Gesammelte Novellen. Dritte Abteilung.
Einzelausgaben.
Zweiter Teil
Neu herausgegeben
von
lobo.dox@freenet.de
2024
In einer der neuen eleganten Straßen der Hauptstadt stand vor einigen Jahren noch ein altes Giebelhaus, das wie der Rest einer untergegangenen Welt aussah. Zu seinen beiden Seiten prangten stattliche hohe Gebäude, zwischen denen der schiefäugige kleine Nachbar sich ängstlich zusammengedrückt hatte. Dadurch erschien das Gärtchen vor ihm entstanden zu sein, in welchem ein Akazienbaum aufwachsen konnte, der mit seinen wilden langen Zweigen sich über Dach und Giebel lehnte und weit herabhängend auch die Thüre eines schmalen Ladens umwucherte, den einzigen Eingang in dies alte Haus. Zur Sommerszeit, wenn der Baum vollbelaubt war, warf er seinen grünen Schleier im Verein mit einigen Flieder- und Violenbüschen über fünf niedere Fenster, das heißt über die ganze Vorderseite, und von der rostigen Eisenstange über der Thüre, an welcher drei verblindete Messingbecken hingen, war dann wenig zu bemerken.
Der Eigenthümer hatte daher andere Vorkehrungen getroffen, um die Vorübergehenden, und wer ihn etwa aufsuchen wollte, von seinem Dasein in der Tiefe dieser Verborgenheit zu unterrichten; denn dicht hinter dem Gitter, das den zehn Schritte langen Vorgarten gegen die Straße absperrte, hatte er eine Stange aufgestellt, an welcher ein weiß angestrichener, mit schwarzen Buchstaben bemalter Blechstreifen festgenagelt war, auch einen anderen Zettel derselben Art hinter einer der Scheiben seiner Ladenthüre aufgehängt, auf welchem geschrieben stand:
»Hier wird barbirt und geschröpft, auch Zähne ausgezogen. Blutegel, welche gut saugen, bei Hildebrand.«
Es stand Mancher wohl still, um diesen Zettel zu lesen und über dies gute Deutsch zu lachen, wenn aber der alte Barbier den Kopf aus seiner Höhle steckte und die Spötter in seiner eigenthümlichen Weise anschaute, machten die meisten, daß sie fortkamen, denn er war ein sonderbarer alter Bursche.
An dem Tage nun, wo diese wahrhafte Geschichte beginnt, ließen sich die drei verblindeten Becken deutlicher erkennen, obwohl es eben finster werden wollte, denn die Herbststürme hatten den Baum kahl gefegt, und die letzten Blätter der Violen wirbelte ein Windstoß so eben in die dunkelnde Abendluft. Der Wind schlug die Becken an einander, als stimme er eine Janitscharenmusik darüber an, daß er die armen nackten Büsche rein ausgeplündert habe. Damit noch nicht zufrieden, warf er abgebrochene Reiser und Ranken sammt einigen dicken Regentropfen an das Fenster, hinter welchem Licht schimmerte, und fuhr dann lustig pfeifend an der Hausseite hin, wie ein Kobold, der sich an seinen boshaften Streichen ergötzt.
Der alte Bader drinnen richtete seinen Kopf auf, sah ihm nach und verzog seinen Mund zu einem vergnüglichen Grinsen, das ohne Zweifel sagen sollte: »pfeife und höhne, wie Du willst, Du Taugenichts, mir kannst Du doch nichts anhaben.« Dann blickte er in dem warmen stillen Stübchen umher mit dem Aussehen eines Mannes, der sich behaglich in seiner Haut fühlt und das eben so recht empfindet.
Er saß an einem kleinen Tische, der in der Mitte des Zimmers auf vier starken Beinen stand und mit Wachsleinen überzogen war. Vor sich hatte er eine Schirmlampe, welche allerlei Schleifsteine und Streichriemen, Oelfläschchen und Putzlappen beleuchtete, und in seiner Hand hielt er ein Messer, das er sorgsam und bedächtig auf dem Steine hin- und herstrich. Sauber geschärft und abgewischt lagen mehrere schon auf der einen Seite des Tisches, auf der anderen aber warteten halb aufgeklappt, demüthig und fleckig, diejenigen, welche von ihren Sünden und Fehlern erst erlöst werden sollten, und zwischen den Böcken und den Schafen saß der Meister ernsthaft würdig bei seinen Werken, Augen und Gedanken darauf gerichtet.
Kerzengrade saß er so lange Zeit, ohne daß ein Laut über seine Lippen kam. Wenn der Sturm nicht draußen heulte, war kein anderer Ton in dem dämmernden Gemache zu hören, als das Geräusch des Messers auf dem Steine, das mit derselben taktmäßigen Gewandtheit hin- und hergezogen wurde. Nur zuweilen entstand eine Pause, im Fall Herr Hildebrand einen anderen Stein nahm, oder wenn er einige Tropfen Oel darauf träufelte, oder wenn er nach seinem grauen Schädel faßte, ein Haar ihm ausraufte und damit eine Probe über die Schärfe seines Messers anstellte. Zuweilen verdrängte dann sein vergnügtes Grinsen den würdevollen Ernst, im Fall das Haar sofort zerschnitten niederfiel, zuweilen aber auch verdoppelten sich die Falten auf seiner Stirn, und mit majestätischem Zorne blickte er auf das widerspenstige Werkzeug.
In solchen drohenden Augenblicken schlug er wohl auch den Schirmdeckel der Lampe auf, um Messer und Haar nachdenklich zu betrachten, und dann tanzte der Lichtschein erfreut über seine Freiheit bis in alle Ecken und Winkel. Er huschte über den Arbeitstisch am Fenster, schmiegte sich an den Schraubstock, welcher dort befestigt war und ihm leise Etwas entgegenknurrte, spielte mit den Feilen, Zangen und Hämmern an dem Brette darüber, nickte dem ehrbaren Schleifrade an der Wand zu und lachte den Schrank aus, in welchem die Messer, Scheeren und Instrumente zum Zahnausziehen, Schröpfen und Aderlassen still und dunkel lagen.
Wie von Furcht ergriffen, als könnte es ihm seine eigenen Zähne und sein eigenes Blut kosten, warf er einen scheuen Blick auf die Doppelkette ausgerissener und aufgereihter Zähne, schreckliche Trophäen der Kunst und Kraft seines Herrn und Meisters, welche hinter den Scheiben des Glasschrankes hingen und spöttisch den Vogel der Weisheit anblinzelten, die ausgestopfte Eule, welche auf der obersten Leiste dieses Schrankes saß. Weit schöner schien es ihm bei dem alten großen Lederstuhle am Ofen zu behagen oder bei dem alten großen Kasten in der Ecke neben der Thüre, in dessen labyrinthische Schubfächer er sich zu verkriechen suchte, bis mit einem Male der Lampendeckel wieder zuklappte, und der leichtfertige Vagabond darunter gefangen saß.
Wer ihn auf seiner Wanderung begleitete, mußte wahrnehmen, daß es im Ganzen ziemlich ärmlich hier aussah, allein dies alte Gerümpel paßte zu dem alten verrotteten Gebäude, paßte auch zu dem grauhaarigen Bader und dem halben Dutzend alter Vogelkäfige, welche in dem anderen Fenster über einander hingen. Ihre Bewohner standen hinter den dunklen engen Stäben und betrachteten ihren alten Herrn stumm und aufmerksam, und dieser schien für kein anderes lebendiges Wesen auf Erden zu sorgen, auch keine andere Liebe zu begehren, als die seiner gefiederten Mündel und Freunde.
Man konnte dieß allerdings fast beim Anblick des Baders voraussetzen und aus seinem Benehmen folgern. Er war von stattlicher Gestalt, kräftig gebaut, und hielt sich aufrecht. Sein volles Gesicht mit starken, fest ausgeprägten Zügen hatte eine ansehnliche Länge. Die Nase herrschte darin vor; sie trat weitreichend und mächtig aus der Stirn und vermehrte das Gebietende und Selbstbewußte, das aus den grauen, starr blickenden Augen sprach.
Auch der Mund mit den breit auf einander geworfenen Lippen hatte etwas Hartes und Gravitätisches, und wie der alte Herr bei seiner Arbeit saß, eine schwarze hochstehende Sammetmütze auf dem Kopfe und seinen breitschultrigen Körper in einen braunen, weichen und warmen Schlafrock gehüllt, sah er eben so gelehrt und weise, wie selbstzufrieden und wohlbehaglich aus.
Wenn die Vögel in den Käfigen sich regten, blickte er sich zuweilen nach ihnen um, und alsbald entstand ein Piepen und Flügelschlagen, das mit einigen zärtlichen Blicken und Schmeichelworten seinerseits beantwortet wurde.
Vielleicht hätte er sogar seine Arbeit unterbrochen, denn eben machte er eine Bewegung, um aufzustehen, als die Thüre des Ladens geöffnet wurde, und ein kleiner dickköpfiger Mensch in grünem Flausrock mit blanken Knöpfen hereintrat. Unter dem Arme trug er einen grünen Beutel von Plüsch, über den eine lange Klappe fiel, und als er die Thüre wieder zugemacht hatte, nahm er seine Mütze ab, sagte mit etwas heiserer Stimme: »Guten Abend!« setzte den Beutel auf den großen Kasten und kam dann zurück, indem er seine Hände lebhaft an einander rieb.
In die Nähe des Tisches gelangt, stand er still und sah den alten arbeitenden Herrn an, der sich nicht sonderlich um ihn kümmerte. Der kleine Kerl schien sich über die Thätigkeit des Meisters im Stillen zu ergötzen. Er mochte wohl vierzig Jahre alt sein; sein gelblich dünnes Haar fiel auf eine runde Stirn, unter welcher ein Paar vortretende blaßblaue Augen hinter blonden Wimpern sich weit aufthaten. Das ganze Gesicht war rund wie ein Kürbiß, und aus den dicken rothen Backen streckte sich eine kleine aufgestülpte Nase hervor, als sei sie zum Spaß dort hinein gepflanzt oder angesetzt worden, um einen lächerlichen Gegensatz zu dem breiten dicken Munde zu bilden. Bei alledem machte eine gewisse Rührigkeit und Freundlichkeit seinen Anblick nicht eben unangenehm, und ganz entgegen der ernsthaften Würde des alten Herrn, schien er die besten Anlagen zu besitzen, geschwätzig und lustig zu werden, wo er es immer sein konnte.
»Es ist ein schändliches Wetter!« sagte er nach einem Weilchen. »Ich möchte heute nicht ausgehen.«
»Es ist auch nicht nöthig,« antwortete der alte Herr nach einer Pause.
»Nun, es hat es Mancher nicht nöthig und geht doch,« lachte sein Gehilfe.
»Weil's viele Narren und Dummköpfe in der Welt giebt,« brummte Herr Hildebrand.
»So ist es, Herr Cherorjus! Meiner Seele, so ist es!« schrie der kleine Kerl, indem er heftiger seine Hände rieb. »Aber das Beste ist, daß es einer weiß, daß er ein Narr ist.«
»Auch dieses ist eine sehr weise Einrichtung der Natur,« sagte Herr Hildebrand, indem er aufmerksam sein Messer strich, »denn würden alle Narren wissen, daß sie Narren sind, so würde es keine Weisen geben, die aus der Narrheit Nutzen ziehen.«
»O!« rief der Kleine, seine Augen noch weiter aufmachend, als dächte er über den Sinn dieser goldenen Lehre nach, »dieses ist ebenfalls richtig, Herr Cherorjus, es muß Narren geben! Die Welt könnte nicht bestehen ohne Narren, sie ginge unter und wir mit.«
Herr Hildebrand strich sein Messer fertig, hielt es gegen das Licht, nahm ein Haar und prüfte es. Dies Mal grinste er freundlicher und nickte dazu, weil das Haar mitten durchgeschnitten wurde.
»Wie meinst Du das, Kummer?« fragte er dann, wobei er das Messer zuklappte und ernsthaft wurde.
»Denken Sie sich 'mal, Herr Cherorjus,« antwortete der Gehilfe, »es gäbe keine Narren, würde sich da noch Einer rasiren lassen, würde nicht Jeder seinen Bart wachsen lassen? Und wenn's keine Narren gäbe, würden Sie hier sitzen und Messer scharf machen? Würde ich durch Kälte und Regen laufen, um noch in der Nacht den Herrn Rathszimmermeister einzuseifen, weil der noch in eine Gesellschaft gehen will? Würden Sie nicht auch wie ein vornehmer Herr leben können, und würde der Baumeister, der Herr August –«
»Stille!« schrie der Bader, der bis dahin geduldig zugehört hatte, und sein Famulus verstummte. »Du bist selbst ein Narr, Kummer,« fügte er dann mit würdevoller Gewißheit hinzu.
»Na, das sage ich ja!« rief Stummer vergnügt. »Das ist ganz gewiß, Herr Cherorjus. Aber ich habe es gewußt, so lange ich denken kann, und das ist mein Unterschied von anderen Narren, die es nicht wissen.«
Er sah dabei so schelmisch aus, sah seinen Herrn so listig von der Seite an und rieb seine Hände so vergnügt zusammen, daß Herr Hildebrand ihm einen verächtlichen Blick zuschleuderte.
»Du bist allerdings von jung an ein leichtsinniger Bursche gewesen und wirst auch ein solcher bleiben,« begann er nach einem Weilchen. »Ich habe Dich zu mir genommen und aufgezogen, als Du eine verlassene Waise warst, das sind wohl jetzt fünf- oder sechsunddreißig Jahre her.«
»Und Gottlieb Kummer ist immer noch da, Herr Cherorjus,« unterbrach ihn der Kleine; »immer noch munter auf seinen Strümpfen, obwohl es in dem alten Hause hier seitdem Etwas stiller geworden ist. Denn damals lebte die selige Frau noch, und es war gute Zeit bei ihr. Ich sehe sie noch, wie sie an dem schwarzen Ofen da in ihrer Jacke saß und dem armen Gottlieb die dicksten Butterbrode schnitt, wenn er dumme Streiche gemacht hatte.«
Herr Hildebrand sah still vor sich hin, ohne zu antworten.
»Und als sie von uns gegangen war,« fuhr Gottlieb Kummer fort, »kam die Frau Inspectorin Werner in's Haus und brachte ihren Knaben mit, den August, der es noch ganz anders machte wie Gottlieb. Es war ein Kind wie Mild und Blut, und wer es sah, der schrie: das ist der ganze Onkel, das ist der Herr Cherorjus!«
»Stille!« schrie Herr Hildebrand abermals, indem er sich würdevoll aufrichtete. »Du bist wirklich ein ausgemachter Narr!«
»Das ist es ja, was ich sage!« lachte Kummer, »und ich will ja auch herzlich gern Einer sein, aber ein weiser Mann soll anders denken, soll doch denken, daß er milde sein muß gegen uns arme Narren, und daß es Einen auf Erden giebt, der ihm näher steht, wie alles Andere.«
»Näher steht! Näher steht!« murmelte Herr Hildebrand halblaut. »Wenn Du nicht so dumm und närrisch wärest, würdest Du kein Wort mehr sagen; sobald Du aber noch ein Wort sagst, so geh' Deiner Wege, wohin Du willst.«
Damit erhob er sich, blickte ingrimmig und gravitätisch umher und zog seine Uhr heraus, die er langsam betrachtete und wieder einsteckte. Dann ging er durch das Zimmer, bis er vor den Käfigen stehen blieb und hineinblickte. Es entstand alsbald wieder darin ein zärtliches Piepen und Flügelschlagen, und der Ernst zerschmolz in dem Gesichte des alten Mannes, der seine Finger durch die Stäbe steckte. Mit sich selbst sprechend, sagte er vor sich hin:
»Die Thiere sind dankbar. Bilden sich nicht ein, klüger zu sein, als ich, oder wohl gar besser. Es sind keine leichtsinnigen Burschen, die schlechte Streiche machen, ohne Gewissen, ohne Nachdenken.«
Er drehte sich gegen den Ofen um, an welchem sein Gehilfe stand, der beide Hände an die warmen Stacheln hielt und seinen Hals mit dem Kürbiskopfe vorn über neigte. Herr Hildebrand zog seine dreigehäusige Uhr abermals mit einem langen Armausstrecken aus der tiefen Uhrtasche und steckte sie wieder ein, dann zog er den Schlafrock aus und einen warmen schweren Rock an, den er fest zuknöpfte.
»Ich habe noch zehn Minuten Zeit,« sagte er hierauf, »um Dir zu beweisen, Kummer, daß Du ein Narr bist.«
»Ach, Herr Cherorjus, das ist ja gar nicht nöthig,« versetzte der Famulus, indem er kläglich die Schultern zuckte.
»Es ist nöthig,« erwiederte Herr Hildebrand energisch, »denn auch ein Narr kann zu Verstande kommen, wenn er sich zusammen nimmt. Höre also an, Kummer, was ich Dir sage. Ich bin jetzt sechszig Jahre alt, habe Nichts als Dich und die Vögel da.«
»Und Ihren Schwestersohn, Herr Cherorjus,« fiel Kummer ein.
»Wenn ich einmal sterbe,« fuhr Herr Hildebrand, ohne dies zu beachten, fort, »so wirst Du mein Erbe sein. Du bekommst das Haus, kannst mein Geschäft fortsetzen, kannst hier ein glückliches Dasein bis an Dein seliges Ende genießen.«
»Es geschieht nicht, Herr Cherorjus, es geht nicht!« seufzte Kummer kopfschüttelnd. »Ich habe Nichts gelernt, kann keinen Examen machen, hab's niemals gekonnt.«
»Es giebt in der ganzen Welt Keinen, der ein Messer so zu behandeln versteht, wie Du, denn Du hast es von mir gelernt,« sagte Herr Hildebrand im stolzen Tone, indem er den Zeigefinger auf seine Brust setzte. »Warum kommen sie aus der ganzen Stadt weit her und holen Pflaster, Balsam und Blutegel? Warum kommen sie vom Lande weit und breit zum alten Hildebrand und gehen zu Keinem der neumodischen Marktschreier? Du weißt Geheimnisse, Gottlieb Kummer, welche mehr werth sind, als als der aufgeputzte Firlefanz. Ich sage Dir, Du bist mehr werth, als zehn aufgeblasene Burschen, die da meinen, sie könnten eine neue Welt machen, und die Dich sammt Allem, was ich habe, auf den Trödel bringen würden, sobald ich die Augen zumache. Und jetzt sei gescheidt, Gottlieb. Ich werde mein Testament machen. Sprich mir nie mehr von dem windbeuteligen Menschen, von dem ich Nichts wissen will.«
»Es geht aber doch nicht, Herr Cherorjus, nein, es geht nicht!« versetzte Kummer, indem er so spaßhaft wie möglich grinste und seine Augen auf die Thüre heftete.
»Warum geht es nicht?« fragte Herr Hildebrand zornig.
»Weil er ein Narr bleiben will, Onkel,« antwortete eine Stimme aus dem dunkeln Winkel an der Thüre, und ehe der alte Mann sich von seiner Ueberraschung erholen konnte, sah er einen jungen Mann vor sich stehen, der seinen Hut auf einen Stuhl schleuderte, daß er davon ab auf den Boden rollte, und während Kummer ihm nachsprang, aufhob und mit dem Rockärmel abwischte, Herrn Hildebrand bei beiden Händen ergriff und ihn trotz seines Sträubens festhielt.
»Du wirst doch nicht böse sein, Onkel?« rief er dabei. »Ich traf Gottlieb bei Deinem Nachbar, dem Rathszimmermeister Sarre. Er kam heraus, ich wollte hinein. Da er mir nun erzählte, Du seiest noch zu Hause und hättest zuweilen einige Sehnsucht nach mir, wagte ich es, ihn zu begleiten, und wartete dort im Winkel, damit er mich melde. Dazu hast Du es nicht kommen lassen, aber ich hatte Zeit, Dich zu betrachten. Du siehst vortrefflich aus. So rüstig und kräftig, daß ich mich herzlich darüber freue.«
Herr Hildebrand stand würdevoll vor seinem Neffen. Der Baumeister war schlank und wohlgebildet. Sein Gesicht hatte einnehmende Züge. Seine Augen blickten keck umher; um den feinen Mund lag ein stark ausgeprägter Hang zur Spötterei, den der Onkel nie hatte leiden mögen und auch jetzt mißfällig bemerkte. Im modischen großen Kragen und gelben Handschuhen sah er so vornehm, windbeutelig aus, wie Herr Hildebrand es nur wünschen konnte.
»So, so!« sagte er, nachdem er ihn betrachtet hatte; »der Herr Baumeister kennt also meinen Nachbar?
»Seit kurzer Zeit erst, Onkel. Ich habe für ihn einige Arbeiten gemacht, doch das ist ein Mann, mit dem man gern in Verbindung bleibt. Praktisch, klug, speculativ, rasch dabei, wo es Geld zu gewinnen giebt. Der sitzt nicht in einer alten Höhle und denkt daran, wie es sonst war. Vorwärts heißt es bei ihm, fort mit dem alten Plunder, damit das Neue Platz bekommt.«
»So, so!« sagte Herr Hildebrand noch einmal und noch zurückhaltend würdevoller. »Nun, Jeder in seiner Weise. Meine Art verträgt sich nicht mit dem neumodischen Vorwärts.«
»Das ist leider wahr, Onkel,« lachte der Baumeister. »Du bist der Mann aus der alten Zeit, sonst würde es anders hier aussehen.«
Sein Lachen beleidigte den Bader eben so sehr, wie sein spöttischer Blick und seine Rede. Schweigend nahm er von dem Haken an der Thüre seinen Hut und hing dafür seine Mütze hin, dann griff er in dem Winkel am Schranke nach seinem Regenschirm und kam damit wieder zum Vorscheine.
Während dieser Zeit hatte Kummer hinter seinem Rücken die Hand winkend aufgehoben, allerlei Zeichen gemacht und sein Gesicht in wunderbarer Weise verzerrt, damit der Baumeister sich davor erschrecken sollte, allein dieser schien in einer Laune zu sein, die nicht leicht auf Anderes Bedacht nimmt.
»Du wirst mich doch nicht verlassen wollen, Onkel?« fragte er.
»Ich habe keine Zeit mehr,« antwortete Herr Hildebrand.
»Punkt sieben Uhr also wandert der Stammgast noch immer in die alte Welt, Punkt zehn Uhr kehrt er in sein Paradies zurück,« lachte der Baumeister.
Der Oheim setzte gravitätisch seinen breitkrämpigen Hut auf.
»Darüber habe ich hoffentlich Niemandem Rechenschaft zu geben, und am allerwenigsten Dir,« sagte er mit unterdrückter Heftigkeit.
»Gewiß nicht, mein lieber Onkel, doch gehe jetzt nicht fort. Ich habe Manches auf dem Herzen, was ich mit Dir besprechen möchte. Längere Zeit bin ich nicht bei Dir gewesen.«
»Der Herr Baumeister haben Besseres zu thun,« sagte Herr Hildebrand.
»Du hast es mir abgewöhnt, zu Dir zu kommen. Laß es gut sein, Onkel. Ich habe Dir wohl einigen Anlaß gegeben, mit mir zu hadern, doch bei allem meinem Leichtsinn, wie Du es nennst, verdiene ich nicht, daß Du mich verstoßen und enterben willst.«
»Das ist meine Sache,« erwiederte Herr Hildebrand würdevoll.
»Erlaube,« versetzte der Baumeister, »das ist ohne Zweifel auch meine Sache, und es kann Nichts daraus werden, nein, es soll Nichts daraus werden!«
»So, so!, wir werden sehen,« sagte Herr Hildebrand empört.
»Ja, wir werden sehen, Herr Chirurgus, wir werden sehen!« rief der junge Mann leichtfertig lachend. »So geht es nicht, so wirst Du mich nicht los.«
Eine dunkle Röthe stieg in das Gesicht des alten Mannes. Er hob seinen Arm auf, faßte in seine Taschen und dann in seine Halsbinde. Ein stolzes Lächeln zitterte auf seinen Lippen; endlich griff er plötzlich an seinen Hut, hob diesen ein wenig auf und sagte:
»Guten Abend, Kummer. Schließ die Thüre zu.«
»Nein, Onkel!« rief der Baumeister, der ihn umfaßte und festhielt, »ich lasse Dich nicht fort. Es ist ja Alles nur Scherz; ich achte, ehre und liebe Dich von ganzem Herzen.«
»Undankbarkeit!« murmelte Herr Hildebrand, indem er sich frei zu machen suchte.
»Ich bin nicht undankbar! Ich weiß, was ich Dir schulde!« rief sein Neffe. »Als ich Deinen Willen nicht befolgte, als ich eine andere Laufbahn wählte, wie Du es wünschtest, kein Doctor oder Chirurg wurde, hast Du mir Deine Gunst entzogen, mich aber doch gewiß nicht aus Deinem Herzen gestrichen.«
»Und wie weit sind wir jetzt, eh?« fragte Herr Hildebrand.
»Jetzt habe ich mein Examen mit allen Ehren gemacht, warte auf eine Anstellung, beschäftige mich inzwischen mit Privatbauten.«
»Gratulire, gratulire, wenn es Geld bringt!«
»Mit der Zeit bringt es auch Geld, doch was ich selbst vom irdischen Mammon besaß, ist inzwischen d'rauf gegangen.«
»Schulden gemacht! Schulden gemacht!« murmelte Herr Hildebrand. »Leichtsinnig gelebt, wie ein feiner Herr gelebt. Danke ergebenst. Ich bezahle Nichts.«
»Das verlange ich auch nicht. Ich werde meine Schulden selbst bezahlen, werde es in ehrlicher Weise thun, denn ich habe Aussichten dazu. Alle meine Sünden bereue ich, Onkel, habe sie abgeschworen und mich gebessert.«
»Oho! So, so!« rief Herr Hildebrand.
