit zögern, um volle Gewißheit zu erhalten? Wir haben die Papiere durchgesehen in Betreff der Familienkiste.

Hier unterbrach er sich, denn zufällig richtete er seine Augen auf die Ecke, wo ich stand, und mit unwilliger Hast erhob er sich von seinem Platze. –

Wir finden ein Andermal Zeit davon zu sprechen, rief er, wo wir es ungestört thun können.

Erlauben Sie, daß ich mich entferne, antwortete ich vortretend und mich verbeugend. Nicht durch meine Schuld bin ich der unfreiwillige Zeuge Ihrer Unterhaltung bisher gewesen.

Nicht doch, fiel Eschenheim lächelnd ein, hier handelt es sich um ein öffentliches Geheimniß. Sie sind mein Freund und mein Gast, den ich hochschätze. Bleiben Sie bei meiner Mutter, Oberst, Sie werden ihr allerlei zu erzählen haben, wir beide wollen Elsi suchen und sie zurückbringen.

Er ging mit mir in den Garten hinaus, legte vertraulich seinen Arm in den meinen und zog mich in die Schattensäulen der alten Buchen. –

Sie müssen diesem alten Bären das Brummen verzeihen, sagte er dort, er macht es nicht anders. Rauh und heftig ist er gewesen, so lange ich ihn kenne, aber wenn Goldonis lustige Komödie »der gutmüthige Polterer« auf irgend Einen paßt, so paßt sie auf ihn. Bei jeder Gelegenheit möchte er aus der Haut fahren und in Stücke reißen, was ihm im Wege steht, dabei jedoch ist er ein Mann, der keinem Kinde etwas zu Leide thut und dessen strenge Rechtschaffenheit den Tugendpreis erhalten könnte.

Ein solcher Charakter, erwiderte ich, kann bei allen sonstigen löblichen Eigenschaften für seine Umgebung doch sehr bedrückend werden.

Nun ja, lachte Eschenheim spottend, wer es sich zu Herzen nimmt, oder ihm eben so starrköpfig heftig entgegentritt, kann schwer mit ihm fertig werden. – Elise ist sein einziges Kind, er liebt sie auf's zärtlichste, hat sie aber immer zumeist gequält. Ich bin dagegen stets vortrefflich mit ihm fertig geworden, mein Bruder aber – ich muß Ihnen einige Aufschlüsse geben, wie es mit uns steht, sagte er inne haltend, denn Sie haben heut schon zu viel erfahren, um nicht begierig zu sein, Alles zu wissen.

Stillstehend zog er ein Zigarrentäschchen hervor, bot mir davon an, machte Feuer, pries die vortreffliche Güte des echten Havannafabrikats und nahm nach einiger Zeit erst wieder, eben so gleichgültig, den Faden seiner Mittheilung auf.

Wissen Sie, was eine Familienkiste ist? fragte er, aber ich will wetten, Sie kennen ein solches Institut nicht?

Ich mußte ihm dies zugestehen.

Eine Familienkiste, fuhr er fort, nennen wir die Schatzkammer der Familie, in welcher das Familiengut, oder Familienvermögen, durch Erbschaftsbestimmungen, Vermächtnisse, Geschenke, Ersparungen, oder wie der Name des Dinges auch heißen möge, zusammenfließt und, unter Leitung der Familien-Vorstände, für die Berechtigten so lange verwaltet wird, bis diese ihrem Rechte nach in Besitz gesetzt werden können. – Es giebt Kapitale, die niemals angegriffen werden dürfen, in solchen Familienkisten, nur die Zinsen werden vertheilt, oder auch diese werden zum Kapital geschlagen, bis zu einer gewissen Zeit, wenn die Summe eine bestimmte Höhe erreicht hat. Ich verschone Sie mit weiteren Auseinandersetzungen einer Einrichtung, die Sie überall hier wiederfinden, denn auch die Gesellschaften, oder Zünfte, die Bürgerschaften und Genossenschaften haben dergleichen Kisten, die oft bedeutende Vermögen enthalten. Genug, wir haben ebenfalls eine Familienkiste und in dieser liegt das ganze Vermögen meines Oheims, bestimmt für meinen Bruder, der von früh auf der Liebling dieses wunderlichen alten Herrn war. Rudolf zählte noch nicht vierzehn Jahre, als mein Onkel starb, jetzt würde er dreißig Jahre sein; in diesen sechszehn Jahren hat sich das Vermögen mehr als verdoppelt, denn immer wurden die Zinsen zum Kapital geschlagen, und wer weiß, wann es zur Hebung kommt.

Bei dem Tode Ihres Bruders müssen Sie jedenfalls der Erbe sein, erwiderte ich.

Das ist die Frage, rief er spottend. Mein Oheim lebte mit Rüttiberg in vertrauter Freundschaft. Elsi war damals zwar nur vier Jahre alt, aber sie hatten es sich in den Kopf gesetzt, Rudolf müsse das Kind heirathen. Es wurde daher die Bedingung an Hebung des Vermögens geknüpft, so daß es am Hochzeitstage des jungen Paares gezahlt werden solle; käme eine solche Verbindung aber nicht zu Stande, wolle der eine oder der andere Theil nicht darauf eingehen, oder stürben beide, oder der eine, vorzeitig, so solle das Vermögen fortgesetzt so lange ruhen und sich mehren, bis aus beiden Familienzweigen ein anderes Paar hervorgehe, das durch seine Verbindung zur Hebung des Schatzes berechtigt sei.

Jetzt sehe ich den Zusammenhang, fiel ich ein.

Sie wissen noch nicht Alles, fuhr er fort. Rüttiberg hat das eine Kind nur behalten, nahe Verwandte sind nicht da, eben so ist es mit den Erben meines Namens. Es ist daher schwer anzunehmen, daß in späterer Zeit sich bald ein Pärchen findet, wie es aus unserer Nachkommenschaft entsprossen sein muß. Leicht kann ein schadenfrohes Schicksal über uns walten, mich oder Elsi kinderlos lassen; das ganze große Vermögen ist dann gleichsam herrenloses Gut.

Aber der Oberst und Sie, sagte ich.

Hören Sie nur aus, erwiderte er. Der Oberst und ich, wir sind Verwandte und gute Freunde. Er wird mir Elsis Hand geben müssen, denn er ist ein zu guter Rechner und klar denkender, praktischer Kopf, aber gern thut er es nicht – und ich bin zu bescheiden, sagte er mit einem wegwerfenden Lächeln, um von Elsi zu glauben, daß sie besondre Neigung für mich hegt.

Wie? sagte ich, Sie wollen sich vermählen und wissen im Voraus, daß Sie keine Neigung finden?

Bester Freund, fiel er ein, Verhältnisse thun Alles; man muß sich ihnen anpassen und sie zum Guten wenden. Ich hoffe, Ihre Freundschaft soll mir vermittelnden Beistand leisten.

Da er mich fragend anblickte und meine Hand festhielt, sagte ich ihm, daß ich zu allen guten Diensten gern bereit sei.

Ich habe mehr Zutrauen zu Ihnen, wie zu irgend Einem, fuhr er fort. Meine Mutter ist zu streng und kalt, Rüttiberg zu heftig, Sie sind jung, feinfühlend, überredend, Sie werden auf Elsi schnell einen bestimmenden Einfluß ausüben können. Besuchen Sie sie täglich hier, meine Geschäfte erlauben es nicht immer. Elise wird viel allein sein, leisten Sie ihr Gesellschaft, das Vertrauen wird von selbst kommen.

Glauben Sie, antwortete ich lächelnd, daß ich im Stande sein könnte, Liebe für Sie durch meine Ueberredungsgabe zu erwecken, wenn diese Liebe wirklich fehlt?

Liebe? rief er, was sagen Sie da! Ich verzichte darauf. Liebe, was heißblütige, fantastische Narren darunter verstehen, ist ein Sinnenrausch, ein Täuschung, ein Nichts, eine Negation der Wirklichkeit, um sich zum Kinde zu träumen, das durch ein Kaleidoskop schaut und aus Seidenfäden und Abfall sich Wunderbilder schafft. Nein, mein Freund, ich bin kein junger Fant mehr. Es handelt sich um das Reelle, um eine, mir, wie Elisen, eben so nützliche wie zuträgliche Verbindung, um die Verständigung zu einem Familienleben, das wir uns beiderseitig so angenehm schaffen wollen, wie irgend möglich.

Er legte mir kurz und bestimmt seine Verhältnisse vor und zeichnete sich selbst mit sicherer Hand. –

Ich bin reich, sagte er, bin ganz unabhängig, geachtet von den Menschen, die nicht zu dem verderbten Haufen gehören, der nichts achtet. Ich bin kein Fantast, habe keine romantische Eigenschaften, bin Geschäftsmann, ein sogenannter Verstandesmensch, aber ich bin kein Geizhals, der bei Käserinden sitzt, während er Geld zusammenscharrt, wie dies viele Schweizer thun. Ich liebe die Pracht und die Zeichen des Reichthums, liebe Kunst und Heiterkeit. Mein Haus soll sich frohen Gästen öffnen, ich will meine Frau schmücken und ihrer Eitelkeit keine Fesseln anlegen; ich werde ein gefälliger Ehemann sein und bin überzeugt, daß sie glücklich sein wird, wenn Sie nur will.

Sie besorgen also, daß sie nicht wollen möchte? sagte ich.

Ja, erwiederte er nach kurzem Bedenken, ich besorge es. Elsi ist unterthänig, und ist eingeschüchtert. Ihres Vaters Heftigkeit kennt zuweilen keine Grenzen, aber es hat doch einen Punkt gegeben, wo all sein Zürnen und Wüthen nichts geholfen hat. – Ich sage Ihnen, daß mein Bruder mit dem Kinde verlobt wurde, fuhr er fort, und das ist in der Schweiz eben nichts Neues. Wir haben hier Familienkränzchen, wo die Kinder verwandter und befreundeter Familien, welche von jung auf für einander bestimmt wurden, als Jugendgespielen zusammenkommen, und mit dem Gedanken aufwachsen, daß sie in so und so vielen Jahren Mann und Frau sein werden. Man hat diese Kränzchen oft verdammt, aber es sind alte, treffliche Einrichtungen, durch welche Jahrhunderte lang die edlen Geschlechter sich rein erhielten.

Man sollte denken, sagte ich, daß ein solcher Zwang oft ganz entgegengesetzte Wirkungen hervorbrächte.

Zuweilen wohl, erwiderte er, und vielleicht ist etwas Wahres daran, daß dadurch der größte Theil der Ehen um so langweiliger wird, das Heirathenmüssen eine gewisse Abstumpfung der Seelen in ihrer edelsten Freiheit bewirkt, und in der Ehe selbst eine Gleichgültigkeit zu Tage kommt, die auf das Familienleben zurückfällt. Ich habe das selbst empfunden während meiner dreijährigen Ehe.

Sie waren verheirathet? fragte ich.

Er lachte. Wie sollte ich nicht auch im Familienkränzchen meine bestimmte Braut gehabt haben, die meine Frau wurde, sagte er. Vor mehreren Jahren ist sie gestorben. – Man hatte mich so wenig gefragt, wie meinen Bruder, man sagte uns: Agnes wird Deine Frau, Du bekommst Elsi. – Ich habe folgsam geheirathet und die Sache genommen, wie sie war. Meine Frau war nicht schön, kränklich, reizbar, eingesponnen in Vorurtheilen, ohne Fähigkeiten – ich bin nicht eben glücklich gewesen. Mein Bruder traf es besser. Elsi war damals ein liebliches Geschöpf, lebendig, wie eine kleine Sylphe, und voller Talente. Sie malt vortrefflich und spielt den Flügel meisterhaft. Dieser Garten erinnert mich überall an jene Zeit, wo sie oft Monate lang bei uns zubrachte und ich beneidete den Glücklichen, der, Arm in Arm mit ihr, umherlaufen, im Mondschein dort oben in dem Tempel sitzen und mit ihr schwärmen und küssen konnte.

Dies Paradies ist zusammengestürzt, flüsterte ich.

Ich will es kurz machen, Ihnen später die Einzelnheiten mittheilen, antwortete er. Es ging alles gut, bis Rudolf aus Frankreich zurückkam. Er hatte als Ingenieur im eidgenössischen Generalstabe sich einigen Ruhm erworben, aus Eitelkeit trat er in französische Dienste, was wir durch unsere Verbindungen in Paris möglich machten. Anmaßend und eigenwillig war er immer, doch, als er wiederkehrte, brachte er Ideen mit, die ihn bald zu heftigen Zerwürfnissen mit uns Allen führten. Besonders hart gerieth er mit dem Obersten zusammen und endlich kam es dahin, daß dieser ihm sein Haus verbot und jede Verbindung aufhob. Auch meine Mutter sagte sich von ihm los; er stand verlassen, ohne Mittel, ohne Aussicht, denn in Betracht des großen Vermögens meines Onkels, das ihm zufallen sollte, und seiner Heirath mit einer reichen Erbin, war ihm vom Vatergute nur ein Pflichttheil überlassen worden. Das Meiste gehörte ohnehin meiner Mutter, allein es wäre ihm leicht gewesen, alles glücklich in's richtige Geleis zurück zu bringen, wenn er gewollt hätte. Statt dessen machte er den Bruch durch seine halsstarrige Heftigkeit vollkommen, trieb Zorn und Haß, bis zur höchsten Stufe, und ging endlich fort um den Tod zu finden.

Und Elsi?

Nun, die wurde lange Zeit in dem alten Hause am Wallenstätter See eingesperrt, bis der Trotz ihres tapferen Herzchens gebrochen war. Sie versprach zu gehorchen, zu entsagen, zu vergessen, aber nur in dem Einen blieb sie fest: nie sollte ein anderer Mann sie berühren. –

Eschenheim hieb lachend mit einer Ruthe, die er abgebrochen, durch die Luft.

Sie kennen die Mädchen, rief er, man muß warten und Geduld mit ihnen haben. Inzwischen wurde sie blaß, hüstelte, wurde mager, so daß dem alten, grimmen Obersten bange wurde. Er schaffte sie nach Nizza und da ist sie nun wieder frisch und munter zurückgekehrt. – Jetzt wissen Sie Alles, Freund, setzen Sie sich die Geschichte zusammen und helfen Sie mir zu einem Lustspielschluß. – Dort sehe ich Elsi im Tempel sitzen. Ich dachte es wohl, wir würden sie unter diesen Weinranken finden, wo sie die seligsten Stunden ihres Lebens gefeiert hat; denn was ist süßer für ein Weib, als die sentimentalen Erinnerungen ihrer ersten Liebe.

Mit diesen Worten stieg er lachend den Hügel hinauf und ließ mich folgen.


Drittes Kapitel.

Von diesem Tage an war ich ein nie fehlender Gast in Mariaschein und wurde gern gesehen. Frau von Eschenheim hatte von ihrem Sohne Aufschlüsse erhalten, in deren Folge sie ihre lederartigen Gesichtszüge zu einer Freundlichkeit gegen mich bewog, welche nur Wenigen zu Theil wurde. Ich mußte bald bemerken, daß die alte Dame sowohl, wie ihr Sohn, ein Zutrauen zu mir gefaßt hatten, welches ich weder suchte noch ihnen Grund gab es zu vermehren; denn in Wahrheit gestanden, ich konnte mich einer immer tiefer greifenden Abneigung nicht entwehren, je mehr ich diese Familie kennen lernte.

Moritz von Eschenheim war zwar bemüht, sich immer von der besten Seite zu zeigen, allein zwischen dem Glanz und der Glätte dieser Politur traten die Schatten doch genugsam hervor, um mich scheu und mißtrauisch zu machen. Er war einer von den Menschen, in deren Nähe man niemals warm werden kann, die zu schmeicheln und sich anzuschmiegen verstehen, wo es ihre Zwecke erfordern, dabei aber doch den Eindruck machen wie Katzen, bei denen man nicht sicher ist im nächsten Augenblick einen Krallenschlag zu bekommen.

Was seine Mutter betrifft, so war sie in Hochmuth und kastenhaften Vorurtheilen alt geworden; ohne Gemüth und aus einer Zeit stammend, wo die Schweizerinnen noch viel weniger Bildung erhielten, als dies jetzt der Fall ist. Ihre Familie war ein altes patrizisches Geschlecht, das, wie sie mit Stolz erzählte, mit gräflichen Häusern in Deutschland und Savoyen verwandt war; trotz dieses alten Adels und eines großen Vermögens, besaß sie jedoch einen kleinlichen Geiz und lebte mit ihren Nachbarn in vielerlei Fehden. Ihrem Hauswesen stand sie musterhaft vor; die pünktlichste Ordnung und Sauberkeit walteten darin und alle ihre Diener und Dienerinnen zeigten eine Ehrfurcht vor jedem ihrer Winke und Worte, die besser Furcht genannt werden mußte.

Die alte Dame war überall, bald im Garten, bald im Keller, bald in Stall und Küche, oder im Weinberg und auf den Rainen der Felder, oder im Buchenwalde, der die Berglehne hinaufzog und zu Mariaschein gehörte. – Und nicht allein bei Tage, auch Nachts wandelte sie umher und zeigte sich plötzlich den Erschreckenden, wo diese sie am wenigsten vermutheten. Die Grundzüge des Charakters dieser Frau waren Hochmuth und Geiz, alles Andere reihte sich darum und machte ihre Seele versteint, wie ihr Körper es war.

Ohne Zweifel würde ich Zürich sehr schnell verlassen haben, um aus diesem Kreise zu kommen, wenn Elsi und ihr Geschick mich nicht gehalten und gefesselt hätte. Meine Theilnahme für sie wurde, je mehr ich sie kennen lernte, um so größer, und wenn ich mir auch sagte, daß es ein trauriges Amt sei, ein so junges und liebenswürdiges Wesen zum Opferaltare führen zu helfen, so bildete ich mir doch ein, daß ich Gutes damit stiften könne; ich bildete mir ein, daß meine Nähe etwas Tröstendes und Beruhigendes für sie hätte und glaubte selbst in ihren Worten und Blicken den Wunsch zu lesen, daß ich bleiben möchte.

Viele Stunden brachte ich mit Elisen allein zu, denn wenn ich in Mariaschein war, erlaubte mir dessen strenge Hüterin und Beschützerin alle Freiheit, die ich mir nehmen mochte. Wir machten am See und im Walde Spaziergänge, wir saßen zusammen in dem Tempel, der die Hügelspitze des Weinbergs krönte, wir musizirten an dem schönen Flügel im Salon, oder ich brachte neue Bücher mit und las ihr vor, ohne daß die vergletschernde Nähe der alten Frau von Eschenheim uns beunruhigte. Diese zog sich zurück, vielleicht weil ihr Sohn es angerathen hatte, vielleicht aus dem Instinkt, daß es so besser sei, aber ich bin überzeugt, daß sie trotz dessen uns beobachten und bewachen ließ, denn ein paar ihrer alten Diener waren ihre Spione und darauf abgerichtet, uns zu belauschen.

Jeden Nachmittag kam Eschenheim heraus, blieb einige Stunden, aß mit uns, erzählte, lachte und machte sich so liebenswürdig, wie er es vermochte, doch häufig hielt er nicht bis zum Abend aus. Er entfernte sich, weil seine Geschäfte, und seine politischen Freunde ihn dazu nöthigten, und mit einer gewissen geheimnißvollen Wichtigkeit gab er uns Winke, daß große Dinge im Werke seien, welche der radikalen Wirthschaft in der Schweiz unverhofft ein Ziel setzen würden.

Dann und wann erschien auch Oberst Rüttiberg, der bald in seiner großen Fabrik am Wallenstätter See, bald an andern Ort bald in Zürich, war, von wo er nicht eben die beste Laune mitbrachte. –

Gewöhnlich begann seine Ankunft, mit vieler Zärtlichkeit gegen seine Tochter, Er erkundigte sich väterlich besorgt nach ihrer Gesundheit, nach den Fortschritten der Kur, nach der Stimmung ihres Gemüths und nach ihren Wünschen, bald aber, nachdem er mit Elsi Arm in Arm umherspaziert und leise Fragen gethan hatte, brach sein Unmuth los. Er stampfte mit den Füßen, runzelte die Stirn, preßte Lippen und Zähne zusammen und das Ende war ein Zerwürfniß, mit dem er ihr den Rücken kehrte und seine übrige Zeit der alten Herrscherin von Mariaschein widmete.

