Gesammelte Novellen. Dritte Abteilung.
Einzelausgaben.
Zweiter Teil
Neu herausgegeben
von
lobo.dox@freenet.de
2024
Es sind jetzt vier Jahre her, seit der »Centaur,« ein feines Registerschiff von neunhundert Tonnen, der ostindischen Compagnie gehörig, den Hafen von Calcutta verließ, um eine rasche Ladung Indigo nach Maskat, der Handelsstadt am arabischen Meere, zu bringen. Der Centaur war als Klipperschiff Klipper: schnelles Fracht-Segelschiff; scharf geschnittener Bug mit hohlen Linien (Klipperbug), starke Bodenaufkimmung (Kimm: der Übergangsbereich zwischen Boden und Seitenwänden des Schiffsrumpfes; die mehr oder weniger stark ausgeprägte Krümmung der Kimm wird Kimmung genannt), im Verhältnis zur Schiffslänge geringe Breite und hohe erreichbare Geschwindigkeiten. gebaut und bekannt als einer der ersten Schnellsegler; diesem Rufe entsprach er auch bei seiner jetzigen Reise. Er umstrich die indischen Küsten mit vogelartiger Geschwindigkeit und näherte sich, begleitet von dem schönsten Wetter und den günstigsten Winden, doch nicht zur Freude aller seiner Passagiere, in kurzer Zeit dem Ziele seiner Bestimmung.
Es befanden sich nur zwei Reisende am Bord des Centaur: eine junge Dame, welche glückselig lachte, als der Capitain eines Abends, wo die Sonne eben sinken wollte, auf einen fernen bläulichen Punkt deutete, welcher ostwärts aus dem glatten Meere emporstieg, und ihn als den Gebel Hadramaut auf der Küste von Oman ankündigte; ferner ein junger Herr mit ernstem sonnenverbranntem Gesicht, das sich noch dunkler zu färben schien, als er die Freude der schönen Dame sah und hörte. Er schlug seine Arme übereinander und blieb lange Zeit schweigend stehen, während die Dame mit dem Capitain plauderte.
»Wann werden wir in Maskat sein?« fragte sie.
»Ich hoffe, Madame, Sie werden morgen früh im Hafen erwachen.«
»Das ist schön!« rief sie lebhaft. »Mein Oheim, der Resident Statthalter, Gesandter im kolonialen Dienst. Major Harrison, wird mich sehnlich erwarten. Aber wenn wir nur noch den Dampfer antreffen, der nach Suez hinaufgeht!«
»Ich zweifle nicht daran,« versetzte der Seemann. »Wir haben morgen erst den Fünfzehnten, an welchem Tage er gewöhnlich gehen soll. Ich glaube jedoch gehört zu haben, Lady Roley wollte in Maskat einige Zeit verweilen?«
»Das ist meine Absicht,« erwiederte sie. »Ich will, bis der nächste Dampfer geht, bei meinem Oheim bleiben, allein ich muß durchaus schon jetzt Briefe nach London befördern. Ich muß meine Freunde von meiner nahen Ankunft benachrichtigen, damit sie einige Einrichtungen für mich treffen können, welche durchaus nöthig sind. Ich bin beinahe fünf Jahre in Indien gewesen, meine Sehnsucht ist daher nicht gering, London wieder zu sehen, und die Saison wird anfangen, ehe ich hinkomme.«
»Sie werden Zerstreuungen nöthig haben,« sagte der Seemann.
»Gewiß, Herr, gewiß. Der Himmel hat mir Schweres auferlegt, mich frühzeitig zur Wittwe gemacht.«
»Sir Roley, der Oberrichter, war ein sehr würdiger Herr,« fuhr er fort.
»Das war er. Er hat sein schwieriges Amt mit solcher Treue geführt, daß er darüber gestorben ist.«
»Und seiner jungen Frau, die er in alten Tagen nahm, hat er siebzig oder achtzigtausend Pfund hinterlassen,« murmelte der Seemann in sich hinein.
»Ich würde ihm in's Grab gefolgt sein,« fuhr die Dame fort, »wäre ich länger in Calcutta geblieben. Das Klima ist abscheulich.«
»Darum geht Madame lieber nach London auf Bälle und Routs,« dachte der Seemann heimlich, während er laut der Dame beipflichtete.
Diese schien jedoch Etwas von den Gedanken zu merken, welche sich bei dem Capitain des Handelsschiffes regten. Ihr Gesicht nahm einen strengen Ausdruck an, und ihre Augen richteten sich langsam auf den jungen Herrn, welcher noch immer nicht weit davon mit gekreuzten Armen am Besanmaste stand.
»Die Freuden dieser Welt sind mir gleichgiltig,« sagte sie mit sehr lauter Stimme, »ich sehne mich nicht nach ihnen. Aber dies heiße Klima hat meine Kräfte erschöpft; ich sehne mich nach Ruhe und Einsamkeit, das ist Alles, was ich wünsche. Nun, theurer Sir William,« fuhr sie fort, indem sie sich dem jungen Herrn näherte und, wie es schien, gewaltsam einen Ausbruch von Fröhlichkeit unterdrückte, der um ihren Mundwinkel schwebte, »wir sind am Ziele unserer Reise. Morgen werden Sie aus diesem Gefängniß erlöst sein, in welches Sie sich freiwillig begaben.«
»Kann man den Aufenthalt, welchen man freiwillig wählte, ein Gefängniß nennen, Lady Esther?« antwortete er.
»Sie haben mir das Opfer gebracht,« erwiederte sie mit holdseligem Lächeln, »haben sich den Freuden Calcutta's entrissen, mir die langweilige Seereise zu erleichtern und mich bis Maskat zu begleiten. So danke ich Ihnen viele angenehme Stunden, wofür ich Ihre ewige Schuldnerin bleibe.«.
»Was thäte ich nicht, um Ihre Dankbarkeit zu verdienen!« sagte er.
»Wie das rauh klingt!« lachte sie. »Ein galanter junger Herr hätte in verbindlichster Weise erwiedert: Sprechen Sie nichts von Dankbarkeit, unvergeßlich werden mir diese Tage sein.«
»Wahrlich, Sie haben Recht,« fiel er ein, »aber ich bin kein Modeheld, Lady Esther. Ich bin Soldat.«
»Capitain und Generaladjutant, Stab und Stütze des Herrn Gouverneurs,« fügte sie muthwillig hinzu, »dem es gewiß sehr schwer wurde, seinem erklärten Lieblinge die Erlaubniß zu bewilligen, einer armen Wittwe ritterliches Geleit zu geben. Aber ich weiß, daß er dies nur unter der Bedingung that, sofort nach der richtigen Ablieferung derselben in Maskat zu ihm zurückzukehren.«
»Spotten Sie nicht, Lady Esther,« sagte der Capitain, ohne in ihren Ton zu fallen.
»Gewiß nicht, theurer Sir William. Ich weiß, wie sehr Sie in Calcutta von vielen Hoffenden und Harrenden vermißt werden, und werde nicht murren, wenn Sie mich verlassen.«
»Wie grausam sind Sie doch,« rief er mißmuthig, indem er sie traurig anblickte, »da Sie wissen, daß es Nichts in der Welt giebt, was ich nicht mit Freuden für Sie thäte.«
»Und wie abscheulich, daß es so wenig für meinen Saladin zu thun gab,« lachte sie. »Warum haben wir keine Abenteuer erlebt? Warum gab es keinen Sturm, keine Klippen, kein Meerungeheuer, keinen malayischen Seeräuber, der uns verfolgte und enterte? Sie würden Wunder der Tapferkeit verrichtet haben, bester Sir William, aber leider gab es nicht die geringste Gefahr, nicht die kleinste Gelegenheit für einen so tapfern Officier Ihrer Majestät. Immer guter Wind, immer sanfte See, immer das allerfeinste Wetter. Und nun liegt der Hafen vor uns, keine Aussicht bleibt übrig für ein kühnes Wagstück. Ich sehe kommen, wir werden ohne alle außerordentliche Begebenheiten scheiden müssen.«
»Müssen wir denn scheiden, Lady Esther?«, fragte er.
»Wir müssen scheiden,« versetzte sie, »denn ich wüßte nicht, wie es anders sein könnte; aber ich hoffe meinen edlen Freund in London im nächsten Jahre wieder zu sehen, wenn er sich dann meiner armen Person noch erinnert und sein Versprechen erfüllt.«
»O dann, dann werden Sie längst mich vergessen haben!« rief er in ausbrechendem Schmerze. »Ich, der einfache Soldat, ich, der ich nicht zu glänzen verstehe, der ich Nichts besitze als ein Herz, das –«
»Das so voll schwarzer Launen und Einbildungen ist, wie alle Männerherzen,« fiel sie ein.
»Sie verspotten mich,« sagte er.
»Wie hart Sie sind, Sir William, wie böse Ihr Gemüth ist!«
»Wollen Sie mich nicht hören?«
»Ich höre Sie immer gern und mit Vergnügen. Aber bemerken Sie diesen köstlichen Abend, wir werden sobald keinen zweiten solchen erleben, an dem die Sonne so wundervoll untergeht.«
»Auch meine Sonne geht unter.«
»Dort hinter den arabischen Bergen wird sie morgen wieder aufgehen. Man heißt diesen Theil das glückliche Arabien, das Land Yemen, ist es nicht so? Dort wachsen Palmen und Datteln und der prächtige arabische Kaffee. Was muß es für ein Glück sein, dort zu wohnen, auf einer jener himmlischen Oasen, die den süßen Traum von Mohammed's Paradiese hervorgerufen haben! Wenn wir Beide dort wohnten, theurer Sir William, und jeden Morgen unseren Kaffee selbst pflücken könnten, Sie in der Gärtnerschürze, statt in der knappen Uniform und dem Federhute, ich –« sie schlug ein muthwilliges Gelächter auf, »ich mit der Kaffeetrommel, beturbant und bekaftant – Kameele um mich her, Dromedare, Sclaven, eine ganze Heerde.«
Mit der Röthe des ungeduldigen Unwillens im Gesicht sagte er:
»Sie würden Ihre Freunde dann ebenso peinigen, wie Sie es jetzt thun.«
»Allerliebst! Nein, gewiß nicht, bester Sir William. Sie müssen es versuchen. Ein Araberscheik ist unwiderstehlich. Kommen Sie als Scheik nach London, ich werde entzückt darüber sein.«
»Unsinn!« murmelte er heftig und stolz.