»Deswegen komme ich auch zu Dir, um mit Dir von meinen Hoffnungen zu sprechen und Dich zu bitten –«
»Ich gebe Nichts!« fiel Herr Hildebrand ein. »Auch habe ich keine Zeit, mich jetzt länger aufzuhalten,« fügte er würdevoll hinzu. »Schließ die Thüre zu, Kummer.«
»Du hast keine Zeit, den Sohn Deiner Schwester anzuhören, Deinen nächsten und einzigen Verwandten?« fragte der junge Mann, indem er ihm nochmals den Weg vertrat.
Herr Hildebrand richtete den Kopf bis in den Nacken auf und hielt ihn dort eine Minute lang fest, dann wandte er ihn majestätisch nach dem Ofen um, wo Kummer noch immer stand, die Hände an die warmen Kacheln gedrückt und den Hals vornüber gebeugt, den Boden anstarrend, als wollte er Nichts sehen. Hierauf hob er langsam den Arm, deutete mit dem Zeigefinger auf seinen Famulus und sagte mit würdevollem Nachdruck:
»Da steht, der mir am nächsten ist und mein Sohn und Erbe sein soll!«
Einen Augenblick schwieg der Baumeister, doch in seinem Gesichte arbeiteten die heftigsten Empfindungen. Seine Lippen zuckten spöttisch, seine Stirn zog sich zusammen, und seine lebhaften Augen machten den Versuch, ruhig und bedächtig zu blicken.
»Kummer selbst ist vernünftig genug,« sagte er endlich; »keine Ansprüche auf diesen Titel und diese Erbschaft zu machen.«
Ohne sich zu rühren, sah Herr Hildebrand seinen erwählten Erben an.
»Gottlieb, komm' näher,« begann er hierauf mit gewohnter Festigkeit.
Der Kürbißkopf schnellte sich empor, und aus den vorquellenden Augen kamen ein Paar bittende Blicke, die von einem freundlichen Grinsen begleitet wurden.
»Sogleich, Herr Cherorjus!« schrie er, »ja, ja, sogleich! Da bin ich schon.«
»Reiche mir Deine Hand her, Gottlieb,« fuhr Herr Hildebrand gebietend fort.
»Meine Hand, o!« sagte Kummer lächelnd, indem er diese aufhob und langsam wieder zurückzog. »Sie werden doch nicht, Herr Cherorjus – Sie wissen ja, was ich für ein Narr bin. Es ist Spaß, Herr Cherorjus, nicht? O Herr Je –, Spaß! Haha, bloßer Spaß!«
»Reiche mir Deine Hand her!« wiederholte Herr Hildebrand mit noch größerer Feierlichkeit, und Kummer streckte seine rothe dicke Tatze aus dem Aermel des grünen Flausrockes zögernd hervor, bis sein Herr sie gefaßt hatte.
»Ich frage Dich,« sagte Dieser, auf ihn niederblickend, »ob Du mein Sohn und Erbe sein willst?«
»Bester Herr Cherorjus,« rief Kummer, »ob ich will? Warum sollte ich nicht wollen? Gewiß, es versteht sich von selbst, nach bester Ueberzeugung und mit aller Sorgfalt. Aber ich sagte es Ihnen ja, es ist ja Spaß, wie wäre es denn möglich? Es ist nicht möglich! Da ist ja Herr August und – o! I Gott bewahre, nein! Es ist ja doch nur Spaß!«
»Es ist mein unwiderruflicher Wille, Du sollst mein Sohn und Erbe sein!« sagte Herr Hildebrand.
»Ich, ich?« stotterte Kummer. »Allerliebster Herr Cherorjus, es wäre ja gegen alles Christenthum, wie gegen die Moral und – gegen das Gefühl im menschlichen Herzen. Bedenken Sie doch, was die Welt dazu sagen thäte.«
»Du Narr, Du!« sagte Herr Hildebrand mit ausbrechendem Zorne, indem er Kummer's Hand losließ und von sich stieß. »Du willst nicht?«
»Das ist es ja eben, ich Narr, ich!« seufzte Kummer bittend und lachend. »Die ganze Welt ist ja närrisch, aber ein kluger Mann freut sich darüber. Geben Sie ihm ein gutes Wort, Herr August, es muß gleich Sieben schlagen. Morgen ist auch noch ein Tag, Herr Cherorjus, sagen Sie ihm, er soll morgen wiederkommen.«
»Nein!« schrie Herr Hildebrand, seinen Regenschirm heftig aufstoßend, »er soll niemals mehr wiederkommen,« und indem er sich gravitätisch zu seinem Neffen umwandte, fuhr er fort: »Was hast Du mir noch mitzutheilen?«
»Erst mache ein freundliches Gesicht, Onkel, denn es ist etwas Gutes, von dem ich hoffe, daß es Dich mit mir versöhnen wird. Ich denke mich zu verheirathen.«
Er hatte sich seines Onkels Hand bemächtigt, aber mit einem Rucke zog dieser sie wieder fort. Ohne Zweifel war er sehr erstaunt über diese Neuigkeit, denn er sah seinen Neffen starr an und schüttelte den Kopf dabei, ohne feine würdige Fassung zu verlieren.
»Verheirathen?« sagte er dann, indem er seine Lippen hart und hohnvoll zusammenpreßte. »Leichtsinnige Heirathen sind Mode. Was geht es mich an?«
»Ich bin nicht leichtsinnig,« fuhr der Baumeister fort, aber Herr Hildebrand wollte Nichts weiter hören.
»Was geht es mich an!« rief er noch einmal. »Ich gratulire, wenn es eine reiche Braut ist, allein ich sollte meinen –«
»Ich sollte meinen,« unterbrach ihn der junge Mann in seiner leichtfertigen Weise, erbittert und spottend, »daran wäre mir nicht gelegen, die Hauptsache ist, daß meine Geliebte mich liebt, daß sie ein Herz besitzt, wie ich es wünsche, und daß ich mit ihr glücklich zu sein denke.«
»Dann muß es wirklich ein außerordentliches Wesen sein,« sagte Herr Hildebrand.
»Das ist sie auch, Onkel, das ist sie! Stell' Dich an, wie Du willst, Du sollst Dich dennoch mit mir und meiner Wahl versöhnen. Falte Deine Stirn, wir wollen die Falten daraus vertreiben. Was hast Du denn gegen mich? Du bist ungerecht, Du mußt es einsehen.«
»Ungerecht? So, so!« sagte Herr Hildebrand.
»Ja, ungerecht,« fuhr sein Neffe fort, »selbst Gottlieb Kummer kann es Dir nicht verschweigen.«
»Ich will Nichts mehr von ihm – gar Nichts mehr!« sagte der alte Herr.
»Du stehst allein in der Welt, allein in Deinem Alter, und bist doch ein wohlhabender Mann, trotz dieser alten Hütte und dem alten Gerümpel darin.«
»Stille!« schrie Herr Hildebrand. »Ich habe wenig,« setzte er bedächtig hinzu, »was ich jedoch besitze, gehört mir allein.«
»Aber ich kann mir noch immer nicht denken,« versetzte der Baumeister, »daß Du mich wirklich aus Deinem Herzen und Deinem Hause verbannen willst. Das wäre unnatürlich, durch Nichts gerechtfertigt. Wenn ich heirathe –«
»Ich kann selbst heirathen,« fiel Herr Hildebrand heftiger ein.
»Du – Du!« Der Spott siegte im Gesichte des jungen Mannes über den Ernst darin; er brach in ein Gelächter aus. »Dazu bist Du zu vernünftig, Onkel!« rief er. »Wer sollte Dich denn nehmen? Um Dein Geld vielleicht irgend eine alte Jungfer, oder eine babgierige Wittwe, oder eine ähnliche verlorene Seele. Keine thut es aus reinem Herzen.«
»Ich werde heirathen!« wiederholte der alte Herr hartnäckig, indem er seine Stimme zornig erhob.
»Das wirst Du nicht thun, Onkel. Du wirst Dich nicht lächerlich machen.«
»Lächerlich?« fragte Herr Hildebrand mit dunkelrothem Gesichte, indem er sich bemühte, sich zu beherrschen. »So, so, lächerlich! Gut!«
»Nimm es nicht übel, Onkel, aber die ganze Welt würde es so nennen. Laß mich heirathen. Wir wollen Deine Kinder sein, Dein Alter so schön machen, wie wir immer können, Dich lieben und ehren, so viel wir vermögen. Wir bauen ein neues Haus statt dieser alten wurmstichigen Hütte, wohnen bei Dir, oder Du bei uns. Du giebst endlich den ganzen Trödel auf, da ja obenein Deine Zeit vorbei ist, und es viel jüngere und geschicktere Chirurgen giebt.«
Weiter ließ Herr Hildebrand seinen unbesonnenen Neffen nicht reden. Sein Zorn überwältigte den letzten Rest seiner Würdigkeit. Mit flammenden Blicken stieß er den großen rothen Regenschirm vor sich auf den Boden, daß es knackte, und aus tiefer Brust hervor sagte er zitternd:
»Trödel! Ich mein Haus niederreißen? Hütte!« –
Er hob seinen Arm auf und ballte die Hand zusammen.
»Lieber wollte ich –.«
In dem Augenblicke schlug die Wanduhr am Ofen Sieben, und Herr Hildebrand warf einen hastigen Blick dorthin, knöpfte seinen Rock zu, rückte seinen Hut in die Augen und fuhr in heftiger Aufregung fort:
»Bleib' Du bei Deinem Trödel, ich werde bei meinem bleiben. Verlorene Seele! Ich werde Dir zeigen – so, so, wir wollen sehen, ob ich mich lächerlich mache. Ich verbitte mir allen weiteren Besuch. Schließ' die Thüre zu, Kummer. Wer nicht hierher gehört, kann gehen.«
Den Kopf gerade aus, lief er an seinem Neffen vorbei.
»Ich werde nicht wiederkommen, bis Du mich rufst,« rief Dieser ihm nach, »und das wird erfolgen, denn Du wirst zuletzt doch einsehen, daß ich recht habe.«
Herr Hildebrand antwortete nicht. Er beschleunigte seine Schritte, warf die Thüre zu und war verschwunden.
Einige Minuten lang folgte diesem heftigen Auftritte ein gänzliches Schweigen. Der Baumeister stand in der Mitte der niederen Stube, kreuzte seine Arme und sah finster vor sich hin. Plötzlich aber fing er laut und heftig an zu lachen, gerade in den Kürbißkopf hinein, der ihn mißbilligend und ernsthaft anblickte.
»Warum lachst Du nicht, Gottlieb?« rief er, den dicken kurzbeinigen Burschen an beiden Schultern schüttelnd; »warum siehst Du so jammervoll verdutzt aus, als wäre mir ein Unglück geschehen?«
»Warten Sie es ab, Herr August, warten Sie es ab,« brummte Kummer, indem er hin- und herwackelte. »Es wird schon kommen. Sie sollen sehen, es wird kommen.«
»Was wird denn kommen, Sohn und Erbe?« fragte der junge Mann, ohne sich stören zu lassen.
»Damit ist es jetzt vorbei,« sagte Kummer. »Das vergißt er mir nie. Und wenn er den ersten besten Nachtwächter zum Erben einsetzen soll, ich kriege Nichts mehr davon ab.«
»Warum bist Du so närrisch gewesen, alter Gottlieb, hast nicht zugefaßt, als er Dir die Strippe vorhielt?« –
In dem Augenblicke aber, wo der Baumeister dies sagte, legte er seine Arme um den dicken Kopf und fuhr mit herzlicher Freudigkeit fort:
»Du gutes ehrliches Gesicht! Mag er uns alle Beide enterben, das will ich Dir nie vergessen. Habe ich ein Stück Brod, soll's Dir nicht daran fehlen; doch noch sind wir nicht so weit, um uns ohne Weiteres aus dem Hause werfen zu lassen. Er soll uns kennen lernen, Gottlieb. Wir wollen ihn zur Vernunft bringen.«
»Hätten Sie es nur nicht so arg gemacht, Herr August,« sagte Kummer. »Ich habe so viel gewinkt und gezuckt, alle Glieder thun mir davon weh; aber Sie hörten ja nicht auf, Oel in's Feuer zu gießen. Jetzt haben wir die Geschichte. Ich sage Ihnen, Sie werden sehen, es ist richtig.«
»Ich habe ihm ja Nichts gethan,« erwiederte der Baumeister. »Alles, was ich sagte, ist wahr und sollte ihn versöhnlich stimmen.«
Kummer rieb sich vergnügt grinsend die Hände.
»Das ist eine schöne Art, Einen zu versöhnen,« schrie er, »der sich klüger weiß, wie alle Anderen. Wenn Sie ihm sagen, es sei unvernünftig und unnatürlich und passe sich nicht, und es solle nimmermehr geschehen, da soll er wohl lustig lachen?«
»Es soll auch nicht geschehen, so lange ich's hindern kann,« rief der junge Herr.
»O, Herr Je –!« fuhr Kummer noch vergnügter fort, »und ihm zu sagen, er verstände Nichts, es wären Andere da, die ihre Sache besser machten.«
»Auch das ist wahr, Gottlieb, seine Zeit ist längst vorbei. Weil er im Kriege als Compagniefeldscheer mitlief, hat er nachher gepflastert und gedoctert, und man hat's ihm nachgesehen. Jetzt giebt's tüchtige Chirurgen genug, er aber sitzt noch immer hier in der alten Hütte, schleift Messer und verkauft Blutegel und reißt unglücklichen armen Teufeln, die sich zu ihm verirren, gesunde Zähne aus.«
Kummer's vorquellende Augen blitzten vor Lustigkeit, er hielt seine Hand vor den Mund, um nicht laut zu lachen, indem er seine Ohren spitzte und nach Fenstern und Thüre sah, als fürchte er, daß Jemand horchen könnte.
»Stille, um Gotteswillen stille!« flüsterte er. »Reden Sie nicht so, Herr August. Wenn er es hören thäte, es ginge ihm bis in die Hühneraugen. Zehn Thaler möchte ich nicht nehmen, daß ich ihn in solcher Wuth gesehen habe.«
Hier konnte Kummer sich nicht länger mäßigen. Er lachte ausgelassen, riß den Mund wie ein Nußknacker auf, zog ein Bein dabei in die Höhe und lehnte sich mit solcher Gewalt an den Ofen, daß dieser zu wackeln anfing, was Kummer mit einem prüfenden Blicke über seine Schulter erwiederte, indem er plötzlich ernsthaft wurde.
»Er ist voller Einbildungen, und seine Abneigung gegen mich schlimmer, als ich meinte,« sagte der Baumeister inzwischen. »Nicht einmal anhören mochte er mich, als ich ihm erzählen wollte, wie glücklich ich bin, welch' ein Mädchen mich liebt, und welche Heirath mir bevorsteht, wie er es gewiß nicht erwartet.«
»Au weh, au weh!« schrie Kummer, indem er sich an's Ohr faßte und ein schreckliches Gesicht schnitt.
»Was ist Dir denn?« fragte Werner.
»Das ist es ja eben, Herr August, das ist ja das Allerschlimmste,« wimmerte Kummer. »Ich sehe es kommen, es geschieht so. Sie können sich darauf verlassen, es geschieht so!«
»Was geschieht?«
»Daß er heirathet. Auf jeden Fall heirathet!«
»Das wird er doch nicht thun, Kummer?«
»Und dann ist es aus, dann ist's rein aus. Der ganze Kummer wird ausgefegt!«
»Thorheit! Thorheit!« rief der Baumeister.
»Ich kenne ihn,« erwiederte Kummer. »Was er sich in den Kopf setzt, das führt er aus, und als Sie ihm sagten, er mache sich lächerlich, als ich da in seine Augen sah, bekam ich einen Schreck.«
»Sollte das wirklich möglich sein? Heirathen, er! Es ist Unsinn!«
»Er nimmt Eine!« schrie Kummer. »Sie sollen sehen, er nimmt jetzt wirklich Eine. In früheren Zeiten wandelte ihn manchmal die Lust dazu an, aber zuletzt fürchtete er sich immer wieder davor. Jetzt geht er darauf aus, Ihnen zum Aerger, und er wird schon Eine finden, so Eine, die uns Beiden die Augen auskratzt.«
»Und ihm dazu, Gottlieb,« lachte Werner. »Es wäre sein Unglück, und das mit anzusehen, habe ich ihn doch zu lieb. Aber auch, um unserer selbst willen dürfen wir es nicht leiden.«
»Was können wir denn hindern?« wandte Kummer ein.
Der Baumeister ging einige Male auf und ab, blieb dann vor seinem Vertrauten stehen und schlug ihn auf die Schulter.
»Wir werden es hindern, alter Gottlieb, wir müssen es hindern! Willst Du mir beistehen und thun, was ich Dir sage?«
»Das versteht sich, Herr August. Mit bester Ueberzeugung und aller Sorgfalt!« versicherte Kummer, von dieser Energie angesteckt.
»Dann sprich zu Allem ja, was er auch unternimmt. Hilf ihm bei allen seinen Thorheiten, so viel Du kannst.«
»Ich, Herr August, ich?«
»Schimpfe auf mich, verdamme mich, verspotte mich, und wenn es wirklich dahin kommt, daß er heirathen will, rede ihm zu, lobe ihn, reize ihn an, wer es auch sei, jung oder alt, häßlich oder schön, ganz einerlei, wie sie aussehen mag, wer sie sein mag.«
»Aber, Herr August, meinen Sie wirklich?« fragte Kummer verwirrt.
»Wer es auch sein mag, mein tapferer Schildknappe,« wiederholte Werner lachend, »eine Fee oder Hexe, ein Engel oder ein Drache. Treibe ihn an, Gottlieb, hetze ihn gegen mich, wiederhole ihm täglich, daß ich ihn verspottet und ausgelacht habe. Lüge dazu, was Du Lust hast; sage ihm, er müsse heirathen, ich verdiene es nicht besser, und freue Dich selbst darüber.«
»Ich, Herr August, o, ich freuen, helfen? Was sagen Sie da?« schrie Kummer seine Hände zusammenschlagend. »Sind Sie denn –«
»Bei Sinnen,« fiel der Baumeister ein, »Vollkommen, Du kannst Dich darauf verlassen. Thue, was ich Dir sage. Schmeichle seiner Eitelkeit, rühme seine Tugenden, lobe seine Vorsätze, preise die Prinzessin, welche er sich auserwählt. Laß Dich durch Nichts irre machen, gehe auf alle seine Narrheiten ein, und wenn er etwa sich besinnen, wenn er still stehen oder gar umkehren will, gieb ihm einen neuen Stoß. Ich weiß, daß unter Deinem dicken Schädel mehr Witz verborgen ist, als Dein weiser Meister denkt, daß unter dem groben grünen Flaus hier ein Herz sitzt, besser als viele, die unter Sammet und Seide schlagen. So halte Dich denn tapfer, alter Gottlieb, und verlaß mich nicht. Denke daran, daß wir siegen müssen, und daß Du mich oft schon beschützt hast, wenn Andere mir Uebles thun wollten. Und jetzt lebe wohl, mein Freund und Gönner! Ich muß fort, aber ich sehe Dich morgen wieder, und dann sollst Du mehr hören.«
Während dieser Abschiedsrede warf der Baumeister seinen Kragen um, setzte seinen Hut auf, drückte Kummer's dicke Hände, der ihn beifällig angrinste, und war hinaus, ehe der ehrliche Bursche neue Einwendungen erheben konnte. Im Grunde waren ihm diese auch vergangen; diese Beredtsamkeit des jungen Mannes, dem er zärtlich zugethan war, hatte alle seine Bedenken besiegt, es kam ihm vor, als sei Alles recht und gut, was er thun wollte, um den Herrn Cherorjus zur Vernunft zu bringen.
Er schloß die Thüre, machte sich dann an den Tisch, wischte die Steine ab und trug sie fort, steckte die Messer in ihre Futterale und legte die Riemen, Flaschen und das gesammte Werkzeug, wohin jedes gehörte. Dabei sprach er kein Wort, doch sein Gesicht strahlte immer heller, der ganze Kürbißkopf kam nach und nach in Bewegung, und ein Gemisch von Spott und Lust und ausbündiger Pfiffigkeit malte sich darin in ergötzlichster Weise. Seine Hände reibend ging er auf und nieder, bis seine Schritte zu einem Hüpfen wurden, und endlich, als er auf dem Höhepunkt seiner Empfindungen angelangt war, machte er einen Satz und brach in wildes Gelächter aus.
»Es ist ein Teufelskerl!« schrie er, indem er schlau umhersah, und seine Stimme sich zu einem leisen Gekicher zusammenzog, »aber ein Mensch, o ein Mensch, eine wahre Seele von Mensch! Wenn ich ihn heirathen könnte, ich nähme ihn selbst, aber ich helfe ihm, ja ich helfe ihm, und wenn der Herr Cherorjus mich auch dafür an die Luft setzt, ich helfe ihm doch. Es soll Alles geschehen, was er haben will.«
Während dessen war Herr Hildebrand rüstig vorwärts gepilgert dem Hause zu, wo er allabendlich drei Stunden seines irdischen Daseins verlebte. Er hatte ziemlich weit zu gehen, doch trotz dem rauhen Wetter und der Finsterniß schritt er rasch über die nassen Steine. Sein Gesicht war heiß von dem erhitzten Blute, auch war es eine gute Viertelstunde später als gewöhnlich, was seinen Verdruß noch mehr schärfte.
Während er mit den Windstößen zu thun hatte, die mit ihren kalten Händen ihn an Hut und Rock zerrten, verfinsterte sich seine Stirn immer von Neuem, und vor sich hin brummend sagte er mehr als zehn Male:
»Nichts soll er haben, nicht einen Pfennig! Ich will ihm zeigen, wer ich bin. Windbeutel! Taugenichts! Verlorene Seele? Warte, Du sollst mich kennen lernen, warte!«
Unter solchen Selbstgesprächen langte er bei seinem Bestimmungsorte an, und jetzt zuerst blickte er friedlicher auf, als er die kleine schwarze Tafel über der Thüre anschaute mit der Inschrift: »Zur alten Welt.« Diese alte Welt, das war seine Welt. Es ging ihm wirklich durch die Brust, und wie er die lange Vorflur durchschritt, in welcher ein einsames kleines Flämmchen den Weg beleuchtete, fühlte er sich vom alten guten Geiste angeweht. Fast noch weiter als sonst öffnete er die Thüre, welche in das Zimmer der Stammgäste führte, und trat in würdiger Sicherheit hinein.
Da hing die Doppellampe von blankgeputztem Messing mitten über dem braungestrichenen großen Tisch, um welchen schwere Holzstühle mit plumpen Lehnen standen. An den Wänden neben dem Ofen befanden sich Riegel und Pflöcke zum Aufhängen der Mäntel und Hüte, an der anderen Seite ein Pfeifenspind mit Nummern und Namen. Der Fußboden war mit Sand bestreut, die Fenster mit rothem Kattun umhängt, die Wände gelb gefärbt, Alles sauber und rein, aber schwarz beraucht und äußerst einfach. Nirgends ein Ausputz, nirgends eine Spur von modernem Luxus.
Kaum hatte Herr Hildebrand sich gezeigt, als der Wirth durch die Glasthüre hereinkam, die in das Schenkzimmer führte. Er war eben so einfach wie sein Hauswesen, dick und stämmig und wohl so alt wie sein Gast. Ueber seinen grauen groben Rock hatte er eine blaue Schürze gebunden, die bis an den Hals hinauf ging, und seine Füße steckten in wollenen Pantoffeln. Mit zuthulicher Freundlichkeit begrüßte er den Herrn Cherorjus, nahm ihm Regenschirm und Hut ab und half ihm den schweren Rock ausziehen, den er an den bestimmten Platz hing.
Herr Hildebrand ließ sich dies Alles mit gelassener Würdigkeit gefallen, dann setzte er sich an seinen Platz, den Niemand einzunehmen gewagt hätte, auch wenn das ganze Zimmer voll Gäste gewesen wäre, obwohl dies jetzt völlig leer war. Der Wirth ging inzwischen zu dem Pfeifenspind, wo er eine gestopfte Pfeife herausnahm und sie dem Herren Cherorjus präsentirte. Während dieser dann einige prüfende Untersuchungen anstellte, um sich zu überzeugen, daß Nichts verabsäumt sei, holte er einen Becher voll langer Papierstreifen, setzte ihn auf den Tisch, nahm einen der Fidibusse heraus, brannte ihn an der Lampe an und stand wartend fertig vor dem verehrten Gaste.
»Es ist alles in schönster Ordnung, Herr Cherorjus,« sagte er mit Selbstbewußtsein. »Ich habe Ihre Pfeife selbst rein gemacht, denn dabei kann man sich auf keinen Andern verlassen. Aber ich glaubte schon, Sie würden heute nicht kommen.«
»Nicht kommen?« versetzte Herr Hildebrand beleidigt, und indem er den Zweifler durchbohrend ansah, senkte er die Pfeife und steckte die Spitze in den Mund.
Der Wirth hielt schnell den flammenden Fidibus darauf, und eine lange blaue Dampfwolke stieg empor, welche er vergnügt betrachtete.
»Es brennt prächtig,« sagte er. »Ich dachte, Sie kämen nicht wegen des schlechten Wetters. Es ist heute noch Keiner hier.«
»Ich komme immer, Winter,« erwiederte Herr Hildebrand stolz. »Es mag Wetter sein, wie es will.«
»Das ist wahr, Herr Cherorjus!« rief der Wirth, und indem sein hartes, gelbes Gesicht sich mit freudiger Bewunderung füllte, setzte er hinzu: »Sie sind immer auf dem Platze, und ich wüßte auch nicht, was uns fehlen thäte, wenn Sie einmal wegblieben.«
»Ich werde niemals fehlen, Winter,« fuhr Herr Hildebrand energisch fort, »bis Alles vorbei ist.«
»Damit hat es noch lange Zeit,« lachte der Wirth. »Sie nehmen es mit dem Jüngsten auf, denn wie jetzt die Welt ist!« …
»Windbeutelei! Plunder!« fiel Herr Hildebrand ein.