Für mich hatte der Oberst von Anfang an keine besondere Zuneigung gefaßt, und wenn er mich bei seiner Tochter traf, schien er nicht Uebel Lust zu haben grob zu werden, was er mit sichtlicher Mühe bezwang. Beim Abschiede dagegen, war er jedesmal höflicher, weil, wie ich wohl merkte, seine Vertraute und Eschenheim ihn beruhigten, und so gingen zwei Wochen vorüber, als ich ernstlich daran erinnert wurde, was eigentlich der Zweck der Freundschaft sei, die mir zu Theil geworden war.

Eschenheim ließ mich zum Frühstück einladen, wir waren allein. Er war sehr munter, wir tranken seine feinsten Weine, er erzählte muthwillige Geschichten, bis er plötzlich das Gespräch auf Elisen leitete.

Nun, sagte er lachend, welche Hoffnungen geben Sie mir? Sie haben Gelegenheit gehabt, Beichtvater zu werden. Was hat sie Ihnen mitgetheilt? Wie stehen meine Aktien bei ihr?

In Wahrheit, erwiderte ich in demselben Tone, ich weiß deren Cours nicht. Das Papier ist jedoch jedenfalls nicht besonders gut, da die Nachfrage so lau bleibt.

Er sah mich ernsthafter an und fuhr dann fort:

Man kann für solche Papiere aber allerlei thun, wenn man sie häufig anbietet.

Sie wollen doch nicht, lieber Freund, war meine Antwort, daß ich in dieser Art den Cours erschwindeln soll.

Nein, sagte er, nichts von Schwindel, allein Ihrer Einsicht vertraue ich, den wahren Werth zur Anerkennung zu helfen. – Elsi hat, ich weiß es, die beste Meinung von Ihnen gefaßt; Ihre Stimme, Ihr Urtheil würden viel vermögen. Ich habe Ihnen aufrichtig Alles gesagt, was sich sagen läßt; mir sowohl, wie meiner Familie und dem Obersten, würden Sie einen großen, nie zu vergütenden Dienst leisten! Haben Sie bis jetzt kein Wort mit Elsi darüber gewechselt? Hat sie Ihnen nichts vertraut?

Ich habe auf dies Vertrauen gewartet, erwiderte ich, und einigemale die Anregung dazu gegeben, indem ich ihr merken ließ, daß mir ihre Geschichte bekannt sei; aber ich glaube, eben deswegen und weil sie in mir ihren Freund vermuthet, wußte sie jede Erklärung von sich abzuhalten.

Das sieht ihr ähnlich, rief er seine Stirn faltend aus. Es ist ein stiller verschlossener Charakter. Man hält sie für schwach und kindisch, doch sie ist hartnäckig und eigensinnig, mehr als man glaubt. Aber sie soll sich fügen und muß sich fügen; wir müssen damit zu Ende kommen.

Sie werden doch keine Gewalt brauchen wollen?

Gewalt! – Man muß den Weibern, wenn sie närrisch sind, immer eine gewisse Gewalt zeigen, um sie gehorsam zu machen. Der Oberst hat mir sein Wort gegeben, er besteht nicht mehr auf Aufschub. Alles hängt jetzt an dem Eigensinn dieses kleinen Kopfes, dessen Trotz gebrochen werden muß.

Wäre es aber nicht das Beste, begann ich, als er schwieg, wenn der Oberst in einer ruhigen und väterlichen Unterredung ihren Widerstand zu überwältigen suchte?

Nein, sagte er, dazu ist er unfähig. Er wird heftig, wo er überreden soll und dann – hat er Elisen sein Wort gegeben, sie niemals zu einer Heirath zu zwingen.

Sie sind der Einzige, fuhr er fort, indem er mir die Hand drückte und lebhaft sich zu mir wandte, der es zum Besten wenden kann. Sie haben aber dennoch Recht mit Ihrem Rath, Rüttiberg soll heut Nachmittag sein Heil versuchen. Ich will ihn bestimmen, alle weichen Seiten, deren er fähig ist, zusammenzufassen. Er soll bitten, soll ihr sein Herz ausschütten, bei seinen grauen Haaren sie beschwören; doch Sie müssen in der Nähe sein, und wenn er, wie ich fürchte, nicht zum Ziele kommt, dann, lieber Freund, dann müssen Sie ihn unterstützen.

Was ich auch einwenden mochte und wie ich mich sträubte, er ließ nicht ab mit Bitten und schmeichelnder Ueberredung, bis ich zuletzt mich bereit erklärte, mich in Mariaschein einzufinden und, wenn Elise meinen Rath verlangte, ihr diesen zu ertheilen

Aber, fügte ich hinzu, fordern Sie nicht mehr von mir. Meine gewonnene Ueberzeugung will ich gern zu Ihrem Nutzen verwenden, gern dazu beitragen, Ihre Sache zu fördern, wenn dies durch eine Betrachtung aller Umstände geschehen kann. Ich kann meine Gründe Fräulein von Rüttiberg darlegen, allein ich kann sie nicht überreden, diese zu befolgen.

Er blickte mich spöttisch an.

Nun gut, sagte er. Sie sind ein echter Deutscher. Sie thun es mit Gründen und Grundsätzen, Machen Sie was Sie wollen, doch handeln Sie für mich, wie Freundschaft es Ihnen eingiebt, ich bin mit Allem zufrieden.

Wir blieben beisammen, bis der Oberst eintrat. Er hatte Verdruß gehabt, hatte Geld an Unternehmungen verloren und war in schlechter Stimmung. –

Ich will mich von allen Geschäften zurückziehen, rief er, es ist eine Narrheit, sich solche Last in meinen Jahren auf die Schultern zu packen, da ich keinen Sohn habe, der mein Erbe für diese weitläuftigen Unternehmungen wäre.

Aber ein Schwiegersohn könnte es thun, fiel Moritz belustigt ein.

Wo ist er? fragte der Oberst, heftig sein Glas aufstampfend, nachdem er es geleert hatte. Aufrichtig, Eschenheim, ich verzweifle daran. Elsi will nicht heirathen. Mag der Henker die Familienkiste holen, sammt Allem was darin ist! – Hier habe ich einen neuen Brief von meinem Agenten aus Antwerpen. Es ist kein Mensch von dem Packetboot gerettet worden. Da liegt die Schiffsliste, da steht sein Name. Alles wahr und gewiß, aber ich mag nichts weiter davon hören.

Er sah mich finster an, als sei ich ihm im Wege, oder die Ursache, daß Elsi nicht heirathen wollte. – Eschenheim winkte mir heimlich zu, ob ich dem Gespräch weiter beiwohnen wolle oder nicht, ich zog es jedoch vor, mich zu entfernen. Er begleitete mich hinaus.

Der Oberst hat den Muth verloren, sagte er, ich muß ihn wieder aufrichten. Gut, daß Sie uns allein lassen, ich kann ihm jetzt seine Rolle einlernen und Ihre Freundschaft in das gehörige Licht stellen.

Der Oberst scheint wenige Hoffnung zu haben, erwiderte ich.

Ich um so größere, rief er lachend. Seien Sie unbesorgt, mein Herz sagt mir, Sie führen mir die Braut zu.

Und wenn diese Hoffnung täuscht?

Dann werde ich mich zurückziehen, bis Elsi zur Besinnung gekommen ist.

Was nennen Sie zur Besinnung kommen?

Bah! rief er aus, wilde Falken zähmt man durch Einsamkeit und Entbehrung, Eigensinn bricht man durch Strenge. – Ein einziger Winter im schwarzen Hause würde sie so gelehrig machen, daß sie mit Freuden in meine Arme hüpfte. Adieu, mein Freund, um vier Uhr sind Sie in Mariaschein, aber pünktlich!


Viertes Kapitel.

Ich hatte mein Wort gegeben und machte mich zur bestimmten Stunde auf es einzulösen, doch es war ein saurer Gang. Ich sagte mir, daß ich nichts thue, was meiner Ehre zuwider sei, daß ich vielmehr an einem sehr nützlichen und guten Werke helfen würde, daß ich Familienzwist hindern und Unfrieden versöhnen, eine Verbindung befördern wolle, die wenigstens eben so gut und besser ausfallen könne, als zahllose andere.

Eschenheim war reich, ein stattlicher Mann. Viele tausend Mädchen heirathen ja ohne Liebe und wenigstens würde er das nöthige Wohlwollen haben, um seine Ehe für beide Theile erträglich zu machen. Elsi hatte den aufgegeben, der ihr bestimmt war. Der unfügsame, wilde Mensch hatte alle Verhältnisse roh zerschlagen, um in die weite Welt zu ziehen. Jetzt hatte er sein Leben eingebüßt, sie war somit ganz frei, und bei den eigenthümlichen Umständen kam es mir vor, als sei es ihre Pflicht, Moritz ihre Hand zu reichen, und den Familienpakt zur Ausführung zu bringen.

Das Alles und vieles Andere sagte ich mir, aber mein Gewissen konnte sich nicht ganz dabei beruhigen. Eschenheims Charakter war nicht von der Art, um volles Vertrauen zu ihm zu fassen, daß er Elisens Opfer durch zarte Güte vergelten und in ihrem Herzen, aus Achtung und Freundschaft, jene Gattenliebe erblühen lassen könnte, die oft so reichen Ersatz für die mangelnde erste und heiße Neigung giebt.

Die verhöhnende, wegwerfende Schärfe seiner Aeußerungen, sein Hochmuth und seine Vorurtheile fielen mir ein; seine Freundlichkeit, die immer etwas Lauerndes und Gemachtes hatte, war mir widerwärtig, und seine Sanftmuth nahm nur zu oft den Schein der Verstellung an. In ungezwungenem Umgange war er kalt, hart und unempfindlich, sollte ich dazu helfen ihm dies arme Mädchen zu überliefern, das offenbar eine tiefe Abneigung gegen ihn hegte?

Aber, mein Gott! Eschenheim war ein kluger, erfahrener, vielseitig gebildeter Mann, mit ihm zu leben und seine Frau zu sein, ein prächtiges Landhaus, glänzende Equipage zu besitzen, Reisen zu machen, seinen Luxus zu theilen, war doch kein allzugroßes Unglück.

So gelangte ich nach Mariaschein und trat in den Garten. Es war ein schöner Tag; ich sah nach der Uhr, sie zeigte genau auf vier. Niemand ließ sich blicken. Ich ging zwischen den Bäumen fort und mit zögernden Schritten durch die Blumenboskets, bis an die Vorhalle, wo der Schall heftig gesprochener Worte mir entgegen kam und mich erschreckte.

Als ich die Stufen hinaufstieg, konnte ich gedeckt von einer der Säulen, den Saal überblicken und Zeuge einer Scene sein, die mich aufs Lebhafteste erregte.

Elise stand an der hohen Lehne eines der rothen Sammetstühle, den sie mit einer Hand festhielt, während sie die andere zu ihrem Vater aufhob, der zornglühend ihr drohte. –

Das dunkelrothe Gesicht des Obersten bezeugte, daß er alle Lehren des weisen Eschenheim vergessen hatte. Seine Stirn war von hochgeschwollenen Adern bedeckt, seine Lippen zitterten vor Wuth, seine ganze Stellung und der Ausdruck seines Gesichts, ließen mich fürchten, daß er im nächsten Augenblick auf seine Tochter stürzen und diese zu Boden schlagen würde; aber ich bemerkte in den Zügen des jungen Mädchens keine Furcht vor einer solchen rohen Behandlung. Sie stand regungslos vor dem heftigen Greis; ihr Gesicht war geisterbleich, ihre Lippen blutlos, aber ihre Augen hefteten sich groß und starr auf ihn; ein Ausdruck kalter Entschlossenheit drückte sich in ihren Mienen aus.

Ich weiß nicht, ob der Oberst mich erblickte, als er nach der Thür sah, oder ob ihm ein plötzliches Ueberlegen kam. –

Du willst nicht? rief er mit rollenden Augen; Närrin! Undankbare! Ist das mein Kind? – Du willst nicht?! –

Er ließ den Arm fallen und senkte seinen Kopf tief auf seine Brust.

So geh' denn, setzte er plötzlich mit tiefer Stimme hinzu, geh' und thue, was Dir gefällt. Mein graues Haar wird bald seine Grube finden, mein Kummer wird sein Ende erreichen; aber wenn ich nicht mehr bin, Elsi, wenn Deine Thränen mich nicht wieder erwecken können, dann wird die Reue kommen, Dir wirst Dir sagen müssen, mein Eigensinn, mein Unverstand haben meinen Vater getödtet.

O! Vater – mein Gott, schütze mich! rief Elsi, indem sie einen Schritt that, als wollte sie an seinen Hals sich festklammern. – Der Oberst machte eine abweisende Bewegung.

Laß es sein, sagte er grollend, ich glaube es doch nicht. Was ist Deine Liebe? Was ist ein Kind, das vor der Zeit mich zum alten, einsamen Mann macht, auf den die Menschen mit Fingern zeigen? Bleib! ich habe Dir nichts mehr zu sagen.

Er ging durch eine Seitenthür und blieb einen Augenblick, überwältigt von seinen väterlichen Empfindungen, stehen, als er sah, daß Elsi in den Stuhl sank und ihre Hände schlaff in ihren Schooß fielen. –

Dann war sie allein, ein Bild des tiefsten Seelenkummers. Ihre Finger falteten sich langsam mechanisch, wie zum Gebet; ihre Lippen flüsterten leise Worte. Sie schauderte zusammen, strich mit einer wilden Bewegung das Haar zu beiden Seiten ihrer Stirn, hielt ihren Kopf fest, als sei er zu schwer von den Gedanken, die ihn erfüllten, und fiel dann wieder in lethargische Bewegungslosigkeit.

Nach einigen Minuten trat ich herein, unvermögend länger ein Zuschauer zu bleiben und voller Mitleid mit ihr. –

Bei meinen Schritten sah sie auf, ein schmerzhaftes Lächeln glitt durch ihre Züge, sie streckte die Hand nach mir aus.

Was ist geschehen, liebes Fräulein? fragte ich stockend.

Was Sie wissen, erwiderte sie leise. – Glauben Sie nicht, daß ich die Absicht nicht kenne, die auch Sie gegen mich verbündet.

Gegen Sie verbündet? antwortete ich. – Das ist ein tiefkränkender Vorwurf, theure Freundin, der mir den Muth nimmt, wieder vor Ihnen zu erscheinen.

Ich will Sie nicht beleidigen, ach! gewiß nicht, sagte sie bittend. Sie meinen es gut mit mir, ich weiß es. Ich lese Ihren Antheil in Ihren Blicken; aber Sie haben sich überzeugt, daß es verständig, nützlich und nothwendig sei, wenn ich meinem Vetter Eschenheim meine Hand reiche.

Sie sah mich mit ängstlicher Erwartung an, allein ehe ich eine Antwort geben konnte, fuhr sie in ruhigerem Tone fort:

Kein Wort darüber! Was könnten Sie sagen, was mir nicht bekannt wäre? – Ich glaube, ich vertraue Ihnen, – mein Herz, mein Kopf – ich muß erliegen!

Was Sie auch thun mögen, erwiderte ich, ich will keinen Antheil daran haben. Wenn Ihr Herz und Ihr Kopf den Mann verwerfen, der um Sie wirbt, wenn Sie Alles bedacht, Alles wohl überlegt haben, wenn die besonderen Fügungen der Verhältnisse und die inständigen Bitten ihrer nächsten Verwandten und Freunde Ihren Widerwillen nicht besiegen können, wenn Ihr Unglück Ihnen gewiß scheint, dann widerstehen Sie auch jetzt, und was ich zu Ihrem Beistande vermag, will ich thun.

Sie schüttelte leise den Kopf und blieb eine Zeit lang starrblickend sitzen, bis sie plötzlich zu mir aufsah und Ihre Augen den sanften Glanz erhielten, der sie so schön und traurig machte.

Ich danke Ihnen von ganzem Herzen, sagte sie, aber ich fühle es, daß ich mich unterwerfen muß. – Meines Vaters Zorn habe ich ertragen können, seiner Anklage um sein graues Haar muß ich erliegen. – Er soll froh werden, er soll mich wieder lieben, ich will an seinem Herzen ruhen, wenn – wenn –

Sie legte die Finger fest auf ihre Brust und mit einem Schimmer von Heiterkeit, der sich über das blasse Gesicht verbreitete, fügte sie hinzu:

Was ist es denn auch mehr? Vielleicht ist mein heftiges Sträuben wirklich kindisch und thöricht. Mein hinfälliger Körper ist nicht dazu geeignet, lange Stürme zu ertragen, und wenn ein Mensch etwas Gutes und Vernünftiges thun, wenn er Frieden verbreiten und anderer Menschen Wünsche erfüllen kann, soll er dann nicht sich und seine Neigungen dafür opfern können?

Wenn dies Opfer sein Glück und sein Leben bedroht, muß er sich zunächst bedenken, erwiderte ich.

Was ist Leben und was ist mein Leben? sagte Elsi lächelnd. Das Glück ist daraus verschwunden, wie die Sonne verschwindet und nichts übrig läßt, als Nacht.

Aber die Sonne kehrt zurück, murmelte ich.

Nein, antwortete sie, den Todten scheint sie nie wieder. Wie sonderbar, daß ich erst jetzt mir dies sagen muß, jetzt erst mich der Gedanke ergreift, daß es gleichgültig sei, wo und wie man die Finsterniß verlebt. Darf ich Ihre Freundschaft um Hülfe bitten?

Alles was Sie wollen.

Dann suchen Sie meinen Vater auf oder Moritz Eschenheim, gleichviel wen. Sagen Sie ihm, daß ich mich besonnen hätte, daß Ihre klare und eindringliche Darlegung aller Verhältnisse mich bestimmt hätten. – Sie müssen es gestatten, unterbrach sie sich, als sie meinen Widerspruch sah. Niemand soll erfahren, daß meines Vaters graues Haar, seine zitternde Stimme und seine Thränen mich dahin brachten – nein, meine Vernunft, meine Einsicht, die Erkenntniß meiner Thorheit, ich – ich selbst, mein freier Wille. – Mein Gott! ja, mein freier Entschluß, ohne jeden Zwang, bewirkt, daß ich Eschenheims Frau werden will.

In diesem Augenblick rollte Eschenheims Wagen den Kiesweg herauf. Elsi wurde todtenbleich, sie schien einer Ohnmacht nahe.

Sie können ihn jetzt nicht empfangen. Ich will ihn zurückhalten, sagte ich bestürzt.

Führen Sie ihn herein, sagen Sie ihm, daß ich bereit bin, erwiderte sie mit kaum hörbarer Stimme.

Ich eilte hinaus, die Stufen hinab, Eschenheim kam mir entgegen. Er sah in mein Gesicht und entdeckte darin den hohen Grad von Aufregung.

Nun? fragte er, und ein wahrhaft satanischer Ausdruck von Hohn und Grimm zuckte um seine Lippen.

Kommen Sie, sagte ich, Elise erwartet sie.

Also abgemacht? rief er, und plötzlich veränderten sich seine Züge. Was prophezeite ich Ihnen? – Wo ist sie? Ah dort! – Theure Elsi, endlich erhörst Du meinen heißesten Wunsch; aber meine innige Verehrung soll Dir lohnen. – Wo ist der Vater? Wo ist meine Mutter? Laß Deine Thränen fließen, ich werde sie trocknen. Wir wollen ja nur Dein Glück, Du kleiner Eigensinn, in meinen Armen sollst Du alle Noth vergessen.

Ich ging den Weingang hinauf und bis in den Park, ja ich hatte die größte Lust davon zu laufen, und saß lange Zeit auf einer einsamen Bank, überlegend, ob es nicht das Beste sei, wenn ich morgen abreiste, um von diesem Brautpaar nichts mehr zu sehen. –

Nach einer Stunde suchten sie mich. – Elise kam an Moritz Arm, der Oberst führte Frau von Eschenheim, ich erhielt mein vollgemessenes Theil, von Danksagungen und Freundschaftsbetheuerungen und freute mich heimlich über Elsis Fassung und sichtliches Bestreben, einen Schimmer von Frohsinn zu ermöglichen.

Als wir endlich wieder im Salon beisammen saßen, wurde die eheliche Verbindung besprochen. Eschenheim hatte große Eile, er wollte am nächsten Tage schon die kirchlichen Vorbereitungen zu den Aufgeboten einleiten, in sechs Wochen sollte die Trauung stattfinden. Der Oberst hielt es für zu früh, Eschenheim appellirte an die Braut.

Worauf sollen wir warten? sagte er. Mein Haus ist eingerichtet, Vorbereitungen sind nicht nöthig, unsere Verwandten und Freunde werden nicht überrascht sein, denn sie kennen die Verhältnisse. Sage ja, theure Elsi, gieb Deine Einwilligung und erhöre meine Ungeduld, Dich meine kleine, süße Frau zu nennen.

