Theodor Mügge

Vater und Sohn

 

Gesammelte Novellen. Dritte Abteilung.
Einzelausgaben.
Zweiter Teil


 

Neu herausgegeben
von
lobo.dox@freenet.de

2024

 

I.

Es war tief in der Nacht, dabei heulte der Wind und warf den fein fallenden Regen so heftig an die Doppelfenster eines stattlichen Hauses, daß die Scheiben darin klirrten und zitterten. Zwei dieser Fenster waren matt erleuchtet, alle übrigen dunkel, die weißen Vorhänge herabgelassen.

Wer aber in das erhellte Zimmer geschaut hätte, würde eine junge Frau erblickt haben, die an dem Tische in der Nähe des Ofens saß und, den Arm aufgestützt, in einem Buche las. Neben ihr lag eine Näharbeit, ein schönes Nähkästchen stand geöffnet vor ihr, alle Geräthe in dem großen Zimmer deuteten auf Wohlstand und Behaglichkeit. Die junge Frau ruhte zurückgelehnt in dem Polsterstuhle, ihr dunkles Haar fiel über eine kleine weiße Hand, und um sich besser vor der Nachtkühle zu bewahren, hatte sie sich in einen großen buntgewirkten Shawl gehüllt.

Die Lampe, welche auf dem Tische brannte, war mit einem jener Blumenschirme bedeckt, die, indem sie ihre schönen Farben glänzen lassen, dichte Dämmerung verbreiten und das Licht auf einen schmalen Raum zusammendrücken. Lange Zeit wurde die lautlose Stille umher durch Nichts unterbrochen, als durch das Rütteln des Windes an den Fenstern und durch das Umschlagen der Blätter des Buches, welche von der einsamen Leserin nach und nach immer hastiger gewendet wurden, als verlöre sie Geduld und Theilnahme.

Zuweilen stellte sie ihre Beschäftigung ganz ein, und dann wandte sie sich horchend bald nach einer angelehnten Thüre im Hintergrunde, bald wieder der Straße zu, bis sie endlich aufstand eben, als die Bronceuhr auf dem Consol vor dem hohen Spiegel Eins schlug. Sie blickte starr auf die Rosen und Georginen des Lichtschirmes, ein Lächeln lief langsam über ihr klares wohlgebildetes Gesicht, aber es war weit eher ein schmerzliches Zucken, das sie mit einer Bewegung ihrer Hand gegen ihre Stirn begleitete, die sie damit bedeckte, als wollte sie einen Schmerz sänftigen oder einen bösen Gedanken verscheuchen.

Nach einigen Minuten stand die junge Frau auf, trat an eines der Fenster und sah in die Nacht hinaus. Das Haus lag an einem Bollwerke des breiten tiefen Stromes, der einen Abgrund bildete, schwarz wie das Unglück, das Nichts mehr glaubt. Der Regen, welcher an die Laternen schlug und über die Wasserpfützen der Straßen gejagt wurde, verschwand in jener düstern Tiefe, aus der zuweilen schäumige weiße Wellen ein mattes Leuchten verbreiteten.

Die junge Frau drückte ihre heiße Stirn an die Scheiben, so stand sie ohne sich zu regen. Sie war noch vollständig in ihren Tageskleidern. Ein dunkles seidenes Gewand zeigte ihren schlanken Wuchs, die weiten kurzen Aermel wurden durch weiße Unterärmel geschlossen, und von ihrem schönen braunen Haar fielen Sammetbänder in den Nacken.

Plötzlich kam Bewegung in die stille Gestalt. Sie ließ den Riegel los, an den sie sich gelehnt, und indem sie beide Hände auf ihre Brust legte und so zu ihrem Stuhle am Tische zurückkehrte, sagte sie leise:

»Muth! Muth! Er kommt, er ist da!«

Die Hausthüre wurde inzwischen geöffnet und zugeschlagen, feste polternde Schritte kamen die Treppe herauf, jetzt hörte man sie in dem Corridor, und nun faßte eine Hand den Drücker, und ein junger stattlicher Mann trat herein.

Einen Augenblick blieb er an der Schwelle stehen, dann rief er scheltend und lachend zugleich:

»Guten Abend, mein Clärchen! Du bist noch auf? Du erwartest mich!«

Die junge Frau reichte ihm die Hand entgegen und sagte freundlich:

»Ich kann nicht schlafen, wenn Du fort bist, und obenein ist das Kind heute so unruhig. Sprich nicht so laut, lieber Eduard, wecke es nicht auf.«

»Was machst Du Dir für Plagen!« antwortete er, sich neben sie setzend. »Statt den Schreihals der Wärterin zu überlassen, nimmst Du ihn zu Dir, und statt ruhig im warmen Bette zu schlummern, sitzest Du hier allein in dem kalten Zimmer und frierst.«

»Für die, die man liebt,« erwiederte sie, »muß man wachen und frieren können, wenn ihnen Gefahr droht.«

»Wenn ihnen Gefahr droht! Aber wo ist Gefahr?

O ich merke es, Du willst mir ein Kapitel lesen, weil ich seit einiger Zeit zuweilen spät nach Hause komme und Dich allein lasse.«

»Nein, Eduard, ich will Dir kein Kapitel lesen.«

»Aber Du selbst bist ein stummer Vorwurf. So erwartest Du mich, damit ich die Schrift an Deiner Stirne lese.«

»Und wenn ich gleichgiltig mich niederlegte?« sagte die junge Frau.

»Du bist Schuld daran!« fiel er ein, den Arm um sie legend. »Du bist zu häuslich, ziehst Dich überall zurück, kaum daß ich Dich dann und wann zu einem Vergnügen überreden kann.«

»Ist denn die Häuslichkeit kein Glück?« erwiederte sie. »Ich gehe gern mit Dir, wohin Du mich führest, und was Dir Freude macht, freut auch mich, aber eine Frau darf nicht in Gesellschaften und Zerstreuungen aufgehen. Sie hat Pflichten!«

»Du bist eine Moralistin,« rief er lachend, »ich muß Dich versöhnen. Was willst Du haben, Clärchen, einen neuen Shawl, einen neuen Schmuck? Da hier! Nimm, kaufe Dir was Dein Herz begehrt.«

Er legte ziemlich ungestüm eine Hand voll Goldstücke auf den Tisch, indem er die junge Frau umarmte und über ihr Erstaunen sich ergötzte. Sein frisches Gesicht und seine blitzenden Augen rötheten und belebten sich stärker; er kam offenbar aus fröhlicher Gesellschaft und verhehlte es nicht, denn ehe die überraschte junge Frau Etwas erwiedern konnte, fuhr er fort:

»Ich war in dem Café royal, wo Abends nach dem Theater Freunde und Bekannte zusammentreffen, um ein Glas zu trinken und zu plaudern. Da habe ich eine neue Bekanntschaft gemacht, Clärchen, einen Verwandten von Dir, von dem ich bisher gar Nichts gewußt habe. Wie heißt er gleich? – ja richtig, Grießfeld, Hauptmann Grießfeld auf halbem Solde. Ein interessanter Mann, ein prächtiger Gesellschafter. Aber Du wirst ja ganz blaß und ernsthaft dabei!«

Die junge Frau hatte die Hände in ihren Schooß gelegt, der Shawl war von ihren Schultern gefallen, bildsäulenartig starr blickte sie ihren Gatten an.

»Er ist also wieder hier,« antwortete sie. »Gott behüte uns Beide vor ihm!«

»Wie so? Warum?« fuhr er fragend fort. »Ich habe ihn eingeladen, uns zu besuchen.«

»Wo er ist,« erwiederte sie, ohne darauf zu achten, »da wird gespielt, und dies Gold hast Du von ihm gewonnen, Eduard. Laß ihn nicht in Deine Nähe kommen.«

»Was Du nicht Alles weißt und Dir Vorstellungen machst,« sagte er. »Ich will es ja nicht haben, ich schenke es Dir!«

»Ich mag es nicht,« versetzte sie im bestimmten Tone. »Um Gottes Willen, Eduard, hüte Dich vor Grießfeld, ich kenne ihn. Er ist ein Spieler und ein gewissenloser Mann.«

»Mag er sein, was er will,« rief er dagegen. »Ihr Frauen bildet Euch leicht Etwas ein. Wer Euch gefällt, der hat keinen Fehler, doch wer Euch nicht gefällt, dem bleibt kein gutes Haar. Im Uebrigen sei ohne Sorgen, mein Clärchen, ich will mit ihm schon fertig werden. Packe Dein Geld ein und kaufe Dir etwas recht Schönes; wenn es nicht reicht, so lege ich zu.«

Die junge Frau war jedoch dazu nicht zu bewegen.

»Ich kaufe Nichts,« sagte sie. »Du überhäufst mich überdies mit viel zu vielen reichen und prächtigen Geschenken.«

»Ich muß Dich schmücken,« erwiederte er zärtlich, »ich will eine schöne Frau haben, alle Anderen sollen sie beneiden und mich beneiden!« –

Er hielt ihre bei: den Hände fest und sah sie an.

»Wie reizend Du bist!« rief er aus, »und wie Dir das einfachste Kleid nett, und zierlich steht. Ich will Dir einen neuen Wagen kaufen und neue Pferde anschaffen. Die Zimmer drüben will ich auch neu einrichten lassen. Alles, was Du wünschest, das sage mir nur, mein Herzensclärchen, alle Deine Wünsche will ich erfüllen.«

»Willst Du das wirklich, Eduard?« fragte sie bittend und lächelnd.

»Auf mein Wort, ich will! Hast Du Etwas auf dem Herzen, heraus damit! Was es auch sein möge, es soll geschehen.«

»Dann, mein geliebter Freund,« fuhr sie schmeichelnd und im innigen Tone fort, »schenke mir Nichts, ändere und kaufe auch Nichts. Gieb Niemanden Gelegenheit, über uns den Stab zu brechen.«

Eine Falte zog sich auf seiner Stirn zusammen, und die gute Laune, in welcher er sich befand, wich in seinen unmuthigen Blicken.

»Das sind ja Kleinigkeiten!« rief er hastiger aus, »warum sollen wir uns das Leben nicht so angenehm machen, wie wir können?«

»Wir müssen Rücksichten nehmen, Eduard,« flüsterte sie.

»Rücksichten, vor wem?«

»Ich,« fuhr sie mit sanfter überredender Stimme fort, indem sie ihn anlächelte, »ich lege Dir Rücksichten auf, denn ich habe Dir Nichts zugebracht als mich selbst, und Dein Vater –«

»Mein Vater,« unterbrach er sie mit Heftigkeit, »ist ein alter Mann voller Grillen und Launen. Wir haben genug schon darunter gelitten, jetzt aber ist es vorbei, ich bin Herr hier!«

Sie legte die Hand auf seinen Mund, daß er schweigen mußte.

»Stille,« sagte sie, »er schläft über uns und könnte aufwachen; vor kurzer Zeit habe ich noch seinen Schritt gehört. Ja, Eduard, Du mußt Rücksichten nehmen. Mit allen seinen Eigenheiten ist er doch zu ehren, und Dich liebt er – er hat es bewiesen.«

»Er ist hart wie Eisen!« murmelte der junge Mann mit einer Bitterkeit, die seine Lippen zusammenpreßte. »Er gab nach, weil er mußte. Laß sie reden, was sie wollen, Clärchen, laß sie klatschen und verleumden, was fragen wir darnach. – Ha,« rief er, indem er aufsprang und den Stuhl polternd zurückstieß, »wir müssen anstoßen auf unser Glück! Da steht noch eine Flasche Wein im Eckschrank, hier sind Gläser. Laß uns anstoßen, Clärchen, daß alle Ränke immer so zu Schanden werden, wie sie zu Schanden geworden sind. Könnte uns meine geliebte Tante, die Frau Geheimsecretärin Rosenstock, sehen, wie wie hier sitzen in Mitte der Nacht, Wein aus Wassergläsern trinkend, Arm in Arm anstoßend, welche schöne Geschichte würde sie daraus machen!«

Er lachte hell auf, als er das Glas aufhob, dann austrank und den Kopf zurückwarf.

»Müssen wir ihr aber nicht ganz besonders dankbar sein?« fuhr er spottend fort, »denn ist sie nicht die Ursache unseres Glücks? Hätte sie Dich nicht zum Geburtstage unsers lieben Malchens eingeladen, wer weiß, ob ich Dich jemals gesehen hätte. Und ein Wetter war's beinahe wie heute. Ich hatte die Ehre, das schöne Fräulein nach Hause führen zu dürfen, weil der hilfreiche Zufall wollte, das die leichtsinnige Magd ausblieb.«

»Ich bitte Dich, trink nicht mehr, sagte Clärchen, seinen Arm festhaltend.

»Angestoßen, schönes Fräulein, angestoßen!« rief er dagegen. »Ich sah Dich, und es war um mich geschehen. Als ich zurückkam, hörte ich Deine Geschichte. – ›Ach, das arme Clärchen!‹ seufzten die alten und jungen Rosenstöcke. ›Ihr Vater war Regierungsrath, wie fein ist sie erzogen worden, wie hübsch spielt sie Clavier, singt und spricht sogar Französisch; aber ach, ihre Eltern sind todt, jetzt ist sie bei dem alten Geheimrath, ihrem Verwandten, und ach, eine arme Verwandte ist immer eine Last. Wenn sich doch ein Mann für sie fände. Nichts wäre ihr mehr zu wünschen, als ein guter Mann, eine gute Partie.‹ Haha, das sagten sie mir in's Gesicht und dachten nicht, daß der Mann schon neben ihnen saß. Stoß an, Clärchen, alle Rosenstöcke sollen leben!«

Die junge Frau nippte ein wenig; er stieß so heftig gegen ihr Glas, daß der Wein überfloß.

»Halt ein,« bat sie warnend, »es ist genug.«

»Wie änderte sich aber Alles,« fuhr er achtlos fort, »als die Geschichte an den Tag kam. Was warst Du plötzlich geworden, Clärchen, und was brach über mich herein? Was haben wir zu überwinden gehabt, ehe der Alte seinen Segen gab! Doch was sage ich da, ehe er den Gedanken ertragen konnte, daß ich Dich in die Kirche und dann hier in's Haus führte. Stoß an, Clärchen, stoß an! Es ist einerlei, wie es geschah, wenn es nur geschah.«

»Nein, Eduard, nein!« erwiederte sie bittend. »Haben wir ihn nicht ganz versöhnt, so müssen wir darnach streben, er muß sehen, daß wir seine Zufriedenheit erwerben wollen.«

»Zufriedenheit! Seine Zufriedenheit?« rief der junge Mann. »Gieb Dir keine Mühe darum, es geschieht doch nicht – das wirst Du nie erreichen.«

»Wir wollen morgen darüber sprechen;« sagte sie. »Ich habe einen Plan, wie es glücken soll. Aber trinken sollst Du nicht mehr, ich leide es nicht mehr.«

»Du leidest es nicht mehr!« schrie er herzlich lachend. »Auf Dein Wohl will ich trinken, auf Deinen Plan, auf Dein Glück!«

Sie faßten Beide nach der Flasche, die auf dem Tische stand, ehe jedoch die junge Frau sich deren bemächtigen konnte, hatte er sie umgeworfen. Klirrend zerbrach sie, der Wein floß über den schönen Teppich, die Scherben stürzten zu Boden, und während der Missethäter sein Gelächter verdoppelte, sprang seine Gattin bestürzt und mißbilligend auf. Sie war selbst nicht ohne Schaden fortgekommen, dazu fing das Kind in dem Schlafgemache heftig an zu schreien, und in demselben Augenblicke wurde die Thüre des Corridors aufgedrückt, und durch den Spalt steckte sich zuerst ein rother vierkantiger grauhaariger Kopf, dem der Körper, welcher dazu gehörte, alsbald nachfolgte.

Es war eine breitschulterige Gestalt von ansehnlicher Höhe, ein greiser Mann in Unterkleidern, einem getragenen Hausrock und Pantoffeln. Sein Gesicht von braunrother verwetterter Farbe, die starken groben Züge, die tiefen Falten auf der Stirn und die muskelkräftige rauhe Hand, welche ein Licht im kurzen Messingleuchter in die Höhe hielt, Alles kündigte einen Besuch an, der sehr wenig zu dem jungen überraschten Paare zu passen schien.

Als der alte Mann das Licht aufhob und näher trat, hatte seine Erscheinung etwas Dämonisches. Die trotzigen blauen Augen bewegten sich nicht, das graue dichte Haar stand kurz abgeschnitten auf der rothen Stirn, und ein grimmiges starres Lachen zog seine mächtigen Lippen noch breiter. Er sprach kein Wort, aber dies Schweigen war Furcht erweckend und mußte Eduard's Verlegenheit vermehren, denn das Lachen verging ihm plötzlich.

Wie zu seinem Schutze stellte sich die junge Frau vor ihn hin, und mit dem gewandten Muthe des Augenblicks, den Frauen mehr als Männer besitzen, sagte sie überredend freundlich:

»Es ist der Papa. Mein Gott, wie ist das möglich!«

»Ich wollte nur sehen,« sagte der alte Mann mit harter Stimme, »ob Türken oder Kosacken hier eingefallen wären und plünderten.«

»Bester Papa,« erwiederte Clara leise bittend, »seien Sie nicht böse, wenn wir Ihre Ruhe gestört haben. Wir sind ein wenig spät nach Hause gekommen.«

»So!« rief er, seinen Kopf höhnisch vorschiebend. »Spät nach Hause gekommen, in lustiger Gesellschaft gewesen und daran noch nicht genug gehabt?«

»Es war so kalt,« sagte sie demüthig, »ich fühlte mich unwohl. Ich bin schuldig, bester Papa.«

»Da sitzen sie und lärmen und lachen, daß es durch die Decke dröhnt,« fuhr der greise Strafprediger fort. »Draußen steht die Thür weit auf, und drinnen schreit das Kind, das sich ein Stein erbarmen möchte! – Da sitzen sie Beide beim Wein, und es ist ihnen einerlei, was fragen sie darnach.«

»Bester Papa, bester Papa!« sagte die junge Frau tief aufathmend, »schelten Sie nicht zu sehr – ich will gewiß meine Pflicht thun.«

»Ihre Pflicht, Madame?« schrie der alte Mann. »Wissen Sie, was Ihre Pflicht ist? Statt neumodisch in Sammet und Seide hier zu trinken und zu jubeln, sollten Sie in der Nachtjacke dem Wurme da seinen Thee wärmen und ihn nicht wimmern lassen. Eine schöne Wirthschaft ist das, aber ich habe es vorher gesagt. Art läßt nicht von Art und was nicht zusammen paßt, wird niemals passen.«

Die junge Frau hatte schon bei dem ersten Theile dieser Scheltreden sich entfernt, den Schluß richtete daher der alte Herr an seinen Sohn, der mit geröthetem Gesicht und mühsamer Fassung vor ihm stand.

»Ich bitte Dich, Vater!« sagte er jetzt, indem er nach der Thüre des Schlafzimmers deutete und eine abwehrende Bewegung machte.

»He!« rief der alte Mann, das Licht dicht vor ihm hochhaltend. »Was giebt's? Was soll geschehen?«

»Du solltest bedenken, Vater,« sagte der Sohn mit gelähmter Stimme, »daß Clärchen meine Frau ist.«

Der Alte sah ihn stier an.

»Bist Du nüchtern?« fragte er.

»Vater!« sagte Eduard bittend.

»Bist Du nüchtern?« wiederholte der Greis. »Wenn Du es nicht bist, so wirst Du es werden, und wenn Du es immer gewesen wärest, würde es besser mit Dir stehen. Nimm Dich in Acht!«

»Wovor, Vater?«

»Daß Deine Narrheiten Dich nicht in's Tollhaus oder in's Armenhaus bringen. Meinst Du, ich wüßte es nicht?«

»Was, Vater?«

Der alte Mann leuchtete in dem Zimmer umher und nickte dabei mit einem bösen Lachen.

»Morgen wollen wir weiter sprechen,« sagte er dann, »wir müssen unsere Rechnung machen.«

»Gut, Vater,« antwortete der Sohn, »Eines aber steht heute fest. Wie ein Kind lasse ich mich nicht behandeln. Ich bin alt genug, um zu wissen, was sich für mich schickt.«

»Sehr wohl, mein Herr Sohn, sehr wohl!« erwiederte der Alte hohnvoll nickend. »Eines steht auch bei mir fest. Was ich mit Fleiß und Mühen erworben habe, soll mir nicht vergeudet und verpraßt werden. Mit leichtsinnigen Menschen habe ich Nichts zu schaffen – Nichts, gar Nichts!«

»Und ich – ich – ja bei Gott!« rief Eduard, indem er den Arm wie zum Schwure aufhob.

»Du? – ha? – Du! Heraus damit!«

»Eher möchte ich rettungslos untergeben, als das ertragen.«

»Und das wirst Du,« sagte der Alte, »ja, das wirst Du, denn Du bist reif dazu. Ich kann es an den Fingern abzählen, wie es mit Dir und Deinem Püppchen von Kanten kommen wird.«

»Unerträglich!« schrie der junge Mann, mit dem Fuße aufstampfend und die Hände ballend. »Gieb mir Ruhe, Vater. Hier ist meine Wohnung!«

Diese heftig hervorgestoßenen Worte brachten eine sichtliche Wirkung auf den greisen Mann hervor. Er heftete seine Augen durchbohrend auf seinen Sohn, sein ganzes Gesicht zog sich wie in Schmerz und Zorn zusammen; ehe er jedoch antworten konnte, wurde er von den weichen Armen seiner Schwiegertochter umschlungen, die leise wieder hereingetreten war.

»Hören Sie nicht auf ihn, Papa,« sagte sie mit ihrer sanften bittenden Stimme. »Vergeben Sie ihm seine Aufregung. Bitte mit mir, Eduard, gieb dem Vater ein gutes Wort.«

»Vorheucheln lasse ich mir Nichts!« sagte der alte Mann, sie mit seinem Arme zurückschiebend. »Ich weiß, wie es gemeint ist. Ich bin ein alter, grober Mensch ohne Bildung, und Sie sind eine feine Frau; ich bin ein alter Geizhals, und Sie wollen das Leben genießen. Wir passen nicht zusammen, also Jeder in seiner Weise. Was aber Dich betrifft,« fuhr er mit kalter Strenge fort, indem er sich wieder an seinen Sohn wandte, »so hast Du ein Recht, mir die Thüre zu weisen. Die Wohnung ist Dein, wenigstens für jetzt noch. Jeder von uns soll behalten, was sein ist, und Jeder mag sorgen, daß er nicht hinausgeworfen wird.«

Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ das Zimmer. Die junge Frau sah wohl ein, daß ihre Bitten vergebens bleiben würden.

»Das ist doch sehr hart!« flüsterte sie bleich und zitternd.

»Gräme Dich nicht, mein Clärchen,« antwortete ihr Mann, der sie in seine Arme zog und tröstete. »Da siehst Du seine Liebe, so weit hat er es gebracht. Soll ich das dulden, bin ich ein Kind? Laß ihn thun, was er will. Warum überfällt er uns bei Nacht, um uns zu beschimpfen? Ich mag es nicht länger ertragen, und Dich kennt er nicht, Dich achtet er nicht – Alle, Alle! – aber ich – ich dulde es nimmer, nein, nimmermehr!«

Mit großen Schritten, laut sprechend, ging er auf und ab, der Vater oben sollte ihn hören. Die junge Frau saß in dem Sessel mit schlaffen Armen, der Kummer überwältigte ihre Fassung, sie weinte leise.


II.

Am nächsten Morgen befand sich bei dem Hauptmann Grießfeld, eben als dieser am Kaffeetische saß, ein kleiner Herr im blauen Frack mit blanken Knöpfen, welcher dem Hauptmann gegenüber saß, ebenfalls Kaffee trank und ebenfalls Cigarren rauchte.

Der Hauptmann war ein schöner, hochgewachsener Herr von vielleicht vierzig Jahren. Er war ziemlich wohlbeleibt, sein Gesicht hatte volle und starke Züge, die etwas Keckes und Herausforderndes besaßen. Ein dunkler, wohlgepflegter Backenbart und Schnurbart machten dies Gesicht noch martialischer, und die gerade stolze Haltung seines Körpers verdeckte den gemeinen Ausdruck, den seine Augen erhielten, wenn er lachte und sich belustigte, wie es hier geschah, wo er sich keinerlei Zwang auflegte. Seine Hände waren weiß und mit mehreren blitzenden Ringen geschmückt, seine Wäsche von außerordentlicher Feinheit und Sauberkeit.

In dem großen Schlafrock von buntgewirkter Seide mit Schnüren und Troddeln und dem turbanartigen Sammetbarett lag er halb ausgestreckt auf den Polstern, und während er sich mit dem kleinen Herrn im blauen Frack unterhielt, nahm er von Zeit zu Zeit eine feine Bürste und einen kleinen Spiegel auf, welche neben ihm auf dem Tische lagen, beschaute sich nach rechts und links unter allerlei Grimassen und striegelte seinen Bart glatt.

Der Herr im blauen Frack war vielleicht ein halbes Dutzend Jahre jünger als der Hauptmann; aus seinem Gespräche mit diesem ging hervor, daß er ein Geschäftsmann war, was sein ganzes Aussehen bestätigte. Sein blondes, dünnes Haar, das ihm auf der Stirn hoch stand, zu beiden Seiten aber an den Schläfen lag, als sei es mit Wachs oder Talg festgeklebt, paßte zu dem langen spitzen Gesicht, das sich wie ein Keil nach vorn drängte. Auf jedem seiner Backenknochen, die ziemlich weit vorstanden, bildete sich ein runder rother Fleck, und verbunden mit den kleinen beweglichen Augen, sah er dabei rothbäckig und freundlich aus.

Ein Paar ungeheuer große Hände mit langen Fingern streckten sich wie Krallen aus den kurzen Aermeln seines Rockes, und dieser war wie Alles an dem kleinen Herrn zwar nicht nach der neuesten Mode, aber er sah doch respektabel genug aus. Seine schwarze Binde zierte ein weit vorstehender weißer Kragen, der ziemlich bis an die Ohren reichte, Lippen und Kinn waren glatt rasirt, und mit sichtlichem Wohlbehagen rauchte er die Cigarre, mit welcher ihn sein Gönner versehen hatte.

Der Hauptmann schien gut bekannt mit ihm zu sein.

»Nun, Vollbrecht,« sagte er, »ich habe Sie zu mir gebeten, um zunächst von Ihnen selbst zu hören, daß es Ihnen wohl geht und Sie viele gute Werke vollbracht haben.«

Der kleine Mann spitzte seine Lippen und kniff seine Augen zu, indem er eine dünne Rauchwolke von sich blies, der er nachsah.

»Meinen unterthänigsten Dank,« antwortete er dann sich vorn überbückend und den Hauptmann angrinsend, »was aber die guten Werke betrifft, – so könnte es besser damit stehen, viel besser könnte es damit stehen. Aber die Zeiten sind schlecht, sehr schlecht! Es ist kein Geschäft zu machen, Alles faul, durchaus faul!«

Er zuckte die Achseln so hoch, daß sie seine Ohren fast berührten.

»Kein gutes Geschäft zu machen, Vollbrecht?« rief der Hauptmann, indem er in den Spiegel sah und seinen Bart kämmte. »Was? Haben Sie sich nicht verheirathet?«

»Verheirathet, ja allerdings.«

»Und ist es kein gutes Geschäft gewesen?«

»Hihi!« rief Herr Vollbrecht, eine neue dünne Rauchwolke hoch blasend; »Sie sind doch immer noch so spaßhaft, Herr Hauptmann, wie vor drei Jahren, wo ich die Ehre hatte, neben Ihnen zu wohnen.«

»Wissen Sie was, Vollbrecht?« fragte Grießfeld, den Spiegel auf die linke Seite haltend.

