Theodor Mügge

Der Propst von Ulensvang

 

Gesammelte Novellen. Dritte Abteilung.
Einzelausgaben.
Zweiter Teil


 

Neu herausgegeben
von
lobo.dox@freenet.de

2024

 

Am Syrfjord in Norwegen, dicht an dem Felsengestade, liegt die Kirche von Ulensvang, und neben ihr steht das Pfarrhaus, beschattet von alten Nußbäumen, die ihr mächtiges Geäst über Fenster und Giebel werfen. Im Jahre 1814 hatte die Frühlingssonne soeben mit jungen grünen Spitzen und Blättern jene narbigen Riesen bekleidet und den Winter überall von dem schönen, seltsamen Fjord verjagt. Jetzt lag er in seiner Herrlichkeit schimmernd da, die funkelnden kleinen Wellen seines tiefen Wasserbeckens angehaucht vom röthlichen Abendlichte und die nackten gelben Felsen, welche vom schmelzenden Schnee trieften, auf allen Absätzen reich begrünt und mit blühenden Gräsern und Büschen bedeckt.

Es ist gar herrlich an den Fjorden Norwegens, aber der Syrfjord ist einer der schönsten. Zwischen 4 bis 5000 Fuß hohen glatten Felsen ruht der breite, glänzende Meeresarm, kein Pfad führt über diese Klippen, keine Straße läuft an den Ufern hin. Die Menschen wohnen da und dort, bald unten, wo die Bäche münden, bald oben auf den Absätzen der Berge, und wer den Nachbar besuchen will, muß meist im Boote zu ihm schiffen, wenigstens kommt er am leichtesten so zum Zweck.

Aber fast alle diese Felsenwände sind bis zur halben Höhe grün und belaubt; Haselnußwälder ziehen meilenweit fort, Waldbäume von wunderbarer Gestalt und Stärke blicken von den Klippen in's schäumige Meer, und über ihnen liegen die Weideplätze der Hirten vom Hardanger bis an dem ewigen Eise der Folgefondengletscher.

Gerade diesem gewaltigen Eisberge gegenüber liegt der alte Pfarrhof, und der große Mann dort, der langsam unter den Nußbäumen auf und nieder schreitet, im dichten Silberhaar, weiß wie der Schnee des Alpengipfels, das ist der Propst von Ulensvang, der liebevolle Freund und Helfer der armen Hirten und Bauern am Fjord, und einer der besten Männer im ganzen Lande.

Der alte Propst hielt einen Brief in der Hand, den er gelesen hatte, und welchen er wiederum öffnete, um einen Blick hinein zu thun. –

»Sie rufen mich zurück nach Christiania,« sagte er vor sich hin, »und sie haben Recht, denn die Gefahr ist groß. In Zeiten, wo es gilt, für das Vaterland zu kämpfen, soll jeder Mann auf seinem Platze sein und durch Nichts sich abhalten lassen, seine Pflicht zu erfüllen.« –

Er betrachtete den Himmel und das glühe Leuchten der Abendsonne, welche die Eissäulen der ungeheuren Kuppel der Folgefonden in Feuer verwandelte.

»Es wird böses Wetter geben,« fuhr er fort. »Auf dem Hardangerfjeld liegt der Schnee noch tief, und doch muß ich hinüber, weil der Weg der kürzeste ist.«

»Mußt Du denn fort, Niels Herzberg?« sagte eine sanftblickende Frau, die leise das Fenster hinter ihm geöffnet und seine letzten Worte gehört hatte.

»Ja, Anna, ich muß morgen aufbrechen,« erwiederte der Propst, der sich zu ihr umwandte.

»Morgen mußt Du nicht,« fuhr sie fort. »Sieh den Folgefonden an. Der Fanarauch treibt den feinen, in Millionen blitzende Nadeln aufgelösten Schnee wirbelnd über seinen Gipfel und zieht sich dort über den Ochsen hin; er hat seinen schwarzgelben Hut aufgesetzt, das hat mein Lebtag Sturm und Unwetter bedeutet.«

»Dennoch muß ich,« erwiederte der alte Mann, die Berge betrachtend, »und wenn sie alle ihre Nebelkappen trügen.«

»Und wirst uns hier allein lassen,« fuhr die Frau klagend fort, »mich und die arme Mary! Wenn Dich Unglück trifft, Niels, wer soll und schützen?«

»Lieb' Weib,« sagte der alte Mann, und in seiner Stimme lag etwas vorwurfsvoll Hartes und doch Tröstendes und Beruhigendes, »kannst Du denn wollen, daß ich bliebe, wenn das Vaterland mich ruft? Würdest Dich schämen, Anna, wenn es von dem Propst in Ulensvang hieße, sie hatten nach ihm ausgesandt, aber er kam nicht! Geh', Anna, Du kennst mich besser; geh', lieb' Weib, bestelle den Tisch und trau' auf den Lenker aller Dinge: in seiner Hand liegt das Geschick der Lebendigen!«

Die Mienen der Frau erheiterten sich, während ihr Gatte sprach, und sie sah ihn zuletzt mit so freudiger Gläubigkeit an, als betrachte sie einen Heiligen.

»Was Du sagst, ist wahr,« erwiederte sie. »Im ganzen Lande, bis nach Bergen hin, sieht man auf Dich. Was Du thust und sprichst, macht den Leuten Muth; kommen sie doch Alle von nah und fern zu Dir und hören Deinen Rath. So geh denn, Niels, Gott wird Dich schützen. Männer, wie Du, dürfen nicht nach der Furcht einer schwachen Frau fragen, wenn das Vaterland sie braucht und sie entschlossen zum Handeln sind.«

Sie zog sich vom Fenster zurück, und der Propst nickte ihr lächelnd und dankend nach.

»Bin ich nicht ein glücklicher Mann!« rief er sich selbst zu, »solche treue verständige Hausfrau zu besitzen? Ja, der Himmel hat mich reich gesegnet. Er hat mir ein gutes Weib, ein liebes Kind geschenkt, aber doppelte Pflichten auch, um für sie zu sorgen, daß sie als freie Menschen leben und sterben auf der heimathlichen Erde. Nicht als Sklaven,« fuhr er erregt fort, »die scheu zu Boden blicken oder jubeln, wenn der Herr befiehlt, sondern die da fühlen und empfinden, daß sie einem freien Volke angehören.«

Er blickte über den Fjord hinaus und sah ein kleines Boot auf den Wellen schaukeln, das von raschen Ruderschlägen getrieben wurde. Die Dämmerung ließ ihn noch erkennen, daß zwei Männer im Hintertheil saßen, und erwartungsvoll blickte der Propst darauf hin, während er leise sagte:

»Wäre doch meine Mary ein Mann, der das Schwert führen könnte, jetzt, wo es gilt, die Freiheit zu vertheidigen. Aber was frommen solche Wünsche; es sind Seifenblasen. Ich bin zufrieden, daß Henrik sie sich verdient, und wenn ich nicht wüßte, daß der gute Junge seit Wochen schon bei seinem Regimente ist, würde ich glauben, daß er es wäre, der dort hinten am Bootsrande sitzt.«

Während er dies sprach, lief das Boot hinter großen Steinen und Weidenbüschen in eine kleine Bucht und entzog sich den Augen des Propstes, der unter den Bäumen vortretend sich langsam dem Orte näherte, wo er laute Stimmen hörte und späte Gäste vermuthen mußte; plötzlich aber sprang ein junger Mann hastig über die Felsblöcke gerade auf ihn los, und mit einem Ruf der Freude drückte er den alten Pfarrer an seine Brust, der vor Erstaunen beinahe seine gewöhnliche Fassung verlor.

»Henrik Ridderholm!« rief er endlich, »wie kommst Du hierher?«

»Ja, wie komme ich hierher,« erwiederte der junge Mann lachend. »Als Narr des Glücks, der selbst noch nicht recht begreift, wie ihm geschieht. Ich bin an den Syrfjord gesandt, um hier und im Hardanger eine Schützenabtheilung zu bilden. Dort steigt mein Begleiter, Hauptmann Bunge, über die Steine, der das ganze Land im Westen bis Bergen hin zu Waffen rufen soll, und er denkt seinen Vater schon bei Euch vorzufinden. Nun aber sagen Sie mir, wie geht es meiner lieben theuren Mary?«

»Ich denke,« erwiederte der Propst, »Du überzeugst Dich selbst und verwandelst ihren Kummer in Glück.«

Der junge Offizier nickte fröhlich und lief leichten Fußes dem Fenster zu, während sein Begleiter von dem zurückbleibenden Pfarrer empfangen wurde. –

Das erste Wort des Hauptmanns war eine Frage nach seinem Vater, dem Staatsrath, der bei Bergen auf seinem Gute sich befand, und er stieß einen derben Soldatenfluch aus, als er hörte, daß Herzberg Nichts von ihm wußte.

»Nur Geduld,« sagte der Propst, »er wird kommen; aber wie steht es bei der Armee, Hauptmann Bunge?«

»Stehen,« rief der Officier mit einem finstern, spöttischen Lächeln, »schlecht, herzlich schlecht, wenn nicht Odin's Helden aus Walhalla uns zur Hilfe kommen. Kaum 12 000 Mann können wir zusammen bringen, und größtentheils Menschen, die besser mit der Heugabel, als mit dem Gewehr umzugehen wissen. Es fehlt an Pulver und Blei, die Festungen sind nicht proviantirt, Verwirrung überall, kein Officier, der den Krieg versteht.« –

»Das ist eine traurige Schilderung,« fiel der alte Propst bewegt ein, »aber wo es so viele tapfere, freiheitliebende Herzen giebt, wie in Norwegen, soll man nicht verzagen, am wenigsten muß dies ein Soldat thun. Unser Land mit seinen Bergen und Schluchten ist ganz und gar eine große Festung, jeder Mann in unserm Volke haßt die Schweden tödtlich, und haben wir nicht einen jungen König gewählt, der geschworen hat, mit uns zu leben und zu sterben?!«

Bei diesen Worten lachte der Hauptmann laut auf.