»Denken Sie darüber nach,« fuhr sie belustigt über seinen Zorn fort, »auch ich will mir dies Bild ausmalen. Aber es wird kühl auf dem Deck; kühlen Sie sich ab, theurer Sir. Gute Nacht denn! Auf Wiedersehen morgen in Maskat!«
Sie wickelte sich in ihren indischen Shawl, nickte ihm einen letzten Gruß zu, den er mit einer steifen Verbeugung erwiederte, und stieg die Cajütentreppe hinunter.
Der arme Capitain blieb voll Grimm und Schmerz zurück. Seine Augen starrten auf die fernen Berge Arabiens, die mit sonnenrothen nackten Häuptern am Himmel hingen, während Nebel und mächtige Schatten ihre Füße und das Meer einhüllten. Er wünschte in Wahrheit lieber einer der braunen Kameeltreiber zu sein, als hier zu stehen ohne Hoffnung und mit dem Kummer verschmähter Liebe.
Sir William hatte die junge Wittwe im Jahre zuvor gleich nach dem Tode ihres Gatten in Calcutta kennen gelernt und ihr gehuldigt, auch war er nicht zurückgewiesen worden; allein Lady Roley gehörte zu den Frauen, welche durch ihre Liebenswürdigkeit fortgesetzt neue Fesseln schmieden, dabei aber ihre Freiheit so lange als möglich bewahren wollen.
Plötzlich fiel es ihr ein, daß es besser sei, nach England zurückzukehren. Sie war reich, schön, jung, frei, wen konnte sie in London erst zu ihren Füßen sehen! Welche Rolle konnte sie in der großen Welt erwarten! Ihren Anbeter lud sie ein, ihr dorthin zu folgen. Daß dies nicht anging, wußte sie, aber seine Bitten und seine Verzweiflung halfen ihm Nichts. Sie verweigerte jede Erklärung, scherzte mit ihm, wenn er seufzte, verspottete ihn, wenn er zürnte, und lachte ihn aus, wenn er ihre Grausamkeit anklagte.
Endlich blieb ihm nichts Anderes übrig, als Urlaub zu nehmen und die schöne Wittwe nach Maskat zu begleiten. Mit einem Schiffe, das eine Woche früher nach Aden fuhr, hatte sie den größten Theil ihrer Koffer sammt einem Diener und einer Kammerfrau vorausgesandt. Die andere Kammerfrau erkrankte, ehe die Fahrt begann, und Lady Esther mußte sich entschließen, die Fahrt nach Maskat ohne weibliche Begleitung zu machen.
So war sie die einzige Frau auf dem Centaur, doppelt angenehm ihr daher die Begleitung ihres getreuen Verehrers, dem sie die Erlaubniß dazu nicht ungern ertheilte. Während der Einsamkeit und Langweiligkeit der Seereise hoffte Sir William die spröde Geliebte durch seine treuen Dienste doch endlich zu erweichen. Er that, was er vermochte, um ihr zu gefallen, für sie zu sorgen, sie zu unterhalten, ihr seine innige Ergebenheit zu beweisen, aber Alles blieb vergeblich. Jetzt, Angesichts der arabischen Küste hatte er einen letzten Versuch gemacht und – war verhöhnt worden.
Lady Esther hatte ihn ausgelacht, und er empfand, was es zu sagen hat, wenn eine Dame zu Liebesschwüren lacht. Die Hände in seinen Taschen ging er zwischen den Masten des Centaur umher, als wollte er die unschuldigen Planken zertreten und das Schiff mit Allem, was darin athmete, in den Grund des Meeres versenken. Die Luft, welche von der Küste herüberwehte, schien glühend zu sein, austrocknend und brennend drang sie in seine Lungen.
Er verwünschte tausend Mal seine Thorheit, sich an diese leichtsinnige herzlose Frau gehängt, sie bis über das Meer begleitet zu haben, um schamvoll endlich umzukehren und in Calcutta zur Zielscheibe giftiger Spöttereien zu dienen. Sein männlicher Stolz bäumte sich dagegen auf und trieb ihm das Blut in den Kopf; er schleuderte verächtliche Blicke durch die Nacht, welche immer finsterer ihn umgab, dennoch aber konnte er diese Gefühle nicht festhalten, denn immer wieder wurden sie von dem Schmerz überwältigt, entsagen, vergessen, die Frau aufgeben zu müssen, welche er mit Leidenschaft liebte. Unter dem heißen Himmel. Indiens werden auch die kalten Herzen der Kinder des Nordens durchglüht, berechnende Verständigkeit von der Gewalt der Empfindungen überwogen.
»Läge ihr Geld bei den Haien im Meere, hätte sie Nichts, wäre sie arm, ja, stammte sie dort aus der Wüste,« murmelte er, »es wäre besser, als es jetzt ist.«
Trotz dem Rathe, den die arglistige Lady ihm ertheilt hatte, sein Blut abzukühlen, wollte ihm dies nicht gelingen, selbst als es empfindlich kühl wurde, wie dies in den heißen Ländern bei Nachtzeit meist der Fall ist. Er achtete es nicht, daß dichte kalte Nebel das Schiff einhüllten und die Malayen und Laskaren, aus denen das Schiffsvolk bestand, über ihn lachten. Erst nach Mitternacht suchte er seine Schlafstätte auf, um dort ruhelos weiter sich mit seinen Gedanken und Vorstellungen abzuplagen.
Endlich aber griff er zu dem Mittel, zu welchem schon mancher von Zorn und Aerger geplagte Mann mit gutem Erfolg gegriffen hat, um alle Sorgen zu vergessen. Er nahm eine Flasche alten feurigen Portwein, den er unter seinen Vorräthen besaß, dazu ein Glas und hörte nicht eher auf einzuschenken, bis kein Tropfen mehr vorhanden war. Betäubt warf er sich auf sein Lager, und mit einem letzten Schwur, morgen ebenfalls zu spotten und zu lachen, schlief er ein.
Als Sir William Hunter erwachte, war ihm, als höbe ihn Jemand auf und ließe ihn heftig wieder fallen. Von der Erschütterung seines Körpers schlug er die Augen auf und sah verwundert umher. Es war Niemand bei ihm, er lag in seinen Kleidern, wie er sich niedergelegt, aber der Morgen schimmerte bleich durch das Deckfenster, und indem er sich aufrichtete und die Worte wiederholte, mit denen er eingeschlafen war: »Bei Gott, ich will jetzt auch lachen und spotten!« erhielt er einen zweiten noch heftigern Stoß, der ihn beinahe aus dem Bette warf, und den ein lautes Geschrei auf dem Deck begleitete.
»Wir sind im Hafen!« rief er aufspringend. »Gut denn, sie soll sehen, wie gleichgiltig ich bei Allem sein kann, was sie betrifft.«
Mit diese Worten stieg er die Treppe hinauf, aber mit jedem Schritte überzeugte er sich mehr, daß etwas Ungewöhnliches geschehen sei. Mehrere Matrosen liefen hastig an ihm vorüber, ohne Antwort zu geben, vom Vorderschiffe erschollen wirre gellende Stimmen, ein Paar große Segel flatterten an ihren offenen Gaitauen Gaitau: ein Tau, das dazu dient, Rahsegel »aufzugeien« (zu reffen), also an die Rah (segeltragender Bestandteil der Takelage eines Segelschiffs) in Falten heranzuziehen, um dem Wind keine Angriffsfläche mehr zu geben. im Morgenwinde, und eben hörte er den Capitain befehlen, die beiden Sternboote in See zu lassen.
Sehen konnte Sir William den Befehlshaber nicht, auch nicht was vorging, denn der Nebel lag dick auf dem Schiffe. Indem er aber vorwärts tappte, kam ihm einer der Steuerleute entgegen und lief ihn beinahe um.
»Was ist geschehen?« fragte er.
»Wir sitzen fest. Sind im Nebel auf Klippen gerannt!«
»Was können wir thun?«
»Wir müssen suchen los zu kommen, Herr. Verdammt sei der Nebel!«
Damit lief er davon, und Sir William folgte ihm nach und fand den Capitain auf dem Bollwerk bei der Ankerwinde stehend, wo er sich an einem Tau festhielt und mit den Leuten in den Booten sprach.
»Der Teufel hole diese Küsten und den Nebel dazu!« rief er aus, als er seinen Passagier erblickte.
»Ist Gefahr für uns vorhanden?« fragte dieser.
»Ich denke nicht. Das Schiff ist nur mit den Bugen eingeklemmt und hat keinen Schaden gelitten. Wir haben keinen Zoll Wasser im Raum, die See geht leicht, wir dürfen hoffen bald los zu kommen. Beruhigen Sie Lady Roley, es hat Nichts zu sagen. Nur ein Paar Stunden später werden Sie mit ihr in Maskat sein.«
Mit diesen trostvollen Nachrichten kehrte Sir William in die Cajüte zurück. Er war erfreut darüber, denn er hatte sogleich mit Schrecken an Lady Esther gedacht, daß sie in Gefahren gerathen könnte, und indem er sein Herz dabei heftiger klopfen fühlte, steckte sie den Kopf aus der Thüre ihres Salons, an dem er vorüber mußte.
»Guten Morgen, theurer Sir William!« sagte sie so süß lächelnd wie noch nie. »Was giebt es in aller Frühe dort oben? Sind wir im Hafen?«
»Leider nein, Lady Esther. Wir sind auf Klippen gerathen, und bei dem dicken Nebel weiß Niemand, wo wir sind.«
»Auf jeden Fall leben wir!« rief die schöne Wittwe. »Was meint der Capitain? Sind wir in Gefahr?«
»Er versichert, daß wir Nichts zu fürchten haben.«
»O wie Schade! Ein Schiffbruch zum Beschluß wäre allerliebst. Sie würden mich gerettet haben, tapferer Sir William. In einem Palmenwalde des glücklichen Arabiens wäre ich zur Besinnung zurückgekehrt.«
»Es ist besser,« erwiederte Sir William erbittert, »die Besinnung niemals zu verlieren.«
»Sehr wahr, theurer Sir, sehr wahr! Nur keine Abenteuer, bei denen der Kopf verloren gehen kann. Darum will ich schlafen, bis wir in Maskat sind. Machen Sie es eben so, höchst verständiger, besinnungsvoller Freund.«
Mit diesen Worten zog sie sich zurück und ließ den jungen Officier stehen, der voll Zorn in sein Cabinet eilte, dort die Fäuste ballte und zwischen den zusammengepreßten Zähnen murmelte:
»Verdammt will ich sein, wenn ich mich noch weiter von ihr mißhandeln lasse. Mag sie schlafen, so lange es ihr beliebt, mag sie im glücklichen Palmenwalde oder in Maskat aufwachen, geschehe was da wolle, mir soll es einerlei sein. Ich bin von meiner Thorheit geheilt.«
Als er auf das Deck zurückkehrte, fand er die Mannschaft in voller Arbeit. Die Boote hatten zwei Anker hinter den Spiegel Der Begriff Heckspiegel (meist einfach nur Spiegel) bezeichnet eine von den Seiten und dem Boden klar abgesetzte Fläche als hinteres Ende eines Bootes oder Schiffes (Heck). des Schiffs geworfen, um dessen weiteres Auftreiben zu verhindern, und eben sollten die Winden in Thätigkeit gesetzt werden. Auch der Nebel war im Fallen. Die Sonne durchbrach die ringenden Dünste, und kaum eine halbe Seemeile entfernt traten steile, spitze Bergspitzen daraus hervor.