»Was denn, bester Herr Hauptmann?« fragte Herr Vollbrecht, indem er den Kopf über den Tisch streckte.

»Ich bin noch spaßhafter wiedergekommen, wie ich fortgegangen bin. Und wissen Sie warum?«

Herr Vollbrecht nahm die Cigarre von seinen Lippen und kniff die Augen so weit zusammen, daß nur ein ganz schmaler Spalt zum Sehen ihm übrig blieb.

»Bitte, theilen Sie es mir mit,« sagte er mit einer unterthänigen Verbeugung.

»Erstens habe ich zeither meist in Paris gelebt, und zweitens habe ich noch keine Frau genommen.«

»Hihi!« rief Herr Vollbrecht, »also wenn man eine Frau nimmt, vergeht Einem der Spaß. – Das muß ich mir merken und muß es meinem Malchen erzählen. Es ist allerliebst, es ist eine wundervolle Bemerkung! Sie werden also wohl niemals heirathen, Herr Hauptmann? Oder werden Sie? Es haben schon Viele so gesagt.«

»Wie lange sind Sie denn verheirathet?« fragte Grießfeld, ohne diese Frage zu beachten, indem er den Spiegel rechts hielt.

»Seit zwei Jahren,« antwortete der kleine Mann stolz nickend, »und ich bin noch immer nicht im geringsten schwermüthig geworden.«

»Wenn Sie schwermüthig werden wollten,« sagte Grießfeld, »so würde dies auch im höchsten Grade undankbar sein. Eine so liebenswürdige Frau und zehntausend Thaler findet man so leicht nicht zum zweiten Male.«

Herr Vollbrecht war so erstaunt über diese Bemerkung, daß er stumm und starr auf seinem Stuhle saß, seinen weißen Kragen in die Höhe zog und seine kleinen Augen so weit aufmachte, wie ihm dies möglich war. »Es ist merkwürdig,« rief er dann plötzlich, wie Sie das wissen.«

»Bah!« sagte der Hauptmann, »es wäre merkwürdig, wenn ich es nicht wüßte. Als ich mich nach meinem alten Freunde Vollbrecht erkundigte, hat man mir die Geschichte erzählt. – Dem geht es vortrefflich, sagte man mir, der hat eine Nichte des alten reichen Holzhändlers Eckhoff geheirathet, zehntausend Thaler gleich mit bekommen, ohne was er noch einmal zu erwarten hat. Er ist auch nicht mehr Geschäftsführer bei dem alten Eckhoff, sondern hat ein eigenes Commissions- und Geldgeschäft begründet.«

»Ein Incasso-Geschäft,« sagte Herr Vollbrecht freundlich grinsend, »doch verschaffe ich auch Kapitalien auf Häuser, liegende Gründe, Güter und gute Papiere, wobei sich Jeder, der mich mit seinem Vertrauen beehrt, auf meine Reellität verlassen kann.«

»Gut, mein lieber Vollbrecht,« erwiederte Grießfeld, »Sie sollen mein Bankier sein und meine Geldgeschäfte führen.«

»Verlassen Sie sich darauf, hochgeehrter Herr Hauptmann,« versetzte der kleine Mann, seinen Kragen anfassend, als wollte er sich daran in die Höhe ziehen, »daß ich immer bedacht sein werde, mir Ihre Zufriedenheit zu erwerben.«

Grießfeld legte sich in die Kissen zurück, hielt den Spiegel vor sein Gesicht und betrachtete seine Zähne.

»Ja, noch Eins!« sagte er dann, »Sie sollen mir einige Fragen beantworten. Nicht umsonst, ich verlange überhaupt Nichts umsonst. Ein Kaufmann wie Sie muß seine Zeit zu Gelde machen, so gut wie ein Advokat, der kein Wort ohne Bezahlung spricht. Im Uebrigen haben meine Fragen noch einen besonderen reellen Hintergrund für Sie, und es kann sein, Vollbrecht, daß, wenn Sie mich gehörig unterstützen, Ihnen großer Reichthum dafür zufließt.«

Eine gewisse Ungläubigkeit drückte sich in Vollbrecht's Mienen aus, aber was er hörte, war viel zu angenehm, um nicht die freudigsten Empfindungen in ihm anzuregen. Ein gieriges Lächeln schwebte um seinen geöffneten Mund, und seine Augen funkelten in ihren schmalen Schnitten lauernd auf Grießfeld, der die Untersuchung seiner Kauwerkzeuge fortsetzte, ohne sich im Geringsten um seinen Nachbar zu kümmern.

»Bitte recht sehr!« sagte der Kommissionair, seinen spitzen Kopf über den Tisch schiebend, »gewiß nicht des Eigennutzes wegen, Herr Hauptmann, thue ich irgend Etwas. Eigennutz ist ein schreckliches Laster. Wenn der Eigennutz nicht wäre, würde die Menschheit glücklich sein, aber –«

»Aber,« unterbrach ihn Grießfeld, »ich will zu Ihrer Ehre hoffen, kleiner Vollbrecht, daß Sie an solche Dummheiten nicht glauben. Jeder Mensch ist eigennützig und soll eigennützig sein. Jeder verfolgt Zwecke und setzt zur Erreichung derselben alle Mittel in Bewegung. Gegenseitig dienen wir uns, weil wir eben unsern Zwecken nachtrachten. Ich habe natürlich auch meine Zwecke, indem ich Sie ausfrage und Ihre Dienste wünsche, Sie haben Ihre Zwecke, indem Sie mir antworten, denn Sie wollen daraus Vortheile ziehen. Sie werden mir doch nicht einreden wollen, daß Sie ein sogenannter uneigennütziger Mann sind?«

Herr Vollbrecht legte die Cigarre vor sich auf den Tisch und seine rechte Hand auf die linke Seite seines blauen Rockes.

»Bei Gott!« sagte er, mit den Fingern auf die Stelle klopfend, wo das Herz zu sitzen pflegt, »ich spaße nicht, Herr Hauptmann, ich bin uneigennützig! Wenn ich das nicht wäre, wenn ich so sein könnte, wie andere Leute sind, würde ich manche Umstände besser benützen, die mir Vortheile bringen könnten.«

Grießfeld drehte sich einen Augenblick zu ihm um, sah ihn an, und nachdem er seinen Zahnstocher vom Tische genommen, fiel er in die alte Stellung zurück.

»Wenn ich wüßte,« antwortete er darauf, »daß, was Sie da schwatzen, wirklich wahr wäre, so würde ich jede Gemeinschaft mit Ihnen aufheben, kleiner Vollbrecht, denn ein Mensch, der sichere Vortheile nicht benutzt, muß ein Narr oder ein Dummkopf sein, und mit Beiden mag ich Nichts zu thun haben. – Es wird sich aber jedenfalls wohl etwas anders verhalten,« fuhr er fort, indem er sich nochmals zurückwandte und auf den Ellenbogen stützte. »Sie sind Ihrer Sache nicht gewiß gewesen und haben Nichts wagen wollen.«

Mit überlegenem Hohne lachte er Vollbrecht an, der sich an seinem Kragen vergebens in die Höhe zog und eine Art Verlegenheit nicht verbergen konnte, die sich endlich in einem spitzbübischen Lächeln zusammendrängte.

»Sie sind doch immer spaßhaft,« rief er dabei, »aber es ist doch wahr, es ist dennoch wahr! Ich sage Ihnen, Herr Hauptmann, ich weiß gleich einen Fall, in welchem viele sehr rechtschaffene Männer anders handeln würden wie ich, aber ich thue es nicht. Ich kenne eine Familie, wo, wenn der Vater genau wüßte, wie es mit seinem Sohne steht, und was der treibt und thut, er dessen Namen nicht mehr nennen würde. Mir würde es Vortheile bringen, große Vortheile bringen, ich könnte reden, Andere würden reden, aber ich – nein! Gott bewahre mich! Ich will die Sünde nicht auf mich laden – ich nicht, nein!«

Während Herr Vollbrecht dies sagte, klopfte er unaufhörlich auf die linke Brust des blauen Fracks und nickte dazu. Sein mageres spitzes Gesicht sah sehr ernsthaft aus, und die Energie seiner Tugend leuchtete aus seinen Augen.

Grießfeld hörte aufmerksam zu und antwortete dann gleichmüthig:

»Ich habe also Recht, kleiner Vollbrecht, Sie wagen nicht damit aufzutreten und thun wohl daran, denn was Sie wissen, reicht nicht aus, um den Erfolg in der Hand zu haben. Der alte Eckhoff ist ein alter eigensinniger Mensch, grob und querköpfig genug, um Ihnen Ihre edle Gesinnnng abscheulich zu lohnen. Sein Sohn aber ist zwar ein Verschwender und leichtsinniger Narr, Ihnen jedoch war er immer freundlich und nützlich, und wenn Sie nicht vorsichtig verfahren, könnten Sie leicht bewirken, daß eine Versöhnung zwischen Vater und Sohn erfolgt, Sie dagegen als undankbarer Verleumder behandelt werden.«

So lange Grießfeld sprach, wurden die Augen seines Zuhörers immer größer, sein Mund öffnete sich immer weiter und ließ endlich die Cigarre fallen, die erst auf seinen Rock, dann auf den Boden rollte. Er sprang auf, um sich vor Feuersgefahr zu schützen, als er jedoch sich davor bewahrt sah und die Cigarre wieder aufgehoben hatte, blieb er stehen und stierte den Hauptmann an, wie der Ungläubige einen Wahrsager, der ihm seine geheimsten Gedanken haarklein erzählt.

»Nehmen Sie Ihre Cigarre in den Mund, Vollbrecht, damit sie nicht ausgeht, und setzen Sie sich,« sagte Grießfeld. »Eben das, was Sie mir mittheilen, hängt mit den Fragen zusammen, welche ich an Sie richten will. Sie erleichtern mir die Einleitung. Antworten Sie mir also jetzt kurz und bestimmt. Wollen Sie?«

»Ja,« sagte Vollbrecht mechanisch und noch immer nicht aus seiner Bestürzung erwacht.

»Wie lange waren Sie im Hause des alten Eckhoff?«

»Acht Jahre.«

»Sie sind ein entfernter Verwandter von ihm?«

»Nein. Er war mein Vormund und mein verstorbener Vater sein Freund. Er schickte mich in die Schule, dann in ein Handelsgeschäft, endlich nahm er mich in sein Haus, und ich führte Bücher und Rechnungen, bis sein Sohn zurückkam.«

»Sein Sohn beißt Eduard?«

»Ja.«

»Und hat eigentlich studirt?«

»Ja.«

»Warum gab er das auf?«

»Es ist ein eben so sonderbarer Mensch wie der Alte,« sagte Vollbrecht, der jetzt wieder rauchte. »Er ist eben so eigensinnig wie sein Vater; was er sich in den Kopf gesetzt hat, davon geht er nicht ab. Er wollte nicht in den Staatsdienst gehen, weil er sich einbildete, in jetziger Zeit wären die Beamten abhängige Menschen, ohne eigene Meinung und ohne eigenen Willen, die tanzen müßten, wie oben gepfiffen werde, Vater und Mutter verleugnen müßten, wenn es befohlen würde.«

»Also solche schlechte Gesinnung hat er obenein,« sagte Grießfeld in den Spiegel nickend.

»Das glauben Sie gar nicht,« rief Vollbrecht, »was er Alles zu reden weiß, und der Alte gab ihm darin Recht und sah es gern, daß er in sein Geschäft eintreten wollte.«

»Der Alte ist von Geburt eigentlich ein Tischlermeister?« fragte Grießfeld.

»Es ist einzig, was Sie spaßhaft sind,« lachte Vollbrecht. »Ja, Tischlermeister ist er zuerst gewesen, und oft genug hat er mir erzählt, wie es ihm Anfangs kümmerlich gegangen sei, bald aber immer besser, und wie er dann Holzhandel getrieben, Häuser gebaut und das Geschäft immer größer ausgedehnt hat.«

»Reich ist er also wirklich, das wissen Sie gewiß?«

»Das weiß ich ganz gewiß,« antwortete Herr Vollbrecht. »Es ist ein großes Vermögen da.«

»Und der alte Bursche kann kaum schreiben und lesen.«

»Wenig genug,« sagte Vollbrecht, »aber auf dem Platze ist er. Er steht eine Sache durch und durch.«

»Ein schmieriger Geizhals. Wie?«

»Eh!« grinzte der kleine Mann, »jeden Pfennig kehrt er drei Mal um, bis er ihn ausgiebt, und auf Anstand hält er nicht viel.«

»Wie so? Wie meinen Sie das?« fragte Grießfeld.

»Ich meine, wie er aussieht, ist ihm einerlei, und wer ihn so sieht und nicht kennt, möchte keinen Groschen für ihn geben.«

»So?« sagte Grießfeld nachdenkend, »er ist also ohne alle Politur, das rächt sich gewöhnlich bei beschränkten Spießbürgern durch ihre Kinder. Sie geizen und knausern, die verbringen es.«

»Und wie lange hat er in der alten schlechten Hütte mitten auf seinem Holzplatze gewohnt,« fuhr Vollbrecht lachend fort. »Das neue große Haus an der Straße hat er erst bauen lassen, als er glaubte, sein Sohn sollte heirathen und hineinziehen, aber –« hier zog Herr Vollbrecht seine Augen dicht zusammen, und ein hohnvolles Lachen spitzte seinen Mund – »hätte er gewußt, wer hineinziehen würde, hihi! er hätte keinen Pfennig für Mauersteine ausgegeben.«

»Das heißt,« sagte Grießfeld seine Nägel bürstend und ohne davon aufzusehen, »Herr Eduard Eckhoff that Etwas, was ihm Ihre ewige Dankbarkeit sichern muß, kleiner Vollbrecht. Er heirathete eine arme Geheime Regierungsrathstochter und verschaffte Ihnen dadurch die Ehre, Fräulein Malchen Rosenstock's liebevoller Gatte zu werden. Auf mein Wort, Vollbrecht, ich begreife die zarten Rücksichten und die edle Freundschaft, welche Sie für diesen galanten Vetter hegen, der so uneigennützig Ihnen diente, daß er Ihnen seine eigene Braut überließ. Ohne Zweifel eine reizende, süße, zärtliche kleine Frau mit einem Rosenherzchen von Zucker und zehntausend Thalern obenein! Sie müssen grenzenlos verliebt sein, so sehen Sie auch aus, Vollbrecht!«

Herr Vollbrecht rieb seine großen Hände, grinste schrecklich und betheuerte, daß er wirklich außerordentlich glücklich sei. In seinem magern Gesicht drückte sich lebhafte Genugthuung über das Lob seiner körperlichen Fülle und Behaglichkeit aus, das er so eben vernommen hatte; er warf dabei einen Seitenblick in den Spiegel und grinste noch einmal äußerst anmuthig hinein, indem er seine Tolle hochstrich.

»Es ist ein Schatz, mein Malchen!« rief er. »Sie können es mir glauben, Herr Hauptmann, so wirthschaftlich, häuslich, sparsam und ohne Ansprüche ist so leicht keine Andere. Wie sind die allermeisten jetzt eitel und verschwenderisch, vergnügungssüchtig, ohne zu fragen, wo es herkommen soll. Ich sage Ihnen, wenn mein Vetter Eduard Malchen bekommen hätte, stände es anders mit ihm. Die würde ihn kuriren. Hihi! ich sage, die würde dem Alten besser gefallen, und das ist die Wahrheit. Ich bin überzeugt, daß es ihm jeden Tag leid thut, daß er sie mir gegeben hat.«

»Ich kann mir denken, daß Sie Recht haben,« antwortete Grießfeld, »denn wie ich vermuthe, hat der alte Narr im Aerger Sie an seines Sohnes Stelle gesetzt. Ist es nicht so?«

»So ist es!« antwortete Vollbrecht ihm selbstgefällig zunickend. »Ich hätte im Leben nicht daran gedacht, daß Malchen meine Frau werden sollte, aber eines schönen Morgens ging es los mit dem Alten und seinem Sohne. Wie ein Paar Kampfhähne standen sie gegen einander. Er wollte sein Clärchen haben, wie es auch kommen möchte, wollte fort in die weite Welt, und dazwischen wieder ließ er es nicht an Vorstellungen und Zureden fehlen, bis der Alte endlich sagte, er wollte ihn nicht zwingen, es wäre gut, er möchte thun, was er nicht lassen könnte. Darauf machte er die Thüre auf, rief mich hinein und fragte mich, ob ich Malchen heirathen wollte. ›Warum nicht, Herr Eckhoff,‹ sagte ich; ›es ist meine angenehme Pflicht, Alles zu thun, was Sie mir befehlen; wenn Fräulein Malchen Nichts dagegen hat, bin ich gern dazu bereit.‹ ›Das ist meine Sache,‹ sagte er. ›Heute gehst Du hin und sprichst mit ihr. Die Ausstattung werde ich besorgen, fehlen soll es Euch nicht, ich nehm's auf mich.‹«

»Und sie kamen, sahen und siegten, und das Werk wurde vollbracht,« fiel Grießfeld ein. »Aber konnte die Schwiegertochter sich nicht in Gunst setzen? Konnte sie den alten Bären nicht zahm machen?«

Vollbrecht schüttelte mit triumphirendem Grinsen den Kopf.

»Es ist immer ärger geworden,« lachte er, »mit jeder Woche oder jedem Monat ist es ärger geworden. Wir haben es in der Stille beobachtet, Malchen und meine Schwiegermutter, denn meine Schwiegermutter wohnt bei uns. Sie ist die Stiefschwester des alten Eckhoff und kennt ihn aus dem Grunde. Keiner muß mit ihm sprechen, sagt sie, weil er sonst mißtrauisch wird und meint, er solle gehetzt werden. Es kommt ganz von selbst, Keiner braucht Etwas dazu zu thun. Aber nun wird das Maß nächstens voll sein, meint meine Schwiegermutter, denn wenn der Alte einmal im Zuge ist, so ist kein Halten mehr. – Ich sage Ihnen, bester Herr Hauptmann, auf den Knieen können sie Beide vor ihm liegen, wenn es so weit ist, er stößt sie fort, und wenn sie verhungern müßten.«

»Die Schwiegertochter ist also eine leichtfertige, schlechte Person,« sagte Grießfeld, indem er seinen Kaffee austrank und seine Füße auf den Stuhl legte.

»I nun ja oder auch nein,« antwortete Vollbrecht. »Schlecht will ich nicht sagen, und dies kann vielleicht Niemand sagen; es ist eine schöne Frau, obwohl Malchen –« hier hielt er inne, als besänne er sich auf Etwas, dann fügte er rascher sprechend hinzu: »Schuld ist sie an Allem, denn wenn sie anders wäre, so würde er auch anders sein. Aber das Verschwenden hat kein Ende, und er ist wie umgewandelt. Sie hat kein Bette und keinen Stuhl gehabt, die vornehmen Verwandten haben ihr kaum ein Bischen Wäsche auf den Weg gegeben. So hat sie sich in das Haus hineingesetzt, doch Nichts ist ihr gut genug, es muß das Schönste und das Beste sein. Dazu paßt aber eben der alte Eckhoff, hihi! Der Alte, der ist ganz gemacht dazu, auf englischen Teppichen zu gehen, pariser Kronleuchter an den Decken aufzuhängen – und die Schwiegertochter in Gold und Brillanten und Sammetmänteln.« –

Er brach in ein wieherndes Lachen aus und faßte mit beiden Händen seinen Hemdkragen, den er bis an die Ohren zog.

Grießfeld hatte während dessen sein Taschenbuch genommen und darin geblättert. Ohne sich dabei stören zu lassen, sagte er, als Herr Vollbrecht zu lachen aufhörte:

»Die natürliche Folge dieses leichtsinnigen Lebens ist, daß der junge Herr Eckhoff sich in heimliche Schulden stürzt. Ich habe erfahren, daß er von verschiedenen seiner Freunde und Bekannten Summen geborgt hat, und es sollte mich wundern, wenn er nicht auch bei Ihnen ähnliche Versuche gemacht hätte.«

»Das wissen Sie also auch?« rief Vollbrecht starr wie ein Haubenstock. »Schulden hat er freilich, und wenn es der Alte erfährt, wird er außer sich gerathen. Aber bezahlen wird er keinen Pfennig. Damit wird es enden. Seit Jahr und Tag schon kommt er immer tiefer hinein. Der Alte hat ihm das Geschäft zum allergrößten Theil übergeben, die Fournierschneidemühle und den Nutzholz- und Bretterhandel, aber das Capital muß ihm verzinst werden, und das Grundstück ist sein Eigenthum geblieben. So wie er Unrath merkt, kann er zufassen, und das wird er, geben Sie Acht, das wird er!«

»Und wenn er den leichtsinnigen liederlichen Sohn zum Hause hinauswirft,« sagte Grießfeld, »wird das häusliche tugendreiche Malchen mit ihrem vortrefflichen edelmüthigen Manne dort einziehen zur Freude aller Gerechten.«

»Gott behüte!« antwortete Vollbrecht seine Hände faltend. »Daran denken wir nicht. Es wäre schrecklich! Nein, gewiß nicht.«

»Es wäre sehr albern von Ihnen, wenn Sie nicht daran denken wollten,« entgegnete Grießfeld. Sie haben ein Recht dazu, Sie sind der nächste Erbe, Sie müssen daran denken, es ist Ihre Pflicht.«

Vollbrecht's Augen vergrößerten sich, und ehe er sie wieder zusammenfaltete und nachdenklich auf seine Tasse heftete, richtete er sie so forschend als möglich auf seinen Gönner, der immer noch in dem Taschenbuche blätterte, ohne ihn anzusehen. –

»Es ist allerdings Pflicht,« sagte er dann leise, »sich des alten Mannes anzunehmen, wenn seine eigenen Kinder ihn verlassen. Malchen hat ein Herz wie ein Engel, sie ist ganz voll Liebe und Dankbarkeit, aber Eigennutz – o nein! gewiß und wahrhaftig nicht, das sei ferne von uns.«

»Großmüthige Seele!« rief Grießfeld, »doch im Ernst, kleiner Vollbrecht, ich bin betrübt darüber, denn ich glaube in der Lage zu sein, Ihnen die ganze Erbschaft sichern zu können.«

»Sie!« sagte Vollbrecht mit einem starren zweifelhaften Lächeln. – »Sie machen immer Spaß!« rief er dann lauter, »ich weiß es ja, Sie machen immer Spaß!«

»Nein, es ist Ernst,« fuhr Grießfeld fort. »Wenn Sie genau thun, was ich Ihnen sage, bin ich fest überzeugt, daß Eckhoff Ihnen Alles giebt und läßt, was er sein Leben über zusammengescharrt hat.«

»Wie wäre dies denn möglich?« fragte der kleine Mann sanft lächelnd, aber mit habsüchtiger Gier, die wie eine Spinne durch seinen Kopf lief und ihre Fäden überall anknüpfte. Er streckte lauernd sein spitzes Gesicht über den Tisch und brach dann in ein neues Gelächter aus. »Es ist ja Nichts wie Spaß,« schrie er, »aber mich fangen Sie nicht damit; mich nicht!«

»Ich sage es Ihnen nochmals,« antwortete Grießfeld, indem er jetzt erst aufblickte und seinen Gast in einer Weise ansah, daß dieser sein Lachen einstellte und nur in den Mundwinkeln ein halb ängstliches Grinsen festhielt, »ich gebe Ihnen mein Wort darauf, daß Sie die ganze Erbschaft bekommen, wenn Sie mir folgen.«

»Was soll ich denn thun, wenn es wirklich wahr ist?« flüsterte Vollbrecht.

»Können Sie schweigen?« fragte Grießfeld.

»Schweigen? O gewiß!«

»Auch gegen Ihre Frau schweigen?«

»Malchen? Man wird doch einer Frau überhaupt nicht mehr sagen,« antwortete Herr Vollbrecht, mit stolzer Würdigkeit sich an seinem Kragen aufhebend, »als was sie wissen soll.«

»Wenn dies wahr ist, wenn Sie schweigen können,« sagte Grießfeld, »wird Ihr Glück gemacht sein; wenn die Weiber sich einmischen, werden Sie den Schaden davon haben. Wollen Sie genau befolgen, was ich sage?«

»Sie können sich so fest darauf verlassen, wie auf's Evangelium,« rief der kleine Mann, indem er heftig auf seinen blauen Frack klopfte.

»Gut,« sagte Grießfeld, »so sagen sie Niemand, daß Sie bei mir gewesen sind.«

»Ich sage es nicht einmal, wenn ich allein bin,« versicherte Vollbrecht freudig grinsend.

»Drücken Sie Widerwillen und Abscheu aus, wenn Jemand von mir spricht,« fuhr Grießfeld fort.

»Wie so?« rief der kleine Mann erstaunt. »Es ist gegen meine Natur.«

»Es gehört dazu,« antwortete Grießfeld. »Sobald Sie Gelegenheit finden, über mich zu sprechen, so zeigen Sie offen, wie tief Sie mich verachten.«

»Ich?« schrie Vollbrecht verwirrt und zweifelnd, »ich? Niemals!«

»Sagen Sie,« sprach der vornehme Herr kaltblütig weiter, »ich sei ein Spieler, ein Mensch von den schlechtesten Sitten, ein Raubritter oder Glücksritter, der die ausplündere und verderbe, die mit ihm umgehen, ein Weiberverführer, ein Mensch, dem Nichts heilig sei. Verdammen und verachten Sie mich also auf's Tiefste und sparen Sie Nichts, um Ihre eigene Tugend glänzen zu lassen.«

Herr Vollbrecht streckte beide Hände vor sich aus und öffnete alle Finger vor Schreck. Er sagte kein Wort, er war ganz Starren und Staunen.

»Das ist Alles, was Sie für jetzt zu thun haben,« sagte Grießfeld, indem er aufstand. »Sie werden Gelegenheit haben, über mich zu sprechen. Jetzt verlassen Sie mich und vergessen Sie Nichts.«

»Und – und,« stammelte Vollbrecht, »es ist wirklich Ernst?«

»Ich habe Ihnen mein Wort darauf gegeben, damit pflege ich nicht zu spaßen,« antwortete der Hauptmann. »Jetzt kommt es darauf an, ob Sie klug genug sind, zu begreifen, was Ihnen gut ist. Wo wir uns also sehen werden, thun Sie genau, was ich Ihnen sage. Und jetzt guten Morgen, Herr Vollbrecht! An Ihre Geschäfte! Wenn ich Sie brauche, werde ich Sie zu finden wissen.«

Mit diesen Worten schob er ihn zur Thüre hinaus, kehrte dann zurück, vollendete seine Toilette mit größter Sorgfalt, knüpfte ein neues Ordensbändchen in das oberste Knopfloch, und endlich, als er vor dem Spiegel sich überzeugt hatte, daß sein zierlicher Ausputz vollkommen sei, verließ er seine Wohnung, um Besuche zu machen.


III.

Auf dem großen Holzplatze des jungen Eckhoff stand beinahe in der Mitte ein kleines Haus, in welchem sein Vater lange Zeit gewohnt hatte, und wo er selbst seine Kindertage verlebte. Es war von Fachwerk, einfach gebaut und enthielt wenige enge Gemächer, aber trotz seiner niedrigen Thüren und Fenstern sah es doch einladend aus, denn Wein rankte daran auf, und ein Gärtchen, mit Fruchtbäumen, Blumen und einer Laube von spanischem Flieder besetzt, bildete ein Viereck darum.