»Was sind Königsschwüre?« rief er. »Spreu, die der Wind durch die Lüfte führt. Dieser Schürzen-König läuft den Dirnen nach, trinkt mit seinen Günstlingen Champagner und Punsch, vom Abend bis zum Morgen und wird der Erste sein, der Norwegen verräth.«

»Herr Hauptmann Bunge,« sagte der Propst heftig, »was Sie da sagen, ist schweres Verbrechen!«

»Herr Propst Niels Herzberg,« erwiederte der Officier kalt, indem er seine kriegerische Gestalt stolz aufrichtete, »was ich da sage, ist Wahrheit! Wo hat dieser König Christian je gezeigt, daß er ein Mann ist? In Eidsvold hat er die Verfassung Das norwegische Grundgesetz, 1814 vom Volk kraft der die Regierung legitimierenden Volkssouveränität beschlossen, zu seiner Zeit mit seinen Grundprinzipien der Volkssouveränität, der Gewaltenteilung und der Freiheit des Individuums (wozu besonders die Meinungsfreiheit zählte) die – vom Religionsartikel (§ 2) abgesehen – modernste Verfassung Europas und hat als einzige in Europa die Restauration nach dem Wiener Kongress überstanden. (Siehe auch in Bd. 6 dieser eBook-Edition der Novellen von Theodor Mügge die Erzählung »Riukan-Voß«, in der es um denselben historischen Sachverhalt geht.) beschworen, weil er nicht anders konnte, weil es der einzige Weg war, um uns bei Dänemark festzuhalten; aber er hat es mit Widerwillen gethan und wird uns die alte dänische Despotie bald genug zum Besten geben, wenn die Umstände es möglich machen. Weidlich, schwelgerisch, von dänischen Junkern umgeben, verbringt er jetzt die Zeit mit Schranzen und Weibern; statt wie ein Mann zu handeln, singt und küßt er, denkt an Feste und Vergnügen und hält Reden! – Ja, wenn Reden Thaten wären, so wäre dies der größte König, den je die Welt gesehen hat; aber er zittert vor der Stunde, wo er –«

Hier schwieg der Hauptmann und wendete den Kopf dem Fjord und dem hohen, im letzten Abendleuchten glänzenden Folgefonden zu, von dem ein dumpfes Krachen den Fall einer Eis- und Schlaglawine verkündigte.

»Weiter!« sagte der Propst mit leise zitternder Stimme.

»Er zittert vor der Stunde,« fuhr Bunge fort, »wo er dem Helden entgegen treten soll, der von den Schlachtfeldern Deutschlands siegreich zurückkehrt. – Der Kronprinz von Schweden steht mit 20 000 Mann an der Grenze.«

»Fluch über alles, was Schwede heißt!« rief Herzberg mit ausbrechendem Grimm. »Ich will's nicht glauben, Hauptmann Bunge, daß Sie schwedisch gesinnt sein können.«

»Ich urtheile als Soldat,« erwiederte der Officier, den alten heftigen Mann ruhig anblickend, »und sage als solcher, daß ein tapferes, kriegsgeübtes Heer an unserer Grenze steht, geführt von einem der besten Generale Europa's, dem wir Nichts entgegen zu setzen haben, als – einen König! Lassen Sie uns in's Haus gehen, Herr Propst, es weht kalt von den Bergen, und wie es scheint, sind wir Beide heiß geworden.«

 

Am nächsten Morgen war es früh schon lebendig in dem Pfarrhofe. Am Abend war der Staatsrath Bunge gekommen, und bis tief in die Nacht hinein hatten die Männer beisammen gesessen und über des Vaterlandes Noth und Zukunft gestritten.

Der Staatsrath hatte Aufträge der Regierung zu vollziehen; er sollte so viele Lebensmittel, als möglich, aus dem Westen nach Christiania schaffen, um Heer und Festungen zu versorgen. Allein Norwegen war von den Schweden in Blokadezustand erklärt. Schwedische Kaper- und Kriegsschiffe kreuzten an den Küsten; Dänemark hatte seine Häfen gesperrt und alle Kornausfuhr nach Norwegen verboten, eben so wenig war von Deutschland und England zu erwarten. Ganz Europa stand ja kampfbereit gegen das kleine, arme, verlassene Volk.

Der Staatsrath hatte daher schlechte Geschäfte gemacht und Nichts als Stockfisch auftreiben können, den die Nordländer in ungeheuren Massen jährlich nach Bergen fahren. Seine Erzählungen, sein ganzes Benehmen, seine einzelnen Aeußerungen und Anspielungen hatten den Propst so beunruhigt, daß er die ganze Nacht nicht schlafen konnte. Mit seinem starken Herzen voll Freiheitsliebe und kühner Hoffnung stand der alte Mann ganz allein zwischen seinen Gästen, die alle jünger waren als er und doch weit kühler und bedenklicher.

Der Hauptmann, welcher früher im französischen Heere gedient und den Feldzug in Deutschland mitgemacht hatte, sah mit schlecht versteckter Verachtung auf das ungeübte norwegische Heer und auf die Landwehr der Bauern.

»Er kann den dänischen Ursprung nicht verleugnen,« murmelte der Propst, indem er sich auf die andere Seite warf. »Das eitle, anmaßende, gleißnerische Dänenvolk ist zur Knechtschaft geboren, zum Schmiegen, Bücken und Hofedienen vor seinen verschwenderischen, absoluten Königen von Gottes Gnaden und seinem zahlreichen verarmten Adel, der alle Stellen im Heer und Staat als sein wohlerworbenes Eigenthum betrachtet. Aber Henrik Ridderholm?« fuhr er lauter fort, »ist er denn besser? Stieß er nicht mit dem Hauptmann fast in dasselbe Horn und pries den schwedischen Prinzen, als wäre der sein bester Freund? Sind das norwegische Männer, die ihres Vaterlandes grimmigsten Feind bewundern?«

So lag der alte Propst bis an den Morgen, wo er einschlief und später erwachte, als er sonst zu thun pflegte, denn die Sonne schien schon warm in sein Fenster, und als er hinabblickte, sah er die hübsche Mary mit Henrik auf den Klippen am Fjord Hand in Hand stehen, und vor ihm im Garten gingen der Staatsrath und sein Sohn im eifrigen Gespräch auf und nieder.

Unter den merkwürdig alten Kirschbäumen, deren Aeste auf Stützen ruhten, hatte Frau Anna den Kaffeetisch gedeckt. Alle schienen den Propst zu erwarten, und als er das Fenster öffnete und hinabgrüßte, klatschte der Staatsrath lachend in die Hände und rief hinauf:

»Das nenne ich einen gründlichen Schlaf halten, trotz Schweden und Russen. Kommen Sie schnell, lieber Herzberg, ich muß Ihnen eine Neuigkeit mittheilen.«

»Ist es eine gute Nachricht oder eine schlechte?« fragte der Propst, als er unten war und Bunge's ausgestreckte Hand schüttelte.

Der Staatsrath schüttelte den Kopf.

»Es ist eine Nachricht, die nicht eben tröstlich klingt,« sagte er, »aber mich doch sehr ergötzt. Die Abgesandten des Königs sind in England so schlecht aufgenommen worden, daß man sie zuvörderst nicht an's Land lassen wollte. Endlich setzten sie es durch, daß sie als Privatpersonen nach London durften. Der vortreffliche, weise Jakob Aall, der heldenmütige Christie und Herr Rosenkilde, der dem Gott Merkur an Pfiffigkeit Nichts nachgiebt, glaubten nun schon eine englische Flotte nach dem Christanssund steuern zu sehen. Eines schönen Morgens aber wurden sie alle drei aufgepackt und, ohne einen Minister gesehen zu haben, in eine Kriegsbrigg geworfen, die sie glücklich in Christiania ablieferte.« –

Er lachte laut auf und fuhr, ohne das strafende Gesicht Herzberg's zu beachten, fort:

»Ich habe das vorher gesagt, alle diese feinen Versuche mußten scheitern. Der Prinz Regent und Castlereagh fragen viel nach uns, ob wir uns ihnen auch zu Füßen werfen und um Gnade bitten. Selbst das saubere Anerbieten, uns zu englischen Unterthanen zu machen, hat Nichts geholfen. Die heilige Alliance hat einen zu festen monarchischen Kitt, um unsertwegen aus den Fugen zu geben.«

»Wer hat das gethan! Wer hat uns zu Unterthanen Englands machen wollen?« fragte der Propst blaß vor Zorn.

»Wer?« erwiederte der Staatsrath. »Nun, die englische Partei in Christiania, unsere Krämer und Handelsmänner. O, es sind gute Leute darunter, Männer,« fuhr er fort, »von Ansehn und schweren Geldsäcken, Hüttenbesitzer, Großhändler, die im Storthing sitzen. Sie rechnen die Prozente heraus bis auf Dezimalbrüche, die es bringen würde, wenn Norwegen eine englische Kolonie würde, und messen im Voraus ihre eisernen Geldkasten, die viel zu klein scheinen, um den Segen unterzubringen.«

Der alte Propst stöhnte schmerzlich bei den letzten Worten.

»Ja,« sagte er finster vor sich hinblickend, »es ist nur zu wahr, ein Kaufmann hat kein Vaterland, er weiß Nichts von Freiheit, Ehre und den höchsten Gütern eines Volkes. Sein Vaterland ist die Börse, sein Volk die Mäkler und Agenten, seine Freiheit wird nach Pfeffer- und Kaffeesäcken gemessen oder nach dem Steigen und Fallen der Course, und statt des Herzens hat er einen Geldsack in der Brust. Wehe dem Lande, wo die Geldleute Gesetze machen! Wehe dir, mein armes Vaterland! wenn jemals die Krämer dein Schicksal bestimmen.«

Der Staatsrath warf einen durchdringenden Blick auf seinen Nachbar und sagte dann:

»Wir stimmen ganz überein. Handel, Gewerbe, Ackerbau, Arbeit gehören zum Volksglück und müssen von einer guten Regierung sorgfältig gepflegt werden; wenn aber eine Klasse sich zum einzigen bewegenden Rade der ganzen Staatsmaschine machen will, so müssen alle übrigen leiden und sich den Interessen der einen unterordnen, was zur schmählichsten Tyrannei wird.«

»Darum gleiches Recht für Alle, gleiche Freiheit, die Keinen ausschließt!« rief der Pfarrer.

Herr Bunge lachte.

