Theodor Mügge

Drei Freunde

 

Gesammelte Novellen. Dritte Abteilung.
Einzelausgaben.
Zweiter Teil


 

Neu herausgegeben
von
lobo.dox@freenet.de

2024

 

I.

Um die Mitternachtsstunde des Sylvestertages saßen drei junge Männer einst beisammen vor der gefüllten Bowle, und als die Schläge der Kirchenuhr dumpf hereinschallten, welche den Anfang des neuen Jahres verkündeten, hoben sie die Gläser auf und stießen sie klingend zusammen, während sie schweigend sich die Hände drückten. –

Das Gemach, in welchem sie sich befanden, war das letzte einer ganzen Reihe prächtiger Zimmer und Säle. Sie konnten durch die geöffneten Thüren weit hinunter bis in den Tanzsaal sehen, aus welchem die Klänge der Musik, Fanfaren und lauter Jubel zu ihnen her schallte, und glänzende, geschmückte Damen und Herren sich drehten und drängten. Ein Ball wurde dort gefeiert, und die ersten Minuten des neuen Jahres wiederhallten von den Glückwünschen und Scherzen der großen fröhlichen, von Wein und Tanz erregten Gesellschaft.

»Schließ die Thüren, Richard,« sagte der Sohn des Präsidenten von Corbin, in dessen Hause das geschah, was ich erzähle, »und stoßt noch einmal an, meine Freunde. – Laßt uns einen Freundschaftsbund errichten, dessen Dauer über diese flüchtigen Minuten hinausreicht, und der für unser ganzes Leben uns verbinden soll.«

Richard erhob sich ein wenig aus seiner bequemen Lage, und während er mit dem Fuße die Flügelthüre zustieß, rief sein Nachbar Aurel voll jugendlicher Begeisterung des Augenblicks:

»Laßt uns zu wahrer, treuer Freundschaft uns vereinen, die nie aufhören soll, wie Raum und Zeit uns auch trennen mögen.«

»Und dazu ist die Mitternachtsstunde des neuen Jahres vortrefflich, um den Pakt zu schließen,« erwiederte Richard spöttisch lachend. »Ihr echten Deutschen habt doch zu Allem, was Ihr thut, etwas Schauerliches, Geheimnißvolles und das gefüllte Glas nöthig.«

»Das ist eine alte Satzung unserer Vorfahren,« rief Eduard. »Sie beschlossen Liebe und Krieg bei ihren nächtlichen Gelagen, aber sie hielten treu und beständig, was sie gelobten.«

»Glas und Mitternacht sind nicht nöthig zu unserem Bunde,« sagte Aurel, »doch da sie der Zufall giebt, mögen sie unsere Eideshelfer sein. Ich und Eduard, wir kennen und von Kindheit an und haben immer uns brüderlich geliebt; Du, Richard, bist als Fremdling zu uns gekommen, aber hat Dich auch der Süden geboren, Du bist dem Norden und uns verwandt durch Herz und Seele. – Wir haben als Freunde manchen Tag zusammen verlebt, jetzt, wo wir uns trennen sollen, an diesem letzten Tage laßt uns unsere Freundschaft heilig sprechen und immerhin ein wenig dafür schwärmen. Wer von Euch weiß denn, wann und wo wir uns wieder zusammenfinden?!«

»Wahr gesprochen,« fiel Eduard ein. »Ich reise morgen in die Hauptstadt, um meinen Platz bei dem Obertribunale einzunehmen; Aurel geht in den Norden, die Geschäfte auf den Besitzungen seines Oheims zu betreiben; Du, Richard, kehrst nach Frankreich zurück, dem Lande Deiner Geburt, wenn auch nicht Dein wahres Vaterland. Wo, so können wir wie Macbeth's Hexenschwestern fragen, führt das Schicksal in Sturm und Regen uns wieder zusammen? Laßt Jeden von uns den Glauben mitnehmen, daß er Freunde besitzt, Freunde in Noth und Tod, die bei ihm aushalten im Guten, wie im Bösen.«

Richard warf sein langes glänzendes Haar in den Nacken, indem er sein erhitztes Gesicht mit den spöttisch und kühn blitzenden Augen stolz empor hob.

»So sei es denn,« sagte er. »Wir wollen den Versuch machen, ob solche Freundschaft aushält für ein Menschenleben, und um dem Schicksale zu entgehen, daß die Zeit, der Nichts widersteht, uns selbst diese Stunde vergessen läßt, laßt uns geloben, daß wir uns wiederfinden wollen zu einer fest bestimmten Zeit.«

»In drei Jahren hier an derselben Stelle und zu derselben Stunde,« rief Eduard, der diesen Gedanken lebhaft aufgriff.

»Wenn irgend ein Menschenwille ausreicht, es möglich zu machen,« fügte Aurel hinzu.

»Und wer etwa bis dahin abgerufen würde aus dieser schlechten Welt,« fuhr Richard fort, »der sende seinen Geist als Stellvertreter und schweigsamen Zuschauer bei unserer Bowle. Wir werden für ihn mittrinken.«

Die drei Freunde lachten über den Scherz, den sie wacker verfolgten und feierlich bekräftigten. Sie standen alle Drei in der ersten Blüthe des Lebens, wo der Tod wie ein Phantom erscheint, mit dem man spielen kann, ohne Furcht zu empfinden. –

Eduard war der Sohn des Präsidenten von Corbin, eines geachteten Staatsdieners. Er war Jurist, wie sein Vater, und eine glänzende Laufbahn stand ihm offen, die seinen Talenten wie den Verbindungen seiner Familie angemessen war. –

Richard von Corbin war ein Verwandter dieser Familie, der Sohn eines Officiers, der in französischem Kriegsdienste während der Kaiserzeit in Bordeaux heirathete und bis zu seinem Tode lebte. Richard war vor mehreren Jahren aus Frankreich nach Deutschland gekommen, weil seine Verwandten es übernommen hatten, für seine Erziehung Sorge zu tragen. Er hatte hier seine Studien gemacht und im Hause des Präsidenten gelebt. Früh verwaist, besaß er geringe Glücksgüter, noch weniger aber die Fähigkeiten, sich sein Brod zu erwerben. Durch den Einfluß des Präsidenten war ihm gestattet worden, in den Militairdienst zu treten, und mit Leichtigkeit hatte er die Prüfungen als Officier abgelegt und die Epauletten erhalten.

Sein eigenwilliger, stolzer und selbstständiger Geist paßte jedoch nicht zu der Strenge eines unterwürfigen Gehorsams. Er verspottete die Befehle seiner Vorgesetzten, forderte und erhielt bald seinen Abschied und wußte nun eigentlich selbst nicht, was er mit sich und seiner Zeit beginnen sollte, deren größten Theil er dazu anwandte, mit der Tochter des Präsidenten Musik zu treiben, zu singen und zu zeichnen, oder mit dem Sohne desselben zu trinken, zu jagen und zu reiten. Der allgemeine Glaube war daher auch, daß Richard und Fräulein Johanna von Corbin in herkömmlicher Weise sich ehelich verbinden, und der Präsident, wohl oder übel, dann für seinen Schwiegersohn durch einen Gutskauf oder in anderer Weise sorgen würde. –

Plötzlich aber erhielt Richard die Nachricht, daß durch den Tod eines Verwandten seiner Mutter ihm eine reiche Erbschaft zugefallen sei, welche seine Anwesenheit in Bordeaux erfordere; seine Abreise dahin sollte in wenigen Tagen erfolgen. –

Der Dritte endlich unter den Helden unserer Geschichte, Aurel Dahlberg, hatte seit seiner Jugendzeit bei seinem Oheime, dem Nachbar des Präsidenten, gelebt. Er war der einzige Erbe des alten Herrn Dahlberg, der große Handelsgeschäfte betrieben und sich mit Reichthümern zurückgezogen hatte. –

Jetzt lieh er Geld aus, handelte mit Häusern und Gütern und besaß bedeutende Grundstücke. Er war als Geizhals verschrieen und als Wucherer bekannt, aber er war reich, darum war er geachtet. Seinen Neffen hatte er zum Landwirthe erzogen, damit er bei seinen Käufen und Verkäufen ihm besser zur Hand gehen könne, und gern hätte er ihm seine ganze eigene Oekonomie beigebracht, allein das offene und redliche Gemüth des jungen Mannes widerstrebte allen solchen Anmuthungen. –

Die Verhältnisse zu seinem Oheime wurden jedoch gerade dadurch nicht die freundlichsten, und als er eben jetzt die Verwaltung einiger bedeutender Güter übernehmen mußte, welche der alte Speculant in einer entfernten Provinz erkauft hatte, war ihm diese Entfernung sichtlich erwünscht. Er zerstörte damit zugleich die Meinung, daß auch er der schönen Tochter des Präsidenten seine Huldigungen darbringe, obwohl manche schärfer blickenden Leute überzeugt waren, er gehe mit geheimer Verzweiflung, weil er einsehe, daß Richard der Sieg nicht streitig zu machen sei. Aber er war der Freund Richard's und bis zum letzten Tage auch der Freund der Familie Corbin.

Er beschwor den Freundschaftsbund in dieser Mitternachtsstunde mit Begeisterung, und nur, als er seinem Nachbar die Hand drückte und lächelnd sagte: »Nichts soll uns trennen, keine Verleumdung, keine Selbstsucht, weder Eitelkeit, noch die Liebe eines Weibes,« hätte man glauben können, daß er einen Gedanken verfolge und verbanne, der in einer geheimen Falte seines Herzens geruht hatte.

Richard erwiederte den Druck, dann aber warf er die Hand seines Freundes zurück, und um seine Lippen zuckte ein verächtlicher Spott.

»Die Liebe eines Weibes,« rief er, »soll am wenigsten von Allem unsere Freundschaft jemals erkalten können. – Was ist diese Liebe anderes, als ein flüchtiger Rausch der Sinne, den ein Mann nie zur Herrschaft über sich gelangen läßt!«

»Und dennoch,« fiel Eduard ein, »hat Weiberliebe mehr Bündnisse gelöst, Herzen getrennt und Unglück herbeigeführt, als irgend eine andere Leidenschaft.«

»Bei Schwachköpfen,« sagte Richard, »bei Menschen, die ihres Lebens Heil an den Liebesblick eines Weibes knüpften.«

»Du verachtest die Liebe also?« fragte Aurel.

»Ich verachte sie nicht,« erwiederte Richard, »meine Jugend, meine Glieder, mein Blut würden mich Lügen strafen. Ich nehme die Frauen, wie sie sind, als eine heitere schöne Zugabe unseres Lebens, als einen Sommernachtstraum, der uns mit seinen Zaubereien umgaukelt, und der vorübergeht, wie alle Träume, die man nicht festhalten kann und nicht festhalten soll.«

»Du willst, wie ich merke, die Blumen pflücken und mit ihnen spielen,« sagte Aurel, »aber Du hast nicht Lust, ihr Verblühen abzuwarten.«

»Suchst Du Metaphern,« versetzte Richard lachend, »meinetwegen; aber Du könntest einfacher sein und wie Julia's Amme mich fragen, ob meine Liebe tugendhaft gesinnt Vermählung heische, ob nicht, und ich würde Dir antworten: Es haben sinnlos Weise und Narren die Ehe als das Grab der Liebe erklärt, ich frage Nichts darnach. Liebt mich ein Weib, und verlangt sie durchaus die Ehe, in Gottes Namen, sie soll mich haben. Aber sie verlange nicht auch von mir die bescheidenen Tugenden eines guten Tropfs, die Häuslichkeit, die Anhänglichkeit und was man sonst Treue oder Pflichten nennt.«

»Nun, wahrhaftig, mit diesen Grundsätzen mußt Du Glück bei unseren Damen machen,« rief Aurel. »Sie lieben die Widersprüche und den Geist, der stets verneint.«

»Und ich wette,« fügte Eduard hinzu, »trotz seiner Prahlerei wird er sich ducken, heirathen und ein eifersüchtiger folgsamer Eheherr werden, der um jeden Blick seiner Frau in Angst und Entsetzen geräth.«

»Dann muß sich Alles in mir umändern,« sagte Richard, »denn die Freiheit, welche ich für mich begehre, soll auch die im reichen Maße haben, welche das Schicksal mir zuwirft. – Freie Liebe,« rief er und hob sein Glas auf, »das ist das Einzige, was eine Ehe erträglich machen kann. Ich würde unter keiner anderen Bedingung mir den Ring um den Hals legen. Ich muß ihn lösen können, wenn und wie ich will. So lange unser Traum vorhält, so lange wir mit der Gaukelei unserer Sinne zufrieden sind, werden wir vergnügt und glücklich beisammen leben, wenn aber bei uns Beiden oder bei dem Einen oder Anderen der Wunsch der Trennung entsteht, wenn irgend ein Traum von Glück mein Herz oder das ihre ergreift, soll Niemand von uns unglücklich sein, Niemand gebunden und verschmachtend unter der Qual der Unsittlichkeit eines Gelübdes, dessen Angst und Entsetzen schon viele Wesen elend gemacht und in Verzweiflung gestürzt hat.«

»Bei Gott!« rief Eduard lachend, »jetzt habe ich es. Du bist ein Communist und predigst uns nächstens Weibergemeinschaft.«

»Thorheit,« sagte Richard, »laßt uns aufhören und lieber tanzen. Weibergemeinschaft ist Unsinn, doch Trennung von dem Weibe, dessen Liebe ich verloren hatte, und dessen Herz für einen Glücklicheren schlägt, ist ein heiliges edles Naturgesetz.«

»Dein Naturgesetz zerstört aber das Familienleben,« erwiederte Eduard; »es richtet sich gegen Kirche und Staat, gegen alle Grundlagen der menschlichen Gesellschaft.«

»So ändert diese,« rief Richard, »denn sie taugen Nichts.«

»Ich würde Dir rathen, mit Abschließung Deiner zukünftigen Ehe so lange zu warten, bis diese Aenderung stattgefunden hat,« fuhr Eduard spottend fort.

»Dein Rath ist gut,« sagte Richard, »wir wollen es überlegen. Laßt uns jetzt gehen und unseren reizenden Freundinnen im Saale unsere verspäteten Glückwünsche darbringen.«

»Wünschen wir Jeder einen Mann, wie Du bist,« rief der Sohn des Präsidenten.

»Damit könnten sie wahrhaftig zufrieden sein,« versetzte der junge Mann sich aufrichtend.

»Stolz will ich meine Spanier,« lachte der Bruder der schönen Johanna.

»Spotte wie Du willst, ich werde diesen Stolz zu rechtfertigen wissen,« erwiederte Richard mit erhitzter Stimme.

»Aber,« sagte Aurel, der schweigend zugehört hatte, »könntest Du mit glühender Liebe im Herzen wirklich einem Weibe entsagen, die Du anbetest, wenn sie einen Anderen fände, der ihr besser gefiele?«

»Du bist ein ehrlicher Junge, Aurel,« erwiederte Richard, ihm die Hand reichend, »doch ich schwöre Dir, daß ich nie ein Weib bis zur Anbetung lieben werde; sollten aber die Götter mich dennoch so strafen, so sei überzeugt, ahnte ich nur, daß ein Anderer ihr Herz besäße, ich würde meine Anbetung ausreißen mit der Wurzel und ihr die Freiheit schenken, noch ehe sie darum bäte.«

»Aber wirst Du immer so denken?« fragte Aurel.

»So denken und so handeln,« sagte Richard. »Nimm mein Wort, sollte es je geschehen, so wirst Du erfahren, daß ich nie gesäumt habe, diesen Schwur zu halten.«

Hier endete das Gespräch der drei jungen Männer, denn sie wurden gesucht, entdeckt, in den Saal geführt und ausgescholten.

Die schöne Tochter des Präsidenten empfing ihren nachlässigen Verehrer mit stolzen zürnenden Blicken, aber Richard wußte diese bald zu verscheuchen. Nach einigen Minuten sah Aurel, der mit seinem Freunde Eduard in ihrer Nähe geblieben war, in Johanna's Augen eine zärtliche Vergebung glänzen; an Richard's Arme trat sie in die Reihe der Tänzer, und Beide schwebten lächelnd und beglückt bei ihnen vorüber.

»Ich glaube,« sagte er zu seinem Nachbar, »Richard hat in diesem Augenblick vergessen, was er uns mit so vielem Pathos zum Besten gab.«

»Wer wird ihm glauben?« erwiederte Eduard. »Er gefällt sich in Rodomontaden, ein Verächter der Ehe zu sein; doch ehe dies Jahr in's Land geht, wird er den Ring am Finger haben.«

»Aber wird er mit dem Ringe auch bekehrt werden?« fragte Aurel.

»Dafür muß die sorgen, welche seine Bekehrung übernehmen wird. Doch ich denke, sie ist ganz dazu geschaffen.«

Er wendete sich zu Aurel, faßte dessen Arm und ging mit ihm den Saal hinunter, während seine Augen das tanzende Paar verfolgten. –

»Du erräthst, Aurel, wen ich meine?« fuhr er fort.

»Deine Schwester,« sagte dieser.

»Höre, lieber Aurel,« rief Eduard, ihm die Hand drückend, »wahrhaftig, ich hätte sie Dir lieber gegönnt, als ihm, aber Du mußt Dich trösten. Das Schicksal in Gestalt eines Mädchenwillens hat es anders beschlossen, und wenn ich Alles recht bedenke, muß ich sagen, Johanna paßt besser für ihn, wie sie Dich beglückt haben würde.«

»Ich zweifle nicht daran,« erwiederte der junge Mann, »und Niemand kann aufrichtiger Beider Glück wünschen, als ich.«

»Das weiß ich,« sagte sein Freund. »Du bist zu verständig und gut, um die Verhältnisse nicht richtig zu würdigen, und ein zu edler Charakter, um Dein Schicksal nicht mit Würde zu tragen.«

»In der That,« versetzte Aurel lächelnd, »Du hältst mein Geschick für härter und mich für besser, als wir Beide sind. – Deine Schwester ist zu schön und liebenswürdig, um mich gleichgiltig zu lassen. Ich habe ihr meine Huldigungen dargebracht, so gut wie Richard und mancher Andere, aber ich habe früh genug bemerkt, wer von uns bevorzugt wurde, und meine Neigungen zu beherrschen gewußt. – Was Du mir jetzt mittheilst, ist daher für mich weder neu noch erschreckend. Es erregt keinen Schmerz in mir, denn ich habe mich längst mit den Empfindlichkeiten verletzter Eigenliebe abgefunden.«

»Nun um so besser,« rief Eduard, ein wenig ungläubig, aber mit Herzlichkeit, »so darf ich nicht fürchten, Dir wehe zu thun, und kann um so vertraulicher mit Dir sprechen. – Johanna liebt Richard bis zur Thorheit, die ich ihr nie zugetraut hätte. Sie ist, wie Du weißt, ein verzogenes launenvolles Püppchen, voller Capricen, aber voll Geist, Talent, Lebendigkeit und Lebensfrische. – Solch' ein Weib muß Richard haben. – Er ist in seiner Art dasselbe, eben so beweglich, so heftig angeregt, so voller Widersprüche.«

»Und Du meinst, diese Gleichheit der Charaktere mache sie passend?«

»Gleiches und Ungleiches ziehen sich nicht an,« sagte Eduard. »Sie werden sich täuschen, viel erzürnen und eben so oft versöhnen, werden sich zanken, um sich inniger zu lieben, werden sich abstoßen und sich um so stärker fesseln, und am glücklichsten sein, wenn es am heftigsten hergeht. Regen und Sonnenschein wild durcheinander.«

»Richard hat sich Euch also erklärt?« sagte Aurel nach einem kurzen Schweigen.

»Was bedarf es da der Erklärung?' fuhr Eduard fort. »Wenn er mir in diesem Augenblicke sagte: ich hasse Deine Schwester, sie ist unerträglich, so würde ich lachen, denn ich wäre ganz sicher, daß er in der nächsten Stunde mir betheuerte, sie sei ein Engel, ohne den er nicht leben könne. – Ich habe ein Paar Mal schon solche Scenen erlebt. Mein Vater, meine Mutter, wir Alle wissen, was wir davon zu halten haben. Es ist eine Liebeskomödie, deren Komik ein Theaterdichter benutzen könnte, wenn sie nicht schon so oft benutzt wäre.«

»Und Dein Vater ist mit dieser Heirath völlig einverstanden?«

»Warum sollte er nicht? – Der einzige Anstoß lag bisher in Richard's Verhältnissen, obwohl kein wesentlicher, denn mein Vater hätte Johanna ausgestattet, Du weißt ja, wie zärtlich er sie liebt. Jetzt ist Richard reich geworden, allem Anschein nach sehr reich, die Partie daher eine vortheilhafte nach dem Urtheile der Welt. Kurz, sie passen vollkommen, kein Mensch zweifelt daran, am wenigsten mein Vater.«

»Ich würde ihm meine Tochter nicht geben,« sagte Aurel nach einem schweigenden Bedenken.

»Nicht? Und warum nicht?«

»Du hörtest selbst, wie er über Leben und Ehe denkt.«

»Du siehst aber, wie er handelt,« erwiederte Eduard.

»Er besitzt viele vorzügliche Eigenschaften,« fuhr Aurel fort, »aber ist leichtsinnig, genußsüchtig und unbeständig.«

»Schweig, mein armer Aurel,« rief Eduard lachend, »man möchte sonst meinen, Du wolltest einen glücklichen Nebenbuhler verkleinern. – Du reisest, morgen er auch. Wenn wir uns wiedersehen, wird Dein Unglaube zerstoben sein. In der Mitternachtsstunde über drei Jahre laß uns dies abgebrochene Gespräch von Neuem anknüpfen.«

Er ging davon und ließ Aurel allein, der nach einiger Zeit durch die Nebenzimmer irrte und plötzlich vor Richard und Johanna stand, welche im lebhaften vertrauten Gespräche auf einem der kleinen Ecksophas des einsamen Gemachs saßen.

»Sieh' da, Aurel,« rief Richard ihm entgegen. »Du kommst zur gelegenen Zeit, um mich vertheidigen zu helfen gegen Vorwürfe, die ich nicht verdiene.«

»Schweigen Sie, Richard,« sagte das Fräulein. »Ich will, daß Sie schweigen.«

»Mit Ihrer Erlaubniß, nein, meine schöne Cousine,« erwiederte der junge Mann mit derselben Bestimmtheit, »ich will mich nicht verdammen lassen, ohne gehört zu werden, und verabscheue alle Tyrannei, selbst die der liebenswürdigsten Herrscherin. – Sage ihr, Aurel,« fuhr er fort, indem er die junge Dame festhielt, »ob wir bei unserem mitternächtlichen Alleinsein irgend ein Wort über meine, Deine oder irgend eines andern Wesens Verhältnisse, Zukunft oder Geheimnisse gesprochen haben; sage ihr, ob ich so kühn oder so unverschämt war, mich zu rühmen.«

»Nun wahrhaftig,« rief die junge Dame ihn unterbrechend und zurückstoßend, »waren Sie es nicht, so sind Sie es jetzt dafür im höchsten Maße. Ich kenne Ihre Anmaßungen und Ihre Eitelkeit mehr wie zu gut.«

Einen Augenblick schien Richard über diese Heftigkeit in Zorn zu gerathen, denn eine dunkle Röthe bedeckte sein Gesicht, aber in der nächsten Minute glätteten sich seine Züge wieder, und mit lachender Ruhe sagte er:

»Diese Unverschämtheit wird Sie nicht lange mehr betrüben, Johanna. Morgen in der Frühe reise ich.«

»Ein wahres Glück für mich, doch Sie werden wiederkommen mit derselben unleidlichen Anmaßung.«

»Ich hoffe mich zu bessern und zu bekehren,« sagte er. »Reichen Sie mir die Hand zum Abschiede, Cousine, und nehmen Sie mein Wort zum Pfande, daß ich Reue empfinde und dieser Strafe immer gedenken will.«

Er kniete vor ihr nieder und küßte ihre Hände, während sie, zwischen Zürnen und Vergeben schwankend, sich dieser Huldigung entziehen wollte.

»Stehen Sie auf, Richard,« rief sie endlich, als die Verzeihung siegte.

»Nein,« sagte der Knieende. »Komm her, Aurel, kniee nieder und nimm Abschied wie ich von der reizenden Göttin dieses Hauses. Mit ihrem Segen ausgerüstet wollen wir in die Welt pilgern.«

Aurel kniete nieder, und Beide hielten die Hände der schönen jungen Dame, die endlich nach vergeblichem Sträuben in froher Laune dem Scherze sich hingab.

»In Gottes Namen denn,« rief sie, »so nehmt Beide meinen Segen. Zieht in die Welt als meine Ritter gen Süden und Norden und kehrt zurück als Sieger über alle Feinde. – Als meine Getreuen sollt Ihr mich beschützen; mein Ruhm sei der Eure, mein Gebet soll Euch geweihet sein. Schwört mir Gehorsam und ewige Unterthänigkeit. Nie sollt Ihr meinem Willen widersprechen, nie Euch weigern, ihn zu vollziehen. – Schwört!«

»Wir schwören,« riefen die beiden jungen Männer lachend.

»Gut,« fuhr die junge Dame mit leuchtenden Augen fort, indem sie sich zu ihnen neigte und Richard's Kopf mit ihrer Hand niederdrückte. »So nehmt meine Gnade mit Euch; die Zeit meiner Herrschaft soll beginnen, wenn wir uns wiedersehen.«

Die beiden neuen Vasallen standen auf, aber Aurel fühlte wohl, wem eigentlich der Scherz gegolten hatte. Johannens triumphirende Blicke ruhten auf Richard, dem sie spöttisch und mit verliebter Schalkheit zunickte, mit ihm das bezügliche Gespräch weiter führte und im Voraus ihm die Proben ankündigte, auf welche sein unbedingter Gehorsam gestellt werden sollte.

Endlich kehrten sie in den Ballsaal zurück, verloren in den lustigsten Neckereien, und fast unbeachtet entfernte sich Aurel, um die wenigen Stunden, welche ihm blieben, den letzten Vorbereitungen zur Abreise zu widmen. –

In seinem einsamen Zimmer hörte er noch die fernen Töne der Musik, und als er seufzend seine heiße Stirn in seine kalten, leblosen Hände drückte, sah er Richard vor Johanna knieen, ihre Arme ihn umschlingen, ihre Lippen Liebesschwüre flüstern, die von ihren Küssen unterbrochen wurden. –

Mit Ungeduld erwartete er den Morgen und den Wagen, und noch brannten die Lichter im Hause des Präsidenten, als er den letzten Blick auf die hohen Fenster warf und ein leises: »Lebe wohl, Johanna!« murmelte.