»So ist es,« antwortete Winter. »Da kommt meine Frau und bringt Ihr Glas. Sehen Sie 'mal die an, Herr Cherorjus. Dreiundfünfzig gewesen, aber immer frisch und munter.«
Die Wirthin trat eben herein und brachte ein schäumendes Deckelglas voll edlen Gerstensaftes, und wie sie es freundlich grüßend vor dem lieben Herrn Cherorjus hinstellte, geschwätzig zutraulich und doch voll Achtung und Ehrerbietung, die Hand abwischte, ehe sie ihm diese reichte, mit ihm zu scherzen begann, und so prall und reinlich aussah, so rasch sich drehte, und ehrbar lustige Worte über sein Aussehen und über die Sehnsucht sagte, mit der sie ihn erwartet habe, mußte Herr Hildebrand einen Theil seiner Würdigkeit aufgeben, ihre Scherze erwiedern und in ihres Mannes Lob einstimmen. Er erfreute sich an ihren Antworten und hörte mit Behagen zu, wie das Ehepaar vereint ihr althergebrachtes Hauswesen lobten. Von Vater und Großvater war die Wirthschaft schon in derselben Weise geführt worden, und Nichts sollte hinzugethan, Nichts abgeändert werden.
»So lange wir die Augen aufhaben,« sagte die Wirthin, »soll uns Keiner mit dem Firlefanz kommen, wie er jetzt Mode ist: Tapeten an den Wänden, polirte Tische, Sophas, Polsterstühle, gestickte Gardinen und große Spiegel. Dazu die vielen Gasflammen und Kronleuchter, Herr Cherorjus, als ob man in Paläste kommt. Damit lassen wir uns nicht ein, durchaus nicht, gar nicht!«
»Und solche Windbeutel von Kellnern in Schuhen und Strümpfen und kurzen Jäckchen,« setzte ihr Mann verächtlich lachend hinzu, indem er seine blaue Schürze straff zog, »die wollte ich jagen! Wo dergleichen Bursche sind, ist nichts als Unordnung.«
»Lange Speisekarten, aber Nichts dahinter,« fiel die lebhafte Frau ein. »Tellerchen von feinem Porzellan wie eine Hand groß, Nichts darauf, aber silberne Gabeln und Messer. Lauter Fickfack, aber es giebt Gott sei Dank! noch Leute, die da wissen, was ein gutes Gericht zu sagen hat. Niemals mehr als ein Gericht, Herr Cherorjus, aber immer was Gutes. So ist es bei uns Sitte, und so bleibt es. Damit kann man Ehre einlegen vor Gott und Menschen.«
»Was giebt es denn heute?« fragte Herr Hildebrand behaglich nickend.
»Schmorbraten, Herr Cherorjus,« erwiederte die gute Wirthin, indem sie sich zu ihm niederbeugte.
»Aha!« sagte Herr Hildebrand an sein Kinn fassend und mit nachdenklich ernsthaften Blicken. »Sehr gut, wenn er von der richtigen Sorte ist.«
»Na, Sie wissen ja, Herr Cherorjus,« fuhr die Wirthin stolz lächelnd fort, »in meine Küche kommt Nichts als das Allerbeste. Nichts von der neumodischen Zusammenklexerei, wo der Name das Beste daran ist. Du mein Gott, was schmieren sie jetzt für Gerichte zusammen, und die vornehmen Herrschaften müssen es essen und bezahlen! Bei mir nicht, Herr Cherorjus, das wissen Sie; alles Kern, alles Saft.«
Herr Hildebrand schien den Saft zu fühlen, er leckte seine Lippen.
»Windbeutelei!« murmelte er, indem er an seinen Neffen dachte. »Dergleichen Menschen müssen so bedient werden.«
»Ich habe schon ein Stückchen für Sie zurecht gelegt,« sagte die Wirthin vertraulich flüsternd. »So recht aus der Mitte; auf der Zunge muß es zergehen.«
Herr Hildebrand lächelte lüstern.
»Also doch für mich gesorgt?« erwiederte er wohlgefällig.
»Sie sind immer der Erste, Herr Cherorjus,« betheuerte die Wirthin. »Ehe Sie nicht versorgt sind, wird an keinen Andern gedacht.«
Ein stolzes Selbstgefühl malte sich in Herrn Hildebrand's Gesicht. So war es recht, das erfreute ihn. Mit würdevoller Huld sah er seine sorgsame Freundin an und gab ihr ein Zeichen, daß er damit zufrieden sei.
»Lassen Sie sehen, Frau Winter, was Sie für mich ausgesucht haben,« sagte er dann, »und Sie, Winter, stellen Sie mir noch eine gute Flasche zurück.«
Wirth und Wirthin eilten fort, und jetzt saß Herr Hildebrand im Vollgenuß seiner Oberherrlichkeit und hüllte sich in die balsamischen Dämpfe seiner Pfeife. Hier war er der große Mann, den Jeder mit Ehrfurcht behandelte. Hier war kein Spötter, kein Verräther. Jeder, der ihm nahte, kam mit dem Gefühle der Hochachtung, jeder seiner Winke fand augenblicklichen Gehorsam.
Bald stand ein wundervolles Stück des saftigsten Fleisches vor dem Herrn Cherorjus, ein wahrer Fleischberg, aus welchem Wolken köstlichen Duftes aufstiegen, und mit welcher Dankbarkeit nahm die gute Wirthin sein lobendes Wort auf! Nach und nach erschienen dann mehrere andere Gäste, die ihre Pfeifen und Gläser erhielten und den Tisch besetzten. Alle begrüßten den Herrn Cherorjus mit besonderer achtungsvoller Ergebenheit, denn er war der Präsident dieser Versammlung, ihr Führer und Leiter, ihr Mann der Wissenschaft und Weisheit.
Mit dem einzigen Worte »delikat!« waren alle Zweifel über den Werth des heutigen Abendessens niedergeschlagen. Niemand wagte noch einen Widerspruch, selbst die nicht, welche sehnige Eckstücken bekommen hatten. Die guten Bürger, welche sich hier von ihren Geschäften erholten, blieben fern von allen rebellischen Gelüsten. Der Herr Cherorjus hat gesprochen, galt ihnen so viel wie: Rom hat gesprochen, und Herr Hildebrand saß in ihrem Kreise in diesem dampfigen Halbdunkel, wie ein Herrscher im Olymp, der über alles wacht und über Alle richtet.
Es wurde mancherlei erzählt, Tagesbegebenheiten, Erlebnisse, Stadt- und Hofgeschichten, über Krieg und Frieden raisonnirt, über Ausland und Inland, über Fürsten und Minister, und öfter geriethen die Parteien in Streit, ihre letzte Instanz war jedoch jedes Mal der Herr Cherorjus. Würdevoll schweigend saß er in seinem Holzsessel, die linke Hand auf den Tisch gelegt, die Pfeife dann und wann von den Lippen ziehend, den Kopf in den Nacken zurückgezogen, nachsinnenden Ernst auf seiner Stirn. So hörte er zu, ohne einen Zug in seinem Gesichte zu verändern, ohne das leiseste Zeichen von Ungeduld, bis die verhängnißvolle Appellation an seine höchste Autorität erfolgte.
Dann sprach er das Urtheil mit wenigen Worten, und damit war es gut. Die Partei, welcher er beitrat, hatte gesiegt. Jeder wußte ja, daß der Herr Cherorjus ein ausgezeichneter Mann sei, und es war merkwürdig, was er Alles verstand, was er kannte, was er gesehen und erfahren hatte. In Paris war er zwei Mal gewesen mit dem glorreichen Heere, auch in England im Gefolge des Generalarztes des Königs, der ihn darauf auch mit nach Wien zum Congreß genommen. Hieraus hatte er eine unermeßliche Personal- und Sachkenntniß geschöpft, und wenn er von jenen Zeiten erzählte, von allen den hohen Fürsten, Feldherren, Staatsmännern und Herrlichkeiten; von Schlachten und Festen, von merkwürdigen Ergebnissen und was vor seinen Augen vorgegangen, versenkten sich alle Zuhörer in staunende Bewunderung.
Es verging aber selten ein Abend, an welchem nicht eine oder die andere Erinnerung zum Besten gegeben wurde. Herr Hildebrand hatte ein vortreffliches Gedächtniß, auch war er nicht ohne Phantasie, um Wahrheit mit Dichtung zu verbinden. Dabei las er jeden Morgen seine Zeitung, gab sich mit dem Studium der Welthändel ab, wußte die Namen ausländischer Minister, ja selbst was in Amerika geschah, so daß so leicht Nichts geschah, wovon er nicht mit würdevoller Sicherheit reden konnte.
Auch an diesem Abende glänzte sein Licht, denn es dauerte nicht lange, so kam ein Gegenstand zur Sprache, der ihn ungewöhnlich anregte. Es war von einer neuen Erfindung die Rede, Häuser aus hohlen Steinen zu bauen, die bedeutend billiger, leichter und dabei dauerhafter sein sollten. Ein Architect hatte diese Erfindung neulich in einem Journale besprochen, und einer der anwesenden Gäste, der es gelesen hatte, nannte auch den Namen des Schreibers, wodurch Herr Hildebrand bewogen wurde, drei Dampfwolken rasch und heftig auszustoßen.
Er hörte den Namen seines ungerathenen Neffen mit Zusätzen, die ihn ärgerten. Es sollte ein geschickter junger Baumeister sein, und was er mitgetheilt, habe Hand und Fuß. Solche Leute thäten Noth, denn das Bauen werde immer theurer, und es ließe sich noch Manches erfinden, wie es denn allerdings wahr sei, daß die neuen Häuser besser als die alten, und große Fortschritte in der Baukunst gemacht worden wären.
Nachdem er geraume Zeit mit sich gekämpft, konnte Herr Hildebrand nicht länger schweigen. Verschiedene Male räusperte er sich, faßte in seine Halsbinde und suchte das Thema zu beseitigen, allein dies gelang ihm nicht, und was ihn zumeist reizte, war, daß sich keine starke Partei für das gute Alte bildete. Endlich konnte er es nicht mehr aushalten, er mußte selbst dafür eintreten.
»Gott sei Dank, daß wir noch alte Häuser haben,« sagte er. »Mir soll Keiner mit solchen luftigen Windkasten kommen. Alles Spekulation; Alles hohl, Alles Blendwerk, Nichts dahinter!«
Die Gesellschaft sah sich verwundert an.
»Keine Dauer darin, kein Kern,« fuhr Herr Hildebrand fort. »Ausgeputzt von außen, aber von innen Nichts als Betrug. Liederliche Windbeutel sind diese Baumeister. Die sich so nennen, haben kaum das Nothwendigste gelernt, thun sich mit Spekulanten zusammen und bauen darauf los. Alles so billig wie möglich, Alles so schlecht wie möglich, alles Geldschneiderei, weiter Nichts.«
Die Gesellschaft nickte sich zu.
»So ist es!« sagte Einer.
»Der Herr Cherorjus trifft den Nagel auf den Kopf!« schrie ein Anderer.
»Plündern ihre Mitbürger aus, werden reich dabei,« sprach Herr Hildebrand weiter. »Was sind's jetzt für Häuser! Lauter Fenster, keine Wände, und nun obenein auch noch hohle Steine. Packt die Windbeutel und Spekulanten hinein, das wäre das Beste.«
Dieser Witz wurde lebhaft belacht, was ein wärmeres Gefühl in Herrn Hildebrand anfachte.
»Ich sage Ihnen, meine Herren, es ist meine innigste Ueberzeugung,« begann er, als es wieder ruhig wurde, indem er den Zeigefinger auf seine Brust setzte, »wir gehen immer weiter rückwärts. Vorwärts gehen wir nicht, denn Alles ist Schwindel. Allein mit Häuserschwindlern und elenden Buben, die das Alte verachten und verlachen, muß sich kein ehrlicher Mann einlassen. Was wäre aus Rom und Griechenland geworden, wenn die damaligen Baumeister solche Spitzbuben gewesen wären? Hohle Steine! Hohle Köpfe, meine Herren. Meine Art verträgt sich nicht damit, dabei bleibe ich. Altes Wesen ist altes Wesen. Solide Grundsätze, Bescheidenheit, innerer Werth. Alle diese Neuerungssucht ist Betrug! alle diese Menschen – pfui!« sagte Herr Hildebrand mit edlem Abscheu, »ich will niemals das Geringste mit ihnen zu thun haben.«
Er setzte sein Glas würdevoll an den Mund, es herrschte ein feierliches Schweigen. Der verehrte Mann hatte heftiger und leidenschaftlicher gesprochen, als man es jemals von ihm gehört, und jedenfalls mußten besondere Verhältnisse dabei mitwirken. Aber ehe noch irgend eine weitere Nachforschung möglich war, schlug die Wanduhr zehn, und mit dem Glockenschlage stand Herr Hildebrand auf, stellte seine Pfeife fort, zog den dicken Rock an, nahm Hut und Regenschirm und wünschte eine allseitige gute Nacht. Jeder beeilte sich, ihm noch die Hand zu reichen, etwas Beistimmendes zu sagen und zu versichern, daß es eine wahre Freude sei, ihm zuzuhören.
»Wir bleiben die Alten,« antwortete Herr Hildebrand, indem er energisch mit seinem Regenschirm aufklopfte. »Mögen die windigen Patrone die ganze Welt anführen, wir lassen uns nicht irre machen, meine Herrn. Also auf Wiedersehen morgen Abend! Wünsche Ihnen wohl zu ruhen.«
»Gute Nacht! Gute Nacht, Herr Cherorjus!« schrie der Chor ihm nach, und somit trat er seine Wanderung an. Als an der Thüre die Wirthin ihm noch vertraulich zugeflüstert hatte, daß es morgen Abend Hasenbraten geben würde, woran sie die Ermahnung fügte, ja nicht zu fallen und Schaden zu nehmen, ging er die nasse Straße hinab, durch welche der Wind noch heftiger stürmte als vorher.
Herr Hildebrand spannte den großen Regenschirm auf, allein er machte ihn bald wieder zu, denn er konnte ihn nicht halten. Es regnete auch kaum einige Tropfen, und die Last störte seine Gedanken. Er fühlte sich von diesen wohlthuend angeregt, denn alle diese Männer, welche er verlassen hatte, machten ihn stolz durch ihre Anerkennung. Es waren wohlhabende Leute, keine Lumpe, ein Stadtverordneter sogar darunter, der Seife kochte, und ein Bezirksvorsteher, der mit Tuch handelte. Diese würdigen Männer bewunderten seinen Verstand und drückten ihm ihren Dank aus, während sein windbeuteliger Neffe sich unterstand, ihm Grobheiten zu sagen.
Er erinnerte sich dabei wieder von Neuem an den Auftritt, welchen er erst heute mit ihm erlebte, und was er so ziemlich vergessen hatte, das Hohngelächter über seine Ankündigung, selbst noch heirathen zu wollen, fiel ihm ein und reizte seinen Grimm. Es war ein rasches Wort gewesen, im Aerger ausgesprochen, aber warum sollte er es nicht wahr machen?
»Hatte der ehrliche Winter etwa Unrecht?« brummte er vor sich hin. »Nehme ich es nicht noch mit manchem Jungen auf, und so eine nette wirthschaftliche Frau wäre so übel nicht. Es hat manche Junge und Schöne schon einen alten Mann genommen, hat ihn geliebt und geehrt und besser daran gethan, als solchem jungen, leichtsinnigen Taugenichts sich an den Hals zu werfen. Ja, wenn ich das noch erlebte, wenn ich ihm das noch zeigen könnte! Arm in Arm mit ihr vor ihn hintreten und ihn auslachen. O –!«
Hier hielt Herr Hildebrand plötzlich inne, denn auf der andern Seite der Straße erhob sich eine scheltende helle Stimme, die mit großer Lebendigkeit sagte:
»Ich verbitte mir Ihre Begleitung. Entfernen Sie sich. Ich werde um Hilfe rufen. Mein Herr, ich bitte, mein Herr!« und indem Herr Hildebrand still stand, sah er eine dunkle Gestalt auf sich zueilen, welche seinen Arm zusammenpreßte und halb athemlos fortfuhr: »Beschützen Sie mich, mein Herr! Helfen Sie mir!«
»Seien Sie ganz ruhig,« sagte Herr Hildebrand würdevoll, indem er sich auf seinen Regenschirm stützte und energisch nach der andern Seite sah.
»Wer Ihnen Etwas anhaben will, mag kommen.«
Diese Herausforderung hatte jedoch nur die Folge, daß Jemand, der in einen Mantel gehüllt sich dicht an den Häusern entfernte, dies um so schneller that.
»Gott sei Dank, er geht,« flüsterte die Dame.
»Fürchten Sie sich nicht,« fuhr Herr Hildebrand mit Verachtung fort, wobei er dem Fliehenden nachsah. »Mit solchen Burschen wird man fertig!«
»Ich fürchte mich auch nicht mehr, da ich einen so edlen Beschützer gefunden habe,« sagte die Dame. »Doch hier sind wir an einer sehr belebten Straße, auch habe ich nicht gar weit zu gehen, um in voller Sicherheit zu Hause zu sein.«
Sie waren bis an eine Beugung mehrerer Gassen fortgeschritten, und bei dem bellen Schein einer Laterne warf Herr Hildebrand einen prüfenden Blick auf seine Begleiterin. Sie hatte ihren Schleier zurückgeschlagen, er konnte ihr Gesicht genau erkennen und war davon ein wenig überrascht, denn er sah in ein jugendliches Gesicht mit glänzenden Augen und einem lächelnden allerliebsten Mund. Eine schwarze Atlaskappe umhüllte ihren Kopf, ein dunkler Mantel mit Pelzbehang ihre Gestalt, aber diese schien von stattlichen Formen, groß und kräftig zu sein.
»Ich danke Ihnen, mein Herr, für Ihren freundlichen Beistand,« sagte die Dame mit einer sanften Neigung. »Vielen, vielen Dank und gute Nacht!«
Dabei entfernte sie sich einige Schritte, allein Herr Hildebrand war zu neuer Ritterlichkeit entschlossen.
»Erlauben Sie mir,« sagte er, »Sie weiter zu begleiten. Es fängt eben stärker an zu regnen, ich gehe nie ohne meinen Regenschirm, und das ist einer aus der alten guten Zeit.«
»Was von dort her stammt, ist immer gut und tüchtig,« antwortete sie. »Mein Weg führt mich dort hinunter.«
»Das ist auch mein Weg,« versetzte Herr Hildebrand erfreut, indem er das gewaltige Schirmdach entfaltete und mit vermehrter Galanterie über seinen Schützling hielt. Aber der Wind wehte heftig, und nur mit größter Mühe konnte er ihn nach seinem Willen zwingen.
»Ich mache Ihnen viele Mühe, mein Herr,« sagte die Dame. »Darf ich meinen Arm in den Ihren legen und mit meiner Hand Ihre Hand unterstützen, so wird es Ihnen leichter werden.«
Während sie dies sagte, that sie es schon, und Herr Hildebrand fühlte mit eigenthümlichem Vergnügen, wie die weichen, warmen Finger sich fest um seine Handknöchel spannten.
»Es geht wirklich besser,« sagte er, »diese Erfindung ist sehr gut.«
»Noth macht erfinderisch,« erwiederte sie, »und kennt, wie man sagt, kein Gebot.«
»Aber man muß die Gebote halten,« erwiederte er, »und sich nicht in Noth begeben.«
»Sehr wahr,« versetzte sie, »jedoch bei aller Scheu vor Leichtsinn kann man zuweilen unverhofft in große Noth gerathen. Ich fürchte mich sonst in der Dämmerung auszugehen und bin dennoch heute so spät ganz allein auf der Straße gewesen; um so größer ist meine Dankbarkeit, einen Freund in meiner Noth gefunden zu haben.«
Die Dame ging dicht an Herrn Hildebrand geschmiegt, und es kam ihm vor, als fühle er einen stärkeren Druck ihrer Finger bei ihren Worten. Er wußte nicht, was er antworten sollte.
»Ich besuchte meine Tante,« fuhr sie unbefangen fort. »Mein Vater hatte versprochen, mich um neun Uhr abzuholen, allein er kam nicht, und als es zehn schlug, gerieth ich in große Angst. Es war Niemand da, der mich begleiten konnte, so machte ich mich endlich allein auf, glaubte eine Droschke in der Nähe zu finden, fand aber keine und ging eilig weiter, bis plötzlich ein Herr mir entgegenkam, dessen Anrede mich auf's Aeußerste erschreckte. Glücklicher Weise erblickte ich Sie, mein Herr, der wie mein guter Engel mir gesandt wurde.«
»An Engel glaubt man jetzt nicht mehr,« lächelte Herr Hildebrand.
»Aber ich glaube daran,« erwiederte sie. »Ich halte Nichts von der neumodischen Aufklärung.«
»Daran thun Sie ganz recht,« sagte er erfreut. »Diese Aufklärung taugt zu Nichts als zu Windbeuteleien.«
»Sie nennen es beim richtigen Namen,« fiel sie ein. »Es liegt in der Erziehung, wie mein Vater sagt. Wer einfach und häuslich erzogen ist, hat keinen Gefallen daran. Aber jetzt bin ich gleich zu Hause.«
»Wohnen Sie denn hier?« fragte Herr Hildebrand.
»Ja wohl. Dort in dem Hause, wo die Laterne brennt.
»So, so!« sagte er, »das Haus dort – das gehört ja –«
»Meinem Vater.«
»Dem Herrn Rathszimmermeister Sarre?«
»Ganz recht, meinem Vater.«
»O!« rief Herr Hildebrand, indem er über diese Entdeckung erstaunt an seinen Hut faßte, »dann, ja so – es ist ein schrecklicher Wind – dann sind wir ja Nachbarn.«
»Nachbarn? Das freut mich unendlich. Bitte, ziehen Sie die Glocke. Wem schulde ich so viele Dankbarkeit?«
»Ich heiße – Hildebrand,« antwortete er, indem er an dem Metallknopf zog, »und bin –«
In dem Augenblicke faßte der Wind den Schirm, setzte sich mit voller Gewalt hinein, riß Herrn Hildebrand, der seinen Schirm nicht loslassen wollte, mit sich fort und verwickelte den alten Herrn in einen Kampf, der damit endete, daß der Stock brach.
»Gute Nacht, Herr Hildebrand, gute Nacht!« rief die junge Dame.
»Mein Schirm!« schrie er, und gleich hinterher: »mein Hut! Halt, mein Hut!«
Er ließ den Schirm fallen und rannte seinem Hute nach, die Straße hinab gradeaus, eine ganze Strecke weit, aber er konnte Nichts entdecken. Ueberall war Finsterniß, die Flamme der Laternen im Sturme beinahe ausgelöscht, der den Regen vor sich hertrieb. Von dem Bürgersteig sprang Herr Hildebrand empört auf den Damm, wilde Blicke in die Gossen schleudernd, Nichts war zu erblicken.
So schnell er konnte, eilte er zurück, um seinen Schirm aufzuheben, allein auch der ließ sich nicht mehr finden, und sein Schützling war verschwunden, das Haus dunkel und verschlossen. Mit würdiger Fassung begann er noch einen neuen eben so fruchtlosen Versuch, sein Taschentuch um seinen Kopf zu winden, doch auch dies ließ der Sturm nicht zu.
Erschöpft und voll Erbitterung über sein Mißgeschick lief er durchnäßt und durchkältet endlich in den Hafen seiner Ruhe ein.
Am nächsten Morgen saß Herr Hildebrand wie gewöhnlich am Kaffeetische, die lange Pfeife rauchend und die Zeitung studirend. Sein Famulus hatte auswärtige Kunden zu bedienen, aber Alles war doch nicht so, wie sonst, denn Herr Hildebrand war offenbar sehr unaufmerksam. Häufig blickte er über die Zeitung weg starr an die Wand, oder er legte sie auf den Tisch, lehnte sich in die Sophaecke zurück und versank in ein stilles Brüten.
Plötzlich hörte er, daß Jemand in seine Geschäftsstube trat, und da er durch ein Glasfenster hineinblicken konnte, erkannte er auf der Stelle seinen Herrn Nachbar, den Rathszimmermeister. Herr Hildebrand machte sich hinter dem Tische hervor, ehe er jedoch die Thüre erreichte, war der Nachbar schon bei ihm.
Es war ein rühriger breitschulteriger Mann, dem man es ansah, daß er nicht gewöhnt sei, viele Umstände zu machen. Er hatte ein frisches rothes Gesicht, kluge, lebhaft blickende Augen und sah eben so munter, wie gut genährt und seiner praktischen Thätigkeit bewußt aus. Auch die Art, wie er den Herrn Chirurgus begrüßte, ihm die Hand schüttelte, ohne eine Einladung abzuwarten, Platz nahm, Jenen selbst aber dabei auf das Sopha niederdrückte und lachend anredete, stimmte ganz zu dieser Erscheinung.
»Ich komme in aller Frühe, mein lieber Nachbar,« fing er an, »um zu hören, wie Sie geschlafen haben. Wie ist es denn geworden? Haben Sie den Hut wiedergefunden? Nicht! Es ist mir auch schon so gegangen, beinahe noch schlimmer, Nachbar. Neulich nimmt mir der Wind den Hut, obenein einen ganz neuen. Was geschieht? Es kommt eben ein Wagen gefahren. Klirr, beide Räder darüber hin, der Boden heraus. So bringt ihn mir ein Junge, will ein Trinkgeld haben, der Bengel. Ein ganzer Kreis Schlaraffen steht rundum und lacht mich aus. Da hast Du ein Trinkgeld, sagte ich und stülpte ihm die Krempen über den Kopf. So kam ich aus dem Gelächter, davon haben Sie wenigstens Nichts abbekommen. Also gut, Nachbar, der Teufel hole den Hut! Die Sache ist die, ob es Ihnen keinen Schaden gethan hat?«
»Nicht den geringsten,« sagte Herr Hildebrand stolz. »Ich habe andere Strapatzen ausgehalten.«
»Da sieht man, was Kern ist!« rief der Zimmermeister. »So einem jungen Modehelden dürfte das nicht passiren, der läge vier Wochen krank. Wir sind noch so aus dem alten zähen Holz gemacht, das auf einem soliden Grunde gewachsen ist. Müssen auch so im gleichen Alter sein, was? Zwei drei und fünfzig, was?«
»Etwas mehr, Herr Nachbar,« sagte Herr Hildebrand lächelnd.