»Was will das sagen?« erwiederte er. »Gleiche Rechte mag man auf's geduldige Papier schreiben, in Wahrheit aber kann die Gleichheit nie so abgemessen werden, daß nicht eine Richtung, eine Klasse das Uebergewicht erhielte.«

»Ich dächte,« sagte der Propst, »wir hätten in der Verfassung von Eidsvold dafür gesorgt, daß die Freiheit ein Gemeingut Aller wäre.«

»Was habt Ihr gesorgt?« rief der Staatsrath dagegen. »Ihr habt den Bauern zum Herrn gemacht, das habt Ihr, und es fehlte nur noch, daß Ihr Falsens Narrheit kröntet und den Adel ganz und gar abschafftet.«

»Das wird und muß geschehen,« versetzte Herzberg, »denn zu einem freien Volke paßt ein Adelstand nicht, der sich absondert und besser dünkt. Wenn sie auch nur ihre Grafen- und Baronentitel behalten, so liegen darin die Keime und Zweige eines Kastenwesens, das eine Scheidewand zwischen sie und ihre Mitbürger legt.«

»So, so!« rief Bunge; »nun, ich gehöre auch zu einem alten Geschlecht, so gut wie Sie, Propst Herzberg. Wir Beide werden uns freilich nicht viel daraus machen, wenn unsere Wappen verschwinden; aber damit ist wenig gethan. – Was nützt es zu dekretiren, daß eine Aristokratie aufhören soll? Adelig oder nicht adelig, die alten Familien werden darum ihr Ansehen nicht verlieren. Haben wir doch Bauern in Guldbrands Dalen, deren Ahnherren Könige waren, und noch immer zeigt das Volk auf sie, und ihre schwarzen alten Höfe auf den Hügeln, in denen die Häuptlinge einst thronten, werden mit Ehrfurcht betrachtet. Mein lieber Niels Herzberg, glauben Sie mir, die Menschen wollen und müssen Götzen haben, zu denen sie beten. Nehmt ihnen die Grafen und alten Adelsgeschlechter, so machen sie sich neue. Es entsteht die heillose Geldaristokratie; oder wenn ihr meint, in unserem geldarmen Lande sei das nicht möglich, gut, so entsteht eine Aristokratie der Grundbesitzer, der Eigenthümer und Bauern, die mit nägelbeschlagenen Holzschuhen Alles zu Boden tritt, Kunst und Wissenschaft verachtet und blind eigennützig nur ihrem engherzigen Egoismus anhängt.«

»Sie kennen das Volk nicht,« erwiederte Herzberg, »wir haben einen solchen Egoismus nicht zu fürchten. Es wird in der ersten Zeit freilich Manches mangeln, aber wir sind ein verständiges Volk, und an uns ist es, die rechte Aufklärung und Lehre zu verbreiten. – Sehen Sie, Herr Bunge, ich bin ein Mann, der das Volk kennt und liebt, darum kennt und liebt es auch mich, und ich sage Ihnen, daß mehr Lust und Drang sich zu bilden und zu unterrichten, mehr Ehrfurcht und Achtung vor Wissenschaft und Kunst in diesen einfachen Hirten, Jägern und Fischern ist, als manchem Staatsmanne beiwohnt. Man nähre das Volk nur mit gesunder Lehre, sorge für seine Bildung und Erziehung, stelle sich so zu ihm, daß sein allezeit richtiger Instinkt ihm sagt: Das ist ein Mann, der Wahrheit zu uns spricht, ein Mann, der ein Herz für uns hat, und, glauben Sie mir, das Volk wird vorwärts streben, nicht in Barbarei und Rohheit fallen. Wo aber könnte es sich besser bilden, als in der Freiheit, wenn es Antheil nimmt an Allem, was das Vaterland angeht, und nirgend ein Hemmschuh ist, der seine Kräfte lähmt?«

»Ich höre Sie gern mit solchem Feuer sprechen,« erwiederte der Staatsrath, »allein ist es denn wirklich so, wie Sie sagen? Sie haben durch die Verfassung allerdings eine gänzlich freie Presse geschaffen, dem Volke alle Grundrechte freier Völker gegeben, aber das eigentliche Volk, das keinen Grundbesitz hat, haben Sie doch vergessen und von Rechten ausgeschlossen. Ihre Demokratie ist also in Norwegen ohne den rechten Boden, denn die Masse hat kein Wahlrecht, und überhaupt sieht man es der ganzen Verfassung an, daß Leute sie gemacht haben, die für Freiheit schwärmten, aber doch nicht für eine amerikanische, republikanische, sondern für die altgermanische einer Besitzaristokratie, die im Thing sitzt und mitredet, während die Besitzlosen außerhalb des Kreises stehen.«

»Meine Schuld ist es nicht,« murmelte Herzberg vor sich hin.

»Ich freue mich darüber,« rief Bunge, »denn das zeigt doch von einer Spur gesunder Vernunft; aber haben Sie auch die Folgen bedacht? Wie ich schon sagte, der Bauer wird Herr hier im Lande, und das ist kein Vergnügen für gebildete, anständige Leute.«

»Wir müssen es abwarten,« erwiederte der Propst.

»Wir müssen es nicht abwarten,« rief der Staatsrath, »darin liegt es eben, und darum müssen Alle, die es wohlmeinen mit dem Vaterlande, daran denken, wie wir dem Unglück zuvorkommen.«

»Ich verstehe Sie nicht,« sagte der alte Mann, sein ernstes Haupt schüttelnd.

»Mit einem Worte denn: So wie sie ist, kann die Verfassung nicht bleiben, sie muß geändert werden, dem Bedürfnisse angemessen und den Verhältnissen.«

»Welchen Verhältnissen?« fragte Herzberg ganz betäubt.

»Mein alter Freund,« sagte der Staatsrath vertraulich, »sollten Sie wirklich nicht wissen, daß sich eine mächtige schwedische Partei gebildet hat, zu der die besten Männer gehören? Wedel-Jarlsberg selbst steht an der Spitze, der patriotische Graf, der wohl einsieht, daß das freie, unabhängige Norwegen ein Traum ist. Der schwache Prinz oder König Christian kann sich nicht halten, er muß fallen. Wir können dem ganzen Europa nicht widerstehen, es wäre Wahnsinn, so müssen wir denn schwedisch werden.«

»Schwedisch!« rief der Propst; »es ist eine Lüge.«

»So hören Sie doch ruhig an,« fuhr Bunge fort. »Wir werden schwedisch, aber mit einer freien Verfassung. Freilich keiner Bauernverfassung, sondern einer, wo die Männer von Vermögen, Stellung, Bildung und Talent ihre Anerkennung finden. Eine gegliederte Verfassung, in welcher sich die verschiedenen Lebensverhältnisse entwickeln können, der Bauer als Bauer, der Adel als Adel behandelt wird.«

»Und zu diesen Umbildungen nach schwedischer Weise wollen Sie mich auffordern?«

»Ein Mann wie Sie,« versetzte Bunge, »so erfahren, so genau bekannt mit Land und Leuten, muß einsehen, daß es das Beste ist, und hat dafür eben so sehr den Dank des Volkes, wie der Krone zu erwarten.«

»Herr Staatsrath,« rief der alte Propst im höchsten Zorne, »ich verbitte mir alle Beleidigungen in meinem Hause, allen Verrath unter meinem Dache. Schande und Schmach über Sie, der Sie solche Gesinnungen auszusprechen wagen.«

Der Staatsrath gerieth in Verlegenheit und suchte den heftigen alten Mann zu beruhigen, aber dieser war auf's Tiefste verletzt.

»Ja,« rief er aus, »das Vaterland muß untergeben, wenn solche Ränke gesponnen werden von Denen, die zunächst mit Leib und Gut und Ehre treu bei ihm festhalten sollten.«

»Alter Freund,« sagte Bunge, »Sie wissen hier an Ihrem einsamen Fjord nicht, was in der Welt vorgeht. Der größte Theil des Volks aber denkt wie ich, und selbst die Armee ist der Meinung, daß kein Widerstand von Belang geleistet werden könne. – Hier ist mein Sohn,« fuhr er fort, »fragen Sie ihn, hören Sie, was er von diesen Verhältnissen sagt, die er kennt.«

»O! ich weiß, was der Hauptmann denkt,« erwiederte Herzberg mit Bitterkeit. »Er denkt gut schwedisch, wie Sie selbst, und möchte seinem großen Helden, dem Kronprinzen, wohl je eher je lieber zu Füßen fallen.«

»Ich hoffe, Herr Propst Herzberg,« sagte der Officier mit Nachdruck, »daß Sie meine Ehre nicht antasten wollen. Ich werde fechten, so lange ich kann, aber meine Ueberzeugungen können sich dadurch nicht ändern, und diese sagen mir, daß es Thorheit ist, einen solchen Kampf zu beginnen. Wir sind arm, ausgesogen, ein Hirten- und Fischervolk; wo sind die Mittel, um glücklich zu bestehen?«

»Wenn Sie so fragen,« rief der Geistliche, »so ist damit schon die Niederlage entschieden. Ein freiheitbegeistertes Volk, wie arm und klein es auch sein mag, kann Wunder thun. Miltiades hat nicht gefragt, wie viele Tausende Xerxes herbeiführte, aber wenn ein Soldat hoffnungslos in den Kampf geht, wird er geschlagen; nur die freudigste Begeisterung, der unerschütterliche Todesmuth kann uns retten, und der fehlt uns, wie ich sehe.«

Der Kapitän zuckte mitleidig die Achseln und lächelte spöttisch.

»Du siehst, lieber Vater,« sagte er, »daß der Propst zu Denen gehört, die aus den Geschichtsbüchern sich begeistern, aber die Welt ist eine andere geworden, und ich will Ihnen voraussagen, wie es kommen wird. Wir werden tapfer kämpfen, allein die höhere Kriegskunst, das Talent wird uns besiegen, und verlassen von Denen, die zunächst Ihren Todesmuth bewähren sollten, werden wir die Gnade des Siegers anflehen müssen.«

»So urtheilen Sie, weil Sie ein halber Normann sind,« rief Herzberg.

»Herr Propst,« erwiederte der Officier drohend, »ich halte dem Alter viel zu gut, aber –«

»Da kommt Henrik,« fiel der erzürnte Greis ein. »Sagen Sie, was Sie wollen, und denken Sie, was Sie wollen, meinen Glauben, daß Sie nicht denken, wie ein Sohn des Vaterlands in diesem Augenblick denken muß, werden Sie nicht ändern. Komm her, Henrik,« fuhr er fort, als er den jungen Mann an der Seite der glücklichen Mary durch den Garten eilen sah. »Komm hierher und sprich aufrichtig, was Du denkst über den Freiheitskampf Deines Vaterlandes! Meinst Du, daß es wohlgethan sei, Leib und Leben, Hab und Gut daran zu setzen, um unsere Verfassung, unser Recht und unsere Freiheit bis auf den Tod zu vertheidigen, oder ist es Deine Ueberzeugung, daß es besser wäre, sich dem Willen der großen Monarchen zu unterwerfen, die uns wie eine Schafheerde verhandelt haben, ohne uns zu fragen. – Sollen wir Schweden werden, Henrik, oder Norweger bleiben? Frei leben und sterben auf unserer Väter Erde oder dem Erbfeinde uns überliefern, der seit Jahrhunderten uns zu erobern strebt?«

Der junge Mann war herangetreten und stand vor Herzberg, den Arm um Mary gelegt, die mit einer gewissen Aengstlichkeit ihn betrachtete, denn während ihr Vater sprach, hatte sie wohl bemerkt, daß Henrik in Unruhe gerieth und sein Gesicht sich röthete.