II.

Drei Jahre gingen vorüber, und während dieser ganzen langen Zeit hörte Aurel Nichts von den entfernten Freunden. Sein Onkel schickte ihn nach einiger Zeit, als er die Güter, welche er verwaltete, verkauft hatte, nach Schweden hinüber, wo er Antheil an großen Eisenwerken besaß, und der grämliche Mann hatte wichtigere Geschäfte abzuthun, als sich um das Haus des Präsidenten und um dessen Familienangelegenheiten zu bekümmern.

Vielleicht aber hatte der trockene Handelsherr auch seine Gründe, warum er keine Silbe von der Familie Corbin erwähnte, deren Sitten und Gesellschaftskreise ihm nie gefallen hatten. Er war alt, kränkelte, war mißtrauisch und geizig und betrachtete das gastfreie Nachbarhaus als Verderben für seinen Neffen, der dort Gelegenheit finde, böse Beispiele zu sehen. –

Selten war er selbst dort gesehen worden; als Aurel aber fort war, ließ er sich nie mehr blicken, worüber die Corbin's nicht böse wurden; denn seine Gesellschaft war in keiner Weise erfreulich, und seine plebejischen Gewohnheiten mit den Sitten der reichen Familie schwer zu vereinbaren.

Er saß zu Hause, trank Halbbier, wickelte seinen dürren Leib in den schmutzigen Schlafrock, gewöhnte sich das Tabakrauchen ab, weil es zu viel kostete, und rechnete dafür um so eifriger in seinen großen Büchern, während Aurel in den Einöden des hohen Nordens oft von Sehnsucht nach der Heimath geplagt wurde, die er vergebens abzuschütteln strebte. Immer hoffte er auf Nachrichten von einem der Freunde, aber die Winter und die Sommer vergingen – seine Briefe blieben ohne Antwort, und als die Zeit sich nahte, wo das Versprechen der Drei, sich wieder zusammenzufinden, erfüllt werden sollte, fühlte er nur geringes Verlangen darnach.

Sie haben mich vergessen in ihrem Glücke, sagte er, und was würde ich finden, wenn ich wirklich mein Wort erfüllte? Richard und Johanna in kriegerischer Ehe, oder diesen Leichtsinnigen bekehrt und zu den Füßen seiner Gebieterin. Gleichviel, ich sehne mich nicht, weder seinen Triumph, noch seine Niederlage zu schauen, und bleibe hier, schon darum, weil ich nicht fort kann.

Aber er blieb nicht, denn als der Winter schon den Schnee hoch aufgehäuft hatte, empfing er einen Brief, der ihn plötzlich bewog, die Reise nach Hause trotz aller Hindernisse sofort anzutreten. Sein Onkel war todt. Man hatte ihn eines Morgens als Leiche an seinem Schreibepulte sitzend gefunden. Sein Nachlaß war versiegelt worden, die richterlichen Behörden hatten Haus und Wohnung geschlossen; jetzt forderten sie den Erben zur Rückkehr auf, und dieser reiste mit solcher Eile Tag und Nacht, daß er wirklich am Sylvesterabend, als die Uhr fast die Mitternachtsstunde zeigte, durch das Thor der Stadt fuhr, wo er in einem Gasthofe vorläufig sein Unterkommen suchte.

Was Aurel zu dieser Anstrengung aller Mittel trieb, um sein Wort zu erfüllen, leugnete er sich selbst ab, als er sein Ziel erreicht hatte und nun in die Straße hinausstarrte, an deren Ende das Haus des Präsidenten lag. Auf seinem langen Wege hatte er sich zahllose Vorstellungen von den Verhältnissen gemacht, die er treffen, und von der Ueberraschung, welche sein plötzliches Erscheinen verbreiten würde. Eitelkeit regte sich in seiner Brust dabei, denn der Tod seines Onkels hatte ihn reich und unabhängig gemacht.

Er betrachtete seine Gestalt im Spiegel. Er war jung, die drei Jahre hatten ihn zum Manne gereift und seine Kraft wie alle seine körperlichen Vorzüge vortheilhaft entwickelt. Seine Augen hefteten sich prüfend auf seine Züge, und mit geheimem Beifalle hörte er eine Stimme flüstern, die ihm sagte, daß er dreist es wagen dürfe, neben Richard hinzutreten. Ein rachsüchtiges Verlangen erfüllte ihn zuweilen bei dem Gedanken, daß Johanna nicht glücklich sein möge, und wie der bittere Stahl der Reue sich in ihre Brust bohren würde, wenn sie ihn jetzt wiedersähe. Er malte sich Tage der Vergeltung aus, die mit ihren Triumphen ihm sein früheres Leid bezahlten, aber auch den Beweis führten, daß die Neigung, welche er einst empfunden und, wie er wähnte, längst getödtet hatte, noch immer in ihm fortlebte und seinen Träumen Nahrung gab. –

Bald genug kehrten sie ihren Stachel gegen ihn selbst. Er fragte sich, was geschehen sein würde, wenn er vor drei Jahren wie jetzt vor Johanna getreten wäre, und er bildete sich ein, daß er dann ein glücklicheres Loos gezogen haben würde. Was nützte es ihm, jetzt reich und frei zu sein? Was half es ihm, wenn er die Frau, welche er geliebt, jetzt an der Seite ihres Gatten ein freudenloses Leben führen sah, und wenn sie glücklich war, dann um so schlimmer. Er fühlte sich unfähig, ein Zeuge dieses Glückes zu sein, und doch war er edel genug, ihr es zu wünschen; ja, er würde kein Opfer gescheut haben, wenn Opfer schöneres Glück begründen konnten.

Lange ging er in seinem Zimmer auf und ab, ohne sich einen Entschluß abzuringen. Er wagte es nicht, die Leute im Hause nach dem Präsidenten zu fragen und Erkundigungen einzuziehen, denn er fürchtete sich vor den Antworten, welche zu hören er gewiß war. Der Präsident gab seit langen Zeiten am letzten Tage des Jahres einen Ball; so war es ohne Zweifel auch dies Mal, und Aurel sah vor seinen Augen das Fest, welchem er so oft selbst beigewohnt hatte. Er sah die Tänzer, sah seine Freunde, sie waren sämmtlich gekommen, und er durfte hinblicken, wohin er wollte, er fand bekannte Gestalten, die ihn fragend, verwundert, erfreut oder mißbilligend und spöttisch anblickten. –

Dann erinnerte er sich daß drei Jahre vergangen waren, ohne daß sich einer dieser Menschen um ihn gekümmert hatte, und ein bitteres Gefühl der Verlassenheit füllte seine Brust. Haß stieg brennend darin auf, als seine lebhaft erregte Phantasie ihm das Bild des Mannes aufzauberte, der ihm am wehsten gethan hatte. –

Richard war immer ein Gegenstand der wechselndsten Gefühle für ihn gewesen. Bald bewunderte er seine ritterlichen, kühnen und edlen Eigenschaften, seinen Muth, seinen stolzen Sinn, seinen beweglichen empfänglichen Geist, bald wieder stießen ihn die anmaßenden absprechenden Formen, die Heftigkeit dieses Charakters und die Zügellosigkeit seiner Behauptungen zurück. Aurel empfand zuweilen einen eben so heftigen Widerwillen vor ihm, wie er ihn zu anderen Zeiten mit warmer Hingebung liebte, und selbst als eifersüchtige Schmerzen sein Herz zerrissen, war dieses Widerspiel der Gefühle nur heftiger dadurch geworden. Haß und Liebe wuchsen unter den Dornen, die ihm sein fruchtloses Hoffen brachten, und eben so oft, wie er das Herz seines Nebenbuhlers mit Freuden durchbohrt hätte, stand er still und demüthig an dessen Seite und reichte ihm mit zärtlichen Freundschaftsblicken die Hand, fest überzeugt, daß dieser schöne, großmüthige, mit so vielen Vorzügen begabte Mensch weit würdiger sei als er, geliebt zu werden. –

Und in dieser Stunde voll Erinnerungen trat plötzlich Richard vor ihn hin. Er sah seine hohe Gestalt, die alle Andern überragte. Das glänzend dunkle Haar umschattete sein scharfgeschnittenes Gesicht, mit großen feurigen Augen sah er ihn starr und drohend an. Ein kurzer Ueberwurf von dunklem Zeuge, in welchen er den Körper gewickelt hatte, hing auf seinen Schultern, sein Hut mit breiten Krempen saß auf seinem Kopfe, der sich darunter halb versteckte; so stand er eine Minute, dann streckte er die Hand aus und klopfte leise auf Aurel's Schulter. ›Es ist Zeit, Aurel, was zögern wir?‹ sagte er mit seiner tiefen melodischen Stimme, die dem Träumenden so wohl bekannt war.

Aurel öffnete die Augen bestürzt und nachdenkend, dann riß er die Uhr aus der Tasche, es war eine Viertelstunde vor Mitternacht.

»Es ist Zeit!« rief Aurel, »er mahnt mich daran, und nicht vergebens soll mir ein Spiel meiner Einbildung sagen, daß ich hier bin, um ohne Furcht den Lebendigen entgegenzutreten.«

Er warf den Mantel um und ging. Die Nacht war kalt; blendender, frischgefallener Schnee knirschte unter seinen Füßen. Die Sterne funkelten vom Himmel, der dunkel und hoch seinen unerreichbaren Bogen ausspannte. – Mit raschen Schritten ging Aurel die Straße hinab, verfolgt von den neugierigen Blicken des Thürhüters, der darüber nachsann, wohin der fremde Herr wohl mitten in der Nacht wollte. –

Manche Fenster glänzten vom Lichtscheine, frohe Stimmen ließen sich hören, das Neujahr wurde in vielen Familienkreisen gefeiert; aber erstaunt hielt der Gebende plötzlich ein, denn vor ihm lag das Haus des Präsidenten mit dunklen Fensterreihen, todt und öde, die Vorhänge dicht herabgezogen, der matte Glanz der Sterne darüber hinzuckend und die finstern Schleier lüftend. – Nur in dem einen Eckzimmer, wo vor drei Jahren um diese Stunde der Bund ewiger Freundschaft geschlossen wurde, schimmerte Licht hinter den Scheiben, doch war sein Glanz so matt, daß Aurel, der es unverwandt betrachtete, wenig Beruhigung gegen die trüben Vorstellungen fand, welche ihn ängstigten.

»Was kann geschehen sein, um diese auffallende Veränderung zu erklären?« sagte er, indem er der Thüre zuschritt. »Vielleicht ist es Nichts. Sie sind auf einem Feste aus und haben das Haus allein gelassen. Vielleicht giebt Richard heute eine glänzende Gesellschaft, und hier,« fügte er hinzu, indem er die Thüre öffnete, »nimmt man sich nicht die Mühe, wie es scheint, die leeren Räume zu verschließen.«

Die Doppellampe in ihrer schwankenden Glaskrone warf ihren Schein über Vorhalle und Treppe, aber Niemand ließ sich blicken.

»Das ist doch seltsam!« rief der junge Mann, welcher die Stufen hinaufstieg und den wohlbekannten Weg über den Corridor einschlug, der ihn zu dem Flügel des Gebäudes brachte, von wo das Licht schimmerte. –

Niemand hielt ihn auf. Er ging durch die ganze Zimmerreihe, tappte in der Dunkelheit nach den Ausgängen und stand endlich vor der letzten Thüre mit klopfendem Herzen still, auf den dumpfen Ton lauschend, der zu ihm herausdrang. – Es war, als murmelte drinnen eine Stimme bald leisere, bald heftigere Worte, dann hörte er Gläser klingen, endlich ein lautes Lachen, aber vergebens strengte Aurel sich an, zu verstehen, was drinnen gesprochen wurde, und an dem Tone der Rede zu erkennen, wer die waren, welche hier beisammen saßen. –

Die schweren und gemessenen Schritte eines Mannes, der langsam auf und ab ging, blieben zuletzt das Einzige, was er vernahm. Eine ungeheure Angst ergriff ihn und drängte sein Blut in den Kopf zusammen. Mit zitternder Hand suchte er den Drücker der Thüre, die sich leise und geräuschlos in ihren Angeln drehte, als er sie öffnete, und eben dröhnte der erste Schlag der Mitternachtsstunde scharf klingend von dem nahen Thurme, als er bewegungslos auf der Schwelle stand.

Sein rascher Blick durch flog das stille Gemach. Da stand der Tisch, an welchem er vor drei Jahren gesessen hatte; die Bowle mitten auf der Platte, drei Gläser neben ihr. Zwei davon waren bis zum Rande gefüllt, das dritte leer und umgekehrt, und eben wendete sich der einsame Trinker vom Fenster zurück, seine Hände über die Brust gekreuzt, finstere Falten auf seiner Stirne, die sich plötzlich glättete, als er nach einem Augenblicke der Ueberraschung den Freund erkannte.

»Aurel!« rief er, »so hatte ich mich doch nicht getäuscht, wenn ich Dich erwartete. Freilich kaum mehr in dieser letzten Minute des Jahres,« fuhr er, ihn umarmend, fort, »aber seit Wochen und Tagen schon, denn ich wußte, Du mußtest kommen, um das Erbe Deines sparsamen vortrefflichen Oheims in Empfang zu nehmen. Da Du nun immer ein Freund der Romantik warst, so glaubte ich bestimmt, Du würdest den Sylvesterabend nicht versäumen, und ich bereitete die Bowle, ich stellte die Gläser hin, füllte sie, und erwartete Dich mit Geduld und Ungeduld, endlich meine eigenen Träumereien verspottend und auf meine Hand allein zechend und Dir zürnend, bis ich sehe, daß meine Prophetengabe mich dennoch nicht betrogen hat.«

Aurel war unangenehm betroffen von dieser Art des Empfanges, den er nicht erwartet hatte. Er sah den Mann an, der so zu ihm redete, und konnte nicht zweifeln, es war Eduard, der Sohn des Präsidenten, aber er hatte sich nicht zu seinem Vortheile verändert. Eine ernste Geschäftsmiene hatte sich seinem jugendlichen Gesichte aufgeprägt, sein Haar war dünn geworden, sein kalter Spott über den Traum der Freundschaft, den er vor drei Jahren noch träumen konnte, zeigte deutlich, daß die Begeisterung der Jugend sich von ihm abgestreift hatte.

»Du hast Dich nicht getäuscht,« sagte Aurel, »ich bin Tag und Nacht gereist, um noch vor Mitternacht bei Dir zu sein oder bei Euch,« fügte er mit erhöhter Stimme hinzu, »denn ich glaubte nicht, Dich allein zu finden. Wo ist Richard?«

»Richard!« rief der Sohn des Präsidenten, »davon nachher. Erst setze Dich, nimm Dein Glas und laß uns trinken auf Dein neues Glück. Du wirst beneidet von der ganzen Welt. Dein Onkel hat für Dich gespart und gegeizt, Du wirst ein großes Vermögen finden. Ich habe Gelegenheit gehabt, in meiner amtlichen Stellung Etwas über den Nachlaß zu hören, der vielleicht selbst Deine Erwartungen übertrifft, und ich rathe Dir nun, dies Glück zu benutzen und Dein Leben in bester Weise zu genießen. Du wirst doch auf keinen Fall den Schacher des alten Mannes fortsetzen wollen. Zieh in die Hauptstadt, weit weg von diesem einseitigen Handelsplatze, und laß uns dort unsere Freundschaft erneuern. Ich sowohl wie meine Familie werden Dich gern bei uns sehen.«

»Deine Familie?« fragte Aurel. »Dein Vater ist also dort?«

»Mein Vater?!« antwortete Eduard verwundert. »Weißt Du denn nicht, daß mein Vater seit länger als einem Jahre Deinem Onkel in die ewige Heimath vorangegangen ist?«

»Ich weiß Nichts,« erwiederte Aurel, bewegt von dieser Nachricht. »Darum also ist dies Haus so öde und dunkel.«

»Man hat Dir, wie es scheint, gar keine Mittheilungen über uns gemacht,« fuhr Eduard fort, »und ich selbst, gedrängt von Geschäften, verwirrt von traurigen Erlebnissen und froh, mich ihrer nicht erinnern zu dürfen, habe es unterlassen. Mein Vater ist todt, ich bin als Ministerialrath in der Hauptstadt angestellt. Daß Du mich hier findest, ist halb und halb Sache des Zufalls. Ich kam, um meine Mutter und Schwester bei ihrer Uebersiedelung in mein Haus zu begleiten, alle nöthigen Einleitungen über den Verkauf unseres Eigenthums zu treffen, den Transport der Sachen, und was weiter Frauen schwer fällt, zu bewirken, sonst hättest Du ein leeres Nest getroffen. Morgen reisen wir oder übermorgen, denn ich möchte wohl Dir zur Liebe noch einen Tag bleiben, und Johanna wird sich auch freuen, Dich wiederzusehen.«

»Deine Schwester?« sagte Aurel zögernd. »Ich bin erschrocken über Deine Mittheilungen. Sie ist hier allein – bei Deiner Mutter und Richard? Er ist nicht in ihrer Nähe? Nicht mit ihr vermählt?«

»Mit ihr vermählt!« rief Eduard finster blickend und mit harter Stimme, »was sagst Du da? – Nein, nie! Aber Du kannst es nicht wissen, Aurel,« fuhr er milder fort, »weil Du nicht weißt, was sich hier zugetragen hat, und doch – o, ich erinnere mich jetzt eben der Worte, die Du an jenem Abende sprachst, wie Du mich vor ihm warntest. Du kanntest diesen Elenden besser, wie ich und wie wir Alle, der meinen Vater in's Grab gebracht und meiner Schwester Lebensglück und Gesundheit für immer zerstörte.«

Aurel stand betäubt von dem, was er hörte. Eduard legte die Hand auf seine Schulter und deutete auf den Platz, welchen Richard an jenem Abende einnahm.

»Erinnerst Du Dich,« sagte er, »seiner Worte über Liebe und Ehe, die er damals sprach? Ich nahm sie als eine seiner gewöhnlichen übermüthigen Prahlereien, Du nanntest sie schlechte, leichtsinnige Grundsätze, welche der Wein, der zur Wahrheit treibt, an den Tag brachte. Du hattest nur zu sehr Recht. – Er wollte einen Tag später reisen als Du, aber nach jenem Balle am Sylvesterabende war er heimlich ohne Abschied auf und davon gegangen, selbst ohne durch Brief oder Karte Lebewohl zu sagen. Dieses Benehmen war auffallend, doch wir hielten es für eine seiner genialen Narrheiten. Er hatte an jenem Abende mit Johanna sich, wie gewöhnlich, gestritten und versöhnt, und Nichts berechtigte zu der Vermuthung, daß er planmäßig sie für immer verlassen wollte. – Was soll ich Dir weiter sagen?« fuhr er fort. »Wochen und Monate vergingen, ohne daß wir Nachricht empfingen. Johanna's Zorn, Angst und Gram überstiegen alle Grenzen. Eine Gemüthskrankheit setzte sich fest; mein Vater, dessen Liebling sie war, verfiel sichtlich unter seinem Kummer, und so gingen die Zeiten hin bis auf diese Stunde.«

»Aber Er?« rief Aurel mit Heftigkeit. »Er gab nie wieder eine Nachricht?«

»Nie,« erwiederte Eduard.

»Und Du, Ihr Alle, einer suchte ihn auf?«

»Was muthest Du mir zu?« versetzte Herr von Corbin stolz. »Sollte ich diesem Menschen Vorwürfe machen, ihm meine Schwester an den Hals werfen und um Liebe für sie bitten?! Ich hörte, daß er lebe, erfuhr, daß er sein ererbtes Vermögen in Paris verschwende, daß er in jeder Beziehung die Grundsätze wahr mache, welche er uns vortrug; was konnte ich weiter thun, als ihn verachten und vergessen! – Hätte Johanna dies wie ich gekonnt,« sagte er mit gefalteter Stirn, so war Nichts verloren, aber sie vergißt nicht, und dies schreckliche Gedächtniß, diese Narrheit, möchte ich sagen, welche eine Teufelshand in ihr Gehirn gebrannt hat, ist der Quell unsäglichen Kummers geworden.«

»Er schwelgt also noch in Paris, ohne einen Gedanken an die Vergangenheit?« sagte Aurel nach einer trüben Pause.

»O nein,« erwiederte Eduard, »Du wirst es kaum glauben, aber seit einem halben Jahre ist er zurückgekehrt und lebt in der Hauptstadt. Die französische Luft behagte ihm nicht mehr, er sehnte sich nach Deutschland und erschien plötzlich mitten unter uns. Denke Dir, daß er die Frechheit hatte, sich mir nähern zu wollen, mit so unbefangener Miene, als sei Nichts zwischen uns vorgefallen.«

»Und dorthin willst Du jetzt Deine Schwester führen?« fragte Aurel erstaunt.

»Mein Wille war es nicht,« entgegnete Corbin, »ich hinderte es bis jetzt, aber meine Mutter, durch Johanna getrieben, besteht darauf. Vergebens habe ich endlich, gedrängt von den Umständen, ihnen mitgetheilt, daß sie gefaßt sein müßten, den Gegenstand ihres Hasses zu sehen, der kaum zu vermeiden ist. Doch es half mir Nichts, ja im Gegentheile, Johanna scheint wie Kinder, die sich vor Gespenstern fürchten und doch mit geheimer Sehnsucht Gespenstergeschichten hören, nach seinem Anblicke zu verlangen. Ich glaube beinahe,« sagte er, »daß sie durch irgend eine klatschhafte Freundin eher Etwas und mehr von ihm erfuhr, als ich wußte, und daß hierin der Grund ihrer Wünsche liegt, den Aufenthalt zu wechseln, um mit eigenen Augen den Verräther zu beobachten.«

»Dann haßt sie ihn nicht, nein, sie liebt ihn noch immer!« rief Aurel, und der heftige Ton, mit welchem er sprach, bezeugte seine Theilnahme. –

Eduard stützte den Kopf in seine Hand und blickte düster vor sich nieder; noch ehe er aber eine Antwort geben konnte, sagte eine klingende Stimme, die aus der Tiefe des Zimmers kam, ein festes bestimmtes: »Nein!«

Diese plötzliche Unterbrechung hatte etwas geisterhaft Ueberraschendes. Die tiefe Stille umher, die Mitternacht, der glänzende Schein des Mondlichtes, das durch die Fenster drang und mit dem matten Lichte der Lampe auf der Diele kämpfte, Alles vermehrte das Gefühl des Unheimlichen. –

Aurel war aufgesprungen, aber er fühlte sich unfähig, eine Bewegung zu machen. Seine Blicke hingen krampfhaft an der Gestalt, die langsam von der Thüre näher schritt und ihm die Hand zum Gruße bot. –

Es war Johanna, daran zweifelte er nicht, doch obwohl er vorbereitet sein mußte, sie verändert wiederzufinden, hätte er doch nicht an eine solche erschütternde Umwandlung geglaubt. Das junge, blühende und lebhafte Mädchen stand noch immer vor seinen Erinnerungen, die mit ihrem Schmerze ihn jetzt zu ersticken drohten, denn kaum entdeckte er Spuren von dem Bilde, das der Spiegel seiner geschäftigen Einbildung ihm so treu bewahrt hatte. –

Aber die Züge ihres Gesichtes waren nicht etwa welk und faltig geworden, abgezehrt unter den Leiden eines tiefen Grames, sie hatten vielmehr den unheimlichen Ausdruck erhalten, den ein krankhaftes zerstörtes Nervenleben hervorbringt; diese eiserne Starrheit und Kälte, diese tödtliche Ruhe, welche Grauen einflößt, weil sie der Ruhe des Gletschers gleicht, der den Vulkan bedeckt, welcher darunter kocht und mit seinen Blitzen dann und wann die erstarrte Oberfläche durchbricht.

Eine tödtliche Blässe lag auf diesem schönen marmorartigen Gesichte, in welchem die großen Augen wie zwei düstere und unergründliche Sterne regungslos und empfindungslos ruhten. Das schwere schwarze Seidenkleid, welches die schlanke Gestalt umhüllte und ihr nachrauschte, trug ebensowohl wie das glänzend schwarze langfallende Haar, das in reichen Ringen zu beiden Seiten des Kopfes auf Hals und Nacken niederfiel, dazu bei, den seltsamen Eindruck ihrer Erscheinung zu erhöhen. Einige Minuten lang erlag Aurel unter dem Entsetzen des Gedankens, daß er es mit einer Wahnsinnigen zu thun habe, die ihrer Wärterin entsprungen sei und nächtlich durch die einsamen Gemächer dieses öden Hauses irre. –

Aber Eduard zeigte sich wenig überrascht und gar nicht besorgt über diese plötzliche Einmischung seiner Schwester. Er schien daran gewöhnt zu sein, sie unerwartet und in später Stunde kommen zu sehen, und erst als ihre Gesichtszüge einen Schimmer von Leben erhielten, während sie mit Aurel redete, betrachtete er sie mit erhöhter Theilnahme.

»Aurel Dahlberg,« sagte Johanna, als dieser seine heißen zuckenden Finger in ihre kalte feuchte Hand gelegt hatte, »sein Sie uns willkommen. Wir haben Sie seit mehreren Tagen vergeblich erwartet.«

»Er hat sich ungemein verändert,« fiel Herr von Corbin ein; »findest Du das nicht, Johanna?«

»Wir haben uns Alle verändert,« versetzte sie, und ihr Blick ruhte starr auf Aurel, »sehr verändert seit dem Tage, wo wir uns zum letzten Male sahen, dennoch sind wir dieselben geblieben.«

»Ich hoffe, ja,« erwiederte Aurel mit leiser Stimme.

»Ich weiß, was Sie denken,« fuhr sie fort, und ihre Augen öffneten sich weit und nahmen einen sonderbaren stieren Glanz an, während sie langsam den Kopf wandte. »Einer fehlt uns, nicht wahr? So glaubt Ihr, und doch ist er unter uns. – Ihr seht ihn nicht, aber ich sehe ihn. – Dort sitzt er auf dem Sessel, die Füße gekreuzt, die Arme über seine Brust geschlagen. Er hat den Hut in seine Stirn gedrückt und schlägt seinen schwarzen Mantel über das falsche Herz. Seine Lippen bewegen sich, er lacht. – Er sendet seinen Geist her, weil sein Körper nicht hier sein kann, und er spottet darüber. Traut ihm nicht, er betrügt Euch – Aurel, trinken Sie nicht mit ihm, fort mit dem Glase, nehmt es nicht – er vergiftet Euch.«

Sie stand mit ausgestrecktem Arme vor Aurel, der auf's Heftigste erschreckt sie festhielt, während Eduard zur Hilfe herbeisprang. Wahrscheinlich stieß Einer von ihnen an das Glas, das leer auf dem Tische stand, es fiel und zersprang in Stücke, und als die Scherben klirrend zu Boden stürzten, schallte ihnen ein Lachen nach, das gewaltsam und dumpf sich aus der Brust der Kranken preßte.