Als Eduard mit seiner jungen Frau die neue große Wohnung bezog, hatten sie mit Bitten nicht nachgelassen, bis der alte Vater sich entschloß, die Zimmer im obern Stockwerk einzunehmen, denn bei Regen, Wind und Schnee war es nicht zu dulden, daß der alte Herr, wie er es wollte, in seinem Häuschen bleiben durfte. Er sollte mit ihnen wohnen und leben, ihren Tisch und ihre Freuden theilen, und eine Zeit lang war das Alles auch gut ausgeführt worden.

Nach und nach jedoch wuchs die Entfremdung durch gegenseitiges Unbehagen. Dem einfachen streng gesinnten Greise war Nichts recht, was er sah und hörte; was sein Sohn that, gefiel ihm nicht, noch viel weniger gefiel ihm die aufgedrungene Schwiegertochter. Ist einmal Mißfallen vorhanden, so wird es leicht im engeren Beisammensein noch mehr genährt, und wo Vorurtheile sich festwurzeln, saugen sie aus den unschuldigsten Dingen neue Nahrung.

Was die junge Frau auch thun mochte, um die Zuneigung des Schwiegervaters zu gewinnen, es gelang ihr nimmermehr, und je eifriger sie sich bemühte, um so größer wurde seine Abneigung. Es half ihr Nichts, daß sie sich sorgsam um ihn zeigte, ihrem Hauswesen getreulich vorstand und fleißig ordnend waltete, sie vermehrte damit nur die mißmüthigen Beobachtungen ihres Widersachers. Der Putz der jungen Frau und die prächtigen Einrichtungen ihrer Wohnung traten dadurch um so mehr bemerklich hervor, die Verschwendungen wurden sichtbarer und auffälliger, und Alles, was er an seinem Sohne zu tadeln wußte, legte er ihr zur Last, Alles rührte von dieser unbesonnenen unpassenden Heirath her.

Es blieb ihm nicht verborgen, daß Eduard sich kostspieligen Zerstreuungen hingab, die er früher nicht gehabt, und welche er nicht geduldet haben würde; daran war wiederum die Frau schuld. Er hatte sein ganzes Leben über einen stillen Haushalt geführt, erst arm, dann reich, mit einfachen Speisen sich gesättigt, selten einmal einen Abend nicht an seinem Ofen bei Frau und Kind gesessen und selten Gastfreundschaft gegen Leute geübt, die so mäßig waren wie er selbst.

Seine Stiefschwester war an einen Schreiber, der den Titel Geheimsecretair führte, verheirathet gewesen, der ihr wenig hinterlassen hatte, als er zu seinen Vätern gesammelt wurde. Er hatte für die Wittwe und ihre Tochter gesorgt und sorgte noch für sie, wie für mehrere andere arme entferntere Verwandte, sein Sohn aber und seine Schwiegertochter paßten weder für den Kreis seiner Genüsse, noch für seine Freunde und seine Familie.

Zu ihnen kamen Leute, die ganz anders zu leben wußten. Da gab es bald Schmausereien und Einladungen, wo es der Eine dem Andern an theuren Speisen, Weinen und Aufwand aller Art zuvor thun wollte, und der junge Herr ging mit seinen lockeren Freunden Abends an die theuersten und ersten Vergnügungsorte, schwärmte dort bis in die späte Nacht hinein, versäumte und vernachlässigte seine Geschäfte, und daran war wieder diese leichtsinnige Frau schuld, denn wäre sie Eine gewesen, wie sie sein sollte, so wäre sie kräftig dazwischen gefahren.

Als das Kind geboren wurde, schien eine Aenderung und Annäherung einzutreten. Der alte Mann fühlte alles Glück und die Zärtlichkeit eines Großvaters, aber es war eine rauhe Zärtlichkeit. Der Knabe sollte nach ihm heißen, unglücklicher Weise aber hieß er Tobias, und gegen diesen Namen, der so urvorweltlich und gemein klang, protestirten alle Freunde und Bekannten des jungen Paares. Der Tobias durfte dem neuen Weltbürger zwar nicht erspart werden, aber man nannte ihn daneben Robert, und mit diesem wohlklingenden Namen wurde er gerufen. Der alte Mann schwieg dazu, allein es war ihm gewiß und wurde ihm zugeflüstert, daß die vornehme Madame den ehrlichen Namen Tobias abscheulich und lächerlich finde.

Dazu kam, daß sie eine Amme hielt, weil der Arzt es so wollte, oder wie der alte Mann überzeugt war, weil sie ihr Kind nicht selbst nähren wollte, da dergleichen nur das gewöhnliche Volk thue, und weil sie zu bequem dazu sei. Anscheinend freilich machte sie sich viel mit dem schwächlichen Erstgeborenen zu schaffen, doch nur zum Schein, wie die Frau Geheimsecretairin auseinander setzte, und so ging der Zwiespalt denn Schritt für Schritt weiter bis zu jener Nacht, in welcher der heftige Auftritt zwischen Vater und Sohn einen offenen Bruch bewirkt hatte.

Am folgenden Tage sahen die Arbeiter auf dem Holzplatze zu ihrem Erstaunen, daß der alte Herr wieder in dem Holzhause wohne, und Mancher wunderte sich nicht wenig darüber, allerlei Gerüchte liefen um. Es konnte zwar Niemand etwas Bestimmtes sagen, doch konnte Keiner zweifeln, daß Etwas zwischen Vater und Sohn vorgefallen sein müßte.

Der alte Herr hatte die Leitung des Geschäftes zwar seinem Sohne übergeben, aber er kümmerte sich gern noch um die verschiedenen Arbeiten, gab seinen Rath, ordnete, wo es zu ordnen gab, und in seinem grauen dicken Halbrocke, seinen hohen Stiefeln und seiner Mütze ging er eben so umher wie seit dreißig Jahren. Jeder Arbeiter sah ihn mit Ehrerbietung kommen, denn jeder wußte, daß er doch der eigentliche Herr hier sei und die Sache am besten verstehe. –

Von dem Tage aber, wo er das Häuschen bezogen hatte, kümmerte er sich nicht mehr um den Platz und die Geschäfte. Er kam nicht heraus mit dem Zollstock im Stiefel, um Balken und Bretter zu messen; weder am frühen Morgen noch am späten Abend sahen ihn die Wächter seine Runde machen, und wenn Jemand kam, um ihn über Etwas zu befragen, wies er ihn an seinen Sohn.

So waren drei Tage vorüber gegangen, und zwischen dem prächtigen Hause an der Straße und dem Häuschen auf dem Hofe blieb alle Verbindung abgebrochen. Der alte Herr hatte seine Mobilien fortschaffen lassen, sich eingerichtet, seine frühere Haushälterin wieder herbeigeschafft und seine eigene Wirthschaft bestellt, ohne im Geringsten von seinen Kindern dabei gestört zu werden. Vielleicht hatte er Vorstellungen erwartet, Bitten und reuige Versprechungen, und es wäre dann zu einer Versöhnung gekommen; allein Nichts von Allem geschah. Keine Stimme ließ sich hören, Niemand hinderte ihn, und mit geheimem ingrimmigem Schmerz sah er sich verlassen und vergessen. –

So starrsinnig seine Gemüthsart war, so gab es doch darin eine wunde Stelle. Den einen Sohn hatte er nur, er taugte zwar Nichts, aber es war doch sein Sohn. Und dort in der Wiege lag ein unschuldiges Kind; es gab ihm einen Stich in's Herz, daß er das Kind nicht sehen sollte.

Die drei Tage über war er fast nicht aus seiner Stube gekommen. Wenn er sich heftig ärgerte, litt er an Blutandrang und Kopfschmerzen, aber obwohl er annehmen mußte, daß vorn im Hause sie gut wußten, wie es mit ihm ging, ließ sich dennoch keiner bei ihm sehen. Es war gewiß, daß, wäre sein Sohn gekommen, der Empfang übel geendet haben würde, noch viel weniger durfte es die Schwiegertochter wagen. Doch das Kind konnten sie ihm schicken, aber sie schickten es nicht. Sie konnten ihm Zeichen ihrer Theilnahme geben, die er gewiß rauh abgefertigt haben würde, allein ihn verlangte eben darnach, und mit Bitterkeit erfüllt, die Lippen zusammengekniffen und die geballte Faust an die Stirn gedrückt, saß er in dem großen Lederstuhle und wartete von Stunde zu Stunde auf einen Boten.

Statt dessen wurde es dunkel, und er konnte erkennen, daß die Wohnung seines Sohnes hell erleuchtet war. Der Kronleuchter brannte in dem Speisezimmer, und als er das Fenster öffnete und das Weinlaub zur Seite bog, sah er auch die Seitenzimmer voll Licht und Menschen, welche darin hin- und hergingen. Sie gaben ein Fest, sie schwelgten, lachten und jubelten, der alte Vater aber saß hier im Finstern allein, und seine Seele war voll Zorn und Haß. –

Wie er über den stillen Hof forthorchte, hörte er die Klänge des Flügels, der in dem Saale stand, und irgendwo mußte ein Fenster geöffnet sein, denn es drangen auch die Töne einer lieblichen Stimme zu ihm herüber, welche einige Minuten lang ihn weicher stimmten. Das war die einzige Eigenschaft, welche er an seiner Schwiegertochter zu loben wußte. Er hörte gern zu, wenn sie am Clavier saß, und mehr als einmal hatte sie ihn damit besänftigt und versöhnt, wie Amphion Amphion, mythischer Herrscher von Theben, erhielt von Hermes eine Lyra, die er von vier auf sieben Saiten erweiterte und so zu spielen lernte, dass die Steine der Unterstadt von Theben sich bei seinem Lyraspiel von selbst zusammen fügten, und aus diesem Grund wurde die Stadtmauer auch mit sieben Toren erbaut. Vom Besänftigen des tobenden Meeres durch sein Saitenspiel weiß der antike Mythos nichts. das tobende Meer. Als Tobias Eckhoff aber eine kurze Zeit gehorcht hatte, warf er das Fenster heftig zu und ging mit großen Schritten auf und nieder.

»Dies Weib,«, sagte er grollend halblaut, »ist die böse Hexe. Eduard würde kommen, sie hindert ihn, er würde mir das Kind schicken, sie will es nicht leiden. Wenn das Weib nicht wäre, so wäre Alles gut, so würde ich einen Sohn haben, der mich liebte und achtete. Dies Weib macht ihn schlecht; es ist ein Fluch für mich, aber ich will's ihr vergelten. Ich will's ihnen Allen vergelten,« murmelte er vor sich hin, »denn sie taugen Nichts, und Unkraut muß ausgerissen werden, wachse es, wo es wachse.«

»Bruder Tobias!« rief eine Weiberstimme vor der Thüre in der Dunkelheit. »Herr, mein Gott, Bruder Tobias, was ist denn das? Hier sitzt er ganz allein in der jämmerlichen Hütte. Was ist denn geschehen, Tobias? – Ach, du gütiger Gott, was geschieht Alles in der Welt!«

Mit diesen Worten war die Frau Geheimsecretairin herein getreten und schlug ihre Hände jammernd zusammen.

»Nichts geschieht, und damit laß mich in Frieden, Hanne,« sagte der Alte rauh.

»Aber, Bruder Tobias,« versetzte sie weinerlich, »Du wohnst hier?«

»Ich will hier wohnen,« fuhr Eckhoff fort, »weil ich will! Es ist mir hier wohler wie irgendwo.«

Er stand auf, nahm ein Schwefelholz und zündete ein Licht an. Während er dies that, ging die Frau Geheimsecretairin wieder an die Thüre und rief laut hinaus:

»Malchen! Vollbrecht! Kinder, kommt herauf, der gute Onkel wohnt wirklich hier. Lieber Gott, Tobias, wir wollten Dich besuchen, wollten Dich sehen, da wir Dich seit drei Tagen nicht gesehen haben. Wie wir an's Haus kommen, stehen vier oder fünf Wagen da, und oben ist Alles erleuchtet. Kinder, sage ich, wir wollen umkehren, hier giebt's einmal wieder große Gesellschaft. Wir wissen das natürlich nicht, denn wir gehören nicht dazu, aber der liebe Onkel Tobias wird obenan sitzen. – Wie ich das sage, steht der Christian unter dem Thorwege und hat es gehört. O nein, Frau Geheimsecretairin, sagte er leise zu mir, der alte Herr ist nicht oben dabei, es sind lauter vornehme Herrschaften. I Herr Jesus! schreie ich, sie werden doch den eigenen Vater nicht vergessen haben? Da weist der Christian auf das Haus hier und sagt ganz betrübt: da wohnt der alte Herr schon seit drei Tagen und hat die Frau Heinzen wieder kommen lassen, die ihm kocht und ihn pflegt, denn er soll krank sein, wie sie sagen. – Wie ich das höre, stürze ich über den Hof, und mit schlagendem Herzen steigen wir die Treppe herauf. Ist es nicht wahr, Kinder,« rief sie, sich zu ihren Begleitern umwendend, die so eben eintraten, »haben wir uns nicht halb todt geängstigt?«

Der matte Schein des Lichtes fiel zunächst auf die runde fette Gestalt einer alten Frau, in deren Schatten wandelnd Herr Vollbrecht nur einige Andeutungen seines Daseins erkennen ließ, indem ein Elnbogen sichtbar wurde, welcher zu einem Arme gehörte, dessen Hand die kleine blonde Tolle in die Höhe strich.

Die junge Frau, welche neben der alten stand, sah aus wie die sieben magern Kühe Pharaonis neben den fetten. Sie trug einen kurzen Mantel und einen Strohhut, obwohl die Jahreszeit schon tief herbstlich war. Ihr mageres Gesicht mit der gebogenen Nase hatte weiter nichts eben Unangenehmes, aber sehr scharfe Züge, die eine reizbare Gemüthsart ankündigten. Ihre Augen waren grau und lebhaft, und ihre Lippen so dünn, daß sie kaum die Zähne bedeckten.

Mit ausgestreckten Armen eilte sie auf den Tisch los, an welchem Tobias Eckhoff sich niedergelassen hatte, die Faust auf die Tischplatte drückte und ein trotziges Schweigen beobachtete. Der Besuch kam ihm sichtlich ungelegen. Er hatte nicht Lust, seine Verwandten zu seinen Vertrauten zu machen und seinen Kummer in ihren Schooß zu schütten.

»O Gott, mein armes Onkelchen!« rief die junge Frau mit einer Stimme, die eben so scharf war wie ihr Gesicht; »er leidet, er ist krank an seinem Kopfschmerze, der immer kommt, wenn er sich ärgert; hätte ich nur von meinem Melissengeist etwas hier. August könnte nach Hause laufen und ihn holen.«

»Versteht sich!« schrie die Frau Geheimsecretairin. »Versteht sich, Vollbrecht, laufen Sie ganz geschwinde!«

Es gehörte eine gute halbe Stunde dazu, um nach Hause zu laufen, aber Vollbrecht sprang sogleich vor und riß seinen Hut hastig von dem Pulte, auf welches er ihn gestellt hatte.

»Gleich, gleich,« sagte er eilfertig, »gieb mir nur den Schlüssel.«

»Setz' den Hut fort,« fiel der alte Mann grollend ein, »es ist viel zu weit.«

Das war allerdings der Fall, und im Grunde dachte Malchen eben so wenig ernsthaft daran, den Melissengeist herzugeben, wie ihr Mann, ihn zu holen, Beide aber machten Einwendungen, und Vollbrecht betheuerte, daß er in einer Viertelstunde wieder hier sein werde.

»Ich will's aber nicht!« sagte Tobias mit Entschiedenheit. »Es geht mir besser, morgen wird Alles vorüber sein. Frisch Wasser ist mein bestes Mittel.«

»Richtig!«schrie die Frau Geheimsecretairin, »daran haben wir nicht gedacht. Einen Umschlag um den Kopf, das ist das Allerbeste, was es giebt. Aber recht kalt muß das Wasser sein, ganz frisch aus dem Brunnen. Vollbrecht, holen Sie Wasser herauf!«

»Gleich, gleich!« schrie der kleine dienstfertige Mann, seinen Hut auf das Pult schleudernd.

»Laßt mich in Frieden!« brummte Tobias Eckhoff. »Mir ist Nichts nöthig.«

»Holen Sie die Caraffe aus dem Waschtische, Vollbrecht,« schrie die Geheimsecretairin. »Aber schnell! Und ein Handtuch, Malchen, sieh zu, wo Du ein Handtuch findest.«

»Gleich, gleich!« antwortete Vollbrecht, indem er über die ausgestreckten Beine des Patienten stolperte und Malchen beinahe zu Boden rannte.

»Gott bewahre uns, was sind Sie wieder ungeschickt!« schrie die Frau Geheimsecretairin ihm nach.

»Er ist immer ungeschickt,« sagte Malchen, »aber wenn kein Handtuch gleich da ist, will ich mein Taschentuch geben. Es ist ganz neu, bester Onkel, und stark ist es auch. Feine Batisttücher sind Nichts für uns. Die kann ich nicht bezahlen, und wenn ich es könnte, thäte ich es nicht. Nein, gewiß nicht! In diesen schlechten Zeiten sollte kein Mensch verschwenden, Jeder sollte sich einrichten, es hat Keiner jetzt Etwas übrig, der Reichste nicht.«

»Das arme Kind,« fiel die Frau Geheimsecretairin ein. »Es geht noch mit dem Sommermäntelchen und dem Strohhut.«

»Es schadet mir gar Nichts!« rief Malchen lachend, »durchaus nicht. Es ist hübsch luftig, ich erhitze mich nicht darin. Bei der schönen Witterung kann ich recht gut noch damit durchkommen, und je länger ich mit dem Winteranzug warte, je länger hält er.«

»Du mein Gott!« schrie die Frau Geheimsecretairin, »was bleibt der Vollbrecht lange.«

»Der kommt niemals schnell wieder,« sagte Malchen.

»Auf der Treppe ist er schon,« fiel ihre Mutter ein, »ich werde ihm Beine machen.«

Sie öffnete die Thüre ein wenig und schrie durch den Spalt:

»Was nölen Sie denn wieder so lange, Vollbrecht? es ist mit Ihnen doch kaum mehr aufzuhalten!« –

Hier versiegte Ihre Stimme plötzlich, und umschlagend in einen ganz anderen Ton, schrie sie:

»Ach Herr Jes's! Sie sind es, bestes Cousinchen? Treten Sie doch näher. Wie geht es Ihnen denn? Wie befindet sich der Herr Gemahl? Sie sehen so reizend schön aus wie eine Fürstin, aber hier ist leider Krankheit. Mein armer Bruder Tobias ist krank und hat uns Nichts sagen lassen, kein Wort haben wir davon gewußt.«

Die schöne, schlanke, geschmückte Frau, welche hereingetreten war, hatte nicht geglaubt die Familie ihres Schwiegervaters hier zu finden. Sie trug ihren Kopf halb in den großen Shawl gehüllt, der auch ihr Gewand und ihren Schmuck bedeckte. Die Frau Geheimsecretairin hatte daher nur eine boshafte Bemerkung angebracht, wenn sie Clärchen mit einer Fürstin verglich; als die Hülle jedoch herabfiel, erschien die junge Frau allerdings geschmackvoll gekleidet, und selbst das dunkle melancholische Licht auf dem kleinen Messingleuchter ließ die Brillanten in ihren Ohrgehängen und in ihrer Brosche funkeln.

»Lieber Papa,« sagte Clärchen mit leise zitternder Stimme, »Alles, was in meiner Macht steht, soll geschehen, um Ihnen Beistand zu leisten.«

»Wir sind eben dabei, einen Umschlag zu machen,« fiel Malchen ein.

»Vielleicht kann ich etwas helfen,« fuhr die junge Frau fort.

»Nicht doch!« rief Malchen, »Ihr Anzug kann kein Wasser vertragen. Mir schadet es Nichts, wenn ich auch naß werde.«

Clärchen stand vor dem Tische, ohne ein weiteres Wort zu sagen. Der alte Mann stützte den Arm auf, sah finster vor sich hin, ohne sie einmal anzublicken; die beiden Frauen musterten die beneidete Cousine vom Wirbel bis zur Zehe.

»Aber Vollbrecht,« schrie die Frau Geheimsecretairin, »was bleiben Sie denn da in der Thüre stehen? Ich glaube, er fürchtet sich, haha! Es ist ganz gewiß, er fürchtet sich vor der lieben Cousine.«

»Nein, Madame,« antwortete eine fremde Stimme, »es ist weder Herr Vollbrecht, den ich nicht die Ehre zu kennen habe, noch fürchte ich mich; es ist vielmehr eine, wie ich denke, sehr gerechtfertigte Scheu, daß ich diesen Familienkreis nicht stören wollte.«

Die Frau Geheimsecretairin prallte mit einem Schrei bei den ersten Worten des fremden Herrn zurück, ihre Tochter faßte nach dem Lichte, um ihn besser sehen zu können. Der alte Mann stand von seinem Stuhle auf und blickte den unverhofften Besuch fragend an.

»Mein lieber Herr Eckhoff,« sagte dieser lächelnd, »ich sehe wohl, daß ich mich Ihnen selbst vorstellen muß. Ich bin ein Verwandter Clärchens, Ihrer Schwiegertochter, ich heiße Grießfeld, bin Hauptmann außer Dienst, seit Kurzem von Reisen hierher zurückgekehrt, und da ich ein Gast Ihres Sohnes war, mochte ich mir das Vergnügen nicht versagen, auch den wackeren Papa kennen zu lernen, von welchem ich so viel Gutes und Treffliches gehört habe. Daher erlaubte ich mir denn Clärchen zu begleiten, um Ihre Bekanntschaft zu machen.«

Der alte Mann hörte ruhig an, was der stattliche Herr sagte, der mit den liebenswürdigsten Formen seine Worte einschmeichelte.

»Wenn es das ist,« antwortete er, »so seien Sie mir willkommen, Herr Hauptmann, obwohl ich Sie heute kaum einladen kann, sich bei mir niederzulassen. Es geht mir eben nicht zum Besten.«

»Aber Sie haben so vortreffliche Aerzte um sich,« versetzte Grießfeld, »daß die Heilung nicht ausbleiben kann.«

»Mein bester Arzt bin ich selbst,« sagte Eckhoff. »Man muß sich immer selbst zu helfen suchen. Viele Köche verderben den Brei.«

»Wo so sanfte und schöne Hände thätig sind,« fuhr der Hauptmann fort, indem er die langen dürren und die kurzen dicken Finger der beiden Damen betrachtete, welche sich auf dem Tische mit dem Zusammenlegen des Taschentuches beschäftigten, »da müssen alle Schmerzen schnell ein Ende nehmen.«

Malchen lächelte anmuthig und dankbar für das zweideutige Compliment, die Frau Geheimsecretairin bezeugte ihr Vergnügen durch einen leisen grunzenden Ton und einen ermunternden Blick von unten nach oben, der an dem geschweiften Schnurrbart des Hauptmanns oder an dem Bändchen in seinem obersten Knopfloche beifällig ausruhte.

Während dieser Zeit war auch Herr Vollbrecht mit der gefüllten Wasserflasche zurückgekehrt, die er an Hals und Boden festhielt und sich damit hinter die beiden Genien seines Lebens stellte.

»Und dieser Herr gehört ebenfalls zur Familie, wie ich denke,« sagte der Hauptmann.

Malchen wandte den Kopf ein wenig nach dem kleinen Manne um, dem ihre Mutter die Caraffe abnahm, während Eckhoff für Beide antwortete.

»Es ist richtig,« erwiederte er. »Die junge Frau da ist Vollbrecht's Frau, und ihre Mutter hier ist meine Schwester. Es ist meine ganze Familie, die hier beisammen ist.«

»Mit Ausnahme des Einen, der uns fehlt,« sagte Grießfeld, »mit Ausnahme Ihres Sohnes und des kleinen Robert, der noch nicht zum Großvater kommen kann, sondern warten muß, bis dieser zu ihm kommt.«

Bei diesen Worten verfinsterte sich das Gesicht des alten Mannes. Was er auf Minuten vergessen hatte, fiel ihm plötzlich mit verdoppelter Heftigkeit ein, und zwischen seinen grauen Augenbrauen hervor warf er einen zornigen Blick auf die geputzte Schwiegertochter.

»So,« sagte er an sich haltend, »ja freilich, ja, der ist nicht hier, ich hatte es beinahe vergessen.«

Clara richtete die Augen scheu auf den Boden und auf ihre Umgebungen. Sie hätte gern all ihren Schmuck in die langen Finger ihrer Cousine gedrückt, hätte sie diese damit aus dem Hause schaffen können, aber weder ihre bittenden Blicke, noch ihr flehendes Lächeln wurden verstanden. Die Gesichter der Frau Geheimsecretairin und ihrer Tochter drückten keine Spur von Theilnahme aus, und hinter ihnen stand Herr Vollbrecht, die Augen zusammengekniffen, den Kopf in dem Nacken und seine Stirn voll grimmiger Falten.

»Mein bester Herr Eckhoff,« sagte der Hauptmann lächelnd, »Väter müssen ihren Söhnen Manches nachsehen. Jugend hat einmal keine Tugend, Jeder muß an seine eigene Jugend denken, um nachsichtig zu sein. Sie werden mir verzeihen,« setzte er rasch hinzu, als er sah, daß die Augen des Alten ihn drohend anstarrten, »ich habe von meinem Freunde Eduard gehört, daß er mit Ihnen ganz gegen seinen Willen in einige Zerwürfnisse gerieth, und als ein Verwandter, und weil mir aller Streit verhaßt ist, vor Allem aber, weil ich einen so würdigen Mann liebe und verehre, wage ich es, Clärchens Bitten durch meine Bitten zu unter: stützen.«

»Warum hat mein Sohn seine Frau nicht selbst begleitet?« fragte der alte Mann.

»Lieber Papa,« flüsterte Clärchen, »Sie wissen, Eduard – ich bin daran Schuld.«

»Ja, das weiß ich,« antwortete er mit tiefer grollender Stimme.

»In Wahrheit,« fiel Grießfeld ein, »ich bin es, der ihm rieth, uns die Einleitung machen zu lassen. Man muß in der Welt versöhnlich sein; wer weiß, wie bald man Alles lassen und verlassen muß? Darum lassen Sie uns ein schönes Friedensfest feiern, geben Sie mir Ihre Hand darauf. Ich hole ihn her, edler, großmüthiger Papa! Bringen Sie ihm selbst Ihren Segen und Ihre Liebe.«

Er hatte sich der Hand des alten Mannes bemächtigt, der ihm diese jedoch mit einem kräftigen Ruck entzog.

»Es ist hier nicht Zeit und Ort, mich darüber zu erklären,« sagte er so ruhig er konnte. »Ich will's bedenken.«

»Ein Vater muß sich nicht bedenken, wenn er seinen Sohn in seine Arme schließen will.«

»Ich will's nicht!« erwiederte der alte Mann heftiger, »sprechen Sie Nichts mehr davon. Sie kennen die Sache nicht; so geht's nicht mit uns.«

»Aber wenn wir Alle bitten, wenn die Damen sich mit uns vereinigen?«

Die Damen antworteten Nichts. Malchen stemmte jedoch den Arm in die Seite, und die Frau Geheimsecretairin schüttelte so gewaltsam den Kopf, daß der eine Seitenkamm mit den falschen Locken ihm abfiel.

»Nun denn,« sagte der unermüdliche Hauptmann, »so ist hier Ihre Schwiegertochter, die Sie auf's Innigste liebt und verehrt und in tiefster Herzensbetrübniß über Ihren Zorn ist.«

»Das ist wahr!« rief der alte Mann im Tone des bittersten Hohnes.