Wenn Du es willst, erwiderte Elsi lächelnd, bin ich folgsam.

Er küßte sie dafür und überhäufte sie mit Zärtlichkeitsversicherungen, die sie leidend hinnahm. –

Der Oberst war entzückt über diese Scene, er wischte sich die Thränen ab und gerieth in eine Vaterseligkeit, die ihn zu den großmüthigsten Versprechungen hinriß; denn er gelobte nicht allein eine bedeutende Ausstattungssumme zu zahlen, sondern auch ein beträchtliches Jahrgeld, um dessen Annahme und Zurückweisung sich ein edelmüthiger Streit erhob.

Während dessen hatte die alte Dame sich Elsis bemächtigt, und Alle wetteiferten, ihre Zukunft mit angenehmen Bildern auszuschmücken. Eschenheim wollte mit seiner jungen Frau reisen, sie selbst mochte wählen, wohin er sie führen sollte; sein Haus, so prächtig es war, sollte neu eingerichtete Gemächer für die schöne Herrin erhalten, und Mariaschein sollte ihr allein gehören. Frau von Eschenheim umklammerte sie mit ihren langen Fangzangen und schenkte ihr das reizende Landhaus sammt Allem, was dazu gehörte.

So saßen wir beisammen bis am späten Abend unter allerlei Plänen und Genüssen, denn vor uns stand eine reich besetzte Tafel und draußen kam der Mond über die prächtigen Berge von Schwyz und beleuchtete den See und die malerischen Ufer. Eschenheim entwickelte alle Liebenswürdigkeit, deren er fähig war. Er küßte Elsis Hände, er flüsterte mit ihr, führte sie Arm in Arm in den Saal umher, scherzte und lachte mit dem Obersten und seiner Mutter, und trank Champagner mit mir auf das Versprechen, seine Hochzeit abzuwarten.

Endlich war Elise verschwunden, sie hatte den Zwang nicht länger ertragen können. Eschenheim eilte fort, sie aufzusuchen, an der Thür aber winkte er mir, und als ich bei ihm war, zog er mich in die Laubengänge und flüsterte mir zu:

Langsam, mein Freund, langsam, ich komme früh genug zu meinem Glücke, und muß wahrhaftig Athem sammeln, um bei Laune zu bleiben.

Brauchen Sie Laune, erwiderte ich, nachdem Sie alles erreicht haben, was Sie wollten?

Erreicht, ja, sagte er, aber was erreicht?! Eine dornenvolle Ehe, theurer Freund, die vor mir liegt, wie die Sahara, welche ich schon einmal durchmessen habe. – Glauben Sie, daß ich das nicht sehe? Meine verewigte Frau liebte mich und quälte mich. Elsi liebt mich nicht und wird als lebendige Leiche an mir festgeschmiedet bleiben.

Bei so vieler Herzensgüte, so trefflichen Eigenschaften und edler Sinnesart, wie Fräulein Rüttiberg dies Alles besitzt, war meine Antwort, sollte ich denken, es könne nur von Ihnen abhängen, ihr Herz zu gewinnen.

Ich werde es nie gewinnen! rief er, seine Hand auf meine Schulter legend, heut weiß ich es gewiß. Elsi hat nachgegeben, weil sie keinen Ausweg mehr sah; es war ein Anfall jener Verzweiflung, in der uns alles gleichgültig wird, wie ein zum Tode verurtheilter Verbrecher, endlich nach langer Angst sich willig zum Block fortschleppen läßt. – Das stand auf ihrer Stirn, in ihren Augen, in jedem Zuge. Ich sah, wie sie zitterte, wenn ich ihr nahe kam, ich las ihre Gedanken, wenn ich sie küßte – ich weiß Alles, Alles; sie fürchtete sich mehr als je. –

Er lachte, indem er sein Gesicht zum Monde aufhob, der hell hinein schien und ihn häßlich machte. Der Wein schien in seinem Kopfe zu toben.

Und mit dieser Gewißheit wollen Sie dennoch an eine Heirath denken? fragte ich.

Was, zum Henker! soll ich denn thun? erwiderte er. Muß ich denn nicht? Binden mich nicht die Verhältnisse so gut, wie sie? – Glauben Sie, daß es mir Vergnügen macht, mich diesem blassen, mageren Mädchen zu verschreiben? – Sehen Sie mich nicht so mißvergnügt an, warum soll ich lügen? Wäre es möglich, einen Ausweg zu finden, ich würde ihn ergreifen; da es nicht möglich ist, muß ich mich schicken. Bah! fürchten Sie nichts für Elsi. – Ich will so zart und rücksichtsvoll mit ihr umgehen, so viele Versuche machen, ihr Herz, wie Sie es nennen, zu gewinnen, daß ein Pariser Lion von mir lernen könnte. Aber ich fürchte beinahe, meine Zärtlichkeit wird ihre Abneigung vermehren, und, wenn ich das wüßte – er hielt inne und lachte. – Liegt in dem Hasse eines Weibes nicht wenigstens eben so viel Poesie, wie in ihrer Liebe?! rief er aus.

Ein gellender Schrei unterbrach ihn, der nicht weit von uns aus dem Baumgange zu kommen schien. –

Das war Elsi! rief Eschenheim, was ist geschehen?!

Er lief voran, ich folgte, aber ich sah ihn zurückprallen und mit stieren Blicken und ausgestreckten Armen stehen bleiben, als sähe er etwas Entsetzliches, Grauenerregendes. Der Mond schien durch das Geblätter hell auf die Marmorstatue einer Diana, und unter ihr richtete sich die Gestalt eines Mannes empor, der Elsi in seinen Armen hielt, und sie eben in einen der eisernen Lehnsessel barg, die wenige Schritte zur Seite standen. –

Er beugte sich über sie hin, dann wandte er sich um. Das blasse Licht fiel auf ihn, es war ein schönes, ernstes, edles Gesicht. Ein dunkler Bart umkräuselte Kinn und Lippe, seine Augen thaten sich weit auf, seine hohe Stirn schimmerte weißer, wie der Marmor neben ihm; die ganze Erscheinung war geisterhaft.

So mußte sie auch Eschenheim im ersten Schrecken vorkommen. Mit halb erstickter, bebender Stimme stammelte er ein paar Worte, die wie: Gott schütze uns! klangen.

Vor wem? fragte der Fremde in tiefem Tone. Er schütze dies arme Kind vor Dir; er bessere Dich und alle hochmüthigen Sünder!

So lebst Du?! rief Moritz von Eschenheim, tief Athem holend.

Zu Deinem Aergerniß, ja, Du Feigling, war die Antwort. Sieh her, das ist Fleisch und Bein. Ich liege nicht im Meere, ich stehe hier, gesund und wohl auf meinen Füßen, und komme zur rechten Zeit, um Elsi von Deinen bösen Lüsten zu befreien.

Ich werde Dir keine Antwort auf Beleidigungen geben, sagte Eschenheim ruhig, ich kann dergleichen ertragen; Du hast mehr gethan als Das. – Was willst Du hier? Was bedeutet Dein Eindringen in meine Wohnung bei Nacht? Ich ersuche Dich, mich zu verlassen.

Heuchler! erwiderte der Fremde, nach einem augenblicklichen Schweigen.

Geh, fuhr Moritz Eschenheim in demselben verächtlichen Tone fort, oder ich werde Mittel ergreifen, Dir jeden neuen Versuch, den Frieden und die Gesundheit dieses armen Kindes und meiner Mutter zu stören, nachdrücklich zu verleiden.

Schweig, Du elender Bub'! rief sein Gegner und jetzt erinnerte ich mich, daß dies dieselbe Stimme war, die jene Worte am Münster hinter uns gesprochen hatte.

Die beiden Brüder standen sich gegenüber. Das stolze und kühne Gesicht des jüngeren sah mit drohender, überlegener Gewalt auf Moritz, der die äußere Hülle seiner eisigen Ruhe festhielt, während der tödtlichste Haß und Hohn aus seinen Blicken leuchteten. –

Ich gehe, sagte Rudolf von Eschenheim endlich, aber hoffe nicht, daß Deine Pläne gelingen. –

Er legte seine Hand auf Elsis Kopf und sprach zu ihr hingeneigt:

Du hörst mich, geliebte Elsi, ich weiß, Du hörst mich. – Folge diesem Buben nicht, der Dich verderben würde, falsch und verdorben, wie er selbst ist. Halte an Deinen Schwur, hoffe und harre, die Zeit wird kommen, die uns vereint – und Du, wenn Du menschlich noch fühlen kannst, rief er seinem Bruder zu, laß ein menschlich Erbarmen durch Dein hartes Herz gehen. Aber ach! eher würde ein Tiger Mitleid fühlen, ein Wolf sich seines Bruders annehmen. – Lebe wohl, meine Elsi, es muß so sein! –

Er küßte ihre Lippen, sprang über die Hecke, und war in wenigen Augenblicken verschwunden.


Fünftes Kapitel.

Ich werde die Geschichte dieses traurigen Abends nicht vergessen, als Elise endlich auf dem Sopha im Saale lag, Frau von Eschenheim sie mit Essenzen begoß, und mißtrauisch, bösartig betrachtete, der Oberst nach Aerzten schrie, und Moritz mit finsterem Lächeln und verschränkten Armen an ihrer Seite stand.

Plötzlich schlug sie die Augen auf und ihre irren Blicke suchten umher, während sie sich aufrichtete und seufzend zurückfiel. –

Was ist denn geschehen? Reden Sie endlich, Eschenheim, rief der Oberst.

Sprich, mein Sohn, was ist Dir begegnet, sagte die alte Dame.

Ein Todter ist auferstanden und sein elender Schatten hat Elsi erschreckt, erwiderte Moritz, indem er die Hand des Fräuleins ergriff.

Wer? fragte Rüttiberg.

Ehe Eschenheim antworten mochte, und er ließ sich Zeit dazu, richtete sich das junge Mädchen so gewaltsam auf, als schnelle sich ihr Körper empor. Sie stand auf ihren Füßen und schien hinaus eilen zu wollen, woran sie gehindert wurde. –

Wo ist er? rief sie, wo habt ihr ihn? Man hat mich betrogen! Er lebt! Ich widerrufe Alles! – Mein Vater! Barmherziger Himmel, rette mich! Rudolf, ich bin hier! O mein Gott! er lebt! –

Ein krampfhaftes Gelächter kam aus ihrer Brust, Thränen und Lachen, Freude und Verzweiflung zu gleicher Zeit.

Was ist Wahrheit? schrie der Oberst mit seiner Donnerstimme.

Er lebt, sie hat Recht, antwortete Eschenheim kalt. So toll und frech, wie er von uns ging, ist er zurückgekommen. Wir sind nicht von ihm befreit worden, alle Nachrichten sind falsch. Er hat Elsi aufgelauert und sie überfallen. Wir kamen dazu, als er sie in seinen Armen hielt, die Ueberraschung hatte sie ohnmächtig gemacht.

Der Elende! schrie der Oberst.

Der Bösewicht! sagte die Mutter.

O! nein, nein! rief Elsi aufstehend, warum flucht ihr ihm? Was that er? – Laßt mich fort, laßt mich, – ich muß zu ihm. Er steht am Thor, er ruft mich!

Ihr Vater schleuderte sie mit rauher Hand in die Ecke des Sophas zurück. –

Kein Wort mehr, keinen Blick, keine Bewegung! sagte er, außer sich vor Zorn.

Ich hielt seinen Arm fest und drängte ihn zurück. –

Seien Sie mild, flüsterte ich, sie ist im Fieber, in der höchsten Aufregung. Rasch zu Bett, ein Arzt herbei, kühlende Getränke, Umschläge, Ruhe und Einsamkeit.

Er starrte mich an, dann seine Tochter, aber Eschenheim kam mir zu Hülfe; man rief Diener herbei, denn Elsi war besinnungslos, und mitten in der Verwirrung nahm ich meinen Hut und eilte davon. Ich mochte die weiteren Erörterungen nicht hören.

Als ich den Ausgang des Wäldchens erreicht hatte, und von der Hügelkette an das Seeufer hinabstieg, sah ich einen Mann unter den letzten Bäumen stehen. Es war Rudolf von Eschenheim, der mich sogleich anredete. –

Ich glaube, sagte er, daß ich ein gewisses Recht habe, Sie um ein Gespräch zu bitten, das Sie nicht aufhalten soll, denn ich werde mit Ihrer Erlaubniß Sie begleiten. Doch wie geht es Elisen? Aus Barmherzigkeit verschweigen Sie mir nichts.

Ich erzählte ihm, was ich wußte, mit wenigen Worten; er hörte still zu und ging eine Zeit lang schweigend neben mir.

Das ist der Fluch, unter dem wir leben, begann er dann, vor sich hin sprechend. Das sind die Folgen der Sünden, die Kinder und Enkel zu tragen haben. Parteienwuth zerreißt die heiligsten Banden der Natur. Der Vater wüthet gegen die Tochter, die Mutter gegen den Sohn, der Bruder möchte den Bruder morden. In keinem Lande stellt sich das so grell heraus, wie hier. Ich bin Ihnen jedenfalls als ein Elender, ein Entarteter, ein Nichtswürdiger geschildert worden. Meine Mutter hat mich verstoßen, mein Bruder mir Segen und Erbtheil entrissen, das Weib, das mich liebt, wird zu Tode gequält und ich habe nichts gethan, als meine Ueberzeugungen nicht aufgeben wollen. – Ich wollte fort, in einer neuen Welt mein Heil versuchen, aber zu meinem Glücke blieb ich in England krank zurück. Das Schiff ging verloren und statt des Kummers empfanden, die mir am nächsten standen, eine barbarische Freude darüber. – Ich kehrte zurück, ich konnte mich nicht losreißen, ich hatte einen andern Entschluß gefaßt. Noch einmal wollte ich die Herzen der Menschen versuchen, in meiner Verborgenheit aber verlor ich meine schwache Hoffnung. Der Elende, den ich Bruder nennen muß, benutzte die Todesnachricht, um Elsi endlich ganz in seine Gewalt zu bekommen. Ich beobachtete ihn genau, ich wußte, daß Sie täglich bei ihm waren, und ich beschloß, mich an Sie zu wenden, Ihnen Aufschlüsse zu geben, deshalb steckte ich im Münster ein Zettelchen in Ihre Hand, das keine Beachtung erhielt.

Das kam von Ihnen? rief ich aus.

Von mir, fuhr er fort. Ich stand als Landjäger gekleidet und unkenntlich gemacht, hinter Ihnen und sah meinen Bruder erbleichen, als er meine Stimme hörte. Das böse Gewissen trieb das Blut aus seinen Adern; Sie kennen ihn nicht, Sie wissen nicht, wie kalt überlegend, gemein und sittenlos sein ganzes Leben gewesen ist. Er hat eine liebenswürdige Frau gehabt und hat sie zollweis an seinen Lastern sterben lassen. Er ist ein Wüstling, ein Schwelger und ein Geizhals zu gleicher Zeit. Er weiß nichts von Recht und Gerechtigkeit; ohne Herz, ohne Gefühl, ohne Schaam, kennt er nur seine Lüste und seine Selbstsucht, aber er ist reich, Reichthum giebt Macht, in der Schweiz kann ein reicher Mann Alles thun.

Als Sie mich nicht beachteten, gab ich den Gedanken auf, mich Ihnen zu nähern, aber ich erfuhr, daß Sie täglich in Mariaschein waren. Elise wurde genau bewacht, auch Sie wurden bewacht, meine Mutter ist eine Meisterin in solchen Künsten. Ich machte tausend Pläne. Ich wollte meine Mutter sehen, wollte den Obersten sprechen, wollte meinem Bruder entgegen treten, aber ich gab diese Pläne auf, denn ich wußte, daß es vergebens war. Ich kam auf das zurück, was mich hierher getrieben hatte, und nur allein ausführbar schien.

Er blieb stehen, sah mich an und streckte seine Hand aus. –

Wir sind uns fremd, sagte er, Sie gelten als meines Bruders Freund, dennoch habe ich den Glauben, daß Sie weit mehr Elsis Freund sind, und ist dies der Fall, so können Sie mit jenen Menschen keine gemeinsame Sache machen.

Ich versicherte ihn, daß dies auch nicht der Fall sei, und theilte ihm den Antheil mit, den ich bis jetzt an dieser traurigen Familienangelegenheit genommen hatte. –

Er hörte schweigend zu, und schien zu überlegen, endlich aber rief er in seiner männlichen entschiedenen Weise:

Ich will Ihnen nichts verbergen. Ich kam heut Abend nach Mariaschein in der Hoffnung, einen Weg zu entdecken, auf welchem es möglich wäre, einen Brief sicher in Elsis Hände zu bringen. Zum ersten Male wagte ich mich in den Park hinein, plötzlich stand sie vor mir. Sie erkannte mich und stieß einen Schrei aus, der Alles verdarb. – Ohne diesen Schrei, fuhr er langsam fort, würden wir uns verständigt haben.

Ihre Erscheinung, fiel ich ein, mußte um so mehr eine erschütternde Wirkung hervorbringen, da wenige Stunden früher, sie endlich in ihres Herzens Verzweiflung sich entschlossen hatte, Ihres Bruders Wünsche zu erfüllen.

Das also, rief er heftig aus, das war die Ursach! – Dann ist der Würfel geworfen und nichts bleibt übrig. – Ich will diesen Henkern ihr Opfer entreißen. Elise muß mir folgen – sie wird folgen!

Wohin? fragte ich.

In ein Land, wo uns keine Vorurtheile verdammen! rief er aus; wo die Menschen nach ihrem Werth gelten, wo Arbeit nicht schändet, wo man arm sein kann, ohne zu erröthen. Ich bin mit dem Entschlusse zurückgekehrt, Elsi mit mir zu nehmen, und ich will ihn ausführen, oder daran untergehen.

Ich suchte ihn zu beruhigen, ihm die Folgen einer solchen Handlung darzustellen; er führte mich auf die Höhe von Hottingen in ein Gartenhaus, das er bewohnte und das einem Bürger gehörte, der ihn von Jugend auf kannte. Wir saßen dort bis tief in die Nacht, ich hörte alle seine Entwürfe, seine Klagen, die leidenschaftlichen Ausbrüche seines Zornes und seiner Schmerzen, aus allem aber leuchtete ein edler, offener, männlicher Charakter, der mir die größte Theilnahme einflößte.

Endlich bot ich mich ihm als Vermittler an. Wenigstens den Versuch einer Aussöhnung solle er wagen, da sein unverhofftes Wiedererscheinen die Verhältnisse verrückt habe und die Möglichkeit einer Aussöhnung zeige. Er schüttelte den Kopf dazu. –

Sie sollten wohl erkennen gelernt haben, sagte er, daß das Alles nicht thunlich ist. Meine Mutter verzeiht mir nie, mein Bruder würde mir keinen Finger reichen, wenn ich über einem Abgrund hinge, den Obersten beherrscht er ganz, das einzige Mittel ist Flucht! Flucht mit Elsi, ehe auch das zu spät ist.

Und wenn diese Flucht wirklich gelingt, erwiderte ich – Sie haben Ihr Vermögen eingebüßt.

Uns bleibt die Familienkiste, rief er aus. So schlecht und verderblich diese alterthümlichen Einrichtungen sind, denen wir in der Schweiz den Kastengeist der Geschlechter, Gesellschaften und Zünfte verdanken, so soll es uns dies Mal zu gut kommen. Auf längere Zeit hinaus bin ich gesichert, auch kann ich arbeiten, wir werden uns durchhelfen; das Erbe aus der Familienkiste aber kann uns Niemand entreißen, wir werden zurückkehren und den Schatz in Besitz nehmen. – Nur erst fort, nur erst in Sicherheit. Ist Elsi mein, so läßt ihr Vater sich auch wohl versöhnen.

Nach langen Ueberredungen gab er endlich seine Einwilligung, zunächst noch durch mich einen Versuch bei seinem Bruder zu machen. – Sie werden sehen, sagte er, wie vergeblich es ist. O! wäre Elsi Herr ihrer Sinne geblieben, es stände besser mit uns.

Er hatte nur zu Recht, davon sollte ich mich schon am nächsten Morgen überzeugen. –

Moritz von Eschenheim kam zu mir, als ich noch im Bette lag. –

Bleiben Sie, sagte er, indem er einen Stuhl heranrückte und seine scharfen Augen auf mich heftete. Sie werden müde sein, da Sie bis spät in der Nacht die Tiraden eines Tollhäuslers anhören mußten.

Woher wissen Sie das? fiel ich ein.