»Was heißt Alter?« lachte der Zimmermeister. »Der Eine ist in dreißig Jahren ein Greis, der Andere in sechszig ein Jüngling. Aber jetzt vor allen Dingen will ich Ihnen danken, sowohl für mich, wie im Namen meiner Tochter. Ich sage Ihnen, Nachbar, sie hat die ganze Nacht nicht geschlafen aus Furcht, sie könnte Schuld daran sein, daß Sie krank würden. Eigentlich hatte ich die Schuld, denn ich wollte sie von der Tante Rose abholen, aber wie es so geht. Ich war in einer Gesellschaft, wo ich festgehalten wurde, konnte erst nach zehn Uhr mich losmachen und dachte gleich, Johanna ist längst zu Hause angekommen und schläft wie ein Dachs. Wie ich herein trete, ist sie noch in den Kleidern und voll Unruhe. Ich mußte feierlich versprechen, in aller Frühe mich selbst zu erkundigen, darum sehen Sie mich hier, Nachbar. Ich kann also meiner Johanna gute Nachrichten bringen?«
Herr Hildebrand bestätigte dies mit der Versicherung, daß ihm kein Finger weh thue, und mit seinen gehorsamsten und dankbarsten Empfehlungen an Fräulein Johanna.
»Das müssen Sie ihr selbst sagen,« rief der Zimmermeister. »Heute ist ihr Geburtstag, dazu sind Sie eingeladen. Machen Sie keine Umstände, es geht einfach bei uns zu, ein Paar Freunde, weiter Nichts. Wir sind schlichte Leute.«
»Mein verehrter Herr Rathszimmermeister,« begann Herr Hildebrand würdevoll und ungewiß lächelnd, indem er sich verbeugte; er wurde jedoch unterbrochen. Der Zimmermeister stand auf, nahm seinen Hut und schüttelte ihm die Hand. »Sie müssen kommen, es hilft Alles Nichts,« fiel er ein. »Wir müssen uns näher kennen lernen, wir passen zu einander, und meine Johanna ist ganz erfüllt von Ihrer Liebenswürdigkeit. Also um sieben Uhr, und wenn Sie wollen, früher und ganz unter uns, Nachbar. Wir wollen einen vergnügten Abend verleben.«
Als der Zimmermeister sich entfernt hatte, ging Herr Hildebrand, die Hände auf den Rücken gelegt, auf und ab, allein durchaus nicht so ernsthaft würdig und gemessen, wie er es sonst that. Sein Gesicht zeigte ein seltsames Mienenspiel, das die verschiedensten Regungen seines Geistes ausdrückte.
Zuweilen lächelte er sanfter als jemals, dann wieder leuchteten seine Augen vor Freudigkeit, und er schleuderte höhnische Blicke umher, als sei ein Gegenstand da, den er verspotten und verachten wollte Dann wieder war sein rothwangiges Antlitz ein Musterbild der ausgeprägtesten Selbstzufriedenheit, und seine Schritte wurden stolzer, sein Kopf legte sich weit in den Nacken zurück, und sein Doppelkinn trat behaglich hervor. Allein auch dieser beglückende Zustand wich wieder ernsteren Empfindungen, die wie Schatten über eine Sommerlandschaft fuhren.
Herr Hildebrand stand zuweilen so plötzlich still, als erschräke er vor sich selbst, und legte dann nachdenklich eine Hand an seine Stirn, als wollte er dort was zerdrücken. Ein heftiges Kopfschütteln kam ihm dabei zu Hilfe, und seine feierliche Ruhe kehrte auf einige Zeit zurück.
»Es ist ja Thorheit!« murmelte er halblaut vor sich hin. »Nein, damit ist Nichts mehr. Lieber gehe ich und esse meinen Hasenbraten – allein, wenn ich nun dennoch – oho, soll dieser leichtsinnige Windbeutel sich in's Fäustchen lachen, im Falle ich – und wer sagt denn, daß ich eine Vogelscheuche bin? – Alter Kern!« murmelte er sich kerzengrade aufrichtend, »alter Stern! Der Zimmermeister hat Recht, alter Kern!«
Indem Herr Hildebrand dies murmelte, trat er vor den Spiegel, welcher über der Commode an dem Wandpfeiler hing, und betrachtete sich von allen Seiten. Er polirte das Glas mit seinem Tuche, denn es war staubig, da sonst mancher Tag verging, daß der würdige Mann nicht hinein schaute.
Einige Minuten lang betrachtete er sich äußerst ernsthaft, und es konnte scheinen, daß er an sich selbst kein übermäßiges Gefallen fände. Sein Haar war grau, seine Stirn zeigte mehrere tiefe Furchen, und diese blieben durchaus eigensinnig, als er den Versuch machte, sie fortzuwischen. Seine Augen lagen zwischen einem ganzen Behang kleiner Falten, und das Roth seiner vollen Wangen löste sich bei genauer Besichtigung in eine zahllose Menge kleiner Adern auf, die das Alter stark ausgedehnt hatte.
Herr Hildebrand schüttelte abermals leise sein würdiges Haupt, doch dauerte es nicht lange, so wichen seine Bedenken. Immer selbstzufriedener wurden seine Blicke. Er strich durch sein Haar und begann zu lächeln, verbeugte sich und betrachtete sich dabei von der Seite; dann richtete er sich majestätisch auf, und seine Mienen strahlten von Freudigkeit. Er spitzte seine Lippen und sah so anmuthig, zärtlich und süß in den Spiegel, als umfingen seine ausgebreiteten Arme wirklich einen holden Gegenstand.
In demselben Augenblicke aber ließ Herr Hildebrand diese Arme sinken, und sein Gesicht nahm blitzschnell die gewohnten Formen an. Da steckte sich eben Kummer's dicker Kopf durch die Thürspalte, und plötzlich war es mit aller Illusion vorbei.
»Guten Morgen, Herr Cherorjus,« sagte Kummer so freundlich wie immer, während er seine Hände rieb.
Herr Hildebrand brummte einen Dank vor sich hin, ohne sich umzuwenden. Er that, als suchte er Etwas auf der Commode, denn er fühlte eine sonderbare Hitze in seiner Haut und Scham in seinem Herzen. Kummer zog sich zurück, nach einer kurzen Weile aber hörte sein Meister ihn sagen:
»Na, was ist denn das? Ihr habt ja heute weder Futter noch Wasser gekriegt, ihr armen Thiere! Haben Sie ihnen wirklich noch Nichts gegeben, Herr Cherorjus?«
»Ich hatte Geschäfte, Gottlieb,« sagte Herr Hildebrand in äußerst mildem Tone. »Besuch. Gieb ihnen heute nur selbst ihr Theil.«
Dabei setzte er sich wieder an den Tisch und fing an in der Zeitung zu lesen, allein die Buchstaben tanzten sinnlos vor ihm umher. Er hörte vielmehr darauf, was sein Famulus mit den Vögeln sprach, während er ihnen Hanfkörner, Rübsamen, Mohrrüben und Ameiseneier mischte und zutheilte.
»Na,« lachte Kummer, »was seht ihr mich denn so verwundert an und sperrt die Mäuler voll Erstaunen auf? Schreit euch wohl die neueste Neuigkeit zu, daß der Herr Cherorjus nicht da ist? Ihr macht es gerade so wie die Menschen. Wenn Einer Etwas thut, woran sie nicht gewöhnt sind, oder was ihnen nicht gefällt, fangen sie nicht auch an zu lärmen und zu schreien, als ob die Welt einfallen sollte? Aber es ist einerlei. Schreit wie ihr wollt, ihr werdet schon wieder aufhören. Man muß sich nur Nichts daraus machen, muß gar nicht darnach hinhorchen, so werden sie von selbst wieder still. Wollt ihr jetzt, oder wollt ihr nicht, ihr Dickköpfe? Matz, Du bist der Klügste, Du läßt Dir's schmecken. Es wird Alles vergessen auf Erden, und es ist eine Narrheit, wenn man nicht immer zunächst an sich selbst denkt. Lirum, larum! Undank ist der Welt Lohn, es muß ein Jeder für sich sorgen.«
Herr Hildebrand lächelte vor sich hin und nickte vergnügt dazu.
»Hast Du es denn eingesehen, Gottlieb?« fragte er dann laut.
»Daß ich ein Narr bin, Herr Cherorjus? das versteht sich,« antwortete Kummer. »Aber es ist gut, es soll zum letzten Male geschehen sein, daß ich mich um solche Menschen kümmere.«
Herr Hildebrand schwieg ein Weilchen.
»Ging er bald fort?« fragte er dann.
»Noch lange nicht,« erwiederte Kummer, »bis ich ihm meine Meinung sagte, wie er's verdiente. Denn es giebt einen Punkt, Herr Cherorjus, wo aller Spaß aufhört, und so wie er's gestern machte, da wird es schauderhaft! Ich bin gewiß ein Mensch, der viel vertragen kann, aber dieses war mir doch zu viel. Herr August, sagte ich, dergleichen reißt mir das Herz entzwei. Wie können Sie dem Herrn Cherorjus so kommen? Er hat ganz Recht gethan, und ich bin ein Esel gewesen, so dumm bin ich gewesen, mich darein zu mischen. Ich wünschte jetzt Nichts mehr, als der Herr Cherorjus machte Alles wahr, was er gesagt hat; ja, bis an die Decke springen thäte ich, wenn es geschähe.«
»So, so,« antwortete Herr Hildebrand wohlgefällig. »Was meinte er dazu?«
»Ich will's gar nicht sagen, na, ich will's gar nicht sagen,« versetzte Kummer mit seiner rechten Hand heftig winkend.
»Ich befehle es Dir, mir Alles zu sagen,« fiel Herr Hildebrand gebietend ein.
»Ja, er sagte – Herr Cherorjus, ich kann's kaum aussprechen – er sagte, ich sei eben so verrückt, wie – wie Sie.«
Herr Hildebrand stand würdevoll auf und legte die Hände auf seinen Rücken.
»Du siehst, Kummer,« begann er endlich den Kopf stolz in den Nacken richtend, »wohin die Narrheit führt; Du erkennst nun, was Leichtsinn ist. Hättest Du gestern mir gehorcht, so wäre dies Alles nicht geschehen. Dennoch aber werde ich für Dich sorgen, im Falle – meines Todes, oder wenn Verhältnisse eintreten, wo ich vielleicht – mich von den Geschäften zurückziehe, um den Rest meines Daseins in Ruhe zu verleben.«
»O, Herr Cherorjus!« rief Kummer, »Sie werden doch nicht! Ein Mann wie Sie, der kann Alles und hat gar keine Ruhe nöthig. Heute noch, vorher wie ich drüben bei dem Rathszimmermeister vorübergehe, stand die Hausjungfer unter der Thüre, und wir sprachen zusammen. Es ist meine gute Freundin, Herr Cherorjus, die Jungfer Karline, und da habe ich denn vernommen, welche Geschichte Ihnen gestern Abend passirt ist.«
»So, so!« sagte Herr Hildebrand, indem er sich zu seinem Kleiderschranke wandte, diesen öffnete und darin umhersuchte.
»Aber es ist gut so,« fuhr Kummer fort, »es schadet gar Nichts, nein gewiß nicht, denn Karline erzählte mir, das Fräulein wäre ganz außer sich vor Schreck gewesen; die Thränen hätten ihr in den Augen gestanden, es könnte Ihnen geschadet haben. Aber ich lachte dazu. Wie so schaden? sagte ich. Mein Herr ist jünger und stärker, wie ich bin. An dem alten Hute war Nichts gelegen, an dem alten Regenschirme auch nicht, dafür giebt es neue, und Gott sei Dank, die können wir bezahlen. Was aber unsere Gesundheit anbelangt, so halten wir – was wollen Sie denn mit dem schwarzen Leibrocke, Herr Cherorjus?« fragte er abbrechend.
»Ich bin heute Abend drüben eingeladen,« erwiederte Herr Hildebrand, indem er sich Mühe gab, seine Gelassenheit zu behaupten.
»Zum Geburtstag?« schrie Kummer, und seine Augen weit öffnend blieb er so lange freudig überrascht stehen, bis der Meister genickt hatte, dann aber zog er den Kürbißkopf zwischen seinen Schultern wie eine Schildkröte zurück, streckte seine Tatzen aus dem kurzärmeligen grünen Flaus und rieb sie mit wunderbarer Geschwindigkeit, während er sich schüttelte und die prächtigsten Gesichter schnitt.
»Sehen Sie wohl, Herr Cherorjus!« schrie er, »das kommt davon, wenn man Bekanntschaften macht. Aber so geht es nicht, absolut nicht. Wie wollen Sie denn diesen Leibrock anziehen? Herr, Du mein Gott! Der ist ja wenigstens zwölf Jahre alt, wo man noch die langen spitzen Schöße trug, die man Schwalbenschwänze nannte. Das geht nicht, Herr Cherorjus, das schickt sich nicht. Anständig muß der Mensch gehen, wenn er den Damen in die Augen stechen will, denn die sehen darauf. Und was wollen Sie denn da mit ihrer Kriegsmedaille machen? Wollen Sie die auch vorbinden?«
»Es ist das kostbarste Ehrenzeichen, das ich besitze,« sagte Herr Hildebrand, indem er den Frack auf seinem Arme hielt und ihn betrachtete. »Wir wollen diese Medaille abmachen, Du sollst sie putzen.«
»Gott bewahre!« versetzte Kummer, ihm schlau zuwinkend. »Lassen Sie die sitzen, wo sie sitzt, und Alles wieder in's Spinde hinein. Es ist sehr schön, so ein Ehrenzeichen zu haben, Herr Cherorjus, aber nicht allemal und bei jeder Gelegenheit. So ein Ding ist so gut, wie ein öffentlicher Anschlag, auf welchem Jeder lesen kann, wie alt man ist. Denn Anno dreizehn ist jetzt richtige vierzig Jahre her, und es ist nicht immer angenehm, wenn man den Leuten Alles auf die Nase bindet.«
»Aber Kummer,« erwiederte Herr Hildebrand lächelnd, »Du bist wirklich noch immer ein Narr.«
»Dieses weiß ich, Herr Cherorjus,« versetzte Kummer ehrerbietig, »um dessentwillen aber habe ich eben recht, denn es ist eine närrische Welt. Hängen Sie den alten Leibrock fort und kümmern Sie sich nicht um die alte Medaille. Mein Herr Cherorjus muß heute bei dem schönen Fräulein auftreten, daß ihre Augen gar nicht wieder davon los kommen können.«
»Es ist allerdings wahr,« sagte Herr Hildebrand nachdenklich, indem er sich vor sich selbst entschuldigte. »Der Leibrock ist nicht mehr neu und paßt auch nicht mehr recht; ich wollte mir längst einen neuen machen lassen. Aber wo soll ich in der Geschwindigkeit jetzt einen hernehmen?«
»Woher?« fragte Kummer. »Wofür lebten wir in der weltberühmten Hauptstadt? Wofür hätten wir denn die großen Kleidermagazine, die Alles tausendweis vorräthig haben und beinahe umsonst weggeben? Wie ein Baron sollen Sie aussehen, Herr Cherorjus, wie ein Graf. Es soll keine Stunde vergehen, so haben Sie den schönsten Staat, der zu haben ist. Lassen Sie mich nur sorgen. Keiner soll so aussehen wie Sie, und dieser leichtsinnige Herr August, o! – schämen soll er sich, die Augen soll er niederschlagen, wenn er Sie ansieht.«
Und so geschah denn Alles, wie Kummer es wollte und nach seinen Rathschlägen, und als es sieben Uhr schlug, trat Herr Hildebrand in das Haus des Rathszimmermeisters, das er genugsam kannte, um nicht zu irren und doch zu erstaunen vor aller Pracht und Herrlichkeit. Der Zimmermeister wohnte, wie gewöhnlich reiche Leute seiner Art, äußerst geräumig und elegant. Heute waren die sämmtlichen Vorderzimmer glänzend erleuchtet. Die versammelte Gesellschaft befand sich größtentheils jedoch in einem schönen Salon, wo eine Broncekrone brannte, und Herr Hildebrand ging über das glatte Getäfel der theuren Fußböden mit vorsichtigen Schritten.
An der Thüre des Corridors hatte ihn Kummer's Freundin, Jungfer Karoline, mit einschmeichelnder Dienstfertigkeit und Unterthänigkeit empfangen. Herr Hildebrand hatte sich in einen blauen Spanier gehüllt, seinen neuen Castor faßte er mit zarten blaßgelben Handschuhen an, und sein sauberer schwarzer Anzug war nach neuestem Modeschnitte gefertigt. Vom Wirbel bis zur Zehe, von der weißen Battistbinde bis zum lackirten Stiefel war Herr Hildebrand eine Erscheinung aus einer andern Welt, wie die, in welcher er jetzt gelebt hatte, und ohne Zweifel galt das Erstaunen des Hausfräuleins dieser unerwarteten, überraschenden Metamorphose, denn oft genug hatte sie den würdigen Herrn Cherorjus in seinem breitkrämpigen, struppigen Hut und in dem langen abgenutzten Rode mit braunem Wollfutter einherwandeln gesehen.
Obwohl Herr Hildebrand innerlich über dies Erstaunen erfreut war, ließ er sich jedoch Nichts merken. Jungfer Karoline eilte voran und öffnete ihm die Eingänge.
»Bitte, Herr Doctor,« sagte sie äußerst freundlich, »mein Fräulein hat schon mehrmals gefragt. Treten Sie gefälligst dort hinein.«
Dieser Weisung folgend begab sich Herr Hildebrand in das Zimmer zur Rechten, und vor ihm im Hintergrunde that sich der Gesellschaftssaal auf. Sein Herz pochte ihm doch unruhig gegen das knappe Sammetgilet, als er zwischen diesen Polstern, Spiegeln, Broncen und blitzenden Mobilien aller Art einherging, und einige Augenblicke lang war ihm zu Muthe, als müsse er eilig umkehren, da ihn glücklicherweise noch Niemand bemerkt habe.
Er gerieth in eine Art Blumenwald, der ein allerliebstes Cabinet füllte; Teppiche, Gewächse und wundervoll blühende Pflanzen fanden sich zu beiden Seiten und füllten alle Tische, und ach! wie nahm sich gegen diesen staunenswerthen Luxus das Sträußchen aus, welches er halb versteckt in seiner Hand hielt! Zwar rührte es von einem aristokratischen Kunstgärtner her, war durch Kummer besorgt und theuer genug bezahlt worden, allein der Anblick dieser auserwählten Blumenpracht schlug Herrn Hildebrand's Muth noch mehr nieder.
Zögernd stand er still, doch die nächste Minute hatte sein Schicksal entschieden. Es war ihm, als höre er hinter einer Gruppe hoher blühender Gesträuche ein Geräusch, und ehe er sich noch genauer überzeugen konnte, wer dahinter verborgen sei, trat eine weiße Gestalt aus dem grünen Schirm und kam mit dem freundlichsten Gruße ihm entgegen.
Es war Fräulein Johanna. Er erkannte sie auf der Stelle, obwohl in diesem Cabinet nur eine Ampel in Milchglas ihr Dämmerlicht verbreitete. Sie sagte ihm in so herzlicher Weise ihren wiederholten Dank und drückte ihre Freude, ihn wieder zu sehen, so gewinnend aus, daß Herr Hildebrand beinahe vergaß, ihr sein Sträußchen zu überreichen und seine Glückwünsche hinzuzufügen.
»Ich danke Ihnen, bester Herr Doctor, von ganzem Herzen danke ich Ihnen,« erwiederte sie im weichen Tone. »Ihre Glückwünsche sind mir sehr werth. Möge vor allem Anderen in Erfüllung gehen, daß Sie immer mir freundlich gewogen bleiben.«
»Immerdar Ihr unterthänigster Diener,« sagte Herr Hildebrand mit einer würdevollen Verbeugung.
»Sagen Sie mein Freund, den ich nie aufhören werde zu verehren,« erwiederte Fräulein Johanna, indem sie ihm ihre Hand reichte.
Herr Hildebrand zog diese Hand an seine Lippen und fühlte ein sonderbares Zucken in seinen Fingern unter ihrem Drucke.
»Nun kommen Sie zu meinem Vater,« fuhr Johanna fort, indem sie ihren Arm in den seinen legte. »Er wird sich so sehr freuen, wie ich es thue, und wie sinnig ist dies herrliche Sträußchen, wie köstlich ist diese Blumenwahl! Ich bin Ihnen sehr dankbar, lieber Herr Doctor, daß Sie gekommen sind, unseren kleinen Kreis zu vermehren.«
Unter solchen Worten erreichten sie den Saal, und hinter der Blumengruppe hervor trat der Baumeister, welcher lächelnd halb versteckt stehen blieb, um den Empfang seines Oheims zu belauschen. Seine spottenden Blicke verfolgten ihn, und leise vor sich hin sagte er:
»Er macht sich ganz gut. Es hat immer seine Vortheile, wenn man in Paris und London gewesen ist und dem Herrn Generalarzt mit Blutegeln und Senfpflastern gehorsam aufgewartet hat. Man lernt die Sitte der guten Gesellschaft auch beim Leichdornausschneiden und erhält den vornehmen Anstand bei der Klystirspritze der höchsten Personen.«
Hätte Herr Hildebrand diese abscheulichen Spöttereien gehört, so würden sie ihm alle ruhige Würdigkeit zerstört haben, mit der er sich bei seinem Auftreten benahm. Es war nicht zu leugnen, daß er bedeutende Anlagen zur Darstellung irdischer Erhabenheit besaß und sein Selbstvertrauen nicht leicht zu erschüttern war.
Herr Hildebrand wußte am besten seine Verdienste anzuerkennen, auch war er keineswegs davon überrascht, daß er als Herr Doctor angeredet und also vorgestellt wurde, denn mit diesem Titel sah er sich häufig benannt, und Doctoren gab es schockweise, die weniger für die leidende Menschheit gethan, als er. Als Lazaretharzt im Kriege hatte er mit Butterwasser, Heftpflaster und Lanzette Wunderdinge vollbracht, und was leistete er noch viele Jahre lang, ehe die neuen Verordnungen ihn in seiner wohlthätigen Wirksamkeit störten!
Es ließ sich nicht leugnen, daß Herr Hildebrand auch in diesem Kreise sich durchaus würdig benahm und Niemandem Gelegenheit gab, ihn zu verlachen. Es waren mehr als dreißig Personen versammelt, zum größten Theil Leute desselben Standes, wie der Zimmermeister, oder Geschäftsleute, die mit ihm in Verbindung standen, Geldmänner, welche in Häusern speculirten, auch einige Beamte vom Regierungs- und Bauwesen, sammt Frauen und Töchtern, endlich mehrere jüngere Verwandte, Vettern und Basen, die einen artigen Kreis jugendlicher Gestalten und Gesichter bildeten.
Herr Hildebrand konnte die Bemerkung machen, welche so Viele schon gemacht haben, daß der Rock in dieser Welt fast immer mehr gelte, als der Mann. Wäre er in dem alten Fracke mit den Schwalbenschwänzen und der blank geputzten kupfernen Medaille erschienen, es würde an hohnvollem Gewitzel nicht gefehlt haben. Jetzt in neuer feiner Tracht sah Jeder ihn wohlgefällig an, Jedem gefiel er, Jeder fragte aufmerksam, wer er sei.
Der Zimmermeister selbst schien ganz erstaunt, schüttelte ihm die Hand, stellte den Herrn Doctor rechts und links vor, und die dicken Geldmänner hatten Respect vor der aristokratischen Steifheit und dem würdevollen herablassenden Wesen des gelehrten Herrn, der ihnen zum ersten Male vorgeführt wurde.
Es ging ganz vortrefflich, denn Herr Hildebrand war keineswegs auf den Kopf gefallen, wenn es zum Reden kam. Der Zimmermeister behandelte ihn mit Vertraulichkeit, nannte ihn Herr Nachbar, spaßte und lachte, aber mit keiner Silbe war von dem kleinen Hause und den drei Messingbecken über der Thüre die Rede. Niemand erfuhr Etwas davon, und die Wenigen, welche vielleicht näher unterrichtet waren, hatten Gründe genug zu schweigen.
Es war gewiß, daß der Herr Doctor sowohl von dem Hausherrn, wie nach dessen Beispiel auch von den Gästen ausgezeichnet wurde, durch Fräulein Johanna's Benehmen dazu bestimmt. Denn Jeder konnte es deutlich merken, daß Herr Hildebrand bei dem Fräulein in besonderer Gunst stand. Sie unterhielt sich mit ihm mehr, als mit allen Anderen, kehrte immer wieder zu ihm zurück, wenn sie ihn verlassen mußte, und hatte ihm immer wieder Etwas zu erzählen oder Fragen an ihn zu richten. Ein äußerst angenehmes Gefühl wurde dadurch in ihm erregt. Sein Selbstbewußtsein erfüllte ihn mit Stolz, das junge schöne Mädchen zog ihn viel jüngeren Herren vor, die ihr zu huldigen suchten, ohne daß sie es beachtete.
Ihr blühendes volles lebhaftes Gesicht gefiel ihm gar sehr. Ihre Augen sprühten feurig, das glänzende Haar schmiegte sich im langen Wellenscheitel an die gewölbte Stirn, ihre Bewegungen waren rasch, sicher und doch anmuthig, die kräftige Gestalt hatte so viel frische Jugendkraft, und das Grübchen, wenn sie lächelte, war allerliebst.