»Das sind die Berge von Ras el Kubba,« sagte der Master des Schiffs. »Jetzt weiß ich genau, wo wir sind. Wir haben achtzehn Meilen bis Maskat und werden in fünf oder sechs Stunden im Hafen liegen, wenn wir aus dieser Klemme heraus sind. Holla, meine Jungen, strengt Euch an! Ich habe nicht den geringsten Zweifel, Sir William, daß keine Stunde vergeht, bis wir auf freiem Wasser schwimmen.«
In dem Augenblicke, da er dies jagte, verstummte er plötzlich, und als der Officier ihm in's Gesicht blickte, las er einen solchen Grad von Bestürzung darin, daß er laut ausrief:
»Sie stehen ja wie erstarrt, Master Salmons. Was ist Ihnen geschehen?«
»Blicken Sie dorthin,« antwortete der Seemann, indem er den Arm aufhob und gegen das Ufer deutete, das jetzt ganz von Nebel befreit war.
Sir William sah ein halbes Dutzend großer Boote, welche gefüllt mit Männern durch die Brandung ruderten und schon ziemlich nahe waren.
»Es sind Araber,« sagte er. »Sie wollen uns zur Hilfe kommen, haben uns vom Lande bemerkt.«
»Möchten ihre Augen mit Blindheit geschlagen sein!« versetzte Master Salmons ernsthaft den Kopf schüttelnd. »Die Araber von dieser Küste sind das raubsüchtigste Gesindel auf Erden. Sie werden alle unsere Mühe vereiteln, das Schiff abzubringen, werden uns ausplündern, mißhandeln, vielleicht fortschleppen und ermorden. Gott allein weiß, was aus uns werden wird.«
Sir William hörte diese schrecklichen Ankündigungen ungläubig an. Der Umschlag war zu plötzlich gekommen, um sogleich begriffen zu werden.
»Ich denke, Ihre Besorgnisse gehen zu weit,« erwiederte er. »Gehört diese Küste nicht zu dem Gebiete von Maskat, und ist dessen Beherrscher, der Imam, nicht Englands Freund und Verbündeter? Diese Bande wird nicht wagen, und feindlich zu behandeln.«
Die Antwort des Masters lautete nicht tröstlicher.
»Der Imam,« sagte er, »hat wenige oder gar keine Gewalt über diese wilden Stämme. An den Thoren von Maskat hört sein Reich auf. Die Wüste ist groß, wer will die Räuber darin aufsuchen? Und wenn mehrere Kehlen abgeschnitten sind, was nützt es uns, wenn man die Mörder wirklich endlich dafür hängt und straft?«
»Müssen wir dies in der That fürchten,« rief der junge Officier, »so wollen wir Widerstand leisten, zu den Waffen greifen und uns vertheidigen.«
»Wir haben keine Waffen am Bord,« versetzte der Capitain, »und mein ganzes Schiffsvolk besteht aus achtundzwanzig Köpfen. In den Booten, welche dort auf uns losrudern, sitzen mehr als hundert wohlbewaffnete Spitzbuben, und unter den rothen Felsen am Lande rüstet sich ein ganzer Haufen anderer, die uns nicht lange warten lassen werden. Ich sehe ihre Gewehre und blanken Scimetars Scimitar: orientalischer Säbel, einschneidige Hieb- und Stichwaffe mit geschwungener Klinge. ganz deutlich blitzen.«
»Aber was sollen wir beginnen?«
»Wir müssen durch Ruhe und Vorsicht, Bitten und Vorstellungen zusehen, ob wir mit dem Leben davon kommen,« erwiederte der Seemann. »Machen Sie keinen Versuch zum Widerstande, er würde uns augenblicklich auf die Schlachtbank liefern. Acht Meilen von hier liegt der Hafen von Soor. Scheik Abdullah ist mir bekannt. Vielleicht glückt es uns, dahin zu entkommen. Dies ist die einzige Hoffnung, welche ich habe. Es hilft Nichts, Sir William, halten Sie sich still, was auch geschehen möge.«
»Was frage ich nach mir!« rief der junge Mann, »aber,« sein Gesicht wurde bleich, »was wird aus Lady Esther?«
»Ich habe daran gedacht,« entgegnete Salmons, »und wahrlich, Herr, ich bin besorgt um sie. Diese Hallunken achten weder Jugend noch Schönheit, und sind ihre brutalen Begierden geweckt, so ist die Lady verloren. Eilen Sie zu ihr, sprechen Sie mit ihr und hören Sie,« er nahm den entsetzten Officier beim Arme, zog ihn fort und flüsterte ihm hastige Worte zu, worauf er zu seiner Mannschaft zurückkehrte, die voll Bestürzung alle Arbeit aufgegeben hatte und sich um ihren Führer sammelte.
Während er seine Verhaltungsregeln ertheilte, sprang Sir William, so schnell er konnte, die Kajütentreppe hinab und klopfte heftig an Lady Esther's Thüre.
»Was giebt's?« fragte die Dame von Innen.
»Theuerste Lady Esther,« sagte der geängstigte Anbeter, »in wenigen Minuten werden wir hundert wilde Araber am Bord haben.«
»Hundert? Das ist ja prächtig! Die stolzen Söhne der Wüste! Ich werde sogleich kommen.«
»Um Gottes Willen, nein!« schrie Sir William. »Diese Araber sind die ärgsten Räuber, die schändlichsten, blutdürstigsten Diebe.«
»Verleumdung, Sir William, kleinliche Verleumdung der sogenannten civilisirten Leute.«
»Ich beschwöre Sie, hören Sie, was Capitain Salmons räth. Er wird Ihnen sogleich den Anzug eines Schiffsjungen schicken. Legen Sie diesen an, dann wollen wir Sie in unsere Mitte nehmen. Mit meinem Leben will ich Sie schützen.«
»Danke Ihnen, tapferer Sir William. Aber ich will Ihren Muth auf keine solche Probe stellen. Die Araber sind ein ritterliches Geschlecht, und ich will mich nicht in eine schmutzige Theerjacke stecken lassen.«
»Spotten Sie nicht länger, Lady Esther,« sagte er angstvoll. »Sie ahnen nicht, wie groß die Gefahr ist.«
»Um so besser, theurer Sir William, um so besser.«
»Verdammt sei die Thorheit!« rief er verzweifelnd. »Wollen Sie nicht auf die Bitten Ihrer Freunde hören, so verschließen und verriegeln Sie wenigstens Ihre Thüre. Vielleicht gelingt es uns, es muß uns gelingen. Da sind sie schon!« schrie er auf, und seine Stimme verlor sich in dem wilden Geschrei, das vom Deck herunterschallte, und welches hundert Teufel nicht fürchterlicher hätten ausstoßen können.
Er hörte die Riegel an der Thüre hastig vorschließen. Das Geheul hatte besser gewirkt, als alle seine Ueberredungskünste. Die lachlustige Dame schien endlich zu merken, daß die Sache ernsthafter sei, als sie sich eingebildet. Als Sir William aber das Deck des Centaur erreichte, hatte sich die Scene auch dort in weit schrecklicherer Weise geändert, als er selbst es sich vorstellen konnte.
Die Boote der Araber lagen zu beiden Seiten des Schiffes, und an den herabhängenden Leitern und Tauen kletterten die wilden Gesellen mit katzenartiger Geschicklichkeit und Schnelle über alle Bollwerke, wobei ihr Geheul nicht aufhörte. Ihre erste Arbeit war, sich auf die Matrosen und Schiffszimmerleute an den Ankerwinden zu stürzen und diese mit hochgeschwungenen Scimetars zu verjagen, dann aber die Leinen in Stücken zu zerhauen, damit der Centaur besser auf die Felsen auftreibe.
Mit langen Gewehren, Messern und Pistolen bewaffnet lief die räuberische Rotte über alle Decke wie Bluthunde heulend und nach Beute suchend. Capitain Salmons sammelte seine Leute um sich und zog sich mit ihnen und Sir William in die Nähe des Steuerrades zurück, wo sie eine Zeit lang unbelästigt blieben, denn die Araber hatten mit sich und ihrer Freude, das Schiff in ihrer Gewalt zu haben, genug zu thun. –
Es waren größtentheils junge athletische Männer, deren broncene Gesichter und halbnackte Leiber unter den weißen Kopftüchern und lichtgrauen kameelhärnen Mänteln dämonisch hervorsahen. Ihre großen Augen funkelten vor Raubgier wie Löwenaugen, und in den nächsten Minuten schon erhitzten sich ihre Leidenschaften über verschiedene Gegenstände, welche auf dem Schiffe umherlagen, und auf welche mehrere der Diebe gleichzeitig Anspruch machten, in solchem Grade, daß sie wie Raubthiere über einander her fielen.
Blut spritzte umher, und Wunden wurden geschlagen; ein gräßliches Gebrüll begleitete diese Balgerei. Sir William, der sich auf den Kajütenkasten gesetzt hatte und mit verschränkten Armen zusah, schöpfte einige Hoffnungen auf ein allgemeines Gefecht.
»Ich denke,« sagte er zu Capitain Salmons, »sie schlachten sich gegenseitig ab, und das Beste wird für uns sein, wenn Keiner übrig bleibt.«
Der Master war jedoch besser mit arabischen Sitten und Gebräuchen bekannt.