Durch Zufall, unterbrach er mich. Ich weiß, daß Rudolf Sie bis an Ihre Thüre begleitet hat. – Elise ist heut ruhiger, ich habe Nachricht. Hauptsache ist, daß dieser Unbesonnene keine Gelegenheit findet, ihre Ruhe noch einmal zu stören, und dafür werden wir sorgen.

Ich sprach mit ihm ausführlich, sagte ihm Alles, was ich dachte und nahm mich des Verstoßenen so warm an, wie ich es vermochte, ohne Anlaß zum Mißtrauen zu geben. –

Er hörte, wie es schien, mit Theilnahme zu, machte beistimmende Zeichen, als ich die unmoralische Seite dieser Familientrennung berührte, und schlug die Augen zum Himmel, als ich ihn bat, einen Bruder, den nächsten theuersten Freund, den wir haben können, nicht zu hassen, sondern ihm beizustehen.

Wollte Gott! rief er mit einem Seufzer, ich vermöchte ihm zu helfen. Ich hasse ihn nicht, ich bedaure, ich bemitleide ihn, aber meine Mutter und Rüttiberg – nein, theurer Freund, die Verhältnisse sind von der Art, daß es unmöglich ist, noch an Versöhnung zu denken, wo so viel schon geschah, was nicht vergeben und vergessen werden kann.

Sie kennen diesen leidenschaftlichen, thörichten, eitlen Charakter nicht, fuhr er auf meine begütigende Einrede fort. Er hat alle Banden zerrissen, hat uns öffentlich beschimpft, beleidigt, roh angefallen, mit dem elendesten Gesindel gemeinsame Sache gemacht und jetzt ist er wieder da und von seinen Grundsätzen, wie er es nennt, hat er nichts abgelassen, wird er nichts ablassen.

Aber was soll geschehen? fragte ich. – Da er wieder gekommen ist, wird, wie ich glaube, auch Ihre Hoffnung sich nicht erfüllen.

Die Erbschaft aus der Familienkiste und Elsis Hand, sagte er vor sich nieder blickend. – Wenn er vernünftig sein will, läßt sich ein Vorschlag machen. – Er muß einsehen, daß Rüttiberg niemals ihm seine Tochter geben wird, so ist denn auch meines Onkels Vermögen für ihn verloren. – Er will in's Ausland gehen, nach Amerika. – Gut, er gehe, wohin er will, ich verpflichte mich, ihm eine Summe zu zahlen, die er nennen mag, verpflichte mich ihn fortgesetzt zu unterstützen und nach einigen Jahren auch mit unserer Mutter zu versöhnen, wenn er durch sein Betragen dazu hilft. – Sein Erbe soll ihm nicht verloren gehen, fuhr er fort, indem er sein Gesicht zu mir aufhob, aber er beweise auch, daß er noch zur Familie gehört; er sichere uns das Geld der Familienkiste, er entsage allen unnützen, unerreichbaren Ansprüchen auf Elsi. Es kann ihm nicht schwer sein, Großmuth zu üben, wo nichts zu hoffen ist. Unter dieser Bedingung will ich helfen.

Meine Gefühle empörten sich; die gemeinste, selbstsüchtigste Pfiffigkeit lag in seinem Anerbieten.

Ich glaube nicht, sagte ich, daß Ihr Herr Bruder darauf eingehen wird.

Dann um so schlimmer für ihn, erwiderte er, die Achseln zuckend. Mag er dann thun was er will, aber mag er sich auch hüten! Wir sind auf Alles gefaßt.

Und Elise? fragte ich.

Ja so, Elise, sagte er seine Uhr ziehend. Wir haben eben neun Uhr, das Dampfschiff nach Schmärikon ist schon fort. Sie werden sie auf einige Zeit nicht sehen, doch meine Mutter hat jedenfalls Grüße und Aufträge für Sie.

Sie ist fort? rief ich überrascht.

Ihr Vater, erwiderte er lächelnd, hat es für das Beste gehalten, sie mitzunehmen. Sie wissen ja, daß der Oberst ein schönes Gut am Wallenstätter See besitzt.

Damit verließ er mich und überließ es mir zu thun was ich wollte. Offenbar waren wir dem Bruche nahe. Er mußte einsehen, daß ich ihn durchschaute, und was konnte ich ihm jetzt noch helfen?

Ich suchte Rudolf auf und theilte ihm Alles mit. – Er erblaßte bei meinen Nachrichten. –

Sehen Sie nun, wie gut ich ihn kannte?! rief er endlich. Aber ich will mit eigenen Augen sehen, nichts soll mich abhalten. Vielleicht log er, vielleicht ist Elise doch noch in Mariaschein. Ich will hinaus, will ihren Kerker zerbrechen! –

Eine Reihe heftiger Aeußerungen machte den Schluß.

Nach einigem Besinnen ließ ich ihn gewähren. Er wollte seine Mutter aufsuchen, ihr Mitleid anflehen, was ließ sich dagegen in seiner Lage sagen? – Ich bat ihn keine Rücksichten der Ehrfurcht zu vergessen, er versprach Alles und ich begleitete ihn, weil ich glaubte, daß meine Gegenwart von Nutzen sein könnte.

Als wir in den Garten traten, ging Frau von Eschenheim in dem Weingange auf der Terrasse am See langsam auf und ab. Sie war in einen schwarzen Seidenmantel gehüllt, dessen Kappe sie über ihren Kopf geschlagen hatte, denn der Tag war kühl. Wolkenmassen zogen von den Schwyzer Waldbergen herüber, das finstere Haupt des Etzel trug eine schwere Regenkappe; dann und wann liefen matte Sonnenblitze über den wogenden See, dessen Wellen im Winde rauschten.

Das hagere, graue Gesicht der alten Dame blickte stier unter der Kappe hervor, ihre lange, knochige Hand hielt den Mantel zusammen und ihre Augen sahen über den See fort in die Ferne, als suchten oder verfolgten sie einen Gegenstand. – Es war etwas Unheimliches, Gespenstisches in ihrer düsteren Erscheinung, die zwischen den grünen Reben sich leise fortbewegte.

Rudolfs Stimme bebte, als er die Worte: da ist meine Mutter! murmelte; plötzlich aber trat er hervor und mit raschen Schritten war er ihr nahe.

Sie blieb stehen und sah ihn an. Keine Bewegung war sichtbar, kein Zug ihres Gesichtes veränderte sich; ihre kalten, strengen Augen blickten auf ihn, als sei er ein Fremder, ein Bettler oder Vagabond. Endlich hob der dürre Arm sich langsam auf, ihr Finger deutete schweigend auf den Ausgang.

Wo ist Elsi? fragte Rudolf, als er nach einigen tiefen, heftigen Athemzügen seine Aufregung überwunden und Sprache gewonnen hatte.

Wer hat danach zu fragen? antwortete sie im harten Tone.

Ich, Mutter! – Ich! rief er, die Worte aus tiefster Brust hervorstoßend.

Ich habe nur einen Sohn, sagte sie, sich halb abwendend. – Fort von hier! Aus meinem Hause!

O Mutter! rief der unglückliche junge Mann, indem seine Hände sich falteten und sein Kopf auf die Brust nieder sank, hast Du kein Mitleid für mich, spricht keine Stimme in Deinem Herzen?

Dort hinaus! sagte sie. Ich will nichts hören.

Er kniete vor ihr nieder und breitete seine Arme aus.

Hier zu Deinen Füßen bitte ich um Verzeihung, murmelte er, halb erstickt vor Wehmuth, Schaam und Kummer, während dunkle Röthe sein Gesicht überzog. – Höre mich, Mutter! Laß mich nicht verzweifeln! Jage mich nicht in den Tod!

Warum lebst Du noch zu Deiner Schande? Warum hat der Tod uns nicht von Dir befreit? antwortete sie mit eisiger Kälte.

Er sprang auf, seine Augen rollten. Er faßte an seine Stirn, als wollte er die wilden Geister darin beschwören. So sammelte er eine gewaltsame Ruhe.

Ich habe wenig erwartet, sagte er, nie lernte ich mütterliche Liebe kennen. Es ist genug. Ich muß davon ablassen, selbst nur auf menschliche Empfindungen zu rechnen.

Frau von Eschenheim warf einen Blick der Verachtung auf ihn, und wollte sich entfernen, als er ihren schwarzen Mantel ergriff und sie festhielt.

Ich habe noch eine Frage zu thun, sprach er leise bittend.

Elender! rief sie laut, Du legst Hand an mich?

Sage mir nur das Eine, erwiderte er; sage mir, wo Elsi ist!

Sie schien zu überlegen, dann antwortete sie hart und kalt:

Elsi ist, wo sie sein soll. Jetzt verlaß mich auf immer; mag mein Auge Dich nie wieder sehen!

Arme Mutter! murmelte er seufzend und den Kopf senkend, Dein Wunsch wird wahr werden. Nie wieder sehen! – Weißt Du, was es heißt, einen Sohn von sich stoßen? – Und wenn Deine letzte Stunde kommt, wird meine Gestalt nicht gramvoll vor Dich hintreten? Wird in Deiner Brust nicht die dunkle Macht aufwachen, die den Frieden sterbender Menschen stört?

Verfluchter! sagte sie zum ersten Male mit großer Heftigkeit, indem sie einen Schritt zurücktrat und den Arm drohend aufhob. Warte nicht auf meinen Tod!

Du fluchst mir, war seine Antwort; ich vergebe Dir, ich segne Dich, Mutter! Eines verlassenen Kindes Segen kann auch ein Gewicht in die Wagschale werfen.

Mit diesen Worten entfernte er sich und ging stumm an mir vorüber, der ich bis an den Weingang vorgetreten war. Die alte Frau stand eine Minute lang und sah ihm nach. Ihre langen blutlosen Lippen waren fest zusammengekniffen, das ausgetrocknete Gesicht ohne jede Spur einer mütterlichen Regung oder Empfindung. –

Plötzlich erblickte sie mich, und ihr gewöhnliches, freundliches Grinsen trat an die Stelle dieser Leblosigkeit. – Sie empfing mich, als sei nichts vorgefallen, und sprach lange von dem gestrigen Abend und von Elsis Unwohlsein, das mit Starrkrampf und Weinkrampf geendet habe. Heut früh sei es besser geworden; der Oberst habe sich jedoch von seiner Tochter nicht trennen wollen, so seien beide denn mit dem Dampfschiff den See hinaufgefahren.

Nach einiger Zeit führte sie mich in die Halle und holte aus ihrem Schlüsselkorbe ein Briefchen.

Elsi, sagte sie, hat dies für Sie zurückgelassen. Sie hat sehr großes Vertrauen zu Ihnen, wie wir Alle; ja, wir Alle – wir schulden Ihnen den größten Dank. Mein Sohn besonders, ganz besonders, und Oberst Rüttiberg, er hätte so gern Sie noch gesehen. Nehmen Sie dies Papier, lesen Sie es und sprechen Sie mit meinem Sohn, der die größte Freundschaft für Sie empfindet.

Als ich im Walde war, las ich Elsis Worte, die mit zitternder Hand geschrieben waren.

»Ich muß in einer halben Stunde meinen Vater begleiten,« schrieb sie, »aber mit seiner Bewilligung lade ich Sie ein, uns in Richtersbühl zu besuchen. Wenn mein Geschick noch Ihren Antheil erregt, so erfüllen Sie meine Bitte. Ihre Nähe würde mir ein großer Trost sein, Ihre Einsicht mir helfen, daß ich in diesem Drangsal das Rechte thue. Ich hoffe Sie bald zu sehen, in jedem Falle meinen innigsten Dank für so viele Güte.«

Rudolf Eschenheim erwartete mich. Er saß mit dem Rücken an einen Baum gelehnt, und blickte über den See hinaus, der in dem tiefen Bette tobte. Sein Hut lag neben ihm, der Wind warf sein langes Haar über das blasse Gesicht; er sah ruhig und gefaßt aus.

Ich gab ihm Elsis Zeilen, er las sie und reichte sie mir zurück. –

Sie müssen ihren Wunsch erfüllen, sagte er. Gott weiß es! sie bedarf einer Seele. Versprechen Sie mir, daß Sie gehen wollen.

Meine Gegenwart kann nichts ändern, erwiderte ich. Meine Lage ist dabei eine höchst sonderbare.

Nein! rief er, fürchten Sie nicht, daß ich mit Aufträgen oder Bitten mich an Sie hängen will, ich sehe ein, daß Sie frei von Rücksichten, nur als Elisens Freund, in dem schwarzen Hause erscheinen müssen. Thun Sie was Sie wollen, reden Sie mit Rüttiberg, er ist noch immer der Menschlichste, und er ist allein in Richtersbühl. Nur das Eine sagen Sie Elisen, daß ich sie lieben werde bis zur letzten Stunde, und daß ich noch einmal sie sehen muß – ein letztes Mal! mag sie dann ihrem Schicksale folgen.

Ich verlasse Sie, fuhr er fort, indem er aufstand und mir die Hand reichte, damit ich meinem Entschlusse treu sein kann. Kein Wort mehr über Elsi. Glauben Sie, daß es sein muß, so rathen Sie ihr, Moritz zu nehmen, ihren Vater zu beglücken, Freude zu verbreiten, und wenn sie das will, wenn sie es kann, ja dann – dann will ich entsagen! Dann mögen sie die Schlösser der Familienkiste sprengen, das rothe Gold zu der bleichen Braut thun – Gold! Gold! was ist darum nicht schon alles geschehen!

Mit einem stummen Gruße eilte er den steilen Hügel hinab.

 

Den Rest des Tages über war ich fortgesetzt unschlüssig, was ich beginnen sollte. Ich erwartete Moritz Eschenheims Besuch und fürchtete mich davor, aber er kam nicht. Zu ihm mich bemühen mochte ich nicht, endlich aber hielt ich es für das Beste, wenn ich Elsis Einladung erfüllen wollte, mich aufzumachen, ohne mich weiter um Jemand zu kümmern. Während der Nacht bestärkte sich mein Entschluß, denn wenn noch etwas geschehen konnte, war es einzig durch den Obersten zu erreichen, der, trotz aller Heftigkeit und des rauhen Harnisches, der ihn umgab, doch seine Tochter liebte.

Als der Morgen kam, warf ich schnell das Nothwendigste in einen Reisesack und ließ ihn nach dem Dampfschiffe tragen, das in der Frühe den See hinauf fährt.


Sechstes Kapitel.

Es war eine herrliche Fahrt; der Morgen schön, das Dampfboot belebt von Fremden aller Art, die größtentheils bei Horgem landeten, um über Zug nach dem Rigi zu pilgern, dieser prachtvollsten Felsenwarte der Schweiz. –

Meine Augen spähten überall umher, es war mir, als müßte ich Moritz oder Rudolf, oder beide Brüder auf dem Schiffe entdecken und ich durchsuchte jeden Winkel, ohne sie zu finden. –

Nach und nach wurde der Dampfer leerer, und als wir die große Holzbrücke passirt hatten, welche von Rapperswyl auf das Schwyzer Ufer führt, konnte ich mit größerer Ruhe die romantischen Waldberge betrachten, hinter deren kühnen Kuppen und Spitzen das Land der Hirten beginnt.

Bald landeten wir am äußersten Ende des Sees, wo ein Theil meiner Reisegefährten seinen Weg die Höhen hinauf in das grüne, blumige Toggenburg nahm, während ich selbst mit zwei anderen einen kleinen Wagen bestieg, der uns an den Wallenstätter See führte.

Die Natur hat hier zwischen mächtigen Gebirgswänden einen Spalt geschaffen, oder die eingeschlossenen Gewässer haben diesen nach einem Kampfe von Jahrtausenden gesprengt und sich die Gasse gebildet, in der jetzt der Linthkanal fließt.

Welch' wunderbares Land und welch' wunderbares Leben darin! Der Glärnisch stieg mit seinen ungeheuren Felsenmauern zur Rechten auf. Schuttstürze und Trümmer bedeckten grauenvoll seinen Fuß; dann öffnete sich das grüne Thal von Glarus, dicht an seinen Eingeweiden, und linkwärts dehnte sich, immer weiter, ein Bogen von hohen nackten Gebirgen aus, deren Spitzen sich in Wolken hüllten. In der Mitte dieses Felsenkessels wogte der tiefe, schwarze See, weißköpfige Wellen werfend, in deren Schaum ein Dampfschiff und mehrere kleinere Fahrzeuge auf- und niederflogen.

Beim ersten Anblick war es, als sei alles Menschenleben von der Wildheit dieser Natur überwältigt worden, und doch hat es nirgend mehr mit seiner zähen Emsigkeit sich auf jedem haltbaren Plätzchen eingenistet, wie hier. Das schmale düstere Thal von Glarus, einst der Aufenthalt der Riesen und Drachen, die noch jetzt auf der alten Rathhauswand der Stadt abgemalt stehen, ist mit Fabriken gefüllt, welche ihre Waaren bis nach Amerika und Indien schicken, und von den nackten Absätzen der Gebirge am Wallenstätter See sieht man hier und dort die Rauchsäulen hoher Dampfschornsteine aufsteigen, Siegesdenkmale des menschlichen Geistes über die Geister der Nacht und des Schreckens. –

Wie emsig aber auch dies Ameisenvölkchen der Schweiz in den industriellen, protestantischen Kantonen ist, und mit welcher unendlichen Ausdauer es treffliche Straßen über die unwegsamsten Hochgebirge gebaut und gesprengt hat, so ist hier doch keine Straße möglich geworden, wo 6000 Fuß hohe Felsen senkrecht in den See hinabstürzen, aber seit ein Dampfschiff nach Wallenstatt fährt, ist wenigstens ein Hülfsmittel gefunden, um jederzeit hinüberzukommen.

Für mich blieb nichts anderes übrig, als ein Boot zu suchen, das mich nach Bettlis bringen sollte, doch ich fand ein solches bereits auf mich wartend, das Oberst Rüttiberg hierher beordert hatte, in der Voraussicht, daß ich kommen werde. Ich erkannte darin ein Zeichen, daß ich ihm willkommen sei, und schiffte mich ohne Bedenken ein, weil meine Schiffer kühne Männer zu sein schienen, die zu den Wellen des Sees lachten und den Wind günstig nannten. –

So war es auch, und die stundenlange Fahrt war gut. Still in meinem Mantel gehüllt, saß ich auf der niedern Bank, während mächtige Wogen uns, die eine der anderen zuschleuderten. Der See ist beinahe vier Stunden lang, doch nur eine halbe Stunde breit. Die hohen Felswände, die düsteren Spalten und Schluchten, gefüllt mit Nebel und Dämmerschein, die Sonnenblitze, welche geisterhaft darüber hinstreiften, Bäche, die im Halbdunkel darin leuchteten, kalte Luftströme, plötzlich von oben niederstürzend und die Geier über uns, welche in Kreisen uns folgten, und wie über einem unermeßlichen Abgrund schwebten, vereinten sich mit dem tiefen Schweigen zu einem Bilde voll wilder und melancholischer Reize. –

Wie winzig klein war die Nußschale, in welcher drei Menschen hier dem Tode trotzten, der überall auf sie zu lauern schien. Fünfhundert Fuß tief mit Wasser gefüllt, war dieser schwarze Kessel, ein Stoß reichte hin, uns hineinzuwerfen, und wo war ein Entkommen an diesen unersteiglichen Wänden?! –

Nirgend zeigte sich eine Landungsstelle, nirgend ein Platz, der Menschen zur Wohnung einladen konnte. Immer jäher und nackter in einander gekeilt, sanken die Felsen hinein, und ein Zagen füllte meine Seele, wenn ich daran dachte, daß in dieser öden, kalten Verlassenheit, gierige und fanatische Leidenschaft ihr Opfer verborgen habe und taub für seine Klagen bleibe.

Endlich bogen wir um einen Felsenvorsprung und vor uns lag eine Bucht, hinter welcher sich ein wunderbares Panorama zeigte. Die mächtigen Bergwände traten zurück, und ließen einen begrünten, hier und dort mit Bäumen besetzten Grund erkennen, an dessen einer Seite ein prachtvoller Wasserfall aus schwindelnder Höhe in den See stürzte. Ihm gegenüber erhob sich ein breit abgeschnittener Felsenkegel, wohl an hundert Fuß hoch, auf welchem ein alterthümlicher Thurm stand, an den das graue, hohe Schieferdach eines Hauses lehnte.