»Um Gottes Willen, Johanna,« rief ihr Bruder, »erwache aus diesen gräßlichen Träumereien. – Es ist eine Art Starrkrampf, der sie peinigt,« fuhr er zu Aurel gewendet fort. »Sie kann nicht schlafen und sieht, während ihre Glieder steif werden wie Eisen, Gestalten und Gebilde, mit denen sie Gespräche führt.«

»Ich kann mir denken,« erwiederte Aurel, »daß der heutige Tag mit seinen Erinnerungen das Uebel steigert und ihre Phantasie ausschließlich sich mit der Ursache ihrer Leiden beschäftigt.«

»So ist es leider,« sagte Eduard. »Wir müssen diesen schrecklichen Zustand der Welt verbergen, so viel es angeht, und glücklicher Weise sind die Anfälle jetzt seltener geworden.«

Er hielt den starren Körper der jungen Dame aufrecht, fast in derselben Stellung, und mit den schmerzlichsten Empfindungen betrachtete Aurel das edle zu Stein erstarrte Gesicht, während seine Thränen langsam auf ihre Hände fielen, die er vergebens zu erwärmen suchte.

»Soll ich Hilfe herbeiholen?« fragte er endlich.

»Nein, mein Freund,« erwiederte Corbin, »Niemand kann hier helfen. – Verlaß uns,« fuhr er fort, »ich werde Dich morgen aufsuchen und denke, Johanna's Zustand wird uns erlauben, Dich bei uns zu sehen. Ich bitte Dich, gehe nach Hause und erhole Dich. Gefahr ist nicht vorhanden, und Du bedarfst der Ruhe wie wir alle.«

Bei seinen letzten Worten fiel der noch immer ausgestreckte und unbeugsame Arm der Kranken langsam an ihr nieder. Sie richtete sich in ihres Bruders Armen auf, und als sei ihr Nichts geschehen, ohne Zittern der Stimme oder die Schwäche, die das Erwachen aus einer Ohnmacht begleitet, sagte sie:

»Nur noch einen Augenblick warten Sie, Aurel. Ich werde Sie morgen wieder sehen; wir haben uns Beide viel mitzutheilen, und ich freue mich darauf, Ihnen mein ganzes Vertrauen zu zeigen. – Wenn ich zu dieser späten Stunde Sie noch erschreckte, geschah es, weil ich einen Brief für Sie besitze, der heute Abend abgegeben worden ist. – Hier ist er,« fuhr sie fort, indem sie ein versiegeltes Papier aus der Tasche zog, »lesen Sie ihn, zu Hause und folgen Sie jetzt Eduard's Rath, indem Sie uns verlassen. – Bis morgen also, auf Wiedersehen!«

Der Uebergang aus dem Zustande der Starrsucht in einen anscheinend völlig gesunden war eben so blitzartig schnell, wie der zur Krankheit.

Ein Lächeln lief durch Johanna's Züge, und Aurel glaubte eine Regung freundlicher und sanfter Empfindungen darin zu erkennen, die ihren rosigen Schimmer über ihre blassen Wangen schickten, als er sich verabschiedete und seine Besorgnisse um ihr Wohl in herzlicher Weise aussprach.

Als er auf der Straße war unter dem Sternenhimmel, drang der kalte Luftstrom besänftigend in seine heiße Brust.

»Was habe ich in einer Stunde erlebt und erfahren,« rief er tief athmend, »und o wie vieles hat sich in meinem Leben und dessen Zukunft verändert.«

Er hatte nicht den Muth, sich Rechenschaft über seine Gedanken zu geben, aber ein warmes freudiges Gefühl ließ doch sein Blut schneller rollen, und die kalte Nacht schien ihm heiß, der Wind, der sein Haar mit Reif bedeckte, mild zu sein. – Sein Gesicht brannte, und vor seinen Augen glänzten die funkelnden Eiskrystalle des Schnee's wie Sonnen, die eine Welt voll glücklicher Wesen zur Freude aufwecken. –

Plötzlich fiel ihm der Brief ein, und er riß ihn aus der Tasche und suchte die Handschrift zu erkennen. Wolken, die über den Mond gingen, hinderten ihn eine Zeitlang daran, und diese Minute, wo er still stand, schien ihm eine Unendlichkeit zu sein. Das Papier glühte in seiner Hand. Endlich erkannte er die Schriftzüge, sie waren fein und zierlich, und wie erleichtert von einer schweren Last rief er:

»Also nicht von Richard, nicht von dem Menschen, den ich hasse und verachte. Fort mit ihm aus meinem Gedächtnisse; gebe der Himmel, daß er nie mir in den Weg trete.«

Er eilte nach Hause, und kaum hatte er Licht und war allein, als er den Brief von Neuem hervorzog und das Siegel aufriß und verwundert die wenigen Zeilen betrachtete, welche er auf dem glänzenden, glatten, mit einer gepreßten Rosenkante umgitterten Blatte entdeckte.

»Eine Freundin,« so lauteten die Worte, »sendet Ihnen bei der Rückkehr in's Vaterland ihren Gruß. Man erwartet Sie in der Hauptstadt, Sie werden kommen und dann der Botschaft Folge leisten, welche ich Ihnen senden werde. – Bis dahin leben Sie wohl.«

Aurel wußte nicht, was er aus diesen räthselhaften Worten machen sollte, die ihm Etwas vorschrieben, woran er nie gedacht hatte. In die Hauptstadt reisen, was sollte er dort? Leben und wohnen, wo Johanna wohnte, was hatte er davon zu erwarten? Die halbe Nacht über lag er in der Ecke des Sopha's, starrte in das verglimmende Licht oder ging mit raschen Schritten auf und nieder, ohne zu einer Lösung dieses Billets wie überhaupt zu einem Entschlusse zu kommen. –

Was ihm seine Gedanken freigebig zuwarfen, zerrann unter den Entwürfen, die sie schufen, und als er endlich müde und niedergeschlagen sich in's Bett warf, hatte er nur so viel gewonnen, daß er sich vornahm, alle Täuschungen zu vermeiden, in welche ihn eine allzu lebhafte Theilnahme an der Familie Corbin stürzen konnte.

 

Am nächsten Morgen in der Frühe erhielt er eine Nachricht von Eduard. Der Regierungsrath schrieb ihm, daß seine Schwester heute von ihrem Unwohlsein völlig hergestellt sei und seine Mutter ihn bitten lasse, zu Mittag ihr Gast sein zu wollen.

»Meine Geschäfte,« hatte Eduard hinzugefügt, »erlauben mir nicht, Dich vorher schon zu sehen, und da Du wahrscheinlich auch dringende Besuche genug zu machen hast, so trösten wir uns mit dem Reste des Tages, den Du uns widmen mußt, da wir morgen in der Frühe reisen und uns wahrscheinlich doch so bald nicht wiedersehen.«

Der förmliche Ton dieser Einladung machte Aurel unmuthig. Er hatte mit Herzklopfen das Billet geöffnet und fand kalte Worte darin; keine Silbe über Johanna, als die Mittheilung ihres Wohlbefindens, wie man es nannte; keine einzige Andeutung, die ihn beruhigt oder angeregt hätte, und daneben die Geschäftsentschuldigung, welche die Anweisung enthielt, nicht früher zu erscheinen, als man es wünschte.

»Er ist unter seinen Akten und Amtspflichten ausgetrocknet wie ein Fakir, der sich lebendig begraben ließ,« rief der Erbe in seiner Verstimmung aus, aber er mußte einsehen, daß Eduard ganz verständig gehandelt hatte, wenn er ihn auf die unverzügliche Betreibung seiner eigenen Angelegenheiten verwies.

Den ganzen Vormittag verwandte Aurel daher auch zu Besuchen, die eine Vorbereitung zu wichtigen Geschäften waren. Er zeigte sich den Leuten, mit denen er in Verbindung treten mußte, um die Hinterlassenschaft seines Oheims in Empfang zu nehmen, und überall empfing man ihn mit der Zuvorkommenheit, die dem Erben von Reichthümern überall dargebracht wird. –

Was Eduard ihm schon gestern gesagt hatte, fand er durch Rücksprache mit einigen genau unterrichteten Personen bestätigt. Der alte Herr Dahlberg hatte mehr besessen, als man vermuthete, und ein allgemeiner Blick auf die Nachweise reichte hin, um Aurel zu versichern, daß er im Stande sei, wenn er wolle, das Leben eines reichen bequemen Müssiggängers in vollstem Maße zu genießen. –

Er fand in diesem Bewußtsein keine Freude, und die Glückwünsche, welche ihm gebracht wurden, die neugierigen Fragen und prüfenden Blicke machten ihn verlegen und einsilbig. Er war froh, als er sich endlich zurückziehen konnte, weil die Zeit heranrückte, wo er im Hause der Präsidentin erscheinen sollte, aber je näher er diesem kam, um so beklommener machte ihn die Erwartung.

Die Präsidentin war eine anspruchslose einfache Frau, deren größte Tugend stets die sorgsame Führung ihrer Häuslichkeit wie die Liebe zu ihrer Familie gewesen war. Nach dem Tode ihres Gatten, dessen Aussprüchen sie stets pünktliche Folge geleistet hatte, waren ihre Kinder Rathgeber und Leiter geworden, denen sie unbedingt die bessere Einsicht zugestand. –

Sie empfing den Jugendfreund ihres Sohnes mit mütterlicher Güte, freute sich aufrichtig seiner Rückkehr, überschüttete ihn mit guten Wünschen und führte ihn dann an der Hand in das Wohnzimmer, aus welchem Johanna ihm entgegen kam.

Aurel war freudig überrascht, als er die wohlthuende Veränderung bemerkte, welche er heute in Johanna's Gesicht und Wesen fand. Sie war blaß und schön wie gestern, aber das Starre und Unheimliche hatte einer edlen Ruhe Platz gemacht, welche jedem ihrer Züge und Bewegungen einen eigenthümlichen Reiz verlieh. –

Das schwermüthige Lächeln um die schmalen feinen Lippen fand seinen Contrast in den sanft glänzenden dunklen Augen, die mit einem unverkennbaren Ausdrucke der Freude und des Vertrauens sich auf Aurel richteten. Sie reichte ihm die Hand zur Bewillkommnung, er fand sie warm und lebensvoll, keine Todtenhand, wie in der Nacht, wo ihre Kälte ihm Entsetzen erregte, und er empfand den Druck mit einer Wonne, die ihn bis zum Zittern bewegte.

»Gott sei Dank,« rief er, die Finger an seine Lippen ziehend, »daß ich Sie wohl finde.«

»Finden Sie Johanna wirklich nicht sehr verändert?« fragte die Präsidentin.

»Anders geworden,« sagte er, »doch ich wüßte nicht, ob Klage dagegen zu erheben wäre.«

Diese schmeichelhafte Wendung brachte ihm von der Mutter einen dankenden freundlichen Blick, von der Tochter ein spöttisches Zucken ein, das um ihren schönen Mund spielte.

»Es ist wahr,« begann Frau von Corbin dann, »ich finde, daß Johanna heute besonders gut aussieht. Ach, man gewöhnt sich leicht an das Aussehen eines Gesichts, und kaum kann ich mich erinnern, daß Johanna viel mehr Farbe gehabt hätte, als jetzt; doch heute fällt es mir auf, denn es ist lebhafter, frischer und ich möchte sagen tröstender.«

»Dafür,« erwiederte Johanna, ihre Mutter umfassend und ihr zulächelnd, »ist heute auch Neujahr, wo jeder Mensch sich gelobt, alle böse Gewohnheiten abzulegen, und den Himmel anruft um Glück, Gedeihen und Erfüllung aller Wünsche. – Das habe auch ich gethan, Mutter, und vielleicht ist mir geholfen worden.«

»Gebe es Gott, mein Kind,« erwiederte die würdige Frau gerührt, »Niemand auf Erden würde dadurch glücklicher werden, wie ich. Aber,« fuhr sie freundlich fort, »ich glaube doch, daß dazu auch die Freude beigetragen hat. – Sie können nicht denken, Herr Dahlberg, wie oft Johanna seit den letzten Tagen sich Ihrer erinnert, von Ihnen gesprochen und mit einer gewissen Prophetengabe Ihre nahe Ankunft uns in Voraus angekündigt hat.«

»Wirklich,« rief Aurel, »das thaten Sie?«

»Es war keine große Kunst,« sagte Johanna ohne alle Verlegenheit, »ich wußte, daß Sie kommen mußten, und war mit meinem Bruder überzeugt, daß dies, wenn irgend möglich, gestern geschehen würde. Ich freute mich Ihrer Ankunft aber im Voraus und muß meiner Mutter beipflichten, daß gewiß auch diese Freude einen Antheil hat, wenn ich heute wohler aussehe und mich wohler fühle als seit einiger Zeit.«

Die Präsidentin ging auf diese Andeutungen redselig ein, und Aurel überzeugte sich bald, daß sie von seinem nächtlichen Besuche im Hause und den Nebenumständen, welche diesen begleiteten, Nichts wußte. Ein Blick Johanna's schien ihm zu bedeuten, Nichts davon zu erwähnen, und er konnte dies um so leichter, da bald darauf einige Freunde der Familie, Eduard mit ihnen, in das Zimmer traten, was die Unterhaltung veränderte.

Die Gratulationen wechselten mit dem Bedauern über die nahe Abreise der Damen und setzten sich während des Mahles fort, wo Aurels Reisen, sein Aufenthalt in Schweden, das reiche Erbe, welches ihm so unverhofft zugefallen, und seine Zukunft Gegenstand der Unterhaltung wurden. Man drängte ihn mit Fragen über seine Entschlüsse, versorgte ihn mit Rathschlägen über das, was man an seiner Stelle thun würde, und war unermüdlich, ihm die verschiedenartigsten Mittel zum Glücke, halb scherzend, halb ernsthaft anzupreisen.

»Kaufen Sie sich ein prächtiges Gut und heirathen Sie,« sagte ein altes Fräulein. »Solch ein Leben ist allem andern vorzuziehen.«

»Nein, in der Residenz müssen Sie wohnen. Bälle, Theater, Concerte, Salons, Soiréen, das ist die Crême des Daseins,« rief eine blonde junge Dame mit feurigen Blicken.

»Reisen müssen Sie und die große Welt kennen lernen. Paris, London, die Schweiz, Italien,« fiel ein etwas abgelebter Herr ein, der sich für einen gewaltigen Meister im Reiche des guten Tons hielt.

»Bleiben Sie hier, mein junger Freund,« sprach ein geheimer Commerzienrath und Börsenmatador. »Ihr würdiger Onkel hat hier brillante Geschäfte gemacht, Sie können das auch und werden bald lernen, was besser ist, sein Geld mit Nutzen anwenden und arbeiten, oder es vergeuden und die Hände in den Schoß legen.«

»Das ist nicht meine Absicht,« sagte Aurel, »aber welcher bestimmten Richtung mein Leben sich zuneigen wird, ist für jetzt noch unentschieden. – Vor der Hand,« fuhr er fort, »bleibe ich hier, um meine Verhältnisse zu ordnen. Ich besitze liegendes Vermögen, das sich nicht leicht vortheilhaft veräußern läßt und Aufsicht bedarf. Reisen mag ich nicht, ich kenne die Welt genugsam; die Hauptstadt mit ihren Freuden lockt mich nicht so sehr, um dauernd dort mich niederzulassen. Güter zu kaufen fällt mir auch nicht ein, ich fühle keinen Beruf zum Landleben, das ich genau genug kenne. Der letzte Theil Ihrer gütigen Rathschläge aber, mich zu verheirathen, fällt wenigstens bis jetzt bei mir auf sehr dürren Boden.«

»O, Sie sind ein Verächter der Ehe, wie die meisten unserer jungen Herren,« rief das blonde Fräulein.

»Sie thun mir Unrecht,« versetzte Aurel lächelnd, »Niemand kann Familienglück höher schätzen als ich; nur, glaube ich, ist nicht so leicht dazu zu gelangen.«

»Es ist ein Lotto,« sagte der abgelebte Herr nach der Mode, der als Junggesell zu sterben geschworen hatte und spöttisch mit den Augen zwinkerte. »Bei einem Hauptgewinne liegen zehntausend Nieten.«

»Sehr galant in der That,« erwiederte das blonde Fräulein, seine Nachbarin, indem sie ihm ein höhnisches Gesicht schnitt.

»Meine Gnädigste,« rief der abgelebte Herr, mit plumper Galanterie ihre Hand küssend, »ich habe nicht gesagt, daß wir uns nicht mitten unter großen Losen befänden.«

»Bravo!« schrie der Commerzienrath dazwischen, »es fehlt uns also nicht an reizenden kostbaren Gewinnen dieser Art, und da Sie hier bleiben, Herr Dahlberg, so hoffe ich den Tag zu erleben, wo Sie von ihren Zweifeln bekehrt wurden. Ein Mann wie Sie, der so viel Glück hat, muß auch in der Liebe Glück haben. Sie sind zu schüchtern, zu bedenklich, aber das wird sich ändern. Mit dem Golde kommt das Selbstvertrauen. Wer die Taschen voll von dem werthen Metalle hat, kann dreist an jede Thüre klopfen; ich wüßte wahrhaftig nicht, wo Ihnen eine verschlossen bleiben würde!«

Der treffliche Wein des verewigten Präsidenten hatte seinen vollgemessenen Theil an der rücksichtslosen Offenherzigkeit des geheimen Commerzienrathes; da er aber selbst drei heirathsfähige Töchter zu Hause hatte, entstand das Gelächter auf seine Kosten. Die anwesenden Damen warfen sich bedeutungsvolle Blicke zu und schworen im Geheimen, diese köstliche Geschichte so schnell als möglich zu verbreiten. Sie flüsterten und lachten, und die Einzige, die still blieb, war Johanna, welche neben Aurel ihren Platz hatte, mit dem sie dann und wann einige freundliche Worte wechselte.

Als das Mahl beendet war und die Gäste sich zum Theil empfahlen, zum Theile in dem Salon den Kaffee nahmen und plaudernd zwischen den Blumentischen saßen, stand sie am Fenster und sah in die kahlen Bäume des Gartens hinaus, hinter deren zahllosen nackten Resten und Gezweig die Sonne glühend roth versank. –

Aurel trat an ihre Seite und fragte leise, worauf sie so nachsinnend ihre Blicke richte.

»Ich sehe diesen Wald von dürren Ruthen an,« erwiederte sie, »die wie abgezehrte Arme sich zum Himmel erheben. Sie klappern vor Kälte und Entsetzen und fürchten sich vor dem Feinde, der sie so heruntergebracht hat und nicht abläßt, ihre Eingeweide zu peinigen. j Mir kommt es vor, als flehten sie den Himmel um Hilfe und Erbarmen an, doch hat er kein Ohr für ihre Leiden. – Es wird eine bitter kalte Nacht werden. Sehen Sie, wie die Sonne roth glüht, sehen Sie, wie Raben und Krähen wild schreiend umherfliegen und ein verstecktes Plätzchen suchen. – Helfe sich Jeder, wie er kann, wer es nicht vermag, der erfriert, stirbt, verdirbt, gleichviel, er kann sich nicht beklagen.«

»Aber,« erwiederte Aurel sanft, »mag der Winter auch noch so hart und lang sein, der Frühling kehrt zurück und bringt neues Leben.«

»Neues Leben!« rief Johanna, und ihre Augen funkelten in zornigem Spotte. »O, vortrefflicher Tröster, hilft das etwa den Armen, die der Winter verhungern ließ oder ihnen Mark und Bein zersprengte?«

»Die Starken und Tüchtigen werden nicht zersprengt,« erwiederte er, »sie überdauern die Angriffe ihrer Feinde.«

»Sie täuschen sich, Aurel,« versetzte die junge Dame, »Ihre Philosophie ist falsch. Es giebt kein Wesen auf Erden, das nicht seinen Leiden erliegen müßte, wenn diese die rechte Stelle treffen. – Hatte Achilles die Ferse, wo er zu tödten war, und Siegfried, der Unverwundliche, einen Punkt am Körper, wo das Drachenblut seine Haut nicht gehärtet hatte, so ist kein Sterblicher, der sich rühmen könnte: ich trotze den Waffen meiner Feinde! – Das ist mein Trost,« fuhr sie fort, »es liegt eine große Beruhigung für mich darin, daß Keiner ausgenommen ist. – Aber lassen Sie uns ein wenig hinausgehen in den kalten windigen Abend. Wir haben heute Mittag Beide so viel thörichtes Geschwätz hören müssen, daß uns die Abkühlung gut thun wird.«

Sie wickelte sich in ihren großen Shawl, Aurel fand im Nebenzimmer seinen Mantel, und Beide schlüpften dann durch die Seitenthüre unbeachtet in den Garten hinaus, der in dem letzten falben Lichte des Tages schimmerte.

Mit raschen Schritten gingen sie in dem großen stillen Baumgange auf und nieder, während der röthliche Schimmer an den Schneeflächen und Baumgipfeln zerrann und in der duftigen Bläue die Sterne erschienen. – Ihr Gespräch glitt über mancherlei Gleichgiltiges, bis es endlich an der bevorstehenden Reise der Familie seinen Verknüpfungspunkt fand.

»Sie wundern sich über meinen Entschluß,« sagte Johanna, »und ich will Ihnen darüber eine Mittheilung machen, wie ich überhaupt nicht von Ihnen scheiden möchte ohne eine ausführlichere Erörterung zwischen uns.«

»Reden Sie nicht, Johanna, ich bitte Sie,« rief Aurel dringend, »bewahren Sie mir auf spätere Zeit, was Ihr Vertrauen mir zu sagen hat.«

»Fürchten Sie Nichts,« versetzte das Fräulein, indem sie ihn ruhig anblickte, »ich bin so kalt bei Dem, was ich Ihnen sagen werde, wie diese Nacht und dieser Nordwind; auch will ich kurz sein und Nichts von dem berühren, was Sie schon wissen.«

Sie ging, sich bedenkend, langsam neben dem erwartungsvollen Freunde her und sagte dann:

»Mein Bruder hat Ihnen mitgetheilt, wie Richard von uns ging, um nie wiederzukehren. Die Welt verdammt ihn darum nicht, denn wenn es auch wahr ist, daß er eine Komödie mit mir und meinem Herzen aufführte, bei der er sich als vortrefflicher Schauspieler zeigte, so hat er doch niemals sein Wort gebrochen und eine Handlung begangen, welche die Menschen ehrlos nennen; denn er gab nie sein Wort, warb nie öffentlich um mich, oder bat vielmehr meine Eltern nie um den Segen für unsere Liebe. Dennoch hat er mit raffinirter Grausamkeit, ärger wie ein Mörder, gehandelt, und vergebens würde es sein, wenn ich Ihnen verhehlen wollte, wie tief und sicher er mich getroffen hat; ein Blick auf mich würde hinreichen, meine Betheuerungen Lügen zu strafen. – Genug also davon,« fuhr sie nach einer Pause fort, »ich liebte Richard; ich hoffte, wartete, grämte mich, ich hatte die ganze entsetzliche Stufenleiter der Qualen eines verlassenen und verspotteten Herzens zu bestehen und bestand sie, bis meine Empfindungen vertrocknet waren. Dafür konnte ich gestern, als Sie meinem Bruder zuriefen: ich liebe den Verräther noch, mit voller Ueberzeugung ein Nein antworten.«

»Wenn dies der Fall ist,« sagte Aurel, »warum vergessen Sie ihn nicht, Johanna, und warum drängt es Sie von hier in die Hauptstadt, in seine Nähe, die, wie eine finstere Ahnung mir sagt, Ihnen verderblich werden muß?«

»Was könnte mir verderblich werden?« erwiederte sie verächtlich lächelnd.: »Ich würde bleiben, wenn Richard mich nicht zwänge, mein Versteck zu verlassen. Unsere Verwandten in der Hauptstadt sind auch die seinigen, unsere Freunde sind wenigstens zum Theil von ihm gewonnen. Um sein Benehmen zu rechtfertigen, hat er die Verleumdung zu Hilfe gerufen und mich als ein verwahrlostes, verkehrtes, launenhaftes und unleidliches Wesen dargestellt. O, ich weiß recht wohl, was ich war, und wozu er mich gemacht hatte, aber je mehr mein Bruder und Andere mich zu beschützen suchen, um so eifriger bemüht er sich noch jetzt, mich zum Gespött zu machen. Er hat seine geheimen Kundschafter hier, die ihm alle kleinen Vorgänge berichten müssen, und nun ist es ihm eingefallen, mich für wahnsinnig oder blödsinnig zu verrufen und schreckliche Dinge von meiner wilden Leidenschaftlichkeit zu erzählen, die ihn damals schon mit Grauen und Angst erfüllt habe.«

»Schrecklich!« rief Aurel voll Zorn. »Welche abscheuliche Schurkerei!«

»So muß ich denn mich zu reinigen suchen von seinen boshaften Beschuldigungen,« sagte das Fräulein, »muß meines Rufes und der Ruhe meiner Familie wegen diese Lügen vernichten, und wie könnte dies anders geschehen, als durch mein persönliches Erscheinen unter diesem Haufen klatschsüchtiger, neidischer, gemeiner Naturen, die so gern von ihrem Nächsten das Schlechteste glauben? Zudem ist der Aufenthalt in diesem Hause mit seinen fatalen Erinnerungen und in dieser Stadt, wo die Menschen altreichsstädtisch spießbürgerlich sind, mir von Herzen zuwider. Ich sehne mich fort, und Sie werden mir Recht geben müssen, daß ich gehe.«

»Nachdem ich Sie gehört habe,« erwiederte Aurel, »muß ich Ihnen beistimmen, obwohl ich gewünscht hätte, Sie blieben hier.«

»Das heißt,« versetzte das Fräulein lächelnd, »Sie wünschen es, weil wir Ihnen Gesellschaft leisten sollen, aber, mein Freund, denselben Wunsch richte ich an Sie und erwarte keine Erfüllung. Sie müssen uns begleiten.«

»Wenn ich es könnte, geschähe es gern,« sagte Aurel, geschmeichelt von dieser Einladung, die mit geheimen Regungen zusammen traf, »allein meine eigenen Angelegenheiten hindern mich.«

»Ich gebe Ihnen vier Wochen dazu, um sie abzuthun,« fiel Johanna ein, »und weiß, daß diese Zeit vollkommen hinreicht, dann aber fordere ich Sie zu mir und habe ein Recht auf Ihren Gehorsam. – Erinnern Sie sich,« fuhr sie fort, indem sie still stand und ihn mit angenommener, scherzhafter Hoheit betrachtete, »daß am Abende jenes Tages, der Sie von mir trennte, Sie einen Eid leisteten, der Sie zu meinem treu gehorsamen Vasallen machte? – Ich habe das nicht vergessen, mein tapferer Cavalier, und mahne Sie jetzt an die unverbrüchliche Treue, welche Sie gelobten.«

Aurel preßte entzückt ihre Hand an seine klopfende Brust und beugte sein Knie. Eine unwiderstehliche Macht lag in ihren schönen glänzenden Augen, die feurig auf ihm ruhten und ihm ein Glück zu verheißen schienen, nach welchem er als Knabe schon geschmachtet hatte.