»Lieber Papa,« sagte Clara demüthig, »seien Sie gütig gegen mich. Könnte ich Ihnen doch mein ganzes Herz zeigen.«

»Ein so edles und schönes Herz darf nicht vergebens bitten,« fiel Grießfeld ein. »Nehmen Sie die ausgestreckte Hand an, Herr Eckhoff, kein König würde sich besinnen.«

»Herr,« sagte der Greis, indem er aufstand, »Herr Hauptmann, ich habe Ihren Namen vergessen, aber es thut Nichts. Jeder fege vor seiner Thür, das ist ein altes richtiges Sprichwort, und damit – ich denke, Sie verstehen mich.«

»Ganz ohne Zweifel,« antwortete Grießfeld, »aber Ihr Sohn ist mein Freund und Clärchen meine Cousine.«

»So bleiben Sie bei Ihrem Freund und Ihrer Cousine. Ich wünsche Ihnen einen guten Abend.«

Der Hauptmann strich lächelnd über seinen Bart.

»Eduard hat also Recht,« sagte er halblaut. »Seien Sie nicht so traurig, liebes Clärchen, dergleichen versteht man hier nicht.«

»O lieber Papa,« antwortete die junge Frau, indem sie ihre Hand bittend auf die rauhen Hände des alten Mannes legte, »könnte ich nur eine Viertelstunde mit Ihnen allein sein.«

»Nimm Deinen Hut, Malchen,« schrie die Frau Geheimsecretairin, »wir können gleich Platz machen.«

»Ihr bleibt!« sagte Eckhoff; »ich habe mit der Madame da Nichts zu sprechen.«

»Bester guter Papa,« fuhr Clärchen flehend fort, »nicht um mich, um Eduard's Willen hören Sie mich. Ich liebe ihn, ich bin seine Gattin.«

»Ja, leider!« rief er rauh zurückweichend; »das ist es.«

Sie ließ ihre Hände sinken und zitterte.

»Es ist beinahe zu viel,« flüsterte sie mit erlöschender Stimme.

»Herr Eckhoff,« sagte der Hauptmann, »gegen eine Dame hat auch der roheste und ungebildetste Mensch Rücksichten zu nehmen. Ich bedauere sehr, dazu beigetragen zu haben, daß meine Verwandte von Ihnen gemißhandelt wird, allein ich fürchte leider, daß dies nicht daß erste Mal ist.«

Die Stirn des alten Mannes und sein ganzer Kopf wurden dunkelroth. Er fühlte die Vorwürfe, die ihm gemacht wurden, aber sie steigerten seinen Grimm. Statt der Antwort hob er die Hand auf und deutete nach der Thüre.

»Sehr wohl, sehr wohl,« sagte Grießfeld mit seiner unerschütterlichen Ruhe, indem er Clärchen seinen Arm bot.

»Kann ich Sie nicht erweichen? Wollen Sie mich nicht hören?« fragte diese mit einer letzten Anstrengung.

»Nein, Madame, nein!« rief er, den Kopf schüttelnd. »Wir passen nicht zusammen, Sie nicht zu uns, wir nicht zu Ihnen!«

»Darin liegt sehr viel Wahres,« erwiederte Grießfeld, indem er seine Verwandte fortführte, »und wenn Sie das früher bedacht hätten, Clärchen, würden Sie sich nicht so weit herabgelassen haben.«

Diese letzten Worte schallten von der Thüre her und wurden nicht zufällig so laut ausgesprochen, daß jede Silbe in die Ohren der Frau Geheimsecretairin drang.

»Herabgelassen!« schrie sie wie elektrisirt von dieser Beleidigung, und ihrem Ausrufe folgte ein Hohngelächter. »Herabgelassen, sagt er, der Hasenfuß! Es ist eine allerliebste Herablassung, wenn man bettelarm ist wie eine Kirchmaus, und wer hat sich denn darnach gedrängt? Wer hat denn alle Künste in Bewegung gesetzt und hinter dem Rücken seines Vaters ihn so lange verlockt, bis er ganz in ihre Netze gefallen war?«

»Und wie hat sie unser Mitleid vergolten,« fiel Malchen ein, »als wir uns herabließen, sie zuweilen bei uns zu dulden? Diese Heuchelei übersteigt alle Begriffe!«

Diese Antworten wurden mit solcher Gewalt gegeben, daß sie unmöglich den beiden Fortgehenden, welche langsam die dunkle Treppe herabstiegen, entgehen konnten, zum Ueberfluß aber erwachte jetzt auch Herr Vollbrecht aus seiner Napoleonsstellung, welche er bis dahin unerschütterlich behauptet hatte. Er fuhr mit seinen langen knochigen Fingern an die beiden Ecken seines Hemdkragens, zog sich in die Höhe, als wollte er an die Decke fahren, und schrie mit ganzer Energie:

»Es ist schändlich! Es ist empörend! Dieser Mensch, dieser elende Mensch, dies Ungeheuer darf hierher kommen!«

Malchen und ihre Mutter beobachteten anfangs diese Anstrengung nicht, doch zu den Gedanken des alten Mannes paßten sie besser. Er wandte sich zu Vollbrecht um, der seinen Kragen losgelassen hatte und tiefsinnig mit beiden Händen das dicht an seine Schläfe liegende Haar noch fester klebte.

»Kennst Du den da?« fragte er.

»Kennen?« antwortete Vollbrecht schrecklich grinsend, »kennen? o!« hier hielt er inne und besann sich, »kennen?« wiederholte er dann gelassener, »Gott sei Dank, nein, niemals, ich würde mich schämen, wenn ich ihn kennte. Ja, wirklich schämen,« rief er, seine Rechte wagerecht ausstreckend, als wollte er Etwas von sich stoßen, »und ehe ich ihn meinen Freund nennte, ehe ich das thäte, wollte ich mir die Zunge abbeißen. Ja, das wollte ich, das thäte ich!«

Herr Vollbrecht klopfte heftig auf seinen blauen Frack. Er hatte die allgemeine Neugier erregt, seine Frau und seine Schwiegermutter fielen mit Fragen über ihn her, auf welche er mehrere unbestimmte und geheimnisvolle Antworten gab.

»Aber Vollbrecht!« rief die Frau Geheimsecretairin ärgerlich, »was ist denn das wieder für eine neue alberne Angewohnheit, daß Sie nicht ordentlich antworten, wenn Sie gefragt werden?«

»So macht er es ja immer,« fiel Malchen ein. »Sage jetzt einfach gerade heraus, welche Verbrechen der Mensch begangen hat.«

»Es sind vielleicht eigentlich gar keine Verbrechen,« erwiederte der kleine Mann nachdenklich vor sich hinschauend, indem er die Arme kreuzte und den Kopf schüttelte, »wenigstens mögen vornehme Leute Nichts darin finden, aber ein redlicher Familienvater, ein schlichter Bürger – nein, mein Freund würde er niemals sein, darauf kann ich schwören, mir wäre er zu schlecht, viel zu schlecht!«

»O,« sagte Malchen triumphirend, »und von solchem schlechten Menschen läßt sie sich liebes Clärchen nennen und geht Arm in Arm mit ihm? Jetzt erzählst Du auf der Stelle, August, was Du weißt.«

Vor dieser energischen Forderung, welche Malchen mit dem Ausstrecken ihres Zeigefingers begleitete, beugte sich ihr Mann.

»Was ich weiß, ist,« sagte er, »daß der Hauptmann spielt und seinen Freunden das Geld abnimmt. Er reist förmlich darauf, geht in die Bäder oder nach Paris und plündert Jeden aus, der mit ihm umgeht.«

»Ach Herr Jes's, ein Spieler!« schrie die Frau Geheimsecretairin. »Das fehlte noch, daß der in's Haus kommt.«

»Solche vornehme Verwandte hat sie,« fiel Malchen höhnisch ein, »und bei alledem hat sie sich dennoch herabgelassen, Eduard zu nehmen. Mit dem Spieler geht sie Arm in Arm, ihm zu Ehren werden Gesellschaften gegeben, während der gute Onkel –«

Die Stimme versagte ihr, sie hielt die Hände vor ihr Gesicht.

»Was weißt Du weiter von ihm?« fragte der alte Mann.

»Weiter?« erwiederte Herr Vollbrecht, »o – weiter Nichts, nur – es ist ein galanter Herr, nämlich bei den Damen; ein schöner Mann, ja, wirklich schön ist er. Ich kenne ihn gar nicht, ob's wahr ist, weiß ich nicht, aber es hat mir's Einer erzählt, der von früher her mit ihm bekannt war. Ueber alle Maßen ausschweifend soll er sein, keine Frau ist vor ihm sicher.«

»Pfui!« rief die Frau Geheimsecretairin, »ich dachte es gleich, wie er mich ansah, denn ein Paar Augen hat er im Kopfe wie Kohlen!«

»Und mit dem Menschen geht sie Arm in Arm, der ist ihr Vetter!« sagte Malchen in tiefster sittlicher Empörung.

»Ich möchte sein Vetter nicht sein!« schrie Vollbrecht. »Nicht um eine Million möchte ich sein Vetter sein!«

»Ach Onkel, armer lieber Onkel, gräme Dich nicht,« schluchzte Malchen, indem sie ihre Arme um die Schultern des alten Mannes legte, der lautlos in seinem Sorgenstuhle saß und den Kopf in seine Hand stützte.

»Bruder Tobias,« flehte die Frau Geheimsecretairin, von der anderen Seite ihn umfassend, »wir sind bei Dir zu aller Zeit.«

»Es ist gut,« sagte der alte Mann, »jetzt geht.«

»Der Umschlag!« schrie die Frau Geheimsecretairin, »Gott im Himmel! Du siehst wie ein Krebs so roth aus.«

»Hier ist mein Tuch schon zusammengelegt,« sagte Malchen.

»Wo ist das Wasser und der Napf? Stehen Sie doch nicht da wie ein Stock, Vollbrecht.«

»Gleich, gleich!« rief der kleine Mann, indem er hastig nach der Caraffe griff, die er in einen Winkel gesetzt hatte.

»Geht Alle!« sagte Tobias Eckhoff ingrimmig, seinen Arm aufhebend und die Faust ballend, »laßt mich allein.«

Er faßte nach dem Tuche, schleuderte es von sich und stand auf.

Sein Gesicht war so drohend, daß die beiden Frauen kein Wort weiter wagten. Sie nahmen schweigend und bekümmert ihre Mäntel und Hüte; Vollbrecht hob das Tuch auf, Malchen wischte sich die Augen und steckte es ein, dann stellte sich Vollbrecht hinter den Tisch, um seinem Wohlthäter möglichst aus dem Wege zu gehen, der mit großen Schritten und ohne aufzublicken auf- und abging.

»Kinder sind unsers Lebens Glück und Qual,« seufzte die Frau Geheimsecretairin, indem sie die Haken an Malchens Mantel zumachte. »Die Gerechten tröstet Gott, das ist mein Trost. Gute Nacht, Bruder Tobias! Wir befolgen Deinen Willen, wenn unser Herz auch ruft: bleibe bei ihm.«

»Gute Nacht, bester Onkel,« sagte Malchen niedergeschlagen.

»Halt!« rief der alte Mann an dem Pulte stillstehend, das er aufschloß und aus einem Schubfach eine Rolle Thalerstücke herausnahm. »Kaufe Dir einen Mantel und einen Winterhut,« sagte er. »Und Du, Vollbrecht, komm morgen früh um acht Uhr zu mir.«

»O lieber, theurer Onkel, darf ich es annehmen?« lispelte Malchen. »Mutter, sieh doch nur.«

Die Frau Geheimsecretairin breitete ihre Arme und ihren Mantel aus, aber Tobias winkte mit solcher Heftigkeit und kehrte ihr so rasch den Rücken zu, daß sie es für das Beste hielt, ohne längeren Zeitverlust mit ihren Kindern sich zu entfernen.

Als spät am Abend die Aufwärterin noch Licht in ihres Herrn Zimmer entdeckte, steckte sie leise den Kopf herein und sah ihn am Tische sitzen. Das Licht brannte dunkel, er las ohne Brille in einem dicken Buche. Seine Lippen bewegten sich, doch sein Gesicht sah so zornig, starr und heftig aus, daß die Magd davor erschrak. Sie wagte nicht, ihn anzureden, aber sie kannte das Buch recht gut. Es war die Bibel.


IV.

Eine Woche verging, während welcher Herr Vollbrecht von seinem Gönner Nichts hörte, und im Grunde war ihm dies auch lieb, denn er empfand ein gewisses unheimliches Gefühl, wenn er an den Hauptmann dachte, und fürchtete sich beinahe, ihm zu begegnen.

Endlich traf er mit ihm zusammen, und zwar auf der Straße in der Nähe von Eckhoff's Hause, wo ihm Grießfeld Arm in Arm mit dem Herrn Eckhoff junior entgegen kam und, wo es ihm unmöglich war auszuweichen. Er hatte daher einen männlichen Entschluß gefaßt, hatte sich am Kragen gehörig in die Höhe gezogen und ging alsdann gerade auf die beiden Herren los, die ihn kommen sahen und einige Worte wechselten, worauf sie zu lachen anfingen.

»Nicht doch,« hörte Vollbrecht seinen Vetter sagen, »im Grunde ist er gutmüthig und thut mir leid.«

»Solche Packesel sind zu Allem zu gebrauchen,« antwortete der Hauptmann.

Das war es, was der kleine Mann vernahm, aber er war weit entfernt davon, den Packesel auf sich zu beziehen. Als er grüßte, redete ihn Eduard an, und während er mit ihm sprach, stand der Hauptmann daneben und betrachtete ihn so sonderbar scharf, daß er darüber äußerst verlegen wurde. Endlich ließ er sich sogar ihm vorstellen, erinnerte ihn an den Abend beim alten Eckhoff, lachte und witzelte und richtete einige Fragen an ihn. Es war unmöglich sich loszumachen, und doch fürchtete Vollbrecht, daß er in dieser Gesellschaft gesehen werden könnte.

Eduard sprach mit ihm über das Verhältniß zu seinem Vater.

»Wie ich vernommen habe,« sagte er, »läßt er Dich jetzt oft zu sich kommen, und man hat mir erzählt, daß er Euch fast täglich besucht.«

»Täglich, nein gewiß nicht!« antwortete Vollbrecht, »nur zuweilen kommt er und giebt mir Aufträge für Geschäfte und dergleichen.«

»Spricht er von mir?« fragte der junge Mann.

»O,« antwortete Vollbrecht sich ängstlich umsehend, »daß ich nicht wüßte. Er spricht gar nicht darüber oder doch kaum ein Wort, kaum eine Bemerkung.«

»Es läßt sich denken,« fiel Grießfeld ein, »daß bei so nahen Verwandten Familienangelegenheiten besprochen werden, und gewiß kann Herr Vollbrecht darüber die beste Auskunft geben.«

Vollbrecht's Angst stieg, als Eduard seine Hand drückte und vertraulich sagte:

»Du weißt, daß ich es immer gut mit Dir meinte, stehe mir also bei, so viel Du kannst, um meinen Vater versöhnen zu helfen. Er giebt nicht viel auf das, was Du Gutes von mir sagen möchtest, aber gehöre nicht zu denen, die Oel in's Feuer gießen, und wenn Du willst, kannst Du mir doch Dienste leisten, die ich Dir niemals vergessen werde.«

»Das wird Herr Vollbrecht, für den ich mich verbürgen möchte, jedenfalls thun,« fiel der Hauptmann ein.

»Ja, das werde ich jedenfalls thun,« sagte Vollbrecht mechanisch

»Dann theile mir mit, wie mein Vater gesonnen ist. Zu ihm gehen, bitten, mich reuig zeigen kann ich nicht. Er ist ein eigensinniger Mann und von hartem Charakter. Was er für Recht hält, soll für Jeden Recht sein und bleiben. Er kennt Nichts als Arbeit vom Morgen bis zum Abend; jede Erholung, jedes Vergnügen scheint ihm Ueberfluß oder Verschwendung. Er ist darnach erzogen worden, hat gearbeitet sein Leben über und verlangt Nichts weiter. – Daß er reich geworden ist, hat Nichts daran geändert, und so ist es auch mit meiner Mutter gewesen; ihr Geld hat beiden Nichts genutzt. Ich dagegen will mein Leben.genießen, will meinen Reichthum anwenden, wie es sich für mich schickt. Mitnehmen kann Keiner Etwas. Wenn mein Vater die Augen zumacht, hat ihm all sein Sparen und Knausern Nichts geholfen, er muß es mir doch hinterlassen. Ich will mich also nicht mit ihm versöhnen, um in die alte Abhängigkeit zu kommen, mich anfahren und ausschelten zu lassen, ich bin froh, daß dies endlich aufgehört hat, und jedenfalls, wenn wir wieder gute Freunde werden wollen, muß er mich leben lassen, wie ich es für gut befinde. Aber er ist mein Vater,« fuhr er fort, »und schon um deswegen thut es mir weh, wenn er nicht bald nachgiebt und eigensinnig bleibt, noch weher aber thut es mir meiner Frau wegen, die ein weiches Herz hat und sich darum grämt, daß der alte Mann so einsam und verlassen in der Hütte sitzt. Sogar das Kind hat er zurückgewiesen, daß sie ihm gestern hinüber schickte. Und darum bitte ich Dich, Vollbrecht, stelle ihm dies Alles vor. Nimm die Gelegenheit wahr, meine Sache bei ihm zu führen, sage ihm, daß wir mit Freuden uns aussöhnen wollen; besonders stelle ihm vor, wie hart und unbillig er gegen Clärchen gewesen ist, die ihn noch immer vertheidigt und trotz aller seiner Heftigkeit – ja wahrlich, ich muß es sagen, ihm mehr zugethan ist, wie ich es bin.«

»Ich bin überzeugt,« sagte Grießfeld, »Herr Vollbrecht wird dies gewiß gern thun.«

»Gewiß, ich werde es gern thun,« wiederholte Vollbrecht, indem er auf den blauen Frack klopfte.

Eduard dankte ihm mit warmen Worten.

»Ich will auch nächstens mit Malchen sprechen,« sagte er, »oder thue Du es. Sie hat den meisten Einfluß auf meines Vaters Gemüth. Helft uns den Alten versöhnen und glaubt mir, daß ich es nicht vergessen werde. Wo ich irgend dienen kann, geschieht es gewiß, und bin ich einmal reich, so wird es Euch nicht fehlen.«

»Das wird sich Herr Vollbrecht ganz besonders merken,« sagte der Hauptmann, den Finger aufhebend.

»Ich werde es mir merken,« rief Vollbrecht heftig nickend, dann aber lief er, so schnell er konnte, davon, als er endlich losgelassen wurde.

»Nicht ein Wort soll über meine Lippen kommen,« murmelte er sich zu, als er allein war, »allein ich wollte, daß dieser Hauptmann beim Geier wäre! Ich wollte, daß ich mich mit ihm gar nicht eingelassen hätte, denn wenn es herauskommt, daß ich ihn kenne und es verschwiegen habe, so vergiebt es mir Malchen nimmermehr.«

 

Den ganzen Tag über lebte er in schwerer Besorgniß, daß er mit den beiden Verfehmten im Gespräch gesehen worden sei, und als gegen Abend seine Schwiegermutter nach Hause kam, vor ihm stehen blieb und ihn scharf ansah, zitterte er wie ein Verbrecher.

»Wie sehen Sie denn aus, Vollbrecht?« sagte die Frau Geheimsecretairin.

»Wie so?« fragte er, seine Augen zusammenfaltend und die dünne Tolle streichelnd.

»Sie sehen ja ganz blaß aus,« fuhr die strenge Dame fort, »und Sie zittern ja.«

»Ich zittere gar nicht,« antwortete er, indem er sich mit einem Rucke aufrichtete und alle Muskeln anstrengte.

»Sie machen sich nicht genug zu thun,« rief die Frau Geheimsecretairin; »Sie sind kein Mann, der auf seinem Posten ist.«

»Er ist nie auf seinem Posten,« sagte Malchen, die am Tische saß und nähte.

»Wenn Sie auf ihrem Posten wären,« fiel die Mutter ein, weil sie sah, daß Vollbrecht Etwas antworten wollte, »so würden Sie nicht hier sitzen, Cigarren rauchen und Nichts thun, sondern Sie würden sich auf die Lauer legen, wenn's auch Keulen und Frösche regnete, um Ihrem Wohlthäter zu nützen.«

»Er nützt nie Etwas,« sagte Malchen vor sich hin.

»Was wären Sie denn ohne meinen Bruder Tobias?« fuhr die Frau Geheimsecretairin fort. »Wären Sie etwa in unsere Familie gekommen? Schwerlich! Nichts wären Sie, gar Nichts. Du mein Jes's, es ist eine Schande, eine Schande ist es!«

Vollbrecht senkte den Kopf demüthig nieder.

»Aber ich weiß ja nicht,« flüsterte er zerknirscht, »was ich thun soll.«

»Jetzt wird's immer schöner!« schrie die Dame. »Er weiß nicht, was er thun soll.«

»Er weiß nie, was er thun soll,« sagte Malchen.

»Aufpassen sollen Sie, was vorgeht!« fuhr die Mutter fort. »Nachrichten sollen Sie sammeln über den schlechten Menschen, den Hauptmann, Alles was Sie hören, sehen und erfahren können, sollen Sie Ihrem Wohlthäter hinterbringen. Aber Sie sehen, hören und erfahren Nichts, weil Sie viel zu nachlässig und bequem sind!«

Vollbrecht suchte sich zu vertheidigen, allein die erzürnte alte Dame befahl ihm zu schweigen.

»Wenn Sie nicht nachlässig wären,« schrie sie ihm zu, »so müßten Sie jetzt längst wissen, was ich weiß, und nicht hier im Schlafrock warten, bis die Neuigkeiten zu Ihnen kommen. Eben habe ich ihn gesehen, den Spieler und Verführer, und neben ihm ging der verlorene Sohn mit noch einigen Anderen von derselben Sorte. Alle Tage ist der Herr Hauptmann jetzt bei seinem Busenfreunde, und Abends leistet er der Frau Cousine Gesellschaft. Heute aber haben sie sie allein gelassen. In's französische Kaffeehaus sind sie hinein gegangen, ich habe es mit meinen Augen gesehen, und jetzt gehen Sie auf der Stelle, Vollbrecht, und sehen Sie zu, was Sie weiter erfahren können.«

Es war kein sehr angenehmes Wetter draußen; eben begann es dicht und fein zu regnen, aber Vollbrecht wagte keinen Einwand zu machen. Er zog geduldig seine Stiefeln an, fuhr eifrig mit den dürren und langen Händen in seinen blauen Frack, knöpfte den Paletot darüber und nahm den schlechtesten Hut vom Nagel.

Er hatte noch Nichts gegessen und machte eine sehnsüchtige Bemerkung, daß es spät werden könne, was jedoch nicht die geringsten Folgen hatte; dann griff er in seine Tasche und fand, daß außer einigen kleinen Geldstücken Nichts darin sei. An den Schreibtisch zu gehen, um diese Baarschaft zu vermehren, wagte er nicht, weil er fürchtete, daß es bemerkt werden möchte, und da Malchen die Kasse führte und er vom Anfang an gewöhnt worden war, ihr genaue Rechenschaft abzulegen, mußte er sich überhaupt bittend an seine Ehehälfte wenden.

Welche Sünden und Fehler aber die junge Frau an ihrem Manne zu rügen und zu rächen hatte, Verschwendung konnte sie ihm nicht vorwerfen; im Gegentheil war, wie sie ihm zugestand, Sparsamkeit neben pünktlichem Gehorsam seine einzige Tugend, die so weit ging, daß Malchen in nachsichtigen Minuten ihn sogar ermunterte, doch dann und wann Etwas für sein Vergnügen auszugeben, was er jedoch stets standhaft abschlug, weil ohne sein Malchen ihm doch Nichts schmecke.

Als Herr Vollbrecht auf die Straße trat, schlug ihm der kalte Regen entgegen. Er spannte seinen Schirm auf und ging langsam gegen den Wind an; den Schirm vor sich ausgestreckt, dachte er darüber angestrengt nach, welches die billigste Art sei, um in das französische Kaffeehaus zu gelangen. Er rechnete alle Biersorten durch, und von welcher er wohl das möglichst kleinste Fläschchen fordern könnte, oder ob er nicht lieber Jemand suchen oder Jemand erwarten könnte, ohne das Geringste zu verzehren; plötzlich aber fühlte er eine Hand auf seiner Schulter, und eine Stimme, welche er nicht verkennen konnte, sprach zu ihm:

»Kleiner Vollbrecht, da sind Sie ja. Vortrefflich, daß Sie in meine Hände fallen! Ich bin begierig darauf. Erzählen Sie mir, wie unsere Angelegenheit steht. Welche Aufträge hat Ihnen der alte Barbar gegeben?«

Herr Vollbrecht war durch diesen Ueberfall sehr erschreckt. Er hatte Nichts gesehen, Nichts gehört, wie Malchen es ihm so oft vorwarf; plötzlich stand der vor ihm, den er ausgegangen war zu suchen, wie Saul seines Vaters Eselin, als er ein Königreich fand.

»Bitte recht sehr, o bitte,« stotterte der kleine Mann, »es ist merkwürdig. Ich glaubte, Sie seien im französischen Kaffeehause, und ich –«

»Sie wollten uns dort auf Befehl Ihrer Schwiegermutter, der liebenswürdigen Frau Geheimsecretairin, aufsuchen,« fiel Grießfeld ein, »eben deswegen komme ich, um Ihnen keine unnützige Mühe zu machen. Es geht Alles mit richtigen Dingen zu,« fuhr er lachend fort. »Ich sah, daß die Frau Geheimsecretairin uns bemerkte und verfolgte, und dachte mir wohl, daß sie den getreuen Eckart ausschicken würde.«

»Vollbrecht, wenn ich bitten darf,« sagte der kleine Mann höflich.

»Richtig, Vollbrecht!« rief der Hauptmann, indem er ihn unter dem Arme faßte und sich mit dem gemeinsamen Schirme schützte. »Jetzt erzählen Sie.«

»Ich soll zusehen,« sagte Vollbrecht flüsternd, »wie es mit den Geldverhältnissen seines Sohnes steht, laufende Wechsel, Schulden und so weiter.«

»Und wie steht es damit?«

»Immer noch so leidlich. Es laufen viele Wechsel auf ihn, aber er wird sie decken können.«

»Wer weiß!« erwiederte Grießfeld. »Was sollen Sie weiter thun?«

»Ehe – ja so, o eigentlich weiter Nichts,« antwortete Vollbrecht.

»Das ist nicht wahr!« entgegnete der Hauptmann. »Sie sollen spioniren, was ich thue und treibe, sollen zu erfahren suchen, wie ich mit Eduard stehe, wozu ich ihn verführe!«

»Was Sie Alles wissen!« rief Vollbrecht. »Ja freilich, allerdings, das soll ich, und er hat mir versprochen, es sollte mein Schaden nicht sein.«

»Gut!« sagte Grießfeld nach einigen Augenblicken. »Sie sollen Ihr Geld verdienen, kleiner Vollbrecht; Sie sollen Ohren- und Augenzeuge sein, was ich mit Ihrem lustigen Vetter vornehme, und sollen dem alten Geizhalse eine prächtige Beschreibung liefern können, wie sein vom Lichte der Aufklärung durchdrungener Sprößling arbeitet, um den irdischen Mammon los zu werden. Geben Sie genau Acht, was ich Ihnen sage, denn darauf kommt es an, ob Sie der Erbe sein werden oder er. Verstehen Sie mich?«

»Jede Sylbe, jeden Laut,« flüsterte Vollbrecht in äußerster Erwartung.