Ein Garten faßte dies Bauwerk ein, und lief bis zu der Spitze des Felsens, wo dieser senkrecht scharf in die Tiefe der Seebucht fiel. Den Grund besetzten mehre lange Fabrikgebäude mit rauchenden Schornsteinen, hohe Trockenhäuser und mancherlei kleine Hütten, die malerisch zerstreut umher lagen, und sich bis unter die waldigen Felsenmauern flüchteten, welche dies Bild von allen Seiten einrahmten. Hinter dem Waldstreifen liefen sie unersteiglich mehrere tausend Fuß hoch auf und es war gewiß, daß kein menschlicher Fuß hier hinauf oder herunter konnte.

Meine Schiffer bestätigten dies. Nur das Wasser machte den Zugang möglich. Sie zeigten mir die Schiffe am Pfahlwerk, mit deren Hülfe aller Verkehr getrieben wurde, und freuten sich über mein Erstaunen, indem sie mir erzählten, daß bei Stürmen, oder zur Winterzeit, oft Wochen lang kein lebendes Wesen sich ein oder aus wage. –

Endlich landeten wir, nicht ohne Schwierigkeit, an dem steilen, hohen Ufer, und als ich die letzte rauhe Stufe erklommen hatte, sah ich den Obersten mir entgegen kommen.

Er war sichtlich erfreut und dankte mir für den Besuch. Mein weniges Gepäck wurde einem Diener übergeben, dann gingen wir über den Platz und sprachen von den wunderbaren Industrieanlagen, die ich hier mitten in dieser Wüste fand, wie ein Pilger, der in der Sahara plötzlich zu seinem Erstaunen eine Oase mit Palmen findet.

Rüttiberg führte mich umher, er schien froh zu sein, nicht sogleich ein Thema berühren zu müssen, das ihm peinlich war. –

Er hatte vor vielen Jahren das alte Mönchshaus und diesen Grund gekauft, wo er endlich eine Fabrik gründete, die Anfangs selbst bei seinen Landsleuten Gelächter und Kopfschütteln erregte. –

Aber, fuhr der Oberst fort, ich habe ihnen gezeigt, das Alles geht, was man richtig angreift. Der See ist kein Hinderniß, er ist vielmehr eine Erleichterung; ein Landweg, selbst wenn er vorhanden wäre, könnte mir nicht so viel nützen. Ich schiffe meine Waaren hier ein, und führe sie ohne Aufenthalt bis Zürich, oder von Wallenstatt gehen sie direkt über den Simplon nach Italien. – Wir sind ein armes Volk, müssen alle Kräfte regen, alle Vortheile benutzen, und uns und unser Geld umdrehen, so oft wir können. Daß Niemand zu mir kommen mag, den ich nicht haben will in meiner Veste, rief er dann lachend, ist eben auch kein Unglück. Kein König kann so wohl verwahrt in seinem Schlosse hausen, wie ich hier, und wer einmal zwischen diesen Wänden sitzt, der ist sicherer aufgehoben, wie in dem festesten Gefängniß. Es kann hier Niemand ein oder aus ohne meinen Willen.

Er hatte wohl nicht ganz ohne Absicht gesprochen, aber er unterbrach mich, als ich Elsis Namen nannte.

Wir wollen in diesem Augenblick nicht von ihr reden, sagte er, sie macht mir schweren Kummer; ich möchte sie aber gern glücklich und froh sehen, um es auch zu sein. Gehen Sie zu ihr, sehen Sie was sich thun läßt; Sie sind ein Arzt, der durch verständigen Rath helfen kann. Der Teufel hat sein Spiel, daß er uns den elenden Narren gerade jetzt wieder lebendig auf den Hals geschickt hat. Das ändert jedoch die Sache nicht. – Dort führen die Stufen hinauf. Elsi wird Sie erwarten, ich komme nach. In einer Stunde wird die Mittagsglocke läuten, entschuldigen Sie mich einstweilen; ich habe noch viel zu schaffen. Zeit ist das große Kapital der Menschheit!

So begleitete er mich bis an den schmalen Gang, welcher auf das Felsenplateau zu seinem Hause führte.

Die alten Benediktiner, sagte er, haben hier wacker gearbeitet, um so bequem wie möglich hinauf und herunter zu kommen, und was sie nicht thaten, habe ich ausgeführt. –

Das gewundene Zickzack war wirklich mit aller Kunst, durch Sprengen und Meißeln in dem harten Gestein, vortrefflich angelegt und führte mich ohne viele Beschwerde zu einem starken alten Thorgewölbe, das oben den Eingang sperrte. – Ich läutete eine Glocke, ein Diener öffnete und ich trat in den Garten, eben als aus der Thür des Wohngebäudes in der Mitte, Elsi mir entgegenkam.

Sie sah sehr blaß aus, aber ihre Augen leuchteten vor Freude und ihr schmerzliches Lächeln drückte die Empfindungen ihrer Seele aus.

O! wie dankbar bin ich Ihnen, wie sehr, wie sehr freue ich mich, sagte sie, als sie mir ihre vor Bewegung zitternde Hand reichte. Seien Sie willkommen in dieser Einsamkeit! Ich hoffe, Sie haben meinen Vater gesprochen?

Er hat mich zu Ihnen heraufgewiesen und wird bald selbst hier sein, erwiderte ich.

Wird er? fragte sie. So werde ich ihn denn sehen.

Sehen? – Sahen Sie ihn denn nicht?! antwortete ich verwundert.

Sie machte ein verneinendes Zeichen. –

Hier herauf ist es etwas beschwerlich, sagte sie. Mein Vater ist gern in der Nähe seiner Geschäfte, und hat deswegen eine Wohnung unten in einem der Gebäude. Ich bin allein hier.

Es lag etwas so Rührendes in ihren letzten Worten und in der Art, wie sie ihres Vaters Härte entschuldigen wollte, daß ich mich abwandte, um ihr meine Erregtheit zu verbergen.

Nun, wenigstens, fuhr sie fort, muß diese Einsamkeit reizend genannt werden; ich hoffe, es wird Ihnen, bei uns gefallen. –

Wir gingen bis an die Spitze des Felsens, und ich sah auf den See und dessen prachtvolle Umgebungen. Das ungeheure Horn des Tödi, der Glärnisch und die ganze eisige Kette der Glarner-Alpen lagerten sich jenseits in wilder Herrlichkeit. Zur Seite fiel der tausend Fuß hohe Wasserfall des Baches, Schaum und Dampf sprühend, mit dumpfem, ewigem Donner in die Tiefe und zu meinen Füßen lag der grüne, arbeits- und lebensvolle Grund mit seinen rauchenden Essen, seiner Ordnung und dem Gewimmel des Menschenlebens. –

In Anschauen verloren, lehnte ich lange an die niedre Umfassungsmauer, und blickte bald auf die starre Unermeßlichkeit dieser Natur, auf Gletscher und blendende Schneelager, auf den blühenden Garten und auf das finstere Haus mit dem bröckelnden Mönchsthurm, der von Immergrün und Epheu umschlungen, von diesen geschützt und gehalten wurde.

Man konnte dies Haus wohl »das schwarze Haus« nennen, denn die mächtigen Steine, aus denen es erbaut war, sahen so düster aus, wie sein steiles Schieferdach. Schmale, kleine Fenster liefen in langer Reihe, wie Schießscharten, oben hin, im unteren Stockwerk dagegen waren sie groß und hell. Hier hatte sichtlich der Besitzer sich Räume geschaffen, wie die Zeit sie haben wollte, und wie ich später sah, hatte der Oberst mit Tapeten und Mobilien diese Zimmer artig genug ausgeschmückt und wohnlich gemacht.

Mitten in meinen romantischen Träumereien weckte mich Elsis leise Stimme.

Es ist schön hier, sagte sie, aber man muß keine Sehnsucht im Herzen haben, die über Gebirg und See nach Außen drängt. Man muß zufrieden sein und glücklich im engen Raum, um zwischen diesen ungeheuren Mauern, zwischen Wänden von Eis, auf diesem kleinen Felsenkegel, von aller Welt abgeschlossen, verborgen zu wohnen. O, – ich könnte es! flüsterte sie tief Athem holend.

Armes Herz! murmelte ich, die Blicke senkend.

Sie haben ihn gesehen? fragte sie – gesprochen? – Sie bringen mir eine Nachricht? – O, reden Sie! Ich sehe es, daß Sie Alles, Alles wissen!

Nichts weiß ich, erwiderte ich, und nichts habe ich für Sie, als sein Gelübde ewiger Treue und Liebe.

Und das nennen Sie Nichts?! rief sie mit schöner Begeisterung, die siegend aus ihren Augen brach. – Setzen wir uns dort in die Laube. Erzählen Sie mir von ihm; Sie wissen nicht, welcher Glaube mich dabei ergreift.

Ich erzählte ihr, was ich wußte und ich sah die dunkle Röthe der jähen Freude, als ich ihr sagte, Rudolf habe geschworen, sie wenigstens noch einmal wieder zu sehen. –

Wie er das möglich machen will, fügte ich hinzu, kann ich freilich nicht begreifen.

Er ist der kühnste Bergsteiger, sagte sie, wo Gemsen gehen können, geht er auch, und über diesen See, so breit er ist, ist er mehr als einmal geschwommen.

Und was könnte alle Wagniß helfen?

Ich weiß es nicht – ich weiß es nicht! rief sie ihre Hände an die Stirn drückend, und doch giebt mir der Gedanke neues Leben, Hoffnung, Muth. Was jetzt auch geschehen mag, ich kann und will Moritz niemals meine Hand reichen. Wir wollen ihm alles Geld geben, das in der Familienkiste ist; o!, wäre doch kein Heller darin, es stände besser um mich und meinen armen Freund! Aber verkaufen will ich mich nicht lassen; ich bin keine Waare. Wenn ich Ihnen das Grauen schildern könnte, das ich vor diesem Menschen habe, vor den entsetzlichen kalten Knochenfingern dieser alten Frau, die meine Kehle zuschnüren; vor der Schlechtigkeit in seinen Augen, vor seiner Stimme, die krampfhaft mein Herz zusammen zieht. – Ich will nicht! Nein! ich will nicht! Ach! warum mußte Rudolf, als er hinter der Statue hervortrat, mir den Schrei auspressen! Aber er lebt, er kommt; ich werde nie wieder schreien, gewiß nicht! –

Sie lachte im plötzlichen Glück, das Alles vergißt.

Die Klingel am Thor ließ sich hören. Es war der Oberst. Wir gingen ihm entgegen und sein Gesicht hellte sich auf, als er Elsi anblickte, denn eine sanfte Röthe machte ihre blassen Wangen schön, und ihre Augen waren freundlich und versöhnlich.

Nun, sagte er, die Hand auf ihre Schulter legend, Du hast Freude gehabt? Nicht wahr?

Freude und Trost, lieber Vater, und neue Freude, da ich Dich sehe.

Der harte, heftige Mann beugte sich zu ihr nieder, der Augenblick überwältigte ihn. –

Fühlst Du Dich denn wohler, mein Kind? sagte er.

Ganz wohl. Die Luft ist warm, und wenn Du Deiner armen Elsi nicht zürnst, wenn ich Deine Augen lieb und gütig sehe, wie könnte ich dann mich nicht wohl fühlen.

Er unterdrückte seine Antwort und wandte sich zu mir.

Wie finden Sie Richtersbühl? fragte er. Ist es nicht ein prächtiges Plätzchen? Ein bischen einsam; man kömmt nicht weit mit den Füßen, aber dafür gehen Augen und Gedanken spazieren über alle Klüfte des Tödi und weit über Graubündten fort nach Italien, das uns wenigstens seinen Wind heut schickt. – Der Föhn kommt, fuhr er fort, indem er sich südwärts gegen den See wandte, von wo ein leises, warmes Fächeln des Windes fühlbar wurde; Sie kennen diesen Gast noch nicht, aber für Dich ist das nichts, Elsi. Du mußt Dich hüten. Wir wollen hinein gehen, fuhr er fort, ich denke der Tisch ist gedeckt. Sie müssen mit dem vorlieb nehmen, was wir geben können: einen Fisch aus dem See und ein Stück Fleisch, wie es die Hirten nach Wesen bringen; allein dafür sollen Sie wenigstens einen guten Trunk haben. Echten Seewein und dunklen Veltliner! Nichts Feines, Herr, denn wir sind einfache Männer, bleiben zurück, wo es an's Prassen geht. Denke halt, kommen weiter, wenn wir bei den Sitten unserer Väter feststehen, wie bei dem neumodischen, verkehrten, leichtsinnigen Wesen.

So setzten wir uns denn und aßen vortreffliche Lachsforellen und ein Nierstück, wie es nur blumenvolle Bergweide liefern kann; dazu ließ der Oberst Schweizerweine verschiedener Art bringen, zu denen der dicke, burgunderähnliche Veltliner den Schluß machte. –

Von der häuslichen Frage wurde nichts erwähnt, Oberst Rüttiberg glaubte alles auf dem besten Wege und jedes Rütteln daran voreilig. Er war vergnügt über den ersten Erfolg und wartete die Entwicklung ruhig ab, worin ihn auch Elsis Anblick bestärkte, die während unseres Mahls in Gedanken verloren, sinnend auf ihren Teller blickte, zuweilen lächelte, zuweilen dankbar ihren Vater ansah.

Der Oberst war ein sehr unterrichteter Mann, was Kenntniß seines Vaterlandes, Handel und industrielle Thätigkeit anbelangt. Mehr wie einmal war er Tagsatzungsgesandter gewesen, aber als Politiker zeigte er sich, wie die meisten Schweizer, engherzig, krämerisch, als ein Mann, der die Welt von seinem Nest am Wallenstätter See aus construirt und nichts gelten ließ, als was ihm oder seinem Kanton Vortheil brachte.

Trotz seines großen Vermögens war er äußerst haushälterisch, einfach in Gewohnheiten und Sitten, doch ohne in den oft so schmutzigen Geiz vieler reichen Schweizer zu verfallen. Von Natur derb und genügsam, dabei eingenommen gegen alles Ueberflüssige, bildete er einen grellen Gegensatz zu Moritz Eschenheim, der den Luxus für nothwendig hielt, um die Ehrfurcht der Masse dadurch zu bewirken, die, wie er sagte, einzig durch Pracht und Glanz noch in Schranken gehalten werden könne, nachdem es ihr geglückt sei, die politische Gleichheit zu erobern.

Rüttiberg spottete über diese Schwachheit seines Verwandten.

Es ist ein ausgezeichneter Kopf, sagte er, er übersieht die schwierigsten Geschäfte mit einem Blick, aber er glaubt, daß die Umwälzer sich vor seinen Marmorstatuen, Bildern, Seidentapeten und Sammetpolstern erschrecken sollen. Gott bewahre! sie fühlen blos Neid und möchten ihm die Spiegel zerschlagen und die Broncen zerhauen. – Nun immerhin, lachte er, einer Frau kann das Ding wohl behagen, und jeder Narr trägt seine Kappe, aber das einzige richtige Mittel, in dieser schlimmen Zeit Achtung bei dem Volke zu behalten, ist, daß man ihm Gutes thut, ihm Arbeit giebt, es ernährt und das Wohl und Weh von so vielen als möglich in seiner Hand hat. – Sehen Sie mich an, rief er, ich esse mein Stück Brot in vier einfachen Wänden, allein ich habe mehr als tausend Arbeiter, die ohne mich kein Brot hätten. Ich bin ein Aristokrat, so gut oder vielleicht noch besser, wie Eschenheim, aber Niemand haßt mich, Alle sagen: der alte Oberst ist ein rauher Mann, es ist kein Kirschenessen mit ihm. Wie putzt er die Leut herunter, darf Keiner einen Fehler machen, so ist er da. Aber er thut auch was für sie, hält Ordnung und sieht auf Recht. – Schauen Sie, Herr, so steh ich mit meinem schlichten Rock, ohne Kronenleuchter und ohne Feste, als Aristokrat vor den Menschen, die jetzt regieren, und spreche: Bleibt mir vom Halse, ihr gottlos Pack, will nimmermehr mit euch zu schaffen haben!

Er lachte selbstgefällig, aber er hatte Recht. Er kannte das beste Mittel, sich Ansehn und Achtung zu sichern. Mochte regieren wer da wollte, seine tausend Arbeiter trugen ihn auf ihren Schultern, schützten ihn mit ihren Leibern und über dem Aristokraten stand der Mensch, von dem sie abhingen, der für sie sorgte und ihnen Gutes that.

Nach dem Mittagsmahl führte mich der Oberst in seine Fabrik, die auf's musterhafteste eingerichtet war. Fleißige Menschen aller Art gab es hier. Alle sahen froh und gesund aus; sie schienen guter Dinge zu sein, und die Nähe des Herrn machte sie nicht scheu und schweigsam. Ihre Augen drückten unverstellte Anhänglichkeit aus; wo etwas im Wege stand, liefen sie von allen Seiten zu, um es fortzuräumen. Es war eine liebevolle Aufmerksamkeit, die sie trieb, ihrem Herrn zu dienen, und man merkte es, daß sie es gern thaten.

Rüttiberg führte mich in einige der kleinen Häuser, welche zahlreich an dem Rande des Grundes standen. Ueberall empfing uns dieselbe Freundlichkeit. Kinder sprangen an ihm auf, die Frauen legten ihre Arbeiten fort und er sprach mit ihnen in seiner festen, kernigen, polternden Weise, die sie an ihm kannten. Ueberall war Sauberkeit, Ordnung, der Schimmer jenes Glücks, welcher aus reinen Dielen und blanken Tischen und Stühlen leuchtet, mag Holz und Geräth auch von der gröbsten Sorte sein. –

In größeren Wohnungen schliefen die Unverheiratheten, in zwei Sälen aßen sie gemeinsam; es war für sie auf's Beste gesorgt und der Fabrikherr erzählte mit Wohlbehagen, wie er sein Werk eingerichtet, und welche gute Erfolge schon daraus entsprungen seien.

Sehen Sie, sagte er endlich lachend, ich bin auch ein Communist oder ein Sozialist, wie die Narren es nennen, aber ich denke, ich bin ein besserer, wie die meisten, die in's Blaue hinein phantasiren. Wenn wir die Fabriken aus den großen Städten schaffen könnten, wäre es ein Glück, denn dort gehen die Menschen in Laster aller Art unter. Hier auf diesem einsamen Fleck gewöhnen sie sich an Ordnung und friedliche Gemeinschaft. Sie können ihren Lohn nicht verthun, können nicht ausschweifen, ihre schlechten Gewohnheiten nicht nähren. Sie essen hier zusammen, ich kaufe Alles ein, liefere es ihnen im Großen und Ganzen auf's Billigste. Ich spare für sie, unter ihrer eigenen Aufsicht und Hülfe. Abends nach der Arbeit mögen sie lesen, dafür sind Bücher da, oder singen, oder mit Spielen sich vergnügen; ohne Zwang mag jeder thun, was ihm gefällt, sein Glas dabei trinken und seine Pfeife rauchen.

Auf allen meinen Fabriken ist es so, und überall habe ich gute Arbeiter, die selbst auf Ordnung halten, schlechte Subjekte ausstoßen, sich selbst regieren, wie es vernünftige Wesen thun müssen. – Das ist eine Freude, Herr, wenn man solch Werk ansieht, und darauf mag ich wohl stolz sein, denn sie hängen an mich und wissen, daß ich ihr wahrer Freund bin.

Und dieser Mann, der sich der Liebe seiner Arbeiter freute, der mit Triumph davon sprach, daß er jedem ein Helfer sei, der sich an ihn wende, er war gegen sein einziges Kind grausam und hart.

Während wir in dem hübschen Comptoirhause saßen, wo man nach allen Seiten hin die Fabrikthätigkeit überblicken konnte, und Kaffee tranken, dachte ich darüber nach, was wohl der Grund dieses Widerspruches sein könnte? – Aber ich überzeugte mich bald, daß eitle Selbstsucht und Berechnung aller Vortheile doch eine größere Rolle bei seinen guten Handlungen spielten, als der ursprüngliche edle Kern der Menschenliebe und Herzensgüte, welcher damit verschmolzen war.

Rüttiberg half denen, die sich seinem Willen unbedingt unterwarfen, unmündig sich seiner Weisheit beugten, zu ihm, wie zu einem höheren Wesen aufsahen, und er war ihnen ein gerechter und einsichtiger Gebieter, so lange sie sich keinen Widerspruch erlaubten. Einen fremden Willen neben dem seinen zu dulden, fiel ihm nicht ein. So wenig seine Arbeiter, wie irgend ein anderer Mensch sollten an seiner Ueberlegenheit zweifeln, eine Meinung für sich haben. – Was er sagte, hielt er mit Starrsinn fest, was er glaubte, davon sollte ein Jeder überzeugt sein, und er war keinesweges der gutmüthige Polterer, wie ihn Moritz Eschenheim genannt hatte, denn seine zornige Heftigkeit verwandelte sich in Härte und Haß, wenn sein Widersacher sich nicht beugte, und den Fuß auf den Nacken setzen ließ.