»Lieber Vater,« sagte er ausweichend, »ich bin dazu berufen, mein Volk und Land schützen zu helfen vor seinen Feinden, und thue es freudig, so lange mein Arm hält.«

»Aber die Schweden,« rief der Propst ungeduldig, denn er fand die Antwort kühl, »die Schweden, Henrik, unsere Todfeinde? – Dein Vater war mein liebster Freund, er haßte sie wie die Hölle, er hätte hundert Mal sein Leben geopfert, ehe er es geduldet hätte, daß Norwegen schwedisch würde. – Du, sein Sohn, ein echter Norweger, ziehst Du mit Begeisterung in diesen Kampf für die freie Verfassung und den König Christian?«

»Für Norwegens Freiheit, ja,« erwiederte Henrik, »für König Christian, nein! – Zürnen Sie nicht, Vater,« fuhr er fort, »wäre dieser König ein Mann wie der Kronprinz von Schweden, oder wäre dieser Kronprinz unser Kronprinz, mein Leben wollte ich freudig hingeben für ihn, mein bestes Blut möchte fließen, siegen oder sterben wollten wir Alle und den letzten Stein in Norwegen mit den Zähnen vertheidigen.«

»Für ihn, für den Fremden, für den französischen Marschall, der das Königsschloß in Stockholm bewohnt,« murmelte der alte Propst, und durch seinen Kopf flogen seltsame Gedanken. –

Welcher böse Feind reißt auch diesen Jüngling fort, dachte er, daß er diesem stolzen, glücklichen Fremdling sich zum Opfer bringen möchte?

»Du meinst also,« sagte er dann sich bezwingend, »daß wir besser thäten, unseren König gegen diesen Kronprinzen einzuwechseln?«

»O! wenn das ginge, Glück auf die Reise,« rief Henrik. »Der Kronprinz genießt allgemeine Achtung in unserem Heere. Man erzählt von ihm die schönsten und edelsten Züge. Er ist so tapfer wie höflich, so kühn wie mild, freigebig und menschlich; die Schweden sind ganz entzückt von seiner Güte, und bei den kleinen Gefechten, die wir an der Grenze gehabt haben, hat er die Gefangenen frei gegeben, beschenkt und es auf's Tiefste beklagt, daß er gegen uns die Waffen führen müsse.« –

»Nun, alter Freund,« sagte der Staatsrath Bunge lachend, »da hören Sie eine Lobrede auf unseren edelmüthigen Feind, die nicht feuriger gehalten werden kann.«

»Du gehörst also auch zur schwedischen Partei?« fragte der Propst, so ruhig er konnte.

»Ich gehöre zu Denen, die da wünschen, daß wir in Frieden und Eintracht mit den Schweden leben. Norwegen bildet einen Theil Skandinaviens, Schweden die andere Hälfte, naturgemäß passen wir zusammen, besser wie zu den Dänen, die durch's weite Meer von uns getrennt sind. Wir haben allzu lange erfahren, was das heißt, von Kopenhagen aus regiert zu werden.«

»Und Du meinst, wir könnten es jetzt versuchen, wie es sich von Stockholm aus machte?«

»Das ist ja nicht nöthig, und ich wünsche es nicht,« erwiederte Henrik, »aber wenn es sein müßte, wäre es immer besser, als was wir gehabt haben, und was wir haben können, wenn es so fortgeht, unter einem Könige, der so gering in Achtung steht.«

Die düstere Falte auf der Stirn des Propstes zog sich dunkelroth zusammen, und plötzlich trat er zwischen Henrik und Mary, trennte ihre Hände und rief mit größter Heftigkeit:

»Wenigstens mein Haus will ich vor Schande und Verrath bewahren, in meine Familie soll er nicht eindringen. Gut, daß ich Deine Gesinnung bei Zeiten erkannt habe. Geh' hin und verrathe Dein Vaterland, gehöre zu Denen, die den Fuß auf seinen Nacken setzen, bei mir stehst Du nicht mehr, zu mir gehörst Du nicht mehr, ich trenne Dich von mir und den Meinen.«

Der junge Mann stand bleich und schweigend vor dem erzürnten Vater seiner Geliebten, aber in der nächsten Minute blitzten Stolz und Scham in seinen Augen. Er wußte nicht, ob er glauben sollte, was ihm geschehen war, als er aber Mary betrachtete, die weinend und bittend den Propst umfaßte, und die beiden Herren, seine Freunde, welche mißmüthige, ernste Blicke auf Herzberg richteten, sagte er mit starker Stimme:

»Sie sind eben so grausam wie ungerecht gegen mich, aber ich bin Mann genug, meine Ansichten zu vertreten, und habe die Kinderschuhe ausgezogen.«

»Oh!« rief der Propst, »Henrik Ridderholm erinnert sich nicht vergebens daran, daß er sie trug, als ich ihn zuerst sah. – Nein, mein junger Herr, ich hindere Sie nicht im Geringsten, zu glauben und zu meinen, was Ihnen beliebt, aber unsere Grundsätze vertragen sich nicht, und darum müssen wir scheiden.«

»Das Pfarrhaus von Ulensvang verschließt sich also vor mir?« fragte Henrik erbittert, »weil ich den Schürzenkönig nicht anbeten will, weil ich nicht fanatisch genug bin, meine offenen Augen blind zu machen, weil ich nicht heucheln kann, um hier eine Puppe zu sein, die nachbetet, was ihr vorgesprochen wird, und wie man es gern hört?«

»Um Gottes Willen, schweig!« rief Mary ängstlich.

»Oh, laß ihn doch schwatzen,« sagte der alte Mann, »ich kann es ertragen, er zeigt mir nur, daß er mündig geworden ist und seinen Weg geht. Darum geh' Du den Deinen. Begieb Dich auf Dein Zimmer.«

Hier wurde die peinliche Scene unterbrochen, denn das Briefboot kam den Fjord herauf, und ein Regierungsbote saß darin, der besondere Aufträge und Briefschaften für den Staatsrath hatte. Kaum hatte Herr Bunge das Siegel geöffnet, als er ausrief:

»Da haben wir es, es ist genau so, wie ich gesagt habe. – Die Schweden sind eingebrochen in Norwegen. Frederikstadt ist genommen.«

»Unmöglich,« rief Herzberg, »die Festung ist stark und mit Allem versehen.« –

»Der Kommandant hat sie nach geringem Widerstande übergeben,« fuhr Bunge fort. »So steht es mit unseren von Haß gegen die Schweden und von Freiheitsliebe begeisterten Kriegern.«

»Der Kommandant muß sterben für seinen Verrath,« sagte der Propst. –

Der Kapitän lächelte spöttisch. –

»O! daß ich ein Kriegsmann wäre,« rief der alte Geistliche mit Thränen des Schmerzes, »ich würde Norwegen zeigen, daß es noch Männer besitzt.«

»Alles verloren!« rief Bunge. »Es ist ein glückliches Gefecht zwar am Glommen vorgekommen, aber der König hat dennoch den Rückzug befohlen, und die Kanonen, zwanzig Geschütze in den Strom werfen lassen. Er ist ganz muthlos, ganz verzweifelt.«

»Seiner vollkommen würdig,« fiel der Hauptmann ein.

»Er hat einen Antrag auf Waffenstillstand gemacht,« sagte der Staatsrath, den Brief zuschlagend, »und ich erhalte Befehl, schleunig zurückzukehren, so auch alle Officiere sofort zur Rückkehr anzuhalten, wenn ihre Abwesenheit nicht unbedingt nöthig ist.«

»Ich werde zurückkehren, was soll ich länger hier?« rief sein Sohn. »Der Krieg ist aus, ehe er begonnen hat, das ist ein schönes Ende nach so vielen hochtrabenden Proklamationen.«

»Unsere Schützenabtheilung kann in wenigen Tagen beisammen sein,«, erwiederte Henrik, »und unser Auftrag ist nicht zurückgenommen. Ich bleibe und werde meine Pflicht thun.«

»Was kann noch viel geschehen?« fragte der Staatsrath. »Die Schweden haben gesiegt, die Bevollmächtigten sind in Moß beisammen. Es ist kein Zweifel mehr, daß der junge König Christian die Krone niederlegt, sich unterwirft und wir – mit Schweden verbunden werden.«

»Nicht also, Herr Staatsrath,« rief der Propst, der aus seinem Nachsinnen auffuhr. »Hat der König uns verlassen, so sind wir doch noch vorhanden, wir, das Volk von Norwegen! – Ich als Mitglied der Reichsversammlung, ich befehle Ihnen und diesen Officieren, Alles zu thun, was Sie vermögen, um für des Vaterlandes Wohl zu sorgen. Kehren sie nach Bergen zurück, sammeln Sie Vorräthe und Geld, entflammen Sie den Patriotismus, und Sie, rufen Sie die Jugend im Hardanger auf; hier giebt es Schützen, die ihr Ziel nie fehlen, und sie werden kommen, ich werde sie rufen. – Ich eile nach Christiania. Jetzt müssen wir uns selbst retten, Norwegen retten vor seinen Feinden oder mit ihm untergeben. – Eilen Sie an Ihre Geschäfte, in wenigen Stunden trete ich meine Reise an.« –

Mit stolzen, raschen Schritten ging er, der Staatsrath wagte keinen Widerspruch.

 

Noch an demselben Tage trat der Propst die lange und beschwerliche Reise an, die er in großer Gemüthsunruhe zurücklegte. Zürnend war er von Haus geschieden, grollend mit Henrik Ridderholm, den er wie einen Sohn lieb hatte, der sein Sohn werden sollte, den er aber von sich gewiesen. Er grollte mit Weib und Kind, die ihn vergebens zu besänftigen suchten, am meisten aber mit dem falschen Staatsrath, dem er das Aergste zutraute, und gegen ihn wollte er öffentlich auftreten, nur seine Treulosigkeit aufdecken. –

Auf dem langen Wege in den Felsenthälern der Hochgebirge hatte sein Herz sich wieder erfrischt an der einfachen Tüchtigkeit des Volks. Die Männer und Jünglinge liefen herbei, um von ihm zu hören, wie es mit Norwegen stehe, und überall fand er den Haß gegen die Fremden bis zur Wuth entflammt; die rauhen Hirten und Jäger in ihren langflatternden Haaren sahen so kühn aus wie die alten Kämpen der Vorzeit, die Berserker, die nie vor einem Feinde bebten, und wie er die trotzigen Gestalten sah mit Büchsen, die gewohnt waren, Bär und Wolf auf einen Schuß zu tödten, und dazu die hohen nackten Felsen und furchtbaren Pässe, war er gewiß, daß kein Schwede hier eindringen würde.

Er erzählte und regte auf, so viel er konnte, und überall fand er dieselbe Entschlossenheit, für Norwegens Freiheit in den Tod zu geben; je näher er aber der Hauptstadt kam, um so bangere Gerüchte schollen ihm entgegen. In Moß war ein Waffenstillstand geschlossen, und es hieß, der König habe kleinmüthig in einem geheimen Artikel sich zur Abdankung entschlossen. Versprengte Soldaten zogen schimpfend über Verrath in ihre Heimath, ein Officier erzählte dem Propst, daß General Arnfeld kaum noch 8000 Mann unter den Waffen habe, die er mühsam zusammenhalte, und daß in Christiania selbst die größte Entmuthigung und Unruhe herrsche.