»Ich führe Sie in meine Wohnung,« fuhr der Hauptmann fort, »und werde Sie in ein Cabinet stecken, durch dessen Scheibenthüre Sie Alles sehen können, was vorgeht. Zur rechten Zeit werde ich Sie daraus entlassen, verlassen Sie sich darauf. Morgen früh eilen Sie zu Ihrem großmüthigen Wohlthäter. Erzählen Sie ihm, daß Sie mit Hilfe meines Bedienten, den Sie bestochen haben, uns belauschten, und schildern Sie ihm, was Ihre Augen Grauenhaftes entdeckten. Sie haben ihm doch heute wiederholt, daß ich ein schlechtes, mit Lastern bedecktes Wesen bin?«

»O,« stotterte Vollbrecht, »bitte, bitte!«

»Und haben ihm mitgetheilt, was sein Sohn und Erbe auf der Straße an löblichen Ansichten und Hoffnungen über Vater und Erbschaft äußerte?«

»Nein, nein,« flüsterte Vollbrecht, »ich habe es nicht über's Herz bringen können, denn glauben Sie mir, der alte Mann grämt sich mehr, als er sich merken läßt.«

»Sie tugendhafte Seele! Sie – pecus campi, wie die alten würdigen Römer ihre geistreichen Mitbürger nannten,« sagte Grießfeld lachend. »Wenn Sie der glückliche Erbe wirklich sein wollen, kleiner Vollbrecht, so muß sich ja dieser alte Gauner bis auf's Mark grämen. Einen anderen Weg giebt es nicht, um Sie zum reichen Manne zu machen. Wollen Sie oder nicht?«

»Alles, bester Herr Hauptmann, Alles!« rief Vollbrecht erschrocken.

»Haben Sie Ihren Weibern zu Hause auch keine Sylbe verrathen.«

»Nichts, nicht eine Sylbe.«

»So seien Sie kein Schwachkopf, oder es ist vorbei mit uns. Ich garantire Ihnen dafür, daß Eckhoff seinen Sohn, den Dornbusch, bald ganz aus seinem Herzen reißt und Sie, die süße Rose, sammt den zärtlichen Rosenstöcken dafür einsetzt; doch wer gewinnen will, muß kühn und unerschrocken sein. Hüten Sie sich, die Weiber einzumischen, auf mich muß der allgemeine Fluch fallen, und obwohl es hart ist, daß das herrliche Malchen und ihre ehrwürdige Mutter mich tief verachten sollen, so will ich es doch Ihretwegen tragen, kleiner Vollbrecht, weil ich es mir in den Kopf gesetzt habe, Sie zu einem reichen Erben zu machen.«

Mit solchen Reden führte er ihn weiter, und endlich erreichten sie die Wohnung des Hauptmanns, der ihn durch einen Gang in eine schmale Kammer schob und die Thüre zuschloß, ohne ein Wort weiter zu sprechen, denn eben ließen sich draußen mehrere Stimmen hören.

Naß und zitternd stand der unglückliche Commissionair eine Zeit lang in dem dunklen Raume, ohne sich zu rühren, auf jeden Ton lauschend und nicht wagend, seinen Platz aufzugeben, weil ihm allerlei fürchterliche Ahnungen vorschwebten. Wenn er verrathen wäre, wenn der schreckliche Mensch ihn hier eingesperrt hätte, um ihn zu Spott und Schanden zu machen, wenn er entdeckt und erkannt würde, was sollte aus ihm werden!

Nach und nach steigerte sich seine Angst so sehr, daß er im Begriff war, nach Hilfe zu rufen, als plötzlich ein Lichtschein in sein Gefängniß fiel und neue Hoffnung in seine Seele brachte. Er erblickte eine Glasthüre, die in ein schönes geschmücktes Zimmer führte; er sah umher und bemerkte, daß er in ein leeres kleines Kabinet gesperrt war, in welchem nicht einmal ein Stuhl sich befand.

Gelächter und laute Stimmen ließen sich aus einem Nebenzimmer hören, in dem großen Salon vor ihm aber deckten zwei Diener eine Tafel und munterten sich gegenseitig zur Eile auf, da die Herren beisammen seien und der Koch die Schüsseln gebracht habe. Gleichsam zur Bekräftigung ihrer letzten Bemerkungen verbreitete sich ein lieblicher Geruch, welchen Herr Vollbrecht mit weit geöffneten Nasenflügeln begierig einsog.

Er war äußerst hungrig geworden, und wie wurden erst seine fleischlichen Begierden gereizt, als er hinter der Gardine mit verhaltenem Athem stehend lauschend zusah, wie Speisen mannichfacher Art auf die Tafel gesetzt wurden, die Diener Gläser und Flaschen mit verschiedenen Weinen gefüllt brachten und vertheilten, bis zuletzt der Hauptmann hereintrat, den Tisch betrachtete, einige Aenderungen vornehmen ließ und dann anzurichten befahl.

Herr Vollbrecht hatte den kühnen Gedanken gefaßt, leise anzuklopfen und um einige, wenn auch noch so geringe Speise und Trank zu bitten, denn der Durst plagte ihn noch schärfer als sein Hunger, doch eben wie er den Finger aufhob und die Gardine ein wenig zur Seite schob, kamen die Gäste lachend und schreiend herein, so daß er in höchster Eile den Vorhang fallen ließ und zurücksprang.

Es waren wohl ein Dutzend Herren beisammen, einige jung, andere alt, von dem verschiedensten Aussehen, mager und fett, mit geraden und krummen Nasen, alle aber gehörten, wie es schien, denjenigen Klassen der Gesellschaft an, die nicht zu arbeiten nöthig haben, um zu leben. Ihre Kleidung, ihre Art zu sprechen und sich zu bewegen, ihre Lobsprüche über die Weine und Speisen, ihre ungezwungenen Scherze, wie ihre Urtheile, Alles zeigte an, daß sie gewohnt seien in solcher Weise zu leben und sich zu belustigen.

Herr Vollbrecht drückte sich in eine Ecke, preßte mit beiden Armen seinen Magen zusammen und sah durch einen schmalen Spalt über den ganzen Tisch fort. Da saß sein leichtsinniger Vetter Eduard ihm gerade gegenüber; er konnte jede Miene, jede Augenwimper erkennen, und wie er lachte und lebhaft rechts und links erzählte, wie er Braten und Pasteten verschlang und Glas auf Glas leerte, stieg der rechtschaffene Ingrimm immer höher in Vollbrecht's Brust und Hals bis in den Kopf.

Sein eigener Hals war so trocken wie ein Brunnen der Wüste, seine Zunge klebte am Gaumen fest, und seine Eingeweide kehrten sich um vor Jammer und Elend; dort aber saß er, der Bösewicht, der Verschwender, mitten in Völlerei und Schwelgerei, ohne an seinen alten Vater zu denken, der zu Hause kummervoll sein Stück Brot verzehrte und sein Glas Hausbier dazu trank. –

Die einladenden Düfte, welche ihren Weg in das kleine Cabinet fanden, machten Vollbrecht mit jeder Viertelstunde rachsüchtiger, und diese Mahlzeit wollte nicht enden; immer neue köstliche Gerichte wurden gebracht, dazu knallten die Champagnerpfropfen, und immer lauter und lärmender wurden die Gäste. Sie erzählten Anekdoten und skandalöse lächerliche Geschichten, sie zerbrachen Gläser und stürzten deren köstlichen Inhalt um, so daß Herr Vollbrecht heimlich die Hände zusammenkrampfte, indem er den Schaden berechnete, endlich aber goß sein ungeschickter Vetter sogar eine ganze Flasche über den Tisch, und diese Heldenthat wurde mit allgemeinem Beifallklatschen und Bravogeschrei belohnt.

»Er kann die Zeit nicht erwarten!« schrie ein Herr mit vornehmem Gesicht, der neben Eduard saß, indem er diesem vertraulich auf die Schulter schlug.

»Sie haben Recht, Baron,« lachte Eduard, »ich bin ungeduldig, Ihnen Genugthuung zu geben.«

»Er hat zu viel Glück,« fiel ein anderer Herr ein, der auf der anderen Seite saß. »Laß zur Messe, zur Messe läuten, Hauptmann.«

Die Stühle wurden zurückgestoßen, Alle standen auf und schrieen:

»Zur Messe, zur Messe! und nach den heiligen Büchern der Könige!« wodurch Herr Vollbrecht in ein starrendes Erstaunen versetzt wurde. Er hatte von heimlichen Sectirern gehört, von katholischen Bekehrern, von Muckern und Methodisten, und einige Minuten lang war er in voller Sinnesverwirrung darüber, was er vor seinen Augen erleben würde, allein er sollte nicht lange in Zweifel bleiben.

»Wir müssen heute hier unsern Gottesdienst halten, da die Gemeinde ungewöhnlich zahlreich ist,« sagte Grießfeld. »Ich werde sogleich die Kapelle errichten lassen, inzwischen mögen die verehrten Mitglieder die Weihrauchkerzen anzünden.«

Die Bedienten räumten eilig den Tisch ab, der gottselige Wirth aber bot ein schwarzes Kästchen umher, aus welchem der größte Theil der Anwesenden eine Weihrauchkerze nahm, welche bald ihren bläulichen Duft aufringeln ließen und dem armen kleinen Mann in der Kammer neue Qualen bereiteten.

Er hatte wenige Leidenschaften in dieser Welt zu überwinden, denn er war genügsam und mäßig in allen seinen Ansprüchen, aber eine gute Cigarre gehörte zu seinen höchsten Lebensfreuden. Und dort stand ein ganzer Kasten gefüllt mit den besten; der satanische Hauptmann hatte ihn offen auf den kleinen Tisch gestellt, welcher vorsichtig die Thüre zum Cabinette verbarrikadirte, und der nichtsnutzige Vetter Eduard warf mehrere dieser edlen köstlichen Glimmstengel in den Winkel, weil sie ihm nicht gut genug scheinen mochten.

Bei diesem Anblicke fühlte Vollbrecht eine solche Wuth wider ihn in seiner Brust, daß er seine geballte Faust aus dem Winkel hervor gegen die Scheiben streckte und den Schwur that, von jetzt ab wolle er nicht das geringste Mitleiden mehr mit ihm haben. Ein einziger Griff durch die dünne Glastafel hätte ihn in Besitz des Kästchens gesetzt; er würde dann geduldig sein Geschick ertragen haben, aber ach! es war unmöglich, und vor Müdigkeit, Hunger, Durst und Aerger drückte Herr Vollbrecht die Augen fest zu und murmelte seufzend in sich hinein:

»Wenn ich doch bei meinem Malchen wäre! Möchte sie mich ausschelten so viel sie wollte, möchte sie mich stoßen, kratzen, puffen, keinen Schritt thäte ich mehr, nicht einen Schritt, und wenn sie mir die Ohren abrisse!«

Herr Vollbrecht machte jedoch Augen und Ohren weit auf, als er einen Klang vernahm, bei dem ihm zu Muthe ward, wie dem Schlachtrosse, wenn es die Trompete hört. Er hörte Gold klingen, und bald hatte er alle Noth, alle Müdigkeit, seinen Magen und selbst die Cigarrensehnsucht vergessen, denn vor ihm entwickelte sich eine Scene, welche ihn auf's Lebhafteste beschäftigte.

Die Tafel in der Mitte war zu einer Spielbank umgewandelt. Ein Roulette war dort aufgestellt. Der Nachbar Eduard's, der Baron, hielt Bank. Aus einem glänzenden Kasten, den der Hauptmann herbeibrachte und aufschloß, schüttete er einen Goldhaufen vor sich aus. Auch die Umstehenden und Sitzenden zogen Gold und Papiere hervor, und Vollbrecht sah deutlich, wie Eduard sein Taschenbuch öffnete und eine ganze Hand voll großer Kassenscheine herausnahm, die er neben seine Börse legte.

Unverwandt verfolgte Vollbrecht jetzt das Spiel, seine gierigen Augen bald da-, bald dorthin richtend; zumeist aber sah er auf seinen Vetter, und nie war sein Neid größer als damals, wo der Goldberg immer höher wuchs, den Eduard vor sich anhäufte. –

»Ist es denn möglich?« flüsterte er. »Er gewinnt ihnen ihr Geld ab und lacht sie aus. Faßt ihn! fangt ihn! rupft ihn! saugt ihn aus, wie die Spinne die Fliege! er darf nicht gewinnen. Wenn es noch eine Gerechtigkeit im Himmel giebt, muß er wie ein Bettler nach Hause gehen!«

Und diese Gerechtigkeit kam, es war, als hätte sie Vollbrecht's inniges Gebet aufgeweckt. Der Goldhaufen verschwand vor dem Glücklichen, die Kassenscheine wanderten über den Tisch, dann wurden ihm Vorschüsse gemacht, er spielte mit Zetteln, auf welche er seine Einsätze schrieb. Zuerst lachten die Herren über sein Unglück, und er lachte mit, dann bedauerten sie ihn, und er lachte gezwungen; endlich nannten sie es unerhört, und er lachte erbittert auf.

Grießfeld bat ihn, heute nicht weiter zu spielen, er hörte nicht darauf; wie ein Rasender verdoppelte er seine Sätze, bis er zuletzt, dunkelroth bis unter das Stirnhaar, seine Brieftasche einsteckte, sich in einen Stuhl warf und mit erzwungener Ruhe erklärte, er habe genug für dies Mal.

»Wir Alle haben genug!« rief Grießfeld. »Mach's ein ander Mal besser, Eckhoff. Was zum Henker! Du siehst verdrießlich aus.«

»Ich wüßte nicht,« erwiederte Eduard mit einem langen starren Blick, »warum ich fröhlich sein sollte.«

»Es ist ja eine Lumperei,« lachte der Hauptmann ihn umarmend. »Der Sohn vom alten Eckhoff kann dergleichen ein Paar Dutzend Male vertragen.«

Während des allgemeinen Gelächters erheiterte sich das Gesicht des jungen Mannes. Er stimmte ein und strich sich die Falten vom Gesicht.

»Ein ander Mal mehr Glück!« rief er seine Uhr ziehend.

»Halt!« schrie Grießfeld, »Du darfst noch nicht fort; erst abgekühlt und den Schlaftrunk eingenommen. Franz, bringe die Bowle in Eis!«

Der Diener, welcher den Befehl schon erwartet hatte, brachte eine große Krystallschale, die von der Gesellschaft mit einem Hurrah empfangen wurde; eben jedoch, als Herr Vollbrecht sich die vertrockneten Lippen abwischte und in den süßesten Vorstellungen schwärmte, wie dieser unbekannte Göttertrank schmecken müsse, wurde die Thüre des Ausganges leise geöffnet, und eine Hand packte ihn an der Schulter. Zusammenfahrend erblickte er den Hauptmann, doch ehe er einen Laut von sich geben konnte, war er draußen an der Treppe und wurde diese hinunter geführt.

»Fünf tausend Thaler hat er verloren,« flüsterte Grießfeld. »Vorwärts, kleiner Vollbrecht, machen Sie Ihre Sache gut.« –

Bei den letzten Worten war Vollbrecht auf der Straße, über ihm in dem hellen Zimmer klangen die Gläser, um ihn tobten Wind und Regen.

»Mein Schirm!« schrie er kläglich durch's Schlüsselloch, »o bitte, bitte recht sehr, mein Schirm!« –

Es hörte ihn aber Niemand, und nach einigen vergeblichen Versuchen schlug er schaudernd den alten Paletot um den Kopf und eilte nach Hause. Naß bis auf die Haut kam er an. Malchen mußte aus dem Bette, um ihn einzulassen; er hatte einen schlimmen Empfang.


V.

Der alte Eckhoff wohnte seit einem Monate in dem Häuschen, in welchem er sein Vermögen erworben hatte, und noch hatte sich Nichts in den Verhältnissen zu seinem Sohne geändert. Beide begrüßten sich kalt, wenn sie zusammentrafen, vermieden dies jedoch so viel sie konnten, und Jeder that, als bemerkte er von des Anderen Thun und Treiben gar Nichts. Nur einmal, bald nach jener Nacht, die Herr Vollbrecht so schauerlich verlebt, war es zu einer Art Erklärung gekommen, welche ziemlich friedlich endigte. Eduard nahm eine Gelegenheit wahr, seinem Vater einige freundliche Worte zu sagen, die als Einleitung zu einem Verständnisse dienen sollten; der Alte aber brach kurz ab und sagte ohne Heftigkeit, doch sehr bestimmt:

»Laß es gut sein, wie die Sachen liegen zwischen uns, so sollen sie bleiben. Du hast meinen Rath nicht gehört, willst Deinen Weg gehen, so gehe ihn denn.«

Der Sohn zuckte die Achseln.

»Dein Rath wird mir immer willkommen sein,« erwiederte er, »ich weiß ihn zu schätzen, aber Du hast Vorurtheile gegen mich, die mich auf's Tiefste betrüben, und was Clärchen betrifft –

»So!« rief der alte Mann dazwischen, »also Vorurtheile!«

»Was Clärchen betrifft, so bist Du hart und grausam gegen sie.«

»Es wird sich zeigen, wer Recht hat,« fiel der Vater ein. »Gewiß ist, daß ich zu alt geworden bin, um mich noch zu ändern.«

Der Sohn wollte auch Nichts ändern, er wollte die väterliche Bevormundung in keiner Weise wieder zurück haben, allein er wollte seinen Vater aussöhnen, denn er sah immer deutlicher, daß er ihn brauche.

»Bei alledem,« sagte er, »können wir ja doch freundlich beisammen stehen; wer stände mir denn näher als Du in der Welt? Was sollen die Leute denken, wenn Du Dich von uns zurückziehst?«

»Es geht nicht,« antwortete der alte Mann, den grauen Kopf schüttelnd, »Du mußt es einsehen, daß es nicht geht. Mein Leben und Dein Leben haben sich getrennt, Gott weiß es, wie sie sich wieder zusammen finden sollen.«

»Wir müssen nur Nachsicht üben und nicht wollen, daß alle Anderen so sein sollen, wie wir selbst,« sagte Eduard lächelnd.

»Es ist richtig,« versetzte der alte Mann, »allein ein Vater will doch immer, daß sein Sohn nach ihm arte. Wenn der Vater ein schlechter Kerl oder ein Dieb ist, möcht' er, daß sein Sohn ihn noch überträfe, wenn er aber in Fleiß und Ehrbarkeit alt wurde, kann er es nimmer ansehen, wenn sein Sohn ein liederliches Leben führt.«

»Was man so nennt, indem man es von seinem Standpunkte betrachtet, ist es oft nicht,« antwortete Eduard empfindlich. »Man muß sein Leben auch genießen, wenn man arbeitet, und sich nach seinem Stande und seinen Verhältnissen benehmen.«

»Thust Du das?« fragte der alte Mann.

Die dunkle Röthe kehrte in Eduard's Gesicht zurück.

»Es ist leider wahr,« sagte er, »daß unsere Ansichten darüber sehr verschieden sind.«

»Nun,« fiel der Vater ein, »Jeder muß schlafen, wie er sich bettet, Du hast Dich von mir los gemacht; mach's gut, so wird's gut. Meine Meinung kennst Du.«

 

Als er einige Tage darauf Abends allein war, kam Herr Vollbrecht zu ihm, mit mancherlei neuen Nachrichten vollgestopft. Er mußte sich zu ihm setzen und erzählen, und ohne eine Miene zu ändern hörte der Alte zu, obwohl, was er hörte, ihm nahe gehen mußte.

»Die fünftausend Thaler sind richtig bezahlt, die er verloren hat,« sagte der Kundschafter, »aber gestern sind sie wieder beisammen gewesen, und es wird nicht viel weniger sein, was er dies Mal sitzen ließ.«

»Ich kann's denken,« antwortete Eckhoff.

»Und dies Mal,« fuhr Herr Vollbrecht fort, indem er seine Augen zusammenkniff, »wird es etwas schwieriger werden. Es laufen viele Wechsel auf ihn, ich glaube es nicht, daß er sich halten kann.«

»Ich glaube es auch nicht,« sagte der Alte.

»Heute Mittag, wie ich nach Hause wollte, kam er mir entgegen und hatte ein Anliegen,« flüsterte Vollbrecht, mit einem eigenthümlichen Grinsen seinen Kragen anfassend. »Er wäre in einer augenblicklichen Klemme, – Sie können schon denken.«

»Kann's denken,« antwortete der Alte. »Wie viel?«

»Drei Tausend auf eine Woche,« sagte Vollbrecht. »Dreihundert Thaler Provision, wenn ich's machen könnte.«

»So weit ist er schon?« murmelte Eckhoff. »Hast Du es gemacht?«

»Gott soll mich behüten!« rief Vollbrecht erschrocken. »Keinen Pfennig, wenn Sie es nicht befehlen.«

»Dreitausend Peitschenhiebe müßt' ich bekommen,« erwiederte der Alte.

»Wie wird's denn aber enden?« fiel Vollbrecht seufzend ein. »Er kann es keine vierzehn Tage mehr halten, ohne daß die ganze Stadt erfährt, wie es mit ihm steht. Sein Credit hat schon einen Stoß bekommen, seitdem man weiß, daß Sie ganz aus dem Geschäft sind. Dazu kommt der große Luxus, den er treibt, und die Bekanntschaften, die ihm keine Ehre bringen. Es ist jetzt fast alle Tage Gesellschaft da vorn, und der Herr Hauptmann hat eine ganze Compagnie guter Freunde in's Haus gebracht. Das giebt natürlich Nachrede.«

»Giebt Nachrede,« wiederholte Eckhoff vor sich hin.

»Du lieber Gott!« lispelte Herr Vollbrecht, seine Haare fest streichend, »es ist eine junge hübsche Frau, und dieser Vetter ist auch jung. Einen Bart hat er, so schwarz wie Ebenholz.«

»Du bist ein Narr, wenn Du nicht mehr bist!« rief der alte Mann, indem er aufstand und einen so wilden Blick auf seinen Spion warf, daß dieser vor Schreck den Hut aus seinen Fingern fallen ließ.

Der Gedanke, den Vollbrecht aufgeweckt hatte, war ihm noch nie gekommen. Zu der Schande und dem Kummer, die er um seinen Sohn trug, gesellte sich jetzt plötzlich noch eine andere Empfindung, die eine fürchterliche Wuth in ihm erregte. Der rothe dicke Kopf schwoll auf. Die Falten an den starken Backenmuskeln spannten sich bläulich aus. Er drückte beide Fäuste zusammen vor der Schmach, die man seinem Sohne nachsagte.

Was in ihm weiter vorging, ließ er nicht laut werden, aber nachdem er einige Augenblicke nachgedacht, redete er Vollbrecht wieder an, der sich ängstlich zurückgezogen hatte.

»Weibergeschwätz und Lügen!« sagte er. »Komm mir keiner damit, ich will's ihm anstreichen. Es ist meines Sohnes Ehefrau, damit ist's genug. Jetzt geh'! Geld gebe ich keinen Groschen weder für ihn noch für sie, aber ihre Ehre soll Keiner schänden, so lange sie meinen Namen trägt.«

Herr Vollbrecht machte sich davon, und länger als eine Stunde ging der alte Mann auf und ab, seine Hände auf den Rücken gelegt, seinen Kopf auf die Brust hängend, während er kein lautes Wort sprach. Die kleine Schirmlampe hüllte ihn in Schatten, aber dann und wann blieb er bei ihr stehen, und ihr rothes trübes Licht beleuchtete seine grauen Haare und seine blitzenden, mit Zorn und Kummer gefüllten Augen.

»Er ist doch mein Kind,« murmelte er endlich vor sich hin, »und mein Kind wird er bleiben; ich kann's nicht abschütteln und abstreifen, hier sitzt es, hier!«

Indem er eine Hand auf seine Brust legte, trat er an das Fenster und sah zu dem dunklen Nachthimmel auf.

»Da reißt es keine Macht heraus!« schrie er aus seinem Schweigen. – »Was hat der König David von seinem Sohne Absalom erfahren, und als er vor ihm lag, rief er dennoch: ›Mein Sohn, mein Sohn, wollte Gott, daß ich für Dich sterben müßte!‹«

Seine Stimme war in's Zittern gekommen, er wischte mit der verkehrten Hand über seine Augen fort und stand lange still, indem er nach dem Hause hinüber blickte, wo sein Sohn wohnte. – Es schien heute kein Besuch dort zu sein, denn Alles war dunkel, nur in dem Zimmer, wo, wie er wußte, das Kind schlief, flimmerte es matt hinter den Vorhängen.

Der Strahl der Liebe, welcher in des einsamen Greises Brust gefallen war, klammerte sich an diesem matten Schimmer fest und führte seine Gedanken zu dem Lager seines Enkels. Es war ein kränkelndes schwaches Kind, aber er hatte es lieb gehabt und hatte es dennoch von sich gewiesen. Nun seit Wochen war die Wärterin nicht mehr gekommen, dabei war das Wetter rauh und kalt, er hatte den Knaben nicht mehr gesehen. Jetzt erinnerte er sich, wie er die Aermchen nach ihm ausgestreckt, und wie er ihn angelacht, und um dieses unschuldigen Kindes willen kam ein weiches wehmuthsvolles Gefühl über ihn. –

»Das Weib taugt Nichts,« murmelte er, »seine Hoffahrt ist ohne Grenzen, es ist Nichts als Eitelkeit und Hochmuth darin; aber das Kind ist Blut von meinem Blut, und wenn Eduard sich nicht an sie gehangen hätte, wäre er unverdorben geblieben. Sonst war er fleißig und mit dem einfachen Leben zufrieden, sie hat ihn dem Hochmuthsteufel verkauft.

Es ist doch sonderbar!« murmelte er dann, indem er zurücktrat und wieder auf- und abging, »ich kann sie nicht leiden, und doch hat sie mir Nichts zu Leide gethan. Ich habe wohl gemerkt, daß sie oft die Schuld auf sich nahm, wo es Eduard's Schuld war. Immer wollte sie mir um den Bart gehen, mir schmeicheln und heucheln. Weil sie meinte, ihr könnte ich doch Nichts sagen, darum that sie es, hinterher lachte sie mich aus. –

Aber ich habe sie niemals angehört,« fuhr er in seinem Selbstgespräche fort, »ich hab's ihr mit Bitterkeit vergolten, daß sie mir aufgedrungen wurde. Es ist wohl Unrecht, es mag wohl so sein, denn seine Frau ist sie doch. Wenn sie ihm anhängt und Nichts auf ihn kommen lassen will, so thun's nicht alle Frauen so, und um ihr Kind hat sie Sorge, sitzt wohl an seinem Lager jetzt. –

Weiß es Gott, ob sie alle Schuld trägt,« sagte er still stehend, »ob sie weiß, was er treibt, wohin es mit ihm gekommen ist!«

Plötzlich ging er an die Kammerthüre, nahm den grauen dicken Rock vom Nagel und zog ihn an, dann ging er wieder hin und her, bis er nach der Mütze griff, sie wieder aufhängte, endlich aber sie doch nahm und, nachdem er zwei Mal umgekehrt war, zuletzt entschlossen hinausging.

»Ich will mit ihr reden, wenn's so sein kann,« sagte er in sich hinein, als er über den Hof schritt, »doch ganz allein muß ich sie treffen, Niemand darf es wissen. Es ist doch möglich, daß es gut thut.«

Mit diesem Entschlusse stieg er die Treppe hinauf, nachdem er sich überzeugt hatte, daß in dem Wohnzimmer Licht sei. Den Schlüssel zu der Thüre am Corridor trug er noch in der Tasche, früher war er immer mit dessen Hilfe hier eingetreten, so oft es ihm beliebte. Leise schloß er auf, ging geräuschlos über die Dielen, die mit einer dichten Strohmatte belegt waren, und stand horchend an der Thüre still, durch welche ein Gemurmel von Stimmen drang.