Während unserer Gespräche, in welchen ich einige Male ihm nicht ganz beistimmte, sah ich ihn ungeduldig werden und mühsam in den Schranken der Höflichkeit bleiben. – In der Schweiz ist Fremdenhaß, namentlich Deutschenhaß, allgemein, der zum Theil allerdings durch die schlechte Aufführung vieler Deutscher sich rechtfertigen mag, welche die empfangene Gastfreundlichkeit übel vergelten, zum Theil aber auch engherziger Neid gegen den deutschen Fleiß und die emsige Betriebsamkeit deutscher Einwanderer ist, denen es sauer genug gemacht wird, ihr Brot zu erwerben.

Der Oberst schimpfte in ungemessenen Ausdrücken über die deutschen Unruhestifter und Buben, die in der Schweiz ihr Hauptquartier aufgeschlagen, schob ihnen einen wichtigen Antheil an den Wirren und Putschen zu und hoffte den Tag zu erleben, wo die ganze Rotte hinausgejagt würde, um in Schimpf und Schande den Lohn zu finden, den sie verdiente.

Nun, erwiderte ich lächelnd, die Schweiz hat schon mehr wie einmal eine Fremdenhetze veranstaltet, ohne große Ehre damit zu tragen.

Er sah mich ärgerlich an. –

Das macht, rief er, weil die Pest immer wieder kommt und unsere Taugenichtse im Lande davon angesteckt sind. Wir haben das Beispiel dicht bei uns. Elsis Beispiel! Der Mensch, der ihr Leben vergiftet hat, wurde, was er ist, im Umgange mit Fremden, mit Abenteurern und Auswurf aller Art. Wäre er ein Schweizer geblieben, wie seine Väter waren, so hätte er bei denen gestanden, die zu ihm gehören. – Sie schickten ihn zu den Franzosen und zu den Deutschen, unter das Volk ohne Vaterland, wo alle Narrheit ausgeheckt wird, die sie Philosophie und Wissenschaft nennen; wo alles lächerlich gemacht wird, was alt und ehrwürdig heißt, und wo ein Haufe wüster Burschen immer bereit ist, Gott und Obrigkeit zu verspotten und leichtsinnig, sinnlos, sich selbst und ihre Mitmenschen zu verderben.

Sie scheinen zu vergessen, Herr Oberst, sagte ich, daß ich selbst ein Deutscher bin und sind geneigt, eigene Schuld und andere Schuld zusammen in einen Topf zu werfen.

Was nennen Sie eigene Schuld?! rief er heftig.

O! erwiderte ich, lassen Sie uns nicht streiten. Jedes Volk hat seine Fehler und Sünden, das meine trägt schwerer daran, wie der heilige Christoph, aber auch jeder Mensch hat sein Päckchen und unsere Aufgabe soll sein, mild und menschlich des Splitters und des Balkens zu gedenken, und uns zu bessern, wie wir können.

Mein freundliches Gesicht that seine Wirkung, oder er besann sich, als verständiger Spekulant, daß er mich nöthig hatte.

Gut, sagte er, wir wollen nicht streiten, allein meine Grundsätze stehen fest und was sich nicht damit verträgt, stoße ich von mir, so weit ich vermag. Sie sind eine Ausnahme von den meisten Ihrer Landsleute, denen ich sonst gern ausweiche. Moritz Eschenheim ist Ihr Freund, das gilt mir als ihr Paß; Elsi spricht von Ihnen, wie von einem Beichtvater, und so sind Sie mir ein werther Gast, wenn wir auch, wie ich merke, nicht ganz übereinstimmen.


Siebentes Kapitel.

Wir verlebten einen Abend, der durch die herrliche, großartige Natur anziehender wurde, als durch die Menschen, denen dies einsame Felsenparadies gehörte. Als wir zu dem schwarzen Hause hinaufstiegen, hielt mich der Oberst einen Augenblick unter dem Portale des Thores fest.

Dies ist der einzige Weg in mein Schloß, sagte er; Elsi ist unter Thränen hier hinauf gestiegen, helfen Sie mir, daß sie bald froh und leicht hinuntersteigt und mit Ihnen an den blauen Zürichsee zurückfährt. –

Er drückte mir die Hand und setzte dann hinzu:

Ich denke, sie muß Richtersbühl bald verlassen. Sie sieht doch übel aus, die Luft taugt hier nichts, sie ist zu großen Veränderungen unterworfen. – Heute liegt der Föhn uns in allen Gliedern, morgen stürzt der Bättliser Wind, wie wir den Nordwind nennen, kalt wie Eis, mit rasender Wuth vom hohen Sentis herunter. Sie kennen das noch nicht, aber der Föhn ist unser Sirocco und für Elsis Gesundheit ist er Gift. Der Teufel hole das Ungeheuer! vor ihm kann sich Niemand schützen. Sprechen Sie wenig mit Elsi, sie soll früh in's Bett, alle Fenster dicht geschlossen. Wir haben ihn in diesem Jahre noch nicht so recht gehabt, wenn er etwa zum vollen Ausbruch kommt, werden Sie ein wildes Schauspiel erleben. –

Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Luft war stickend heiß, jedes leise Windfächeln brachte einen Strom von Glut mit.

Elsi kam uns entgegen und mit steigender Zärtlichkeit erkundigte sich ihr Vater nach ihrem Befinden.

Du solltest nicht länger hier außen sein, sagte er, ihr Haar streichelnd. Die Luft ist so schwül und dumpf und in den Windstößen brennt ein Feuer, das heiß in die Brust geht und die Lungen austrocknet. Ich bin selbst davon so angegriffen, daß mir der Kopf schwer wie Blei ist, und das Athmen sauer wird.

Du bist doch nicht krank? Fühlst Dich nicht krank? fragte sie erschrocken.

Der große Mann setzte sich und indem er ihre Hand fest hielt, sah er in ihre Augen, als wollte er darin forschen, ob der ängstliche Ton ihrer Frage wahr oder falsch sei. –

Und wenn ich nun wirklich krank wäre? antwortete er. Die Aerzte haben mir oft gesagt, ich müsse Schlagflüsse vermeiden. Wenn ich plötzlich von Dir gerufen würde, Elsi, was würdest Du beginnen?

Vater! sagte sie leise, wie kannst Du mir so wehe thun?

Wo ist da ein Wehethun?! rief er aus. Sei aufrichtig, Kind. Würdest Du nicht denken, Gott hat es gefügt, sein Mund hat gesprochen! Würdest Du Dein Herz nicht zu dem Buben zurück wenden, der mir Deine Liebe lange genug gestohlen hat?

Christ und Herr! stammelte sie, die Hand auf ihre Augen deckend, wie bist Du grausam, Vater, und woran erinnerst Du mich.

Nun, ich meine es nicht so, Elsi, fuhr er begütigend fort. Bist ein Närrchen, trockene Deine Augen; aber schlag ein, gieb Dein Wort darauf, Du willst ihn von Dir halten und Deinen Vater ehren, auch wenn er in's Grab gelegt würde, ehe er Dein Glück gesichert und seinen liebsten Wunsch erfüllt sähe.

Die größte Seelenpein malte sich in Elisens Gesicht. Sie versuchte zu lächeln und wollte einen Scherz daraus machen, aber sie fand keine Worte.

Ihre Augen richteten sich flehend auf mich.

Mein Gott! sagte ich, Sie bringen das Fräulein in eine Aufregung, die das größte Unglück herbeiführen kann. Sie wird ohnmächtig!

Das war der beste Ausweg, den Elise auch sogleich ergriff und ihren Vater in keine geringe Bestürzung versetzte, als sie mit geschlossenen Augen in seinen Armen lag. –

Erhole Dich! rief er, ich will nicht mehr davon sprechen. Was, zum Teufel! ist das für eine Gesundheit, die bei jedem Worte zusammenbricht. Laß es gut sein, Elsi, wir haben morgen oder ein andermal Zeit genug, und ich denke nicht daran zu sterben; habe keine Lust dazu, mein Herzenskind! Du sollst Dich nicht ängstigen! Ich will auf Deiner Hochzeit tanzen. Bei Gottes Thron! Elsi, ja das will ich, und den Großvatertanz am Schluß. Haha! lustig, lustig! – Der Großvatertanz, Elsi!

Die junge Dame erholte sich zwar schnell, schien aber doch von dem unerwarteten Einfall des Obersten sehr angegriffen zu sein. –

Sei frisch, Elsi, sei gut! rief er, schwankend zwischen Zorn und ängstlicher Theilnahme, als könnte er mit solchem Machtspruch bewirken, was er wollte. Wie Du aussiehst! Wie Leiden und Krankheit. – Aber habe ich nicht Recht? Hat der Teufelsbub' Dich nicht um Leib und Seele gebracht?

Rudolf hat keine Schuld, sagte sie leise.

Schweig! schrie er auf und mit größerer Fassung setzte er grollend hinzu: Ich mag den Namen nicht hören und Du sollst ihn nicht in den Mund nehmen. Es ist meine Ansicht, daß es uns nicht taugt und wenigstens hier will ich sicher vor ihm sein. Wo thut's weh? fragte er rauh, als Elsi die Hand auf die Stelle des Herzens drückte.

Es macht der Föhn, antwortete sie mühsam – die schwüle Luft.

Geh, Kind, geh! sagte er, plötzlich wieder zum zärtlichen Vater umgestimmt. Bäbli soll kommen – wo sind die Tropfen? Gieb Deinen Arm, Kind. Zitterst und bebst und Dein Kopf glüht. Ich will nach Glarus hinüber schicken, den Doktor kommen lassen. Machst mir Angst, Elsi, tiefe, innere Angst. Bist im Fieber, Madli.

Es ist nichts, Vater, nur Ruhe; mein Zimmer ist kühl, erwiderte sie. Nichts als Abspannung von Allem was mich betroffen hat.

Er küßte sie auf die Stirn und überließ sie dann der Sorge der alten Dienerin. Elise warf von der Thür mir einen Abschiedsblick zu und legte den Finger auf den Mund, indem sie schmerzlich, leise den Kopf schüttelte.

Was hätte ich auch noch sagen sollen? Ich wußte, daß Alles vergebens sein würde. Oberst Rüttiberg saß neben mir, mißlaunig, gereizt, und sein dickes, muskelvolles Gesicht in tiefe Falten gezogen. Der dunkelrothe Abendhimmel warf seinen düstern Schimmer auf diese festen, starren Züge und zwischen den Dampfwolken seiner Cigarre sah er wie einer der grimmigen Riesen aus, die in uralten Zeiten diese Wildnisse bewohnten. Ich hütete mich daher, ihn zu stören, weil es mir ganz so vorkam, als werde er die erste Gelegenheit ergreifen, seinem Aerger Luft zu machen, gegen wen es auch sein möge.

Ich blickte auf das wunderbare Rundgemälde vor mir, dessen Herrlichkeit mich mächtig ergriff und schweigsam machte. Die Farbe der Wolken, welche den Himmel bedeckten, war vom lichten Grau, in's Gelbliche laufend, das immer gelber und flackernder wurde, je weiter das Auge nach Süden und Westen schaute, bis die sonnenlose Färbung in Röthe überging, welche zuletzt Alles in ihre brennende Glut auflöste. Und, in diesem wunderbaren Gemisch von gelben und rothen Tinten schimmerten die zahllosen Felsen, die stolzen, nackten Kuppen und Spitzen und das ungeheure Becken des Sees, der sie darin widerspiegelte.

Vor mir lagen die Schneehörner der Glarner Alpen, übereinander gethürmte Giganten, die, gleich einem Halsband von Rosen, sich um den schwarzen Nacken des Tödi schmiegten. Zuweilen dann zuckte es blitzend durch die Kette dieser gewaltigen Häupter und der röthlich-gelbe Schein drang in die Nacht der Klüfte, und irrte an düsterblauen Nebeln hin, bis er starb. Dann führte der Wind ein dumpfes Stöhnen über den See, oder es kam aus der Tiefe des Wasserkessels, in welchem die Wogen aufschäumten, um gleich darauf von der schweren Luftsäule wieder niedergedrückt zu werden.

Der Bach, welcher in seiner schwarzen Schlucht herunter donnerte, glänzte weißleuchtend aus farbigem Schaum- und Tropfenschleiern hervor. Einige Male faßte ihn ein Windstoß, löste die fallenden Wasser auf und warf sie weit über den Grund, dann fühlte ich seinen feuchten Athem, bis zu uns heraufdringen, doch bald kehrte die unheimliche schwüle Stille zurück. Das gelbschwarze, düstere Licht behielt die Oberhand über das tröstende Roth, man konnte bange werden bei seinem Anblick und mußte irgend etwas Schreckliches ahnen.

Wir werden vielleicht schon in dieser Nacht den Föhnsturm toben hören, sagte der Oberst aufstehend. Da muß jedes Fenster geschlossen, jede Thür wohl verwahrt sein. Ich will noch einen Umgang halten und selbst nachsehen, daß kein Schaden geschehe. Inzwischen besorgen Sie nichts. Solch Föhnwüthen reißt Holzhäuser nieder, wirbelt Dächer in die Luft und schleudert zuweilen Hirten und Heerde in Abgründe, allein wir sind hier gut verwahrt und daran gewöhnt. Das Feuer allein muß genau bewahrt sein, und dessentwegen besteht ein uralt Gebot bei hoher Strafe, in alter Zeit sogar bei Lebensstrafe, alles Feuer und Licht in den Häusern auszulöschen, wenn der Föhn weht.

Er muß mit voller Gewalt sich auf diese Seite des Sees stürzen, erwiderte ich, den Seespalt betrachtend.

Nicht so arg, wie Sie glauben, war seine Antwort. Am wildesten tobt er im Thale von Glarus und in den schmalen Seitenthälern. Wenn er über den See auf uns herüberstürzt, wie ein reißendes Thier, kommt gewöhnlich der Nordwind von den Appenzeller Alpen ihm entgegengesprungen, dann freilich giebt es einen Kampf zwischen den beiden Feinden, der des Zuschauens werth ist.

Er verließ mich, indem er mich bat, lieber jetzt mein Zimmer in Besitz zu nehmen, da die Dunkelheit komme und die heiße, dumpfige Trockenheit der Luft leicht Fieberanfälle mit sich bringe. –

Mein Kopf war wirklich schwer genug und nach einiger Zeit, als nichts mehr sichtbar war, als der matte, schwefelgelbe Schein, nach welchem die Luft zu riechen schien, folgte ich der Dienerin, die mich eine alte Steintreppe hinauf und durch einen langen Gang in das gastliche Zimmer führte. Sie zündete ein Licht an und entfernte sich.

Ich befand mich in dem Mönchsthurm, wie ich jetzt erst bemerkte. In einer Wandnische stand ein Bett, alte, einst bemalte Holztäfelei umzog die Wände, das große Klosterwappen der gefürsteten Aebte von Pfäffers prangte in verstäubter Holzschnitzerei, geschwärzt von Alter, über der Thür. Im Uebrigen fand ich das gewölbte, hohe Zimmer mit bequemen Geräthen gut ausgestattet und wahrhaft erquickend die kühle Luft, welche mich hier empfing. Die Fenster waren schmal, aber der Oberst hatte helle, große Scheiben darin setzen, und Jalousien davor anbringen lassen; lange stand ich an einer dieser Oeffnungen, bald hinausschauend auf die geheimnißvolle Nacht, in deren schwüler Stille sich nichts mehr rührte, bald in das große, alterthümliche Zimmer zurückblickend, über welches das kleine Licht einen matten Dämmerschein verbreitete. –

Nach einiger Zeit hörte ich den Obersten aus der Fabrik zurückkehren. Im Halbdunkel sah ich ihn auch, wie er langsam mit schweren, festen Schritten durch den Garten ging und einen Augenblick vor dem Thurme stehen blieb. Der Lichtschimmer war so schwach und die Mauer so dick, daß er ihn nicht bemerkte.

Er schläft schon, sagte er mit seiner tiefen Stimme vor sich hin – und sie auch, fügte er nach einem kurzen Schweigen hinzu, indem er sich nach dem Hause hinwandte. Es wird noch Tänze mit uns geben, fuhr er fort, aber morgen – ich glaubte ihn lachen zu hören, während er weiter ging. Dann schlug die große Thür zu, Riegel und Schlösser knarrten und Alles war still, wie zuvor.

Noch lange starrte ich in die Dunkelheit, verfolgte das Rauschen des Wasserfalls und dachte mit Bangen an Elsi. Ich war überzeugt, daß der nächste Morgen eine heftige Erklärung herbeiführen, und daß ich sehr wahrscheinlich das Opfer derselben sein würde, das heißt genöthigt sein würde, das Haus auf der Stelle zu verlassen; denn ich hatte mir vorgenommen, Elisen offen zu schützen, so viel ich es vermochte. Der Oberst mochte sicher mich nicht leiden, er traute mir nicht; meine Widersprüche, wie mein ganzes Benehmen, hatten ihn von Neuem gegen mich eingenommen. –

Ich wäre auch herzlich gern davon gelaufen, oder hätte mich hinauswerfen lassen, wenn ich die Gelüste, ihm derb zu sagen, was ich für Recht und wahr hielt, gekühlt hätte, aber sobald mir das leidende, bittende Gesicht des armen Mädchens vorschwebte, wurde ich ungewiß und unruhig. Endlich warf ich mich halbentkleidet auf mein Bett und stellte das Licht, das dem Erlöschen nahe war, daneben. Meine Augen hefteten sich auf das alte, bemalte Getäfel und einige Male, als ich müde wurde, schreckte ich wieder auf, von sonderbaren, ächzenden und knarrenden Tönen geweckt. Die alten Benediktiner fielen mir ein, und meine Uhr zeigte auf Mitternacht. Hier hatten die üppigen Mönche Jahrhunderte lang gehaust; welche Scenen mochte dies Thurmzimmer erlebt haben?!

Ich lag mit offenen Augen und starrte in die matte Dämmerung. Endlich kam es mir vor, als sähe ich in der letzten Fensternische hinter dem geschnörkelten Tische eine lange, dunkle Gestalt sitzen, deren weites Gewand sich hin und her bewegte, und obwohl ich nicht furchtsam bin, ergriff mich ein plötzliches Grausen vor der Geisterwelt. Mit Ueberwindung sprang ich auf, stürzte darauf los und kehrte lachend zurück. Es war ein loser Fenstervorhang, der vom Luftzuge bewegt wurde.

Ich löschte mein Licht aus, kehrte mich gegen die Wandseite und wie lange ich schlief, weiß ich nicht, aber ich glaubte überhaupt kaum die Augen geschlossen zu haben, als ich sie wieder öffnete. Mein Schlaf, der so leise ist, daß ich von dem geringsten Geräusch aufwache, wurde diesmal von einem Knistern gestört, das mich völlig ermunterte, weil es nicht aufhörte, als ich darauf horchte. Es war, als ob der Ton aus einer fernen Ecke kam, und irgend ein lebendiges Wesen an dem alten Holzwerk umher kratzte oder suchte. Leise richtete ich mich auf und strengte mit äußerster Gewalt meine Augen an, ohne etwas sehen zu können.

Das Geräusch dauerte fort und plötzlich folgte ein stärkeres Knacken. Ich glaubte einen Schatten zu erblicken, der dicht an der Wand sich fort bewegte. Mein Haar sträubte sich empor, mein Athem stockte. Im nächsten Augenblick aber war alles vorbei, kein Laut mehr zu hören, nichts als dichte Finsterniß um mich her.

Nach einiger Zeit sprang ich aus dem Bett und rief ein gedämpftes: Wer da?! Der hohle Schall des Gewölbes gab mir Antwort. Ich besaß kein Mittel Licht zu machen, tappte an dem Getäfel umher ohne eine Spur zu finden und kehrte zurück, halb überzeugt, daß ich mich getäuscht hatte. Aufgeregt trat ich ans Fenster und blickte durch die angelehnte Jalousie in die Nacht hinaus. Sie war so schwül und dumpf wie vor Stunden. Der falbgestreifte, dicke Himmel lagerte sich darüber, der Bach grollte dumpf zu mir herauf; wie ein ungeheurer schwarzer Krater lag der See in seinem Felsenbecken und nur um die Eisköpfe der Giganten jenseits flimmerte ein phosphorisches Leuchten.