Das fand der Greis auch Alles bestätigt zu seinem tiefen Leid. Er traf mit Männern zusammen, die er als unerschrockene Vaterlandsfreunde kannte und ehrte, und er sah sie kummervoll unter der Last des Unglücks. So lange hielt sein Muth sich aufrecht; als aber auch Falsen, der berühmte Landrichter, der die Seele der ganzen norwegischen Bewegung gewesen, ihm erklärte, es sei aus, man müsse sich dem Sieger unterwerfen, da schwand sein letztes Vertrauen.

»Wie,« rief er, »auch Sie, Sie sagen das, der Sie hundert Mal geschworen haben, für die Freiheit des Vaterlandes den letzten Tropfen Blutes hinzugeben? Noch ist ja Nichts verloren. Laßt dem Feind Christiania, lockt ihn in unsere Felsenburgen, dort wird er sein Grab finden.«

»Lieber Freund,« erwiederte Falsen düster, »wir haben uns in dem getäuscht, der an der Spitze unseres kleinen armen Staates steht. Der König verläßt uns, er hat abdicirt.«

»Der König ist nicht Norwegen,« rief der Propst, »verläßt er uns, so dürfen wir uns selbst nicht verlassen. Wir wählen uns, wie ich immer wollte, einen Regenten oder einen Präsidenten, Norwegen hat keinen König nöthig.«

»Wenn Amerika dort läge, wo England liegt,« sagte Falsen bitter lächelnd, »möchten wir vielleicht die Fahne der Republik entfalten, jetzt aber ist es zu früh, Propst Herzberg, wir müssen einen König haben, nicht unsertwegen, aber – weil Europa monarchisch ist. Nun,« fuhr er fort, »der Name thut es nicht, man kann in Republiken mehr tyrannisirt werden, als da, wo ein König die Spitze des Staates bildet, und wollen Sie meinem Rath folgen, so werden Sie jetzt so gut schwedisch gesinnt, wie ich es bin.«

»Sie schwedisch gesinnt?« fragte Herzberg erstaunt.

»Ich schwedisch gesinnt, ja Propst. Nicht weil ich es will, sondern weil ich es muß, und zwar sobald wie möglich.«

»Sie gehören also auch zu der schwedischen Partei?« sagte Herzberg trostlos.

»Pfui, Propst,« sprach der Landrichter stolz, »verwechseln Sie mich nicht mit Denen, die in erbärmlicher Gemeinheit die Mächtigern umkriechen und Stellen, Gold und Orden wittern. Ich bin schwedisch und königlich gesinnt, um für die Freiheit zu retten, was zu retten ist. – Zögern wir nicht, denn jeder Tag macht die Klippe, auf der wir stehen, gefährlicher. Die Schweden müssen siegen, denn hinter ihnen stehen Russen, Engländer, Preußen, das ganze Europa, doch sie allein sind uns schon zu viel. Noch unterhandeln sie, noch können wir als gleichberechtigte Macht, als Volk mit ihnen sprechen; noch ist der Storthing der souveräne Repräsentant. Wenn aber ein zweiter Sieg unser kleines Heer zerstäubt, liegen wir wehrlos zu ihren Füßen, sie schreiben uns die Bedingungen vor und – vae victis! Propst, helfen Sie die Verfassung von Eidsvold retten. Werden Sie schwedisch, heut lieber, wie morgen!«

Der alte Propst wurde krank von der Mittheilung seines Freundes, er mußte mehrere Tage sein Zimmer hüten, während dieser Zeit aber konnte er sich überzeugen, daß Falsen nur zu sehr Recht hatte. Die, welche ihn besuchten, brachten ihm nur unerfreuliche Nachrichten.

Das Volk war in wildester Aufregung über den Gedanken, schwedisch zu werden, die schmählichen Niederlagen, der Rückzug und die theilweise Auflösung des Heeres hatten den Nationalstolz furchtbar gedemüthigt. Ohne irgend Anspruch auf voraussichtlichen Sieg zu haben, glaubte man fest daran, die Schweden müßten geschlagen werden, wo die Norweger sich zeigten; plötzlich aber ergab sich das Gegentheil, und nun schrie das Volk über Verrath, Verrath von allen Seiten, und fand seinen Trost darin, um den Vorwurf der Feigheit und Muthlosigkeit von sich abzuwälzen. –

Herzberg fand Alles bestätigt, was der Staatsrath und sein Sohn ihm gesagt. Er hörte Flüche und Lästerungen auf den König, der sich auf seinem Landsitz versteckt hielt und dort mit seinen Günstlingen zechen und schwelgen sollte, den Augenblick erwartend, wo er aus dem Lande fliehen könne; er hörte aber auch Lobeserhebungen auf den edlen, ritterlichen, kriegerischen Kronprinzen von Schweden, der Gold ausstreute und mit seinem milden Lächeln größere Wunder that wie mit der Schärfe seines Schwertes.

»O! das Lächeln der Fürsten ist verderblicher für die Freiheit der Völker, wie ihre Bajonette und Henker!« rief Herzberg. »Sie tödten mit diesen, aber sie vergiften mit jenen und verknechten die Menschen durch ihre heuchlerischen Liebkosungen. – Aber was können die Fürsten dafür?« fuhr er dann fort, »müssen sie nicht die Menschen tief verachten lernen, deren niederträchtige Gesinnung ihnen überall entgegenkommt. – Wer zeigt ihnen denn die freie Mannes würde? Wer wagt es, ihren Anmaßungen entgegenzutreten? Wer weist stolz ihre Gnaden und Gaben zurück und vertheidigt die Rechte des Volks mit jener alten Römertugend, die so unbestechlich, rein und fleckenlos war? – Ich,« rief er, »ich, wenn es keiner thut – ich will mein Gewissen rein erhalten. Falsen hat Recht. Das Unmögliche wollen ist unvernünftig. Der schwache, schwelgerische Christian ist kein König für uns; mögen wir denn mit den Schweden einen Fürsten haben, wenn es nicht anders sein kann, aber die Verfassung von Eidsvold muß er beschwören, unsere Rechte muß er uns lassen, keines darf davon verloren gehen, will er das nicht, so muß der Todeskampf beginnen.«

 

In solchen Betrachtungen wurde er eines Tages von dem wüthenden Geschrei eines Volkshaufens unterbrochen, der durch die Straßen zog, um die Verräther zu suchen. –

Der Staatsrath war zurückgekehrt, und ihm vornehmlich galt der Auflauf, denn ihm gab man Schuld, daß er absichtlich die Lebensmittel für das Heer zurückgehalten, um Noth und Unzufriedenheit zu erregen. Betrunkene Matrosen, Arbeiter und Menschen aus den untersten Klassen, gemischt mit Weibern und Leuten aller Art, die der Krieg zusammengewürfelt hatte, und bewaffnet mit Messern, Beilen und Stangen stürzten sich auf das Hans des verhaßten Mannes.

Heraus mit dem Verräther, dem Schweden, dem Schurken! schrien sie mit tausend Stimmen, und sich gegenseitig zu größerer Wuth erhitzend, waren in einigen Minuten alle Fenster zertrümmert, die Thüren eingeschlagen und die Treppen besetzt.

In diesem Augenblick erschien der alte Propst, der rasch herbeigeeilt sogleich sah, daß Bunge verloren war, wenn diese Rotte ihn erreichte. Er hielt den Staatsrath allerdings auch für einen ehrvergessenen Mann, aber für die größte Schande, wenn er hier durch die Hände der blutgierigen Menge umkommen sollte. Ohne sich zu besinnen, warf er sich in den dichtesten Haufen und ergriff die Vordersten beim Kragen, von deren Axtschlägen so eben die Thür an der Treppe zusammenstürzte.

»Elende,« rief er ihnen zu, »was wollt Ihr thun? Wollt Ihr hier rauben und morden, Verbrechen begehen, die den Tod verdienen? Wollt Ihr Euch und uns Alle schänden durch Eure sinnlose Nichtswürdigkeit?«

Die Menge verstummte einen Augenblick. Vor dem alten großen Mann mit weißen Locken und dunkel glänzenden Augen wichen sie zurück. Viele kannten ihn und traten zu seinem Schutz auf, und nach einer Viertelstunde, in welcher der Propst seine Beredtsamkeit geltend machte und ihnen verhieß, daß die strengste Untersuchung die Verräther an den Tag bringen und das Gesetz ihre schuldigen Häupter treffen werde, gelang es ihm, sie zum Abzug zu bewegen.

Als er in die oberen Zimmer gelangte, fand er den Staatsrath umgeben von seiner Familie, die weinend und zitternd ihn umringte.

»Haben Sie Dank für Ihre Hilfe, alter bewährter Freund,« rief der Bedrohte, ihm die Hände entgegenstreckend. »Sehen Sie nun ein, daß wir die Hilfe nöthig haben, die uns der Kronprinz bringt? Eine feste, starke Regierung gegen diese Pöbelbanden, die Rückkehr der Ordnung, Ruhe und Gesetzlichkeit.«

»Herr Staatsrath,« erwiederte Herzberg kalt, »diese Excesse und Verirrungen sind strafbar, allein ihretwegen verkaufe ich die Freiheiten und Rechte des ganzen Volkes nicht. Selbst wenn man Sie gemordet hätte, würde das Gesetz die Mörder gefunden und gerichtet haben, aber dessentwegen bleibt was uns Allen gehört unangetastet, und Ihr Kronprinz oder König sammt seiner starken Regierung gilt mir keinen Pfennig mehr als früher.«

»Streiten wir nicht über Dinge,« rief Bunge, »die ohne uns und unsern Willen kommen werden, weil sie kommen müssen; nie jedoch werde ich Ihnen je vergessen, was Sie heute für mich wagten und thaten.«

Er wollte ihm die Hand reichen, Herzberg nahm sie nicht an. –

»Die Stimme des Volks,« sagte er, »die Sie des Verraths beschuldigt, findet Ihren Wiederhall im ganzen Lande. Es ist nöthig, streng zu richten und zu rächen, wenn es sein muß.«

»Ich fürchte das Gericht nicht,« erwiederte Bunge. »Ich habe meine Pflicht erfüllt. Wer kann mich mit Recht einer Schuld bezüchtigen?«

»Ich,« sagte der Propst, »ich werde Ihr Ankläger sein! Vor dem Storthing und allem Volk, öffentlich werde ich meine Stimme gegen Sie erheben.«

Mit dieser Drohung entfernte er sich.

 

Der Storthing, d. h. der norwegische Reichstag, war zusammenberufen worden, um außerordentlich in dieser Zeit der Noth des Vaterlandes Wohl zu berathen. Bauern in ihren verschiedenen oft malerischen Landestrachten saßen neben Officieren der Marine und des Landheeres; Geistliche und Richter, Bischöfe und Kaufleute, Bergwerksbesitzer und große Grundeigenthümer hatten die Wahlen getroffen.

An der Spitze dieser 80 Männer, welche Norwegens Freiheiten und Rechte retten sollten, sah man den patriotischen Grafen Wedel-Jarlsberg und mehrere Männer von altem Landesadel, die Stützen der schwedischen Partei, alle von warmer Vaterlandsliebe beseelt, aber auch vom Geiste der Mäßigung durchdrungen und eifrig bemüht, dem Nationalhasse gegen Schweden durch eifriges Darstellen der Nothwendigkeit Schranken zu setzen.