Herr Hildebrand erfreute sich nebenbei auch im Stillen an ihrem einfachen weißen Kleide. Während die Damen der Gesellschaft in schwerster Seide daher rauschten, trug sie allein dies billige anspruchslose Gewand. Er bemerkte allerdings die Goldkette um ihren Hals, den Goldreif um ihren Arm, aber diesen zeigte sie ihm selbst als ein Geschenk, das sie heute erst erhalten habe.
»Von wem, können Sie wohl denken,« fügte sie mit ihrer kindlichen Offenheit hinzu.
Herr Hildebrand bestätigte, daß er es wüßte, und Johanna sagte ihm im Tone der vollsten Wahrheit, daß sie aus allem diesen theuren Schmuck sich sehr wenig mache.
»Nur der Geber giebt der Gabe Werth,« fügte sie hinzu, »daher kann ein Sträußchen mich weit mehr erfreuen, als ein Diadem.«
»Sehr wahr, mein verehrtes Fräulein,« erwiederte Herr Hildebrand vergnügt. »Was hilft alles Gut der Welt ohne Zufriedenheit?«
»Ich möchte auch kein vornehmes Leben führen, was man so nennt,« antwortete sie. »Das Haus mit seinen Freuden ist viel schöner. Einfachheit und Stille, wenige treue Freunde, ein inniges Beisammensein, das sind die Wünsche meines Herzens.«
»So, so! Nichts mehr?« fragte Herr Hildebrand lächelnd.
»Gewiß und wahrhaftig, Nichts mehr!« sagte sie. »Mir ist Nichts widerlicher, als der sinnlose Luxus und die Sucht nach Vergnügungen, wie man diese jetzt so häufig findet. Aller Leichtsinn ist mir verhaßt, Nichts ist verächtlicher, als Menschen ohne Nachdenken und Sinn für Schicklichkeit. Darum gestehe ich Ihnen, lieber Herr Doctor, daß ich wenig Geschmack an Bällen und Festen und eben so wenig an jungen Herren habe, die allerdings gute Tänzer und dergleichen sein mögen, deren fade Unterhaltung mich aber durchaus nicht befriedigen kann.«
»Ei, ei!« rief Herr Hildebrand höchst angenehm erregt, »dies findet man in der That selten bei jungen Damen, welche gewöhnlich –,« hier hielt er inne und sah seitwärts gerade in das Gesicht seines Neffen, der sich eben dicht bei ihm verlaufen und den abscheulichen malitiösen Zug um seine Lippen hatte, »gewöhnlich den nichtsnutzigen Windbeuteln zumeist zugethan sind,« vollendete er hierauf, ohne seine Fassung zu verlieren.
Fräulein Johanna hatte sich erhoben und nahm die Glückwünsche des Baumeisters mit kalter Freundlichkeit entgegen. Er sagte ihr eine Menge schöner Dinge und schien länger damit fortfahren zu wollen, allein sie unterbrach ihn bald, indem sie ihn aufmerksam machte, daß sich ihr Vater im Nebenzimmer befinde. Herr Hildebrand war entzückt darüber, und seine Augen leuchteten zärtlich dem Fräulein entgegen, als sie ihren Platz wieder einnahm.
»Der Herr Baumeister Werner ist Ihr Verwandter?« sagte sie.
»Ja, leider,« murmelte er mit harter Stimme.
»Schweigen wir davon, bester Herr Doctor,« fuhr sie fort, »ich kann mir denken, daß Sie mit diesem jungen Herrn nicht zufrieden sind. Mein Vater benutzt ihn seit einiger Zeit zu verschiedenen Arbeiten, dadurch ist er uns bekannt geworden. Im Uebrigen glaube ich, daß er wirklich gefährliche Eigenschaften besitzt.«
Ehe Herr Hildebrand antworten konnte, entfernte sie sich, um den Dienern, welche jetzt Gelées, Wein und Kuchen umherreichten, Befehle zu geben, und mit neuem Wohlgefallen sah er, welche Blicke sie für alle Situationen der Gesellschaft hatte, mit welchem häuslichen Feldherrentalent sie ihre Anordnungen machte, wie ihre Augen überall waren, wie rasch sie sich nach allen Seiten wandte, Jedem Etwas zu sagen wußte, plötzlich aber zurückkehrte, sicherlich um ein Begegnen mit dem leichtsinnigen Patron zu vermeiden, der wie ein Stoßvogel daher geschossen kam, aber zum unermeßlichen Vergnügen des Doctors wieder umkehren mußte. Gleich war sie wieder bei ihm und brachte eine Dienerin mit, welche Glasteller und eine süße Chocoladenerême trug.
Herr Hildebrand empfand vor diesen Speisen ein tiefes Grauen und würde niemals sich freiwillig dazu verstanden haben, davon zu kosten, aber Fräulein Johanna lächelte einladend und flüsterte so lieblich ihm zu, daß sie die Crême selbst bereitet habe, daß er nicht wiederstehen konnte.
»Ja, dann,« rief er energisch, »dann ist es meine Pflicht, theuerstes Fräulein, und Nichts in der Welt soll mich abhalten –,« damit ergriff er den Löffel und schluckte auf's Tapferste, während ein kalter Schauder über ihn hinlief.
»Nehmen Sie doch noch ein wenig, bitte!« sagte sie verführerisch sanft, und es war unmöglich, es ihr abzuschlagen. Geduldig flehend hielt er den Teller hin. In seiner Herzensangst hätte er ihn lieber in Stücke zertrümmert, doch schon war das Netz fertig, in welchem er gefangen lag, und gegen seinen Willen war er folgsam, einer Macht unterworfen, die keinen Widerspruch duldete.
Aber welcher Abend war dies, und wie glücklich verging er! Eine Menge Genüsse wurden den Gästen geboten, die dem an einfache Bürgerlichkeit gewöhnten Manne unerhört schienen, und doch betheuerte der Zimmermann wiederholt, es ginge äußerst solide und still her, denn er sei ein Feind von Allem, was Uebertreibung heiße. Was war der leckere Schmorbraten und Hasenbraten der guten Wirthin, die den Herrn Cherorjus vergebens heute erwartete, gegen dies kostbare Fricassé von Geflügel, gegen diese Majonaise von Lachs und gegen dies Spießerzimmer, das wunderbar zart und köstlich schmeckte! Und dazu knallte der Champagner, dazu sah er den Tisch gefüllt mit feinen Früchten und feinen Süßigkeiten.
Was jedoch gänzlich den Kopf des Herrn Doctors verdrehte, war, daß er dicht neben Fräulein Johanna saß, die seinen Arm genommen hatte und ihn zu Tische führte, eben als der Baumeister sich herandrängte. Ihn hatte sie sich zum Tischnachbar erwählt, und er hatte dafür in seiner Begeisterung den Muth erhalten, den Toast auf ihr Wohl auszubringen. Je öfter sie sein Glas mit dem feurigen Schaumwein füllte, um so kühner war er geworden, um so freier fühlte er sich, um so jugendlicher hob sich seine Brust. Er hatte viel gesprochen, viel gelacht, viel getrunken, endlich hatte ihn der Zimnmermeister umarmt, er hatte Fräulein Johanna's Hand geküßt und ihr gelobt, morgen wieder zu erscheinen, und so war er beglückt nach Hause gekommen.
Als Herr Hildebrand am nächsten Morgen erwachte, sah er erstaunt umher. Er glaubte einige Minuten lang einen seltsamen Traum geträumt zu haben und griff an seinen Kopf, um sich besser zu besinnen, was wahr, was falsch sei. Da lagen der neue Frack, die glänzenden Stiefeln, der feine Castor und die faltige Binde. Mit starren Blicken betrachtete er sie, und dann schaute er in dem niederen dürftig bestellten Zimmer umher und sprang hastig auf.
Alles fiel ihm ein, und damit kam ein geheimes Bangen. Es war mehr als eine Stunde später, wie er gewohnt war aufzustehen. Ein unbehagliches Gefühl lag ihm in allen Gliedern, ein wüster Druck im Gehirn, mit einem Male dachte er daran, wie seine Freunde im Kaffeehause ihn vergebens erwartet hätten, selbst der geschmorte Hase der guten Wirthin trat vor seine Seele und sah ihn unwillig an. Ein seufzendes Gemurmel bewegte seine Lippen.
Die alte Aufwärterin brachte ihm den Kaffee und die Zeitung, auch stopfte er seine Pfeife, doch Nichts wollte ihm schmecken. Er fühlte immer wieder an seine Stirn, sah stier vor sich hin und blickte dann und wann durch das kleine Fenster in sein Geschäftszimmer, ob Kummer noch nicht da sei.
Plötzlich aber richtete sich seine Aufmerksamkeit auf den neuen Rock, der bisher sammt allen anderen Kleidern wild übereinander geworfen auf einem Stuhle lag. Herr Hildebrand war sonst die Ordnung selbst; nie zog er seine Weste aus, ohne sie zu falten, nie legte er irgend ein Ding aus seiner Hand, ohne es mit musterhafter Bedachtsamkeit an seinen Platz zu bringen. Gestern war er wie ein Heide in sein Bett gesprungen, und er schämte sich vor dem Geständnisse, daß er in einem Zustande von Delirium gewesen sein müßte, er fühlte eine Unbehaglichkeit, die ihn niederdrückte und beinahe wehmüthig stimmte.
Endlich aber erhob er sich, und seine Seele schien eine neue freudige Regung erhalten zu haben. Er trat an den Stuhl, legte die Kleider ordentlich zusammen und hielt den Rock vor sich ausgestreckt, aus dessen Brusttasche der Zipfel eines rothen Bändchens ragte. Leise spitzte er seine Finger und zog dies verlockende Bändchen heraus. Es war eine Schleife, welche Fräulein Johanna an dem weißen Kleide getragen, eine ihrer Busenschleifen, die sie verloren, und welche er heimlich eingesteckt hatte. Sie hatte es aber dennoch bemerkt, und wie allerliebst hatte sie ihm mit dem Finger gedroht!
»Gut,« flüsterte sie ihm zu, »Sie sollen mein Ritter sein, Herr Doctor, aber alle meine Befehle müssen Sie von jetzt an erfüllen.«
Das hatte er versprochen, und nun hielt er in der flachen Hand die Schleife vor sich ausgestreckt, und indem er sie betrachtete, verschwanden alle die wüsten Hirngespinnste, welche beim Erwachen seinen Kopf umnebelten. Wärmer und immer sonniger trat das neue Leben an ihn heran, und endlich kam es ihm vor, als sei das gar kein Seidenband, als sei es ein Stück von Johanna's rosiger sammetweicher Wange selbst, als sehe er in die klaren schimmernden Augen, als streichle er über die feine glatte Haut.
Er brachte die Hand mit der Schleife seinem Gesicht immer näher, plötzlich hielt er sie an seine Lippen und fuhr sofort damit in die Tasche, denn Kummer warf draußen so eben die Thüre zu; kaum konnte Herr Hildebrand das Zeitungsblatt fassen, so stand er vor ihm. Herr Hildebrand that, als sei er in seiner Lectüre ganz vertieft. Er nickte kaum, als sein Famulus ihn begrüßte, und machte ein äußerst würdiges ernstes Gesicht.
Eine Minute lang sah ihn Kummer beobachtend an.
»Na, Herr Cherorjus,« sagte er dann, »Sie sind der größte Künstler auf Erden.«
»Wie so?« fragte Herr Hildebrand aufblickend.
»Sie lesen ja die Zeitung verkehrt,« fuhr Kummer lachend fort.
Herr Hildebrand drehte das Blatt um und erwiederte gelassen:
»Ein Mensch kann Alles, was er will.«
»Es ist richtig,« versetzte Kummer lustig grinsend, »auch kann Einer, wenn er will, kalt rauchen, während es inwendig bei ihm brennt.«
Dienstfertig steckte er einen Fidibus an und hielt diesen auf des Meisters Pfeife, welche allerdings ohne Feuer war.
»Sie möchten mir wohl Nichts mittheilen, Herr Cherorjus,« lachte er, »wie es gestern gewesen ist, aber ich habe schon alles erfahren. Jungfer Karlinchen hat mir Nichts verschwiegen. Es ist eine schöne Geschichte, eine merkwürdige Geschichte, unerhörtes Aufsehen haben Sie gemacht, und das Fräulein – ich sage Ihnen, Herr Cherorjus, ich sage Ihnen! Na, ich sage gar Nichts.«
»Dummes Zeug!« antwortete Herr Hildebrand so ernsthaft und würdevoll, wie es ihm möglich war, »ich will auch Nichts wissen.«
Kummer befolgte diesen Befehl buchstäblich. Er nahm die Kleider des Meisters über seinen Arm und wollte sich damit entfernen, dies vermochte Herr Hildebrand jedoch nicht zu ertragen.
»Diese Karoline ist so geschwätzig, wie eine Gans,« sagte er. »Wer kein Narr ist, wird auf ihr Geschnatter nicht hören.«
»Aber ich bin nun einmal ein Narr, Herr Cherorjus,« versetzte Kummer, »und das glauben Sie ja nicht, daß Karline eine Gans ist. Die sieht und hört Alles, ist so pfiffig, wie ein Schoßkätzchen, und das Fräulein vertraut ihr Alles an. Ich sage Ihnen, Herr Cherorjus, das Fräulein hat gesagt, Sie hätten so nobel ausgesehen, wie ein vornehmer Mann, und es wüßte sich Keiner so schicklich zu bewegen, gefallen thäte ihr Keiner so gut.«
Herr Hildebrand schüttelte lächelnd den Kopf und blickte dabei wohlgefällig in den Spiegel.
»Auf Ehre!« rief Kummer an seine Brust schlagend, »so ist es, allen Anderen haben Sie ebenfalls großartig gefallen, nur Einem nicht, natürlich, der ist wüthend geworden. Na, ich sage gar Nichts, ganz verrückt ist er, und das ist ihm recht, ganz recht.«
»Wer?« fragte Herr Hildebrand, indem er that, als verstehe er seinen Famulus nicht.
»Heute hat er mir aufgepaßt in aller Frühe und verlangte von mir zu wissen, wie es eigentlich zugegangen sei mit Ihnen. – Was weiß ich davon, wenn Sie es nicht wissen, Herr August, sagte ich. Aber es ist ja eine Verrücktheit von ihm, schreit er. Warum bleibt er nicht in seinem Bierklub, wohin er gehört? Es wird ihm wohl besser gefallen beim schönen Fräulein drüben, sagte ich. Besser gefallen? es wäre lächerlich genug! brummte er und beißt die Zähne zusammen. Das versteht sich, sage ich, sie sind Alle entzückt von ihm. Wer soll entzückt sein? fragt er und fängt an schrecklich zu lachen. Das Fräulein, denkst Du? Na wer denn sonst? sage ich, das steht fest. Sie werden sehen, Herr August, was daraus wird. Da wurde er dunkelroth, und Sie wissen schon, Herr Cherorjus, wie er seine Lippen verzerren kann. Es wäre schauderhaft, schrie er, aber es ist nicht wahr! Wie könnte sie an einem Greise Gefallen finden, und wie könnte er daran denken, solche junge frische Knospe an sein welkes Herz zu drücken.«
Hier stand Herr Hildebrand rasch und kräftig auf, und als wollte er beweisen, daß Nichts an ihm welk sei, ging er mit stolzen Schritten, den Kopf in den Nacken, an dem Spiegel vorbei.
»So, so!« sprach er dabei in seiner gewöhnlichen Weise, »wir werden ja sehen. Aber er – was will er denn? Denkt denn er etwa –«
»Das ist es ja eben,« fiel Kummer ein, indem er seinen Kürbißkopf listig versteckte, »jetzt sind wir hinter seine Schliche gekommen. Von wegen heirathen, Herr Cherorjus. Er hat sich eingebildet, das Fräulein sähe nach ihm, aber nicht die Spur, nicht die Idee, Herr Cherorjus!«
Ein unermeßlicher Hohn malte sich im Gesichte des Meisters. Er erwiederte Nichts, doch seine Augen thaten sich weit auf, ein entzücktes rachsüchtiges Lächeln schwebte um seinen Mund. So stand er am Fenster und machte plötzlich dort eine Verbeugung, nach welcher er sogleich den Platz verließ und dem Zimmermeister entgegen ging, der so eben durch das Vorgärtchen kam und winkend grüßte.
»Ausgeschlafen, liebster Nachbar?« rief er mit seiner weit schallenden Stimme, als er gleich darauf vor Herrn Hildebrand stand und ihm kräftig die Hand schüttelte. »Sie sehen ja roth und munter aus, wie ein Hase. Solchen Naturen, wie wir sie inne haben, schadet das Schwärmen Nichts.«
»Es ist doch nicht mein Geschmack,« sagte Herr Hildebrand.
»Alles kommt auf Gewohnheit an,« erwiederte der Nachbar. »Sein Leben muß der Mensch genießen, Nichts übertreiben, aber was recht ist und seinen Mitteln angemessen. Was man bezahlen kann, muß man sich auch verschaffen. Wozu quält man sich in der Welt, Nachbar, wenn man nicht genießen will? Etwa für lachende Erben?«
»Die es Einem doch nicht danken,« fiel Herr Hildebrand ein.
»Richtig!« lachte der Zimmermeister. »Jeder muß sein eigener Erbe sein, muß nehmen, was er kriegen kann, ehe seine Zeit um ist. Ich habe auch einmal Nichts gehabt, aß mein Stück Brot mit Schmerzen und wohnte in einem Loche.«
»Jetzt dafür um so besser,« sagte Herr Hildebrand lächelnd.
»Und doch billiger wie Sie, Nachbar. Meine Wohnung kostet mich keinen Pfennig, im Gegentheil, ich bekomme noch Geld zu, denn mein Haus bringt mehr ein. Sie geben wenigstens jährlich tausend Thaler Miethe.«
»Oho! Wie so?« fragte Herr Hildebrand.
»Sehen Sie denn das nicht ein, Doctor?« rief der Zimmermeister. »Wenn die Hütte hier heruntergerissen und vortheilhaft gebaut wird, bekommen Sie einen sicheren Ueberschuß von tausend Thalern und obenein eine Wohnung frei, die meiner Nichts nachgeben wird. Dazu ist jetzt die beste Zeit,« fuhr er fort. »Das Baumaterial spottbillig, die Miethen steigen, Kapitale billig zu haben.«
»Das würde ich nicht bedürfen,« sagte Herr Hildebrand zuversichtlich lächelnd. »Die Mittel würde ich selbst besitzen.«
»Es steht also gut mit Ihnen, Nachbar, ich dachte mir's wohl,« versetzte der Zimmermeister, »aber halten Sie Ihr Geld fest, das können Sie besser gebrauchen. Ich verschaffe Ihnen billiges Geld zu Ihrem Bau, für Ihr eigenes aber kaufen wir Grundstücke, die jetzt manchmal zum Spottpreis zu haben sind, wenn man Wege und Stege kennt. So muß man es machen, Doctor, so kommt man zu Etwas. Sie haben gestern bei mir mehr als Einen gesehen, der vor einem Paar Jahren noch sehr bescheiden zu Fuße ging, wenn er einen guten Freund besuchen wollte, jetzt aber geht's nicht ohne Equipage. So geht's in der Welt her, Nachbar. Man muß nur nicht im Winkel sitzen bleiben. Wer solch' Haus hat, wie Sie, muß sein Glück benutzen, und obenein Geld? Geld muß arbeiten, das ist die Hauptsache. Jetzt muß ich fort, wir werden schon weiter darüber sprechen. Nur noch Eines: essen Sie heute Mittag mit uns, aber ganz allein, ohne alle Gesellschaft. Am Abend besuchen Sie mit uns die neue Oper, ich habe eine Loge genommen. Hat man Geld, hat man Alles, und wer viel einnimmt, kann viel ausgeben. Meine Johanna ist einfach erzogen, fragt nicht viel nach großen Gesellschaften oder dergleichen, aber Musik, Oper, Concerte, das ist ihre Sache. Na, und wie Mädchen sind, sie haben Alle das Glänzende gern. Weiber sind kostbare Spielzeuge, Nachbar, die Bescheidensten nehmen gern, was sie bekommen können.«
Sein rothes volles Gesicht mit den runden Augen sah den Doctor lachlustig an, der gelehrig zuhörte.
»Also um zwei Uhr,« sagte er Abschied nehmend, »Johanna hat's mir auf die Seele gebunden. Bei der haben Sie mehr als einen Stein im Brette, Doctor, denn die ist anders wie Andere. Was sie will, setzt sie durch. Das nennt man Charakter, Nachbar.«
Mit diesen Worten schüttelte er dem Nachbar abermals die Hand, daß alle Finger knackten, und ging lachend davon, indem er noch von der Thüre aus die Ermahnung zurückließ, jetzt ordentlich zu frühstücken und einige Hundehaare aufzulegen, wie er es nannte.
Herr Hildebrand schritt mit stolzen Schritten lange auf und nieder. Er hatte eigentlich nie daran gedacht, reich zu werden, nie darauf losgearbeitet, Geld zusammenzubringen. Es hatte sich ganz von selbst gemacht, daß er nach und nach wohlhabend wurde. Das Haus hatte er gleich nach der Kriegszeit äußerst billig gekauft, seine Frau hatte ihm auch Etwas zugebracht; bei seinem einfachen Leben blieben seine Ausgaben immer höchst mäßig, dagegen waren in früheren Jahren seine Geschäfte gewinnreich genug gewesen.
Herr Hildebrand hatte sammeln und sparen können, doch mit Speculationen sich niemals eingelassen. Im Gegentheil waren ihm diese verhaßt. Speculanten schienen ihm Wucherer, Gauner und Beutelschneider, und mehr als einmal hatte er von dem Rathszimmermeister, ehe er jetzt wunderbarer Weise näher mit ihm bekannt wurde, in wenig achtungsvollen Ausdrücken gesprochen.
Jetzt mit einem Male sah er vieles in anderm Lichte, und in seinem tiefsten Herzen erwachte die Sehnsucht, reich zu werden. Er erinnerte sich der Leute, die er gestern gesehen hatte, ihrer Brillantnadeln, ihrer Goldketten und goldenen Dosen, und wie er nicht gewagt hatte, seine zweigehäusige dicke Uhr herauszuziehen, als er die vielen prächtigen Uhren rund umher gesehen. Diese Stockfische besaßen Geld in Fülle, Alles, was ihnen gefiel; warum sollte er es nicht eben so machen? Warum sollte er nicht auch in einem schönen Hause wohnen, Equipage halten, Feste geben, reich werden und ein bequemes herrliches Leben führen?
Der Zimmermeister selbst war ein armer Geselle gewesen, er machte keinen Hehl daraus. Jetzt war er reich und seine Tochter an Reichthum gewöhnt. Sie liebte Prunk und Verschwendung nicht, nein, sie war ein liebes, bescheidenes, häusliches, gutes Kind, aber von ihren Gewohnheiten konnte sie doch nicht lassen und sollte sie auch nicht lassen. In diese arme Hütte konnte sie nicht einziehen; der ganze elende Kram hier mußte fort; für einen Rentier paßte dergleichen überhaupt nicht mehr.
Je länger Herr Hildebrand umherging, um so hastiger wurden seine Schritte, denn seine Eingeweide brannten unter dem Feuer seiner Vorstellungen. Er malte sich die Zukunft aus, und was ihm bisher geheime Scheu erweckt hatte, erschien ihm immer natürlicher und regelrechter. Warum sollte ein Zimmermeister nicht sein Schwiegervater werden? Wo war da eine Kluft von Standesunterschieden? Im Gegentheil, wenn es darauf ankam, so nahm er jedenfalls einen höheren Rang ein; der ganze Unterschied bestand im Gelde, aber Geld besaß er auch, und bald war er wohl eben so reich oder noch reicher.
Es blieb somit Nichts übrig als veränderte Lebensgewohnheit, und damit war doch wohl fertig zu werden. Junge hübsche Mädchen haben unzählige Male schon alte Männer geheirathet, die sie den jüngsten und schönsten Männern vorgezogen haben, sich beglückt gefühlt und sind glücklich geworden, und Johanna war von diesem Schlage. Sie verachtete die jungen Windbeutel, die Leichtsinnigen, die Taugenichtse. Sie tanzte nicht, sie wollte keine süßlichen Anbeter, die ihr Dummheiten sagten, sie hatte den gestriegelten Narren stehen lassen und war zu ihm gekommen, um mit ihm zu plaudern.
Ein seliges Gefühl lagerte sich in seiner Brust, ein stolzes Glück, das sich aus der Befriedigung seiner eitelsten Neigungen und heftigsten Abneigungen zusammenmischte.
»Sie liebt mich wirklich!« flüsterte er, »und warum sollte sie nicht? Ich werde mich gar nicht lange besinnen, auf die Pläne meines Herrn Schwiegervaters einzugehen.«
Es verging jetzt eine volle Woche, wo Herr Hildebrand täglich und zu jeder Tageszeit in das Haus des Herrn Zimmermeisters kam und frohe Stunden darin verlebte. Zum guten Theil war er allein mit Fräulein Johanna, denn Herr Sarre war ein zu eifriger und vielbeschäftigter Mann, um den häuslichen Freuden unbeschränkt leben zu können. Er bereitete bedeutende Bauunternehmungen zum Frühjahr vor. Ein ganzer neuer Stadttheil sollte entstehen, ein Theil des Baugrundes gehörte ihm, und schon nach den ersten Tagen war Herr Hildebrand in diese Unternehmungen verstrickt.
Herr Sarre legte ihm einen Haufen Baupläne und Grundrisse vor, beschrieb ihm die Vortheile, welche hier schnell eintreten müßten, so verlockend und bot ihm einen Kauf und Antheil unter so günstigen Bedingungen an, daß alle abmahnende Furchtsamkeit davor verstummte. Ein beträchtlicher Theil seiner sicheren zinstragenden Papiere war eines schönen Morgens zu Geld gemacht und in dem Kasten des Zimmermeisters verschwunden, dafür erhielt Herr Hildebrand so und so viele Quadratruthen eines Wiesengrundes, auf welchem vor der Hand Nichts weiter zu sehen war, als die langen Halme harter Sumpfgräser, die aus eisigem schwarzem Wasser aufragten.