Plötzlich aber glühte ein Helles meteorisches Licht über das ganze Gebirge, und da ich gerade meine Augen auf den Garten richtete, glaubte ich in dem blendenden Schein zwei Menschen zu erkennen, die unter den Bäumen, mir gegenüber, saßen. – Wie kamen sie dahin? Wer konnte es sein? Was wollten sie? – Die seltsamsten Vermuthungen gingen durch meinen Kopf; ich wartete vergebens auf ein neues Feuerleuchten, es wollte keines kommen, und endlich gab ich Alles auf, überzeugt, daß die erregte Phantasie, welche so oft den Menschen die ärgsten Koboldstreiche spielt, mich diesmal ebenfalls heimgesucht hatte.

So warf ich mich denn abermals auf mein Lager und versuchte einzuschlafen, was lange Zeit nicht gelingen wollte. Ich wälzte mich unruhig umher und verfiel zuletzt in den traumwachen Zustand, der so geschäftig ist, uns allerlei Zauberspuk vorzuführen, ohne daß wir wissen, ob es wahr sei, was wir sehen und hören, oder ob die Sinne sich täuschen, ohne doch die Macht zu besitzen, sich von dem Einen oder dem Andern zu überzeugen. Ich glaubte wiederum das sonderbare Geräusch zu hören; es war mir, als ob Stimmen flüsterten, leise Schritte nahe bei mir sich merklich machten, als ob eine Thür sich drehe, doch ehe ich mich von meinem lethargischen Zustande frei machen konnte, war Alles vorbei.

Aber jetzt vernahm ich deutlich denselben Lärm in der düstern Ecke, und diesmal war es gewiß keine Täuschung. –

Was ist das? Wer steht dort?! schrie ich laut auf, indem ich nach dem Fenster stürzte und die Jalousie aufstieß. –

Ein schwacher, grauer Schein des nahenden Morgens schlüpfte durch den schmalen Spalt und gab mir Zuversicht. Erkennen ließ sich nichts, aber der kleinste Lichtfunke hat für die menschliche Seele belebende Macht. Ich begann eine Untersuchung, die nicht das geringste Resultat hatte und brachte den Rest der Nacht schlaflos zu, denn mein Blut war in fieberhafte Bewegung gekommen.

Als es hell war, erneute ich meine Anstrengungen, die Ursach meiner Plagen zu entdecken, allein das alte Getäfel mit seinen Rissen und Ritzen und Wurmlöchern wollte kein Geheimniß offenbaren. Die verwischten Heiligenbilder sahen mich grämlich an, daß ich ihre Ruhe störe, der Staub flog von den Gesimsen auf und zuletzt war ich froh, als es im Hause lebendig wurde und ich die Stimme des Obersten unten hörte.

 

Wir tranken den Kaffee in der Laube, der alte Herr war besseren Humors, als gestern. –

Elsi ist heut viel wohler, sagte er, ich habe Nachricht eingezogen; auch ist die Luft besser, als gestern. Es hat in der Nacht verschiedentlich geblitzt, das ist der beste Ableiter für den Föhn; ich glaube das Wetter wird uns verschonen.

Aber wie haben Sie geschlafen? fuhr er fort, indem er mich ansah. Sie sehen nicht gut aus. He! haben die alten Benediktiner Sie etwa nicht in Ruhe gelassen?

Elise kam aus dem Hause und näherte sich uns. Rüttiberg deutete lachend auf mich.

Es scheint, sagte er, Ihr habt die Rollen getauscht. Elsis Wangen haben sich geröthet, Sie sind blaß geworden. Nun, was war es? fuhr er fort. Ist der schwarze Prior bei Ihnen gewesen, der zur Strafe seiner Sünden hier noch sein Wesen treiben soll? Denn Sie müssen wissen, setzte er hinzu, Richtersbühl war immer ein heimliches Plätzchen, wohin die üppigen Mönche in Pfäffers manch Täubchen brachten, das sie kirren und für sich haben wollten. Manche schreckliche Geschichte wird davon erzählt.

Ich sah zu Elsi hinüber, die leise vor sich hin lächelte.

Ich habe wirklich allerlei Geräusch und leise Schritte gehört, sagte ich.

Nun, da haben wir es! schrie der Oberst. Vielleicht war es aber nicht einmal der gräuliche Prior, sondern, wenn Sie zugefaßt hätten, wäre der herumirrende Geist eines jener schönen Schlachtopfer zum Vorschein gekommen, der um Rettung und Hülfe gefleht hätte.

Oder eine weiße Taube, Papa, sagte Elsi, die zum Fenster hinaus geflogen wäre.

Rüttiberg lachte herzlich und erzählte, daß es vor einigen Jahren allerdings einem Freunde in dem spukhaften Thurmzimmer so ergangen sei, der, als er sich genugsam abgeängstigt, eine Taube entdeckt hatte, von denen ein ganzer Schwarm in den Zinnen nistete.

Mein Abenteuer wurde noch eine Zeitlang bespöttelt, bis der Oberst sich plötzlich zu seiner Tochter wandte und die Hand an ihr Kinn legend, gütig ausrief:

Du bist auch so eine wilde Taube, Elsi, die ehrlichen Leuten Schrecken einjagt; bist auch verfolgt von gewissenlosen Räubern und in den alten Thurm von Richtersbühl gesperrt, aber Dein Vater ist Dein sorgsamer Wächter. Er duldet nicht, daß Dir ein Haar gekrümmt werde, möchte aber doch gar gern, daß er Dich frei lassen könnte, und würde sein Herzblut hingeben, wenn er Dich glücklich sähe.

O! lieber Papa, antwortete sie, ihn zärtlich küssend, wie sehr wünscht Dein Kind glücklich zu sein.

Dann sind wir ja einig, Mädchen, erwiderte er in einem Anfalle seiner rücksichtslosen Liebe, indem er sie an sich drückte. Laß alle Possen, Elsi, wir wollen beide sein wie wir waren, wollen vernünftig und ruhig überlegen, wie es sich schickt, und hier steht ein Dritter, Dein Freund, der auch mein Freund ist; höre, was er sagt, laß ihn Schiedsrichter sein und unterwirf Dich.

Ich will mich gern unterwerfen, flüsterte sie mit einem eigenthümlichen, auffordernden und bittenden Blick, den ich also deutete, daß ich nochmals mein Heil zu ihren Gunsten versuchen sollte.

Herr Oberst, begann ich daher, allen Muth zusammennehmend, ein Vater hat das Recht, sein Kind vor Unglück zu schützen, die Gefahren einer thörichten Leidenschaft von ihm abzuwenden; er hat auch das Recht Gehorsam zu fordern, und im Bewußtsein, für das wahre Wohl seines Kindes zu sorgen, kann er taub bleiben gegen dessen Bitten und Thränen.

Rüttiberg nickte mir mit voller Beistimmung zu.

Wahrlich, Sie treffen den Nagel auf den Kopf! rief er. Höre zu, Elsi, so ist es!

Ein Vater, fuhr ich fort, der sein Kind wahrhaft liebt, ein gütiger, gerechter Vater, wird jedoch nicht hart und tyrannisch Entsagung und Unterwerfung fordern, weil er sich den Sohn aussuchen will, der ihm behagt, weil er den nicht leiden mag, der seines Kindes Herz gewonnen hat, weil jener Mann vielleicht andere Grundsätze hegt, weil er hartnäckig in seinen Meinungen ist, oder weil er vielleicht einer anderen politischen Partei angehört.

Während ich sprach, sah mich der Oberst immer erstaunter an; ein Gewitter sammelte sich auf seiner Stirn, ich ließ mich jedoch nicht schrecken.

Ich weiß, sagte ich, daß politischer und religiöser Haß unendliches Elend schon über die Welt gebracht haben, daß sie die zartesten Banden zerrissen, Familien und Völkerglück zermalmten, die edelsten Opfer ihrem Fanatismus schlachteten; aber ich weiß auch, wie viele Thränen der Reue und verzweiflungsvolle Qualen über diejenigen gekommen sind, deren hartnäckige Selbstsucht sie blind gegen die heiligsten Gesetze Gottes machte.

Und warum sagen Sie mir das?! fragte Rüttiberg drohend.

Weil ich wünsche, daß Sie, der Sie Tausenden ein gütiger Herr sind, auch Ihrer einzigen Tochter ein edler und gütiger Vater sein mögen. Bedenken Sie, daß es sich um Ihr ganzes eigenes Glück handelt; bedenken Sie alle Folgen, die es haben kann, wenn Elise, gezwungen durch Ihren Fluch und sehnsüchtig nach Ihrem Segen, einem Manne ihre Hand reicht, der kein Herz, selbst nicht für dies große Opfer hat, der nichts will als Geld; Ihr Geld, Ihr Gut. Herr Oberst, das Vermögen aus der Familienkiste!

Ha! schrie Rüttiberg aufspringend, es ist genug. Sie wagen es, mich zu beleidigen? Wagen es Moritz Eschenheim zu beschimpfen, der Sie Freund nennt, der sein ganzes Vertrauen Ihnen geschenkt hat.

Ich kann die Wahrheit beweisen, sagte ich.

Elende Verläumdung! rief er. Was kümmern Sie sich um meine Familienangelegenheit? Wie kann ein Fremder sich einmischen wollen? Mir ahnte es wohl! Ich kenne Sie, Herr, ich durchschaue Sie. Sie stecken unter einer Decke mit der Rotte, die dort – er deutete nach Zürich hin – ihr Wesen treibt. Sie sind ein Geistesgenosse des Buben, der ohne Schaam und Ehre, ein Bettler, ein Räuber! uns überfallen hat, aber Fluch, zehnfachen Fluch! – er hob den Arm zum Himmel auf und war in seinem Zorn, wie ein Besessener, anzusehen.

Elsi klammerte sich um seinen Hals; sie war ruhig, freundlich, ein Lächeln lag auf ihren Lippen.

Ich bitte, ich beschwöre Dich, lieber Papa, sagte sie, Du hast unsern Freund nicht recht verstanden. Er wollte ja nichts, als Dich bitten, Dein und mein Wohl nochmals zu bedenken, und seine Freundschaft für uns gab ihm seine Worte ein. Ich bin jedoch bereit, alles, was Du willst, zu thun. Ich leiste keinen Widerstand mehr, ich habe keine Kraft dazu. Gott mag sich meiner annehmen, er mag es zum Besten lenken!

Ihre Worte blieben nicht ohne Wirkung. Rüttiberg legte schweigend seine Hände auf ihren Kopf und auf sie nieder blickend, murmelte er:

Ich bin kein harter Vater, ich will Dein Glück und wenn ich zu heftig war, thut es mir leid.

Er wandte sich dabei zu mir hin und fuhr dann lauter fort:

Ich wollte es wäre anders, Elsi; ich wollte, Dein Herz wäre dabei, aber es wird kommen. Wenn ich es ändern könnte, sollte es geschehen. Bedenke aber Alles – Du bist verständig – bedenke die Verhältnisse, die Familienverbindung, mein Wort, meine Ehre und – die Familienkiste!

Ich weiß, Vater, erwiderte sie leise, es ist Alles gegen mich, die Lebendigen und die Todten. Bestimmungen, die getroffen wurden, um mich glücklich zu machen, der Moder vergilbter Papiere, das klingende, schwere Metall, Alles fällt auf mich, und ich muß es Schicksal nennen. – Schicksal nennen die Menschen, was sie nicht abwenden können – oder sie nennen es Verhältnisse und finden ihre Ruhe darin, wenn sie sagen: es war nicht zu ändern!

Rüttiberg empfand den Vorwurf. Das tief gesenkte Haupt seiner Tochter lehnte sich an seine Brust und was darin vorging, war in seinem Gesicht zu lesen. Unentschlossen und im Kampfe mit sich selbst, schien er zu schwanken, seine Augen irrten mitleidig über Elsi hin, und als wollte er sich vor überwältigender Schwäche bewahren, wandte er sie plötzlich dem See zu, wo ein Boot so eben um die vorspringenden Felsen ruderte.

Dieser Augenblick war entscheidend. – Mag man an Schicksal, Verhängniß, Vorbestimmung glauben oder nicht, es kömmt oft vor, daß in der Minute, die über Segen oder Unheil bestimmt, der Zufall oder eine finstere Macht sich einmischen und den Würfel lenken.

Da kommt Eschenheim! rief der Oberst. Moritz und seine Mutter! Laß uns gehen, Elsi. Komm, mein Kind, gieb mir Deinen Arm. Heda! –

Er schrie nach seinen Dienern und gab ihnen Befehle. Der Faden des Mitleids und der Umkehr war zerrissen.

Es ist alles verloren, flüsterte Elsi mir zu. Kein Wort mehr, mein Freund, seien Sie ruhig. –

Sie war so bleich wie damals in Mariaschein, aber ihre Augen hatten einen wunderbaren Glanz und ohne Zagen begleitete sie ihren Vater.


Achtes Kapitel.

Moritz von Eschenheim sprang lachend und seinen Hut schwenkend an's Land, in die Arme des Obersten, und Elsi umarmend; seine Mutter wurde in einem Sessel bis auf die Höhe von Richtersbühl getragen, beide waren voller Freundlichkeit und Zärtlichkeit auch gegen mich, der ich kalt höflich ihre Aufmerksamkeiten erwiderte.

Nach den ersten Stunden, in welchen das alte Haus und dessen hochromantische Umgebungen sammt vielen anderen Dingen besprochen und von Moritz bespöttelt waren, und nachdem endlich Frau von Eschenheim mit Elsi sich entfernt hatte, saßen wir bei des Obersten edlem Lacotewein plaudernd und rauchend beisammen.

Warum ich gekommen bin, Rüttiberg, sagte Moritz, als ein langes Gespräch über politische Verhältnisse, Geschäfte und Geldcourse abgehandelt war, ja, warum ich gekommen bin, wiederholte er nochmals, den goldigen Wein in seinem aufgehobenen Glase betrachtend, und alle Bedenken überwunden habe mich in Ihrem Hause zu zeigen, sollen Sie jetzt hören. – Erstens läßt es mich keine Ruhe, bis ich Elsi versöhnt weiß und ihr sagen kann, daß ich mich vor Sehnsucht verzehre; zweitens aber treibt es mich her Sie zu warnen, da ein gewisser, wüster, sittenloser Mensch, den ich nicht weiter nennen will, von Zürich gestern verschwunden ist, und, wie ich vermuthen muß, Versuche machen will, sein Opfer auch hier zu verfolgen.

Die Blicke des Obersten richteten sich bei dem ersten angegebenen Grunde mit triumphirendem Lächeln auf mich, bei dem andern sah mich Moritz von Eschenheim durchdringend an, da ich jedoch ganz ruhig blieb, weil ich nichts wußte, schien er davon überzeugt zu sein.

Sehen Sie nicht so ungläubig aus, fuhr er zu Rüttiberg gewandt fort, ich habe gute Kundschafter und sage Ihnen, er ist vorgestern Abend aus Zürich verschwunden, ohne daß Jemand weiß, wohin er sich begeben hat.

Glück auf die Reise, murmelte der Oberst.

Sie nehmen an, daß er sich aus dem Lande gemacht hat, fuhr Eschenheim fort, täuschen Sie sich nicht, ich kenne ihn besser. In diesen Kopf kommt weder Reue noch Vernunft; ich gebe mein Wort darauf, daß er hier in der Nähe irgendwo verborgen ist.

Warum nicht gar hier im Hause! rief der Oberst. Sie trauen diesem verteufelten Burschen denn doch mehr zu, als er zu leisten vermag. Hat er Adlerflügel, um aus der Luft niederzuschießen? Oder Gemsenbeine und Hörner, um sich von Grat zu Grat zu schwingen? Oder ist er mit Flossen versehen, um unter dem Wasser fort, bis in die Bucht zu schwimmen?

Sind Sie ganz sicher, erwiderte Moritz, daß er sonst nirgend herein kann?

So sicher, daß ich mich nicht darum vom Platze rühre.

Und daß er keine geheime Hülfe findet?

Bah! wer sollte das wagen, sagte Rüttiberg verächtlich. Sie fürchten sich vor Schatten, wie ein Weib. Ich sage, wenn er sich blicken ließe – hier – in diesen Felsen – wie eine wilde Katze sollte er gejagt werden, und Gnade ihm Gott! wenn er mir vor den Stutzen kommt.

Der Blick, mit welchem der grimmige Oberst seine Drohung begleitete, war so mörderisch, daß ich wirklich glaube, er hätte es wahr gemacht und den Unglücklichen niedergeschossen, wo dieser sich ihm gezeigt hätte.

Ich bemerkte wohl, wie Eschenheim mich während dieses ganzen Gespräches beobachtete, und als sich sein Verwandter entfernte, um nach Haus und Tisch zu sehen, wandte er sich mit der direkten Frage an. mich, was ich von Rudolf und dessen Absichten wisse?

Ich erzählte ihm aufrichtig mein letztes Gespräch mit seinem Bruder, und verhehlte ihm nur den Auftrag, den dieser mir gegeben hatte, aus leicht begreiflichen Gründen.

Eschenheim hörte nachdenkend zu. –

Sie haben also hier nichts gesehen oder gehört, was auf seine Nähe deuten könnte? fragte er mich.

Ich verneinte es mit aller Bestimmtheit. Es scheint mir auch ganz unmöglich zu sein, hier eindringen zu wollen, sagte ich dann.

Sie kennen die Verwegenheit dieses Menschen nicht, war seine Antwort. Er fürchtet nichts.

Vielleicht dient es zu Ihrer Beruhigung, fiel ich ein, wenn ich Ihnen seine letzten Worte mittheile. Sollte Elsi wirklich meinen Bruder wählen, sagte er mir, so will ich nichts mehr hindern. Ich werde gehen, sie ist frei!

Und Elsi? fragte Moritz.

Elsi hat, ehe Sie kamen, Ihrem Vater erklärt, daß sie seinen Wünschen sich nicht länger widersetzen werde.

Nun, so sind wir zu Ende! rief er erheitert. Herzlichen Dank für diese Nachricht und für alle Ihre Freundschaft. Möchte ich jemals im Stande sein, Ihnen dankbar zu werden. Vorläufig bitte ich allen falschen Verdacht ab, denn aufrichtig gesagt, ich glaubte, daß die Verstellungskünste3 dieses Heuchlers bedeutenden Eindruck auf Ihre deutsche Gutmüthigkeit gemacht hätten.

Der Oberst kam zurück, er erlöste mich aus meiner peinlichen Lage, und während des Mittagsmahls, das nun folgte, war Eschenheim so viel mit Elisen beschäftigt, daß er alles Andere vergessen zu haben schien. Er war voll guter Laune und erzählte die lustigsten Geschichten, flüsterte in Elsis Ohr, drückte heimlich ihre Hände, hörte lachend ihre leisen Antworten und schien im besten Einvernehmen mit ihr zu sein.

Nun, was giebt es da! rief endlich der Oberst, was habt Ihr für Geheimnisse? Heraus mit der Sprache, oder sollen wir es auch so machen, und uns allerlei Vermuthungen zuwinken und zunicken?

Es kann ein Jeder hören, lieber Papa, erwiderte Moritz. Ich fragte Elsi, ob ich nicht auf unsere gemeinsame, glückliche Zukunft mit ihr anstoßen sollte, sie meinte jedoch, ich möchte es bis zum Abend lassen, beim Kerzenglanz sehe eine Braut schöner aus.

Heute Verlobung und morgen ein Fest! schrie Rüttiberg. – Elsi! mein Kind! so soll es sein. Alle meine Arbeiter sollen den Tag feiern. Am Abend fahren wir nach Wesen, Du gehst mit Moritz nach Mariaschein zurück, ich komme nach, ich bleibe bei Dir! – Du sollst fort aus dieser Einöde; willst Du, Kind? Willst Du?

Elsi nickte lächelnd und reichte ihm stumm die Hand.

Gut! rief der Oberst mit derselben Begeisterung, Du sollst Dich schmücken, Mädchen, sollst wie eine Braut aussehen.

Er stieß den Stuhl zurück, lief in ein Nebenzimmer, riß Kasten und Schrank auf und kehrte mit einem Arm voll Damenputz wieder.

Schau her! schrie er, das sind Spitzen. Elsi, da ist das Kleid, das Du in Paris bewundertest. Heimlich habe ich es gekauft, wollte Dich einmal später damit überraschen. Sollst es aber heute tragen, und was an Schmuck von Deiner Mutter da ist, soll Dein sein.

Dafür ist gesorgt, fiel Eschenheim ein, indem er ein prächtiges Schmuckkästchen vor Elsi stellte und öffnete. Halsband, Armbänder, Ohrgehänge und Nadeln blitzten darin, mit den edelsten Steinen besetzt.