»Alles für meine Gebieterin,« sagte er, »mögen ihre Befehle auch schwer zu erfüllen sein.«

»Sie werden also pünktlich Folge leisten?«

»Wie der Diener eines absoluten Monarchen.«

»Nun,« erwiederte Johanna, ihm einen Blick des Dankes sendend, »so lassen Sie mich noch eine Minute in dieser Rolle bleiben. – Sie haben gestern durch mich einen Brief erhalten. Was enthält er?«

»Eine sonderbare mysteriöse Einladung, in der Hauptstadt zu erscheinen, wo ich Weiteres erfahren würde. – Hier ist das Billet, lesen Sie selbst, ich werde nicht klug daraus und weiß nicht, von wem es kommt. Denn sollte Richard es dictirt haben, warum schrieb er nicht selbst – aber was geht in Ihnen vor? Sie scheinen plötzlich erschreckt und krank zu sein.«

»Nehmen Sie mir den Brief ab,« rief das Fräulein von Corbin mit sichtlicher Anstrengung, »meine Finger erstarren an dem glatten Papiere, und nun reichen Sie mir Ihren Arm und lassen Sie uns umkehren.«

Der letzte falbe Duft des Abends beleuchtete ihre bleiche Stirn und das nervöse Zucken ihrer Lippen. Sie ging mit schweren Schritten neben Aurel her, in dessen Brust ein banges Gefühl aufstieg, das seine Worte erstickte. Auch Johanna schwieg, und erst nach einiger Zeit, als sie in der Nähe des Hauses waren, sagte sie:

»Jetzt ist mir wohler. Seien Sie überzeugt, Aurel, dieser Brief ist von Richard, auf sein Geheiß geschrieben worden und von ihm selbst hierher befördert. Es gehört mit zu dem, was sie meine Krankheit nennen, daß ich empfinde, was Andern verborgen bleibt. Gestern schon, als ich den Umschlag dieses Briefes berührte, drang ein empfindlicher Schmerz durch die Fingerspitzen, den ganzen Arm hinauf, bis in mein Herz und machte es zu Eis. Jetzt wäre es mir fast eben so gegangen. Seine Hand hat darauf geruht, sein Athem hat es angeweht. Ich ahne seine schreckliche Nähe, die an Allem, was er berührt, haften bleibt, wie der Pesthauch, der tausend Meilen weit und nach Jahren noch nicht von dem zu trennen ist, was er einmal durchdrungen.«

»Aber, theure Johanna,« erwiederte Aurel erschrocken, »wenn Ihre Nerven diese krankhafte entsetzliche Empfänglichkeit besitzen, wie wollen Sie den Anblick dessen ertragen, der Ihnen dies Grauen schon aus weiter Ferne einflößt?«

»Ich hoffe Sie bald davon zu überzeugen,« versetzte das Fräulein mit Gelassenheit, »und sage Ihnen vorher, Sie werden mich nicht zucken sehen, selbst wenn ich ihm die Hand reichen müßte.«

»Dann beim Himmel!« rief Aurel, »vermögen Sie mehr als ich, denn nie würde ich mich so weit überwinden können.«

»Mein Beispiel wird Sie dazu ermuntern, und was ich als Gebieterin von meinem geschworenen Unterthanen begehre, wird dem Freunde um so leichter zu erfüllen sein.«

Sie standen an der Schwelle des Gartensalons, und mit der einen Hand auf dem Drücker der Thüre, reichte sie die andere nochmals ihrem ernstblickenden Begleiter.

»Ich sage Ihnen hier mein Lebewohl, Aurel,« begann sie leise, »und nun kein Wort mehr über diese Sache. – Zwingen kann ich Sie nicht, auch fordere ich keine erneuten Versprechungen. – Kommen Sie nicht, so entlasse ich Ihnen alle Verbindlichkeiten Ihres Wortes, kommen Sie aber, so ist mir dies ein Zeichen, daß Sie einen Bund mit mir schließen wollen, statt mit dem Treubrüchigen, und ich schwöre Ihnen, daß ich ihn fester halten will als er. – Jetzt seien Sie heiter und unbefangen, man merkt hier auf uns Beide.« –

Sie traten ein und während des Abends war Johanna zur Freude ihrer Verwandten theilnehmender und froher wie seit Jahren. –

Spät ging Aurel nach Hause, aber ein Gefühl der Zufriedenheit und Hoffnung war es nicht, das seine Stirn mit Falten bedeckte.


III.

Am nächsten Tage fand er sich allein, und da Geschäfte immer die besten Ableiter unmuthiger Gedanken und wahrhaften Kummers sind, so erprobte sich dies auch an dem jungen Herrn Dahlberg, der einen weiten Kreis für seine Thätigkeit fand, als ihm sein Erbe eingehändigt ward und er mit dem Besitze auch die Sorge um denselben zu tragen hatte. –

Sein Onkel war allerdings ein viel zu guter Rechner gewesen, um seine Capitalien schlecht anzulegen; Alles war in bester Ordnung, und eine Pünktlichkeit, der Nichts vorzuwerfen war, erleichterte die Einsicht in sämmtliche vorhandene Einzelheiten der Hinterlassenschaft. –

Dennoch aber gab es so vieles zu erfragen und zu überlegen, um den Zusammenhang aufzufinden; Berathungen mit geschickten Anwälten, Ansprüche des Gerichte und einzelner Personen, Forderungen an Andere, die sich gern ihrer Verbindlichkeit entziehen mochten, kleine Reisen und Besuche, so daß Aurel mehrere Wochen lang vollauf zu thun hatte und wenig an die Familie Corbin denken konnte. –

Man suchte ihm dagegen seinen Aufenthalt und das Unangenehme, das mit der Abwickelung der zuweilen wucherisch genug getriebenen Geschäfte des alten Herrn verbunden war, mannichfach zu versüßen. Ein Paar nachsichtige Handlungen, die er im Gefühle des Unrechts übte, das sein verstorbener Verwandter begangen, ein Paar Wohlthaten, welche er bereitwillig spendete, wurden überall mit Ruhm erzählt, und wo er erscheinen mochte, fand er eine Theilnahme, die freilich weniger ihm wie seinem Gelde galt.

Man drängte sich nach seiner Bekanntschaft, überhäufte ihn mit Einladungen und speculirte mit seiner Person, ohne daß er Etwas davon wußte, denn alle sorgsamen Mütter, alle bedächtigen Familienväter und die ganze Schaar heirathsfähiger sittsamer Jungfrauen bewachten ihn mit eifersüchtigen Blicken und beuteten jedes freundliche zuvorkommende Wort zu Klatschgeschichten über seine bevorstehende Wahl einer würdigen Lebensgefährtin aus.

Der Einzigen aber, an welche Aurel dachte, gedachte Niemand. Die blasse kranke Tochter des Präsidenten, welche man als tiefsinnig und halb toll behandelte und lieblose Urtheile um so weniger sparte, weil Johanna immer mit souverainer Verachtung sich über den Haufen gestellt hatte, fiel keiner der jungen Prophetinnen ein, welche ihre Weisheit vernehmen ließen. Sie war fortgezogen in die Hauptstadt, wo sich vielleicht, in irgend einer Anstalt untergebracht, ihr Gemüthsleiden besser verstecken ließ. Dem jungen blühenden Dahlberg aber konnte es auf keinen Fall einfallen, ein Weib zu nehmen, die, wie man sehr wohl wußte, aus Liebe zu einem Manne, der sie verlassen hatte, in solche Verfallenheit an Leib und Seele gerathen war.

Aber Dahlberg dachte mit jedem Tage mehr an die Entfernte, von der er keine Nachricht empfing. Anfangs hatte er fast eben so geurtheilt wie die Meisten und mit einem geheimen Widerwillen gekämpft, sich Johannen ferner zu nähern. Die Unterredung, welche er beim Abschied im Garten gehabt, hatte ihn mit Unruhe erfüllt und ein besonderes Bangen in ihm zurückgelassen. Die krampfhafte Empfindlichkeit des Fräulein von Corbin, welche sich beim Berühren eines Papieres zeigte, war durch den bloßen Gedanken hervorgerufen worden, daß Richard es in den Händen gehabt, und er fand diese nervöse Aufregung grauenvoll und beleidigend für sich selbst. –

Sollte er ein Zeuge solcher stürmischen Affectionen sein, und welche Rolle sollte er dabei übernehmen? Sie hatte ihn als Bundesgenossen gleichsam an Eid und Pflicht erinnert, aber es stand in seiner Wahl, sich einem scherzhaft gegebenen Worte zu entziehen und für immer die Nähe eines Wesens zu meiden, das den verschiedenartigsten Einfluß auf ihn übte, in einer Stunde ihn entzückte und beseligte, in der nächsten ihn abstieß und erschreckte.

Er war entschlossen, ihrem Rufe nicht zu folgen, und hätte sie ihn gemahnt, würde er widerstanden haben; aber die Wochen vergingen, und seine Unruhe wuchs mit jedem Tage. Es war ihm peinlich zu denken, daß Johanna voller Vertrauen ihn erwarte, auf ihn hoffe und nach ihm sich sehne, während er damit umging, sie zu täuschen.

Sie hatte ihm ihre Verlassenheit und tiefe Vereinsamung geklagt, und er wußte es, sie besaß keinen Freund auf Erden als ihn, der einen Strahl neuen Lebens auf ihre blassen Lippen geführt hatte. Nachts stand sie vor ihm in seinen Träumen und beugte sich traurig schweigend zu ihm nieder, und wenn es Tag war und er thätig sein wollte, drängte sich ihr lächelndes Gesicht vor die Bücher und Rechnungen und verwirrte ihn in solchem Maße, daß er die Feder fortwerfen mußte.

Endlich kam ein Herr aus der Hauptstadt zurück, eben jener geheime Commerzienrath, der Einiges zu erzählen wußte. –

»Ich soll Ihnen auch Grüße sagen von den Corbin's,« rief er Aurel, als dieser mit ihm in einer Gesellschaft zusammentraf.

»Sie haben sie besucht?« erwiederte dieser erröthend.

»Versteht sich, habe ich sie besucht,« sagte der Speculant. »Ein alter Freund des Hauses muß doch sehen, wie es geht.«

»Und wie geht es denn?« fragten Mehrere zusammen. – »Wie sind sie eingerichtet? Machen Sie ein Haus? Ist es wahr, daß der Regierungsrath heirathet? Wie befindet sich das gespenstische Fräulein Johanna?«

»Eingerichtet sind sie nach der neuesten Mode,« entgegnete der Geheimerath, »Alles Seide, Bronce, Lüstres und Trumeaux; dabei eine prachtvolle Wohnung und Gesellschaften aus den ersten Kreisen. Der Regierungsrath wird sich nächstens verloben mit einer Nichte des Ministers, und Fräulein Johanna macht es ihm wahrscheinlich bald nach, denn Niemand von uns kennt sie wieder, darauf schwöre ich.«

»Ist sie plötzlich vernünftig geworden?« fragte die älteste Tochter des Speculanten spöttisch lachend.

»So vernünftig,« sagte der Vater mit einem groben Blicke, »daß sie vielen ein Beispiel sein könnte. – Klug war sie immer,« fuhr er dann fort, »und, ihre erschreckende Blässe abgerechnet, auch gar nicht häßlich, jetzt aber hat sich ihr Gesicht merkwürdig verändert. Es sieht gesund aus, und der feine rothe Hauch auf ihren zarten Wangen macht sie so schön, daß man davon ergriffen wird.«

»Dein Vater wird ganz poetisch,« flüsterte eine Nachbarin der schmollenden Tochter des Speculanten zu.

»Mein Vater hat immer eine besondere Zärtlichkeit für dies noble Fräulein an den Tag gelegt,« versetzte diese.

»Das arme Kind,« rief der Geheimerath, »ich habe es immer beklagt, daß es ihm so geben mußte. – Jung, schön, reich?! Welch' glückliches Leben konnte es erwarten?! – Wenn ein Mädchen aus dem Volke angeführt wird und die rothen Backen darüber verliert, so kräht nicht Hund, nicht Hahn darnach. Schade darum, aber die sind es gewöhnt und wissen sich zu trösten; doch sie, die einzige Tochter einer so angesehenen Familie, hat immer mein innigstes Mitleid aufgeregt.«

»Nun,« sagte der abgelebte Herr, welcher auch zugegen war, mit maliciösem Lächeln, »es scheint mir demnach, als habe Fräulein von Corbin auch endlich den richtigen Trost gefunden.«

»Hören Sie, ja, das meine ich ebenfalls,« schrie der Speculant, »denn ich habe Etwas mit angesehen, was mich auch auf diesen Gedanken geführt hat.«

»Was haben Sie denn mit angesehen?« fragte ein ganzer Chor von Damen, die sich neugierig herbeidrängten.

»Nichts, meine Damen, gar Nichts,« sagte der alte grausame Geldmann, indem er sich los machte und an den Spieltisch trat. – »Coeur Aß,« schrie er, »ich habe zu wählen und setze auch drüber. Herr Dahlberg, wollen Sie von der Partie sein, so kommen Sie; aber nein, Sie darf man den Damen nicht entreißen. Das wäre der ärgste Hochverrath, der die Zahl meiner Vergeben voll machte.«

Er kehrte sich nicht an das Schmälen der jungen Damen und behielt, was er wußte, für sich, aber Niemand war darüber in größerer Unruhe wie Aurel, der den ganzen Abend wie ein Träumender verlebte und an Nichts dachte, als an das beste Mittel, um den Geheimerath zum Sprechen zu bringen.

Endlich fand sich eine günstige Gelegenheit, als das Spiel beendet war, und da der Geheimerath bedeutend verloren hatte, war er in der rechten Stimmung, seinen Aerger irgendwie auszulassen. Er faßte Aurel an dem Rockknopfe und zog ihn, der sich geflissentlich in seine Nähe drängte, auf das Sopha nieder. –

»Hören Sie, Herr Dahlberg,« sagte er, »Sie kennen ja auch den Patron, den Richard von Corbin, und sind in jungen Jahren so eine Art Spießgeselle von ihm gewesen.«

»Richard war mein und Eduard's Freund,« erwiederte Aurel.

»Eine schöne Freundschaft,« rief der alte Herr. »Ist so eine Art Börsenfreundschaft zwischen Kaufleuten oder am Spieltische, wo man sich zärtliche Dinge sagt und dabei mit dem kältesten Blute von der Welt den werthen Freunden die Beutel zu leeren sucht. – Habe heute Malheur gehabt, Herr Dahlberg, infames Malheur, bin der einzige Gerupfte gewesen. – Aber, hören Sie, dieser Herr Richard ist ja jetzt in der Hauptstadt und, Sapperment, ist ein hübscher Bursche. – Möchte ihn zwar nicht gerade zu meinem Schwiegersohne haben, denn er sieht unsolide aus vom Wirbel bis zur Zehe, er hat Etwas in seinem Gesichte, wenn man es genau ansieht, was eine gewisse Aversion hervorbringen kann, Etwas, was ich nicht zu nennen verstehe, etwas Wildes, Jähes, Zerfahrenes, oder wie meine Jenny sagen würde, Dämonisches, aber ist sonst allerdings eine Erscheinung, die ein Mädchen um den Kopf bringen kann.«

»Sie haben Richard also gesehen?« sagte Aurel aufmerksam.

»Freilich habe ich ihn gesehen, aber sie sollen nicht errathen, wo.«

Aurel zuckte die Achseln, und der Geheimerath neigte sich zu ihm und sagte leise:

»Bei Corbin's! Das war es eben, was ich vorher den neugierigen Weibern verschwieg.«

Aurel starrte den Erzähler voller Verwunderung an.

»Solche Augen, wie Sie jetzt machen, machte ich auch,« fuhr der Geheimerath lachend fort, »als ich ihn hereintreten sah. – Es war der Geburtstag der Präsidentin in voriger Woche, und ich stattete eben meinen Glückwunsch ab, als er sich melden ließ. – Die alte Frau zitterte vor Schreck und schien nicht recht zu wissen, was sie beginnen sollte, denn es waren wohl ein Dutzend Menschen da, ein General und ein Paar Officiere, Baronessen und vornehme Herren. Abweisen hätte mörderisches Aufsehen gemacht.«

»Was geschah denn also,« fiel Aurel ein, »was that Johanna?«

»Die lächelte und nickte leise ihrer Mutter zu, was gewiß kein Mensch geglaubt hätte, und hören Sie, Herr Dahlberg, wenn Sie das gesehen hätten, wie ruhig sie mit ihm sprach, stolz und ruhig, wie eine Königin, und doch freundlich und ohne einen Zug ihres Gesichts zu ändern, Sie würden noch mehr erstaunt gewesen sein. – Herr Richard brachte seine Gratulation an, aber so unverschämt er auch ist, die Art, wie er behandelt wurde, schien ihn doch zu ergreifen, und er machte, daß er fort kam.«

»Und Johanna?« frug Aurel von Neuem.

»Blieb unverändert, wie sie war, als wenn dieser Vetter Richard niemals ihr näher gestanden hätte. – Halt, sagte ich zu mir selbst, hier weht ein anderer Wind, der dieses lecke Schiff in neues Fahrwasser gebracht hat, und so war es auch, so war es bei meiner armen Seele!«

»Was war denn so?« fragte der junge Mann so ruhig und lächelnd, wie es ihm möglich war, während sein Herz heftig an die Rippen pochte.

»Nun sehen Sie, Freundchen,« erwiederte der Geheimerath wohlgefällig, »einem alten Praktiker, wie ich, entgeht so leicht Nichts. – Der Eduard, der Regierungsrath, umschwänzelt die Nichte seines Ministers, ein Dämchen, an der man eben nicht viel sehen kann, aber was thut's, sie ist eine ganz profitliche Speculation, und der Regierungsrath der Mann dazu, alle Chancen in's Auge zu fassen. – Kalt, klug und guter Rechner, sollte es mich wundern, wenn das Exempel nicht sein richtiges Facit gäbe. Das kleine Fräulein da hat aber auch einen Bruder, ein hübscher Mann, dient in der Gardereiterei, hat eine Uniform, an der vor Gold und Tressen das Tuch nicht zu sehen ist, und kleidet ihn, Sapperment! zum Entzücken. – Begreifen Sie nun, Dahlberg?« fuhr er fort. »Eine Doppelheirath, doppelte Verschwägerung, über's Kreuz geknüpfte Verwandtschaftsbande giebt der ganzen Sache doppelten Werth. – Der Regierungsrath ist ein Vocativus Der Ausdruck bezeichnet damals nicht nur einen bestimmten grammatischen Casus, sondern bildlich auch einen zu unerwarteten, launigen, neckenden, aber überwiegend harmlosen Scherzen stets aufgelegten Menschen.. Ich sah's ihm an der Nase an, daß er mit seiner überaus zärtlichen Aufmerksamkeit seiner Schwester und sich zugleich dienen will, und ich sage Ihnen, Dahlberg, wir haben die Verlobungskarten, ehe wir's denken. Sie essen den Brei, weil er heiß ist, und heiß ist er, das sage ich Ihnen, und ist wohl auch allen andern Leuten kein Geheimniß mehr, denn der hübsche Officier versteht das Courmachen wenigstens eben so gut wie das Exercierreglement, und die ganze Geschichte ist so hübsch, so einleuchtend, so passend, und ich selbst freue mich auch so recht aufrichtig darüber, daß ich eine große Gesellschaft zur Verlobungsfeier gebe, sobald die Sache officiell ist.«

 

Am nächsten Tage machte eine Neuigkeit überall die Runde.

Wissen Sie schon von Aurel Dahlberg? fragten sich die Frauen. –

Nein! Was ist mit ihm? Hat er sich verlobt? –

Gott bewahre, er ist diese Nacht plötzlich abgereist. –

Abgereist, wohin? –

Ja, das weiß kein Mensch. Er hat seine Geschäfte den Advokaten übertragen und befohlen, Alles zu verkaufen, was er hier besitzt. –

Das ist ja entsetzlich, das wird mehr als Einer sehr unangenehm sein. Mir hat er jedoch nie gefallen wollen, ich habe stets darüber gelacht, wenn ich sah, wie man sich um ihn bemühte. –

Ich auch, allein dennoch möchte ich wissen, was ihn bewogen hat, über Nacht auf und davon zu gehen? –

Ach! er war immer eine Art Narr; still, in sich gekehrt, zerstreut und wie in Träumen lebend. –

Wer weiß, was er mit sich umher trug. Er ist in Schweden gewesen; möglich, daß ihn plötzlich die Sehnsucht nach Bären, Rennthieren und Lappländern angewandelt hat. –

Oder nach einer schwedischen oder läppischen Schönheit, deren Bekanntschaft er gemacht hat. –

Gütiger Himmel, ja, Sie haben Recht, so ist es. –

Er reist an den Nordpol und bringt uns nächstens eine ganz in Seeotternfelle gewickelte Braut zurück.


IV.

Während die geschäftigen Zungen diese glückliche Entdeckung verarbeiteten, fuhr Aurel mit Courierpferden der Hauptstadt zu, welche er am folgenden Tage ohne Anfechtung erreichte. –

Er hatte plötzlich seinen Entschluß gefaßt und war überzeugt, er müsse sein gegebenes Wort erfüllen. Sobald er eine Wohnung gefunden hatte, machte er sich auf den Weg, um ohne Zögern bei der Familie Corbin zu erscheinen, und als er nachrechnete, waren genau vier Wochen vergangen. Er war also pünktlich an Ort und Stelle. Leicht war das Haus aufgefunden, und als er die prächtige breite Treppe hinaufschritt, auf deren Teppich sein Fuß geräuschlos dem Gegenstande seines Verlangens nahte, fühlte er das ganze Gewicht seiner Besorgnisse, daß sich Manches geändert haben konnte, seit er Johanna nicht gesehen hatte. –

Geld, so sagen die Menschen unserer Zeit, gleicht alle Unterschiede der Gesellschaft aus, aber wo Geld nicht der einzige Hebel mehr bleibt, um Ungerade zu Gerade zu machen, wo Geld dem Gelde gegenübertritt, da eilen die übrigen Gehilfen kastenhafter Absonderung um so eifriger herbei. Der klugrechnende Bruder, seine ehrgeizigen Pläne, der Stolz einer mächtigen Familie, die anererbten Vorurtheile, Alles drängte sich in diesem Augenblicke dicht an sein Gedächtniß, und was auf seinem Wege der Selbstüberredung gewichen war, sah er jetzt als drohendes Gespenst neben sich herschreiten.

Um so freudiger war der Uebergang vom Mißtrauen zur Gewißheit, als, noch ehe er die letzte Stufe betrat, sein Name und ein herzliches Willkommen ihm entgegenschallten. In einem Augenblicke waren alle Gespenster verschwunden; Johanna sah mit Lächeln auf ihn nieder, und an ihrer Hand folgte er ihr in die große glänzende Wohnung, wo die Präsidentin ihn mit alter Güte empfing. –

So fand er denn Nichts geändert, Nichts umgewandelt, und mit befriedigten entzückten Augen betrachtete er das schöne Fräulein von Corbin, die wirklich weit wohler aussah, als er sie verlassen hatte.

Nachdem die ersten Mittheilungen beendet waren, stand er nicht an, sich in jenem Sinne zu äußern.

»Man pflegt zu sagen,« rief er aus, »daß die Hauptstadt rothe Wangen blaß mache, und die Luft in diesen großen Gefängnissen nicht geeignet sei, einer angegriffenen Gesundheit Erholung zu gewähren; allein ich muß bekennen, daß ich von diesem Vorurtheile geheilt bin.«

»Nicht wahr, Johanna sieht gut aus?« erwiederte die Präsidentin. »Sie müssen wissen, Herr Dahlberg, daß ich mit innerer Angst hierher gekommen bin, doch dem Himmel sei Dank, ich habe mich getäuscht. – Wir haben Johanna bisher vor jedem Zugwinde gehütet, mieden jede Gesellschaft, brachen allen Umgang ab, so viel es sich thun ließ; hier geht es von einer Zerstreuung in die andere; Theater, Concerte, Bälle wechseln täglich, und wir schlagen Nichts aus, denn es bekommt Johanna vortrefflich.«

»Ich bedarf der Zerstreuung,« sagte das Fräulein, indem sie Aurel bedeutungsvoll anblickte, »und glaube überhaupt, daß es besser für mich ist, Gesellschaft zu suchen als sie zu fliehen, da ich gesehen habe, welche Folgen dies für mich hatte.«

»Ich muß Johanna beistimmen,« fügte ihre Mutter mit besorgtem Lächeln hinzu, »denn Einsamkeit bringt immer einen Schatten ihres alten Trübsinnes wieder zum Vorscheine. – Nun Sie bei uns sind, lieber Dahlberg, müssen Sie auch dazu beitragen, die kleinen schwarzen Wolken verbannen zu helfen und uns so oft besuchen, wie es immer Ihre Zeit gestattet.«

»Ich fürchte nur,« erwiederte Aurel sich verbeugend, »daß der weite Kreis des Gesellschaftslebens, der Sie umgiebt, schon so viele Glieder zählt, daß ein neues entweder überflüssig wird oder doch darin verschwindet.«

Ehe die Präsidentin ihm die vollständige Versicherung geben konnte, daß der Jugendfreund ihrer Kinder ihr immer willkommen sein werde, trat Eduard herein, begleitet von einem jungen schönen Officier, der mit aller Gewandtheit und Freiheit seines Standes die Damen begrüßte, während der Regierungsrath Aurel umarmte und seine Freude ausdrückte, ihn hier zu sehen.