»Er will seinen Adel retten, seinen Grafentitel,« sagte der Propst zornig zu einigen Andern, denen der Graf alle Vortheile der Verbindung mit Schweden erklärt hatte.

Der Graf wendete sich lächelnd um, er hatte es gehört.

»Das kann Ihr Ernst nicht sein, Herzberg,« sagte er, »ich weiß, daß Sie besser von mir denken. Ich will nur Norwegens Wohl, mein Grafentitel kümmert mich dabei gewiß nicht.«

»Giebt es nicht in Schweden Grafen und Barone zu Hunderten?« fragte der Propst.

»In Schweden, ja,« sagte Wedel, »aber ich denke den Tag zu erleben, wo es in Norwegen keine mehr giebt. – Wenn es Sie beruhigt, sollen Sie meine Meinung hören,« fuhr er fort. »In einem wahrhaft freien Volke darf es keine verschiedenen Stände geben, sondern nur freie und gleiche Bürger. Man könnte dem Adel seine Titel lassen, wenn dieser sich bequemen wollte, diese als solche anzusehen, als historische Erinnerungen, welche nur für Familien Werth haben; allein das wird er nicht thun. Es wird viel Zeit dazu gehören, ihm einzuprägen, daß jene Titel völlig leer sind, und ihn zu vermögen, sie von selbst fortzuwerfen, auch können Umstände eintreten, wo er von Neuem darauf pocht, sich trennt und vom Volke absondert, freilich gewiß zu seinem größten Schaden. Darum reißt immerhin auch diese Scheidewand nieder, an welche sich der Hochmuth im Geheimen festklammert, und die daran erinnert, daß es einst Bevorrechtete und eine besondere Kaste gab. Ich liefere Euch meinen Grafentitel gern aus, ich will Nichts sein als ein freier Bürger des freien Norwegens, aber ich will eben so gewiß, daß Norwegen mit Schweden einen Regenten haben soll, denn ich erkenne darin nur Vortheile für mein Vaterland.«

»Die Verfassung von Eidsvold!« rief eine junge, kräftige Stimme.

Alle sahen sich um, auch der Propst that es, und zu seinem Erstaunen erblickte er Henrik Ridderholm im Saale.

»Ja, mein junger Freund,« erwiederte der Graf, »von dieser Verfassung laßt uns erhalten, so viel wir vermögen.«

»Ganz und Alles von ihr oder Nichts!« fiel der Propst ein, »und weil der schwedische Kronprinz uns nicht Alles geben wird, müssen wir darauf gefaßt sein, Alles zu verlieren, Leben ohne Freiheit ist Tod!«

Der staatskluge Graf schüttelte den Kopf und sagte beruhigend:

»Wir müssen als ernste, besonnene Männer handeln und – unterhandeln! – Mit Bieten und Handeln schließt man die schwierigsten Käufe; wir Norweger aber haben den Ruf, uns auf allen Märkten nicht leicht übervortheilen zu lassen, mögen wir daher auch diesmal unserer Vorsicht, unserer Ruhe und den Umständen vertrauen.«

 

Dieser Ansicht pflichteten die meisten Mitglieder bei, denn ihre Besonnenheit war größer als ihr Haß, und Schlag auf Schlag folgten die Thatsachen sich so schnell, daß kein Ausweg möglich schien. –

Der junge König erklärte dem Storthing seine Abdankung, und plötzlich war er auf und davon, eine Kriegsbrigg führte ihn nach Kopenhagen. Statt seiner erschienen schwedische Kommissäre, um über die Friedens- und Verfassungsbedingungen zu unterhandeln, und brachten einen Entwurf dazu mit, der im Allgemeinen der Verfassung von Eidsvold ähnlich war, aber doch wesentlich davon abwich, denn der König hatte darin daß absolute Veto und vermehrte Rechte.

Jetzt veränderte sich der Kampf der Parteien im Reichssaale. Fünf Männer nur hielten fest daran, alle Gemeinschaft mit Schweden zurückzuweisen; die übrigen wollten zwar den schwedischen König auch als König von Norwegen anerkennen, aber nur unter der Bedingung, daß Norwegen völlig getrennt ein eigenes selbstständiges Reich bilde, und der König die Verfassung von Eidsvold beschwöre, ganz so wie sie war, und kein Wort daran gedeutelt. Dieser patriotischen Partei stand die schwedische Partei gegenüber, die Versöhnung und Einigung beabsichtigte, selbst um den Preis der Nachgiebigkeit und Annahme des von den Kommissarien vorgelegten Grundgesetzes. –

Die klugen und angesehenen Männer, aus welchen sie bestand, hoben hervor, daß das absolute Veto des Königs eigentlich wenig bedeute, daß die größeren Rechte, welche der König über Benutzung des Heeres und der Flotte innerhalb und außerhalb Landes forderte, ganz gerechtfertigt wären, daß er bei Besetzung der Aemter im Lande eine mächtigere Stimme haben müsse, so auch bei Pensionirung, Absetzung und Versetzung der Beamten, und daß endlich wenig darauf ankomme, ob Se. Majestät die Verfassung vorlege und sich darüber mit dem Volke vereinbare, oder ob das Volk von Norwegen dem Könige die vorhandene Verfassung anbiete und höre, was er dagegen sage.

Gegen diese Ansicht aber erhob der alte Propst am heftigsten seine Stimme. Er hatte Kummer genug und Aerger genug erfahren, denn sein starrer Freiheitssinn fand nur geringen Anklang. Als er seine Anklage erhob gegen die Verräther im Lande, und als er kühn es wagte, Recht und Gerechtigkeit zu fordern gegen die großen Verbrecher, erfolgte ein allgemeines Schweigen und Achselzucken.

Es traten Redner auf, welche die Versammlung beschworen, nicht Holz zum Brande zu tragen, und nur Falsens mächtigem Einfluß war es gelungen, daß eine Kommission ernannt wurde, welche alle Vorgänge des kurzen Feldzug genau untersuchen sollte. Jedermann sah jedoch, daß wenig oder Nichts dabei herauskommen würde, denn wen konnte man strafen, wenn Norwegen den zum Könige wählte, in dessen Sache die Schuldigen gefehlt hatten?

Jetzt aber, wo die Verfassung verfälscht werden sollte, fand der Widerstand doch viele tapfere Bekenner, die den glatten Worten sich kühn entgegen stellten.

»Ihr haltet das für Nichts,« sagte der Propst, als er aufstand um zu reden, »ob der freie Wille des Volks dem Könige die Verfassung vorlegt, und ihm sagt: Wenn Du sie annimmst, wollen wir Dich wählen, oder ob er sagt: Die Traktaten meiner Brüder, der Fürsten, haben mich zu Eurem Könige, gemacht, hier habe ich eine Verfassung für Euch, nehmt sie hin und seht zu, wie sie Euch gefällt. – Ich sage Euch, es hängt vieles und alles daran, daß Ihr die Bedingungen macht, daß Ihr, die Repräsentanten des norwegischen Volks, die Souveränetät festhaltet, die Ihr in der Hand habt. – Wenn der König Euch eine Verfassung giebt, ist es ein Gnadengeschenk, das nie vergessen wird; wenn Ihr ihm die Verfassung gebt, unter deren Bedingungen Ihr ihn als Staatsoberhaupt anerkennt, so bleibt die Volkssouveränetät unangetastet, und ohne diese ist es unmöglich, daß ein Volk wahrhaft frei und der Staat ein Staat der Rechts sein kann. Die Volksmajestät muß anerkannt werden, wenn selbst der König sich den Gesetzen beugen soll, und eben darum darf er auch keinen absoluten Willen haben. Er muß sich im Streit dem Volkswillen unterwerfen, dem Willen der Majoritäten, denn wenn sein Wille höher steht als dieser, wird die Verfassung ein Spielwerk seiner Laune, seines Eigensinnes, seiner Höflinge und Rathgeber. Seht nach Schweden und nach vielen anderen Ländern hin, wie viel Noth und Unglück der absolute Wille der Könige über die Völker gebracht hat, und lernt aus der Geschichte, was fürstliche Souveränetät heißt. Es heißt den Schlund der Revolutionen stets von Neuem öffnen, die Fürsten gegen die Völker, die Völker gegen die Fürsten hetzen, dem Absolutismus nur immer von Neuem Gelegenheit geben, sich in Plänen des Ehrgeizes und der Verblendung zu verstricken, das Volk nie zur Ruhe, Ordnung und Freiheit kommen zu lassen. Darum haltet fest, Ihr norwegischen Männer, an der Volkssouveränetät und dem bedingten Veto der Verfassung von Eidsvold. Laßt Euch nicht verlocken, gebt nicht nach, die Nachwelt wird Euch richten!«

Diese Rede und andere ähnliche machten den tiefsten Eindruck, und zum ersten Male lächelte der alte Mann freudig, als er Henrik Ridderholm auf der Tribüne sah, der mit feurigen Worten ihn unterstützte und mit aller Begeisterung der Jugend sich für die Volkssouveränetät aussprach. Der größte Theil der Versammlung theilte diese Gesinnung, die Presse verbreitete sie durch das ganze Land, neue Rüstungen begannen, eine neue Erbitterung entstand, und einen Augenblick schien es, als werde der Krieg wieder losbrechen, denn die schwedischen Kommissäre weigerten sich hartnäckig, auf die gestellten Bedingungen einzugehen, und das schwedische Heer rückte in Schlachthaufen zusammen.

Zwei Tage lang hielt der Reichstag geheime Sitzungen, in denen er alle Verhältnisse erwog und Berichte hörte über die Mittel zum Widerstande. Diese lauteten niederschlagend genug. Kaum 8000 Mann des geschlagenen Heeres waren mehr vorhanden, und erst in Monaten durfte man hoffen, diese Zahl allmählich zu verdoppeln, es fehlte an Kleidern, an Nahrungsmitteln, an Aerzten und, was das Schlimmste war, an Kriegsbedarf, den selbst die Festungen nicht hinreichend besaßen, endlich fehlte es an Geld, und alle Küsten waren streng blokirt, aller Handel gelähmt, aller Verkehr hatte aufgehört. Dagegen standen 20 000 Schweden im Lande, mit Allem reich versehen, und in kurzer Zeit konnten es 40 000 sein. –

Der Muth fiel den Meisten beim Anhören dieser Berichte, eine tiefe Stille herrschte im Saale, einige Redner sprachen es unumwunden aus, man müsse die schwedischen Bedingungen annehmen, es gebe nicht anders, geschähe es auch mit kummervollem Herzen.

Aber wiederum erhob sich der alte Propst, und diesmal stand er mit leuchtenden Augen wie ein Jüngling aufrecht.