Nach einigen Augenblicken beugte sich der alte Mann zu dem Schlüsselloche herab, doch sogleich hob er den Kopf so jäh wieder auf, als habe er etwas Entsetzliches gesehen. Seine Arme und Beine strafften sich, er ballte die Fäuste und hob sie auf, als wollte er einen fürchterlichen Schlag gegen die Thüre thun, allein mitten darin hielt er inne, und sich nochmals niederbeugend, blieb er längere Zeit mit dem Auge an dem Schlüsselloche.

Er hatte sich nicht getäuscht, es war dasselbe Bild, dieselben Personen, dieselbe vernichtende Schmach und Schande, vor der sich noch vor wenigen Stunden sein ganzer Stolz und sein Rechtsgefühl aufgebäumt hatten. Seine Schwiegertochter saß vor ihm, er sah nicht ihr Gesicht, denn sie hielt dies von ihm abgekehrt, aber er sah dafür das Gesicht des Hauptmanns Grießfeld, der ihre Hände in seinen Händen hielt, diese Hände zärtlich drückte und küßte und sie mit Blicken betrachtete, vor denen sich das Herz des alten Mannes mit Blut bis zum Zerspringen füllte.

Was sie verhandelten, hörte er nicht, Beide sprachen so flüsternd sacht, daß kaum ein Ton zu ihm drang. Aber was sie sprachen, war doch nimmer zu verkennen; jede Miene, jede Bewegung des schändlichen falschen Mannes drückte es deutlich aus. Und jetzt ergriff sie seine Finger, wie betend oder anbetend hielt sie diese in ihren Fingern und beugte sich zu ihm nieder, daß er sie mit seinen Armen besser umfassen konnte.

Alle Adern des alten Mannes schwollen auf, seine Augen traten glühend hervor, als müßte die Thüre in Flammen und Asche vergeben, dennoch aber unternahm er Nichts; denn seine Arme sanken nieder, und mit der Selbstbeherrschung, die überwiegende Verstandesthätigkeit so oft schon in seinem Leben über die aufbrausende Leidenschaft gestellt, drehte er sich um und verließ eben so leise den Corridor, wie er dahin gekommen war.


VI.

Das häusliche Glück Eduard's und seiner jungen Frau war während der Vorgänge, die in den letzten Monaten stattgefunden, stets sichtlicher untergraben worden. Das Auge des Vaters war für den lebhaften, zu allerlei Leidenschaften und Thorheiten geneigten Mann immer noch ein Hinderniß gewesen, das ihn abhielt, sich seinen Neigungen ganz zu überlassen, als jedoch der Bruch erfolgt war, gab es keine Aufsicht mehr für ihn, denn die sanfte Zärtlichkeit seiner Gattin, ihre Scheu, ihm wehe zu thun, und ihr eingeschlagener Weg, ihn ohne bestimmten Widerspruch durch Bitten und Vorstellungen zu gewinnen und durch die Zeichen ihrer innigsten Liebe zu fesseln, scheiterten an dem Einflusse, den Grießfeld über ihn erlangt hatte.

Von dem Tage ab, wo ihrer Bitten ungeachtet der Hauptmann ihr Haus betreten hatte, fühlte Clara, daß eine fremde Hand sich zwischen sie und ihren Gatten legte, und mit wachsendem Kummer, den sie in ihrem Herzen verschloß, empfand sie, daß Eduard sich weiter und weiter von ihr entfernte. Sie erwartete ihn nicht mehr, wenn er spät in der Nacht nach Hause kam, denn er hatte sich in sehr bestimmter Art das »Aufpassen« verbeten.

Er wurde empfindlich und heftig, als er einige Male bemerkte, daß Clara rothe trübe Augen hatte. Sie sollte nicht weinen, sie hatte keine Ursache dazu; sie sollte fröhlich und sorglos sein, denn er selbst war froh, wenigstens gab er sich dies Ansehen, und eine Zeit lang mochte er auch Nichts erkennen, was ihn traurig stimmen konnte. Seine Geschäfte gingen ihren Gang, er kümmerte sich nicht allzu viel darum; er konnte sich nach der Sprache der Kaufleute Geld machen, d. h. er besaß Hilfsquellen genug, um eintretende Ausgaben zu decken, und da er wie alle Leichtsinnige sich günstige Combinationen zusammenstellte, auf günstige Umstände rechnete, seine Ausgaben gering anschlug, seine Verschwendungen mit seinen eingebildeten Mitteln beschönigte und sich vor sich selbst damit rechtfertigte, daß er reich genug sei, um zu thun, was viele Andere thäten, so blieb er so lange im Irrthum über seine Lage, bis die Verlegenheiten wachsend auf ihn eindrangen.

Jetzt hatte er bedeutende Zahlungen zu machen, welche gemacht werden mußten, allein von mehreren Seiten, wo er sonst leicht Credit gefunden, wurde ihm dieser unter höflichen Entschuldigungen abgeschlagen. Ein Mißtrauen war über ihn entstanden, allerlei Gerüchte hatten es hervorgerufen; wer diese verbreitet hatte, wußte Niemand, doch was er vor aller Welt verborgen meinte, war in vieler Leute Mund. Seine Verschwendungen, sein glänzender Haushalt, sein Bruch mit dem alten Vater, die Vernachlässigung seiner Geschäfte, und endlich das Schlimmste von Allem, seine Ausschweifungen, die noch größer gemacht wurden, als sie waren, gaben Stoff zu vertrauten Mittheilungen, die ihm schaden mußten.

Die Menschen, mit denen er umging, und welche seine Freunde waren, wurden von den Kreisen, in denen er Achtung haben sollte, mit Geringschätzung betrachtet und verabscheut. Daß er sich zu ihnen gesellte, war der beste Grund, um ihn für verloren und ruinirt zu halten, vielleicht hätte selbst eine schnelle Umkehr ihn nicht mehr gerettet, allein er dachte daran am wenigsten.

Beim Spiel hatte er Anfangs bedeutend gewonnen, dann noch weit mehr verloren, und wie es immer geht, war die geweckte Leidenschaft bis zu der erbitterten Hartnäckigkeit gesteigert, den Verlust gut zu machen und das Glück zu zwingen, ihm sich wieder zuzuwenden. Das Glück reicht aber wohl dem Versinkenden dann und wann einen Strohhalm, doch nur um ihn um so tiefer fallen zu lassen; selten hebt es Einen aus dem Abgrunde und schickt ihn gebessert nach Hause.

Eduard nahm zuweilen eine ziemlich bedeutende Summe vom Spieltische mit sich fort, allein sie half ihm zu Nichts, als um noch mehr lüstern zu werden. Dann war er im Hause gesprächig, fröhlich, zärtlich und bereit zu den prächtigsten Geschenken und zu neuen Verschwendungen. Er lachte und scherzte, wenn Clara ihre Bitten erneuete, leugnete auf's Entschiedenste, daß er hoch spiele, und beantwortete ihre Warnungen vor Grießfeld mit Späßen, die ihr den Mund schlossen.

In der Nacht, welche jenem Abend folgte, an welchem der alte Eckhoff seine Schwiegertochter überrascht hatte, kam er spät nach Hause, und am nächsten Morgen fand ihn Clara zum ersten Male so düster und unruhig, wie sie ihn noch nicht gesehen. Er kam aus dem Comptoir zurück, wohin ihn sein Buchhalter gerufen, setzte sich an seinen Schreibtisch, blätterte in Büchern und Papieren, warf sie bald wieder fort und saß nun stumm, die Arme verschränkt und mit starren Mienen in dem Sessel, dann und wann einzelne halblaute heftige Worte vor sich hin sprechend. Plötzlich fühlte er eine Hand auf seiner Schulter, vor der er zusammenfuhr, seine Frau stand neben ihm.

»Ah, Du bist es!« rief er mit erzwungener Freundlichkeit. »Du siehst blaß aus, fehlt Dir Etwas, mein Clärchen?«

»Mir Nichts,« sagte sie, »aber Dir, Eduard.«

»Nein,« antwortete er rasch. »Das Wetter wird endlich gut. Wie geht es dem Kinde?«

»Willst Du es sehen?« fragte sie.

»Jetzt nicht. Ich muß fort, aber es freut mich, Du liebst den Jungen mehr wie ich.«

»Soll ich ihn nicht lieben? Er sieht Dir so ähnlich, hat Deine Augen, Deinen Mund, und heute rief er zum ersten Male Papa!«

Unruhig fuhr der junge Mann mit der Hand über die Stirn, als wollte er sein Gesicht zudecken. So stand er einige Augenblicke, dann drehte er sich um.

»Du bist sehr aufgeregt, lieber Eduard,« sagte sie ihm nachfolgend.

»Ich, nein!« antwortete er, sich weiter entfernend.

»Kannst Du es mir nicht sagen, was Dich quält?« fragte sie bittend.

»Laß mich! Laß mich!« rief er heftig. »Du kannst mir nicht helfen,« setzte er versöhnlicher hinzu.

Sie schwieg eine Minute lang und stand still.

»Helfen,« flüsterte sie kaum hörbar, »ach nein! Das kann ich nicht, aber mit Dir tragen, Dich trösten, Dich lieben, das kann ich.«

»Sei nicht thöricht,« rief er sich umwendend und sein Gesicht zur Freundlichkeit zwingend, »Du siehst so kläglich aus, als wäre es schon um mich geschehen. Ich bin in Geldverlegenheit. Morgen spätestens soll ich einige bedeutende Summen zahlen. Ich habe genug Forderungen, die fällig sind, um die Wechsel doppelt zu decken; allein die Leute nehmen sich Zeit damit, und ich kann sie nicht drängen. Mein Ansehen leidet dadurch, wenn ich so eilig bei sichern Männern bin. Ich muß Rath schaffen, sehen, wo ich es hernehme.«

»Und Du weißt nicht, was Du thun sollst?«

»Nein,« sagte er die Stirn faltend, »das Geld ist knapp, Jeder braucht es. Es wäre eine Kleinigkeit, wenn mein Vater –«

Er schwieg, als wäre er von dem Gedanken erschreckt, den er laut werden ließ.

»Du könntest mit ihm sprechen,« sagte Clara leise.

»Ich?« schrie er auf, und die glühende Röthe, ob Scham, ob Unwillen, kehrte in sein Gesicht zurück. »Lieber wollte ich die dreitausend Thaler, die ich brauche, vom ärgsten Halsabschneider borgen; lieber mögen die Wechsel protestirt werden und das Gericht sich einmischen.«

»O mein Gott!« sagte die junge Frau zitternd, »das fürchtest Du?«

»Sei kein Kind,« erwiederte er einlenkend, »ich sagte so, weil mich der Zorn überlief. Ich werde schon Rath schaffen ohne seine Hilfe, aber er freilich, er könnte jeden Augenblick das Zehnfache geben. Das Capital, mit dem ich das Geschäft übernommen habe, ist jedenfalls zu gering, ihm gehört ja Alles, eigentlich bin ich nur sein Pächter. Beruhige Dich, Clärchen, und weine nicht etwa. Kein Mensch darf Etwas merken. Sollte Grießfeld kommen, so sei freundlich und halte ihn auf, bis ich zurückkehre. Im Nothfalle –« er brach ab und sah sie tadelnd an, »Du mußt freundlich zu Grießfeld sein,« sagte er, »er verdient Deine üblen Launen nicht, und eben jetzt darfst Du sie ihm am wenigsten zeigen.«

Als er sich rasch entfernt hatte, blieb Clara am Fenster stehen und sah ihm nach, bis sie ihn nicht mehr erblicken konnte. Ihr Herz schlug in heftigen Schlägen, ein Schauder lief über ihre Glieder. Endlich faltete sie die Hände und richtete ihre Augen auf den blauen Himmel, an dem die Sonne hell glänzend stand und ihr gelbes Licht über den Strom ausgoß, der voll Leben und Geschäftigkeit war.

Die frische Luft drang durch das offene Fenster, und es kam ihr vor, als dränge Gottes Trost und Muth in ihre Brust, als sprächen Stimmen in ihr Ohr, und als sähe sie in dem strahlenden Wasserspiegel milde Gesichter, die ihr zulächelten und winkten. Da saßen auch Vögel auf einer Stange am Ufer, junge Vögel, die von einem alten Vogel umflogen, mit dem Schnabel gestreichelt und gefüttert wurden, und plötzlich nahm Clara ihr Tuch vom Stuhle, hüllte sich ein und sagte mit fester Stimme:

»Er muß helfen, er wird helfen! Ich will es versuchen, der barmherzige Gott wird mir Kraft verleiben.«

Sie ging rasch über den Hof, als sie die schmale Treppe des alten Hauses hinaufstieg, versagten ihr die Füße den Dienst, krampfhaft hielt sie sich an dem Geländer fest, als wollte sie sich hindern umzukehren, dann stand sie an der Thüre still, und es dauerte einige Zeit, ehe sie sich zum leisen Anklopfen entschloß. Als sie das scharfe strenge: »Herein!« hörte, holte sie tief Athem, und mit Aufbietung aller Kraft folgte sie dem Rufe.

Der alte Mann saß vor seinem Pulte, sein großes Rechenbuch lag vor ihm. Er hielt den Kopf darüber gebeugt und wandte sich nicht gleich von seiner Arbeit fort. Ein Zittern lief durch das Herz der jungen Frau, als sie das rothe faltige Gesicht von der Seite anschaute. Die weißen buschigen Augenbrauen standen borstig ab, der stierartige Nacken quoll über das blaue Tuch, das er um den Hals gewunden, der stachliche graue Bart bedeckte Kinn und Backen.

Und jetzt sah er sich nach ihr um, so hart und erbarmungslos feindlich, daß ihr ängstliches Lächeln daran erstarrte. Er stand nicht auf und erwiederte ihren Gruß auch nicht. Seine Finger ballten sich zusammen, und seine Augen thaten sich weit auf und schleuderten einen Strom von Haß und Grimm auf sie.

»Lieber Papa,« sagte Clara stockend und verwirrt, »ich komme zu Ihnen – es wird mir sehr schwer, weil ich fürchte – aber ich that es –«

»Weil Nichts weiter übrig blieb,« fiel er ein.

»Sie wissen vielleicht – oder Sie hörten,« fuhr sie noch leiser fort.

»Daß ich geben soll, weil's mit der Wirthschaft ein Ende nimmt, ein Ende mit Schrecken,« rief er dazwischen. »Ich kann's mir denken.«

»Ich bitte nicht für mich,« erwiederte sie muthiger, »ich bitte für ihn, für Ihren Sohn.«

»Wer hat ihn so weit gebracht?«

»Eduard weiß nicht, was ich thue,« sagte sie, ohne sich zu vertheidigen, »aber ich sehe seine Noth, und wer stände ihm näher als der eigene Vater?«

»Seinen Vater hat er von sich gestoßen!« antwortete der alte Mann. »Wer hat ihn dazu getrieben?«

»Er bedarf Ihrer Hilfe nur auf kurze Zeit,« flüsterte sie schnell athmend, »dreitausend Thaler nur auf einige Wochen.«

»Um sie zu vergeuden, zu verspielen! Um der Dame neue Spielereien zu schaffen, ihr eitles Unwesen weiter zu treiben.

»Sie sind ungerecht gegen mich,« antwortete sie mit erwachendem Stolze.

»Ungerecht?« fragte er hohnvoll, »ungerecht, Madame? – Wenn die Frau Nichts taugt, geht der Mann zu Grunde. Eine liederliche putzsüchtige Frau kann einen Brunnen ausschöpfen.«

Leichenblässe bedeckte Clara's Gesicht, aber ihre Augen wurden fester, und mit klarer Stimme sagte sie:

»Ich habe Ihnen nie Gelegenheit gegeben, so unwürdig von mir zu denken. Gott weiß es, daß ich mich schuldlos fühle, schuldig allein bin ich vielleicht durch meine Liebe zu Eduard, die mich geduldig hoffen und glauben ließ.«

»Sie klagen ihn an?« fragte er.

»Nein, nein!« sagte sie demüthig, »ich bitte nur für ihn. Werfen Sie Ihren Zorn auf mich, aber entziehen Sie ihm nicht den Vater und Freund. Helfen Sie ihm; es sind Wechsel da, die er zahlen muß, er wird Alle wieder erstatten, und dann – o gewiß, er wird vorsichtiger, einsichtiger werden.«

Der alte Mann schüttelte zornig den Kopf.

»Geben – ich – dreitausend Thaler?« antwortete er. »Ich bin kein Narr, der sich von leeren Worten rühren läßt. Schauen Sie mich so unschuldig an, wie Sie wollen, Madame, ich glaube es Ihnen doch nicht. Heucheln geht nicht bei mir. Dreitausend Thaler!« er lachte zornig auf – »in einem Tage haben Sie die mit ihm verthan. – Sie sind aber klug genug, um zu wissen, daß er mit so Wenigem sich nicht helfen kann. Bis über den Hals sitzt er darin, und wer heute nicht zugreift, kommt morgen.«

»Was sagen Sie da?« sagte die junge Frau voll Schrecken.

»Ich sage, daß er ein Bettler ist und betteln gehen kann, wenn er aus dem Schuldthurm kommt,« fuhr er fort. »Aber ich, ich werde mein Eigenthum retten, so viel ich kann. Ehe Andere kommen und Beschlag darauf legen, werde ich es selbst thun.«

Mit Mienen voll Angst und Verzweiflung hob sie die gefalteten Hände zu ihm auf.

»Und was hat ihn dahin gebracht?« schrie er heftig ihr in's Gesicht. »Eine Heirath, bei der kein Segen sein konnte! Wäre die nicht gewesen, hätte er eine verständige, fleißige, bürgerliche eine achtbare Frau bekommen,« sagte er mit vernichtendem Nachdruck, »er würde nicht leichtsinnig geworden sein. Er war es früher nicht, aber das Püppchen mußte ausgeputzt werden, das Püppchen sollte Staat machen, das Püppchen wollte es so haben! Nichts da, Madame, Nichts da! Wir passen nicht zusammen, und so lange er mein Sohn, ja, das war er – so lange er in solchen Händen ist, mag's Aergste mit ihm geschehen, er hat's verdient!«

Sie sah ihn stier mit fliegendem Athem an, dann drückte sie beide Hände an ihre Brust, als wollte sie diese zusammenpressen.

»Ich – ich bin die Quelle seines Unglücks?« sagte sie. »Großer Gott, was soll ich thun? Wenn es wahr ist – ich will – Allem, Allem entsagen! Ich verstehe – ich verstehe. Sie wollen helfen, wenn ich gehe – wenn ich ihn verlasse. Ich will, ich will! O mein Gott – ja, ich will!«

Der alte Mann unterbrach sie nicht. Ein grimmiger Hohn schwebte um seinen Mund, und aus seinen Blicken leuchtete die bitterste Verachtung.

»Es ist keine große Sache,« rief er aus, »denn ein Bettler ist er, und das lustige Leben wird sobald nicht wieder kommen. Ein Anderer, der mehr hat, ist ihm vorzuziehen.«

Plötzlich hielt er inne, und seine Hand befehlend ausstreckend, während die Stirnfalten sich dick zusammengezogen, sagte er:

»Verlassen Sie ihn, ja, das ist das einzige Mittel, um ihn zu retten. Ich will zutreten und ihn aus dem Sumpfe reißen, aber fort heute noch aus dem Hause da fort! Wollen Sie?«

»Ich will,« antwortete sie den Kopf senkend, indem sie eine schwankende Bewegung machte, als wolle sie sich entfernen.

»Halt, noch Eins!« rief er ihr nach. »Das Kind bleibt hier; meinen Namen trägt's, ich will für den Jungen sorgen.«

»Mein Kind!« flüsterte sie mit brechender Stimme und einem Blicke, dem er nicht ganz widerstehen konnte.

»Dummes Zeug!« antwortete er, die Augen von ihr abwendend. »Ein Kind, ist eine Last für eine –« er sprach nicht aus, was er weiter sagen wollte. »Wer soll's erziehen?« fragte er finster. »Der Vater hat seine Rechte daran. Ich will sein Vater sein; ein schuldloser Wurm soll nicht leiden. Wollen Sie?«

Die junge Frau hob den Kopf auf, eine seltsame Zuversicht lag in ihrem bleichen Gesichte.

»Ich will Ihnen den Knaben anvertrauen,« sagte sie, »weil ich Ihnen glaube. Wie grausam Sie auch mich verwerfen, ihn werden Sie lieben und schützen, und da ich nicht weiß, was aus mir werden wird, so – nehmen Sie ihn hin,« flüsterte sie tonlos.

»Es ist Vernunft darin,« murmelte er ihr zunickend.

»Heute Abend will ich gehen,« fuhr sie mit größerer Fassung fort, »er – Eduard soll erfahren, wenn es geschehen ist. Ich will es ihm schreiben – das Kind sollen Sie erhalten, – dann – dann – sprechen Sie mit ihm, sagen Sie ihm, daß es nothwendig sei zu seinem Glücke – sagen Sie ihm, was Recht ist, und seien Sie mild, ein Vater mit ihm. Alles, was Sie weiter bestimmen, werde ich erfüllen.«

Mit diesen Worten entfernte sich Clara, grollend blieb der Alte stehen.

»Es ist doch Alles Heuchelei,« schrie er endlich seinen Arm aufhebend. »Komödie spielen kann sie, mag sie unter die Komödianten geben.«

Er setzte sich wieder an sein Pult und rechnete weiter, aber der Hader in seinem Kopfe verwirrte seine Gedanken. Er wandte die Augen bald auf den leeren Fleck zurück, auf welchem die Frau, die er haßte, gestanden hatte, den jetzt die Sonne, durch das Weinlaub dringend, hell beschien. Ihr blasses Gesicht voll stummer Noth kam ihm in den Sinn, er ballte die Faust und legte sie an seine harte Stirn, als wollte er das schwache Mitleid fortdrücken, das sich gegen seinen Willen dahinter regte. –

»Wenn es richtig bei ihr wäre,« murmelte er leise, »hätte sie nimmermehr ja gesagt. Was kann solch' Weib lieben? Es ist ihr Alles einerlei; Mann und Kind verläßt sie, um Einem nachzulaufen, der – der.«

Er sprang auf und streckte den Arm aus.

»Daß ich ein Narr wäre,« schrie er laut auf, »und mich beschwatzen ließe! Betrogen hat sie ihn, ich hab's mit meinen Augen gesehen, und darum soll sie fort; könnte sie Thränen weinen, daß ein Meer daraus würde, ihre Schande und Lüge wäscht Nichts ab. Sie soll fort! Er soll's hören warum, das wird ihm die Augen öffnen.«

Während er dies nochmals mit sich abmachte, war die junge Frau in ihre Wohnung zurückgekehrt. Als sie eintrat, fand sie Grießfeld, der in einem der Lehnstühle saß, in einem Buche blätterte und sie erwartete.

Lächelnd legte er das Buch fort und verbeugte sich.

»Sie haben mir zwar gestern erklärt,« sagte er, »daß ich fortan Ihr Angesicht meiden solle, ich komme dennoch, weil ich vielleicht heute hoffen darf – aber was ist Ihnen geschehen?« fuhr er abbrechend fort. »Sie haben etwas Schreckliches erlebt oder erfahren!«

»Sie erwarten meinen Mann?« erwiederte sie; »er hat mir aufgetragen, Sie zu ersuchen, hier zu verweilen.«

»Bis er kommt, sehr gern,« fiel Grießfeld ein, indem er seinen Bart mit dem Taschenkamme strich. »Setzen Sie sich zu mir, liebes Clärchen, lassen Sie uns aufrichtig sein, und weisen Sie meine Theilnahme nicht zurück. Sie haben Kummer, ich kann mir denken was es ist. Bei meinen Empfindungen für Sie muß es es mir doppelt nahe gehen.«

Clara schlug die Augen zu ihm auf und sagte mit Gelassenheit:

»Ich bitte Sie nochmals, mich mit Allem zu verschonen, was ich nicht hören darf.«

»Wie grausam Sie sind, und was that ich denn?« rief er pathetisch. »Ich habe Ihnen gestern Nichts gesagt, was Sie beleidigen konnte. Ich erinnerte mich selber an vergangene schöne Tage, wo ich hoffen durfte, Sie mein zu nennen, und fragte Sie, ob dies nicht besser für uns Beide gewesen sein würde. Statt dessen verlangten Sie von mir, daß ich Sie verlassen, daß ich diesen theuern Eduard verlassen, Ihr Haus nicht mehr betreten solle. Sie zeigen mir ein Zürnen, das ich nicht verdiene, eine Abneigung, die mich immer tief geschmerzt hat.«

Ohne ihm Antwort zu geben, saß die junge Frau einige Minuten lang bewegungslos, plötzlich ergriff sie feinen Arm und sagte heftig:

»Sie haben sich rächen wollen, Sie haben ihn von mir getrennt, ihn und mich elend gemacht – was wollen Sie noch?«

»Was ich will?« erwiederte er lächelnd, »ich will Nichts! Sie erschrecken mich mit Ihren Anklagen. Ich habe durchaus nicht die Absicht, Sie von dem geliebten Freund zu trennen, oder ihn von Ihnen. Er ist in Verlegenheiten gerathen, wahrlich nicht durch meine Schuld, im Gegentheil ich hatte selbst einige Forderungen an ihn, bin aber gern bereit ihm zu helfen, so viel ich vermag. Ich weiß, daß er Zahlungen zu leisten hat und vergebens umherläuft, Geld aufzutreiben. Wie viel ist es, wissen Sie die Summe?«

»Dreitausend Thaler,« sagte Clara.

»Viel Geld!« versetzte er, »und der Alte giebt Nichts, dafür bin ich gut. Ueberhaupt steht es schlimm mit Eduard, er wird mehr brauchen als das; allein wenn wir gute Freunde bleiben, läßt sich wohl Rath schaffen. Ich will meine Hand aufthun, jedoch unter Bedingungen. Wir wollen Frieden schließen, Sie mit mir, Clara, wir müssen uns verständigen, gute Freunde werden.«

Als er nach ihren Fingern griff, zog sie diese zurück und rückte mit dem Stuhle.

»Ist das Ernst?«, fragte er. »Sagen Sie mir aufrichtig, Clara, wissen Sie, wie es mit Ihrem Manne steht, und was Sie erwartet?«

»Ich weiß Alles, sehe Alles!« erwiederte sie leise.

»Und ich wiederhole Ihnen, was ich gestern sagte,« fuhr er mit gedämpfter Stimme fort. »Sie haben Unrecht gethan, zu dieser Familie hinunter zu steigen, die Sie mißachtet, mißhandelt und verfolgt.«

Seufzend legte die junge Frau ihre Hände zusammen, ohne zu antworten.

»Sie glaubten ein großes Glück zu machen, wohl versorgt zu sein, ein glänzendes Leben führen zu können. Welche Täuschung!«

»Es ist falsch,« sagte sie sich aufrichtend, »ich liebte ihn.«

»Sie liebten ihn, aber jetzt –«

»Jetzt, liebe ich ihn noch!«

»Vortrefflich!« rief er laut lachend, »also trotz seines Leichtsinns noch immer so viel Liebe. Was wollen Sie aber thun? Von der Liebe lebt man nicht, und leider ist nicht daran zu zweifeln, daß, wenn ich nicht helfe, schlechte Zeiten kommen werden. Wollen Sie meine Wünsche erfüllen?«

»Morgen,« sagte sie, »sollen Sie meine Antwort hören.«

»Gut, so will ich warten und Ihnen morgen sagen, was ich fordere.«

Eine dunkle Röthe sammelte sich auf ihrer Stirn, und ihre Augen, die sich auf ihn hefteten, sahen stolz und befehlend aus.