Dies ist alles von hohem Werth, sagte Frau von Eschenheim stolz, altes Familieneigenthum, keine Fürstin brauchte sich zu schämen. Komm her, Elsi, wir wollen das Collier versuchen. Und mit ihren langen Fingern berührte sie Elsis zarten Hals, der sich davor zusammenzog. Ihre grünen gläsernen Augen strahlten in falscher Zärtlichkeit; sie legte ihr die dicke Diamantkette mit einem widerlichen Lachen um, in welchem ich ihre geheimen Gedanken zu erkennen glaubte: Nun haben wir Dich, Täubchen, und bist Du erst ganz in unserer Gewalt, so wollen wir Dich schon kirren.

Moritz hielt inzwischen Elsis Hände und witzelte, lachte und küßte, während dann und wann eine seiner Spöttereien wie ein Blitz durch alle Hüllen drang.

Wie Deine Finger kalt sind, rief er dem geduldigen Opfer zu, es ist doch eine verteufelte Hitze! Ich siede und koche, mein Herz brennt ärger wie diese Luft, aber was sagt das alte Volkssprichwort: Kalte Hände, warme Liebe! und wer weiß sich besser zu verstellen, als Mädchen?! Die Kälteste ist ein Vulkan, wenn man nur das Eis zu schmelzen versteht, und ich will es verstehen, ich will es schmelzen mit dem Feuer meiner Zärtlichkeit, meiner Bitten, meiner schmachtenden Unterwerfung unter alle Deine Befehle. – Laß uns in den Garten hinaus, wie himmlisch wird es dort am Abend sein, wenn die Bäume unser Liebesgeflüster hören!

Er führte Elsi fort, der Ton seiner Worte ließ deutlich genug seinen Hohn erkennen, aber der Oberst war entzückt von dem galanten Schwiegersohn und Frau von Eschenheim reichte ihm die lange Knochenhand mit seligem Grinsen.

Es war ein peinlicher, ewig langer, düstrer Nachmittag. Der Himmel, welcher sich am Morgen aufzuklären schien, war wieder mit jenen unheimlichen Wolken bedeckt, das hohe Gebirge heut unsichtbar, versteckt unter tiefhängenden Dünsten und Nebeln. Der Gesichtskreis schien immer enger zu werden, kaum war das jenseitige Ufer zu erkennen, und durch die schwüle Stille kam zuweilen ein hohles Rauschen aus dem See.

Früh wurde es Abend, und als es beinahe dunkel war, stand ich allein auf der scharfen Spitze des Gartens, in dem Lusthäuschen, das über dem Abgrund hing. Ich sah in die bleichen Nebel, die sich über den Glärnisch fortwälzten und sich wunderbar schnell veränderten, dann verfolgten meine Augen ein Fischerboot, das langsam dicht unter den Felsen hinruderte und ich wünschte lebhaft, daß es mich mitnehmen möchte; plötzlich aber hörte ich hinter mir Eschenheims Stimme, der mit seiner Mutter sprechend vorüberging, in das Häuschen sah und mich nicht erblickte, da ich mich in die Ecke gestellt hatte, um ihn zu vermeiden.

Er ist nicht hier, sagte er, er wird auf sein Zimmer gegangen sein, um sich anzukleiden, das wollen wir auch thun, Mama. Der Oberst läßt die Lichter anzünden, wir müssen uns zu der Komödie fertig machen.

Ich will Deinem Püppchen helfen, erwiderte die alte Frau heiser lachend, aber sie macht uns viele Umstände.

Künftig wird sie bescheidener sein, meinte er. Nur Geduld, Mama, Du wirst sie Dir erziehen.

Wird der getreue Freund es auch erlauben? fragte sie höhnend.

Ah! der! rief Eschenheim. Ich hoffe er wird sich bald empfehlen und sollte er nicht Lust dazu haben, so werden wir wenige Umstände mit ihm machen.

Gut gebrüllt, Löwe! sagte ich leise, als sie weiter gingen. Das also wäre Deine Dankbarkeit. Ich denke die Probe nicht abzuwarten.

Nach einigen Minuten stieg ich die Treppe hinauf, tappte durch den Gang und öffnete die Thür meines Thurmes. Es war finster darin, die schmalen Fenster geschlossen, dennoch aber konnte ich so viel sehen, daß drüben an der Wand, am Tische eine dunkle Gestalt saß, deren Umrisse ich genau erkannte. Bei alledem glaubte ich mich zu täuschen, wie ich in der Nacht mich getäuscht hatte. Ich griff nach Weste und Frack, die ich auf das Bett gelegt hatte, wechselte die Kleider, pfiff ein Lied und brummte einige Worte, während ich mir die Erscheinung zu enträthseln suchte.

Aber sie löste sich vor meiner nüchternen Kritik nicht auf; es kam mir so vor, als ließe sie den Arm sinken, der ihren Kopf stützte, und als ob dieser Kopf sich aufrichtete und mich starr anblickte. Ich that einige ungewisse Schritte, während meine Augen fest auf diesen Schatten gerichtet blieben und fragte mit eben so ungewisser Stimme:

Wer ist es? Sind Sie es, Eschenheim?

Ja, antwortete die Gestalt leise aber in einem Tone, der meine Haut zusammenzog. Kommen Sie näher, ich erwarte Sie.

Er stand dabei auf und streckte mir die Hand entgegen. – Es war Rudolf, der Geächtete.

Wie ist es möglich! rief ich verwirrt, erschrocken und noch immer halb ungläubig.

Still! flüsterte er. Ich war in letzter Nacht im Garten, Elsi war bei mir, sie ging durch dies Zimmer; hinter dem Getäfel führt eine schmale Treppe hinunter, die Thür ist zu öffnen. Als wir uns trennen mußten begleitete ich sie zurück, und bis jetzt habe ich in einer der kleinen, geheimen Kammern oder Nischen zugebracht, die in dem Holzwerk der dicken Mauer des Thurmes liegen. Dank den Mönchen, die hier einst ihr Wesen trieben! fuhr er erregter fort, ich konnte in Elsis Nähe sein, für jeden Fall bereit. Ich weiß Alles, sah und hörte Alles; Elsi kam zu mir, aber nun – seit Mittag, seit dieser Elende hier ist und die Frau, die ich nicht mehr Mutter nennen darf, ist sie mit Argusaugen bewacht.

Was wollen Sie thun? fragte ich, aber ich setzte sogleich hinzu: Sie sind entschlossen, mit Elsi zu entfliehen.

Und stände sie vor dem Altare, ich wollte sie ihm entreißen! rief er, die Zähne zusammenpressend.

Alles ist bereit, fuhr er fort. Unter dem Felsen von Bättlis liegt seit gestern ein Boot versteckt, zwei wackere Männer darin, die mir ganz ergeben sind. Wir können diese Stelle ohne große Mühe in fünf Minuten erreichen. In einer Stunde fährt das Dampfschiff von Wesen nach Wallenstatt. Postpferde stehen bereit, in vier Stunden sind wir in Chur, ehe der Morgen kommt in Isola, in Italien, frei und sicher! – Ich habe Alles wohl bedacht, für Alles gesorgt. Nur eine halbe – ein Viertelstunde halten Sie die Verfolger auf, das ist meine einzige Bitte. Ich bin auf jeden Ausgang gefaßt, bewaffnet, um mein Leben zu vertheidigen, entschlossen zum Tode, aber ebenso entschlossen zum Glück!

Da war keine Vorstellung möglich, und was sollte ich ihm vorstellen? Er drängte mir ein Zettelchen auf und sagte hastig:

Sie sollen nicht den geringsten Antheil haben, nur diese wenigen Worte, welche ich aufgeschrieben, geben Sie in Elsis Hand. Das ist Alles und nun gehen Sie, jede Minute ist kostbar, kein Wort weiter!

Wenn Sie Elsi und mir einen großen, leichten Dienst leisten wollen, so beschäftigen Sie die Menschen da unten mit irgend einem Streit, einem Spaß, einer Posse, gleichviel, nur schaffen Sie uns Zeit.

Als ich die Treppe hinunterstieg, sah ich die Zimmer hell erleuchtet, die großen Thüren geöffnet und Elsi, wie eine Braut geschmückt, in den Armen ihres Vaters, der so heiter, so glücklich lachte, als wäre er selbst der Bräutigam. Der Atlas und die Spitzen, die funkelnden Steine und blitzenden Goldbänder verschönten Elsi nicht so sehr, wie ihre gerötheten Wangen, die dem feinen, edlen Gesicht einen trügerischen Schimmer von Kraft und Gesundheit verliehen. Es war Fiebergluth, die ihre Haut bemalte und den sanften Augen einen so glänzenden Schimmer gab. Ihr Gang war leicht, ihre Stirn trug sie stolz, ihr Mund lächelte, mit keinem Zucken verrieth sie ihre argen Gedanken; sie mußte wunderbar von ihrem Willen gestärkt und fest entschlossen sein, um so zu heucheln, oder sie hatte Alles aufgegeben und Alles vergessen.

Es gelang mir, ihr den Zettel, als wir bei einander standen, in die Hand zu drücken, während Eschenheim mit dem Obersten an die Salonthür trat, durch welche ein plötzlicher Windstoß herein wehte. –

Um das Hochgebirge zuckte ein matter Glanz; Eschenheim schrie, daß er die Tödispitze gesehen habe, aber Rüttiberg lachte ihn aus. und während dessen las Elsi die Worte, steckte das Papier ein und warf einen Blick auf mich, so voll Grauen, Angst, Kummer und Entsetzen, daß ich davor erschrak. Zugleich kehrte Moritz sich um, und ihre Hand fassend, sagte er:

Laß es blitzen und stürmen, meine Elsi, laß alle bösen Geister entfesselt sein, wenn wir nur bei einander stehen. Aber was hast Du? Du siehst so bedenklich aus, wie eine Tödiwolke.

Es ist, nichts, erwiderte sie, in sein Lachen einstimmend, mein Herz ist voll Glauben und Vertrauen.

Der Oberst trat an ein Tischchen, das weiß gedeckt und von einem großen silbernen Armleuchter erhellt war. Vor demselben stand eine bedeckte Krystallschaale, und Rüttiberg führte Frau von Eschenheim dorthin, schob lächelnd das feine Tuch fort und ließ die beiden Verlobungsringe sehen, welche darunter lagen.

So laßt uns denn beginnen, rief er, nach Sitte und Brauch unserer alten Familien. Elise! Wo ist sie?

Einen Augenblick hinaufgegangen, sagte Eschenheim. Eine Braut hat immer etwas, was sie preßt und drückt. Vielleicht, flüsterte er mir spottend zu, bleibt noch ein letztes Gebet zu verrichten übrig.

Ich befand mich in keiner geringen Unruhe, die so stark war, daß ich zitterte; aber ich begann ein Gespräch mit Eschenheim über die letzten Wahlen in Wallis, Dreiburg und Luzern, welche ganz zu Gunsten der Ultras, seiner Partei, ausgefallen waren, bezweifelte den Erfolg, stritt mit ihm, zog den Obersten hinein und verwickelte den Streit über dies Thema mit solchem Erfolg, daß wirklich eine geraume Zeit verging, ehe Elsis Ausbleiben auffiel.

Der Oberst, der, nach seiner Art, wie ein Stier nach dem rothen Lappen stieß, sprang endlich auf und schleuderte mir einen seiner grimmigsten Blicke zu.

Hole der Henker allen Streit mit Leuten, die mehr von uns wissen, wie wir selbst! schrie er. Dabei vergessen wir Elsi. Wo ist das Mädchen geblieben? Wir müssen nach ihr ausschauen – aber was ist das? Holla! schließt die Thüren!

Bei seinen letzten Worten fuhren wir Alle empor, denn draußen begann ein dumpfes Brausen, ein Rauschen der Bäume im Garten, ein Krachen in den Bergen, als stürzten diese zusammen. Im nächsten Augenblick aber schmetterten ein paar offene Fenster in Stücke, zerbrochene Aeste flogen umher, Steine polterten von den Zinnen des alten Hauses. –

Ein wüthender Sturm brach los, und mit seinem Heulen und Pfeifen mischten sich Donnerschläge, spalteten lange, blendende Blitze die Nacht und zeigten auf Augenblicke die Gletscherkämme, die Eis- und Schneefelder und die ungeheuren Gebirgsmassen, wie in Sonnenhelle.

Das Unwetter kommt über uns! rief der Oberst. Bleiben wir beisammen, bis es vorbei ist; ich denke es wird uns nicht lange peinigen.

Wir standen alle an den Fenstern, der Himmel sah prachtvoll aus. Wild zerrissene Nebelmassen flogen jenseits des Sees über die Gebirge, andere weißleuchtende Wolken stemmten sich dagegen an, und streckten lange Arme aus, um den Feind zurückzuhalten. Oben war das Gewölbe des Firmaments bleifarbig, schwer und dicht, aber wenn das Geflimmer der Blitze darauf hinzuckte, sah es durchbrochen und durchwühlt aus, wie mit Abgründen, Spalten und Rissen übersäet. –

Dazu hörten wir den Wind mit solcher Wuth an Mauern und Felsen schlagen, daß es wie abgefeuerte Gewehrschüsse klang und ich bewunderte, wie die Scheiben der Fenster den Druck aushalten konnten.

Ich glaube nicht, daß der Dampfer es wagt, von Wesen abzugehen, sagte Eschenheim.

Wenn er es gewagt hat, wird er umkehren, meinte seine Mutter.

Umkehren ist oft schlimmer, als muthig vorwärts, rief der Oberst.

Diese Worte erinnerten mich an Elsi. – Wo war sie? Wo Rudolf? Was war aus beiden geworden?

Ist es möglich, fragte ich, daß ein Boot in solchem Wetter aushalten kann?

Möglich wohl, erwiderte Rüttiberg, allein es gehört Glück dazu, nur muß der Bättliswind nicht etwa den Hexentanz vollständig machen. Ich habe ärgere Stürme hier erlebt, zur tiefen Herbstzeit oder im Winter – aber da kommt Elsi, nein, es ist Bäbli! – Was hast Du? Was ist geschehen? Wie siehst Du aus? Ein Unglück!

O! Herr, Herr! schrie die zitternde Magd, die Hände ringend, lauft ihr nach, sie ist zum Thor hinaus!

Wer? Elsi! – Bist toll geworden?! rief der Oberst starr aufgerichtet.

Nein, Herr, nein! antwortete sie. Leute kommen von unten herauf, sagen, sie haben sie gesehen. Unterm Schinglisteg hat ein Boot gelegen, das ist hinaus in den wüthenden See. Drei Männer darin, und Elsi mit ihnen.

Ohne ein Wort zu erwidern, griff der Oberst nach dem Armleuchter, der auf dem Tischchen stand, und eilte hinaus. Eschenheim sprang voran, die Treppe hinauf.

Ich blieb zurück, ich wußte, was sie finden würden. Schweigend warf ich mich in einen Stuhl, mein Herz war, von Angst erfüllt. Als ich meine Augen aufhob, sah ich in Frau von Eschenheims Gesicht, die mir gegenüber saß.

Ihre gläsernen Augen waren auf mich gerichtet, ihr mumienhaftes Gesicht sah mich stier an. –

Sie ist davongelaufen, sagte sie.

Ich fürchte Sie haben Recht, flüsterte ich.

Und er mit ihr, fuhr sie fort. Er war hier. Ich hatte eine Ahnung. Ich sah es ihr an. Sie wußten darum!

Ich sprang auf, der Oberst polterte die Treppe herunter. Ich hörte ihn die Hausthür aufreißen, und hinter mir das hohle, gespenstische Lachen der alten Frau, die ihre dürren Hände heftig zusammenschlug.

Als ich aus dem Hause trat, schien der Sturm vorüber zu sein, nur hoch oben in der Luft brauste und pfiff es, als tummle sich dort die wilde Jagd; was mich aber beruhigte, schien den entgegengesetzten Eindruck auf Rüttiberg zu machen.

Durch das Thor eilten mehrere Leute herbei, lange Fackeln in den Händen, und unten an der Uferbucht sah ich ähnliche Gestalten, die schreiend hin- und herliefen und mit den feurigen Lichtern auf den See hinausleuchteten. Der Oberst riß einem der Männer die Fackel aus der Hand und eilte auf die Spitze des Felsens, in jenes Gartenhäuschen, das über die äußerste Ecke hinaus hing. –

Sein graues Haar flog um das blutlose Gesicht, das plötzlich eingefallen und seltsam greisenhaft aussah. Eine ungeheure Angst mußte ihn quälen; er klammerte sich mit einer Hand an den Pfosten, hielt die Fackel hoch empor und bog sich so weit über den tiefen Schlund hinaus, daß ich meinen Arm um ihn legte. –

Das Licht warf seinen zitternden Glanz über den See, dessen hohe Wellen wild über einander schlugen. Es waren Berge und Thäler, weiße Köpfe, die auf schwarzen Leibern saßen, lange, glänzende Schaumstreifen, wie zahllose Furchen und Bänder darüber hingeworfen. –

Plötzlich stieß Rüttiberg einen weit hallenden Schrei aus und deutete mit dem Arm vor sich hinaus. Auf einer hohen Wogenspitze schwamm das Boot und stürzte in einen Abgrund nieder.

Zurück! schrie er mit seiner mächtigen Stimme. Kehr um, der Bättlis kommt! Elender! Wahnsinniger! Elsi! – O, Jesus Christus! hilf ihnen. Alles soll vergeben sein – ich will, ich will!

Und während er sprach, fuhr ein rasender Windstoß nieder, als käme er senkrecht aus den Wolken. In einem Augenblick waren alle Fackeln ausgelöscht. Stoß folgte auf Stoß. Der wüthende Sturm, im Norden und Süden aufgewacht, wie zwei Ungeheuer, die, von ihrem Lager springend, mit den Köpfen auf einander rennen, traf krachend und heulend auf dem dampfenden Wasserkessel zusammen, und oben spaltete sich der Himmel und warf einen Feuerballen aus, der gleich einem Bündel Schlangen nach allen Seiten zuckend sich zertheilte.

Der See war von dem elektrischen Lichte tageshell; zerwühlt bis in seine Tiefen, zerschmetterten sich die Wasser in Staub und Gischt. Aber ich sah das Boot, wir Alle sahen es, sahen die Menschen darin, wie sie verzweifelnd ihre Hände aufhoben, sahen ein weißes, flatterndes Gewand, ein Mädchen von einem Mann eng umfaßt. – Alles war ein Augenblick, ein Traumbild, ein Fantom, das mit Gedankenschnelle wieder verschwand.

Rüttiberg machte eine jähe Bewegung, als wollte er hinunter springen, wir hielten ihn fest. Sturm und Donner übertönten alle Worte, ein neuer mächtiger Blitz zerriß die Nacht zweimal, aber von dem kleinen Fahrzeug war nichts mehr zu entdecken. Leblos brach die mächtige Gestalt des Obersten zusammen und fiel in meine und Eschenheims Arme.

 

Ich habe nur wenige Worte noch hinzuzufügen. Rüttiberg war von einem Schlaganfall getroffen; am nächsten Morgen fand eine heftige Erklärung zwischen ihm und Moritz statt, dem er alle Schuld seiner Härte zuschob, und welcher erbittert Richtersbühl mit seiner Mutter verließ, ohne mich weiter eines Wortes zu würdigen.

Die Leichen der Verunglückten sind nicht aufgefunden worden. Der tiefe See hat sie behalten, oder in eine unterirdische Kluft geführt; vergebens ließ der Oberst alle möglichen Nachforschungen machen. –

Ich verweilte noch einige Zeit bei ihm, weil er es zu wünschen schien. Sein starker Charakter gewann schnell Fassung und Ruhe, und mit der eisernen Energie seines Willens betrieb er seine großen Geschäfte in gewohnter Thätigkeit. –

Wenn er zurückkehrte, setzte er sich in das kleine Gartenhaus und sah auf den See hinaus; oft auch schien er Trost in dem Glauben zu suchen, daß Elsi und ihr Geliebter entkommen sein möchten und eines Tages Nachricht geben würden. –

Es ist nicht wahr, sagte er dann finster lächelnd, ich weiß es wohl, aber es ist doch schön für einen alten einsamen Mann, solchen Glauben festzuhalten. Wenn die Familienkiste nicht gewesen wäre und der gierige Teufel, der mich stachelte, o! dann – dann! – Wie viele Menschen könnten glücklich und froh durch dies arme, kurze Erdenleben gehen, aber Vorurtheile, Kastendünkel und fanatische Selbstsucht bringen Gram und Elend über sie!

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