»Vor wenigen Tagen,« rief er aus, haben wir geschworen, treu und fest an der Verfassung zu halten. Sollte keine Vereinigung mit Schweden zu Stande kommen, ohne unseren Eid zu brechen, so ist es besser, mit Ehren zu sterben, als mit Schande bedeckt zu leben. Entschließen wir uns dazu, so müssen unsere Beschlüsse auch dies kund geben; wer das Ziel will, muß auch die Mittel wollen. – Ich schlage vor, daß alles Volk zu den Waffen gerufen wird, wer sie tragen kann, jedes Kirchspiel ernähre die seinen. – Weiber und Kinder mit Hab und Gut mögen in die Gebirgsthäler fliehen; wo der Feind sich zeigt, steckt Städte und Dörfer in Brand. Jeder Bürger zünde sein Haus an. Nur die Festungen sollen vertheidigt werden bis zum letzten Mann und in die Luft gesprengt, wenn es Ende geht.

Jeder Feigling, jeder Flüchtling werde erschossen oder aufgehängt. Fanatisirt das Volk, denn nur der Fanatismus kann uns retten, wenn Rettung möglich ist; laßt denn den Todeskampf beginnen, der enden muß mit unserer Vertilgung von der Erde. Mögen sie Norwegen hinnehmen als eine leere ausgebrannte Wüste, mögen sie dann die Schaaren ihrer Knechte dahin pflanzen, wir wenigstens haben uns vor ihrer Wuth gerettet.

Ist dieser Vorschlag auch mit Blut geschrieben,« fuhr er fort, als Alle schwiegen, »so kann er doch nicht anders sein. Das System der Milde ist nicht länger anwendbar, als nur noch gegen gefangene Feinde. Nur so ist es möglich, daß wir entweder siegen, oder auch wohl möglich, daß die jetzt lebenden Normänner aus der Zahl der Lebendigen verschwinden; aber nie werden unsere Namen aus den Jahrbüchern der Weltgeschichte ausgelöscht werden, wir werden den kommenden Geschlechtern der Menschen ein leuchtendes Beispiel sein; die Tyrannen werden zittern, die Völker lernen, wie Freiheit erworben wird. Muth, meine Brüder! zeigen wir den mächtigen Gewaltherrn der Erde, daß das norwegische Volk kein veräußerliches Vieh ist, das sich auf ihren Diplomatenmärkten verkaufen und verschachern läßt.«

Mit der Würde eines Römers, der zum eigenen Todesopfer bereit ist, stand der Greis auf den Stufen, und seine kalte stolze Ruhe durchströmte die Versammlung.

»Ja, laßt uns sterben!« rief Henrik aufspringend, »tausendmal sterben, ehe wir den Fuß auf unsern Nacken setzen lassen. Brecht die Unterhandlungen ab, ewige Falschheit ist bei den Schweden! Ruft zu den Waffen, es sind in Norwegen kühne Herzen genug, die den Tod nicht fürchten.«

Unter der heftigen Bewegung, welche den verschiedenen leidenschaftlichen Ausrufungen folgte, gewannen die Gemäßigten Zeit, sich zu verständigen, und nun kamen die Bedenken und die Warnungen, dennoch aber hatte der Propst mit Hilfe seines jungen Freundes eine solche Begeisterung angefacht, daß am Schlusse dieser Sitzung die bei weitem größte Zahl der Abgeordneten sich die Hände zu einer Bruderkette reichten und vereint schworen, entweder die Verfassung mit Volkssouveränetät und bedingtem Veto dem Lande zu erhalten oder unterzugehen.

Man theilte Nachrichten mit, daß bis Drontheim hinauf sich Alles zum neuen Kriege rüste, daß die Wohlhabenden freiwillig Geld und Gut darbrachten, daß unter Anführung der Priester, die das Kreuz vortrügen, sich die kühnen, abgehärteten Bauern in den Gebirgen zusammenschaarten und ein Volkskrieg ausbrechen werde, wie er nur in Spanien stattgefunden.

Man war bereit dazu, plötzlich aber änderte sich Alles. Die schwedischen Kommissäre erklärten sich bereit nachzugeben, wenn der Storthing den schwedischen König als König von Norwegen anerkennen wolle. – Eine freudige Ueberraschung machte den düsteren Kriegsgedanken Platz. Die Wahl erfolgte, und nur fünf Stimmen blieben fest gegen alle Verbindung mit Schweden.

»Frieden! Frieden!« scholl es überall.

»Du hast für den König gestimmt?« fragte der Propst, als Henrik ihm die Hand drückte. –

»Ja, und auch Sie, lieber Vater.« –

»Auch ich,« sagte Herzberg, »und ich will ihn ehren als Norwegens Haupt, so lange er die Verfassung hält.«

 

Der Kronprinz von Schweden hielt seinen Einzug in Christiania unter dem Donner der Kanonen am 9. November. Es war ein festlich schöner Tag; von fern und nah waren viele tausend Menschen herbeigeströmt, um den ritterlichen, schönen Kriegsmann zu sehen, der aus dem fernen Süden gekommen war, er, der Sohn eines armen Advokaten, dem das Glück zwei goldene Kronen bestimmt hatte. Auf seinem edlen Rosse ritt er durch die geschmückte Stadt, neben ihm sein Sohn Oskar, begleitet Beide von einem glänzenden Gefolge.

Das Volk aber sah nur ihn, der lächelnd nach allen Seiten grüßte und für Jeden einen freundlichen Blick hatte, und das dankbare, entzückte Volk jubelte dem Sieger nach und bewunderte seine hohe Gestalt, sein kriegerisches, edles Gesicht, sein funkelndes, schwarzes Auge und die vollendete Anmuth seiner Bewegungen. Den sie vor wenigen Wochen noch gehaßt und verflucht, er war jetzt der Gegenstand ihrer Segenswünsche, und wie viele waren, die nicht um sein Lächeln und seinen Händedruck Alles gethan hätten, was er gebieten mochte.

Der Kronprinz ritt zu dem Storthingsaale, der im Festschmuck prangte, und trat, unter dem dreifachen Lebehoch in die Mitte dieser Landrichter, Priester, Grundherrn, Bauern und Soldaten, deren mächtige, demokratische Gestalten größtentheils ganz anders aussahen, als die Männer, welche ihn begleiteten. –

Als Graf Wedel eintrat und eine Rede hielt voll Schmeicheleien und Komplimenten, verdüsterten sich viele dieser eckigen, faltigen Gesichter, und viele Jahre nachher hat man es dem Grafen nicht vergessen, daß er, wie man sagte, wie ein schwedischer Hofjunker, nicht aber wie ein norwegischer Bürger gesprochen habe; der Kronprinz aber sollte bald um so herber empfinden, mit welcher rauben Ehrlichkeit er es hier zu thun habe.

Er hielt eine Rede in französischer Sprache, denn er hat es nie dahin bringen können, schwedisch oder norwegisch zu lernen; was er sagte, wurde Satz für Satz von seinem Sohne schwedisch vorgelesen und dann in einer norwegischen Uebersetzung dem Präsidenten Christie überliefert. – Den Norwegern wurde bange dabei, sie empfanden die ersten Folgen ihrer eingegangenen Verbindung, und ihre Gesichter hellten sich erst wieder auf, als der Kronprinz im Namen des Königs Karl des Dreizehnten, seines Adoptivvaters, den Eid auf die Verfassung leistete. –

Nun schworen sie Alle der Konstitution und dem Könige, dann nahm der Präsident das Wort, und was er sagte, klang ganz anders, als was Graf Wedel gesprochen hatte. Er empfahl dem Könige mit Weisheit seine Räthe zu wählen, nie das Interesse Norwegens zu verabsäumen und die Verfassung treu zu halten, so werde das Volk ihm immer treu und ergeben sein. – Die Norweger hörten entzückt zu. –

»Gesprochen, wie ein echter Normann, Christie!« rief eine Stimme halblaut – es war der Propst vom Hardangerstift. – Der Kronprinz sah sich lächelnd um, er verstand nicht, was gesagt wurde, aber er ließ es sich übersetzen und lächelte noch freundlicher.

Nach einer Stunde bewegte sich der Gallazug des Storthings nach der Wohnung des Kronprinzen, wo jeder Einzelne ihm vom Präsidenten vorgestellt wurde. Niemand ging hier leer aus, Alle empfingen sie ein paar freundliche Worte und eine Einladung zum Diner. Ein alter Bauer aus Tellemarken in seiner blau und grünen hübschen Landestracht gefiel dem Kronprinzen besonders. Er unterhielt sich mit ihm über die Zustände Norwegens und empfing die verständigsten und treuherzigsten Antworten. Der alte Mann erzählte ihm von den Felsenthälern seiner Heimath und freute sich, daß er den Prinzen hier sehen und sprechen könne, statt in den Schluchten am Gausta.

Der Kronprinz ließ sich Alles übersetzen.

»Warum denn hier, und nicht in Tellemarken?« fragte er dann.

»Weil es dort nicht anders hätte sein können, als mit der Büchse in der Hand,« erwiederte der Alte. »Du wärst als Feind gekommen und als Feind empfangen worden.«

Die Hofmänner wurden blaß, aber der Prinz rief ihm die Hand reichend:

»Wahrhaftig, das ist mir auch lieber, und da ich so bald nicht Ihr Gast sein werde, so bitte ich Sie heut' der meine zu sein.«

»Du mußt es nicht übel nehmen, Herr Kronprinz,« sagte der Bauer, »allein heut' hat mich schon ein anderer guter Freund eingeladen. Wenn Du aber willst, werde ich morgen kommen.«

Mehrere, die besser mit den Sitten der guten Gesellschaft bekannt waren, entsetzten sich vor dieser Antwort und flüsterten dem Verbrecher zu, daß er sich unschicklich benähme; allein Karl Johann lachte herzlich, er reichte dem alten Manne die Hand und bat ihn zu morgen, nur möge er auch gewiß kommen.

»Verlaß Dich darauf, Herr,« sagte der Greis. »Wir halten in Norwegen, was wir versprechen. Du wirst das erfahren, denke ich, aber halte Dich auch treu zu uns und sei nicht falsch, damit wir nicht die Stunde bereuen, wo wir Dich zum Könige nahmen.«

»Sonderbares Volk!« murmelte der Prinz, und zu dem Staatsrath Bunge gewendet, der hinter ihm stand, sagte er: »Ich hätte Lust, einmal diese Naturkinder zu besuchen; aber ist der Nächste, der hier kommt, nicht der Propst, von dem Sie mir gesagt haben?«

»Der Propst Herzberg von Ulensvang,« erwiederte der Staatsrath. »Er gehört zu Denen, die am allerzähesten an ihren Vorurtheilen festhalten, Königl. Hoheit, aber bei alledem ist er ein sehr ehrlicher Mann und sehr geachtet im Lande, namentlich bei den Bauern.«

Der Prinz drehte sich zu dem Propst um, voll der liebenswürdigsten Güte.