»Ich kann Ihnen heute schon Antwort geben,« begann sie nach einigen Augenblicken, »denn mein Zögern würde Sie vielleicht bewegen, falsch zu urtheilen. Ich liebe Eduard trotz seiner Schwächen und Irrthümer, denn sein Herz ist gut; er ist gütig und mild, er wird erkennen und umkehren. Kein Opfer wird mir zu groß sein, um ihn mit seinem Vater auszusöhnen, der allzu viel Recht zum Zürnen hat. Ich fürchte die Armuth nicht, sie bringt keine Schande, ich fürchte keine Entbehrungen, ich kann arbeiten; aber um keinen Preis der Welt möchte ich dem Schlechten und Gemeinen auch nur einen Finger reichen.«

»Damit bin ich ohne Zweifel gemeint,« fiel Grießfeld ein.

»Ich denke, wir kennen uns,« fuhr sie ruhig fort. »Wie ich vor vier Jahren alle Ihre Bemühungen um mich zurückwies, so und noch mehr thue ich es jetzt.«

»Sie sind aufrichtig, ich bedanke mich!« antwortete Grießfeld, »doch es kann anders kommen, wie Sie denken. Bei alledem will ich warten bis morgen,« fügte er heuchlerisch lächelnd hinzu, »denn immer werden Sie mir theuer sein, angebetetes Clärchen, immer werde ich zu Ihren Diensten bereit sein, sobald Sie wollen. – Nein, ich fürchte Ihre Thränen nicht,« fuhr er leidenschaftlich fort, indem er sich ihrer Hand bemächtigte, »denn ich liebe Sie, wer will mich hindern, das zu gestehen? Was wollen Sie hier noch bei diesem Manne, der Sie so wenig zu schätzen weiß, der ein Bettler ist, ein Leichtsinniger, ein Mensch ohne Nachdenken und Verstand? Was haben Sie von der Zukunft mit ihm und bei ihm zu erwarten? Ich, Clara, ich kann Ihnen ein anderes Leben bieten, verlassen Sie ihn, folgen Sie mir.«

»Ja!« rief sie sich losreißend, »verlassen will ich ihn, doch lieber in den Tod, als einem Elenden folgen.«

»So,« sagte er, indem er ihr nachblickte, als sie sich entfernte, »verlassen will sie ihn? Nein, Madame, so ist es nicht gemeint. Bleiben sollen Sie, bis die Frucht reif ist und von selbst in meine Hände fällt.«


VII.

Herr Vollbrecht ließ wieder mit dem Mittagsessen auf sich warten, was der Frau Geheimsecretairin großen Aerger verursachte. Sie kam mit Schürze und Kelle aus der Küche gerannt, sah nach der Uhr, welche eben drei geschlagen hatte, und schrie voller Heftigkeit:

»Es ist mit diesem Liederjahn nicht mehr auszuhalten, alle Tage macht er es ärger! Es muß ein Exempel an ihm statuirt werden, oder es ist aus mit mir. Niemals kommt er mehr zur rechten Zeit, und wenn er kommt, ist er dickhäutig, hat keinen Hunger, entschuldigt sich kaum mit allerlei Flausen, die er zusammenlügt, und thut, als hätte ihm Keiner Etwas zu sagen. Du darfst es nicht länger leiden, Malchen, es geht nun und nimmermehr so fort, wenn er Dir nicht über den Kopf wachsen soll. Gott im Himmel, wer hätte das gedacht, als der Hungerleider uns in's Haus gebracht wurde!«

»Ich werde es ihm eintränken,« sagte Malchen, die am Fenster saß und nähte. »Sei nur ruhig, er soll nur erst nach Hause kommen.«

»So ist's Recht!« antwortete die Frau Geheimsecretairin, »laß Dir nicht auf der Nase herumspielen.«

»Ich will ihm schon herumspielen,« meinte Malchen, »er soll jetzt bekennen.«

»Bekennen?« fragte die alte Dame. »Was soll er bekennen?«

»Er hintergeht uns, hat uns lange schon hintergangen.«

»Ist es möglich!« schrie die Frau Geheimsecretairin. »Der – der, solch' Mensch, der hintergeht uns!«

»Stille!« sagte Malchen, denn eben trat Herr Vollbrecht herein, und wunderbar glänzend strahlten seine Augen, wunderbar roth und frisch sah sein bleiches mageres Gesicht mit dem unendlich langen Kinn aus, wunderbar glücklich und furchtlos lachte er den beiden Frauen zu, die bei seinem Anblicke gebietende Positionen eingenommen hatten.

»Alle Wetter, ja!« rief der kleine Mann, indem er von der Thürschwelle hereinstolperte und auf dem Wege eine Schwenkung nach Links machte, »da bin ich endlich. – Hihi!« fuhr er lustig fort, ohne den Hut abzunehmen, »eben fängt es wieder an zu regnen. Wie sehen Sie denn aus, Mamachen, so roth wie eine Feuerlilie, hihi! Was halten Sie denn da in der Hand, das ist wohl der Stiel, der Stengel von der Feuerlilie?«

»Ich werde Ihnen den Stengel gleich zu kosten geben!« schrie die erzürnte Frau Geheimsecretairin, ihre Kelle schwingend. »Na, da siehst Du es, Malchen, da siehst Du es! Ist es nicht eine Schande, eine Sünde und Schande?«

»Wer? Was?« kicherte Vollbrecht auf sie losgehend. »Wer ist die Sünde und wer ist die Schande? Sie, ich, Malchen, oder wir Alle zusammen? Hihi! es ist eine allerliebste Gesellschaft.«

»Ach mein Jes's! ist es denn möglich, Malchen!« schrie die Frau Geheimsecretairin. »Der Mensch, der Liederjahn er kann nicht mehr auf seinen Füßen stehen!«

»Was?« antwortete Vollbrecht in der besten Laune. »Sehen Sie her, Mamachen, machen Sie es nach, wenn Sie können. Auf der Dielritze gebe ich wie ein Tanzmeister.«

Bei dieser Kunstproduction seiner Nüchternheit gelangte er bis in die Nähe seiner Frau, welche plötzlich ihren langen Arm ausstreckte und mit einem wohlgezielten Schlage ihm den Hut vom Kopfe warf, der in eine Ecke rollte, während Herr Vollbrecht bedenklich schwankte.

»Wo kommst Du her?« fragte sie zu gleicher Zeit mit so ausdrucksvollen Geberden, daß der kleine Mann mitten in seinem Lachen stecken blieb und zurückprallte. –

Er schien nicht recht zu wissen, was er thun sollte, aber mit einigen kühnen Entschlüssen zu ringen, denn er zog sich an seinem Kragen in die Höhe, stemmte dann den Arm in die Seite und warf den Kopf in den Nacken, indem er ein fürchterliches Brummen hören ließ; ehe er jedoch seiner beleidigten männlichen Würde Nachdruck gab, streckte Malchen nochmals den Arm aus und deutete auf die Decke von Strohgeflecht, welche an der Thüre lag.

»Dahin gehst Du,« sagte sie in unwiderstehlichem Tone, »und wischst Dir die Füße ab, wie es einem vernünftigen Menschen zukommt, und dann kommst Du hierher und antwortest auf das, was ich Dich fragen werde.«

Ueberrascht befolgte Vollbrecht pünktlich diese Gebote, denn es kam ihm vor, als könne er nichts Besseres thun, als sich nachgiebig beweisen, um den Sturm, der über seinem Haupte schwebte, abzuhalten; allein er that es doch mit so vielem Mißvergnügen und allerlei Gemurmel, daß die Frau Geheimsecretairin drohend schrie:

»Er will noch patzig thun? er will noch Recht haben? Ist es denn möglich, Malchen, daß es uns so gehen kann!«

»Es wird ihm noch ganz anders gehen, wenn er sich untersteht zu mucksen,« erwiederte Malchen; »darum bekenne die Wahrheit, wo Du gewesen bist, und woher Du jetzt kommst.«

»Ich habe Geschäfte gehabt,« antwortete Vollbrecht, »dringende Geschäfte.«

»Gewiß von großer Wichtigkeit.«

»Allerdings!« rief Vollbrecht mit wachsendem Muthe, »wenn sie nicht wichtig wären, würde ich nicht so lange geblieben sein.«

»Und es bringt wohl viel ein?« fragte Malchen in sanfterem Tone.

»Es wird sich rentiren,« sagte er seine Knochenfinger drückend, daß sie knackten. »Ein Geschäftchen, wie es selten vorkommt, ein Mann, der seinem Nächsten Etwas gönnt.«

»Wie heißt er denn?« fragte Malchen.

»Heißen? Du mußt nicht fragen, bestes, schönstes Herz. – Ich darf's Dir nicht sagen, bis jetzt ist es ein. Geheimniß.«

»Ich will's aber wissen!« schrie das schönste Herz gebieterisch.

»O bitte,« antwortete der kleine Commissionair, sich rückwärts bewegend, ich wollte wohl und möchte gewiß, aber –,« er zuckte heftig die Achseln »es geht wirklich nicht an, weil viel daran hängt, und darum –,« bei diesen Worten klopfte er lebhaft auf den blauen Frack – »mein Ehrenwort darauf! Es geschieht Alles für Dich, Malchen, und sobald ich kann, ich wollte es wäre heute schon –«

Hier unterbrach ihn Malchen und sagte gelassen:

»Du wirst mir aber doch sagen können, wo Dein Geschäft gemacht wird?«

»Wo? Aha, Du meinst Das Haus? Ja warum nicht?« rief Herr Vollbrecht. »Ich sage blos, es ist eines der ersten Häuser, höchst sicher, höchst achtungswerth. Es ist für mich eine hohe Ehre, mit solchen Leuten zusammenzukommen, denn wenn ich bedenke –«

Hier wurde Herr Vollbrecht plötzlich unterbrochen, denn einer Furie gleich sprang Malchen auf ihn los, faßte mit allen zehn Fingern die Klappen des blauen Rocks und lief mit diesem und dem traurigen Gegenstande, welcher darin eingeknöpft war, bis in die nächste Ecke, welche von der Wand und einem Schrank gebildet wurde. Hier schüttelte sie ihn nochmals, ließ ihn dann los und stand vor ihm mit solchen Augen, solchen ausgespreizten Händen und solchem hinreißenden Ausdrucke in ihren Gesichtszügen, daß der arme kleine Vollbrecht zitternd und flehend seine Arme aufhob und um Gnade bat. –

»Du lügst, Du Trunkenbold, Du Betrüger!« schrie Malchen. »Die Augen reiße ich Dir aus dem Kopfe, wenn Du nicht bekennst. Geschäfte machen? Saubere Geschäfte hat Er gemacht! Umhergetrieben hat Er sich nun schon Wochen lang mit liederlichen, schändlichen, schlechten Creaturen!«

»Bösewicht! Ungeheuer!« schrie die Frau Geheimsecretairin. »Ach mein Jes's, ist es denn möglich, also auch das noch – mit schlechten Creaturen, Weibsbildern! – Pfui, schändlich, nichtswürdig!«

»Unschuldig, unschuldig!« antwortete Vollbrecht schluchzend.

»Noch viel Schlimmeres,« sagte Malchen. »Wo ist Er bisher alle Tage gewesen? Im französischen Kaffeehause. – Was hat Er gethan? Gezecht, geschwelgt, gepraßt, während wir hier saßen und hungerten. Mit wem hat Er dort tägliche Zusammenkünfte? Mit dem Schelme und Spieler, dem Gauner und elenden Verführer, dem Hauptmann und seinen Genossen. Mit denen steckt Er unter einer Decke, die benutzen Ihn und beschwindeln Ihn. Während der Onkel Ihm Aufträge ertheilt und in's Vertrauen zieht, unterhandelt er mit dessen Feinden.«

»Seinen Wohlthäter verräth Er!« schrie die Frau Geheimsecretairin. »Er ist ein Judas, ich habe ihm nie getraut, ein Judas Ischariot! ein Ischariot.«

Der unglückliche Vollbrecht machte einige schwache Versuche, sich zu vertheidigen, aber seine beiden Gegner erstickten seine Stimme sofort mit neuen Vorwürfen. Er mußte bekennen, daß er wirklich heute und schon oft im französischen Kaffeehause gewesen sei; Malchen hatte ihm in Person aufgelauert, und er fürchtete sich viel zu sehr, um ihren Beweisen zu widerstreiten. Er mußte bekennen, daß er dort mit dem Hauptmann zusammengetroffen, aber auf's Heiligste versicherte er, daß Eduard niemals dabei gewesen sei.

Wie eine Citrone wurde er ausgepreßt, und wo er irgend stockte, halfen die zornigen Angriffe der beiden Frauen nach, bis ein ziemlich umfassendes Geständniß insoweit fertig war, daß er dem schlechten Menschen Alles hinterbrachte, was der alte Eckhoff thue und treibe, was er ihm auftrage und mit ihm abrede, worauf Grießfeld ihm Antworten und Nachrichten in den Mund lege, die er dem Onkel überbringen mußte.

»Ein abscheuliches nichtswürdiges Complott!« rief die alte Dame empört. »Der Schelm! Der Gauner! So betrügt er meinen einzigen Bruder, seinen Wohlthäter, dem er es allein zu danken hat, daß er Dein Mann geworden ist. Malchen, denn Du …«

»Ich denke,« unterbrach sie Malchen, »wir gehen sogleich selbst zum Onkel und offenbaren ihm Alles. Er muß mit und muß bekennen.«

»Und mit ihm kann mein armer verrathener Bruder dann machen, was er will!« fiel die Frau Geheimsecretairin frohlockend ein. »Fort mit ihm! Aus dem Hause mit ihm! Der Herr Eduard wird ihn versorgen, das hochmüthige Püppchen kann ihm seine treuen Dienste belohnen.«

»Ich habe ja nie das Geringste mit ihnen zu thun gehabt,« rief Vollbrecht in größter Angst, »und der Hauptmann haßt sie alle Beide noch weit mehr wie ich. Alles, was ich gethan habe, geschieht ja nur, um den Onkel in seinem gerechten Zorne gegen den Verschwender zu bestärken, damit er nicht schwach wird, sich nicht bereden läßt. Ja, so wahr ich das Leben habe, es ist keine Lüge! Der Hauptmann ist mein bester Freund, unser aller bester Freund, er wünscht Nichts mehr, als daß der Onkel sich ganz von ihnen trennt und sich uns zuwendet.

Und jetzt ist es so weit,« fuhr er Athem schöpfend fort, als er sah, daß diese Mittheilungen die zornigen Frauen entwaffneten. »Gestern Abend hat der leichtsinnige Mensch wieder Alles verspielt, sogar noch Schulden obenein gemacht, dabei ist seine Kasse ganz leer, und morgen soll er dreitausend Thaler Wechsel zahlen. Mich hat er mehr wie einmal schon dringend aufgefordert, ihm Geld zu schaffen; es ist aus mit seinem Credit. Ich habe es Niemandem verschwiegen, wie er mit seinem Vater steht, und was er für Wirthschaft treibt. Jetzt kommt es darauf an, daß der Onkel fest bleibt, und eben deswegen hat der Hauptmann mich heute durchaus sprechen wollen und hat mir aufgetragen, dem Onkel Nachricht zu bringen, was in der Nacht wiederum am Spieltische vorgefallen, und wie es mit dem saubern Herrn Sohne aussieht, wie ich dies oft schon gethan habe.«

So folgte denn die ganze Enthüllung seiner Bekanntschaft mit Grießfeld aus früherer Zeit, und wie dieser ihn wieder aufgesucht, und was er ihm versprochen und gelobt hatte. Die vielen Zwischenfragen wurden von ihm vollständig beantwortet und mit mancherlei Lob auf den Reichthum des Hauptmanns, auf seine Großmuth und seine lustige Laune unterbrochen, die immer zu Scherz und Fröhlichkeit geneigt sei.

Die beiden Frauen wurden ersichtlich immer weicher gestimmt, je länger Vollbrecht redete, und endlich rief die Frau Geheimsecretairin:

»Ja, wenn es so steht, so ist es etwas ganz Anderes! So hat Vollbrecht eigentlich ganz recht gehandelt. Warum haben Sie denn aber das nicht gleich gesagt, August? Ich konnte mir es auch nimmermehr denken von einem so feinen Herrn, daß der so schlecht sein sollte.«

»Ich habe es keinem Menschen sagen dürfen,« antwortete Vollbrecht, »er hat es mir streng anbefohlen. Ich sollte ihn verachten und übelreden und –« er zuckte die Achseln und schüttelte seinen langen Kopf, »ein Spieler ist er, er spielt, ich glaube alle Tage.«

»I mein Herr Jes's!« fiel die Frau Geheimsecretairin ein, »eine schreckliche Sünde ist das eben auch nicht; die vornehmen Herren spielen Alle! Da war der alte Blücher, der konnte ohne Spiel nicht leben. Er wird wohl gewinnen, und wenn man gewinnt, kann man spielen. Wer gewinnt und nicht spielt, der ist ein Narr! Aber solch' Habenichts, solch' Thunichtgut, solch' Verschwender wie der Eduard, der verdient, daß er in's Zuchthaus gebracht wird. Mein armer Bruder, ach guter Gott! was erlebt er für Schande an ihm, und wenn er nicht fest ist, wenn er sich nicht ganz losmacht, behält er zuletzt selbst nicht einen Groschen.«

»Der alte Mann kann selbst noch einmal betteln geben,« sagte Malchen, »daher müssen wir sorgen helfen, daß es nicht geschieht. Aber,« fuhr sie dann nachdenklich fort, »Warum ist der Hauptmann so falsch gegen seine eigene Verwandte und will ihr Unglück? Unsertwegen thut er es doch nicht! Das soll er mir nicht sagen, er hat seine eigenen Absichten dabei.«

Herr Vollbrecht grinste listig und zog seinen Kragen bis an die Mundwinkel.

»Malchen ist doch immer klug!« rief er, »die merkt Alles, und wenn es auch noch so fein angelegt ist. So recht weiß ich es nicht, aber ich habe mir allerlei zusammengesetzt aus seinen Reden, besonders neulich, wo er Etwas viel getrunken hatte und sehr lustig war. Vor vier Jahren ist er selbst verliebt gewesen in das schöne Clärchen und hat ihr Anträge gemacht; ob er sie gerade heirathen wollte, weiß ich nicht, allein er hat sich wenigstens so gestellt; sie aber ist zuletzt so unangenehm geworden, daß er abziehen mußte, und das kann er ihr nicht vergessen. Nun kommt er wieder und findet sie in Glück und Freuden, sieht sie und möchte sie wohl noch haben. So macht er sich mit Eduard bekannt, der findet auch Gefallen an ihm, darauf kommen sie öfter zusammen, und das Spielen geht los. Nun besucht er ihn, und –,« hier fing Herr Vollbrecht an seine langen Hände zu reiben, »darauf schließt er wieder Freundschaft mit dem schönen Clärchen.«

»Merkst Du nun, Malchen?« fragte die Frau Geheimsecretairin boshaft lachend. »So steht es also? So benimmt sich der Tugendspiegel!«

»Das ist ihm ganz Recht!« rief Malchen ihre grauen Augen weit öffnend. »So muß es mit ihm kommen!«

»Und wenn er sie hat, wohin er sie haben will, fuhr Vollbrecht fort, »nimmt er sie vielleicht eine Zeit lang mit. Solche Herren, wenn sie in die Bäder reisen, haben oft eine Cousine bei sich.«

»Immer noch zu gut für sie!« sagte Malchen vor Rachsucht strahlend; »aber er, wenn er –, wenn er Nichts mehr hat, und wenn sie ihm fortgelaufen ist –, dann kann er ihr nachlaufen oder sich in's Wasser stürzen oder den Hals sich abschneiden!« –

Sie brach in ein Hohngelächter aus.

»Ach du mein Jes's!« schrie die Frau Geheimsecretairin die Hände faltend, »was wird mein guter Bruder anfangen?«

»Der,« sagte Malchen, »der verdient nichts Besseres. Warum ist er so schwachköpfig gewesen, warum hat er nachgegeben? Wir wollen Alle hingehen. Vollbrecht soll ihm sagen, wie es steht, das Uebrige wird sich finden.«


VIII.

Es war dunkel geworden, als sie sich aufmachten. Vollbrecht führte an einem Arme seine Frau, am andern die Schwiegermutter, und Beide waren ausnehmend gütig geworden, was der kleine Mann schon daran merken konnte, daß sie ihn August nannten und mit ihm spaßten, und daß er nicht gescholten wurde, als er Malchen auf's Kleid trat. Sie unterhielten sich gemeinsam über die Art, wie sie sich benehmen wollten, und über die Erbschaft, die ihnen einmal zufallen würde.

Die Frau Geheimsecretairin versenkte sich in allerlei Berechnungen und kam endlich zu dem Schlusse, daß es ohne Zweifel das Beste sei, wenn sie die Wohnung bezögen, die jetzt von der elenden Person eingenommen werde, sobald diese hinausgeworfen sein würde, und vor ihren Augen tanzten die großen Zimmer in glänzender Herrlichkeit umher.

Eben waren sie vor dem Hause angelangt, wo sie einen sehnsüchtigen Blick zu den hohen Fenstern hinaufschickte, dem ein Seufzer folgte, welcher dem Gedanken galt, daß der gute Bruder, von dem Alles abhing, ja noch lebe, und daß er, Gott weiß wie lange, sein starrsinniges Dasein weiter fortsetzen könne. Malchen dagegen hatte besseren Glauben an die nahe vollständige Erfüllung ihrer Wünsche. Sie kannte den alten Onkel, wußte, wie ihm beizukommen war, und machte im Stillen Pläne, wie sie Alles von ihm erreichen wollte, was sie mochte.

»Wenn ich nur erst um ihn und immer in seiner Nähe bin,« sagte sie zu sich selbst, »so können sie thun, was sie wollen, er soll so hart bleiben wie ein Felsen, im Uebrigen aber kenne ich Eduard, der demüthigt sich nicht und fleht nicht um Gnade. Sie hassen sich Beide, und es kommt nur darauf an, zur rechten Zeit immer wieder einen neuen Stein dazwischen zu werfen. Hat der Alte ihn einmal fallen lassen, ist die Schande öffentlich geworden, stecken ihn die Schuldner in's Gefängniß, und läuft die Person fort, so ist Alles gemacht. Niemals vergeben sie sich das. Der Eine ist ein so rasender Narr wie der Andere, und es kann mit Beiden nicht lange dauern, wenn –«

In diesem Augenblicke wurde die Thüre geöffnet, und in einen Mantel gehüllt trat ein Herr rasch heraus, in welchem sie Alle sogleich den Hauptmann erkannten, da er den Kopf hoch hielt und das Licht der Gasflamme sein Gesicht beleuchtete.

Auch Grießfeld sah, wen er vor sich hatte, doch nicht wie sonst ging er fremd vorüber. Er blieb stehen und grüßte in artiger Weise. –

»Wenn ich nicht irre,« sagte er, »so sind Sie es, Herr Vollbrecht?«

»Allerdings,« antwortete der kleine Mann, »ich bin es.«

»Dann hoffe ich, daß Sie sich meiner erinnern?«

»Ob ich mich erinnere!« rief Vollbrecht belustigt. »Ist es nicht der Herr Hauptmann Grießfeld?«

»Ich sehe, daß Sie mich kennen. Und diese Damen sind, wie ich denke, Ihre liebenswürdige Frau Gemahlin und würdige Schwiegermama?«

»Es ist wirklich so,« sagte Vollbrecht, indem er mühsam sein Lachen unterdrückte und Malchen heimlich in den Arm zwickte.

Der Hauptmann verbeugte sich verbindlich.

»Werden die Damen mir verzeihen,« sagte er, »wenn ich, obwohl Ihren fremd, eine Bitte wage?«

»Sehr gerne!« antwortete die Frau Geheimsecretairin mit einem tiefen Knix, »wir thun Alles gerne, was Sie wünschen, lieber Herr Hauptmann, ich sowohl wie meine Tochter.«

»Würden Sie mir gnädigst erlauben,« fuhr Grießfeld fort, »daß ich Herrn Vollbrecht Ihnen auf einige Minuten entführe.«

»Wenn Sie keinen weiter entführen wollen,« sagte Malchen mit spaßhaftem Nachdruck, so werden wir gewiß Nichts dagegen haben.«

»Also, Herr Vollbrecht, wenn ich als Unbekannter Ihnen nicht zu lästig bin, würde ich im Interesse Ihrer Familie Sie um einige Worte unter vier Augen ersuchen.«

»Allezeit bereit!« rief Vollbrecht muthig.

»Ich begleite Sie über den Hof fort, wir lassen die Damen vorangehen und bleiben in ihrer Nähe,« erwiederte Grießfeld. »Ich nehme an, daß Sie den alten Herrn Eckhoff besuchen wollen.«

Auf eine bejahende Antwort faßte er den Arm seines Vertrauten und hielt ihn fest, während die beiden Frauen sich entfernten.

»Leben Sie wohl, meine Damen,« sagte der Hauptmann, sich nochmals verbeugend, »in wenigen Minuten wird Herr Vollbrecht wieder bei Ihnen sein. Entschuldigen Sie nochmals, gnädigste Frau, daß ich Sie belästige, und lassen Sie mich auf Vergebung hoffen.«.

Malchen lächelte befriedigt.

»Bitte,« sagte sie, »lassen Sie sich nicht stören, wir sind ja gleich an Ort und Stelle.«

»Ein ganz allerliebster Mann!« rief die Frau Geheimsecretairin laut genug, daß es verstanden wurde. »Was so ein Herr höflich ist! Künftig soll er zu uns kommen, wenn wir erst hier wohnen werden. Gesellschaften werden wir geben, Malchen, so gut wie Einer, und im Grunde ist es am Besten, wir richten es so ein, daß Tobias in seiner alten Hütte wohnen bleibt, denn wenn der denkt, wir werden uns zu ihm in den Winkel setzen, so irrt er sich. Aber ich glaube beinahe, er ist nicht zu Hause,« fuhr sie fort, »es ist Alles finster oben.«

Sie waren bis zu dem Gärtchen gelangt, das voll dürrer gelber Blätter lag, die der Oktoberwind von den Bäumen und Weinspalieren gefegt hatte. Nur die Laube in der einen Ecke, umrankt von dichtem spanischem Ginster und mit ihrer Drillichwand bedeckt, sah noch aus, als wenn es Sommer wäre. Der Mond stand halbvoll am Himmel unter rasch fliegenden dunkeln Wolken und warf dann und wann durch Spalten einen feinen grauen Schimmer über den öden Platz.

»Es ist Licht in seinem Zimmer,« antwortete Malchen; »der alte Geizhals hat die Lampe klein gemacht.«

»Na, laß uns nur erst sein Geld haben,« sagte ihre Mutter leise lachend, »so soll es anders kommen. Jetzt müssen wir aber vorsichtig sein. Wo ist denn der Hauptmann? richtig, da stehen sie Beide. Was er nur dem Vollbrecht zu sagen hat?«

»Wir wollen ihn hier erwarten,« flüsterte Malchen. »Stelle Dich hierher zu mir hinter die Laube, so kann uns Niemand sehen. Da kommt er.«

Mit hastigen Schritten lief der kleine Mann herbei; als er bei ihnen vorüber wollte, riefen sie ihn an.