»Selten tödten sie sich,« erwiederte er, »weil Jeder die Blutrache fürchtet. Ein paar Messerstiche werden mit einigen Schafen, Ochsen oder Kameelen bezahlt. Geben Sie Acht. Sie werden sich jetzt schnell vertragen und dann ihre gemeinsamen Verabredungen über die Beute und über uns nehmen.«
»Und was werden Sie thun, Master Salmons?«
»Ich werde einen unfruchtbaren Versuch machen, sie von der Plünderung des Schiffes abzuhalten.«
»Sie sagen selbst, daß es nutzlos sein wird.«
»Sicherlich. Aber er wird mir Gelegenheit geben zu versuchen, ob sie uns das Leben schenken wollen.«
» Damn!« murmelte der junge Officier, indem er seine Fäuste ballte, »ich will mich nicht geduldig abschlachten lassen.«
»Denken Sie immer daran,« antwortete Salmons, »daß nur die größte Unterwürfigkeit und Demuth uns retten kann. Wenn's nicht anders sein kann, Sir William, müssen wir vor diesen kameeltreibenden Spitzbuben niederknieen, wie vor unserem Herrgott, und wenn sie uns nackt ausziehen, nackt, wie sie selbst sind, Herr, so ist es immer doch besser, selbst kein Hemd zu behalten, als mit abgeschnittener Kehle bei den Grundhaien zu liegen. Aber sehen Sie dort,« setzte er lebhafter hinzu, »dort kommt Einer, der ohne Zweifel zu ihren großen Männern, ihren Scheiks gehört, also bei diesen Bösewichtern in Ansehen steht. Er bringt die Streitenden auseinander, und seine Augen richten sich auf uns. Da kommt er. Es wäre möglich, daß wir seinen Schutz gewinnen oder seine Habsucht aufstacheln könnten, wenn wir ihm eine große Belohnung bieten.«
Während er dies sagte, näherte sich der Araber, und Salmons hatte Recht, man konnte ihm ansehen, daß er ein Häuptling war. Sein Kopftuch von gestickter Seide hing lang bis auf seine Schultern nieder. In den Ohren trug er große goldene Ringe, und sein faltiges weißes Gewand wurde um den Leib von einem prächtigen purpurfarbigen und goldgewirkten persischen Gürtel zusammengehalten, in welchem zwei Dolche und drei Pistolen steckten.
Der junge, außerordentlich kräftige und schlanke Mann sah in dieser Tracht äußerst vortheilhaft aus. Sein Kopf war schmal, die Stirn hochgewölbt und kühn, Nase und Mund so edel und fein gebildet, wie man es nur im Orient bei den herrlichen Gestalten dieser uralten Wüstenvölker noch findet, welche unvermischt seit den Schöpfungstagen dort so noch leben, wie die Bibel ihr Leben schildert. Sein stolzes schönes Gesicht hatte aber auch den vorherrschenden Zug von Verschlagenheit und Verschmitztheit, der fast nie einem Araber fehlt, und während er seine dunklen Augen forschend und drohend über die Engländer gleiten ließ, spielte ein verächtliches Lächeln um seine Lippen.
Er legte die linke Hand an seinen reich verzierten Scimetar, die rechte grüßend auf seine Brust und stand so vor Capitain Salmons still, der ebenfalls beide Hände auf seine Brust deckte und sich verbeugte.
»Wer seid Ihr?« fragte er dann plötzlich in verständlich gesprochenem Englisch. »Wo kommt Ihr her?«
Die himmlischen Posaunen hätten dem Master nicht lieblicher tönen können.
»Nun Gott segne Euch, Herr!« rief er aus. »Ihr versteht Englisch.«
Der Scheik zeigte seine weißen Zähne.
»Warum sollte ich kein Englisch verstehen?« erwiederte er. »Ich bin in Soor gewesen und in Maskat auf der Schule, da habe ich Vieles gelernt. Habt Ihr Gold im Schiffe?«
»Nichts als Indigokisten,« versicherte Salmons. »Aber helft uns das Schiff nach Maskat bringen, Ihr sollt viel Geld dafür bekommen.«
»Dein Schiff gehört mir und meinen Brüdern,« sagte der Scheik den Kopf aufwerfend. »Der Prophet hat Euch alle in unsere Hände gegeben.«
»Du weißt, Scheik,« erwiederte der Master in einem Tone, der zwischen Bitte und Drohung schwankte, »daß der Imam von Maskat, Ebn Ali Seid-Seid, der Freund der Engländer ist.«
»Ich lache über den Imam, der nicht werth ist, die Spuren der Kameele des Stammes Ben-Yolath zu küssen!« schrie der Scheik höhnend. »Nimm Deine Sinne zusammen, Freund, und denke daran, daß Maskat weit von hier ist. Dann sieh dort hinüber, an die Küste unseres Landes. Es wimmelt von Männern unter den rothen Felsen. In einer Stunde werden Dreihundert hier sein, und eben so viele uns erwarten. Sind Alle, die da kommen, erst hier zur Stelle, so sieh' zu, wie es Dir ergeben wird. Daher gieb heraus, was Du hast und was mir gefällt, so kann es sein, daß ich Euer Leben rette.«
Sir William hatte seine Uhr herausgezogen, als der Scheik von der Stunde sprach, in welcher jene dreihundert Diebe an Bord sein sollten. Es war eine feine goldene Ankeruhr, welche auf Punkt Neun zeigte; in dem Augenblicke aber, wo er sie in der Hand hielt und nach der Küste hinübersah, fühlte er einen Druck auf seine Finger, als ob diese von einem Schraubstock zusammengequetscht würden, und als er den Kopf zurückwandte, erblickte er seine Uhr am Ohre des Scheik, der auf ihren Gang horchte und sie dann mit größter Seelenruhe in seinen Gürtel steckte.
In der ersten Minute war Sir William von diesem kühnen Experiment so überrascht, daß er gleichsam starr vor Erstaunen seiner Uhr nachschaute, dann aber bemächtigte sich seiner eine Wuth, die vielleicht über seine Klugheit gesiegt haben würde. Er wollte sich auf den Räuber stürzen, um ihm die Uhr zu entreißen, die ein Geschenk Lady Esther's war, doch Master Salmons packte ihn recht fest am Arm.
»Lassen Sie mich los!« murmelte der junge Officier sich sträubend. »Dieser verdammte Gauner!«
»Was will der ungläubige Hund?« schrie der Scheik, seine wilden Augen und seine Nasenlöcher weit öffnend.
»Er wünscht Deinen Namen zu wissen, Herr,« sagte der Capitain demüthig, »um sich immer Deiner zu erinnern und sich zu freuen, daß seine Uhr Dir so wohl gefallen hat.«
Der Araber sah den Bestohlenen mit überlegenem Spotte rachsüchtig an.
»Reschid Scheik heiße ich,« erwiederte er dann, »das merke Dir, und damit Du Dich mit ihm freuen kannst, Freund, so gieb ebenfalls Deine Uhr her.«
Capitain Salmons zog mit einem Seufzer den kostbaren Chronometer aus der Tasche, den er eingesteckt hatte, um ihn möglichst zu schützen. Reschid dagegen betrachtete das dicke Gehäuse mit Entzücken.
»Allah Kerim!« schrie er. »Gott ist groß! Bleibt Alle dort in der Ecke stehen, und wagt es nicht, Euch zu rühren. Ich will hören, ob meine Brüder Euch Gnade gewähren wollen, obwohl ich große Lust hätte, dem Burschen da, der der Sohn eines Esels sein muß, die Ohren abzuschneiden und sie geräuchert nach Mekka zu schicken.«
Er deutete dabei auf Sir William, welcher noch immer sehr böse aussah, und in sein Gelächter stimmte die ganze Horde ein, welche sich um ihn drängte und ihm folgte, als er die unglückliche Schiffsmannschaft verließ.
»Bester Sir,« sagte der Master, »ergeben Sie sich in Ihr Schicksal und bringen Sie alle Zeichen von Aerger aus Ihrem Gesicht.«
»Ich kann nicht,« erwiederte der junge Officier. »Ich will hinunter, ich muß sehen, was aus Lady Esther geworden ist.«
»Sie dürfen nicht fort,« erwiederte Salmons. »Sobald Sie unter diese Rotte berauschter Diebe treten, stößt der Erste Beste Ihnen seinen Yatagan Der Ausdruck bezeichnet eigentlich einen osmanischen Säbel, steht aber hier offenbar für einen Dolch mit geschwungener Klinge. in die Brust. Ich habe alle Thüren zuschließen lassen, und noch immer halte ich es nicht für unmöglich, daß, wenn es uns glückt, von dieser Noth lebendig zu entrinnen, auch die arme Lady mit uns davon kommt.«
Sir William war Engländer genug, um kaltblütig zu überlegen und einzusehen, daß der Master in Allem Recht hatte. Er nickte ihm daher stumm zu, strich über sein Gesicht, als wollte er die Falten fortwischen, steckte dann seine Daumen in die Armlöcher seiner Weste und setzte sich wieder auf seinen Platz.
Sämmtliche Araber hatten sich inzwischen im Vorderschiff gesammelt, wo Reschid auf der Ankerwinde stand und eine Rede hielt, die er mit lebhaften Hand- und Körperbewegungen und dem lebendigsten Mienenspiel begleitete. Mehrmals wurde er durch das Beifallsgeschrei der Zuhörer unterbrochen, aber auch zuweilen von einem kleinen dicken häßlichen Kerl, der wie ein Bullenbeißer aussah, und dessen lang hervorstehende Zähne von seinen wulstigen negerhaften Lippen nicht bedeckt wurden. Dieser Mann trug aber ebenfalls einen seidenen Fez auf seinem Kopf und einen rothen Gürtel um seinen Leib; er war ohne Zweifel ebenfalls ein Scheik und einer, der die Autorität Reschid's über diese Versammlung sichtlich verminderte und streitig machte.
Verstehen konnte Niemand, was Reschid begehrte, und warum gestritten wurde; Salmons errieth jedoch, daß der Scheik den Vorschlag gemacht habe, da das Schiff Nichts als Indigo enthalte, es für eine bedeutende Summe flott machen zu helfen und in den Hafen von Soor zu bringen, daß der kleine Kerl dagegen Nichts davon hören wolle, und die Raubgier der nichtswürdigen Rotte ihn unterstütze.
Nach einigen Minuten war die Sache erledigt. Reschid breitete seine Arme aus und schrie mit gewaltiger Stimme: » Allah akbar! Gott will es haben.«
Der ganze Haufe aber schrie es nach, und wie von der Tarantel gestochen, fingen sie an zu springen und zu schnaufen, indem sie ihre Waffen über ihre Köpfe schwangen.
»Was haben die Diebe besprochen?« fragte Sir William.