»Siehst Du wohl,« sagte er, »ich habe es Dir vorher gesagt, Du würdest in dem Neste nicht aushalten und zu uns fliehen, um aus kleinlichen Verhältnissen Dich zu retten. – Du kommst zur rechten Zeit, um die Saison mitzumachen, und bist in guten Händen, wenn Du unseren Damen Folge leistest, die sich Deiner schon erbarmen werden. – Vorläufig stelle ich Dir hier meinen Freund, den Baron von Plettenberg vor. Er ist der erste Tänzer bei Hofe, der beste Reiter, der kühnste Jäger, der muthigste Husar in der Armee und besitzt alle Eigenschaften eines solchen, wozu natürlich auch die gehört, daß kein Mädchenherz ihm widersteht. – Hier, lieber Plettenberg, ist mein Jugendfreund, der Gutsbesitzer Aurel Dahlberg, der mit vielen andern Tugenden auch die für sich hat, der Erbe einer halben Million zu sein, die sein würdiger Onkel ihm so eben hinterließ. Auch Du solltest Dich seiner ein wenig annehmen und ihn in's Leben einführen, denn seine Jugend ist bis jetzt zwischen Saatfeldern und den Föhren des Nordens hingegangen; es ist also Zeit, daß er erkennen lerne, was es Erhabenes auf Erden giebt.«

Diese scherzhafte Eröffnung führte zu einer ähnlichen von Seiten des jungen Officiers und zu einem langen Gespräche, das in demselben Tone weiter ausgesponnen wurde. Aurel war verletzt durch die Art, wie Eduard ihn und sein Kommen auffaßte. Er behandelte ihn übermüthig und überlegen, wie ein Kind, dem man eine Weisung ertheilt, und was er von dem Baron sagte, schien als Charakteristik keineswegs ohne Spott zu sein, obwohl es zur Empfehlung dienen sollte.

Nachdem der junge Officier eine Zeit lang die Kunst geübt hatte, viele Worte ohne Inhalt zu sagen, und seine Unterhaltung sich um Gesellschaften, Personen und kleine Ereignisse, Hof- und Stadtgeschichten, Theater und Sängerinnen gedreht hatte, sprach er von der Ehre, heute Abend mit der Familie bei seinem Onkel zusammenzutreffen, wo Niemand sei, als seine Schwester, die ihm den Auftrag gegeben habe, eine Einladung zu überbringen, um, wie er sich ausdrückte, so ganz wie en famille sein zu können. –

Johanna lehnte diese Einladung ab, ihre Mutter schwieg, Eduard machte ein ernstes Gesicht, das sich immer mehr verfinsterte, je bestimmter sie alle Einwendungen und Bitten des Barons abschlug und sich hinter gegebene Versprechungen verschanzte.

Endlich empfahl sich der Baron sichtlich verstimmt, und Aurel wurde nun Zeuge einer ziemlich gereizten Familienscene zwischen Bruder und Schwester, die ihm bewies, daß Johanna große Gewalt über ihre Mutter und einen festen Willen ihrem Bruder gegenüber besaß.

»Ich habe keine Lust,« sagte sie zuletzt, indem sie aufstand, »mich zu Gesellschaften commandiren zu lassen. Ich will heute zu Hause bleiben, weil ich selbst Besuch erwarte und auch unseren Freund Aurel hier zu sehen wünschte. – Laß Dich nicht abhalten, der Einladung zu folgen, mir erlaubt jedoch, nach meiner Einsicht mit meiner Person zu schalten.«

Sie grüßte Aurel und entfernte sich mit ihrer Mutter; Eduard sah zum Fenster hinaus auf die Straße und suchte seinen Unmuth zu bemeistern. –

»So sind die Weiber,« rief er dann lachend, »und diese da wird so launenvoll, wie sie war, seit ihre Muskeln neue Spannkraft erhalten.«

»Es sollte mir leid thun,« erwiederte Aurel zögernd, »wenn ich denken könnte, daß mein Besuch irgend einen Antheil an dieser Weigerung hat.«

Eduard sah ihn mit einem schnellen scharfen Blicke an, als überkomme ihn ein plötzlicher Gedanke; dann sagte er kalt und vornehm lächelnd:

»Glaube das ja nicht, Du würdest Dich gänzlich irren. Ich kenne diesen Eigensinn besser; auch hätte es Nichts zu bedeuten, wenn nicht eben heute diese altjüngferliche Sprödigkeit uns Allen einen fatalen Querstrich machte. Ich will Dir nicht verhehlen,« fuhr er dann fort, »daß dieser Abend für mich sowohl, wie für Johanna, von Bedeutung sein sollte, denn – nun warum soll ich es nicht sagen? – wir sind auf dem Punkte, uns Beide unter die Haube zu bringen.«

»Ich habe davon schon etwas zu Hause gehört,« erwiederte Aurel. »Man sprach von Deiner nahen Verbindung mit der Nichte des Ministers.«

»Haben sie es schon herausgebracht, die guten Leute?« rief der Regierungsrath, »nun wahrhaftig, sie haben sonst keine allzu feinen Nasen, aber dies Mal doch das Rechte gefunden. Dann hast Du sicher auch gehört, daß ich nicht allein mich von Amor und Hymen steuern lasse, denn wie sollten sie wohl dazu kommen, Johanna auszunehmen? Es ist ja eine köstliche Geschichte, solche Doppelheirath, und sie liegt so nahe, daß nicht fehl gegriffen werden kann.«

»In der That,« sagte Aurel, »man verschonte Deine Schwester auch nicht, und vielleicht war ich der Einzige, der an der Wahrheit zweifelte.«

»Du zweifeltest und warum?« fragte Eduard mit verwunderter Miene.

»Weil ich nach dem, was ich weiß, nicht glauben kann, daß Johanna so plötzlich eine Wahl treffen könnte, die anscheinend – ja anscheinend – nicht zu ihren Neigungen paßt.«

»Du kennst die Weiber nicht, mein Freund,« rief Eduard, »aber vor allen kennst Du die nicht, über deren Neigungen Du ein Urtheil fällst. – Johanna war das übermüthigste, zerstreuungssüchtigste Mädchen, ehe Richard, das Gespenst ihrer Phantasie, zerstörend in ihr Leben griff. Jetzt hat sie endlich, gelobt sei Gott! dies Phantom überwunden, hat ihr früheres leichtes Blut und ihren fröhlichen Sinn wieder erlangt – oder ist doch auf dem besten Wege dazu – und was könnte ihr näher liegen, als an der Hand eines jungen, schönen, galanten, verliebten und in jeder Beziehung ihrer würdigen und ebenbürtigen Mannes das Leben zu genießen, dessen Freuden sich ihr von Neuem öffnen.« –

Er sprach die besten Lobeserhebungen des Freiherrn mit besonderm Nachdrucke und fuhr dann gelassen fort:

»Plettenberg ist ganz der Mann dazu, meine Schwester glücklich zu machen, und Nichts könnte mir und meiner ganzen Familie fataler sein, als wenn etwa von irgend einer Seite ihr der Kopf von Neuem verdreht würde.«

»Wenn Deine Schwester Deinen Freund, den Baron Plettenberg, liebt,« antwortete Aurel kalt, »so bin ich überzeugt, es wird Nichts geben, was ihr den Kopf verdrehen könnte.«

»Du hast Recht,« erwiederte der Regierungsrath in derselben Weise. »Ich bin überzeugt, daß der Baron viel Raum in ihrem Herzen hat, dennoch würde es Pflicht für mich sein, alles zu beseitigen, was unser Glück und die Zukunft unserer Familie stören könnte.«

Eine Pause trat ein, während welcher Aurel nach dem Hute griff und Eduard seine Uhr zog. –

»Auf Wiedersehen also auf heute Abend,« sagte der Regierungsrath, »im Fall ich früh genug zurückkehre. Unterhalte meine Schwester gut, bis Plettenberg kommt und Dich ablöst, denn ich müßte mich sehr irren, oder er hält nicht lange bei uns aus und sucht sich zu entschädigen.« –

 

Als Aurel am Abende in der Wohnung der Präsidentin erschien, war er eine Zeit lang allein in den großen geschmückten Gesellschaftsräumen, die von hellem Kerzenglanze überstrahlt wurden, während die tiefste Stille darin herrschte. Er war zu früh gekommen, und er schämte sich seiner Ungeduld. Mit großen Schritten ging er auf und nieder, die Spiegel vervielfältigten seine Gestalt, die bleich und still ihn begleitete, und als er endlich still stand, um seine Züge zu betrachten, in deren Ausdruck sich seine Unruhe deutlich genug erkennen ließ, widerhallte das Zimmer von dem Seufzer, mit dem seine Selbstbetrachtungen endeten. –

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thüre, und Johanna empfing ihn lachend und so schön und belebt, als hätten sie Beide ihre Empfindungen und ihr ganzes Wesen umgetauscht.

»Wohin flieht dieser Seufzer?« fragte das Fräulein von Corbin, ihm die Hand bietend. »Doch ich will nicht forschen, mein theurer, getreuer Freund. Vor allen Dingen will ich Ihnen danken für die Erfüllung Ihres Versprechens, dann lassen Sie uns, ehe Jemand kommt, von dem reden, was uns zunächst angeht.«

»Ich bin überzeugt,« erwiederte Aurel, »daß ich Gutes zu hören habe.«

»Viel Gutes,« rief Johanna. »Ich bin wohlauf und fühle mich leicht.«

»Ein Beweis, daß die Zukunft Ihnen Freude verspricht.«

»Die Zukunft?«. sagte sie ihn anblickend, »wer weiß es? Die Zukunft jedes Menschen, auch des unbedeutendsten, ist ein Buch mit sieben Siegeln. Niemand weiß, was morgen geschieht. Ich lebe der Gegenwart, lebe den Hoffnungen, zerstreue mich vielleicht, um eben nicht allzu viel an die Zukunft zu denken, und vergifte damit, was mich nebelhaft beschleichen will, in der Geburt. – Sie haben gehört,« fuhr sie fort, »was meine Mutter sagte, auch traue ich Ihnen zu, Dahlberg, daß Sie genau begreifen, was mein Bruder denkt, und wie überhaupt die Verhältnisse hier stehen. – Fragen Sie mich um Nichts, ich glaube, Sie kennen mich und wissen, daß ich immer eine Art festen Willen hatte, auch Hartnäckigkeit genug besaß, ihn zu behaupten.«

Aurel ward von einer Bewegung erfaßt, die mit ihren fieberhaften Wallungen ihn durchzitterte. Er neigte sich auf die weiße, heiße Hand Johanna's, und fast ohne zu wissen, was er that, bedeckte er sie mit seinen Küssen. Eine geheime Stimme rief ihm zu, daß in den Worten dieses schönen Mädchens ein Trost für ihn lag, der seine Hoffnungen aus ihrem zaghaften Erbangen rüttelte. Es klang wie ein Versprechen, was sie sagte, und die Ahnung, daß er geliebt sei, tobte in seinem Herzen und weckte einen Sturm von Empfindungen auf.

Nach einigen Minuten, in denen Johanna ihm ihre Hand ließ, blickte er voll Entzücken, auf zu ihr, aber was er sagen wollte, erstarb auf seinen Lippen. Er hatte erwartet, Augen zu finden, die den seinen begegneten, Blicke, in denen ein Strahl desselben Feuers brannte, das sein ganzes Herz füllte; aber das Fräulein von Corbin saß vor ihm ruhig und mit so ausdruckslosen Zügen, als sei ihr Geist eben weit entfernt, ihre Gedanken mit ganz andern Gegenständen beschäftigt, und als er langsam ihre Finger aus den seinen gleiten ließ, und die Freude in seinem Gesichte einem trüben, beleidigten Ernste wich, bemerkte sie die Veränderung so wenig wie sein Schweigen und Zurückweichen.

So verging eine martervolle Pause, die für Aurel unerträglich wurde, und welche er doch nicht zu unterbrechen wagte. Endlich erhob er sich, und diese Bewegung erst schien Johanna seine Gegenwart in's Gedächtniß zurückzurufen. Sie legte die Hand auf seinen Arm und sagte lächelnd:

»Nun, wie ich es treibe, wissen Sie, und welche Abenteuer ich täglich bestehe, werden Sie selbst hören und sehen. Doch wie steht es mit Ihnen, mein Freund, und was beginnt Ihre geheimnißvolle Unbekannte? – Ich müßte mich täuschen, oder Sie haben heute schon eine Nachricht von ihr erhalten.«

»Sie besitzen ein glückliches Ahnungsvermögen,« erwiederte Aurel, »denn ich habe wirklich heute Abend, kurz vorher ehe ich zu Ihnen kam, abermals ein Billet empfangen.«

»Man wünscht Sie zu sehen, zu sprechen, Sie kennen zu lernen,« rief das Fräulein sich lebhaft aufrichtend, während ihre schöne Stirn sich röthete und ihr Gesicht einen Ausdruck empfing, der eine hohe Theilnahme ausdrückte.

»So ist es,« sagte Aurel. »Man wünscht mir Glück zu meiner Ankunft und bittet mich, dem Führer zu folgen, der sich bei mir einfinden werde.«

»O, er wird kommen,« rief Johanna, und ihre Augen strahlten, »er wird kommen und sein Versprechen lösen.«

Aurel preßte die Zähne zusammen und schüttelte finster den Kopf. Nie so sehr wie in diesem Augenblicke war ihm Richard's Andenken verhaßt. Ein alter Verdacht stieg neu in seiner Seele auf, und seine argwöhnischen Blicke durchirrten Johanna's Gesicht, das vor Hoffnung und Verlangen glänzte. Er wußte, daß sie Richard meinte, daß sie an Richard dachte, und diese Gewißheit füllte ihn mit Schmerz und Wuth. –

»Ich,« sagte er mit Heftigkeit, »ich will nie weder mit ihm reden, noch mit seiner Vertrauten in Berührung gerathen.«

»Sie sollen, Sie müssen!« rief Johanna mit derselben leidenschaftlichen Bewegung, »ich befehle es Ihnen, ich will es so, und ich mahne Sie an beschworene Treue, Aurel. – Ja, wenn irgend ein Gefühl der Freundschaft, ein Zug Ihres Herzens Sie an mich bindet, so gehen Sie, wohin er Sie führt. Thun Sie, was er will, lernen Sie seine Geheimnisse kennen, und dann, dann wollen wir Beide überlegen, was weiter geschehen darf, daß er das Elend empfinde, was mich quält.«

»O, Johanna,« rief Dahlberg, »welchen Blick lassen Sie mich jetzt in Ihr Inneres thun! Sie leiden, Sie sind unglücklich, und Alles das noch immer um den Mann, der nur Ihre Verachtung verdient.«

»Kann ich es ändern?« sagte sie hastig. »Wissen Sie ein Mittel, einen Trank, einen Meister, der Hilfe verschafft? – O, Thorheit, es sitzt so tief, wie kein Senkblei reicht. Aber was wollen Sie? Ich lese da in Ihren Augen Etwas, was wie Schmerz und Vorwurf aussieht; warum können Sie mir zürnen, mein lieber Freund? – Sie hassen diesen Elenden, nicht wahr, Aurel? Nun gut, ich hasse ihn aus tiefster Seele, und mitten in meiner Brust brennt eine Stelle wie Höllenfeuer, ich weiß keinen andern Namen dafür. Aber sie giebt mir Leben, reißt mich fort, treibt mich an, beschäftigt meine Tage, meine Nächte, mein ganzes Denken, meine Gebete und meine Träume, und wunderbar, ich glaube an eine Zukunft, ich hoffe wieder, wie Sie sagen.« –

Langsam hob sie die Augen zu ihm auf, und mit einem unbeschreiblichen, sanften, bittenden Blicke fuhr sie fort:

»Doch alle diese Hoffnungen stützen sich auf Sie, Aurel, auf Ihre treue edle Freundschaft. Ich habe Niemanden auf dieser Welt, der mir beistände, und dem ich vertrauen möchte, als Sie; wenn Sie mich verlassen, bleibt mir Nichts übrig als der Tod.«

»Was soll ich thun, was kann ich thun, theuerste Johanna?« rief Aurel in großer Aufregung.

»Thun Sie, was Ihr Herz Ihnen heißt,« erwiederte sie. »Sie kennen mich jetzt, Aurel, Sie wissen, was ich will, und wenn wir am Ziele sind, dann« –sie neigte sich zu ihm, und ein langer glänzender Blick flog über ihn hin – »dann fordern Sie Ihren Lohn.«

In diesem Augenblicke trat Gesellschaft ein, und während des ganzen Abends war Johanna die liebenswürdige und unbefangene Dame von gutem Tone, welche geistvoll anzuregen wußte und die Huldigungen lächelnd in Empfang nahm, welche ihr von Allen gebracht wurden. –

Sie schien es zu vermeiden, Aurel in irgend einer Art zu bevorzugen, und als nach einigen Stunden wirklich der Baron Plettenberg erschien, war der galante Cavalier bald ganz und gar mit dem Fräulein von Corbin beschäftigt. –

Manche der Anwesenden lächelten sich bedeutungsvoll zu, und Aurel empfand den heftigsten Unmuth. Er begriff nicht, wie Johanna die Reihen seiner platten Scherze und die geschniegelten und so trostlos inhaltsleeren Worte ertragen konnte, mit denen er verschwenderisch umging. Alles war Form, Alles eingelernt, nichts Natur, und heimlich zürnend und doch lachend ging Aurel endlich, von dannen, denn er war ganz überzeugt, daß ein solcher Nebenbuhler ihm nicht gefährlich werden könnte.

Als er in die Nacht hinaustrat, war es ziemlich spät; die Straßen öde, und ein rauher Wind geschäftig, vom dunklen Himmel Eiskörner abzufegen und sie den späten Wanderern in's Gesicht zu werfen. Aurel wickelte sich in seinen Mantel, und eben bog er um die Ecke einer Seitenstraße, als eine Hand ihn festhielt, und eine tief klingende Stimme dicht an seinem Ohre »Guten Abend, Aurel!« sagte.


V.

Erstaunt und erschreckt blickte der Angeredete sich scheu um und machte eine rasche Bewegung, um sich loszureißen und weiter zu gehen. –

»Nun,« rief der Andere lachend, »beim Himmel, Du scheinst Furcht zu hegen, einem Bravo von Venedig in die Hände gefallen zu sein. Kennst Du mich nicht, Aurel?«

»Richard von Corbin, wenn ich nicht irre,« erwiederte Dahlberg, der mit sich nicht einig werden konnte, welchen Ton er annehmen müsse.

»Richard steht vor Dir,« erhielt er zur Antwort, »Dein alter Freund Richard, der Dich erwartet hat seit einer vollen Stunde und einen besseren Empfang vermuthete, als der ihm jetzt zu Theil wird. Nun, was thut's?« fuhr er dann lachend fort, »vielleicht machte ich es nicht besser, wenn ich an Deiner Stelle wäre, daß man mir erzählt hätte von den schrecklichen Thaten dieses Bösewichts Richard. Laß uns gehen, Aurel, wir behalten Zeit genug, davon zu sprechen.«

Sie gingen die Straße hinab, und Richard fuhr in demselben Tone fort:

»Daß ich zu unserm Stelldichein in der Mitternachtsstunde nicht erschien und erscheinen konnte, wirst Du begreiflich finden, und gewiß, ich will es nicht beschwören, ob ich die ganze gespenstische Geschichte nicht total vergessen hätte, wenn meiner Freundin, der ich sie erzählte, nicht unser Einfall ungemein gefallen hatte. Sie setzte es sich in ihr romantisches Köpfchen, staffirte es aus mit allen Farben ihrer Phantasie und wollte, daß ich an Dich schreiben sollte, denn sie war überzeugt, wenn Keiner auch käme, Du würdest kommen. – Da erfuhr ich, daß der Herr Ministerialrath, mein rechtskundiger Vetter, nach Hause gereist sei, Mutter und Schwester zu besuchen, und ich dachte mir wohl, daß er die Mitternachtsstunde mit Dir verleben würde. – So ließ ich Sara gewähren, ließ sie schreiben und richtete es ein, daß ihr Gruß zur rechten Zeit kam. Ich schickte meinen Geist unter Euch,« rief er lachend, »da ich selbst nicht kommen konnte, und hoffentlich habt Ihr es gemerkt, daß ich zugegen war als unsichtbarer Gast.«

Aurel wurde durch diesen spöttischen Scherz zu einer raschen Antwort angeregt. – Die trüben Flammen der Straßenlaternen ließen ihn das stolze höhnische Lächeln entdecken, das Richard's Zügen eigen war, und unter den breiten Krempen des Hutes, der sein Gesicht beschattete, fand er trotz des Dämmerscheines denselben kühnen Blick seiner feurigen Augen, dieselben glänzenden schwarzen Locken, kurz dieselben Vorzüge wieder, die er einst an ihm gekannt hatte. –

Eingehüllt in einen weiten dunklen Kragen und den Hut trotzig tief in die Stirn gedrückt, schien er Aurel in diesem Augenblicke ganz dieselbe Erscheinung zu sein, welche er halb träumend in der Neujahrsnacht vor sich erblickte. Er hatte seine Schritte gehemmt, als Richard mit seiner tiefen melodischen Stimme sagte: »Es ist Zeit, was zögern wir?« und ein Geisterschauer überlief Aurel, denn er erinnerte sich genau, daß er dieselben Worte schon einmal gehört hatte.

»Wohin willst Du mich führen?« fragte er mißtrauisch.

»Sonderbare Frage!« rief Richard. »Bist Du denn gar nicht neugierig, die Dame kennen zu lernen, welche Dir ihre Bekanntschaft verheißen und Dich Freund genannt hat?«

»Du bist also der Bote, den sie mir als Führer senden wollte?«

»Ich bin ihr Bote, ihr Abgesandter, ihr Vertrauter, ihr Geliebter, ihr Sclave, wenn Du willst, denn sie ist mir Alles, wofür der Mensch sich Namen erfunden hat, und ich weiß doch keinen für sie, der ausdrückte, was ich bezeichnen will.«

»Das ist seltsam in Deinem Munde,« sagte Aurel lächelnd.

»Warum seltsam?« versetzte Richard, »doch Du weißt nicht, was ich meine. Du kannst Dich nicht auf den richtigen Standpunkt versetzen, um mich zu verstehen, und kennst die nicht, von der wir reden.«

»Aber ich kenne Dich,« fiel Aurel ein, und er legte einen so starken Ausdruck auf seine Worte, daß Richard davon verletzt ward.

»Meinst Du?« rief er ihm zu. »Ei wohl, wir haben ja vor drei Jahren uns zuweilen gesehen, und was während dieser Zeit geschah, hast Du jedenfalls aus der besten Quelle erfahren.«

»Aus einer Quelle, die Du freventlich vergiftet hast,« versetzte Aurel, »so daß Du Dich nicht wundern darfst, wenn sich jetzt Dein Bild verzerrt und in schmachvoller Häßlichkeit darin abspiegelt.«

Richard gab keine Antwort, er schien zu überlegen, was er sagen sollte. Erst nach einer geraumen Weile, während sie Beide schweigend neben einander hergingen und aus dem lebendigeren Stadttheile in todte dunkle Straßen gelangt waren, legte er die Hand auf Aurel's Schulter und bat ihn, still zu stehen. –

»Höre mich an,« sagte er, »denn ich sehe wohl, daß wir uns an einer Grenze befinden, wo wir uns verständigen oder auf immer trennen müssen. – Du hast mich verdammt, ohne mich zu fragen, jetzt machst Du Dich zum Paladin einer Dame, die Du besser kennen solltest, um zu wissen, wie viel ihr zu glauben ist. – An jenem Abende, wo wir uns trennten, und wo ihre unerträglichen Launen mir die vollste Gewißheit gaben, daß wir Beide unglücklich werden müßten, wenn sie meine Frau würde, beschloß ich, uns diese elende Zukunft zu ersparen. Ich reiste und kehrte nicht zurück. Was kann man mir vorwerfen? – Nie habe ich mein Wort gebrochen und nicht etwa eine Braut verlassen oder ein ausgesprochenes Verhältniß zerrissen. Es war eine Liebelei, ein Jugendtraum, eine Hofmacherei, wie es Tausende giebt, und dies Weib mit ihren Launen, ihrem Dünkel, ihrem Eigensinn, ihrer gefallsüchtigen herzlosen Verderbtheit hätte mich tausend Mal von sich gestoßen und mit Hohn vergessen, wenn ich gewartet hätte, bis sie so weit gewesen wäre. – Daß ich ihre Herrschaft zerbrach, ich sie verließ, war ihr ein unerträglicher folternder Gedanke, und nicht etwa heiße Leidenschaft machte sie unglücklich und krank, sondern Hochmuth, die Qualen ihres Ehrgeizes, die Furcht vor dem Hohne der Welt und die zerreißenden Schmerzen ihrer tödtlich verwundeten Eitelkeit.«

»Wie hart und ungerecht beurtheilst Du sie,« sagte Aurel, aber er sagte es im versöhnlichen Tone, denn seltsamer Weise that ihm diese Beurtheilung Johanna's wohl.

»Glaube Jeder von uns, was er will,« fuhr Richard fort, »genug, ich handelte, wie ich handeln mußte, und muß gestehen, daß, nachdem ich länger als zwei Jahre im Auslande gelebt hatte, ich kaum mehr dachte, daß man mir noch zürnen könnte, bis ich fand, daß mein Verbrechen noch völlig unverjährt war. – Ich wurde wie ein Feind und Verräther empfangen, mußte mich vertheidigen, was ich mit Bescheidenheit that, und bin froh, es endlich dahin gebracht zu haben, daß durch Vermittelung unserer beiderseitigen Verwandten eine Art von ceremonieller Aussöhnung stattgefunden hat, die mir vollkommen genügt.«

»Aber Du hast übel gethan, Johanna zu schmähen, wo und wie Du konntest, um Dein Benehmen zu vertheidigen,« sagte Aurel.