Als Herr Hildebrand seine neue Besitzung betrachtete, wurde ihm bänglich zu Muthe. Von allen projectirten prächtigen Straßen war Nichts zu erblicken. Nichts war da, als ein weites Moor, und er erinnerte sich recht gut, daß die Jugend auf diesem überschwemmten Boden sich alljährlich hier zur Winterzeit mit Schlittschuhlaufen zu belustigen pflegte. Herr Sarre fuhr mit ihm und Johannen in seiner Equipage hinaus und verdeutlichte Beiden, welche Wunder hier zum Vorscheine kommen würden.
»Dies ist der große Platz, Doctor,« sagte er. »Gerade vor uns liegt die Eisenbahn; wo die fünf Stangen stehen, laufen die fünf Straßen sternförmig fort, und hier an dieser Seite bis zur Ecke dort stehen die Fronten Ihrer Häuser. Das ist gestern erst noch geändert worden, und dadurch haben Sie viel gewonnen, mehr als hundert laufende Fuß. Es wird ein großes Geschäft, Doctor, aber das soll's auch werden. Lauter Prachtgebäude müssen es sein. Keine drei Jahre gehen hin, und es ist der vornehmste Stadttheil. Sehen Sie doch die Aussicht, das Leben hier. Diese breiten Straßen, diese Prachthäuser, diesen Luxus!«
»So, so!« sagte Herr Hildebrand gelassen. »Ich sehe wirklich nichts als Sumpfwasser und fürchte, dies wird sehr hinderlich sein.«
»Gar nicht!« rief der Zimmermeister. »Etwas theurer wird der Grundbau werden, darauf kommt es aber nicht an. Es liegt der schönste Sand unter dem Moor. Wenn Sie keine Lust haben, Nachbar, lassen wir das Geschäft zurückgehen.«
Hätte Herr Hildebrand der Stimme in seinem Innern gefolgt, so würde er herzlich gern ja gesagt haben, allein dies ging nicht an, und Johanna neben ihm lächelte ihm zu und sagte:
»Lassen Sie meinen Vater nur sorgen, Herr Doctor, ihm schlägt keine Speculation fehl; auch diese hat er sicher so berechnet, daß Sie damit zuletzt zufrieden sein werden.«
»Ich werde immer mit dem zufrieden sein, womit ich Sie zufrieden sehe,« antwortete Herr Hildebrand.
»Wirklich, wollen Sie das?« fragte sie.
»Alles, was Sie wollen,« sagte er erfreut über ihre Blicke.
»O Sie lieber, guter Doctor! Ich mache mir zuweilen Vorwürfe.«
»Warum Vorwürfe?«
»Weil ich glaube, es ist nicht recht, daß ich Ihre Freundschaft auf so viele Proben stelle.«
Ein Ausdruck des Mißtrauens verschwand aus seinem Gesichte.
»Stellen Sie mich nur auf recht viele Proben,« sagte er. »Je mehr je besser, denn – es giebt Nichts, was ich nicht gern für Sie thäte,« fügte er hinzu, indem er bedeutungsvoll lächelte und ihre Hand drückte.
Das große schöne Mädchen erröthete und schlug wie in Verwirrung ihre Augen nieder.
»Es ist wahr,« fuhr er leiser fort. »Es hat so sein sollen, daß wir uns an jenem Abende finden mußten. Ich denke, der uns damals zusammenführte, wird auch weiter sorgen.«
»Ja, ja!« rief sie, ihren Kopf mit den hellen Augen rasch aufhebend, »auf ihn wollen wir vertrauen. Er meint es gewiß am besten mit uns Beiden!«
»Sie haben den rechten Glauben, liebes Fräulein Johanna. Sein Wille wird geschehen.«
»Amen! Amen!« lachte sie so erregt, daß er fast davor erschrak. »Ich bin ganz mit Ihnen einverstanden, bester Doctor,« fuhr sie fort, »und nun kommen Sie, mein Vater begleitet uns doch nicht weiter. Wen hat er dort gefunden?«
Der Zimmermeister stand mit einem andern Herrn in einiger Entfernung im lebhaften Gespräche. Herr Hildebrand, der wie viele ältere Leute außerordentlich gut in die Ferne sah, erkannte sogleich seinen Neffen, der so eben sich umwandte und ehrerbietig grüßte.
»O, jetzt sehe ich schon,« sagte Johanna, »dieser Herr Werner hat sicher einige neue Pläne gezeichnet, und mein Vater hat ihn hierher bestellt, um an Ort und Stelle mit ihm zu verhandeln. Er ist ein erfinderischer Kopf, aber ich mag nicht mit ihm zusammentreffen, Sie wahrscheinlich eben so wenig?«
»Nein,« erwiederte Herr Hildebrand grollend. »Ich mag mit diesem leichtsinnigen Menschen überhaupt Nichts theilen.«
»Ganz mein Geschmack!« fiel sie ein. »Das dürfen Sie auch nicht. Wir wollen das neue Museum besuchen, dann Rauch's Atelier Christian Daniel Rauch (1777-1857), deutscher Bildhauer; neben seinem Lehrer Johann Gottfried Schadow war er der bedeutendste Vertreter des deutschen Klassizismus und der Begründer der Berliner Bildhauerschule., wo die Abgüsse zu den Gruppen der Vortreppe aufgestellt sind. Es wird so viel davon gesprochen, alle Welt läuft hin. Ich habe sie noch nicht gesehen. Sie auch vielleicht noch nicht?«
Herr Hildebrand mußte dies zugeben, und der Kutscher wurde angewiesen fortzufahren, was auch sogleich geschah. Es war ganz angenehm, in dem eleganten Wagen neben der schönen jungen Dame zu sitzen, welche lebhaft weiter plauderte und lachte, während er sich bequem in die sammetnen Kissen legte, wo seine Phantasie, die auch in diesem grauen nüchternen Kopfe lebendig geworden war, ihm anmuthige Bilder vorspiegelte, daß dies Alles sein Eigenthum sei, die raschen Pferde und das rasche junge Weib, die von Vielen angestaunt wurde, welche ihn sicherlich beneideten.
Aber der bittere Nachgeschmack blieb auch nicht aus. Herr Hildebrand war weder ein Kunstkenner, noch hatte er irgend ein Gefühl für Kunst und Kunstverständniß. Er fand es schrecklich langweilig und ermüdend, sich durch diese endlosen Reihen von Sälen Trepp' auf, Trepp' ab schleppen zu lassen, um die Farbenklexereien an den Wänden und ungeschlachte, zerlöcherte Rümpfe und Köpfe anzustaunen, die man in alten Städten aus der Erde gewühlt hatte, um sie abgöttisch zu verehren. Er verachtete, heimlich aber diese Narrenspossen, wie er es nannte, von ganzer Seele und verfluchte sie um so mehr, je mehr ihn seine lackirten Stiefeln zu brennen und zu drücken begannen.
Von Stühlen, um einmal auszuruhen, war hier obenein Nichts zu sehen, dazu eine solche Menge Maulaffen, die mit aufgehobenen Nasen, offenen Mäulern und Gläsern vor den Augen umherstolzirten, daß er einige Male fast umgerannt und empfindlich getreten wurde. Er wurde immer würdiger und ernster, zog den Kopf in den Nacken und kniff die Mundwinkel zusammen, allein es war unmöglich, Etwas zu ändern.
Johanna hatte eine Freundin gefunden, die ein Künstler begleitete, und dieser Bösewicht führte die Damen Schritt für Schritt durch das ganze Gebäude und ließ Nichts unbeachtet, Nichts unerklärt. Eine furchtbare Müdigkeit bemächtigte sich des armen Doctors, eine Abspannung, welche in die kaum zu bewältigende Sehnsucht ausartete, unter irgend einem Vorwande davon zu laufen.
Das war jedoch nicht ausführbar. Johanna blieb immer bei ihm, zog ihn in's Gespräch, fällte Urtheile, verlangte das seine zu hören, brach in Bewunderung aus und nöthigte ihn, dasselbe zu thun, so gut es ging. Er brummte und lallte auch nach Möglichkeit seinen Beifall, aber mit dem seligen Gefühle eines Begnadigten gelangte er endlich aus dem Gebäude, den geheimen Schauer im Herzen, es nie wieder zu betreten.
Aber ach, seine Leiden waren noch nicht beendet. Die Freundin und der Künstler hatten sie an die Thüre begleitet, und Johanna lud nun Beide ein, mit ihr in das Atelier zu fahren.
»Der Herr Doctor Hildebrand ist eben so begierig, wie ich es bin, die herrlichen neuen Gruppen zu sehen, welche so viele Bewunderung finden,« sagte sie, indem sie Beifall fordernd dem Doctor zulächelte.
»Wenn es nur heute nicht zu spät wird,« warf Herr Hildebrand mit weiser Warnung dazwischen, allein er wurde sogleich widerlegt, da es noch nicht drei Uhr sei, und weil er weiter Nichts anzuführen wußte, war er gezwungen, sich zu fügen und gute Miene zu machen. –
»Ein Paar Figuren sind auch bald angesehen,« tröstete er sich heimlich, allein wie sehr hatte er sich getäuscht! Eine ganze Gesellschaft fand sich bei einer Gruppe zusammen, darunter einige der bedeutendsten Künstler, welche den Meister selbst in ihrer Mitte hatten. Die Gruppen wurden nach allen Seiten gedreht, es kam zu lehrreichen Auseinandersetzungen über Gewandungen und Attribute, endlich über den bevorstehenden Guß und die Einrichtung des Gießofens, über die weitere Behandlung, über das Poliren und Ciseliren.
Der berühmte Künstler schien besonders Gefallen daran zu finden, mit Fräulein Johanna zu sprechen, deren lebhafte Theilnahme und eingehende Antworten ihm gefallen mochten. Die Folge davon war, daß er ihr manche andere Kunstwerke und Skizzen zeigte, welche sein Atelier enthielt, so daß Herr Hildebrand alle Pein nagender Langeweile, trostloser Ermüdung und vandalischer Begierden empfand. Er hätte mit Entzücken einen Hammer ergriffen und alle die Fratzen in Granatstücken zerschmettern mögen.
Zu seiner Erbitterung gesellte sich der Hunger, und er fand es im höchsten Grade unschicklich, daß gar keine Rücksicht auf ihn genommen wurde. Wie konnte ein junges Frauenzimmer von einfacher bürgerlicher Erziehung Gefallen daran finden, in solcher Höhle umherzulaufen, die mit allerlei menschlichen Gliedmaßen behangen war? Und wären es noch abgeschnittene und kunstvoll abgesägte, gut präparirte Arme und Beine gewesen, woran ein nachdenkender und gebildeter Mensch sich verfeinern konnte, aber der ganze Unsinn war aus Thon und Wasser zusammengerührt und wurde im eiserne Stangen und Stäbe zusammengebacken, wie ein Töpfer seinen Ton knetet, der wenigstens Nützliches daraus macht.
Ein ingrimmiger Zorn kam über den Doctor, und er wurde ihn nicht so leicht wieder los, selbst da nicht, als endlich Johanna sich bei dem Herrn Professor für den großen Genuß, der ihnen Allen geworden, bedankte. Erst als er darauf mit ihr im Wagen saß, und die Pferde, denen sicher ähnlich zu Muthe war wie ihm, mit verdoppelter Eile ihrem Mittagsmahle zueilten, kehrte seine Fassung zurück.
»Das war köstlich!« rief Johanna. »Das war ein wunderbar guter Tag! So viel Schönes hatte ich nicht erwartet, und das danke ich Ihnen, bester Doctor, denn ohne Ihre Begleitung, ohne Ihren Sinn für die Kunst hätte ich das nicht sehen und genießen können.«
Herr Hildebrand mußte dies Lob annehmen und fühlte sich erweicht durch die dankbare Freundlichkeit des schönen Mädchens. Seine grämliche Würdigkeit verschmolz vor ihrem Lächeln, und er beantwortete ihre Klagen, daß ihr Vater eben so wenig Zeit wie Interesse für solche Ausflüge habe, mit der huldvoll erlogenen Versicherung, daß er dies sehr bedaure.
»Nun habe ich Ersatz an Ihrer Güte,« fuhr Johanna fort. »Wir wollen recht oft Museen und Kunstwerkstätten besuchen, es ist die schönste, edelste Beschäftigung, die ich mir denken kann.«
»Wenn das Hauswesen nicht darunter leidet,« fiel er ein.
»Das darf natürlich nicht leiden,« sagte sie, »doch man muß in solcher dürren Lebensprosa nicht aufgehen wollen. Der praktische Blick, sagt mein Vater, schafft und ordnet in einer Minute das, wozu Andere Stunden und Tage brauchen, und er hat Recht. O Sie sollen schon sehen, wie ich es einrichten werde, um immer zu Ihren Diensten zu sein. Und wie schön ist es, wenn man sein Leben in solchen edlen Genüssen vergeistigt, wenn man, wie wir Beide, diese liebt und Freude und Erholung daran findet. Gemälde, Kunstgegenstände, Blumen sind der schönste Schmuck, den eine menschliche Wohnung haben kann, und meine Wohnung, wenn ich einmal eine eigene besitze, soll keine anderen Zierden haben. Darin werde ich eine Verschwenderin sein, bester Doctor.«
Herr Hildebrand fühlte ein stilles Grauen. Außer dem alten Fritz zu Pferde, den drei Monarchen in der Schlacht bei Leipzig und dem Einzug der Verbündeten in Paris besaß er Nichts von Kunstwerken, auch verlangte ihn nicht im Geringsten darnach. Es blieb ihm jedoch keine Zeit, sich mit Grübeleien einzulassen, denn das Haus war erreicht, und der Zimmermeister stand schon auf den Treppenstufen und empfing die Heimkehrenden mit einer Strafrede.
»Alle Wetter, was laßt Ihr mich warten!« sagte er, und als er hörte, was die Ursache sei, fing er heftig an zu lachen. »Nun, das ist ja prächtig,« schrie er, »daß der Doctor alle Deine Neigungen theilt. Nun fehlt nur noch die Musik. Musik und Kunst sind ihre Leidenschaften, Doctor. Die Symphonie-Soiréen gehen nächstens wieder an; zehn Pferde ziehen mich nicht hinein. Und dann die geistlichen Musiken, die Oratorien und Passionsmusiken und wie sie weiter heißen, solche mittelalterliche Choräle, wie sie jetzt wieder Mode geworden sind. Na, Sie sind ein Liebhaber, daher ist nicht zu streiten. Johanna wird Sie aus Herzensgrunde verehren, aber ich bin froh, daß ich's nicht auszuführen brauche. Hundert Mal lieber ein rechtschaffener Leierkasten, wenn's nicht anders sein kann, doch vor allen Dingen ein saftiges Stück Fleisch auf den Tisch, wie da eins vor uns steht.«
Herr Hildebrand stimmte von Herzen mit ein, er durfte es sich nur nicht merken lassen; was würde Johanna von ihm gedacht haben? Er begriff allerdings nicht, wie man ihn für einen Liebhaber solcher brotlosen Kunststücke halten konnte, allein es war doch einmal so, und vor der Hand wär's unklug gewesen, zu widersprechen.
Er setzte sich daher ohne eine Ablehnung dieser Schmeicheleien an den Tisch, wo nach kurzer Zeit seine Leiden und Sorgnisse verblaßten und verschwanden, denn die Speisen fand er nach seinem Geschmacke, und der rothe Wein, den Johanna's weiße Hände reichlich spendeten, behagte ihm so gut, daß er munter und spaßhaft wurde, von Frankreich zu erzählen anfing, wo er manchen guten Trunk gethan, und von Paris, wo er drei Monate lang ein äußerst vergnügtes Leben geführt.
»Es geht Nichts über das Reisen,« sagte der Zimmermeister. »Wir wollen auch einmal zusammen hin.«
»Es ist ein theures Leben,« erwiederte er, »und weit.«
»Was da!« rief der Nachbar. »Jetzt mit den Eisenbahnen ist es ein Katzensprung, und Geld verdienen wir an unserm neuen Unternehmen genug. Mit einem Paar Tausend Thalern kann man viel reisen.«
»Ich möchte Paris doch wohl sehen,« fiel das Fräulein ein.
»Versteht sich, mußt Du es sehen,« sagte der Vater, »das ist eine Hochzeitsreise, Johanna.«
»Nach Paris und durch Italien und die Schweiz zurück, wie meine Cousine Auguste,« rief das Fräulein. »Das muß himmlisch sein, hohe Berge zu ersteigen, auf dem ewigen Schnee einherwandern und alle Tage neue Naturschönheiten zu bewundern.«
Der Zimmermeister lachte heftig.
»Angestoßen, Doctor!« schrie er. »Auf die Hochzeitsreise, auf daß sie bald angetreten werden möge!«
Fräulein Johanna lachte ebenfalls und stieß mit an. Sie that unbefangen dabei, und doch brach die Verlegenheit durch. Sie verschüttete beinahe den Wein aus ihrem Glase und wandte ihre Augen ab, aber diese sprachen dennoch eine Sprache, welche die Unruhe im Herzen des Doctors vermehrte.
Nach dem Mittagsessen saß er lange bei Johanna in dem Blumenzimmer, wo sie ihn zuerst empfangen hatte, und während er Kaffee trank, beschwichtigten sich wiederum eine ganze Reihe dunkler, unheimlicher Ahnungen, die wie graue Wetterwände den heitern Horizont umsäumten. Wie herrlich war es hier, wie traulich! Wie reizend sah das schöne Mädchen aus, und wie bezaubernd war ihre hausfrauliche Thätigkeit! Der blanke Theekessel brodelte, die silberne Kaffeemaschine stand daneben, und sie hielt eine scherzende Vorlesung über die beste Art Kaffee zu bereiten.
Kaffee war einer der höchsten Genüsse für Herrn Hildebrand, und niemals hatte er ihn so gut getrunken. Sie schenkte ihm selbst ein und erzählte ihm, daß Fürst Talleyrand von dem Kaffee gesagt habe, dieser müsse sein: schwarz wie der Teufel, heiß wie die Hölle und süß wie die Liebe, wobei sie mit ihren feinen Fingern ihm einen ungeheuern Zuckerfelsen in die Tasse warf und so zärtlich dabei lächelte, daß er plötzlich nach diesen rosigen Fingern griff und einen Kuß darauf drückte.
Sie ließ es ohne Widerstand geschehen, hob aber ihre linke Hand auf und begann zu drohen.
»Ist das auch wahr?« sagte sie schalkhaft und bittend zugleich.
»Ich lüge niemals!« antwortete er, die Hand auf seine Brust legend.
»Werden Sie mich auch niemals schelten, bester Freund?« fragte sie weiter.
»Das ist ja gar nicht möglich!« lächelte er.
»Auch niemals böse werden?«
»Warum sollte ich wohl böse werden?«
»Zum Beispiel darüber, daß ich das Rauchen nicht leiden kann,« sagte Johanna, »und Ihnen nicht einmal erlaube, hier zu dem Kaffee eine Cigarre zu rauchen. Mein Vater raucht nicht, und ich finde es abscheulich.«
Er hatte bis jetzt nicht daran gedacht, nun aber fiel es ihm ein, und er erschrak davor. Nicht rauchen? Das war hart, aber was galt die schreckende Vorstellung in diesem Augenblicke?
»O!« flüsterte er, süß zu ihr aufblickend, indem er seine Küsse wiederholte, »Sie werden nicht immer so grausam sein, liebwerthestes Fräulein.«
Ehe sie antworten konnte, entstand ein Geräusch. Die Thüre wurde geöffnet, und als Herr Hildebrand aufblickte, sah er wiederum seinen Neffen. Er ließ die Hand des Fräuleins fallen und drehte seinen Kopf von dem unwillkommenen, überraschenden Störenfried ab, dessen Anblick wie Eiswasser auf das Feuer in Herrn Hildebrand's Brust wirkte.
»Ich bitte um Entschuldigung, wenn ich störe,« hörte er die tiefe Stimme sagen, und es war ihm, als klänge der Ton ungewöhnlich ernsthaft oder schwermüthig.
»Sie stören durchaus nicht, Herr Baumeister,« antwortete Fräulein Johanna. »Darf ich fragen, was uns das Vergnügen Ihres Besuches verschafft?«
»Mein Besuch, mein gnädiges Fräulein, ist die Folge eines Irrthums,« versetzte er. »Ich fragte nach Ihrem Herrn Vater, und man wies mich hierher.«
»Man irrt sich gar zu leicht,« sagte Johanna mit einem spöttelnden Anklang. »Da ich jedoch die Ehre habe, Sie bei mir zu sehen, darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten?«
»Irrthümer führen zur Wahrheit, wenn man sie zeitig erkennt,« war seine Antwort, die er mit einer Verbeugung begleitete. »Ich sage Ihnen besten Dank, aber ich trinke keinen Kaffee. Der Arzt hat ihn mir verboten.«
»Das ist sehr Schade. Leiden Sie denn?«
»Mehr, wie Sie es glauben würden.«
»O!« rief sie lachend, »das ist ja sehr zu bedauern, aber Ihre Gesundheit wird schon wiederkehren, auch wünsche ich Ihnen auf's Herzlichste, das Sie künftig niemals in Irrthümer verfallen.«
»Ich werde mich bemühen, diesen freundlichen Wünschen nachzukommen,« erwiederte er.
»Thun Sie das, mein lieber Herr Baumeister,« fuhr sie in demselben verspottenden Tone fort. »Es giebt nichts Schöneres als die Wahrheit. Ich liebe sie so sehr, daß es mir unmöglich ist, es zu verheimlichen, und bekenne ohne Bedenken, daß ich Irrthümer und Täuschungen nicht zu ertragen vermag.«
»So muß man damit ein Ende machen,« sagte er.
»Gewiß, das ist auch meine Meinung. Ich freue mich sehr, daß wir übereinstimmen.«
»Ich hoffe, daß dies immer der Fall sein wird,« fiel er ein.
»Das glaube ich in der That nicht, allein ich werde mit Vergnügen auch fernerhin dazu beitragen, daß es geschieht.«
»O, ich baue auf dies gütige Versprechen,« versetzte er mit ehrbarer, wie es schien, gar ernster Stimme. »leben Sie wohl, mein verehrtes Fräulein.«
»Ihre Dienerin, Herr Baumeister, aber bitte, da kommt mein Vater. Warten Sie gefälligst noch einen Augenblick.«
»Bemühen Sie sich durchaus nicht. Ich finde meinen Weg.«
Mit diesen Worten wandte sich Herr August Werner rasch um und dem eintretenden Zimmermeister entgegen, während Fräulein Johanna ihr freudig strahlendes Gesicht Herrn Hildebrand zukehrte, ihm lachend zunickte und, sich zu ihm beugend, einige Worte flüsterte, welche er nicht recht verstand, dann aber sich durch die Seitenthüre entfernte.
So ergötzt Herr Hildebrand von diesem Auftritte und über die Demüthigung seines Neffen war, so nahm er doch einigen mitleidigen Antheil, als der Zimmermeister nach der ersten Begrüßung sagte:
»Sie bringen die Anschläge, Herr Werner, das ist mir lieb. Sie sind ein Mann, der zu arbeiten weiß und seine Sache versteht. Ich habe oft schon gesagt, das ist ein praktisches Talent, der Herr Baumeister, er wird seinen Weg schon machen. Aber wie sehen Sie denn aus? Erhitzt und die Augen wie mit Blut unterlaufen.«
»Kopfschmerzen, Herr Sarre,« erwiederte August.
»Bah, Kopfschmerzen! Ein junger Mann muß keine Kopfschmerzen haben. Kopf kalt, Füße warm, ist eine alte Lebensregel.«
»Ich wüßte Niemanden, der sich Etwas daraus macht, wie mein Kopf oder wie ich selbst beschaffen bin!« lachte der Baumeister, doch man hörte die Bitterkeit heraus.
»Wer wird schwermüthige Grillen einfangen!« rief Herr Sarre. »Geben Sie nur her die Papiere. Morgen essen Sie mit uns. Wir wollen einmal so ein extrafeines Diner halten und noch besser dazu trinken. Punkt vier Uhr geht es an.«
»Ich muß mich entschuldigen, da es mir nicht möglich sein wird,« wandte der Baumeister ein.
»Sie müssen kommen, es hilft alles Nichts!« fuhr Herr Sarre fort. »Ich habe meine Gründe dafür, Sie dürfen es mir nicht abschlagen. Ich sage Ihnen, es geht nicht anders, mein lieber Herr Werner.«
»Wenn Sie befehlen, werde ich es versuchen, ob es mir möglich ist, allein –«
»Nichts da, keine Einwendungen,« unterbrach ihn der Zimmermeister. »Ich sage Ihnen nochmals, ich habe die besten Gründe und Absichten dafür.«
Der junge Mann verbeugte sich schweigend und empfahl sich dann. Herr Sarre schüttelte ihm an der Thüre noch einmal die Hand, indem er seine Einladung dringend wiederholte, hierauf kehrte er zurück, setzte sich Herrn Hildebrand gegenüber an den Tisch und schenkte sich Kaffee ein.
»Es ist ein ganzer Kerl, der Baumeister,« sagte er, »und nicht viele zu finden, die es mit ihm aushalten. Voller Ideen, voller Talente, und dabei ein klarer Kopf, praktisch, unermüdlich. Wissen Sie, warum ich ihn herbestellt habe morgen Mittag, Doctor?«
»Nein,« erwiederte Herr Hildebrand.
»Weil Sie sich mit ihm versöhnen sollen. Ja, das sollen Sie, das ist recht und ist auch nöthig.«
»Ich bin der Ansicht,« sagte Herr Hildebrand, seine Stirn faltend, aber der Zimmermeister ließ ihn nicht weiter reden.