»Was ich voraussah,« antwortete Salmons. »Sie werden das Schiff bis auf den Kiel plündern, auch wir selbst müssen uns darauf gefaßt machen.«
Und kaum hatte er dies gesagt, so erfüllte sich sein Wort. – » Allah akbar! Allah akbar!« heulte die würdige Gesellschaft mit solcher Gewalt, daß das Gesindel am Lande davon begeistert wie unsinnig tanzte, sprang und schrie. Ohne darauf zu achten, setzten die Araber auf dem Schiff ihren gesegneten Spruch fort, unter dessen Einwirkung sie mit Blitzesschnelle sich über das ganze Schiff verbreiteten. Alle Luken waren in einem Nu geöffnet, und wie Teufel fuhren sie hinein, die Einen die Anderen überrennend, denn Niemand wollte zuletzt kommen.
Der Haupttroß warf sich auf die Cajüte, und wahrscheinlich war es zwischen ihnen abgemacht worden, alle Beute, welche dort gefunden würde, redlich zu theilen, so weit arabische Redlichkeit dies ausführbar machte, d. h. so weit nicht mit aller nur möglichen List Jeder Etwas für sich einstecken und bei Seite schaffen konnte. Um dies zu hindern, hatten sich beide Scheiks an die Spitze ihrer Männer gestellt, und da die Thüre nicht weichen wollte, weil Salmons sie verschlossen hatte, wurde sie alsbald durch einige gewaltige Fußtritte Reschid's in Stücke zersplittert.
Bei diesem Anblicke verlor Sir William den Rest seiner Geduld und Ergebenheit. Er sprang auf und rang mit Salmons, der ihn zurückhalten wollte.
»Lassen Sie mich!« rief der junge Officier, »ich muß hinab, muß helfen oder mit ihr untergehen!«
Damit riß er sich los und war mit einem Satze mitten unter den Arabern, welche voll raubgieriger Erwartung die Treppe besetzt hielten, auf welcher ihre beiden Chefs mit einigen ihrer vertrautesten Männer bis jetzt allein hinabgestiegen waren, um zu untersuchen, was der Prophet ihnen bescheert hatte.
Zu beiden Seiten taumelten die Wüstensöhne von den heftigsten Stößen zurück, mit denen Sir William sich freie Bahn machte.
»Halt Herr, halt! Sie sind verloren!« schrie Salmons ihm nacheilend in größter Bestürzung.
Aber der ungestüme junge Mann hörte nicht mehr auf diesen Ruf, und der Master sprang jetzt selbst die Treppe hinab, um, wenn er es vermöchte, Unglück zu verhüten.
Wenige Minuten hatten hingereicht, in dem schönen großen Salon des Schiffes eine grauenvolle Verwüstung anzurichten. Mit Beilhieben und Fußstößen waren die Thüren aller Cabinette eingeschlagen. Die Tische lagen umgestürzt, die Schränke erbrochen. Die Quadranten und Sextanten, Barometer und andere Schiffsinstrumente, die Pistolen und der Degen Sir Williams, seine Koffer und sein prächtiges Reiseetui, Uniformen und Kleider, Alles befand sich schon in den Händen und Armen der jubelnden Wilden, und eben hob Reschid die Axt auf, um die Thüre der Damencajüte zu spalten, als Sir William mit einem fürchterlichen Schrei dazwischen sprang, den Scheik zurück stieß, daß er zu Boden stürzte, ihm die Axt entriß und sich mit ihr in solcher Stellung vor die Thüre pflanzte, als wollte er dem Ersten, der sich nahte, den Schädel einschlagen.
»Nichtswürdiger Giaur! Hund!« schrie Reschid sich aufraffend und eine seiner langen Pistolen aus dem Gürtel ziehend, »Du wagst es hierher zu kommen?«
Schwerlich würde Sir William dem Tode entgangen sein, wäre Salmons dem Häuptlinge nicht in die Arme gefallen.
»Was willst Du thun, Scheik?« rief er ihm dabei zu. »In dieser Cajüte befindet sich eine Frau. Dieser Mann will sein Weib schützen. Willst Du eine wehrlose Frau beleidigen?«
»Hinweg mit Euch Beiden!« brüllte Reschid, indem er den Master von sich schleuderte. »Verfluchter Giaur, Du mußt sterben!«
In diesem Augenblicke wurde die Thüre rasch und weit geöffnet. Lady Esther stand vor den erhitzten Männern.
Sie war zur rechten Zeit gekommen, denn einen Augenblick später hätte der Scheik seinen Feind niedergeschossen, oder Sir William hätte ihm den Kopf gespalten; bei ihrem Anblicke jedoch ließ Reschid seine gefährliche Waffe sinken. Sein kleiner dickköpfiger Camerad steckte sein Dolchmesser in die Scheide, streichelte seinen langen Ziegenbart, riß die röthlich entzündeten Augen weit auf und gurgelte ein erstauntes Allah kerim! hervor.
Und wer wollte es diesen beiden halbwilden Männern und ihrem Gefolge verdenken, wenn sie voll Verwunderung die schöne Erscheinung anschauten, waren doch Sir William und der Master des Centaurs kaum weniger von ihrem Anblick überrascht. Die Araber mochten zunächst glauben, eine der unsterblichen Houris aus des Propheten siebentem Himmel sei herniedergestiegen, um sie mit ihrem Anblicke zu bezaubern.
Lady Esther hatte sich mit jenem Gemisch europäischer und indischer Pracht geschmückt, welche die Frauen in Indien feenhaft anzuwenden wissen. Ein faltiges Gewand von blaßgelber Seide umfloß ihren schlanken Körper, darüber legte sich ein duftiges Gewebe blumiger Spitzen, die in Madras kunstvoll in feuchten Gewölben angefertigt werden, damit die überaus dünnen Fäden nicht reißen. Ein Thibetshawl, dessen Werth auch die Araber zu schätzen wußten, lag um ihren schlanken weißen Hals, in ihren kleinen Ohren schaukelten große Perlentropfen, ein Diadem funkelnder Steine schimmerte aus den glänzenden reichfallenden Locken, eben so funkelnde diamantene Spangen umschlossen ihre Arme, und ihre schmalen Füße ruhten in Schuhen von Silbergewebe.
Lady Esther sah in der That wie eine himmlische Houri oder wie eine irdische Sultana aus, und als sie bemerkte, welchen Eindruck sie machte, wie der schöne junge Scheik ehrfurchtsvoll seine Arme kreuzte und sein Haupt beugte, wie seine Blicke bezaubert an ihrem Gesicht hafteten, und seine Gefährten mit offenen Mäulern erstarrt schienen, schwebte ein kokettes Lächeln auf ihren Lippen, mit dem sie spottend Sir William anblickte.
Dieser war eben so gefesselt von dem, was er sah, wie die Kinder der Wüste, aber er erholte sich rascher und machte eine Bewegung, als wollte er die unbesonnene Frau zurückhalten und ihre Thüre wieder schließen; doch ehe er Etwas dergleichen ausführen konnte, ging sie an ihm vorüber auf die beiden Scheiks los, legte grüßend ihre Hand auf ihre Stirn und sagte mit ihrer wohlklingenden Stimme zu dem, der ihr jedenfalls am besten gefiel:
»Ich hörte, daß Sie englisch sprachen. Wie heißen Sie?«
»Reschid Scheik,« erwiederte der junge Araber.
»Nun gut, Reschid Scheik,« fuhr Lady Esther süß lächelnd fort, »ich stelle mich unter Ihren Schutz. Was heißt ein Scheik?«
»Ein Edler, ein Fürst!« antwortete Reschid.
»Also ein Gentleman,« sagte Lady Esther. »Dieser Herr ist, wie ich glaube, ebenfalls ein Gentleman und Ihr Freund.«
»Die Kinder Ben-Yolath,« erwiederte Reschid, »besitzen viele Zelte und Kameele, sie haben daher mehrere Scheiks nöthig. Dieser ist Omar Scheik. Sein Name wird genannt von Aden bis Mekka.«
»Wie herrlich das klingt, Sir William!« rief die Dame lebhaft aus. »Solche poetische Redeformen kann man bei unserer Civilisation kaum noch auf der Bühne anwenden. Herr Reschid Scheik und Herr Omar Scheik, ich bin entzückt, Ihre Bekanntschaft zu machen, bitte Sie aber, mich jetzt zu verlassen und die Ruhe meines Frauengemaches nicht weiter zu stören. Ich werde hinauf kommen und weiter mit Ihnen sprechen,« setzte sie hinzu, als sie einen Blick in die dunklen rollenden Augen des jungen Arabers gethan hatte, in denen Flammen zu lodern schienen. »Gehen Sie Alle, und auch Sie, Sir William, entfernen Sie sich.«
»Wer ist er?« fragte Reschid auf den Engländer deutend. »Ist er Dein Herr? Bist Du seine Frau?«
»Niemand ist mein Herr,« versetzte sie, und indem sie einen Augenblick den Scheik überlegend ansah und bemerkte, daß diese Antwort ihm zu gefallen schien, fügte sie hinzu: »Dieser Mann so wenig wie irgend ein anderer hat das geringste Recht über mein Thun und Lassen – auch glaube ich nicht, daß er darüber sich sonderlich erfreut,« setzte sie mit ihrer gewöhnlichen Spötterei hinzu. Bei alledem aber bitte ich Euch von ganzem Herzen, thut ihm so wenig wie allen meinen Landsleuten Etwas zu leide. Herr Reschid und Herr Omar, Sie werden als wahre Edelleute und Fürsten großmüthig handeln, und nun lassen Sie mich allein und erfüllen Sie meine Wünsche.«
Mit diesen Worten trat sie zurück, lächelte noch einmal bezaubernd zu Reschid hin, machte den Selam Selam bzw. Salam: die orientalische Grußgeste. gegen Beide und schlug ihnen dann vor der Nase die Thüre zu, welche sie von Innen verriegelte, was ein wildes Stirnrunzeln und eine heftige Faustbewegung des dicken Omar's zur Folge hatte. Reschid jedoch suchte ihn zu besänftigen, flüsterte ihm einige rasche Worte in's Ohr und ließ seine verschlagenen Augen über die Engländer fliegen, denen er dabei sagte:
»Geht hinauf und wagt es nicht wieder hier herunter zu steigen. Wenn Ihr klug seid, werdet Ihr auf Euern Knieen liegen und Aman Zeichen der Dankbarkeit. rufen, denn ich sage Euch, Omar Scheik ist nicht so geneigt, wie ich es bin, Euch das Leben zu lassen.«
Master Salmons zog seinen Gefährten fort, ohne ein unnützes Wort zu verlieren, und die beiden Araber folgten ihnen nach unter lautem und heftigem Gezänk, das von dem Gelärm und Gebrüll auf dem Deck bald übertönt wurde. Aber welche harte Proben hatte die britische Kaltblütigkeit der unglücklichen Mannschaft des Centaurs jetzt zu bestehen!