»Wer hat Dir das aufgebunden?« rief Richard. »Wahrscheinlich sie, die unter dem Einflusse ihrer krankhaften Einbildungen Phantomen nachjagt. – Ich habe Nichts gethan als mich vertheidigt, und dies so schonend, als ich vermochte. – Sara wollte es so, sie nannte es gerechte Strafe für meine Verirrung, und ich vollzog ihren Befehl, indem ich mich demüthigte und meine Schuld bekannte, so weit dies der Wahrheit gemäß möglich war. – Aber was will meine schöne Cousine denn nun noch von mir?« fuhr er lachend fort. »Sie tanzt, sie singt, sie ist die Krone aller Feste; sie sieht einen ganzen Haufen galanter liebenswürdiger Ritter zu ihren Füßen, die sie umschmachten und umwinseln; sie fesselt zu gleicher Zeit den größten Narren und den besten gutmüthigsten Sterblichen, Dich, mein lieber Aurel und den tapfern Baron in der goldenen Husarenjacke. Was will sie also mehr? –Sie schwimmt in ihrem wahren Elemente, wie ein Fisch im Wasser; sage ihr also, bitte sie, jeden ungerechten Groll gegen mich verschwinden zu lassen, denn, ich schwöre es, Niemand kann zufriedener mit ihrem Wohlbefinden sein als ich, Niemand ihr mehr Glück dazu wünschen.«

»Und dennoch,« erwiederte Dahlberg, »liegt in Deinen Worten und Deinem Tone ein Hohn, der sich schlecht damit vereint.«

»Pedant, der Du immer warst,« versetzte Richard, »welch' Unterpfand soll ich Dir geben? – Höre und urtheile, ob ich Groll hegen kann. Du erinnerst Dich vielleicht, daß wir einst, eben an jenem Abschiedsabende, ein lustiges Gespräch über Liebe und Ehe führten, in welchem ich meine Grundsätze darlegte, die damals von Euch mit Spott und Widerspruch angefochten wurden.«

»Ich erinnere mich dessen recht gut,« sagte Aurel.

»Nun so wirst Du auch wissen, daß die freie Liebe von mir verfochten wurde, und daß ich allen Zwang und alle Fesseln als schlecht und unsittlich darstellte.«

»Du vermaßest Dich, jede Liebe aus Deiner Brust zu reißen, die jene Freiheit verletzte, und vielleicht hast Du eine Probe damit an Johanna gemacht.«

»O Thorheit!« rief Richard heftig, »ich habe sie nie geliebt, nie, auf meine Ehre! Denn wahre Liebe verbindet zwei Wesen auf ewig, und keine Fessel ist nöthig, kein anderes Band, um in Noth und Tod zusammenzuhalten, als jenes einzige, unerforschliche Mysterium des Herzens, das ein Gott dem Menschen mitgegeben hat, damit er nicht verzweifle. – Aber dennoch,« sagte er ruhiger, »dennoch hast Du vielleicht Recht, denn wahr ist es, erst nach unserm Gespräche an jenem Abende ward es mir zur Gewißheit, daß ich Johanna nicht lieben könne, und von Stunde an empfand ich ein Grauen vor einer Verbindung mit ihr.«

Er schwieg, und als er den Faden seiner Rede nicht wieder ergriff, sagte endlich Aurel:

»Was Du mir mittheilen willst, läuft also, wie ich denke, auf das Bekenntniß hinaus, daß Du leidenschaftlich und ewig liebst und ein Weib gefunden hast, die jenes einzige göttliche Mysterium Dir aufthut.«

»Ja, Prophet,« erwiederte Richard in dem alten spöttelnd frohen Tone, »ich habe ein Weib gefunden, die dies thut; ich lebe in freier Liebe ohne Fesseln, habe der leichtsinnigen Welt darum entsagt, bereue es nicht und bin im Begriffe, Dich in mein Heiligthum einzuführen und Dir zu beweisen, daß meine Grundsätze nicht so verwerflich sind, wie Du einst meintest.«

»Mich willst Du zu Deiner Geliebten führen?« fragte Dahlberg, »und sie ist die Dame, welche mich zu ihrer Bekanntschaft einlud?«

»Besorge Nichts,« versetzte Richard laut lachend, »Deine Tugend so wenig wie Deine Ueberzeugungen werden in Gefahr gerathen, und mit der Aufrichtigkeit, welche Du an mir kennst, will ich Dir gestehen, daß ich selbst wahrscheinlich nie Dich in die Zweifel versetzt hätte, welche deutlich auf Deiner Stirn stehen, wollte Sara Dich nicht durchaus kennen lernen. – Ich weiß nicht, ob sie Dich bekehren will,« fügte er hinzu, »aber ich habe ihr unser Gespräch und Deinen Zorn wie Deine Aussprüche nicht verschwiegen. Sie hegt unwiderstehliches Verlangen, Dich kennen zu lernen, und hier stehen wir nun an der Schwelle, Aurel. Großer Sohn Alkmenens Alkmene war in der griechischen Mythologie die Mutter des Herakles, des größten Helden des antiken Griechenlands. Das Folgende spielt an auf den Mythos von ›Herakles am Scheideweg‹; dieser muss sich zwischen einem mühelosen, aber kurzfristigen und moralisch verwerflichen und einem beschwerlichen, aber tugendhaften und langfristig beglückenden Lebensweg entscheiden., entscheide Dich, wähle zwischen Tugend und Laster, wähle zwischen Sara und Johanna.«

Aurel blieb wirklich zögernd an der Gartenmauer und vor der kleinen Thüre stehen, auf deren Drücker Richard seine Hand gelegt hatte. Es kam ihm vor, als befinde er sich vor dem Eingange eines Unglück drohenden dunklen Labyrinths, in dessen Irrgängen er den leitenden Faden verlieren müsse, den keine treue Ariadne Ariadne war in der griechischen Mythologie die Tochter des kretischen Königs Minos und seiner Gattin Pasiphaë, einer Tochter des Sonnengottes Helios. Sie half Theseus, den Minotauros zu besiegen; auf Dädalus' Anraten übergab sie ihm ein Wollfadenknäuel, dessen Ende er am Eingang des Labyrinths befestigte. Theseus tötete das Ungeheuer und fand dank des Ariadnefadens unversehrt aus dem Labyrinth heraus. ihm wieder reiche, und schauernd vor einem Widerwillen, den er nicht überwältigen konnte, trat er zurück, als Richard die Pforte öffnete und ihn beim Mantel ergriff.

»Wähle schnell,« rief der Herr von Corbin, »oder schlage Dein Kreuz als frommer Christ und entfliehe.«

Der schneidende Spott in seiner Stimme und sein Lachen, das in der Finsterniß wie das Hohngelächter eines unsichtbaren fürchterlichen Wesens verhalte, verstärkten die Abneigung Aurel's. – In diesem Augenblicke aber fiel ihm Johanna, ihre Wünsche und ihre Befehle ein. Er dachte daran, mit welcher Begier und welchem Vertrauen sie Nachrichten von ihm erwarte, zu gleicher Zeit erwachte seine eigene Neugier und seine Besorgniß, von Richard als alberner Tölpel aus der Provinz lächerlich gemacht zu werden; es war daher Sache der nächsten Minute, daß er ohne weiteres Besinnen seinem Führer folgte, der hinter ihm die Thüre in's Schloß warf.

»Sei unbesorgt, mein tapferer Aurel,«sagte Richard, »Ich glaube kaum, daß Du Deine Kühnheit je bereuen wirst. – Du bist hier keineswegs in einer geheimnißvollen Einöde oder in einem der gefährlichen Gärten Armida's, sondern auf meinem Eigenthume, und wenn es Tag wäre, würdest Du einen ganz gewöhnlichen, doch ziemlich artigen Fleck Erde finden, auf welchem eine Anzahl Bäume und Weinranken stehen, die jetzt winterlich die kahlen Köpfe hängen lassen. Im Hintergrunde steht ein Landhäuschen, klein, aber behaglich eingerichtet, und dort, wo Du jetzt den Lichtschein bemerkst, wohnt meine Sara, ein durchaus menschliches Wesen von Fleisch und Bein und rothem warmem Blute, wobei ich jedoch bemerken muß, daß Geschöpfe ihrer Art trotzdem noch nicht von Buffon Georges-Louis Leclerc de Buffon, frz. Naturforscher im Zeitalter der Aufklärung, der sich unter anderem mit der zoologischen Klassifikation befasste. In Zusammenarbeit mit Louis Jean-Marie Daubenton verfasste er eine ›Allgemeine und spezielle Geschichte der Natur‹, die ursprünglich fünfzig Bände umfassen sollte. Ab 1749 bis zu seinem Tod 1788 erschienen 36 Bände. Eine deutsche Ausgabe (Allgemeine Historie der Natur) erschien ab 1752. beobachtet und in seiner berühmten Naturgeschichte als besondere Species aufgenommen wurden.«

Während er in dieser Art scherzte, führte er seinen schweigenden Begleiter auf einem breiten, mit Bäumen eingefaßten Wege mitten durch den ziemlich großen Garten. Das Leuchten des Schnees machte es hell genug, um an Spalieren, Hecken und gesäuberten Pfaden entdecken zu können, daß man Sorgfalt auch in der rauhern Jahreszeit darauf verwende, und als die beiden Wanderer in die Nähe des Wohngebäudes gelangten, bemerkte Aurel ein großes schönes Gewächshaus, das sich an jenes lehnte und den Lichtglanz in seinen zahlreichen dunklen Scheiben wiederspiegelte. –

Zu gleicher Zeit war es ihm, als höre er die Stimmen mehrerer Menschen, welche laut sprachen, er hörte dazu die Klänge eines schönen Flügels, welche einen Gesang begleiteten, doch es war keine weibliche Stimme, sondern ein voller tiefer Baryton, der ein Lied vortrug, das den Jubel der Zuhörer erregen mußte.

Indem er nach der Ursache dieser auffallenden Dinge fragen wollte, rief Richard aus:

»Wir kommen da zur rechten Zeit, wie ich vernehme. Sara hat Gesellschaft, man musicirt und weiß zu leben.«

»Aber es muß nahe an Mitternacht sein,« sagte Aurel.

»Was schiert uns die Nacht, Freund,« erhielt er zur Antwort, »wenn uns Becher winken, die wir leeren können? Sind die Tage nicht oft nächtig kalt und todt genug, um sie mit der Nacht gern zu vertauschen, und liegt nicht jenseits dieses zum Leben berufenen Staubes eine lange ewige Nacht, wo wir Zeit genug zum Schweigen und zur Ruhe finden?«

Aurel erwiederte Nichts, und Richard führte ihn rasch durch die Thüre in's Haus, das ein ziemlich langes einstöckiges und einfaches Gebäude war. Doch es zeigte sich, wie sein Besitzer schon gesagt hatte, schon im Vorsaale behaglich und gut eingerichtet. Eine Lampe beleuchtete hell die sechs breiten Stufen, welche zu der Höhe des Stockwerkes führten, in welchem die Reihe der großen und hohen Gemächer dicht geschlossen lag. –

Der ganze Flur und Vorsaal war mit warmer Luft geheizt, die aus dem Souterrain aufstieg, in welchem sich Küche und Dienerschaft befanden, und überall standen blühende und grünende Gewächse, Blumen und schöne Pflanzen, die aus Vasen und Töpfen träumerisch ihr fremdartiges Geblätter ausbreiteten.

Richard stieß eine der Flügelthüren auf und zog Aurel durch den matt erhellten Raum. Er ließ ihm nicht Zeit zum Verweilen, beantwortete seine Fragen nur mit Lachen und führte ihn weiter, indem er endlich den Sträubenden gewaltsam fortriß, bis sie zuletzt sich dicht bei der Gesellschaft befanden, die im Nebengemache wild durcheinander lärmte.

»Laß mich nur einen Augenblick los, um den Mantel abzunehmen,« sagte Dahlberg.

»Tritt im Mantel ein und zeige Dich, wie Du bist,« sagte Richard, »Niemand wird Dir darum zürnen. Wir kennen hier keinerlei Zwang.«

Und wie er dies sagte, öffnete er die Thüre und drängte seinen Begleiter hinein, auf den das volle Licht einer großen Astrallampe und mehrerer Kerzen fiel, die von glänzenden Armleuchtern den schönen Raum tageshell überstrahlten.

Nicht ohne Verlegenheit verbeugte sich Aurel vor den vier oder fünf Herren, die mit bewillkommnendem Rufe ihnen entgegen eilten, und welchen Richard die Hände drückte, indem er seinen Begleiter vorstellte. Es waren für Dahlberg völlig fremde Gesichter und Namen, aber ihr ungezwungenes Wesen, ihre scherzhaften und witzigen Reden, wie die Fröhlichkeit, welche hier herrschte, ohne zudringlich zu sein, machten einen guten Eindruck.

Es schien in der That aller Zwang verbannt aus diesem Kreise. Ein Paar der Herren rauchten; weingefüllte Gläser und die Reste eines splendiden Mahles standen auf dem Tische, aber vergebens forschte Aurel mit flüchtigem Blicke nach der Dame umher, die hier als Herrin schalten sollte. –

Plötzlich sah er im Hintergrunde des Zimmers von den weichen Kissen einer großen Bergère eine weiße Gestalt sich aufrichten, die in halb liegender Stellung ihn betrachtete, und an den tiefblonden Locken, die ihr über Nacken und Schultern fielen, erkannte er, daß es Sara sein müsse. –

Ein Gesicht mit stark ausgeprägten Zügen wandte sich ihm zu, die männlich genannt werden konnten, und welche durch ihre Bestimmtheit meist einen so großen Eindruck auf Männer machen. Die hohe breite Stirn und Augen von jenem kühnen langen Schnitt, der stolzen Charakteren eigen ist, zeugten von Gedankenfülle und Kraft, aber dem Ganzen fehlte die Harmonie; Nase und Mund waren stark und schlaff, und widerlich wurde Aurel von der Wahrnehmung berührt, daß diese Dame, die Göttin des unersättlichen Richard, Cigarren rauchte und in einen Nimbus von Dampf sich einhüllte. –

Es fiel ihm bei diesem Anblicke die ganze Reihe emancipirter Damen ein, welche ihre Freigebung aus dem Männerjoche und ihre Ebenbürtigkeit mit den Herren der Schöpfung dadurch beweisen wollen, daß sie ihre zartere weibliche Natur abstreifen und mit Rauchen, Trinken und leidenschaftlichem Zerbrechen aller Frauensitte sich zum Zerrbilde des Mannes machen. –

Diese da schien ihm um kein Haar besser zu sein. Ein rascher Gang seiner Gedanken rollte ihm ihr ganzes Leben auf, und während Richard ihn zum Sopha der freien Frau führte, begriff er vollkommen das Treiben, welches sie umgab, und wie es kam, daß der wilde schrankenlose Richard in ihr sein Ideal gefunden hatte.

»Hier, Sara,« rief Herr von Corbin, »hier bringe ich Dir die Sehnsucht Deiner Wünsche. Nimm ihn von meiner Hand, rein und unschuldig wie er ist, tugendhaft gleich einem Karthäuser, fleckenlos wie ein Prinz, charakterfest wie ein Philosoph und hartnäckig im Glauben wie ein Naturkind. Nimm ihn hin, Priesterin der Aufklärung, und weihe ihn ein in Deine Eleusinischen Geheimnisse, auf daß die Schuppen von seinen Augen fallen und er erkenne, was das Leben Wahres und Würdiges enthält.«

Die Dame reichte dem Neophiten Neophyt: neues Mitglied einer religiösen Gemeinschaft. die Hand und erwiederte lächelnd:

»Setzen Sie sich zu mir, Aurel, ich kenne Sie längst und, wie ich glaube, besser als Richard, obwohl ich Sie jetzt zum ersten Male sehe. Gebt ihm ein Glas,« fuhr sie fort, »nehmen Sie eine Zigarre, wenn es Ihnen gefällt, und nun fahrt fort zu thun, was Euch beliebt, macht Musik, sprecht etwas Gescheidtes, wenn Ihr könnt, oder hört zu, wie wir den Faden abwickeln.«

Ohne sich weiter an die Antworten ihrer Gäste zu kehren, begann sie mit Aurel ein Gespräch, das vornehmlich ihn selbst zum Gegenstande hatte, und nach wenigen Minuten wußte sie durch ihre Art der Unterhaltung seine Theilnahme lebendig zu machen. Ihre Worte waren einfach und natürlich und drückten das, was sie empfand, mit solcher Klarheit, aber auch mit solcher Offenheit aus, daß Aurel auf wunderbare Weise davon ergriffen und fortgerissen wurde.

Er konnte nicht einen Augenblick daran zweifeln, daß sie Alles sagte, was sie dachte, daß nicht die leiseste Verstellung oder ein gemachtes angekünsteltes Wesen ihr Benehmen leitete, und er war nach einer Viertelstunde überzeugt, daß er noch nie ein Weib kennen gelernt hatte, die so kühne, seltsame und anregende Gedanken auszusprechen wagte; ja, er gestand sich zuletzt, daß diese Frau jedenfalls viel Geist besitze, mehr wie irgend eine, mit der er jemals geredet, und daß sie einen Zauber der Unterhaltung ausübe, der hinreißend und betäubend sei. –

Was er von ihr hörte, entsetzte ihn bisweilen, denn es lief gegen die Moral an, welche er bisher für allein wahr gehalten, und in deren Lehren er auferzogen war. Er vernahm aus ihrem Munde die Grundsätze, welche Richard einst aufstellte, aber sie that es noch viel schärfer und, wie Aurel sich sagte, gotteslästerlicher und verruchter. –

Sie faßte seine Einwürfe dagegen nicht wie Richard mit Spott, sondern mit stolzer Ueberlegenheit auf und bewies ihm die Wahrheit durch eine Kette kalter Verstandesgründe. Dennoch aber blitzte ihr großes Auge feurig dabei, und wenn sie ihn heiß und lange anblickte, kam es dem armen Aurel vor, als verwirrten sich seine Gedanken, und es ging ihm beinahe wie dem Kolibri unter dem Drucke der Schlangenaugen: er stotterte Antworten, die keine waren, und gab sich gefangen. –

Sara erzählte ihm, wie Richard Alles, was er selbst von Aurel wußte, ihr nach und nach mitgetheilt hatte, und wie sie sich daraus ein Bild von ihm zusammensetzte, das auf ein Haar sich richtig erwies. –

»Sie waren von den Dreien der beste,« sagte sie lachend, »und darum der Unglücklichste. Sie liebten diese Johanna mit aller Zärtlichkeit einer schülerhaften Jugendliebe und sahen sich verschmäht um diesen Dornbusch Richard, der die Rache für Sie übernahm.«

»Sara hätte Sie nicht verschmäht,« rief einer der Herren vom Tische herüber.

»Nein,« erwiederte sie, ich hätte Mitleid mit seinen Fehlern gehabt und ihm den Weg gezeigt, der aus dem Wirrwar sentimentaler Träume zur Befriedigung bestimmter Lebensanschauungen führt.«

»Und wo liegt dieser glückliche Weg?« fragte Aurel.

»In der Erkenntniß der Welt, wie sie ist,« erwiederte Sara, »in dem Streben eines thatkräftigen Geistes, sich der Rechte zu bemeistern, die mit uns geboren sind, und im Kampfe mit dem tausendfachen Unrechte, das uns Allen durch Unterdrückung unserer wahren Natur anererbt und anerzogen wurde.«

In kühnen und beredten Worten machte sich ihr Unmuth jetzt Bahn, und mit wachsendem Erstaunen hörte Aurel ihren Schilderungen zu, die von den Zuständen der Gesellschaft der Menschen einen entsetzlichen Begriff entwarfen.

»Sehen Sie umher, wo menschliche Würde und menschliche Freiheit zu finden ist,« rief sie ihm endlich zu, »mit allen Diogeneslaternen werden Sie kaum in irgend einem Winkel eine Spur entdecken können. – Sie so wenig wie irgend ein Mensch, der den Kopf auf der rechten Stelle hat, wird dabei ruhig sein. – Zorn und Mitleid, Verachtung und Trotz zum Widerstande werden sein Herz füllen. Er wird Erbarmen fühlen mit den Leidenden, mit seiner eigenen Schmach, mit der Menschheit. Er wird alle Vorurtheile zu zerreißen suchen, sich über das Geschrei der Dummen wie der Klugen zu trösten wissen und den Kampf gegen das Unrecht wagen, weil er nicht anders kann.«

»Gebt Euer Gold und Silber den Armen,« rief der Herr, sein Glas erhebend, »denn wahrlich ich sage Euch, noch ist kein Reicher in den Himmel eingegangen.«

»Und er wird auch nicht eingehen,« fiel Sara ein, »so wenig wie ein Armer, bis der Wahn ein Ende nimmt, der unsere Seligkeit von der Erde in den Himmel versetzt.«

»Dieselbe Seligkeit,« erwiederte der Herr, »welche in diesem Augenblicke mein Inneres erfüllt, überkommt die Bewohner unseres vorurtheilsvollen nüchternen Planeten ganz gewiß, wenn die Fesseln zerbrochen sind, welche unsern Geist umnachten, wenn volle Freiheit und Gleichheit herrscht, wenn Jeder lebt, ißt, trinkt und liebt, wo und wie er will, und wenn namentlich keine Ehe mehr uns knechtet, kein Weib, kein Kind, kein Eigenthum uns plagt, und zu diesem Paar armseliger Kleinigkeiten wird unsere begeisterte Freundin Sara und ihr neuer Schüler Aurel und ganz gewiß verhelfen.«

Ein allgemeines Gelächter belohnte den Redner; die Gläser klangen, der Wein perlte, und von diesem Augenblicke an wurde das Gespräch von der Gesellschaft zusammen geführt und erstreckte sich über die verschiedensten Gegenstände. Kunst, Wissenschaft und Leben wurden hineingezogen; Aurel hörte geistvolle und lebendige Urtheile, dazwischen wieder Ergüsse über das Unglück und die Schande der Zeit. Zustände und Personen der entgegengesetztesten Art wurden mit Scharfsinn, Spott und schlagender Ironie kritisirt, Jeder trug dazu bei; so verrannen die Stunden der Nacht fast unbemerkt, und nur die tief herabgebrannten Lichter und erlöschenden Lampen zeigten endlich an, daß der Morgen nahe sein müsse.

»Ich hätte gern noch fortgewacht, um so gelehrt mit Euch zu sprechen,« rief endlich der Herr, welcher das Amt des Mephisto in diesem Kreise verwaltete, »aber der Hahn kräht, und meine Pferde schaudern.«

Er schüttelte seine Füße, setzte den Hut auf und schlug den Mantel fest um seine dürre Gestalt.

Die Andern folgten seinem Beispiele. –

»Ich lade Sie nicht ein, wiederzukehren,« sagte Sara zu Aurel, als er sich verabschiedete. »Nehmen Sie diesen Schlüssel zur Gartenpforte, den jeder unserer Freunde besitzt. Hat es Ihnen bei uns gefallen, so wissen Sie, wo wir zu finden sind; mißfällt Ihnen unser Treiben, so würde kein Zureden helfen. Ich habe Sie jetzt gesehen, Sie mich, wir müssen nun an uns selbst erfahren, wohin uns unsere Neigungen führen.«

»Ich sehe es Sara an, daß es ihr Wunsch ist, Sie wo möglich morgen schon wieder hier zu sehen,« rief der Herr im Mantel.

»Gewiß,« erwiederte die Dame, »ich würde damit zufrieden sein, denn Aurel hat ein Herz voll warmer Empfindungen und besitzt Gedanken, die sich zu erheben verstehen. Was ihm fehlt, ist ein Charakter, der von Welt- und Lebenserfahrungen gestählt wurde. Grundsätze, wie man es nennt, sind Unsinn. Der Bau eines Menschenlebens ist wie der Bau eines Hauses; die Mauern, und wären sie felsendick, thun es nicht, man kann in der Strohhütte oft besser und sicherer wohnen, es kommt nur darauf an, wie man sich einrichtet. – Gute Nacht, Aurel, ich bin Ihre Freundin.«


VI.

Mehrere Tage lang war Dahlberg von den Ereignissen jenes Abends bedrängt, wie er nie gewesen. – Sara, Richard, die ganze Genossenschaft, und was er von ihr gesehen hatte, wirkten eben so anziehend auf ihn ein, wie er des Abstoßenden Vieles fand. Ihr Lebenswandel war ein wilder, regelloser und, wie er sich sagen mußte, auch sittenloser und anstößiger, aber trotz dessen fand er in seinem Kopfe auch Gegengründe genug, welche sich auf die andere Seite stellten. –

Was Sara ihm gesagt über die Vorurtheile, über die Feigheit der Menschen, am Herkömmlichen fest zu kleben, an ihren Götzen zu hangen und heuchlerischen Götzendienst mit eingeimpften Gesetzen des Schicklichen zu treiben, unter deren Knechtschaft sie entartet seien, hatte mehr Kraft über ihn gewonnen, als er sich zugestehen wollte. –

Er war jung und lenksam. Sein Blut strömte warm, seine Phantasie war lebendig und sprang mit ihm über die trockenen Kanäle und sicheren Brücken des Lebens, auf welchen er bisher gewandelt, in den schäumenden Strom, der kein gewöhnliches Joch duldete. Je mehr er vor Zügellosigkeit zurückschrak und vor den Folgen im Voraus sich entsetzte, um so größer war sein heimliches Verlangen, das einen hohen Grad ungestümer Begier erreichte, wenn er an die seltsame Frau dachte, die den Mittelpunkt jenes Kreises bildete.

Ein Weib wie Sara hatte er noch nie gesehen. Er verglich sie mit Johanna und erschrak vor dem Vergleich. Das bleiche, feine, kranke Bild in dem goldenen Rahmen trat weit zurück vor der markigen hohen Gestalt Sara's, die in ihren dunkelgelben Locken löwenartig gebietend und siegesgewiß auf ihre schwache Nebenbuhlerin blickte. –

Aurel begriff es jetzt, wie Richard von einer solchen Frau gefesselt werden konnte, die ihren Fuß auf sein unbeständiges Herz setzt und, indem sie in Grundsätzen und Lebensanschauungen mit ihm übereinstimmte, durch Charakter und Geisteschärfe so weit über ihm stand, daß er im Gefühle seiner Schwäche zur blinden Unterwerfung und Anbetung des höher gearteten Wesens herabsank, ohne es zu ahnen.