»Erst hören Sie mich an, Nachbar,« fiel er ein, »wir wollen einmal von der Leber weg sprechen. Es ist Ihr Neffe, aber ich kenne ihn besser wie Sie und sage Ihnen, wenn's mein Neffe wäre, würde ich stolz darauf sein.«
»Er ist ein leichtsinniger, anmaßender Mensch,« versetzte Herr Hildebrand, den Kopf würdevoll in den Nacken drückend.
»Besser jung leichtsinnig, wie in grauen Haaren,« erwiederte der Vertheidiger, »im Uebrigen mag er seine Zeit dazu gehabt haben. Jetzt ist das vorbei, denn sein ganzes Wesen, und was er im Sinne hat, spricht dafür. Ich möchte ihn nicht missen, denn solchen Beistand finde ich nicht wieder, und da wir uns Beide nahe zusammenstellen wollen in enge Freundschaft und Verwandtschaft, muß er dabei sein; es geht nicht anders, Doctor.«
Herr Hildebrand räusperte sich und lächelte ungewiß, aber der Zimmermeister ließ ihn nicht zu Athem kommen.
»Ich sehe, wie es steht,« sagte er, »also ohne Umstände, Nachbar. Ich habe Nichts dagegen, Johanna hat ihren Willen, morgen wollen wir's in Ordnung bringen, doch dabei bleibe ich, mit Ihrem Neffen müssen Sie sich versöhnen, das ist meine Bedingung. Morgen Mittag kann's losgehen, da kann die Verlobung feierlichst stattfinden, wie es einmal Sitte ist, und ich sage nur so viel, Nachbar, Ihr Geschäft legen Sie nieder und geben es dem dicken, kleinen Burschen, dem Kummer, der wird sich schon weiter damit nähren. Die alte Hütte reißen wir ab und bauen ein Haus, das sich rentirt, mit einer hübschen Wohnung für's junge Paar. Dafür wird der Baumeister schon sorgen, dem geben wir die Sache in die Hand, Sie aber, Nachbar, setzen sich zur Ruhe. Der Herr Doctor Hildebrand lebt als Rentier und Hausbesitzer den Künsten und den Wissenschaften, besucht die Museen und die Concerte, die Theater und die Bälle, fährt spazieren und weiß immer, wo die besten Austern zu haben sind. Habe ich Recht, Nachbar? So wollen wir leben, immer in guter Freundschaft, und Johanna liebt uns Beide um die Wette.«
Mit schallendem Gelächter streckte er seine mächtige Hand aus, und Herr Hildebrand mußte einschlagen, dabei jedoch sah dieser ziemlich nachdenklich aus, und mit seinem Lieblingsworte:
»So, so! Das meinen Sie also?« wollte er Etwas erwiedern, das sich eben sowohl auf seiner Zunge wie in seinen Gedanken verwirrte, wenn der Zimmermeister ihn nicht wiederum unterbrochen hätte.
»Kein Wort heute mehr!« sprach dieser, jedoch mit gedämpfter Stimme. »Ich werde Alles mit Johannen abmachen, so daß, wenn Sie kommen, Sie nur zu ihr gehen dürfen, um ihr zu sagen, was Sie denken, und zu hören, was sie darauf antwortet. Dann bei Tische aufgestanden, das Wort genommen: Vivat hoch, das Brautpaar soll leben! Abgemacht, fertig.«
Damit stand er selbst auf, denn eben kam Johanna wieder herein und brachte zwei junge Damen, ihre Cousine und eine Freundin, mit, deren Besuch ein heiteres, belebtes Beisammensein während des ganzen Abends bewirkte. Es wurde viel Musik gemacht, die Damen sangen, Johanna spielte ein ganzes Klavierconcert vor und einige andere schwierige Stücke. Es war fast nur von Musik, Opern und Sängern die Rede, von denen Herr Hildebrand kaum die Namen je gehört hatte, und er langweilte sich dabei unmäßig.
Endlich war er herzlich froh, als er sich fortmachen konnte. Der Zimmermeister schüttelte ihm die Hand, umarmte ihn und sagte ihm lachend in's Ohr, er möge eine hübsche Brautrede lernen. Fräulein Johanna aber blickte schmelzend zu ihm auf und flüsterte:
»Welch' glücklicher Tag war das in Ihrer Gesellschaft! Auf Wiedersehen, auf morgen, lieber, guter Doctor!«
Eine lange, bange Nacht folgte diesem glücklichen Tage. Herr Hildebrand wälzte sich auf seinem Lager, als sei es aus Dornen und Nesseln gemacht. Er stöhnte zuweilen in schwerer Angst und wurde von Gespenstern gequält, die ihm schreckliche Bilder seiner Zukunft aufrollten.
Da saß er in einem prächtigen Hause, in einem schön geschmückten Zimmer, aber er durfte sich nicht darin rühren, weder Beine noch Hände frei bewegen, denn überall standen nichtsnutzige Spielereien, die man umstoßen und zerbrechen konnte. An den Wänden hingen theure Bilder, auf den Tischen standen Vasen und Büsten, an den Thüren auf vergoldeten Consolen Statuetten und Rankengewächse. Drei Mal hatte er heute schon Blumentöpfe umgestoßen, war auf dem glatten Fußboden ausgeglitten und hatte einen Kaminschirm zerbrochen. Und dabei sollte er leben und nicht einmal rauchen!
Was sollte aus ihm werden, wenn er schöne Künste treiben, alle Tage Musik hören müßte! Sein Spindchen mit den kunstvoll aufgereihten Zahnketten und die ausgestopften Eulen waren ihm zehnmal mehr werth, als alle diese Schnurrpfeifereien ohne reellen Inhalt. Und warum wollte er denn ein solcher Knecht und Sklave werden? Um ein Weib zu nehmen in seinen alten Tagen.
Es war allerdings ein schönes, junges Weib, und reich war sie auch, aber durch ihren Vater an Schwelgerei gewöhnt, wie eine Prinzessin erzogen und keineswegs so häuslich, wie sie es auf der Zunge führte. Schickte es sich für ein bürgerliches Mädchen, musik- und kunsttoll zu sein, Nichts im Kopfe zu haben, als überspannte Ansichten von einem Leben unter Kunstschätzen und geistigen Genüssen? Nicht eine Woche länger konnte er es so aushalten, das wußte er gewiß, wie also sein ganzes Dasein in dieser Weise zubringen?
Er schauderte davor zurück und lag in dumpfer Betäubung, während er sich die Zukunft weiter ausmalte, zuweilen Trost schöpfend, zuweilen allen Trost verschmähend. Eine Stimme flüsterte ihm zu, daß die Neigung dieses jungen Mädchens zu ihm überhaupt unnatürlich sei und eine schlimme Wendung nehmen könne. Sei denn nicht Alles an ihr launenhaft und eigensinnig, und sei sie denn wirklich ein solcher Engel an Sanftmuth und Herzensgüte, wie er es geglaubt hatte?
Mit welchem Hohn hatte sie heute den armen August behandelt. Wie muthwillig hatte sie ihn gepeinigt, mit welchem Hochmuth ihn verlacht. Konnte ihm das nicht auch geschehen? Gewiß, ja gewiß, aber wenn es zu spät war.
In der Dunkelheit richtete sich Herr Hildebrand auf und stützte sich lange Zeit auf seinen Elnbogen in äußerster Rathlosigkeit und Trübniß. Es kam ihm der Gedanke ein, morgen auf jeden Fall krank zu werden, und er fühlte sein Herz erleichtert bei der Vorstellung, daß er überhaupt dann keinen Schritt wieder über die gefährliche Schwelle setzen wolle, allein bald mischte sich in diesen Vorsatz sein Stolz, seine Eitelkeit, ein Schamgefühl, das sich noch immer mit Unwillen gegen seinen Neffen paarte, und endlich kam zwingende Nothwendigkeit dazu, welche so oft schon widerstrebende Herzen mit den Händen nachgezogen hat.
Es war nicht allein süß zu denken, daß Reichthum ein bequemes Leben schaffe, Herr Hildebrand hatte sich ja auch schon in die Spekulationen des Zimmermeisters verwickelt. Der größte Theil seines Geldes lag ja in dem großen Sumpfe, der eine Stadt werden sollte. Bei diesem Gedanken steigerte sich die Angst des geplagten Mannes bis in's Fieberhafte. Er konnte nicht zurück, nein, wohin er sah, er sah sich umstrickt. Sollte er das Opfer einer Cabale sein? Sollte man ihm sein Geld abnehmen wollen? Der Zimmermeister nur darum ihn an sich gelockt haben, um ihn auszuplündern? –
Wie sehr er sich auch gegen solche Schreckbilder sträubte, so zitterte er doch vor der Möglichkeit. Sein Abscheu gegen alle Schwindler und gierigen Spekulanten erwachte plötzlich wieder, er empörte sich gegen sich selbst, daß er mit einem solchen sich einlassen konnte.
So verging ihm die Nacht, und so kam der Morgen. Ermattet hatte er eben seine Augen geschlossen, als er wieder auffuhr, denn Kummer polterte in einer Weise herein, als wäre der böse Feind hinter ihm her.
»Herr Cherorjus!« schrie er, »aber Herr Cherorjus, Sie liegen noch zu Bette? Du meine Güte, es ist ja schon acht Uhr vorbei. Aber es macht die Freude, es macht das Glück. Wenn ich's wäre, ich täte kein Auge zumachen. Also heute ist Verlobung? Meine allertiefsten, unterthänigsten, verehrungswürdigsten Glückwünsche, Herr Cherorjus. Herr Gott, ich bin so lustig, wie ich es gar nicht sagen kann.«
»Du bist und bleibst ein Narr, Kummer,« sagte Herr Hildebrand.
»Na, das versteht sich,« lachte Kummer, »und ich denke, ich komme besser damit fort, als ob ich zu den weisen Leuten gehörte. Liebster Herr Cherorjus, ich habe ja Alles erfahren. Jungfer Karline hat mir Alles erzählt, und ich kann's Ihnen nicht verschweigen, wir sind Beide dabei in die Lüfte gesprungen. Die Karline ist ein braves Mädchen, und die Aussicht, welche sich uns eröffnete, brachte unsere Herzen aneinander.«
Herr Hildebrand sah seinen Famulus würdevoll schweigend an, der vor ihm stand, den Kürbißkopf weit vorstreckte, freudig grinste, die blauen, runden Augen weit und glänzend aus ihren Höhlen hervorstreckte und seine dicken Hände mit außerordentlicher Lebhaftigkeit zusammenrieb.
»Sie können es glauben, ohne Spaß, Herr Cherorjus,« fuhr Kummer fort. »O, dachten wir, warum denn nicht? Das Leben ist doch schön, warum sollten wir es nicht genießen? Wie der Herr, so der Knecht, steht es geschrieben; hauest Du meinen Juden, haue ich Deinen Juden. Also nehme ich die Karline in meine Arme und sage: schönste Karline, laß uns diesem edlen Beispiele folgen. Dein Fräulein nimmt mir meinen Herrn Cherorjus, also mußt Du die Meine sein, und wenn er oben mit ihr in dem neuen Hause wohnt, so wohnen wir unten in dem veredelten Keller der Gegenwart, werden aber darum nicht weniger glücklich sein. Ja, wahrhaftig, Herr Cherorjus, dieses sagte ich und nehme Ihre große Güte an, werde es Ihnen ewig lohnen und werde das Geschäft zu Ihrer Zufriedenheit mit Karlinen betreiben, mit aller Sorgfalt und bester Ueberzeugung.«
»Stille!« schrie Herr Hildebrand, indem er aus dem Bette sprang.
Er sah dunkelroth aus, ballte die Faust und zitterte. Es verging eine Minute, ehe er sich fassen konnte.
»Wer hat das Alles gesagt?« fragte er dann vor sich hinblickend.
»Der Herr Zimmermeister hat mit dem Fräulein Johanna gesprochen,« sagte Kummer, »und Karline hat hinter dem Schirme gestanden und es mit angehört. Er hat ihr Alles mitgetheilt, was er mit Ihnen abgemacht, und wie es werden soll, wenn Sie als Rentier wohnen, und ich das Geschäft weiter führe. Darauf hat das Fräulein zu Allem beigestimmt, und es wäre ihr Wunsch und Wille, und wenn Sie kämen, würde sie gerne hören, was Sie ihr zu sagen hätten. Darauf hat denn der Zimmermeister geschrieen: Also machen wir die Verlobung morgen bekannt, und frisch hinterher die Hochzeit, und nach Paris mit Euch oder in die schweizer Gebirge, oder wohin Ihr wollt.«
Herr Hildebrand wankte nach dem Sopha, er fühlte eine sonderbare Schwäche in seinen Knieen. Die Gewißheit und Unabänderlichkeit seines Schicksals hing sich lähmend an seine Glieder. Er hatte diese Verabredungen angenommen, er konnte es nicht leugnen, daß er zu Allem Ja gesagt hatte. Das ganze Haus des Zimmermeisters wußte es jetzt, Verwandte und Freunde waren sicher davon unterrichtet. Da war kein Entkommen möglich. Der rasche, heftige Zimmermeister ließ seine Tochter auf keinen Fall beschimpfen. Und was sollte er ihm sagen? Wie sollte er vor ihm stehen?
Kläglicher und betrübter hat nicht leicht ein Bräutigam an seinem Verlobungsmorgen gesessen und mit solcher Unruhe die fortrückenden Zeiger der Uhr betrachtet. Der Kaffee stand unberührt, die Zeitung lag zerknüllt im Winkel, die Pfeife war umgefallen, ohne einmal aufgehoben zu werden.
Kummer wirthschaftete draußen, putzte, wischte, bürstete, pfiff und lachte. Er fütterte die Vögel, erzählte dem Stieglitz und der Grasemücke von der Verlobung und ermunterte die Nachtigall, an ein neues Hochzeitslied zu denken. Endlich aber erklärte er ihnen sämmtlich, daß ihres Bleibens hier nicht mehr lange sein werde, da dem Herrn Cherorjus nächstens andere Lieder vorgesungen werden würden, eine junge schöne Frau aber Nichts mit solchen alten Käfigen und garstigen unscheinbaren Kreaturen zu schaffen haben wolle.
»Sie wird sich einen Papagei halten und einen bunten großen Arras, der den ganzen Tag schreit und plappert,« sagte er, »ihr aber, ihr armen Teufel, sollt zu einem andern armen Teufel, nämlich bei mir, in den Keller ziehen, und da wir allzusammen Narren sind, werden wir uns gewiß auch gut vertragen. Bei einfacher, gesunder Kost und bei einem frischen Trunk lebt sich's am besten. Da singt denn hell darauf los, ihr lustigen kleinen Burschen, Niemand soll euch ein böses Wort darum sagen.«
Ein tiefer Seufzer des Doctors beantwortete diese Standrede. Wenn er nur Zeit gewinnen könnte, ein Aufschub möglich gewesen wäre, aber er verzweifelte daran. Plötzlich stürzte Kummer wieder herein, rief ihn an's Fenster und zeigte ihm einen großen Tragekorb, der von zwei Leuten so eben in's Haus des Zimmermeisters geschafft wurde.
»Da bringen sie schon die Kuchen vom Conditor,« sagte er. »Ein ungeheurer Baumkuchen ist dabei, Karline hat es gehört, was Herr Sarre erzählt hat. Er hat ihn so bestellt, daß er einen Tempel bildet von lauter farbigen Zuckersäulen, und in der Mitte stehen Sie, Herr Cherorjus, als der Gott Amor. Es ist wahrhaftig wahr, die Karline sagt es.«
Herr Hildebrand wies den Schwätzer mattherzig hinaus und suchte sich möglichst zu beruhigen, indem er sich auf den Standpunkt erhob, der selbst den Verurtheilten Fassung und Stärke giebt. Er schickte sich in das Unvermeidliche und fing an, mit aller Gewalt an den Himmel seiner Zukunft zu glauben, obwohl er daraus von Zeit zu Zeit wieder hinausgetrieben wurde in's Heulen und Zähneklappern.
»Wenn ich nur einen Ort wüßte,« murmelte er tiefathmend, »wohin ich mich retten könnte. Es hilft aber Nichts, und ich sehe eigentlich auch gar nicht ein, warum ich mich ängstige! Ich werde dies nicht thun,« sagte er, würdevoll sich aufrichtend, »denn es wäre kindisch, da Jeder, der von meinem Glücke hört, mich beneiden muß. Jeder muß mich beneiden, Jeder!«
Hier wurde Herr Hildebrand unterbrochen, denn es klopfte Jemand an die Thüre, bei dessen Anblick seine Selbsttäuschung plötzlich zerrann. Der Eintretende war der Wirth aus der alten Welt, der in seinem großen dunkelblauen Rocke, den Hut in der Hand, hereintölpelte und seinem ungetreuen Gast vorwurfsvoll und gutmüthig die Hand reichte.
»Na, Herr Cherorjus, leben Sie denn wirklich noch?« rief er ihm entgegen. »Alle Abende haben wir vergebens gewartet, bis ich's nicht mehr aushalten konnte. Ich muß hin, sagte ich zu meiner Alten, ich muß sehen, was unser guter Herr Cherorjus macht. Sind Sie denn krank gewesen, oder was ist denn geschehen? Wir haben doch keine Schuld, haben Alles gethan, was in unsern Kräften steht.«
»Alles, Alles habt Ihr gethan,« antwortete Herr Hildebrand mit einem Anfall von Wehmuth, den er kaum überwinden konnte. »Es sind jedoch Umstände eingetreten, Winter, die mich gehindert haben zu kommen.«
»Umstände?« sagte der Wirth, den Kopf kratzend. »Aber, lieber Herr Cherorjus, es wird doch wohl nicht wahr sein,« er hielt inne und sah Herrn Hildebrand bedenklich an. »I Gott bewahre!« schrie er dann, »es wird ein Jeder verleumdet, und weiter ist es nichts, gar Nichts weiter als Verleumdung!«
»Wie so, Winter?« fragte Herr Hildebrand, indem er seine Unbefangenheit sammelte.
»Da hat irgend so ein Narr ausgesprengt, Sie wollten heirathen. Wir haben Alle gut gelacht. Die ganze Abendgesellschaft hat gelacht, und meine Alte konnte sich gar nicht zufrieden geben. So auf den Kopf gefallen ist unser Herr Cherorjus nicht, sagte sie; wer den für dumm verkauft, kann sein Geld los werden. Der wird sich hüten und auf seine alten Tage solche Narrheiten begehen. Und da geben wir ihr Alle Recht, Herr Cherorjus, weil Jeder weiß, was Sie für ein Mann sind.«
»So, so!« sagte Herr Hildebrand mühsam, »sie sagten es also Alle?«
»Alles eine Stimme!« rief Winter, »aber Jeder möchte doch wissen, wie es zugeht, daß Sie fehlen. Seit zwanzig Jahren ist es nicht geschehen, Herr Cherorjus, es ist bei uns wie ausgestorben, Jeder trauert, so haben sie mich denn abgeschickt.«
»Ich werde kommen, Winter, ich werde kommen,« murmelte Herr Hildebrand.
»Und heute ist eben das Bier, wie es noch nie gewesen ist,« fuhr der Wirth fort. »Es ist was extra Gutes, Herr Cherorjus.«
»So, so!« fiel Herr Hildebrand ein, und seine Stimme zitterte.
»Meine Alte,« fuhr Winter fort, »hat heute einen Schmorbraten, Herr Cherorjus, sie ist ganz stolz darauf. So ein majestätisches Stück Rindfleisch hat kein König nicht.«
»So, so, Winter!« sagte Herr Hildebrand, seine Lippen leckend, »ich werde kommen, wollen sehen, wollen sehen, ich komme! Aber jetzt geht, ich habe keine Zeit. Grüßt Alle, und die gute Frau, Alle, Alle!«
Er schob ihn zur Thüre hinaus, Winter lächelte dankbar.
»Na, Sie wissen ja, Herr Cherorjus,« sagte er, »das beste Häppchen wird immer für Sie verwahrt, und wenn Sie nicht da sind, ist's in keinem Winkel recht. Es fehlt Jedem das Herzblatt.«
Herr Hildebrand ging auf und ab. Seine Hände krampften sich zusammen, sein Gehirn brannte, sein Mund war von innerer Hitze ausgedörrt. Das Land seiner Sehnsucht lag vor ihm aufgethan, doch um ihn her lagerte die Sahara, die ihn verschlingen wollte. Welch' unendliches Glück hatte er frevelnd von sich gestoßen! Was gab es Schöneres, Besseres auf der ganzen Welt, als den Platz am Ofen in der Ecke, das schäumende Deckelglas davor und den duftigen, unübertrefflichen Braten aufgehäuft daneben. Alle Herrlichkeiten dieser reichen Speculanten, alle Leckereien, alle ihre theuren Weine und Gerichte waren Nichts dagegen.
Vor Herrn Hildebrand's Blicken zauberte sich der ganze abendliche Kreis der Stammgäste. Er sah sie Alle, wie sie ihn erwarteten, ihm entgegen liefen, jubelnd, ehrerbietig die Hände nach ihm ausstreckten; wie die gute Wirthin herbeirannte, wie der wackere Wirth nach dem Glase sprang, daß seinen Namen trug, und mit stieren Blicken sah er regungslos vor sich hin, gerade in das Gesicht seines Neffen, der so eben hereintrat.
»Ich bitte Dich, Dich nicht zu beunruhigen,« sagte der Baumeister mit ernster Höflichkeit, »in wenigen Augenblicken werde ich Dich wieder verlassen, lieber Onkel.«
Herr Hildebrand erwiederte Nichts, er blieb still sitzen, und sein junger Verwandter fuhr fort:
»Ich wollte Dich nur bitten, mich bei dem Herrn Sarre zu entschuldigen, daß ich an dem heutigen Feste keinen Theil nehmen kann.«
»Du willst also nicht kommen?« fragte der Onkel halblaut, die Augen niedergesenkt.
»Nein,« erwiederte der Baumeister, »ich glaube, Du selbst wirst es nicht wünschen, denn Du wirst wenigstens nicht wünschen – doch gleichviel, Onkel, ich kann heute nicht dort erscheinen.«
»Aber, es wäre doch gut,« fiel Herr Hildebrand mit sanfter Stimme ein, »denn es liegt in der Absicht des Herrn Sarre, uns – zu versöhnen.«
»Dazu brauchen wir ihn nicht,« sagte der junge Mann. »Habe ich Dich jemals beleidigt, Onkel, so bitte ich von Herzen um Verzeihung. Nie habe ich Dich kränken wollen, aber ich bin jung, bin leichtfertig und übermüthig, verzeihe mir, wenn ich Dir je wehe that. Ich bin,« murmelte er, den Kopf senkend, »bestraft genug. Von ganzem Herzen wünsche ich Dir alles Glück und alle Freuden eines neuen Lebens.«
Als er sich umwandte und gehen wollte, stand Herr Hildebrand plötzlich auf und hielt ihn fest:
»Gut,« sagte er mit zitterndem Tone, »ich danke Dir, aber weißt Du auch – ich liebe feine Speculationen, nie, in meinem Leben nicht!«
»Dein Geld ist ganz sicher angelegt,« versetzte der Baumeister, »sobald der neue Stadttheil fertig ist, in wenigen Jahren, wirst Du reichen Gewinn haben.«
»Ich meine das nicht, spreche davon nicht,« unterbrach ihn Herr Hildebrand, »aber hier die andere Speculation.«
»Sie ist nicht weniger gut. Das neue Haus, das Du Dir bauen willst, wirft Dir jedenfalls bedeutenden Ueberschuß ab.«
»Nein, nein!« rief Herr Hildebrand beklommen. »Was nützt das alles, ich kann's nicht brauchen. Du bist jung, bist mein einziger Verwandter, solltest mein Erbe sein. Wenn nun aber die Speculation da drüben, die ich meine – Du weißt doch – o, ich denke nicht, daß Du es vergessen hast.« – Herr Hildebrand legte die Hand an sein Kinn und versuchte zu lächeln, – »Du wirst wohl wissen, was dort heute geschehen soll,« flüsterte er, während der Ton ihm in der Kehle zerrann.
»Was man sich erzählt,« antwortete der junge Mann, »daß Du Dich heute mit Fräulein Johanna verloben willst.«
»Sagt man!« rief Herr Hildebrand, und seine Lippen zuckten heftig. »Ich? So, so! Ich – ich will? Das sagt man wirklich?«
»Ja, Onkel, das sagt man wirklich,« versetzte der Baumeister erstaunt.
Herr Hildebrand war dunkelroth. Seine Lippen glühten, seine Augen traten hervor. Er wischte sich mit der Hand über die Stirn und drückte dabei krampfhaft seines Neffen Arm.
»Du hast es so gewollt,« stöhnte er, »denn wärst Du gewesen, wie Du jetzt bist – wärst Du zu mir gekommen – so, so!«
»Mein Gott!« unterbrach ihn der Baumeister. »Du fühlst Dich unglücklich, Onkel? Du willst nicht?«
Diese Frage vollendete die Katastrophe. Es war, als ob eine Bombe in ein Magazin geworfen wird, das bei ihrem Zerplatzen in die Luft fliegt. Ein dumpfer Ton kam aus der Brust des alten Mannes. Er machte noch einen Versuch sich zu halten, indem er den Kopf in den Nacken warf und eine seiner würdigen Handbewegungen begann, in demselben Augenblicke jedoch sagte er völlig fassungslos:
»Hilf mir, August! Es ist mein Untergang! Hilf mir!«
Einige Minuten lang schwiegen Beide. Herr Hildebrand hatte sich in die Sophaecke gesetzt, der Baumeister stand vor ihm und schien über einem Plan zu brüten.
»Man darf Niemanden bloß stellen,« murmelte er. »Du kannst Dich nicht zurückziehen, Onkel.«
»Ich kann nicht!« murmelte Herr Hildebrand.