Die sauberen Verdecke des schönen Schiffes waren in einem schrecklichen Zustande. Alles, was aus den verschiedenen Behältern, Cajüten und Räumen hervorgeschleppt werden konnte, fand seinen Weg an die Luft. Keine Kiste blieb unerbrochen, die geheimsten Wandschränke wurden von den Räubern aufgefunden, Nichts entging ihren scharfen Augen. Die Schiffspapiere und Briefe wurden verächtlich fortgeworfen und flatterten über Bord, die laskarischen Matrosen sahen mit geheimer Wuth, wie ihre Kasten zerschlagen, ihre besten streifigen Callicohemden und Foulards an den braunen Leibern und sehnigen Hälsen der Araber Platz fanden. Sir William's goldbesetzte Staatsuniform wurde in zahllose Fetzen gerissen, weil sich zu viele Liebhaber fanden, welche ein Stück davon begehrten.
Es blieb Keinem Etwas von seinem Eigenthume, selbst eine Anzahl Ballen der Indigoladung des Centaurs wurden heraufgeholt, zerschlagen und endlich mit Flüchen und Gelächter verstreut, zertreten und in's Meer geschüttet. Während dessen aber machte sich der Wind auf und trieb das Schiff immer tiefer in die Klippen. Es stieß verschiedene Male heftig auf, daß nur sein starker Bau, und weil es fast neu war, es vor gefährlichen Lecken bewahrte.
Daß der Centaur für immer verloren war, sah die Mannschaft sowohl wie der Master ein, der mit verschränkten Armen auf dem Balken am Steuer saß und mit kummervollem Ernste die wilden Plünderungsscenen anschaute. Die gierigen Banden hatten auch die Vorrathsräume erbrochen und Alles, was sie dort fanden, zum Theil auf der Stelle verschlungen, zum Theil aber fortgeschleppt, versteckt oder in die Boote geworfen, von denen jetzt ein ganzer Haufen das Schiff umringte.
Denn Reschid Scheik hatte nicht gelogen, als er ankündigte, daß in einer Stunde drei Hundert seiner Männer am Bord sein würden. Diese Stunde war noch nicht abgelaufen, und schon füllten sich alle Decke mit brüllenden, lachenden und singenden Räubern, welche ihre Scimetars und Yatagans um ihre Köpfe schwenkten und mit allen möglichen Gefäßen den Inhalt aus einigen mit Arak und Wein gefüllten Fässern zu schöpfen suchten, die man an den Hauptmast gestellt hatte, und denen der Boden eingeschlagen war. Die kannibalische Lustigkeit der halbtrunkenen Rotte, ihre streitenden und heftigen Geberden und die wilden Blicke, welche sie den Gefangenen zuschleuderten, mußten deren Besorgnisse vermehren.
Sir William allein achtete wenig darauf. Er beobachtete fortgesetzt die Thür, welche zu der großen Cajüte hinabführte, und vor welche die Scheiks ein halbes Dutzend ihrer Leute postirt hatten, auf welche sie sich wahrscheinlich zumeist verlassen konnten. Die beiden Anführer selbst standen in einiger Entfernung in lebhafter Unterhandlung. Der boshafte dicke Kerl deutete verschiedentlich auf die Kajüte und auf die bange Mannschaft des Schiffs, schüttelte seine Arme, legte die Hand an sein Messer und schien in einer Aufregung zu sein, welche Reschid vergebens beschwichtigen wollte.
»Was denken Sie,« sagte Sir William endlich, »was diese beiden Schufte zu verhandeln haben?«
»Ich denke,« erwiederte der Master, »daß sie zunächst darum streiten, wem von ihnen Lady Esther gehören soll.«
»Die Elenden!« murmelte der junge Mann, »aber ach, es ist nur zu wahr, ich sehe keine Rettung mehr. – Warum kam sie aus dem Salon? Warum zeigte sie sich den Banditen!«
»Sein Sie sicher, daß man die Lady gefunden hätte,« erwiederte Salmons, »selbst wenn sie die Kunst verstanden hätte, sich unsichtbar zu machen, denn diesen Spitzbuben bleibt Nichts verborgen. Wenn Lady Esther aber nicht zur rechten Zeit erschien, würden wir Beide in der nächsten Minute schon nicht mehr am Leben gewesen sein.«
»Und jetzt – was wird jetzt aus uns?«
»Ich meine, daß die beiden Scheiks über unsere Abschlachtung noch nicht ganz im Reinen sind,« antwortete der Master. »Gott segne die gute Lady Esther, daß sie sich gänzlich von Ihnen lossagte, Sir William! Hätte Sie auf des Scheiks Frage, ob Sie ihr Gemahl seien, mit ja geantwortet, so würde er mit dem größten Vergnügen das Seinige thun, Ihnen die Kehle abschneiden zu lassen, jetzt aber ist er Narr und Esel genug, sich bei der schönen Dame dadurch in Gunst zu setzen, daß er deren Bitte um Gnade für uns zu erfüllen sucht. Ich möchte mit Ihnen wetten, Sir William, daß das Gespräch zwischen den beiden Scheiks, wozu sie jetzt auch die Angesehensten unter der Bande herangezogen haben, unsere Kehlen betrifft. Dieser Omar ist ein blutdürstiger fanatischer Hallunke, der uns zur Ehre des Propheten abschlachten will, damit aber zugleich bezweckt, die Ausraubung des Centaur möglichst lange zu verheimlichen.«
»Und was wird das Ende sein?«
»Das Ende wird sein,« sagte Salmons, »daß die ganze Rotte betrunkener Bösewichter Omar beistimmt. Sie werden mit dem wüthenden Geschrei: Allah akbar! oder Allah il Allah! ihre Yatagans und Scimetars schwingen, auf uns losstürzen, und wenige Augenblicke darauf werden unsere entseelten Körper, nachdem man ihnen mit wunderbarer Geschicklichkeit die Kleider abgezogen hat, unter den brandenden Wogen dieser Klippen verschwinden. Natürlich aber werden unsere Ohren uns nicht dabei begleiten.«
»Gut,« antwortete Sir William ernsthaft nickend, »das wird rasch abgemacht sein. Aber was haben diese feigen Mörder davon, und was wollen sie mit unseren Ohren?«
»Sie haben unsere Kleider und sind uns los. Wir können weder den Imam in Maskat noch Abdullah in Soor unsere Noth klagen, woraus sie sich allerdings wenig machen, aber doch um so mehr Zeit behalten, ihren Raub und sich selbst in Sicherheit zu bringen. Mehr aber noch gilt ihnen ihr fanatischer Eifer, uns zu Ehren des Propheten geschlachtet zu haben, der ihnen dafür reichen Segen an Heerden und Kameelen zuwenden wird. Was endlich unsere Ohren betrifft, so wird man sie räuchern, wie Reschid Ihnen dies schon ankündigte, und wird sie nach Mekka liefern, wo alljährlich ganze Schnüren und Säcke voll in der heiligen Labba am Grabe des Propheten Das Grab Mohammeds befindet sich in Medina. Ob der Verf. mit der »heiligen Labba«, die nicht nachweisbar ist, die »Kaaba« meint (ev. Druckfehler?), muss offen bleiben. aufgehängt werden, welche sämmtlich einst an den Köpfen seiner Feinde und Verräther gewachsen waren.«
»Eine unangenehme Aussicht,« murmelte Sir William. »O Master Salmons, hätten Sie mich nicht gehindert, hätte ich meine Revolver und meinen Degen gehabt, wir würden uns vertheidigt und Lady Esther geschützt haben.«
»Dann,« antwortete der Seemann kaltblütig, »lägen wir unfehlbar schon dort unten. Alles Leben,« fuhr er nachdenkend fort, »liegt in der Zeit. Wenn wir achtzig Jahre alt werden, haben wir nur eine Reihenfolge von Minuten und Stunden gelebt. Jede Stunde länger leben ist daher ein Gewinn, und wir haben jetzt schon mehr als eine Stunde gewonnen, die wir nicht gewonnen hätten, wären wir weniger klug gewesen. Es kann sein,« fuhr er fort, »daß wir bis zum Abend leben und unser Mittagsbrot noch einmal so behaglich wie möglich verzehren können; denn wie es mir vorkommt, streiten die beiden Scheiks noch darüber, ob sie gleich mit uns an die Arbeit gehen oder das Abendgebet abwarten sollen.«
»Wenn das unser Loos sein soll,« sagte der junge Officier, »so wollte ich, es erfüllte sich rasch.«
» Nonsense!« versetzte Salmons. »Alles erfüllt sich nach und nach, und Jedem schlägt die letzte Stunde, aber Zeit ist die Mutter der Ewigkeit, und Zeit gewinnen ist Alles gewonnen, sagt ein gutes altes Sprichwort, das sehr wohl weiß, welch ein kostbares Ding die Zeit ist. So lange wir also noch einen Strohhalm Zeit fassen können, ist noch nicht Alles verloren, und wenn Lady Esther –«
»Was wird aus ihr, Salmons?« rief Sir William leidenschaftlich, und indem er seine Stimme heftiger erhob, setzte er hinzu: »Ich möchte sie tödten, mit meinen Händen tödten, oder mit ihr sterben; möchte ein Messer uns Beide durchbohren. Lady Esther, o Lady Esther, ich muß sie noch einmal sehen, noch einmal sehen!«
»Schweigen Sie, Herr,« sagte der Master traurig, »rufen Sie die Frau, welche Ihnen theuer ist, jetzt nicht hierher, um unser Schicksal zu theilen. Sie wird leben und vielleicht gerettet werden. Denken Sie nicht mehr daran, sondern bereiten Sie sich wie ein Christ und wie ein Engländer vor zu sterben. Sehen Sie, wie die Rotte sich nach uns umwendet und nach ihren Messern sucht? Unsere Würfel sind geworfen, Gottes Wille möge geschehen!«
Mit diesen Worten wandte er sich an seine Matrosen, und die geduldigen Laskaren sanken auf ihre Kniee nieder, kreuzten ihre Arme und murmelten ein leises Gebet, daß Wischnu ihnen gnädig seinen Himmel öffnen möge, indem sie zugleich Kopf und Hals zum Empfange des Todesstreiches vorstreckten.