»Nun,« fragte Malchen, »was wollte er?«

»Hihi!« lachte Vollbrecht, »es ist eine komische Geschichte, eine ganz komische Geschichte!«

»Was für eine komische Geschichte?«

»Auf's Gewissen hat er mich gefragt, ob ich Euch auch kein Wort erzählt habe. Ich habe es ihm beschwören müssen, und dabei ist er in größter Wuth gegen das schöne Clärchen.«

»Wie so denn in Wuth?« fragte die Frau Geheimsecretairin. »Will sie Geld von ihm haben?«

»Im Gegentheil,« flüsterte Vollbrecht, »er hat ihr die drei tausend Thaler geben wollen, dafür hat sie ihn beinahe zur Thüre hinausgeworfen. Eduard hat er nicht sprechen können, der ist den ganzen Tag nicht nach Hause gekommen als gegen Abend und dann wieder fortgelaufen, weil ihm wahrscheinlich Jemand das Geld versprochen hat, der sich nicht sehen und sprechen lassen will. Der Hauptmann hat es ihm schon heute früh abgeschlagen, jetzt aber hat er sich anders besonnen, er will's ihm geben und noch mehr, wenn's sein muß.«

»Er will's ihm geben?« rief Malchen empört; »keinen Groschen soll er ihm geben!«

»Das habe ich ihm auch gesagt,« fuhr Vollbrecht fort, »allein er besteht darauf und meint, er müßte es geben, wenn's so enden sollte, wie er es wollte. Noch könnte sich etwas ereignen, was leicht den Alten aussöhnen möchte, dann wäre es mit der Erbschaft vorbei.«

»Was könnte denn noch geschehen?« fragte Malchen erbittert.

»Es kann gar nichts geschehen!« eiferte ihre Mutter. »Wenn der Tobias einmal seinen Kopf aufsetzt, geht er nicht davon ab.«

»Genug, ich soll dem Alten sagen, der Hauptmann habe die drei tausend Thaler herausgerückt, weil Clärchen ihn darum flehend gebeten,« flüsterte Vollbrecht, »und soll ihm einen Wink geben, warum er es gethan. – Hihi! man weiß ja, was dergleichen Gefälligkeiten werth sind. Indessen wird er draußen vor der Thüre bleiben, aufpassen, wenn Eduard kommt, und es mit ihm abmachen.«

»O,« sagte Malchen mit tonloser Stimme und gegen den Mond aufblickend, der eben durch die Wolken brach und in ihre freudig blitzenden Augen leuchtete, »es ist gut so; jetzt merke ich es, wir wollen Alle helfen. Der Alte ist so stolz wie ein Prinz. Wenn er hört, daß sie um das Geld gebettelt hat, wird er toll werden. Das reißt den letzten Nagel aus.«

»Und das ganze Haus fällt ihm zuletzt auf den Kopf!« kicherte die Frau Geheimsecretairin. »Aber klug müssen wir's anfangen. Um Gottes Willen, August, machen Sie keine Dummheiten, denn wenn er das Geringste merkt, so ist es vorbei. Und er ist mein Bruder,« fuhr sie fort, »zwar nur mein Stiefbruder, aber schlau ist er. Also aufgepaßt, August!«

Unter diesen leise geflüsterten Mittheilungen waren sie durch den kleinen Garten an die Hausthür gelangt und stiegen die finstere Treppe hinauf. Als sie halb oben waren, fiel unten die Hausthüre mit einem starken Schlage zu und in's Schloß, so daß es ganz dunkel war.

»Wer ist denn das?« fragte die Frau Geheimsecretairin ängstlich.

»Es wird der Zugwind gewesen sein,« erwiederte Vollbrecht, der hinter ihr war, still stand und horchte.

Er hörte keinen Laut, und jetzt wurde oben die Küche geöffnet, die alte Magd kam mit der Lampe ihnen entgegen.

»Guten Abend, Frau Heinzen,« sagte Malchen, »ist mein Onkel zu Hause?«

»Treten Sie nur gefälligst herein,« antwortete die Dienerin, »der Herr sein da. I guten Abend, Frau Geheimsecretairin, kommen Sie auch einmal wieder zu uns? Der Herr werden sich sicher freuen, er ist heute den ganzen Tag in großer Unruhe gewesen.«

»Warum denn in Unruhe?« fragte Malchen.

»Ja, warum denn?« erwiederte die alte Frau achselzuckend, »das kann ich Ihnen so eigentlich wohl nicht sagen, aber ach Gott! den ganzen Tag sein sie auf- und abgegangen, und wenn ich hinein kam, sahen sie mich kaum an, drehten sich fort, und kaum einen Löffel voll Suppe zum Mittag, kaum einen Löffel voll haben sie zu sich genommen, liebe Frau Geheimsecretairin!«

Diese geheime Mittheilung wurde schweigend angehört, dann aber hob die Frau Geheimsecretairin ihre Hände auf und faltete sie zusammen, und nachdem sie zu gleicher Zeit ihre Augen aufgehoben und den Kopf heftig geschüttelt hatte, ließ sie einen lauten Seufzer hören, mit welchem sie sich umwandte und die Thüre des Wohnzimmers öffnete.

Die Lampe stand ganz niedergeschraubt mitten auf dem Tische, und in dem großen Lederstuhle erkannte die betrübte Wittwe die Umrisse der mächtigen Gestalt ihres Bruders.

»Mein lieber Tobias, mein herzenslieber Bruder!« sagte sie mit halblauter zitternder Stimme, indem sie sich bestrebte, genauer zu sehen.

Der Angeredete setzt sich jedoch nicht, und plötzlich erhob sie ihr gellendes Organ, denn ihr kam ein schrecklicher Gedanke ein.

»Ach du mein Jes's!« schrie sie, »er ist todt, sie haben ihn ermordet!«

»Onkel! Onkel!« schrie Malchen voller Bestürzung, und Vollbrecht ließ seinen Stock fallen und sprang in seinem Entsetzen nicht vorwärts, sondern nach der Thüre zurück.

Während dessen aber hatte sich der grauhaarige Kopf aus der großen Backe des Lederstuhles aufgerichtet, und seine Augen reibend sagte der alte Mann in einem Tone, der fast lustig klang:

»Was giebt es denn? Was wollt Ihr? Warum weckt Ihr mich auf?«

Die Frau Geheimsecretairin beugte sich über ihn und drückte ihn mit Innigkeit an ihren Mantel:

»Gott sei Dank!« rief sie, »er lebt! Sie haben ihn nicht erwürgt, er ist bloß aus Verzweiflung eingeschlafen.«

»Was soll das Alles?« fragte Eckhoff mit rauher lauter Stimme, indem er die Lampe höher schraubte und deren Schirm aufschlug. Er betrachtete die Gesichter seiner Verwandten und befreite sich aus den Händen seiner Schwester. – »Wahrhaftig,« sagte er, Deine Finger an meiner Kehle machen mir allerlei Gedanken, sonst aber bin ich, wie Du siehst, wohl auf und denke es noch manches Jahr zu bleiben. Warum sollte ich denn auch verzweifeln?« fuhr er fort. »Ich habe einen gesunden Schlaf gehalten und angenehm geträumt. Ich träumte, daß mein Sohn bei mir sei, und wir waren gute Freunde geworden, denn er hatte sich bekehrt und alle seine Sünden abgethan.«

Hier schlug die Frau Geheimsecretairin die Hände zusammen und stöhnte jämmerlich. Sie wandte sich halb nach Malchen um, die des alten Mannes Stirn küßte und betrübt sagte:

»Wenn es doch wahr wäre! wenn Träume immer Wahrheit würden! Es ist aber zu viel Schlechtigkeit in der Welt, und leichtsinnige Menschen bekehren sich nicht, die fallen immer tiefer.«

»Zu viel Schlechtigkeit in der Welt!« murmelte Eckhoff. »Es ist wahr, Malchen, und die uns zunächst stehen, sind oft an Bosheit die Aergsten.«

»Ach Onkel, Onkel!« rief Malchen, »mir will es fast das Herz zerbrechen, daß Deine große Liebe so vergolten wird. Könnte ich es mit meinem Leben ändern, es sollte anders sein.«

»Du bist ein gutes Kind,« antwortete der alte Mann. »Aber was giebt's denn wieder? – Ein neues Unheil? Sprecht es aus!«

»Ich kann's nicht,« sagte Malchen, »rede Du, August. Gräme Dich nicht, Onkel, wir sind bei Dir. Laß sie thun, was sie wollen, wir sind da.«

Eckhoff stützte den Kopf in seine Hand, die andere ließ er seiner zärtlichen Nichte, die sich neben ihn setzte und dann und wann seine harten sehnigen Finger küßte, wenn diese sich zusammenzogen, was öfter geschah, je weiter Vollbrecht seine Erzählung fortsetzte. Im Ganzen jedoch hörte der alte Mann gefaßter und ruhiger zu, als man erwarten durfte, und selbst, daß seine Schwiegertochter sich so erniedrigt, wie Vollbrecht es beschrieb, brachte keine merkliche Bewegung hervor.

»Bist Du gewiß,« fragte er endlich, »daß Alles so wahr ist, was Du sagst?«

Der kleine Mann nickte feierlich und klopfte auf seinen blauen Frack, denn Malchens Augen ruhten auf ihm.

»So gewiß wie das Amen in der Kirche!« rief er feierlich und dann um so schneller sprechend: »Der Hauptmann ist öfter auch ganz allein bei ihr gewesen, da haben sie es abgemacht.«

»Eine fürchterliche Welt! Eine schreckliche Welt!« seufzte die Frau Geheimsecretairin.

»O nein, Mutter!« rief Malchen, den Kopf stolz aufhebend, »nein, die Welt muß man nicht anklagen. Anständige Frauen thun so Etwas nicht, und es giebt denn doch noch, Gott sei Dank, anständige Frauen,« fügte sie mit Nachdruck hinzu. »Aber wenn man leichtsinnig ist, sinkt man immer weiter, das ist es, was ich sage. Und sie, der Tugendspiegel, sie hat ja früher schon eine Liebschaft mit dem Hauptmanne gehabt, wer weiß denn, wie sie damals schon gestanden haben?«

»Wer hat Dir das gesagt?« fragte Eckhoff.

»Ich habe es gehört,« antwortete seine Nichte unerschrocken. »Leider sprechen die Leute ja offen genug über das Verhältniß, so daß man roth werden und sich schämen muß.«

»Der elende Mensch, der Hauptmann,« murmelte der alte Mann. »Gäb's nicht solche Taugenichtse, würde manch' Elend weniger sein. Prassen, schwelgen, verderben, ihren Lüsten fröhnen, das ist ihre Sache. Solch' Geschöpf glaubt nicht an Gott, nicht an Recht, nicht an Vergeltung. Er ist schlimmer wie das schlimmste Thier!«

»Aber, Bruder Tobias! Bruder Tobias!« schrie die Frau Geheimsecretairin, »es ist doch nun einmal nicht anders hier auf Erden. Der Herr Hauptmann ist ein feiner Herr, der nimmt, was ihm geboten wird. Und wenn man jung und reich ist und Nichts zu thun hat und das Leben genießt und darnach erzogen wird und vornehm – so – so«

Die letzten Worte erstarben ihr auf der Zunge, denn der Kopf ihres Bruders schien zu wachsen und ein Medusenkopf zu werden. Seine ganze Haut färbte sich wie mit Blut, seine weißen Haare richteten sich auf, die Adern liefen hoch darunter hin, und seine Augen quollen hervor.

»Ach, mein Jes's, Bruder Tobias!« sagte sie erschrocken, »der Schlag rührt ihn!«

In dem Augenblicke ließ sich draußen auf dem Vorflur ein Schrei hören, der Schrei eines Kindes, der sich einige Male wiederholte, darauf aber trat Stille ein, und der alte Mann stand auf und sagte strenge:

»Rührt Euch nicht von der Stelle! Ihr sollt sehen, daß ich die nicht schonen will, die es nicht verdienen.«

Als er die Thür geöffnet hatte, stand Clara vor ihm. Ein grauer weiter Mantel hüllte sie ein, eine Kappe verbarg ihren Kopf, unter dem Mantel hielt sie Etwas verborgen, das in ihren Armen lag.

»Kommen Sie herein,« sagte der alte Mann mit harter Stimme.

Sie blieb an der Schwelle stehen; ihre Augen irrten verzagt und entsetzt über die drei Familienglieder.

»O mein Gott!« rief sie voll Bangigkeit, »was wollen Sie thun?«

»Was ich muß,« erwiederte er. »Kommen Sie näher. Hier hat Keiner Etwas zu reden, als ich allein.«

»Ich verstehe,« antwortete die junge Frau mit hohler Stimme, »Sie wollen, daß ich vor Zeugen Ihnen mein Kind übergebe.«

»Es ist also noch Ihr Wille?« fragte er.

»Hier,« erwiederte sie, indem sie den Mantel zurückschlug, »hier ist Ihr Enkel, nehmen Sie ihn und halten Sie, was Sie mir versprochen. Doch noch Eines!«

Das Kind lag schlafend in einem Kissen. Sein Kopf mit dem weichen blonden Haar ruhte auf ihrem Arm, sie trat mit ihm zurück.

»Ehe ich gehe – arm, wie ich war, und unglücklicher, wie ich war,« fügte sie erstickt hinzu, »versprechen Sie mir, daß dies Kind nicht etwa in Hände gegeben wird, die –«

Ein trostloser und wilder Blick, der deutlich sagte, was sie fürchtete, fiel auf die beiden Damen hinter dem Tisch, welche neugierig erstaunt diese sonderbare Scene beobachteten.

»Geben Sie her,« antwortete Eckhoff, »und lassen Sie es meine Sorge sein, ich will das Kind vor Schaden bewahren.«

Sie hielt den Knaben ihm entgegen, er sah ihr in's Gesicht. Sie war bleich, aber sie zitterte nicht.

»Es ist also Ihr wohl überlegter Entschluß,« fragte er, »mir den Knaben zu übergeben und Mann und Haus zu verlassen?«

»Ja,« sagte sie leise.

»Und keinerlei Ansprüche wollen Sie weiter machen?«

»Nichts, ich nehme Nichts mit,« erwiederte sie. »Ich habe an Eduard geschrieben. Helfen Sie ihm, lieben Sie ihn! Das ist Alles, was ich fordere.«

»Und was soll aus Ihnen werden? Wohin wollen Sie?

»Ich werde ein Obdach suchen und finden,« war ihre leise feste Antwort.

»Bei dem Herrn Vetter etwa? he!« rief er auffahrend. »Ist's in Richtigkeit mit ihm gebracht?«

»Ich verstehe Sie nicht,« sagte Clara sich abwendend.

»Oho!« fuhr der alte Mann fort, »hat der Hauptmann noch nicht dafür gesorgt, warum wollen Sie denn fort? Hat er nicht die dreitausend Thaler gegeben und noch mehr versprochen? – Antwort, Frau, zum letzten Male. Haben Sie ihn darum angefleht oder nicht?«

»Das ist eine schändliche elende Lüge!« erwiederte Clara.

»Lüge! Eine Lüge wär's?« rief der alte Mann. »Hierher, Vollbrecht, wiederhole es ihr in's Gesicht! Sage ihr, daß der Hauptmann ihr den Kaufpreis bezahlt hat, und daß sie meinen Sohn, ihren Mann, heimlich auslacht.«

Sein Arm griff nach dem unglücklichen Vertrauten, den er mit unwiderstehlicher Gewalt an dem Kragen des blauen Fracks faßte und neben sich stellte.

Vollbrecht folgte zappelnd und sich sträubend. Er war so erschrocken von der Plötzlichkeit dieses Ueberfalls, daß er kein Wort sprechen konnte, nur hielt er bittend beide Hände in die Höhe und machte den Mund weit auf wie zu einem Schrei, obwohl er ganz stumm blieb.

»Heraus mit der Wahrheit!« sagte Eckhoff, indem er ihn schüttelte.

»Sage die Wahrheit, August!« schrie Malchen, die mit funkelnden Augen aufsprang. »Sage es ihr in's Gesicht!«

»Gerade in's Gesicht!«, schrie ihre Mutter. »Mein armer Bruder! Pfui, pfui! – Ach mein Jes's!«

Dieser letzte Ausruf blieb halb unvollendet, denn er saß ihr in der Kehle fest, als plötzlich Eduard hereintrat und mit ihm Grießfeld, der im Hintergrunde stehen blieb.

»Clara!« rief der junge Eckhoff, der einen Brief in der Hand hielt und bleich und verstört aussah, »was thust Du hier? – Sie wollen uns trennen – ich habe dies gelesen – nimmermehr! nimmermehr!«

Er zog sie an seine Brust und fuhr zu seinem Vater gewandt fort:

»Ich verlange Deine Hilfe nicht. Thue, was Du willst, stoße mich fort, aber diese da lasse ich mir nicht nehmen, um keinen Preis der Welt!«

»Du bist ein Thor!« antwortete sein Vater »und wirst einer bleiben. Willst Du meine Hilfe nicht, so lauf, ich dränge sie Dir nicht auf. Da steht ja Dein Retter hinter Dir – der wird helfen!«

»Das will ich auch, alter Herr,« sagte der Hauptmann. »Komm, Eckhoff, führe Deine Frau fort, ich habe Dir meine Unterstützung zugesagt.«

»Halt!« rief der alte Mann, indem er zwischen beide trat und sich dicht vor seinen Sohn stellte, »höre erst an, was ich Dir mitzutheilen habe. Heute früh kam Deine Frau zu mir, für Dich um Hilfe zu bitten. Ich kannte Deine Lage besser, wie Du denkst, und wußte, daß die Summe, welche Du morgen brauchst, Dir wenig helfen konnte. Deiner Frau aber zürnte ich mehr noch wie Dir, denn ich hielt sie für die Ursache Deiner leichtsinnigen Streiche. Eine Frau, sagte ich mir, die nicht so viel Macht über ihren Mann hat, um ihn von seinem Untergange abzuhalten, die Spieler und Menschen um sich duldet, welche ihn in sein Verderben ziehen, muß eben so sein oder noch viel schlechter. –

Alte Geschichten will ich nicht aufrühren,« fuhr er fort, »aber wie sie vor mir stand und ja sagte, als ich forderte, daß sie von Dir und ihrem Kinde gehen sollte, kam's mir vor, als beginge ich ein Verbrechen, und doch faßte mich wieder der Verdacht, sie thäte es nicht eben ungern, thäte es nicht aus übergroßer Liebe um Deinetwegen, sondern steckte mit dem Herrn Vetter wohl gar unter einer Decke. – Den ganzen Tag über trieb's mich in großer Unruhe umher, und wie es Abend war, lief ich hinaus; ich wollte leben und wissen, was sie triebe, wollte sie heimlich belauschen, abwarten, ob sie mit dem Kinde wirklich käme, und wer wohl bei ihr und in ihrer Nähe sein möchte.

Da saß ich unten in der Laube hinter der Hecke und hörte meine Schwester kommen mit ihrer Tochter und deren Mann und hörte deutlich, daß nicht Clärchen, wohl aber die Drei mit dem Herrn da ihr Spiel spielten. Er hatte ihnen versprochen, daß sie mich beerben sollten, darnach würde er es einzurichten wissen. Dem Spieler und Verschwender könnte ich nimmermehr vergeben, und vor dem alten Vater würde der verlorene Sohn doch nimmer um Vergebung flehen. Alle Deine Thaten hat mir der Vollbrecht getreulich hinterbracht, dazu wurde er abgerichtet; wie Du auf mich schmähtest und höhntest, wußte ich jeden Morgen. Heute hatte er ihm aufgetragen, mir zu berichten, daß Du gestern Nacht wieder einmal rein ausgeplündert wurdest, und wie es heute mit Dir stand. Aber höre mich weiter an.

Sie sollten mir es beibringen, daß Dein Weib ihn um das Geld angefleht, dabei sollten sie mir beibringen, sie stehe in einem heimlichen Handel mit ihm und sei schon, ehe sie Dich genommen, mit ihm in vertrauten Verhältnissen gewesen. Sie wußten, daß das Feuer für mich war, mein Herz auszubrennen. – Sei still, glaube es nicht, es ist nicht wahr. Ich hörte, daß der Herr da allerdings heute Morgen zu Deiner Frau kam und ihr seinen Beistand anbot, aber auch, daß sie ihn von sich wies und in große Wuth versetzte. Als sie ihre Pläne abgeredet hatten und hinein in's Haus waren, folgte ich ihnen. Es war mir wohler, wie seit Wochen; ich stieg die kleine Treppe hinauf, die von dem alten Comptoir unten in meine Kammer führt, und als sie hier hereintraten, fanden sie mich schlafend.

Und nun,« sagte er seine Hand ausstreckend, indem er sich in seiner ganzen Länge aufrichtete, »nun wähle! Da steht der Mann, der Dir sein Geld verspricht und ein freies Leben dazu, Spiel und lustige Nächte und Tage – hier aber steht Dein Vater, der Arbeit und Gehorsam von Dir verlangt. Das Geschäft nehme ich wieder in meine eigenen Hände, Du hast gezeigt, daß es Dir nicht taugt. Abhängig sollst Du von meinem Willen sein, Nichts thun, was ich nicht billige, Nichts anrühren, wozu ich nicht Ja sage. Es wird eine schwere Zeit für Dich kommen, eine Zeit der Entbehrungen und mancherlei Noth und Demuth, denn Deine Verschwendungen mußt Du gut machen, Deine Fehler mußt Du bereuen, und ehe es nicht so mit Dir steht, wie ich es will, ehe ich nicht sehe, Du bist ein Mann geworden, dem man vertrauen kann, eher hoffe nicht darauf, daß ich milder mit Dir umgehe. Lieber keinen Sohn, wie einen leichtsinnigen Sohn! Nachgeben kann ich nicht und will ich nicht. Was ich thue, ist Recht, magst Du es nicht, so geh. Recht muß Recht bleiben!«

Während er dies Alles langsam und nachdrücklich sagte, kämpfte Eduard einen harten Kampf. Sein Stolz war gebeugt, aber er fühlte doch die Schmerzen der Unterwerfung; reuig wußte er, wohin er gerathen war, allein es zu bekennen, fehlte ihm die Selbstüberwindung. Seine Augen flogen scheu umher und richteten sich dann zur Erde nieder, und als der alte Mann geendet hatte, stand er noch ohne Bewegung und Antwort.

Plötzlich aber sah er auf und sah in die Augen und in das Gesicht seiner Frau, und diese Frau hielt sein Kind in ihrem Arme, so kniete sie vor dem alten strengen Manne und hielt seine Hand, die er ihr ließ, an ihren Mund gedrückt. Es kam ihm vor, als sähe er den Vater mild auf sie blicken und die andere Hand nehmen, um sie aufzurichten, da schmolz die stolze Rinde von seinem Herzen.

»Du hast Recht, Vater,« sagte er mit fliegender bewegter Stimme, »ich war ein Thor, ich habe gefehlt. Gott weiß es, ich muß es bekennen. Verlange keine Selbstanklage, kein Bekenntniß, aber thue, was Du willst, ich werde gehorchen.«

Der Alte streckte die Hand aus.

»Sieh mich an,« sagte er, »sieh mich fest an. Es giebt ein Wesen da oben, das blickt auf uns, dem leiste Dein Versprechen, willst Du?« –

Gleich darauf breitete er seine Arme aus, Eduard's Kopf fiel an seine Brust, er stand einen Augenblick über ihn gebeugt, dann richtete er sich auf.

»Morgen reisest Du ab,« sagte er mit seiner alten Strenge, »und bleibst den Winter über in Preußen, um Holzeinkäufe zu machen. Ich weiß nicht, was Deine Frau vor hat, ob's noch ihr Wille ist, von Dir zu lassen, oder ob sie Dich begleiten will, derweil der alte Papa den Jungen hier verwahret.«

»O bester, lieber Papa!« rief die junge Frau mit überströmenden Augen, »gern will ich eine Verbannte sein.«

»Wir müssen uns Alle selber strafen,« fuhr er ernsthaft fort, »damit wir uns bessern. Deine Sachen hier werde ich inzwischen ordnen; Ihr aber da packt Euch aus meinem Hause, ich will Euch nicht länger dulden.«

»Bruder Tobias! Bruder Tobias! Ach mein Jes's!« schrie die Frau Geheimsecretairin kläglich. »Erbarme Dich, erbarme Dich!«

»Onkel,« sagte Malchen, »ich bin unschuldig, ich wußte von Nichts. Hinter unserm Rücken hat dieser schlechte Mensch –,« hier deutete sie auf ihren unglücklichen Mann, »alle diese Cabalen angestiftet. Wirst Du es bekennen?« fuhr sie heftig fort, »willst Du den Augenblick die Wahrheit sagen?«

Vollbrecht stand da wie ein Bild der Leiden. Er faltete seine Hände und senkte den schmalen langen Kopf, bis er plötzlich verzweiflungsvoll sich an dem Kragen gewaltig in die Höhe zog und aufschrie:

»Ich habe es gethan! Ich habe Alles allein gethan, ich bin ein elender, schlechter Mensch!«

»Ich glaube es gern,« antwortete der alte Mann, »aber fort mit Euch, streitet Euch zu Hause darum, wer den Preis verdient!«

Grießfeld hatte lächelnd zugehört, jetzt bot er Malchen den Arm und sagte artig:

»Lassen Sie uns gehen, Madame, ich glaube wirklich, daß wir nichts Besseres thun können.«

»Bleiben Sie mir vom Leibe!« schrie die verlorene Frau. »Sie sind der Schlechteste von Aden, Sie müßten –«

Hier machte sie eine so heftige Bewegung, daß es der Hauptmann für gerathen hielt, den Rückzug allein anzutreten. –

»Wohlan denn;« sagte er, »so dächte ich, wir schieden sämmtlich als gute Freunde, die ein gegenseitiges Stillschweigen beobachten und diese Familienscene für einen sehr guten Schluß erklären.«

»Halt!« rief Eckhoff, als er sah, daß sein Sohn sich aus Clara's Armen aufrichtete, sich zu Grießfeld wandte, und sein Gesicht eine glühende Farbe erhielt. »Nicht ein Wort mehr zu ihm. Ja, mein Herr Hauptmann, verlassen Sie uns und nehmen Sie unsern Dank mit. Gott bessert uns durch Erkenntniß des Bösen und Ungerechten, und dazu braucht er seine Werkzeuge. Gehen Sie, es war gut so, daß er Sie zu uns sandte; ich habe meinen Sohn wieder gefunden und eine Tochter erhalten, deren Werth ich nicht zu schätzen wußte. Jetzt haben Sie Ihre Dienste gethan; verlassen Sie uns. Ohne Scham und ohne Gram, wie sie sind, weiß der Herr doch auch die zu benutzen, die seiner spotten!«

Er öffnete die Thüre. Sie gingen sämmtlich heraus, ohne Etwas zu erwiedern. Der Greis war allein mit seinen Kindern. Einen Augenblick stand er gedankenvoll, dann verschwand die Strenge aus seinem Gesicht, ein mildes Lächeln trat darin hervor.

»Ich habe meinen Sohn wieder gefunden!« rief er seine Arme öffnend, »und Du –, Du – meine Tochter, Segen über Dich! – Du sollst das Band sein zwischen mir und ihm.«

Im Frühjahr kehrte Eduard mit Clärchen zurück. Jetzt wohnt er wieder in dem großen Hause einträchtig mit dem alten Vater. Der Hauptmann lebt am Rhein oder in Paris; auch Vollbrecht hat Vergebung erhalten, die Frau Geheimsecretairin und ihre Tochter loben seinen Gehorsam und seine Pünktlichkeit.

* * *