»Ich freue mich ganz besonders, auch Sie kennen zu lernen, Herr Propst,« sagte er, »und einen Mann Ihrer Verdienste und Tugenden hier zu finden.«

»Königliche Hoheit,« erwiederte der Greis, der fertig französisch sprach, »ich sollte meinen, daß mein Name kaum je zu Ihnen gedrungen sei, denn ich lebe ein einsames, stilles Leben an einem der fernen Fjorde mitten in Felsen und dem ewigen Eise nahe.«

»Und dennoch weiß ich, daß Ihr ganzes Leben ein Musterbild des Wohlthuns war,« sagte der Prinz; »daß Sie Segen und Liebe um sich verbreiteten, daß Ihre armen Mitbürger Sie dafür verehren und anbeten, und daß Sie Ihrem Vaterlande mit heißer Liebe angehören, und nichts Gutes und Edles in Norwegen seit langer Zeit geschah, bei dem nicht der Name Herzberg genannt wurde.«

»Mit meinen schwachen Kräften,« versetzte der Propst, »habe ich gethan, was ich vermochte, um immerdar der Wahrheit und dem Rechte die Ehre zu geben. Ja, mein Prinz, ich habe mein Vaterland über Alles lieb und stehe zu meinem Volke wie ein treuer Sohn zu seiner Mutter. Ich habe für seine Freiheit und sein Recht gestritten und war bereit, mit meinem Leben dafür zu zahlen. Jetzt sehe ich Norwegen gesichert, und ich preise den Frieden und freue mich, den Baum mitgepflanzt zu haben, unter dessen Schatten wir Alle glücklich wohnen können.«

»Seien Sie überzeugt, es wird geschehen,« rief der Prinz. »Wir werden gemeinsam wachen, daß die Wurzeln gesund bleiben, und kein Sturm den Baum beschädigt.«

»Gnädigster Herr,« sagte der alte Mann lächelnd, »Alles auf Erden ist Menschenwerk, darum wandelbar und vergänglich, auch sind die Menschen selbst immer geneigt zum Zerstören und begierig ihre Hand nach dem verbotenen Gut auszustrecken. Der Könige Sinn strebt nach Herrschaft, und ich verdenke es ihnen nicht, wenn sie die Macht dazu haben. Die Verfassung, welche wir heut beschworen, ist nun freilich ein tüchtiges Bollwerk, aber sie ist ein todtes Nichts, wenn der Geist des Volks ihr kein Leben giebt. Jetzt muß es sich zeigen, ob das Volk es versteht, seine Freiheit zu bewahren, um der Freiheit werth zu sein, oder ob es sich nehmen läßt, was es besitzt, und darum verdient, daß es geknechtet und sein Recht Staub und Schein werde.«

Der Prinz entließ den Propst mit den gnädigsten Versicherungen, dann nickte er dem Staatsrath zu und sagte erfreut:

»Ein vortrefflicher Mann, ein gelehrter Mann, er hat sogar den Rousseau gelesen; aber setzen Sie ihn auf die Liste der Ritter des Nordsternordens, er hat mir außerordentlich gefallen.«

Nach einiger Zeit wurde Henrik Ridderholm vorgestellt. Der Kronprinz lobte ihn, daß er in so früher Jugend schon seinem Vaterlande wichtige Dienste geleistet habe; Henrik antwortete lebhaft und freimüthig, daß er hoffe, künftig, wenn Norwegens Wohl es verlange, unter Anführung seines ruhmvollen Königs sich dieses Lobes würdig zu machen.

»Oh!« erwiederte der Prinz, und um seine Lippen zuckte es scharf, »Sie haben im Storthingsaale sich so tapfer bewiesen, daß ich überzeugt bin, Sie überall auf denselben Bahnen zu treffen. Welchen Artikel der Verfassung halten Sie für den besten?«

»Den 85sten,« sagte Henrik rasch, seinen Blick erwiedernd.

Als er huldvoll entlassen war, fragte der Prinz den Staatsrath:

»Wie lautet der 85ste Artikel dieser Verfassung?«

»Wer einem Befehle gehorcht,« erwiederte Herr Bunge, »dessen Absicht es ist, die Freiheit und Sicherheit des Storthings zu stören, macht sich dadurch des Hochverraths schuldig.«

»Ja so!« rief der Prinz lächelnd. »Und dieser junge Mann ist aus einer angesehenen Familie?«

»Aus einer der angesehensten und reichsten im Westen,« sagte der Staatsrath, »überdies wird er die Tochter des Propstes heirathen.«

»Ein liebenswürdiger, trefflicher junger Mann,« sprach der Prinz. – »Da Wir eine norwegische Reitergarde in Stockholm errichten werden, habe ich die Absicht, ihm ein Kapitänspatent zufertigen zu lassen.«

 

Eine Woche nach diesem Tage war vergangen, als Henrik mit dem Propst zusammentraf. Ohne daß eine eigentliche Versöhnung zwischen ihnen statt gefunden, hatten sie sich mehr und mehr genähert, dennoch aber war etwas Fremdes zurückgeblieben, das der Erklärung bedurfte, um die alte Herzlichkeit ganz herzustellen. Der Propst aber scheute sich sein Unrecht offen gut zu machen, und Henrik Ridderholm war zu stolz, um ohne eine Genugthuung das harte Wort zu vergessen.

Jetzt reichte ihm der Propst die Hand und sagte:

»Ich reise morgen nach Ulensvang zurück.«

»So schnell,« rief Henrik erröthend, »aber wie ich höre, werden wir im Hardangerstift einen Ritter des Nordsternordens haben.«

»Ah, Possen!« sagte Herzberg. »Den Orden haben sie mir allerdings geschickt, aber ich packte ihn ein und sandte ihn mit einem höflichen Briefe zurück. – Was Orden! Ich will ihre Kinderklappern nicht, ihre Gnadenzeichen, die gemacht sind, um getreue Knechte zu bilden. Mein Orden sitzt unter Rock und Hemd, Henrik, aber Du – Du sollst Gardehauptmann in Stockholm werden – ich gratulire.

»Nicht zu früh,« erwiederte der junge Mann lachend, »das Patent ist mit großem Dank in die Staatskanzlei zurückgewandert. Was soll ich in Stockholm? Ich bin ein Normann; was soll ich mit dem bunten Tressenrock überhaupt? Ich will mein Feld bauen, will nützliche Dinge thun, so viel ich kann, und –«

»Das hast Du gethan, mein Sohn!« rief Herzberg freudig. »Willst nach Haus, auf Deiner Väter Erbe, ein freier Bürger mit Deinen Mitbürgern leben, zu ihnen stehen in Freud und Noth, und – Deine Mary heimführen? Ja, bei Gott, das sollst Du, Henrik. Das sollst Du, mein Sohn, und Alles, was je sich das zwischen drängte – «

»Das ist vergessen, mein Vater,« sagte der junge Mann, »aber Sie nehmen mich mit, wir gehen zusammen.«

»O gewiß,« erwiederte der Greis; »was für ein Gesicht würde Mary machen, wenn ich allein käme?!«

In diesem Augenblick kam der Staatsrath Bunge mit seinem Sohne, der ebenfalls zum Kapitän der Garde ernannt worden war.

»Das ist ja heut ein froher Tag,« rief der Staatsrath, »an welchem ich auch mein Theil habe, denn die Untersuchungskommission, welche Sie, Propst Herzberg, hervorriefen, hat mich völlig freigesprochen, wie es nicht anders sein konnte.«

Der Propst nickte ihm ernsthaft zu:

»Ich weiß, Herr Bunge,« sagte er, »Sie sind freigesprochen worden, Staffeld und Haffner aber, die Frederiksstad feig übergeben haben und zum Tode verurtheilt wurden, hat man begnadigt. Ich wünsche Ihnen Glück zur Herstellung Ihrer Ehre, Herr Staatsrath.«

»Ich mir Glück zur Herstellung unserer alten Freundschaft, lieber Herzberg,« erwiederte Bunge. »Alles hat sich zum Besten gefügt, wir sind frei, mit Schweden verbunden und haben einen guten Fürsten, der, wie ich weiß, auch Ihnen mehr wohl will, als Sie glauben. Es wird gewiß bald einen Bischof Herzberg in Norwegen geben.«

»Nichts da!« rief der Greis abwehrend, »ich bin der Propst von Hardanger und will es bleiben, bis ich sterbe. Weder Orden noch Bischofmütze soll mir an den Leib kommen. Sagen Sie ihm das, wenn Sie können, aber –« fuhr er lächelnd fort, »es ist auch nicht nöthig, denn ich müßte mich sehr irren, oder er hat genug an dem, was ich gethan und gesagt habe.«

Der Staatsrath lächelte fein. –

»Lieber Freund, »sagte er, »in dieser Welt giebt es viele Täuschungen, und wir Alle sind ihnen unterworfen. Hören Sie den Jubel jetzt überall über die Heldenthaten des Storthings, dem man nachsagt, sein festes Beharren und die ungestümen Vorschläge gewisser Mitglieder hätten den Kronprinzen zum Nachgeben gezwungen und das Vaterland gerettet. In Wahrheit aber ist davon kein Blatt vom Baume gefallen. Sie haben den russischen General hier gesehen, den Grafen Orloff. Sehen Sie, Herzberg, der hat Norwegen zur freien Verfassung und dem Prinzen zum Unterschreiben geholfen. Die russische Politik dachte an Finnland und an die Zukunft, wenn Schweden und Norwegen vereint wären, die Verfassung von Eidsvold war ihm daher ganz recht, sie schwächte die Macht des schwedischen Königs. – Begreifen Sie nun, Propst von Hardanger, nicht Sie, der Russe hat es gethan. Der König aber wird Ihnen immer ein Freund und ein gnädiger Herr sein.«

Der Propst war erstaunt und sah ihn lange starr an.

»Nun, meinetwegen,« rief er endlich aus, »mag es der Russe oder der Teufel gethan haben. Norwegen ist frei, wir haben, was wir wollen, und fragen nicht darnach, wie wir es bekommen. Was schiert mich Czar und König, ich mag Nichts von ihnen, mögen sie nie Etwas von mir wollen! – Laß uns denn gehen, Henrik, fort an unseren stillen, heimischen Herd, wo uns die erwarten, die uns lieben, laß uns leben in Liebe, Arbeit und Frieden, fern von allem Ehrgeiz, fern von Ränken und Hofluft, aber beharrend bei unserem Recht und frei, wie unsere Berge! – Komm, mein Sohn, wirf den gestickten Rock fort, zieh das Wams an, das Dein Volk trägt – in vier Wochen soll Deine Hochzeit sein.«

Und so war es. Vier Wochen später zog ein Brautzug über die Felsen am Fjord. Braut und Bräutigam gingen unter Kronen, voran die Musikanten, an der Spitze der lustige Hochzeitsnarr, der nirgend in Norwegen fehlen darf. In der alten Kirche zu Ulensvang segnete der Propst das glückliche Paar ein.

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