Und dieser blutige letzte Act des Drama's schien allerdings unausbleiblich nahe. Der dicke boshafte Omar trat aus dem Kreise der Araber hervor, welcher sich vor ihm öffnete. Mit Unheil verkündenden Blicken sah er die Schlachtopfer an. Seine Hand am Dolche that er einige katzenartige leise Schritte wie ein Tiger, der sich zum Sprunge rüstet. Hinter ihm stand der wilde Haufen, sein Zeichen erwartend. Hundert erbarmungslose Gesichter mit blutgierig funkelnden Augen, hundert düstere Gestalten mit nervigen nackten Armen, die breiten Schlachtmesser vor sich ausgestreckt, boten einen entsetzlichen Anblick dar, vor dem der kühnste Mann erbleichen mußte.
Das Geschrei verstummte auf dem unglücklichen Schiffe, die schwarzen Flügel des Todesengels rauschten auch über die Mörder hin. Mit einem schrecklichen Lachen zog Omar Scheik den Scimetar aus der Scheide, und seine kleinen Augen, unter einer Wolke von Falten fast verborgen, funkelten Sir William an. Der Engländer regte kein Glied, kein Wort kam über seine Lippen. Nur sein Gesicht hob sich höher auf, und seine Blicke richteten sich durchbohrend fest auf den Mörder, als dieser seinen Arm aufhob.
Aber Omar Scheik hatte keine Zeit weiter zu gehen, denn indem er seine Lippen öffnete, um den entscheidenden Schrei auszustoßen, kam ihm ein anderer Mund zuvor.
»Halt!« schrie eine Stimme neben ihm, und eine Hand hielt ihn fest. Er warf einen scheuen Blick dahin, prallte zurück und riß sich los.
Es war noch einmal Lady Esther, die vor ihm stand und mit energischer Heftigkeit ihn zurückstieß. Wie der Engel des Lichts sah sie aus. Ihr Gesicht strahlend von Begeisterung, ihr Blick so funkelnd wie das Feuer vom Horeb, ihr Arm aufgehoben und ausgestreckt wie der Arm des höchsten aller Kalifen.
»Du sollst diese Männer nicht tödten!« schrie sie ihm drohend zu. »Der Prophet redet zu Dir durch meinen Mund. Du sollst ihnen Frieden geben!«
Lady Esther war bleich wie eine Todte, als sie den Scheik und die gesammte Räuberbande also überraschte, aber sie war schön, wie einer der schönen schrecklichen Engel Mahomed's, die sein Paradies bewachen.
Die Araber standen stumm und mit weit geöffneten Augen wie ihr Anführer, der nicht zu wissen schien, was er thun sollte. Seine boshaften verzerrten Mienen ließen nichts Gutes erwarten, aber ehe er seinen Entschluß fassen konnte, erhielt die muthige Frau einen unerwarteten Beistand. Plötzlich stand Reschid neben ihr, reichte ihr die Hand und führte sie vorwärts in den zurückweichenden Kreis.
»Seht da,« rief er in feierlichem Tone, »seht diese Frau. Allah kerim! Gott ist groß! Was sagte ich Euch, als die Stimme in mir sprach? Laßt diese Männer ziehen, sagte ich, sie gaben uns, was sie besaßen. Sie murrten nicht gegen Gottes Willen; Gott will ihr Blut nicht. Und nun erscheint dies Weib unter uns und verkündigt uns den Willen des Propheten. Sie wußte nicht, was ich zu Euch gesprochen, aber ihr Mund sagt dasselbe. Die Stimme Gottes spricht aus ihr. Allah il Allah! Gott ist Gott! Laßt uns thun, was er befohlen. Allah akbar! Gott will es so! laßt diese Männer ziehen, damit der Segen mit uns sei!«
Lady Esther's Augen hingen an seinen Lippen. Sie verstand nicht, was er sprach, aber sie ahnte den Inhalt seiner Rede.
»Wie viel Zeit braucht man, um nach Soor zu gelangen?« fragte sie.
Reschid warf einen Blick auf Wolken und Himmel und antwortete dann:
»Wenn Gott es so will, kann ein Boot beim Abendgebet im Hafen sein.«
»Ich sage Euch,« fuhr Lady Esther in demselben begeisterten Tone fort, den sie an Reschid bemerkt hatte, »es ist des Propheten Wille, daß diese Männer in ihre Boote steigen und dies Schiff verlassen, das den Gläubigen gehört. Gebt ihnen ihre Ruder, gebt ihnen ihr Boot und Wasser und laßt sie zusehen, ob Allah sie erretten will.«
»Hört meine Brüder, hört!« schrie der Scheik. Und indem er den Arabern ihre Worte übersetzte, fügte er hinzu: »Diese Frau ist eine Auserwählte. Der Prophet hat sie zu seinem Wohnsitze gemacht. Laßt uns thun, was sie uns befiehlt. Gott ist Gott, und Mahomed sein Prophet!«
»Gott ist Gott, und Mahomed ist sein Prophet!« schrien viele Stimmen andächtig die Arme kreuzend. Reschid's Augen glänzten wie zwei Feuersäulen, langsam strichen seine Hände über seinen schwarzen weichen Bart, als er sich zu Salmons wandte und ihn auffordernd ansah.
Der Master verstand arabisch genug, um zu wissen, was geschehen war, und was er sprechen sollte.
»Diese Frau hat mit Gottes Zunge geredet,« sagte er. »Nehmt das Schiff, das Allah's Wille Euch gab, aber laßt uns das große Boot, damit wir versuchen, ob Gott es will, daß wir unser Leben retten.«
»Nehmt es hin,« erwiederte der Scheik. »Geht, und möge Allah mit Euch sein.«
Die meisten der Araber bewegten beifällig murmelnd ihre Köpfe, und bei dieser frohen Aussicht kam neue Hoffnung in die Laskaren. Das Boot lag unter dem Sterne schon auf dem Wasser, in wenigen Minuten war die Mannschaft hineingesprungen, denn wer konnte wissen, was weiter geschah. Jetzt aber näherte sich Sir William der Lady, welche dies Wunder vollbracht, und wollte ihr seine Hand reichen, als der Scheik zwischen Beide trat und mit gebietender Miene ihn bedeutete, sich zu seinem Gefährten zu begeben.
Der junge Mann rührte sich nicht. Er sah den Scheik verwundert an, in dessen Mienen ein lauerndes verschmitztes Lachen zuckte.
»Eilen Sie, Lady Esther,« sagte er, »nehmen Sie Abschied von diesem edeln muthigen Scheik.«
»Verliere Du selbst keine Zeit, Freund,« erwiederte Reschid. »Mache, daß Du fortkommst.«
»Ich werde nicht gehen, ohne daß diese Dame mich begleitet,« sagte Sir William bestürzt.
»Dann wirst Du niemals geben!« sprach der Scheik, und indem er mit seiner dunklen Hand den weißen glänzenden Arm der Lady umfaßte, nahmen seine Augen einen Ausdruck von Wildheit und Leidenschaft an. »Dann, Du unbesonnener Giaur,« murmelte er, »wirst Du niemals das Boot dort betreten. Du und Deine Freunde, ihr Blut komme über Dich. Geh, zum letzten Male, geh!«
»Und sie?« fragte Sir William, Lady Esther anschauend.
»Der Prophet hat aus ihr gesprochen,« sagte der Scheik, indem er seine Augen scheinheilig verdrehte. »Der Prophet will, daß sie bei uns bleibe.«
»Niemals! Bei Gott, niemals!« schrie Sir William auf.
»Zurück!« rief die Lady. »Des Propheten Wille muß geschehen.« Sie hielt sich an dem Scheik, fest, strich die Locken von ihrer Stirn und lächelte ihm zu. »Ich befehle Ihnen zu gehen, Sir William! Capitain Salmons, führen Sie diesen Herrn fort. Suchen Sie Soor zu erreichen oder Maskat, bringen Sie meinem Oheim meine Grüße. Alles Glück mit Ihnen! Ich bleibe hier!«
»O theure, theure Lady Esther!« rief Sir William verzweiflungsvoll.
»Fort!« antwortete sie mit begeisterter Entschlossenheit. »Fort, wenn ich Ihnen jemals theuer war.«
Salmons umfaßte Sir William und zog ihn gewaltsam nach der Schiffstreppe; willenlos ließ er es geschehen.
»Die arme Lady opfert sich für uns,« flüsterte der Master. »Gott segne sie und helfe ihr, wir können es nicht. Ich dachte es wohl, daß dieser Scheik irgend ein Schelmenstück bei seiner Großmuth im Sinne hatte, denn Schelme und Diebe sind sie Alle. Aber was kann es helfen, hier zu bleiben und uns ermorden zu lassen? Alle Kräfte laßt uns anstrengen, um nach Maskat zu kommen. Major Harrison wird Himmel und Erde in Bewegung setzen, um seiner Nichte beizustehen. der Imam wird alle seine Reiter ausschicken, um sie zu befreien, und die Räuber – wenn er sie finden kann in dieser verdammten Wüste – werden ihrem Lohne nicht entgehen.«
»Zu spät, Salmons, zu spät!« seufzte Sir William. »Es giebt finstere Mächte, die den menschlichen Uebermuth strafen. Forderte sie diese nicht heraus, frevelte sie nicht, als sie zu meiner Qual von dem Glücke sprach, dort unter Palmen zu leben und zu sterben? Sie wird dort sterben, verzweifelnd sterben, und ich – ich –, für mich stirbt sie, aber ich leide tausendfachen Tod!«
Salmons antwortete nicht, aber er schaffte den unglücklichen jungen Mann so rasch als möglich in's Boot, das sogleich abgestoßen wurde.
Das Geheul und Gelächter der Araber, die in dichten Haufen an den Bollwerken des Schiffes standen, schallte ihnen nach. Mehrere brannten ihre Gewehre ab und ließen die Kugeln über die Köpfe der Bootsmannschaft fliegen, welche mit größter Anstrengung an den Rudern arbeitete.
»Sie sind über die Klippen hinaus!« sagte Reschid.
»Gott sei gelobt!« antwortete Lady Esther, ihre Hände krampfhaft faltend, und mit schwindenden Sinnen fiel sie in die Arme des Scheiks.