Geplagt von seinen Vorstellungen wagte Aurel es nicht, weder das Haus der Präsidentin zu betreten, noch Richard und dessen Geliebte aufzusuchen. – Er scheute sich vor Johanna und fühlte ein inneres Widerstreben, ihr ein Bekenntniß abzulegen. Er mißtraute dem, was er bisher für wahr gehalten, denn nachdem er Richard gehört, waren seine Empfindungen zerspalten. Es kam ihm Manches unnatürlich und widersinnig vor, was er bisher vertheidigte, und seine Unruhe wuchs, wenn er daran dachte, welche Rolle man ihm zugetheilt, und welche Versprechungen er geleistet habe. –

Aber auch in das einsame Gartenhaus mochte er nicht wieder zurückkehren. Er sträubte sich gegen die heimlichen Einladungen seiner Gedanken so sehr er konnte, denn er empfand recht gut die Gefahr, welche darin lag. – Richard war im Besitze, Richard war im Genusse, damit war Alles gesagt, und Aurel erröthete vor den Einflüsterungen seiner Eitelkeit, die ihn überschlichen, wie sehr er auch gegen sich selbst zürnte. –

Er verglich sich mit Richard, und sein Selbstbewußtsein sagte ihm schmeichelnd, daß die Blüthe des Lebens früh von Jenem abgefallen sei, während sie bei ihm erst jetzt zur höchsten Kraft reife. Aurel hatte ihn beim Lichtglanze im Saale erst genau betrachten können, und er fand, daß die Frucht in der Treibhaushitze stürmischer Leidenschaften überreif und welk geworden sei. Aeußerlich hielt sich seine Gestalt, wie sie war, doch es fehlte ihr das Zuströmen frischer Lebenskräfte. Er war nicht mehr, was er einst gewesen, oder Aurel war selbst ein Anderer geworden. Sonst fühlte er sich demüthig vor dem schönen stolzen Nebenbuhler, jetzt sah er mit verächtlicher Kritik auf ihn herab und lachte über die Nebenrolle, welche Richard in Sara's Kreise übernehmen mußte.

Am dritten Tage erhielt er eine Einladung zu Frau von Corbin, und er traf alle Vorsicht, um wo möglich jede vertraute Berührung mit Johanna zu vermeiden. –

So spät wie möglich erschien er bei dem Diner, damit die Gesellschaft vollzählig sei, und als er den Baron Plettenberg an Johanna's Seite sah, der wie ihr Schatten sie begleitete, fand er sich erleichtert und nahm nun erst mit heiterer Unbefangenheit seinen Platz zwischen Mutter und Tochter ein. Gesprächig, doch bescheiden und mit dem richtigsten Takte ließ er seine gesellschaftlichen Gaben glänzen, die vielleicht heute zum ersten Male bei ihm zum vollen Durchbruche kamen.

Die Sicherheit, welche einst der Geheimerath ihm prophezeiet hatte, schien über ihn gekommen zu sein, oder der Abend im Gartenhause hatte Wunder an ihm gethan. Von dem schüchternen jungen Manne aus der Provinz war keine Spur mehr vorhanden, und Aller Augen ruhten wohlgefällig auf dem blühenden schönen Fremden. Die Damen flüsterten und fragten, der reiche Erbe gab Aurel einen neuen, gewiß noch höhern Reiz, und bedenklich prüfende Blicke richteten sich auf die Tochter der Präsidentin, welche in der Mitte zweier Anbeter saß, die, wie nicht zu zweifeln, einen Wettkampf um diesen edlen Siegespreis begonnen hatten.

Zweifelhaft jedoch schien es dem Zuschauer kaum mehr, wem sich die Entscheidung zuwende, als Johanna mit immer größerer Freundlichkeit sich zu Aurel wendete und fast allein mit ihm sprach. Ihre Augen leuchteten und schienen fragend die seinen zu suchen, ihr zartes Gesicht belebte sich, und die gewöhnliche Ruhe ihres Wesens verschwand unter der sichtlichen Erregung ihrer Gefühle. –

Der Baron an der andern Seite stand sehr verstimmt vom Tische auf. Er so wenig wie Eduard konnten das spöttische Lächeln mißdeuten, das aus manchen hübschen Gesichtern ihm halb bedauernd, halb tröstend entgegentrat. –

Der Regierungsrath warf einen finstern Blick auf Aurel und einen zweiten noch ärgern auf eine der schönen Spötterinnen, die hinter ihm ziemlich vornehmlich sagte:

»Sie hat sich so deutlich erklärt, daß, wer Augen hat zum Sehen, unmöglich zweifeln kann. – Das Gold in der Tasche ist ihr lieber, als das auf dem Rocke, und zwanzigtausend Thaler Renten besser, wie zwanzig Ahnen in Bleisärgen. – Wenn ich der Baron wäre, ginge ich in der Stille davon und schämte mich im Dunkeln.«

So urtheilten Viele, aber sie wußten nicht, daß Aurel, der nach ihrer Meinung einen vollständigen Sieg errungen hatte, sich mit aller List hütete, ihn zu benutzen. – Johanna's fragenden Blicken setzte er ein lächelndes Verneinen entgegen, er hütete sich ihre Winke zu beachten, die ihn aufforderten, seine Zeit zu benutzen, und als sie in einigen beziehungsvollen lauten Worten forschte, ob er neue und interessante Bekanntschaften gemacht habe, erwiederte er eben so laut, daß er allerdings so glücklich gewesen, doch sei, was er erfahren und erlebt, bis jetzt viel zu flüchtig von ihm erworben, um ein Urtheil darüber fällen zu können.

Das Fräulein von Corbin blickte ihn lächelnd, doch so durchdringend an, als wollte sie in seiner Seele lesen, dann nickte sie ihm schalkhaft zu und sagte:

»Sie gehören zu den vorsichtigen Leuten, Herr Dahlberg, die sich von Scheine nicht blenden lassen. Das ist doppelt lobenswerth von einem so jungen Herrn, der das Sprüchwort zu Schanden macht, daß Weisheit nur das Erbtheil des Alters sei.«

Als die Gesellschaft sich zerstreute und ein Theil sich empfahl, benutzte Aurel die günstige Gelegenheit, sich ebenfalls davon zu machen. Die Damen hatten sich zurückgezogen, er brauchte daher nur dem Regierungsrathe Lebewohl zu sagen, der einen Versuch machte, ihn zurückzuhalten.

»Willst Du uns schon verlassen?« fragte er. »Meine Mutter und Johanna werden Dich vermissen.«

»Leider kann ich nicht bleiben,« erwiederte Dahlberg.

»Schade,« sagte Eduard, »so geht heute Alles davon. Plettenberg ist auch fort, Du hast ihm seine Laune genommen …«

»Ich?« rief Aurel, »Gott bewahre, was muthest Du mir zu!«

»Still,« erwiederte der Freund, indem er den Finger drohend aufhob, aber doch nicht böse schien, »sei ganz still, so will ich auch schweigen oder mit dem alten Homer sprechen: ›Gegen die waltenden Götter ist menschliches Zürnen vergebens!‹«

Er drückte ihm die Hand, und Aurel eilte auf die Straße und athmete draußen so freudig auf, als sei er einer großen Noth entgangen. – Ein Druck lag auf ihm, von welchem er sich erlöst fühlte.

»O, sie ist schön,« rief er endlich aus, »sie ist gut, und welch' ein Bild edler Sitte und Weiblichkeit, welch' ein Contrast zu der Frau, die aller Schranken spottet! Und dennoch liegt Etwas zwischen uns, was ich nicht fortnehmen kann, ein fremdes starres Etwas, was mich unheimlich zurückstößt, während eine unwiderstehliche Hand mich vertraulich zu Sara führt, gegen meinen Willen.«

Er ging mit heftigen Schritten durch die Straßen, in denen es dunkel zu werden begann, und plötzlich stand er an der Gartenpforte.

»Was will ich hier?« fragte er sich selbst und hielt den Schlüssel zögernd fest, aber ein solches Selbstverhör des Verstandes hat noch nie gefruchtet, wo die Empfindungen alle Bedenklichkeiten der Wächter des Gewissens in den Schlaf gesungen haben. Nach kurzer Unentschlossenheit öffnete er die Thüre, eilte durch die Gänge, und als er von einer Dienerin hörte, Sara sei allein im Treibhause, waren seine letzten Zweifel übertäubt.

Leise durchwanderte er das blühende duftende Reich eines künstlichen Frühlings, und von dem Schimmer eines sanften Lichtes geleitet, trat er in die kleine Rotunde in der Mitte des Gewächshauses, wo Orangen, Myrthen und Tropenbäume, vermischt mit Blumen und seltsamen Schlingpflanzen eine grüne und farbige Wand um die tiefe Nische spannten. Hier stand ein großes dunkelrothes Sopha. Auf dem Tische brannte die Sinumbralampe Eine schirmlose Öllampe in der Art einer Astrallampe, die aus einer durchscheinenden, auf einem Sockel getragenen Glaskugel besteht. mit mattem Glanze, ein Buch lag aufgeschlagen vor ihr, aber Aurel's Blicke flogen darüber hin auf die Kissen des Ruhebettes, wo dunkelblonde Locken flüssig wogend über den Sammet zu rollen schienen, und mit hochklopfenden Pulsen betrachtete er die schöne Schläferin, deren üppige Formen sich vom dunklen Grunde malerisch ablösten. –

Aurel stand wie gebannt mit brennenden Augen vor diesem Bilde. – Das Gewand von silbergrauer Seide floß an Sara's Leib in schweren Falten nieder, der Shawl, welcher Hals und Brust umhüllt hatte, war im Schlafe abgefallen, ihre weißen Arme waren frei von aller Hülle und dienten dem Kopfe zur Stütze, der, seitwärts gebeugt, das ruhige stolze Gesicht, das Lächeln der Lippen und die kühne Stirn im vollen Lichte zeigte.

Und Alles war so still in dieser grünen Einsamkeit. Kein Ton, kein Hauch, kein Rauschen eines Blattes oder das Flüstern einer Blume. Nichts war zu hören, nicht einmal die langen leichten Athemzüge der Schlafenden, deren Leben allein das leise Schwellen und Sinken ihrer Brust anzeigte.

Eine Zahl von Minuten verging, und Aurel regte sich nicht. – Plötzlich aber, wie getrieben von einer unwiderstehlichen Gewalt, eilte er auf sie zu, beugte sein Knie an ihrem Lager, und indem er mit beiden Armen sie umfaßte, drückte er Kuß auf Kuß auf ihre Lippen. – Ein Schwindel ergriff ihn, eine jener Rasereien des empörten Blutes, das jeden Gedanken tödtet und keine Beherrschung mehr anerkennt. Er wußte lange Zeit nicht, ob Sara ihm seine Küsse zurückgab, ob er wirklich ihren heißen Athem empfand, ob ihre Arme sich um seinen Nacken wanden, ihre Stimme ihn Geliebter und Ersehnter nannte, oder ob das Alles ein Traum sei.

In diesem Augenblicke ward die Thüre aufgerissen, die Scheiben klangen, und ein schallendes Gelächter fiel wie ein verheerender Lavinenstrom in diese Gluth. Aurel sprang auf; da stand Richard und drei andere Herren mit ihm an der Schwelle, Richard einstimmend in das Hohngelächter, aber mit flammenden Augen, zwischen Entsetzen und Verachtung, zwischen grausamer Pein und hochmüthiger Sicherheit schwankend, ungewiß ob er sich einer wüthenden Eifersucht oder einem vernichtenden Spotte überlassen sollte. –

Zum ersten Male konnte Aurel den Blick des Mannes nicht ertragen, den er so oft einen Elenden genannt hatte. Er fühlte seine Schuld, und sein Auge wandte sich verwirrt zu Sara, die sich aufgerichtet hatte, ihm zulächelte und ihre zerstörten Locken ordnete. –

»Nun was giebt's?« sagte sie dann, »was wollt Ihr von uns? Komm her, Aurel, setze Dich zu mir, wir wollen es den geistreichen Leuten bequemer machen. Oder,« fuhr sie fort, »habt Ihr außer Witzeleien und Gelächter Gründe, die sich vernehmen lassen können? – Was wollt Ihr also? Wollt Ihr etwa meine Freiheit beschränken, diesen da zu küssen oder ihm zu sagen, daß er mir lieb ist?«

»Wer könnte sich dessen erkühnen,« rief einer der Herren. »Er ist nicht der Erste, Königin, der Gnade gefunden hat vor Deinen Augen, und wird nicht der Letzte sein.«

»Ich will Euch mit königlichen Devisen regaliren,« erwiederte Sara lachend. » Hony soit, qui mal y pense! Das ist für Euch Alle! –

Suum cuique, das merke Du Dir, Richard, und noli me tangere, das sage ich für mich und Aurel. – Jetzt seid uns willkommen. Laßt uns streiten oder scherzen, wie es Euch beliebt, und den Abend froh beisammen sein, wenn es Euch so gefällt.«

»Ja, laßt uns froh sein und die Sorgen verbannen,« rief Richard, indem er Aurel umarmte. – »Ich kann es Dir nicht verdenken, Du schmachtender Schäfer, daß Du von diesen Lippen Begeisterung forderst und an diesem Altare Deine Erstlingsopfer den Göttern darbringst. – Auch bin ich nicht so eigennützig, um einem guten Freunde nicht ein Labsal zu gönnen, besonders Dir, dem ich für andere geleistete treue Dienste so vielen Dank schuldig bin.«

»Ich wüßte in der That nicht, womit ich Deinen Dank verdient hätte,« erwiederte Dahlberg.

»Zu viel Bescheidenheit, liebenswürdiger Aurel,« fuhr Richard fort, »bemäntele nicht, was Du in rührender Weise verbirgst. – Wie, oder bist Du nicht der zarte Tröster der armen Johanna geworden, welche ihren Leiden zu unterliegen droht? Und höre, Du Bösewicht, ich sprach vor kaum einer Stunde einen Mann, der mir eine artige Neuigkeit mittheilte. Er kam von einem Diner und sagte mir mit boshafter Freundlichkeit in's Ohr: Freuen Sie sich, Richard, Ihre Cousine ist so gut wie verlobt. Ein gewisser Aurel, ein Ausbund von Liebenswürdigkeit und allerlei vortrefflichen Eigenschaften, hat so eben den Kampfplatz als entschiedener Sieger verlassen.«

»Das ist eine thörichte Erfindung!« rief Aurel mit rothem Gesichte.

»Mir einerlei,« schrie Richard zurück. »Ich gönne Dir die Nachfolgerschaft von ganzem Herzen und rechne dabei auf Deine Dankbarkeit und Freundschaft. – Suum cuique! Aurel, ich wollte, der König von Preußen verliehe Dir seinen Adlerorden, damit die Devise immer auf Deiner Brust stände. Aber Du bist ein so herrlicher verständiger Junge, Du läßt nicht mit Dir Katze und Maus spielen. Du weißt, was es heißt, sich lächerlich machen, weißt auch, daß man in die Schule geschickt wird, um Etwas zu lernen, und daß man sich ja hüten muß, erwachsenen Leuten, die mit dem Kinde scherzen und spielen, Ernst dabei zuzumuthen.«

»Den hast Du freilich nie gekannt,« fiel Aurel beleidigt ein.

»Und heute am wenigsten,«, sagte Richard lachend und höhnisch, »wie wäre das auch möglich gewesen! Aber sei freundlich, ich erlaube Dir, was Du willst, Du sollst volle Freiheit haben. Laßt uns froh sein, Freunde. Man muß das Leben genießen, so lange man es hat. Im Genusse liegt Alles, entbehren ist Tod!«.

» Qui ben vive, vive lungo!« rief einer der Herren. »Laßt uns keine Zeit verlieren, in der Zeit liegt Alles: Glück, Leid, Ewigkeit, Gott, Himmel und Hölle!«


VII.

Eine Woche verging, wo aufmerksame Beobachter allnächtlich beobachten konnten, daß meist erst in der Nähe des Morgens sich die Freunde des Herrn von Corbin aus dem einsamen Gartenhause unter Lachen und Lärmen entfernten. Mehr als ein Mal aber war auch ein einzelner Mann früh gekommen und spät gegangen und hatte, tief in seinen Mantel gehüllt, vorsichtig umherspähend sich entfernt. –

Es war Aurel, der trotz Richard's Warnungen und verächtlichem Spotte mit Sara weiter gekommen war, als der eifersüchtige Freund es ahnte. – Als er die Schranke zerbrochen fand, die ihn von Sara trennte, war er eines Einverständnisses gewiß, das, von beiden Theilen angeschürt, sich jeden Augenblick fester knüpfte. –

Richard gab sich fortwährend das Ansehen, als verlache er den Knaben, mit dem Sara ihr Spiel treibe; er scheute sich, der stolzen Frau, die ihn ganz beherrschte, Mißtrauen zu zeigen oder Vorwürfe zu machen, denn er mußte fürchten lächerlich zu werden oder vielleicht erst den bösen Geist wirklich herauf zu beschwören, der als Schattenspiel sein Auge blendete. –

Doch während er sich einbildete, es könne nichts Anderes sein, als eine Laune Sara's, fanden die Beiden Gelegenheit sich zu verständigen. – Zuweilen wohl war es Aurel, als sei diese Frau das Unglück, das sich an seine Fersen hefte. Aber die Leidenschaft duldet keine Philosophie, und wenn sie davor erschrickt, ist sie entweder auf dem Punkte zu gehorchen, oder sie hat nie die Höhe erreicht, wo sie als Wahnsinn in allen Adern brennt und kein anderes Leben duldet, als sich allein.

Bis dahin war Aurel nicht gelangt. Er war zu kalt, charakterlos schwankend, nicht muthig und nicht kalt genug, oder, wie die Menschen sagen, weder so schlecht, noch so gut, um über Gewissenszweifel und Gedankensorgen erhaben zu sein. – In seinen Mantel gewickelt ging er in der Dämmerung aus dem Garten, bald fortgerissen von seinen stürmisch aufgeregten Empfindungen, bald wieder verzagt und erschreckt von Vorwürfen und ängstlichen Bedenken. –

Sara hatte ihm Vorschläge gemacht, die ihn in qualvolle Zweifel versetzten. Sie hatte mit Ruhe und ihrer männlichen Bestimmtheit ihm erklärt, Richard aufzugeben, um mit ihm zu gehen, wohin er wolle. –

»Gehen wir nach Italien,« hatte sie gesagt, »in die Schweiz, wohin Du willst, ich folge Dir. – Du bist frei, ich bin es auch; wir werden am Fuße der Gletscher oder am Fuße des Vesuvs einen Ort finden, wo wir die menschlichen Narrheiten und Nichtswürdigkeiten verspotten und uns lieben können, wie es uns gefällt.«

»Aber, Richard,« fiel Aurel flüsternd ein. »Was wird aus ihm?«

»Was aus ihm werden kann,« erwiederte Sara, »Würmerspeise, Staub, eine Leiche im schlimmsten Falle oder im besten, ich weiß nicht, wie ich sagen soll. Sorge nicht,« fuhr sie fort, als sie den schreckenden Eindruck bemerkte, den ihre Worte auf Aurel machten, »ich bin überzeugt, dazu hat er den Muth nicht. Wir haben oft davon gesprochen, ob es nicht anekelt, uns in das große Nichts zu retten, wenn die Bürde etwa allzu widerwärtig würde, und ich habe bemerkt, daß er ein Poltron ist, der viel ertragen kann, ehe er seine Fahne um den Leib wickelt und sich in's Meer stürzt. – Glaube mir, er hängt am Leben, wie ein Wurm; man müßte ihn gewaltsam zertreten, sonst bleibt er oben und wird vielleicht noch einmal ein guter Christ. Bedenke also meinen Vorschlag, dann laß mich handeln.«

»Entfliehen mit ihr nach Italien oder in irgend ein Land,« murmelte Aurel, »es klingt schön, es reizt, aber auf wie lange?« –

Er fühlte ein banges schauderndes Gefühl in seinem Herzen, und mit dumpfer Stimme sagte er:

»Immer mit dieser Frau leben, immer mit ihr verbunden sein, losgerissen von allen Banden im Vaterlande, verachtet, vielleicht beschimpft – und Richard – ich fürchte ihn nicht – aber Johanna! – Kann ich sie vergessen? – O nein. – Vergessen, und doch, ich muß!«

In diesem Augenblicke rüttelte eine Hand an seinem Arme, und eine Stimme nannte seinen Namen. Er schrak zusammen und blickte scheu umher. Es war einer der Herren aus der Gesellschaft im Gartenhause, der lachend fragte, was er so einsam und trübselig hier treibe.

»Sie,« sagte er dann, als Aurel ein Paar gleichgiltige Antworten gegeben hatte, »Sie sollten wie Antonius aussehen, als er Egypten und die Kleopatra erobert hatte.«

»Wie soll ich das verstehen?« fragte Aurel zerstreut.

»Nun wahrhaftig,« rief der Herr lachend, »glauben Sie denn wirklich, daß Gott uns Alle mit derselben Blindheit geschlagen hat, die dicht genug um die Augen dieses unglücklichen Richard liegt?«

Aurel schwieg, und der Andere fuhr fort:

»Uebrigens ist mein Gleichniß mit der Kleopatra ein sehr schlecht gewähltes, wenn man bedenkt, daß diese emancipirte Königin, nachdem Cäsar und manche Andere sie besessen, erst auf den Antonius überging, den dieser kostbare Besitz gänzlich ruinirte und zuletzt den Tod brachte. Indeß,« fuhr er langsamer und nachdrücklich fort, »ein kluger Mann kann, wie man behauptet, aus Allem Nutzen ziehen, somit ist auch an diesem Gleichniß Nichts verloren.«

»Aber was ist damit gewonnen?« erwiederte Aurel. »Ich verstehe, was Sie meinen. Es liegt eine Anklage, eine harte Beschuldigung in Ihren Worten; beweisen Sie mir, daß sie begründet ist.«

»Vertrauen gegen Vertrauen,« sagte sein Begleiter. »Gestehen Sie mir erst das Recht zu, ein Urtheil über Sara zu fällen, indem Sie Ihr Urtheil freimüthig enthüllen.«

»Was soll ich Ihnen sagen?« rief Aurel. »Ich bin gefesselt von dem Ungewöhnlichen, angezogen von Eigenschaften, die ich bewundern muß, während manche mir gar nicht gefallen wollen. Ich befinde mich so zu sagen in einer Verzückung, deren Zauber ich mir selbst nicht zu erklären weiß.«

»Es geht Ihnen, wie den Opiumrauchern des Orients,« fiel der Herr lachend ein. »Den himmlischen Träumen folgt ein fröstelndes Erwachen und Kopfschmerzen, die schnell mit einer neuen Pfeife beseitigt werden müssen. – Ja, mein theurer Aurel,« fuhr er fort, »so ist es, ich habe Sie in der letzten Woche gut beobachtet und fühle eine Art Mitleid mit Ihrem Zustande, eben weil ich einsehe, daß Ihr Rausch einer ist, der doch nicht allzu lange währen kann, trotz der stärksten Dosen des süßen Giftes. – Sagen Sie mir geschwind, ob ich nicht recht habe, daß unsere vortreffliche Freundin Ihnen den Vorschlag machte, Richard zu verlassen, um mit Ihnen irgend ein gelobtes Land zu suchen, und ob nicht eben dieser ehrbare Antrag und seine Bedenken Ihr Gehirn eben jetzt beschäftigt haben?«

»Was Sie so gut wissen, will ich Ihnen nicht streitig machen,« erwiederte Aurel.

»Man könnte es undankbar und schlecht nennen,« rief der Herr, »daß diese edelherzige, für Wahrheit und Recht begeisterte Dame einen Mann aufgeben will, der Alles aufopferte: Namen, Ruf, Zukunft, Seele, Leib und Geld, aber wer wird so spießbürgerlich denken? Eben weil es mit ihm aus ist, total aus, weil seine Nerven zerrüttet sind, seine Gesundheit zerstört, und weil er ausgeschalt ist bis auf die Hefen, finde ich es klug, ganz ungemein klug, daß Sara sich an einen Andern wendet, der straffe Glieder und einen noch strafferen Geldbeutel hat. Auf Ehre, Sie werden glücklich sein. Es ist ein Weib, das Ihrem Leben himmlische, unvergeßliche Stunden gewähren wird, und an deren Blicken, Winken, Einfällen und Gedanken Sie bald mit derselben Hingebung hängen werden, wie dieser Richard.«

»Was sagen Sie da?« rief Aurel entsetzt. »Hat Sara so an Richard gehandelt?«

»Wie gehandelt?« fragte der Andere. »Was erschreckt sie denn so sehr? Sara ist ein außerordentliches Weib, und Richard ein Schwächling. Sie werden es anders zu wenden wissen, wie er, oder wenn auch nicht, so werden Sie doch anders enden, sich nicht betrügen und verrathen lassen, nicht das letzte Goldstück mit ihr verprassen, denn Sara ist eine Verschwenderin, und das ist tragisch und komisch zugleich, daß diese Menschen, welche das Elend und den Hunger, die blassen Gespenster aller Noth und aller Schande auf Erden, anklagen und den Egoismus verfluchen, auf seidenen Kissen darüber weinen. Und das hat unsere schöne Freundin von jung auf in ihrer stoischen Philosophie gethan. Sie ist im Reichthume geboren worden, hat mit sechszehn Jahren zuerst einen reichen, gefälligen Eheherrn bekommen, hat ihn arm gemacht, hat den Narren verlassen, um einem zärtlichen Freunde zu folgen, den sie in ihren Grundsätzen sich erzogen, und so Schritt für Schritt sich vervollkommnend in den Lehren eines schönen, genußvollen, von allen Reizen des Daseins umringten Lebens, hat sie Richard besessen bis zur Stunde.«

»Aber Sie,« rief Aurel mit Heftigkeit, »Sie und die ganze Schaar dieser Menschen, welche Tag für Tag und Nacht für Nacht Zeugen und Genossen dieses Lebens waren, warum theilten Sie es, warum öffneten Sie nicht die Abgründe vor den Blicken derer, die Sie Freunde nannten, und zeigten ihnen, was Sie mir zeigen?«

»Warum?« sagte der Herr. »Sie sind ein größerer Neuling in der Kunst zu leben und kennen die Menschen noch weit weniger, wie ich annahm. – Man würde mich verlacht und ausgestoßen haben, und ohne das Geringste zu nützen, hätte ich mir allein geschadet. Ich spottete über sie Alle, ich verhöhnte ihre Thorheiten, mich ergötzte diese Verzweiflung nach Kotzebue's August von Kotzebue (1761-1819), deutscher Dramatiker, Schriftsteller und Librettist. Kotzebue galt als ein Vater der dramatischen Trivialliteratur. Die Zahl seiner Lustspiele und Dramen beläuft sich auf mehr als 220. Ihr Erfolg verdankt sich seinem Gespür für populäres Theater in Stoff und Gestaltung. Muster und dieser Kultus des Fleisches und des Weines, der das angenehmste schmerzstillende Mittel ist. Ich sah ihren Untergang nahen und fiel zuweilen in den Prophetenton, um als Kassandra mich auslachen zu lassen. Jetzt macht es mir wahrhaftes Vergnügen, Ihnen Sara warm zu empfehlen. – Ich sage Ihnen nochmals, Sie finden keine Frau in der Welt, die Ihnen die schale Dürftigkeit Ihrer Tage so angenehm verkürzen wird. – Sie ist zwar eigentlich weder jung noch schön mehr, aber welch' Feuer der Gedanken, welche Phantasie und welch' seltsamer zauberischer Reiz, der sie umgiebt. – Entführen Sie sie, lassen Sie diesen Einfaltspinsel Richard mittelst eines halben Lothes Blei mit dem Schicksale für immer sich versöhnen, und schreiben Sie mir, wohin Sie gehen, ich komme nach und leiste Ihnen Gesellschaft.«

»Hierfür wie für alle und jede fernere Bemühung muß ich auf immer danken,« rief Aurel, indem er sich umwendete und rasch davon ging. –

Er hörte das häßliche, höhnische Lachen des Herrn hinter sich in der Nacht verhallen, hörte seine letzte Ermunterung, seine Schwüre treu zu halten, und es war ihm, als sei der böse Feind hinter ihm. Athemlos irrte er umher und erreichte endlich erschöpft seine Wohnung.