»Es giebt nur einen Weg,« fuhr fein Neffe fort.
»Einen Weg! Wo? Welchen Weg?«
»Ein Anderer muß an Deine Stelle treten.«
»Ein Anderer?«
»Du hast nur geprüft, nur kennen lernen wollen. Hast Dich überzeugt, wirbst um sie für ihn.«
»Für wen? Für wen?«
»Für mich, Onkel. Ich trete an Deine Stelle.«
»Du?« schrie Herr Hildebrand freudig auf, indem er seine Arme ausbreitete, allein er ließ diese sogleich wieder sinken. »Das ist Nichts,« sagte er, traurig den Kopf schüttelnd. »Wenn Du Dich auch opfern willst, wenn Du auch, wie ich glaube, Zuneigung zu ihr gehabt hast, so kannst Du sie jetzt nicht mehr haben, da sie Nichts mehr von Dir wissen will.«
»Daraus mache ich mir Nichts!« fiel August im leichtfertigen Tone ein.
»Aber,« fuhr der Onkel fort, »sie hat Dich gestern erst hart und höhnisch behandelt, daß es mir in der Seele weh that.«
»Ich will's ihr schon gedenken,« sagte er lachend. »Alle Mädchen haben ihre Mucken, Onkel, das soll uns nicht kümmern.«
»Sie wird aber nicht ja sagen, sie wird nicht wollen!« rief Herr Hildebrand ängstlich schwankend.
»So müssen wir sie dazu zwingen. Sie muß überlistet werden. – Ihr Vater will mir wohl. Sprich zuerst mit ihm, sage ihm, was Deine Absicht gewesen, da ich Dir vertraut hätte, welche Gefühle ich für seine Tochter hegte. Er wird nicht nein sagen, wenn Du ihm Deinen Neffen für seine Tochter anträgst, nur –«
»Was denn nur?« fragte Herr Hildebrand dringend, als der Baumeister schwieg.
»Es ist mir nicht lieb, es zu erwähnen,« fuhr dieser fort, »allein er wird allerdings fragen, ob ich Deine volle Vergebung empfangen habe.«
»Das versteht sich!« rief Herr Hildebrand. »Nimm das Haus hin, baue, mache, was Du willst, aber laß mich leben, wie es mir gefällt, und kommt mir nicht mit Kunst und Bildern und Museen und so dergleichen!« schrie er in einem Anfall jähen Entsetzens, indem er aufsprang und beide Arme zum Himmel aufhob.
Sein Neffe umarmte ihn.
»Guter, lieber, theurer Onkel!« rief er, »ich habe Dich wieder, und niemals mehr sollst Du unzufrieden mit mir sein.«
Dann sprach er längere Zeit so leise, daß Kummer, der an der Thüre horchte, kaum einzelne Worte verstehen konnte; endlich aber sah er durch's Schlüsselloch, wie der Herr Cherorjus sich ankleidete und Herr August ihm half. Beide wurden immer mehr ein Herz und eine Seele dabei. Der Baumeister bediente den alten Herrn, wie ein Kammerdiener, band ihm das Halstuch und putzte ihn heraus, der Herr Cherorjus aber streichelte ihm die Backen dafür, legte die Hände auf seine Schultern und drückte und küßte ihn zuletzt wie einen Sohn.
Bei diesem Anblicke machte Gottlieb Kummer einen Sprung in die Luft, sein Kürbißkopf wackelte und grinste, und eben streckte er seine beiden Hände weit aus dem grünen Flaus hervor, um sie mit unermeßlicher Geschwindigkeit zu reiben, als die Thüre sich öffnete und Herr Hildebrand heraustrat.
»Na, da sind Sie ja, Herr Cherorjus!« schrie Kummer voller Jubel. »Eben schlägt es vier Uhr, drüben ist schon eine ganze Reihe Wagen vorgefahren. Und auf den Abend wird Musik gemacht und getanzt, es ist ein Claviermusikus bestellt worden.«
Der Herr Cherorjus hatte sich merkwürdig verändert. Er sah so würdevoll und unerschütterlich aus wie früher, aber es schwebte dabei ein stolzes Lächeln um seine Lippen.
»Ich werde selbst Musik machen, das heißt auf meine Weise, Kummer,« sagte er. »Im Uebrigen bist und bleibst Du ein Narr.«
»Na, das ist es ja eben, Herr Cherorjus, das sage ich ja eben,« lachte Kummer. »Gott gebe seinen Segen dazu, damit was Gescheidtes daraus werde.«
»Es ist abgemacht mit uns und bleibt dabei, Kummer,« erwiederte Herr Hildebrand, indem er an der Thüre nochmals stehen blieb. »Ich ziehe mich vom Geschäfte zurück und werde es Dir übergeben. Heirathe dann, wenn Du ein Narr sein und bleiben willst, nimm Dir diese Jungfer Karoline, die, wie August sagt, ein Mädchen sein soll, welches Dich in Ordnung bringen wird. Und jetzt laß mich los. Wir werden noch Zeit genug haben, uns festzuhalten.«
»Ja, ja, lieber Herr Cherorjus!« schrie Kummer. »Aber dieser Herr August! Was habe ich Ihnen gesagt? Er weiß Alles, er kann Alles und behält doch Recht, habe ich gesagt.«
Herr Hildebrand hörte Nichts mehr davon. Er ging mit seinem Neffen Arm in Arm über die Straße und in das Haus des Zimmermeisters. Seine ernsthafte Würdigkeit hatte einer heiteren Laune Platz gemacht, die bis zum Uebermuth gehen konnte. Als das hübsche Hausmädchen ihm die Thüre öffnete, faßte er sie an's Kinn und hob drohend den Finger auf.
»Warte, Du Schelm!« sagte er, »jetzt bin ich hinter Deine Schliche gekommen und werde Alles verrathen. Sei nur ganz stille!« fügte er hinzu, als sie roth wurde und sich vertheidigen wollte. »Du wirst mit Deinem Kummer schon fertig werden, und ich werde Dir dabei helfen.«
»Ach, bester Herr Doctor,« sagte sie, die Augen niederschlagend, »wenn kein Kummer schwerer ist, als dieser, so läßt er sich schon allein durch's Leben tragen.«
»Er soll Dir auch verbleiben,« lachte er, »und es ist ein getreuer Kummer, der gewiß nicht von Dir weichen wird. Aber jetzt mache die Thüre auf, damit auch wir unsern Kummer in Freude verwandeln können.«
»Tausend Glück und Segen!« sagte die Dirne, dem Baumeister zuwinkend. »Sie werden sehnlichst erwartet. Die ganze Gesellschaft ist beisammen.«
So war es auch; denn als Onkel und Neffe hereintraten, fanden sie einen großen Kreis geschmückter Damen und Herren in mancherlei Gruppen getheilt, und in einer derselben stand Fräulein Johanna, in einer andern ihr Vater. Johanna sah heute schöner aus, als Herr Hildebrand sie je gesehen. Ihr Gesicht schien lebhafter geröthet, ihre Augen hatten einen feuchten Glanz und jenen Schimmer von Furcht und Sehnsucht, der die ängstlichen Erwartungen eines liebenden Herzens ausspricht. Als Herr Hildebrand sich näherte, erglühte ihr Gesicht, sie vermochte nicht ihre Empfindungen zu verbergen, und ihre Hand zitterte, als er sie küßte.
Herr Hildebrand erschrak heimlich über diese Zeichen. Er mußte seinen ganzen Muth zusammennehmen, um seine Unbefangenheit zu behaupten.
»Sie liebt mich wirklich!« sagte eine geheime Stimme in ihm, »aber ich – ich – ich will sie doch nicht, auf keinen Fall!«
Er heftete seine Blicke auf die große schlanke Gestalt und auf das sanft lächelnde Gesicht, das eben jetzt wie von einem lichten Schein überstrahlt wurde. War es ein feuriges Blitzen ihrer Augen, oder aber das Funkeln der Steine in ihrem prächtigen Halsband und in den großen Ohrgehängen, er wußte es nicht.
Sein Neffe, der hinter ihm stand, verbeugte sich eben sehr ehrerbietig. Das wußte und sah er, daß sie überaus reich geschmückt und gekleidet war. Meergrüner Seidendamast floß sammetartig an ihr nieder, Blumen mit Goldfäden durchwanden die üppigen glänzenden Haare.
»Niemals, es mag kommen, wie es will, niemals!« schrie er in sich hinein. »Aber ach, armer August, was soll aus Dir werden!«
Alles, was er dachte und empfand, war Sache eines Augenblicks.
»Sie kommen sehr spät, bester Herr Doctor,« sagte Johanna mit einschmeichelnder Süßigkeit, die doch einen vorwurfsvollen Beigeschmack hatte.
»Ich bitte tausend Mal um Verzeihung,« antwortete er, »daran ist mein Neffe Schuld, welcher zu mir kam und so viel zu sprechen hatte, daß wir darüber die Zeit vergaßen.«
»Und Nichts erinnerte Sie daran?« fiel sie ein.
»O, allerdings! Ich eilte und brachte ihn gleich mit, damit er Ihre Verzeihung für uns Beide erbitten möge,« versetzte Herr Hildebrand, indem er sich nach seinem Neffen umsah.
»Das ist in der That kaum nöthig,« erwiederte die junge Dame, indem sie den Kopf so stolz lächelnd aufhob, daß Herr Hildebrand abermals in sich hinein sagte:
»Armer August! Das wird eine schöne Geschichte werden.«
Er hatte jedoch nicht Zeit, sich noch mehr zu fürchten, denn der Zimmermeister kam auf ihn los, und zu gleicher Zeit blickte ihn sein Neffe so muthig herausfordernd an, daß seine Energie zurückkehrte.
»Und wenn sie mich übermenschlich liebt,« rief er sich zu, »es ist ein für alle Mal vorbei. Und es muß gewagt werden, also soll es gewagt werden. – Mein hochverehrter Freund!« fuhr er laut fort, indem er dem Nachbar die Hand schüttelte, »Sie sehen heute so froh aus, daß ich vermuthe, es ist Ihnen ein besonderes Glück widerfahren.«
»Weil Sie bei mir sind, Doctor, weil ich Sie sehe und mich daran freue, wie glückselig Sie selbst aussehen. So jung und galant und liebenswürdig, daß alle Damen sich in Acht nehmen können.«
Die umherstehenden jungen Damen lächelten, und Herr Hildebrand verstand dies recht gut.
»Lacht ihr in Gottesnamen, ihr Milchaffen,« dachte er, »ich lache auch und danke für euch allesammt.«
Dabei nahm er den Zimmermeister unter den Arm, gab ihm eine lustige Antwort und führte ihn zu einem Fenster fort, wo sie Beide zusammen standen und heimlich zu sprechen anfingen, was bald einige Aufmerksamkeit erregte. Die Bewegung der Herren wurde lebhafter, einige Male sah man den heftigen Herrn Sarre zurückfahren und den Kopf schütteln, dann sich wieder vorbeugen und am Ohre des Herrn Doctors antworten. Dieser legte die Hand auf des Zimmermeisters Schulter und flüsterte ihm seine Gegenrede zu, und so ging es eine Zeit lang hin und her, bis Herr Sarre laut zu lachen anfing, den Doctor an beiden Armen faßte und schüttelte. Zugleich drehte er den Kopf in den Saal hinein und suchte seine Tochter, die, umringt von Freundinnen, sich mit dem Baumeister unterhielt, welcher nach der Weise der jungen Herren die Damen angenehm zu unterhalten schien.
»Also geprüft haben Sie und haben sich überzeugt, und es ist Ihr wirklicher Ernst, Nachbar?« fragte Herr Sarre.
»Mein heiliger und wohl überlegter Ernst,« erwiederte Herr Hildebrand. »Nach sorgfältiger Ueberzeugung wohl geprüft.«
»Nun denn, so habe ich nichts dagegen,« rief der Zimmermeister, »obwohl ich gewünscht hätte aber machen Sie das mit Johannen ab. Ein schmucker Bursche ist es, und mir ist er lieb. Ich achte ihn, das wissen Sie, und wenn Johanna einmal ja gesagt hat, so wird sie auch glücklich mit ihm werden. Machen Sie es, wie Sie wollen, aber Verlobung muß sein, Doctor!«
Eben wurden die Thüren des Speisesaals geöffnet. Die reiche, mit Blumen geschmückte Tafel leuchtete den Gästen entgegen.
»Vorwärts, Doctor!« sagte Herr Sarre. »Johanna sucht Sie. Frisch darauf, es wird Alles gut gehen.«
Herr Hildebrand näherte sich dem Fräulein in dein Augenblicke, wo der Baumeister ihr seinen Arm bot.
»Nichts da, mein lieber August,« lachte er, indem er ihn verdrängte, »warte Du, bis Deine Zeit einmal gekommen sein wird; für jetzt werde ich mir die Ehre nicht nehmen lassen.«
Achselzuckend und lächelnd trat der Baumeister mit einer tiefen Verbeugung zurück.
»Ueberall, wo es auch sein mag,« sagte er, »weiche ich recht gern meinem lieben Onkel und seiner höheren Einsicht.«
»Sein Sie immer recht einsichtig, Herr Baumeister,« spottete Johanna, »so wird Ihnen nie Etwas einfallen.«
»Ich werde, was ich baute, auch immer zu sichern wissen,« antwortete er.
Herr Hildebrand führte Johanna fort und fand seinen Platz mit ihr an der Mitte der großen Tafel, zu seiner Freude und Verwunderung jedoch hatte es sich so gefügt, oder Herr Sarre hatte es geschwind noch so veranstaltet, daß sein Neffe an Johanna's rechter Seite saß. Er wurde dadurch eine Zeit lang gehindert, mit seiner Nachbarin vertraulich zu sprechen, denn die Neckereien zwischen den beiden jungen Leuten begannen bald von Neuem. Herr Hildebrand hörte heimlich lächelnd zu, denn bei aller Artigkeit und achtungsvoller Höflichkeit schenkte ihr August doch Nichts und gab ihr einige so treffende Antworten, daß sie sich schmollend von ihm ab und zu dem Onkel kehrte.
»Sie gerathen immer in Streit mit ihm,« sagte Herr Hildebrand ihr in's Ohr.
»Er ist mir zu witzig und spottsüchtig,« erwiederte sie.
»Aber von Herzen sehr gut,« gab er zurück.
»Meinen Sie wirklich?«
»Ich kann es Ihnen zuschwören. Ich kenne ihn ja von frühester Zeit an.«
»Sie haben sich, wie ich merke, mit ihm ausgesöhnt und nehmen nun seine Partei.«
»Das thue ich, denn ich liebe ihn, wie einen Sohn.«
»Wenn Sie mir das sagen, bester Doctor, so glaube ich Ihnen und freue mich ebenfalls. Mein Vater rühmt diesen jungen Herrn ja auch alle Tage mehr.«
»Hassen Sie ihn denn?« fragte Herr Hildebrand leise lächelnd.
»Hassen? Das könnte ich nicht sagen. Ein junger Mann, der so begabt ist, auch liebenswürdig sein kann, wenn er will, endlich aber seinem Onkel so ähnlich sieht, daß es Aufsehen erregt, kann von mir nicht gehaßt werden.«
»So, so!« sagte Herr Hildebrand ein wenig befangen, »darüber freue ich mich mehr, als Sie glauben können, denn sein Glück liegt mir sehr am Herzen. Er ist mein einziger nächster Verwandter, und ich kann mir wohl denken, daß er auch eine Frau, welche er liebt, sehr glücklich machen wird, selbst wenn diese vielleicht Anfangs ihm auch nicht leidenschaftlich zugethan wäre.«
»Ist das Ihre wahre Ueberzeugung?«
»Meine innige Ueberzeugung, theures Fräulein. Jede, die ihn wählt, wird glücklich sein.«
»Da er seinem Onkel so sehr ähnelt, will ich auch dies glauben.«
»O, ich – ich!« flüsterte Herr Hildebrand, »was bin ich denn dagegen! Ich bin ein alter Magen, passe nicht mehr für die Welt, kann Niemanden mehr glücklich machen, nur noch sorgen, daß Andere glücklich werden.«
»Sie sind so gut, so wahr, ich habe das größte Vertrauen zu Ihnen,« antwortete sie ihn anlächelnd.
»Das wärmt mich bis in's Herz. Aber glauben Sie mir auch, daß ich auf's Zärtlichste für Ihr Glück besorgt bin.«
»Gewiß, gewiß!«
»Und wenn ich nun sagte: Meine liebe, schöne Johanna, ich will Sie verheirathen mit einem Manne, den ich genau kenne, von dem ich weiß, daß er Sie aus Herzensgrunde liebt, Tag und Nacht keine Ruhe hat, und der es verdient, auch von Ihnen geliebt zu werden. Was würden Sie da antworten?«
»Bester Doctor, das ist seltsam genug! Vor allen Dingen müßte doch mein Vater zunächst entscheiden.«
»Wenn ich nun sage, Ihr Vater ist ganz damit einverstanden, er weiß es und freut sich darüber.«
»Aber bitte,« sie senkte ihre Augen und hob diese schalkhaft wieder auf, »ich muß doch wissen – es könnte doch sein – doch nein! Ich habe so großes Vertrauen zu Ihnen, daß ich Alles thun würde, was Sie für gut und recht halten.«
»Alles, wirklich? Keine Einwendungen machen?«
»Mein Lebensglück, mein Schicksal lege ich in Ihre Hände.«
Der große Augenblick war gekommen. Herr Hildebrand erhob sich plötzlich.
»Was wollen Sie thun?« flüsterte Johanna, »warten Sie!«
Doch aller Blicke richteten sich auf ihn, er ließ sich nicht länger zurückhalten.
»Meine verehrten Herren und Damen!« rief er aus, »ich kann nicht länger schweigen, muß Ihnen ein glückliches Ereigniß mittheilen. Es befindet sich ein Brautpaar hier, dessen Glück und Segen gewiß auch Ihr freudiger Wunsch ist. Fräulein Johanna und mein Neffe an ihrer Seite; Braut und Bräutigam, sie leben hoch!«
Ein donnerndes Hoch antwortete ihm, alle Stühle flogen zurück. Die Tafel war unterbrochen. Verwandte und Freunde rannten herbei, Umarmungen folgten, Thränen flossen, Glückwünsche und Jubel durchkreuzten sich. Der Zimmermeister umschlang den Schwiegersohn, Johanna lag in Herrn Hildebrand's Armen und sagte kein Wort, aber sie weinte und lachte zugleich, als er unter ihren Küssen ganz gerührt stotterte:
»So, so, liebes Herzendkind, es mußte so sein. Anders ging es nicht, durchaus nicht!«
»Alles, was Sie thun, ist recht und gut!« erwiederte sie noch einmal. »Ich ehre Sie, wie einen Vater.«
Er hörte es mit Freuden, und nun kam der beglückte Bräutigam, küßte vor Aller Augen das schöne Mädchen, ohne daß sie widerspenstige Mienen machte, küßte sie so wild und leidenschaftlich, daß Blumen und Locken in Unordnung kamen, und warf sich dann an des Onkels Brust, indem er die Braut mit heranzog.
»Da sind Deine Kinder, theurer Onkel!« rief er, »Du hast sie unaussprechlich glücklich gemacht. Dafür wollen wir Dich lieben und ehren, wie es immer auf Erden geschehen kann, und wollen Dir Freude bereiten, so viel es in zweier Menschen Macht steht.«
Herr Hildebrand blickte stolz und würdig umher, ließ sich in Triumph zum Zimmermeister führen, und dieser schüttelte ihn mit solcher Herzlichkeit, daß er es am nächsten Tage noch spürte.
»Recht gemacht, Nachbar,« schrie er, »habt es recht gemacht, sie werden es Euch danken, und wir wollen hoffentlich noch manches Jahr den Spaß mit ansehen und so froh dabei sein, wie heute.«
Das Diner wurde nun fortgesetzt und unter einer langen Reihe von Toasten, Lachen und Lust zu Ende gebracht. Kronen und Kerzen brannten in allen Zimmern, und kaum war der Kaffee umhergereicht, so klang auch schon die Musik, und der Ball begann, wie Kummer es vorher gesagt hatte. Bei der Polonaise wurde Herr Hildebrand noch gesehen, denn er ging an Johanna's Arm äußerst würdig und liebreich lächelnd in der Reihe, und sie flüsterte ihm allerlei in's Ohr von dankbarer Unterwerfung und kindlicher Anhänglichkeit, was ihn mit Stolz erfüllte; dann aber war er plötzlich verschwunden, Niemand wußte, wo er geblieben.
Ganz heimlich stahl er sich fort und schlüpfte in sein Haus. Die alte Aufwärterin öffnete ihm die Thüre, Kummer war über alle Berge, ohne Zweifel in Karlinchen's sicherem Hafen eingelaufen, doch Herrn Hildebrand war dies sehr angenehm. Mit wunderbarer Geschwindigkeit flogen Rock, Atlasweste und Glanzstiefeln von ihm ab, und die bequemen alten warmen Kleider dafür über Leib und Beine. Der dicke Ueberzieher machte den Schluß, statt des Castors griff er nach einem in den Ruhestand versetzten schäbigen Filz, und statt des seidenen Regenschirms, den Kummer ihm aufgeschwatzt, holte er aus einem Winkel das Urbild des rothen vortrefflichen Daches hervor, den heimtückische Schicksalsmächte ihm geraubt hatten, um ihn dafür in ein Meer von Sorgen und Leiden zu stürzen. –
Da stand der Herr Cherorjus fix und fertig. Die alte Frau starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an und schlug die Hände zusammen, aber mit seinem Jupiterblicke von ehemals hob er den Finger auf und sagte drohend:
»Zu keinem Menschen sprichst Du ein Wort!« und fort eilte er, wie von Furcht gejagt, daß er ertappt und eingeholt werden könnte.
Es war ein stürmischer regnerischer Abend geworden, fast noch schlimmer, als jener vor vier Wochen, allein Herr Hildebrand ließ sich davon nicht anfechten. In ihm sah es ganz anders aus, als damals, wo er wild und wüthig durch die Nacht rannte, jetzt schimmerte Alles eitel Lust und Licht. Er nahm denselben Weg, ohne mit den Windstößen und Tropfenschauern zu hadern, und als er endlich vor dem Hause mit dem schwarzen Schilde stand, als er das Flämmchen in dem langen Gange leuchten sah, verklärte ein seliges Lächeln sein Gesicht, und seine Brust hob sich mit Hochgefühl. Weit öffnete er die Thüre und trat hinein. Die ganze Gesellschaft war schon beisammen, alle Platze an dem großen Tische besetzt, fein Platz jedoch, der Präsidentenplatz am Ofen, unentweiht und leer. Freudig empfingen und begrüßten ihn alle Genossen, doch ohne ungestüm zu fragen, ohne eine Bemerkung zu machen, ganz wie sonst hochachtungsvoll, nur noch zufriedener und ergebener.
Der Wirth sprang herbei, nahm Rock und Regenschirm. Der Herr Cherorjus nickte nach allen Seiten würdevoll lächelnd und setzte sich. Winter brachte seine Pfeife und brannte einen Fidibus an, darauf das Deckelglas, und über Herrn Hildebrand's Gesicht lief ein halb verstecktes vergnügtes Schmunzeln. Er hielt das Glas an das Licht, that einen langen Zug, dann noch einen, leckte die Lippen und sagte gravitätisch:
»Capital, meine Herren!«
»Sehr gut, Herr Cherorjus, sehr gut!« schrie es von allen Seiten.
Das war der Eingang zum alten Leben. Das Eis war gebrochen. Die Wirthin kam gesprungen, wischte die Hand ab und reichte sie mit sonniger Freundlichkeit dem werthen Gaste.
»Was giebt's denn?« fragte dieser, seinen Arm, wie er immer that, wenn er guter Laune war, um ihre Hüfte legend.
»Schmorbraten, Herr Cherorjus,« flüsterte sie, »ich sage blos Schmorbraten!«
Herr Hildebrand nickte; bald stand der duftige Fleischberg da.
»Delicat, meine Herren!« rief er. »Noch nicht dagewesen!«
»Wundervoll, Herr Cherorjus, wundervoll!« schrie der Chor.
»Noch ein Glas, Winter,« sagte Herr Hildebrand, und als es kam, nahm er es lächelnd, hob den Kopf in den Nacken und blickte über den Kreis.
»Ich habe einige Zeit gefehlt,« begann er, »Familienangelegenheiten, meine Herren. Mein Neffe heirathet, aber ich – ich gehöre zur alten Welt! Diese Welt ist meine Welt!«
»Und es lebe die alte Welt! Es lebe unser Herr Cherorjus, der niemals wieder fehlen möge!« schrieen die Getreuen.
Der Herr Cherorjus blickte dankend umher, trank, neigte sich und legte die Hand auf's Herz.
»Niemals, meine Herren,« sagte er energisch, »niemals! Bis an mein Grab, niemals!«
Und dies dreifache Niemals hat Herr Hildebrand bis auf diese Stunde getreulich gehalten. An Stelle seiner düsteren Höhle steht jetzt ein neues stattliches Haus, in dessen hohem Erdgeschoß der Baumeister mit seiner jungen Frau wohnt; unter ihnen aber, in dem Kellerraume, hängen an einem der hellen Fenster drei Messingbecken, und wer vorübergeht, kann zuweilen sehen, wie lustig der kleine dickköpfige Barbier in seiner Stube umher springt und einen Buben auf seinem Arme tanzen läßt, der ihm merkwürdig ähnlich sieht.
Abends jedoch, punkt sieben Uhr, öffnet sich die Hausthür, und heraus tritt, sei's bei Regen und Nacht oder bei Sonnen- und Sternenschein, eine hohe Gestalt, rothwangig und rund, würdevoll ernsthaft, den Kopf in den Nacken, unabänderlich denselben Weg wandelnd. Es ist der Herr Cherorjus, der sich in die alte Welt begiebt.
* * *