Aber aus diesem Kampfe der Leidenschaften, die seine Brust füllten, hatte sich doch der Entschluß hervorgerungen, nie mehr zu Sara zurückzukehren. – Ob es Wahrheit war, was der höhnende Warner ihm erzählte, ob Lüge, er wußte jetzt gewiß, daß er nicht weiter könne. – Ihm war es, als sei er plötzlich, wie die Verwandelten in den arabischen Märchen, erlöst worden von dem Zauber einer bösen Fee. Schamvoll brannte sein Gesicht vor den Erinnerungen seiner Handlungen, und qualvoller noch war die Reue, welche er empfand, wenn er bedachte, was er dadurch verloren hatte. –

 

Seit vierzehn Tagen beinahe hatte er jetzt das Haus der Präsidentin vermieden. Er hatte Einladungen abgelehnt, Billete ungelesen in den Ofen geworfen, hatte gewaltsam jede Regung unterdrückt, die ihn an Johanna mahnte, und jetzt kamen sie Alle plötzlich und traten vor ihn hin mit strafender verächtlicher Schärfe.

Seufzend deckte er beide Hände über Stirn und Augen, aber entsetzt von dem Wiederhalle, der ihm Antwort zu geben schien, riß er sie zurück und sprang auf. –

Das Licht brannte düster, und vor ihm an der andern Seite des Tisches stand eine dunkle Gestalt, ganz verhüllt im deckenden Mantel, einen schwarzen Schleier über Kopf und Gesicht gezogen.

»Johanna!« rief er erschüttert nach einem Augenblicke starren Schweigens.

Die Dame warf den Schleier zurück und blickte ihn fragend und forschend an.

»Ich komme selbst,« sagte sie, »weil ich wissen muß, was in Ihnen und um Sie vorgeht. Haben Sie mich verlassen, Aurel, haben Sie mich verrathen? Ich will Alles wissen, es ist besser, das Aergste zu hören, als in solcher Pein langsam zu verschmachten. – Reden Sie,« fuhr sie fort, als er schwieg. »Ich weiß, daß Sie Richard's Haus bei Tag und Nacht besuchten, daß Sie in wilder Genossenschaft sich wohl fühlten, daß die Frau, Sara heißt sie, welche dort herrscht, auch Sie umstrickte, daß Sie – o, Sie sehen, wie viel ich weiß! – sie lieben, sie anbeten –«

»Nein,« rief er sie unterbrechend, »ich liebe sie nicht, es ist eine Lüge, deren Gewißheit ich ganz fühle, aber ich will diese Lüge zerreißen, auf immer mich dem Selbstbetruge entziehen und die Strafe meiner Schwäche dulden. Ich muß fliehen, Johanna, denn ich weiß, was ich verschuldete, weiß, wie unwerth ich des Glückes bin, daß mir nahe war. – Leben Sie wohl, meine edle gütige Freundin, erlassen Sie mir, was ich bekennen müßte, aber glauben Sie, daß meine Seele mit ihren Erinnerungen bei Ihnen sein wird, bis ich aufhöre zu sein.«

Er hatte ihre Hände ergriffen, und plötzlich stürzte er zu ihren Füßen und bedeckte ihre Finger mit seinen Küssen und Thränen, als die Thüre sich aufthat, und Eduard langsam und lächelnd über die Schwelle des Zimmers trat.

Aurel erhob sich in heftiger Bewegung, aber der Regierungsrath legte den Finger auf den Mund und sagte mit gedämpfter Stimme:

»Ich suche meine Schwester, finde sie in Deinem Zimmer und Dich zu ihren Füßen. Ich hätte nicht vermuthen können, daß das Fräulein von Corbin ihren nächtlichen Spaziergang hierher richten würde, hätte vielmehr weit eher erwarten müssen, daß Eure Verlobung im Hause und unter den Augen meiner Mutter stattfinden würde. Indeß, verliebten Leuten ist Manches zu vergeben, darum mag es selbst sein, daß vielleicht auch Andere bemerkten, was ich sah, will ich doch meine Vorwürfe zurückhalten, allein ich erwarte jetzt von Dir, Aurel, daß Du auf der Stelle mich begleitest und meiner Mutter Dich entdeckst, die sich freuen und Dich segnen wird, weil sie Dir von alter Zeit her herzlich gewogen ist. – Meinen Glückwunsch nimm auf der Stelle, lieber, theurer Freund. – Du weißt, welche Absichten ich hatte, das ist vorbei, abgebrochen und beseitigt. Von ganzem Herzen also sei mir willkommen; laß uns treue unzertrennliche Freunde bleiben.«

Er umarmte Aurel, welcher mechanisch sich ihm überlieferte und keine Antwort mehr zu geben wagte. – Eduard's Worte waren eben so freundlich wie bestimmt, aber seinen lächelnden Lippen gesellte sich ein strenger Blick zu, der Genugthuung für die beleidigte Ehre der Familie zu fordern schien.

»Sie sehen, Aurel,« rief Johanna, indem sie sich neben ihn stellte und ihn ermuthigend freundlich ansah, »mein Bruder ist ein strenger Hüter meiner Ehre, er weiß, was sich für uns schickt, dennoch wird er Nichts einzuwenden haben, wenn ich ihn bitte, uns jetzt noch einige Minuten allein zu lassen. Er wird uns Beide genugsam kennen, um völlig ruhig zu sein; wir wollen ihm dagegen geloben, so bald als möglich ihm zu folgen, um meiner Mutter unsern Besuch zu machen.«

»Das ist wieder einer von Deinen wunderlichen Einfällen,« erwiederte Eduard, »und ich sowohl wie Aurel sollten ihn nicht dulden. Aber mag es sein, daß Ihr Geheimnisse auszutauschen habt in dieser Stunde, so hoffe ich doch, daß es nicht lange dauert. Ich will vorangehen und die Mutter vorbereiten, ich will es beschwören, daß Eurer Zärtlichkeit kein Zwang geschehen soll.«

Er entfernte sich und stieg die Treppe hinab, aber er kehrte leise wieder um und lauschte draußen an der Thüre; doch bei aller Anstrengung konnte er Nichts genau verstehen. – Johanna sprach mit gedämpfter Stimme, und Aurel antwortete leise, hastig und abgebrochen. Bald kam es ihm vor, als rede man darinnen in großer Aufregung, bald wieder verschmolzen die Stimmen in Bitten und abwehrenden Worten, bis Johanna endlich in hellem, heftigem Tone sagte:

»Mein Leben, mein Glück und meine ganze Zukunft hängt daran. Ich fordere es von Ihnen, Aurel, als Buße für alle begangenen Sünden, und wenn es wahr ist, daß Ihr Herz für mich schlägt, müssen Sie Ihr Gelöbniß erfüllen. Ich verlange Nichts mehr, fürchten Sie Nichts, ich bitte, ich flehe zu Ihren Füßen, es muß so sein.«

Mit bangem Erstaunen hörte Eduard auf das Geräusch.

»Welche Buße legen Sie mir auf,« rief Aurel, »und welche Gefahr und Noth bringen Sie über sich.«

»Nehmen Sie Ihren Mantel und lassen Sie uns gehen,« sagte das Fräulein mit entschlossener Stimme. »Wir wollen kurz sein und haben keine Zeit zu verlieren, denn meine Mutter und Eduard erwarten uns.«

Der Regierungsrath drückte sich, als die Thüre geöffnet wurde, hinter den dunklen Vorsprung der Treppe. Er ließ die Beiden hart an sich vorübergehen, dann folgte er ihnen vorsichtig nach.


VIII.

Lange gingen sie in ziemlicher Entfernung vor ihm her, und er hielt es für angemessen, sich ihnen nicht zu nähern. Begierig, zu wissen, welches Geheimniß hier obwalte, sann er vergebens darüber nach, und je mehr die beiden dunklen Gestalten sich in einsame öde Straßen verloren, um so weniger konnte er errathen, was sie dahin treiben könne. Mehr als einmal war er im Begriffe, rasch zu ihnen zu treten und Erklärung zu fordern, aber immer hielt ihn die lauernde Neugier, die seinem Charakter eigen war, davon zurück, und endlich wurden seine Erwartungen auf's Höchste gespannt, als er Aurel eine Gartenpforte öffnen und Beide darin verschwinden sah. –

Mit eiligen Schritten erreichte er die Thüre, aber sie war verschlossen, und seine forschenden Blicke musterten vergebens die hohen Mauern und Zaunwände, welche hier zu beiden Seiten den Weg einfaßten. –

Er hatte nie diesen abgelegenen Stadttheil betreten, er wußte nicht, wer hier wohnte, nicht, wohin diese Thüre führte. Die Dunkelheit lag schwer und lautlos auf diesem weiten Raume, kein Haus, kein Mensch ringsumher, nur in der Ferne brach der trübe Schimmer einer verkohlenden Straßenlaterne durch die feuchten Nebel, die der Nordwind leise murrend vor sich herwälzte. –

Nach einigen Augenblicken lauschte er an einem Spalt in der Thüre, und er glaubte in der Tiefe des Gartens die dunklen Schatten der beiden Verschwundenen zu entdecken. –

Bestürzt dachte er darüber nach, was Johanna hier beginnen könne, was Aurel mit ihr vorhabe. Blitzschnelle Vorstellungen begannen ihn zu martern, Gedanken über Schande und Verbrechen, welche in dieser Verborgenheit ihr heimliches Lager aufgeschlagen hätten. Er rüttelte an der Thüre, sie war fest und gab nicht nach. Seine Blicke flogen auf und nieder; da stand ein Pfeiler an der Mauer, der oben einen eisernen Arm trug, an welchem vor Zeiten wohl eine Laterne gesteckt haben mochte. Nach einigem Besinnen versuchte er daran emporzusteigen, und nach mehreren vergeblichen Versuchen hatte er das Eisen gefaßt und saß oben auf der Mauer. –

Hier sah er über weite Gärten hin, aber nirgends ein Licht, nirgends eine Wohnung. Besorgt blickte er in die Tiefe, ohne recht zu wissen, was er beginnen sollte, bis er bemerkte, daß an der innern Seite ein Weinspalier sich hinzog, und der Gedanke an Johanna seinen Muth neu erweckte. –

»Ich muß wissen, was hier geschieht,« rief er sich zu, »muß erfahren, was dies scheue Mädchen bewegen kann, alle Sitte so zu verletzen, und was es auch sein mag, ich will es aufdecken.«

Vorsichtig stieg er an den Stäben hinunter, aber lose und mürbe, wie sie waren, brachen sie mit ihm, ehe er den Boden erreichte, und glücklich genug fiel er in den dichten Schnee, der unten aufgehäuft lag. –

Das kalte Bad, welches er damit empfing, war ganz geeignet, seine Vorstellungen abzukühlen. Eine Zeit lang suchte er den verlorenen Hut, dann horchte er, ob das Brechen des Holzes die Aufmerksamkeit der unbekannten Bewohner erregt hätte, doch Alles war still wie zuvor, und langsam ging er zwischen den Spalieren und Bäumen hin, während er den nassen Schnee aus Haar, Rock und Halsbinde schüttelte und dabei überlegte, was er thun müsse.

»Ich werde sie aufsuchen und finden,« sagte er endlich, »doch was wird am Ende der Lohn meiner ganzen abenteuerlichen Irrfahrt sein, bei der ich Hals und Beine mit aller Bequemlichkeit brechen konnte? Vielleicht eine ganz gewöhnliche Geschichte, welche in Johanna's Kopfe umherspukte. Ein Besuch bei einer unglücklichen Familie, bei einem kranken oder wahnsinnigen Weibe, oder eine großmüthige Handlung, kurz irgend Etwas, was ihre reizbare Phantasie sich überzuckert hat.«

Er schwieg, denn er erblickte das Haus hinter den Bäumen und den Lichtglanz, welcher mattflimmernde Streifen durch die Nacht schickte.

Erwartungsvoll näherte er sich dem Gebäude, und plötzlich hörte er laute, heftig redende Stimmen, welche aus einem seitwärts liegenden erleuchteten Treibhause kamen. Behutsam schlich er heran, aber wie vom Blitz getroffen blieb er dicht an der Glaswand stehen, von den innerhalb aufgestellten Gewächsen versteckt, und starrte die beiden Männer an, welche sich darinnen gegenüberstanden. Er erkannte Richard und Aurel, zwischen denen in der Nische auf dem Divan eine schöne Frau saß, die den Kopf in ihre Hand gestützt aufmerksam ihnen zuhörte. Um ihr Haar hatte sie turbanartig einen weißen Shawl geschlungen, ihre Züge waren ruhig, nur um ihre Lippen spielte ein Lächeln, das wie Spott oder Verachtung aussah.

»So rede endlich, Sara,« rief Richard, »was bedeutet dies Possenspiel? Es ist zu lächerlich zum Ernste, zu ernsthaft, um lächerlich zu sein. Sprich Du selbst, erkläre diesem guten Kinde, daß Du einen Scherz mit ihm und mit mir triebst. Ich bitte Dich, mache mich nicht rasend, denn auch der Scherz hat seine Grenzen, und jetzt, bei Gott, jetzt haben wir Alle nöthig, ernsthaft zu sein.«

»Wie es Dir beliebt,« erwiederte die Dame lachend, »aber ich sehe die Nothwendigkeit wahrhaftig nicht ein. – Ich finde Gefallen an Aurel, was kannst Du dagegen haben? Welche Kette hält uns, welches Gelübde haben wir zu brechen? – Hängt nicht Alles von unserm freien Willen ab, und habe ich je den Deinen beschränkt? Wärst Du zu mir gekommen und hättest mir gesagt: Sara geh, Du bist mir lästig, glaubst Du, daß ich einen Augenblick gezögert, eine Bitte verschwendet oder gar Dir einen Vorwurf gemacht hätte?«

Alles Blut schien aus Richard's Gesicht zu weichen. Er hielt sich an dem Stuhle fest, der neben ihm stand, und sagte langsam:

»Unerhört, unmöglich, das kannst Du nicht, Sara!«

»Schäme Dich,« fuhr die Dame fort, »handle kalt und besonnen, wie ein freier Mann. Denke daran, daß wir uns tausend Mal gesagt haben: in unserer Freiheit liegt unser Glück, wer gehen will, gehe immer; selbst wenn wir leiden müssen, soll die Freiheit ohne Vorwurf bleiben.«

»Habe Mitleid, Du tödtest mich!« rief Richard, und eine furchtbare Angst schien seine Augen blutig zu röthen. »Aber nein,« fuhr er fort, »es ist nicht so, Du kannst mich nicht verlassen, mich, der ich Dich mehr liebe, wie ich zu sagen vermag. – Es ist Scherz, Sara, es ist ein Traum. Reiß mich aus dieser Hölle, ich kann Dich nicht aufgeben, ich kann nicht – Du bist das letzte, was ich besitze.«

Er streckte die Arme nach ihr aus und machte eine Bewegung, um vor ihr niederzusinken, aber Sara hielt ihn zurück und sagte stolz:

»Thue Nichts, was Dich herabwürdigt, ohne Dir zu helfen; ich kann mir nichts Schmählicheres denken, als dies armselige Betteln um Liebe oder um einen Besitz, der aus Mitleid Dir bleiben soll. Wo ist Dein Muth und Dein Trotz, der sich sonst bis zur Vermessenheit erhob? Bist Du so tief gesunken, um wie ein Ertrinkender Dich an den Halm zu klammern, ist Deine männliche Kraft so vernichtet, daß Dein ganzes Leben eine Lüge wird, dann habe ich Nichts für Dich, als Verachtung.

Aurel hat mir gesagt, daß er mich liebt,« fuhr sie gelassen fort, »und ich hatte Nichts dagegen. – Sprich mit Richard, sagte ich zu ihm, erkläre ihm, wie wir stehen, fordere mich von ihm, ich glaube nicht, daß er Nein sagen kann und wird. Hier steht Ihr nun Beide. Bringt Eure Ansprüche, die Ihr an mich zu haben glaubt, vor mein richterliches Tribunal und erwartet dann meine Entscheidung.«

Die spöttische Geringschätzung, mit der sie diese leichtfertigen Worte an die beiden Nebenbuhler richtete, vermehrten den Zorn und Abscheu, welchen der versteckte Zuschauer draußen vor allen handelnden Personen dieser Scene empfand. Er haßte Richard, aber er war empört über Aurel's tiefe Heuchelei. Und wo war Johanna? Wo hatte er sie gelassen? Was war aus ihr geworden?! Er wollte hinein, er zitterte vor Schmerz und Wuth, und schon legte er die Hand auf den Drücker der Thüre, welche er neben sich bemerkte, als Aurel einen Schritt gegen Richard that und diesen anredete.

»Erinnerst Du Dich,« sagte er, »jenes Abends, wo Eduard, Du und ich eine ewige Freundschaft beschworen? Erinnerst Du Dich auch, wie Du damals über Weiberliebe sprachst? – Du nanntest sie einen flüchtigen Rausch der Sinne, dem kein wahrer Mann eine Herrschaft über sich gestattet. – Weibergemeinschaft ist Unsinn, riefst Du mir zu, aber Trennung von dem Weibe, dessen Liebe ich verloren habe, und dessen Herz für einen Glücklichern schlägt, ist ein heiliges Naturgesetz! Und als ich fragte, ob Du immer so denken würdest? Da schwurst Du, so zu denken und zu handeln, und gabst Dein Wort, daß, sollte es je Dir geschehen, ich erfahren würde, daß Du nie gesäumt habest, Deinen Schwur zu halten. – Wohlan denn,« fuhr er mit erhobener Stimme fort, »das Schicksal macht wahr, was Du begehrt hast. Hier ist ein Weib, deren Herz Dir nicht mehr gehört, die Dir gesagt hat, daß sie einen Andern liebt. – Erfülle nun Dein Gelöbniß. Reiß Deine Liebe mit der Wurzel aus und schleudere sie von Dir. Zeige, was Deine Schwüre und Grundsätze werth sind; wenn Du aber zum Lügner und Verräther an Dir selbst wirst, so bedenke, daß Du dadurch Nichts ändern kannst. Sara's Liebe hast Du verloren; Deine Verzweiflung erweckt ihren Hohn, Deine Schmerzen erregen ihre Verachtung. Du hast Nichts von Klagen, Thränen und Bitten zu hoffen, Nichts von Ueberredung und Vorwürfen. Sie liebt Dich nicht mehr, sie liebt mich, und ich fordere sie von Dir als ein Gut, was nach heiligen Naturgesetzen Dir nicht länger gehören kann.«

»Erkläre Dich, Richard,« rief Sara, als Aurel schwieg. »Entweder erfülle Dein gegebenes Wort, oder gieb Deine Gründe dagegen an.«

Richard wollte antworten, aber fand keine Worte. Todtenbleich, die Arme krampfhaft verschlungen, die Stirn von Schweißperlen bethaut, und sein schwarzglänzendes Haar wie aufgebäumt vor Entsetzen, saß er auf dem Stuhle; die qualvollste Verzweiflung mußte jede Ader seines Gehirns füllen. Die Züge seines Gesichts waren verzerrt, seine Lippen zuckten, seine Zähne waren dicht geschlossen, die stieren glanzlosen Blicke seiner Augen drückten, unterbrochen von ihrem Rollen und Zucken, den ganzen furchtbaren Zustand seiner Seele aus. –

Plötzlich aber sprang er auf, und die Hände wie zum Gebet gefaltet, ohne Worte, ohne einen Laut, stürzte er vor Sara nieder.

In diesem Augenblicke traf ein dumpfes, halb ersticktes Lachen Sara's Ohr. Sie wußte nicht, ob es aus Richard's Mund In der Vorlage: »Ohr. sich hervorrang, oder ob es die Wand neben ihr aushauchte; aber ehe sie den Gedanken erfassen konnte, griffen weiße Finger in den Vorhang an der Nische; plötzlich ward er fortgezogen, und neben ihr stand Johanna.

Eine Minute lang blickten sich die beiden Frauen an, Beide stumm sich messend mit den langen einbohrenden Blicken, Johanna bleich wie der Tod, Sara mit dunkler Röthe auf der Stirn; dann wandte Johanna ihr Auge wieder auf Richard, und in ihrem Gesichte malten sich alle Leidenschaften, die sie verzehrten; gesättigte Rache, Scham, Erbarmen, Haß und Liebe, Entsetzen über den Mann, der wie ein Wahnsinniger sie anblickte, Mitleid mit seinem Jammer, Freude über seine Demüthigung.

Aurel eilte auf seine Freundin zu und hielt sie in seinen Armen fest. –

»Was thun Sie, Johanna?« rief er. »Fort von hier, lassen Sie uns gehen, es ist genug.«

Mit einem Gedankenschlage wußte Sara Alles. Sie faßte mit ihrer starken Hand Johanna's Arm und hielt sie fest, während sie mit der andern Richard rüttelte, der wie geistesabwesend sich aufgerichtet hatte.

»Eine Komödie in der Komödie,« sagte sie stolz lachend, »nein, Madame, es ist noch nicht genug. – Hier, Richard, betrachte diese Dame, es ist das Fräulein von Corbin, die Deinetwegen sich hierher bemühte. – Sieh sie an, ihre Rache ist befriedigt. Sie hat Dich so tief am Boden und so voll Schmerz und Angst gesehen, wie sie kaum in ihren wildesten Träumen Dich erblickte. Doch nun öffnet sich dies rachelustige Herz von Neuem, und die geheime Liebe, das schöne Mitleid, das zitternde Verlangen nach Vergebung tritt siegend herein. – Sie hat Dich trotz ihres Hasses immer geliebt und liebt Dich noch. Wirf Dich zu ihren Füßen, reiß ihre Hände an Deine Lippen, schwöre ihr neue Liebesschwüre, und sie ist Dein trotz des Mannes dort, der sich zu ihrem Schildknappen benutzen ließ und nicht sah, daß er Nichts war, als ein elender Spielball ihrer Gelüste. – Was zögerst Du?« fuhr sie mit erhobener Stimme fort, als Richard sich nicht bewegte, »benutze den Augenblick, triff Deine Wahl zwischen uns. – Was willst Du bei mir? – Wirf mich zu den Todten und folge der neuen Lebenssonne, deren Strahlen Dich wieder jung, schön, reich, blühend und geehrt machen können.«

Während ihrer Worte hatte Richard sie umschlungen, und sein Gesicht belebte und röthete sich von dem jähen Sprunge der äußersten Trostlosigkeit zum Taumel neuer Leidenschaft.

»Diese da?« rief er auf Johanna deutend, »und könnte sie mich mit Purpur schmücken, und ständest Du in Lumpen neben ihr, ich würfe mich zu Deinen Füßen. Bei Dir ist Leben, Himmel und Hölle will ich mit Dir theilen. Kein Gott, kein Tod soll mich aus Deinen Armen reißen!«

»Sie sehen, mein gnädiges Fräulein,« sagte Sara, »das Stück ist aus, und jetzt ist es genug. Geben Sie Ihrem Freunde den Arm und lassen Sie sich nach Hause führen. Viel Glück zur Verlobung.«

Johanna streckte den Arm aus, sie wollte sprechen, aber sie vermochte es nicht. Geisterbleich und die Füße festgewurzelt stand sie, wie an jenem Abende, wo Aurel sie zuerst gesehen hatte. – Ein furchtbarer Starrkrampf machte sie zu Stein, und die Marmorkälte ihrer Glieder preßte Aurel, der sie festhielt, einen Schrei des Entsetzens aus.

Plötzlich wurde die Thüre aufgerissen, und Eduard trat ungestüm herein.

»Ich hoffe,« sagte er mit zitternder Stimme zu Sara und ohne Richard anzublicken, »Sie lassen uns allein und feiern die Nachlese Ihres Triumphes über meine unglückliche Schwester an einem andern Orte. – Geh,« fuhr er zu Aurel gewendet fort, »suche einen Wagen auf, so schnell wie möglich; fort von diesem Orte, wohin, wenn Du ein Mann warst, Johanna nie gelangen mußte.«

Nach einer halben Stunde war ein Wagen zur Stelle. Eduard trug seine Schwester hinein, sprang ihr nach und schlug den Schlag zu, ohne sich um Aurel zu kümmern. »Fahre schnell,« rief er dem Kutscher zu, indem er ihm die Straße nannte. – Der Wagen rollte davon, ohne Mantel und Hut stand Dahlberg vor der Gartenpforte, die hinter ihm in's Schloß geworfen war.


Am nächsten Morgen waren seine Koffer gepackt, als sein Diener ihm ein Billet brachte. Es war von Eduard.

»Vielleicht,« so schrieb der Regierungsrath, »hast Du schon gehört, was in dieser Nacht sich in dem Gartenhause, das Du so wohl kennst, zugetragen hat. Man hat den Besitzer dieser einsamen Villa und seine Geliebte todt gefunden, von Kohlendampf erstickt, nachdem sie ein letztes Mahl zusammen gefeiert und das Leben wie den Tod um seinen Ernst und seine Würde betrogen haben. Meine Schwester hat sich erholt, doch ich muß fürchten, daß der zerrüttete Körper nicht lange mehr die Zerrüttung ihrer geistigen Kräfte überdauert. Unter diesen Umständen bitte ich Dich, über alles Vorgefallene dasselbe Schweigen zu beobachten, wie ich es thue. Es wird Dir wohl thun, ein Paar Jahre zu reisen und Dich zu erholen. Werde glücklich, das wünscht Dir auch Johanna und ruft Dir durch mich ihr Lebewohl nach.«

Nach einer Stunde fuhr ein Reisewagen aus dem Thore. Aurel ging nach Italien; er ist noch nicht zurückgekehrt.

* * *