Als sie die Augen wieder aufschlug, lag sie auf den seidenen Polstern des großen Divans der Cajüte, welchen Reschid hatte herbeibringen lassen, und im Schatten eines Segels, das die Sonnenstrahlen abhielt. Der Scheik saß neben ihr mit besorgten Mienen und betrachtete sie zärtlich, aber sie blickte von ihm fort, über das Meer hinaus, auf einen fernen dunklen Punkt. Es war das Boot, das, glücklich entkommen, jetzt mit wachsender Geschwindigkeit sich entfernte: Ihre Freunde, ihre Unglücksgefährten eilten dem rettenden Hafen zu und hatten sie allein gelassen unter diesen Barbaren.
»Auch der Mann verläßt mich,« sagte eine Stimme in ihr, »ja auch er, der noch vor wenigen Stunden geschworen, daß er mich tausend Mal mehr liebe als sein Leben.«
Der bittere Schmerz drang auf sie ein, eine jähe Angst drückte sie wie mit erznen Ketten nieder, als sie aufspringen wollte, um einen Schrei der Verzweiflung und der Hilflosigkeit, einen Sehnsuchtsschrei nach ihm, der sich weiter und weiter von ihr entfernte, auszustoßen.
Sie sank in die Polster zurück und blickte den Scheik an, der, seine Arme gekreuzt, durchdringend auf sie niedersah, und plötzlich fiel ihr ein, daß sie in der Gewalt dieses Mannes sei, der so schön war wie ein Tiger und so schlau wie ein Schakal. Seine Augen, von einem wilden Feuer gefüllt, jagten ihr Entsetzen ein, und dennoch war es gewiß, daß sie ihm schmeicheln, daß sie froh und klug sein müsse, um dies reißende Thier zu bändigen, damit es nicht über sie herfalle und sie zerreiße.
So lächelte sie ihm zu, während sie an Sir William dachte. Eine schöne Freude wachte in ihr auf und mischte sich mit stolzen muthigen Entschlüssen, allen Gefahren die Stirn zu bieten. Sie hatte ihrem Geliebten das Leben gerettet, dieser Gedanke erhöhte ihren Stolz und gab ihr Kraft zum Glauben. Das Selbstbewußtsein auf die Macht ihrer Schönheit und die Erfolge, welche sie über diese rohen Männer gehabt, vermehrten dabei ihre Hoffnungen, daß es ihr auch gelingen werde, mit Hilfe ihrer geistigen Ueberlegenheit sich selbst zu beschützen, wenigstens so lange zu beschützen, bis ihre Freunde sie befreien könnten. Wenige Augenblicke reichten hin, ihren Kopf mit kühnen Bildern und belustigenden Vorstellungen zu füllen.
»Noch besser,« sagte sie zu sich selbst, »wenn ich es dahin bringen kann, daß diese wilden Männer meine Sklaven werden, mit denen ich einen Triumphzug in Maskat halte.«
Auch der Leichtsinn der übermüthigen Lady stellte sich bei diesen Gedanken wieder ein. Sie stützte sich auf ihren Elnbogen, ließ mit reizender Koketterie den Shawl von ihrer Schulter fallen, lächelte verführerisch den Scheik an und streckte den weißen Arm mit dem Fächer aus, um ihm einen Wink zu geben, sich ihr noch mehr zu nähern.
Der Sohn der Wüste gehorchte mit Entzücken. Er setzte sich dicht an ihre Seite und verschlang das schöne Weib mit seinen Augen.
»Mein Herr Reschid,« sagte die Dame ihn freundlich anblickend, aber mit gebietender Herablassung, »ich habe Ihren Willen erfüllt und bin bei Ihnen geblieben. Dort schwimmt das Boot und ist kaum mehr sichtbar. Was soll nun geschehen? Was werden wir beginnen? Erzählt mir Etwas von Eurem Leben in der Wüste.«
»Schöne Herrin,« antwortete der galante Scheit, »befiehl über mich wie über Deine Sklaven. Alles, was Du willst, soll auch mein Wille sein. Du bist eine Rose aus dem Garten Eden, die Nachtigall aus dem Haine der Sunna, welche den Gläubigen den Weg zum Himmel zeigt. Ja, Du stammst von der Taube, welche an des Propheten Ohr nistete, durch welche Allah zu ihm sprach, und so wie ihm tönt auch mir Deine Stimme, der ich nicht widerstehen kann.«
»O, Scheik,« rief Lady Esther ihn unterbrechend, indem sie wohlgefällig lachte, »Du verstehst zu sprechen, wie Frauen es gern hören, aber theile mir vor allen Dingen mit, wohin Du mich führen willst, denn auf diesem Schiffe will ich nicht länger verweilen, als es sein muß. Bald wird es auf den Felsen zerstoßen werden. Die Sonne brennt hier, und ich mag diesen schreienden häßlichen Scheik Omar und seine Mörderbande nicht länger sehen.«
»Ich führe Dich in die Wohnungen Ben-Yolath,« antwortete Reschid. »Sie werden Dich verehren, wie ich es thue.«
»Wohnt Ihr dort im Staube jener rothbraunen Felsen?«
Der Scheik schüttelte stolz den Kopf.
»Dein Zelt,« sagte er, »wird unter hohen Palmen stehen. Wenn Du auf Deinen Polstern schlummerst, werden schöne Vögel Dich umflattern, während Deine Dienerinnen Dir mit Pfauenwedeln Kühlung zufächeln. Wenn Du es befiehlst, werden sie Dir Lieder singen oder Dir süße Milch reichen, Kuchen und Pilav.«
»Deine Bilder sind verlockend, Sir Reschid,« erwiederte sie mit geheimem Spott, »ich bin sehr neugierig und sehr zufrieden. Aber sage mir aufrichtig, hast Du auch Frauen in Deinem Hause?«
Reschid gerieth in eine augenblickliche Verlegenheit, die jedoch schnell vorüberging.
»Ich habe zwei Frauen,« erwiederte er, »und drei Sklavinnen.«
»Deine Frauen gehören zu Deinem Stamme?«
»Fatima ist die Tochter eines großen Scheiks.«
»Glaubst Du denn,« fragte Lady Esther, indem sie sich rasch aufrichtete und den Häuptling lebhaft anblickte, »daß Fatima mich freundlich aufnehmen und neben sich dulden wird?«
»Ich bin ihr Herr,« antwortete Reschid seinen Bart streichelnd, »sie wird thun, was ich ihr befehle. Sie wird ihr Haupt vor Dir neigen und den Saum Deines Kleides küssen, denn der Prophet hat Dich uns gesandt. Du sollst auf ihrem Platze in ihrem Zelte sitzen und die Erste darin sein.«
»Guter Reschid,« sagte die Dame lächelnd und warnend, »sie wird es Dir nicht glauben, daß der Prophet mich sandte. Auch Deine Brüder werden bald daran zweifeln. Fatima wird es ihrem Vater klagen, Haß und Unglück werden Dich verfolgen.«
»Fürchte Nichts!« erwiederte er stolzblickend. »Mein Arm ist stark, meine Stimme reicht weit.«
»Aber Deine Feinde werden zahlreich sein, und glaubst Du nicht, daß der Imam in Maskat, wenn er erfährt, was hier geschehen ist, bald an Deinen Felsen sein wird?«
»Laß ihn kommen, laß seine Reiter kommen!« rief er verächtlich, »ich frage so wenig nach ihnen wie nach dem Schreien eines Esels.«
»Aber die Engländer sind des Imams Freunde und würden viel rothes Gold in Deinen Schooß schütten, wenn Du mich in seine Stadt brächtest.«
Die dunklen Augen des Scheiks glänzten mißtrauisch, und seine Stirn legte sich in Falten.
»Ich bin reich,« sagte er, »das Gold der Engländer reizt mich nicht. Um Alles, was sie bieten könnten, würde ich Dich nicht geben.«
»Und ich bin so arm, daß ich nichts mehr mein nenne,« antwortete sie, über das Meer fortblickend, wo von dem Boote kaum noch ein Schatten zu entdecken war.
»Möchtest Du mich denn verlassen?« fragte Reschid in sanfterm Tone und mit einem Ausdruck von Kummer und Klage, der aus seinem Herzen zu kommen schien. »Habe ich nicht Alles für Dich und Deine Freunde gethan? Lebten sie noch und lebtest Du selbst noch, wenn ich nicht gewesen wäre?«
»Du hast viel für mich gethan, Sir Reschid, und ich danke Dir dafür,« antwortete Lady Esther, ihm ihre Hand reichend. »Ich vertraue auf Dich, Du wirst mich nicht verlassen.«
»Bei meines Vaters Asche!« erwiederte er feierlich. »Niemand soll seine Hand gegen Dich aufheben. Ich nehme Dich zur Frau! Keine Andere sollst Du neben Dir haben, wenn Du es so haben willst.«
»Wirklich, Scheik, wirklich?« rief die Dame mit dem Spotte ringend, den dieser Vorschlag ihr erregte; denn trotz ihrer gefährlichen Lage kam es ihr doch gar zu lächerlich vor, daß dieser halbnackte Nomade ihr seine Hand als eine mächtige Ehre ohne Weiteres antrug.
»Fünfzig Kameele besitze ich,« fuhr Reschid prahlend fort, »viele edle Stuten und Dromedare weiden bei meinen Zelten, Schafe und Esel zähle ich nicht; aber wenn ich in die Thäler von Jemen ziehe, erheben sich unermeßliche Staubwolken von den Hufen meiner Thiere.«
»Erhabener Scheik!« sagte die Lady bewundernd. »Was willst Du mit einer armen Wittwe?«
»Du bist schön!« schmeichelte er. »Mein Herz sehnt sich nach Dir. Nimm Alles, was ich besitze, Du sollst meine Herrin sein. Blume aus dem Garten des Propheten, denke niemals daran, mich zu verlassen. Meiner Augen Licht, meine Seele, ich würde blind und todt sein ohne Dich!«
Er schlug beide Arme leidenschaftlich um sie und zog sie an seine Brust, aber im nächsten Augenblicke schon befreiete er selbst die erschrockene Frau und sprang auf.
Wenige Schritte von ihm stand Omar, sein Nebenbuhler, und so boshaft sah er aus, so widerlich grinste er auf die Lady herunter, daß sie sich an Reschid festklammerte und in ihrer Angst ihm zuflüsterte:
»Befreie mich von ihm, er will mich ermorden! Schaffe ihn fort, führe mich wohin Du willst, aber schaffe ihn fort.«
Und Reschid begann mit Omar zu sprechen. Sie wechselten eine ganze Reihe tiefer Kehl- und Nasenlaute, aus denen die arabische Sprache besteht, auch sammelte sich um Beide bald ein beträchtlicher Haufen ihrer Stammesgenossen, welche schweigend zuhörten, allein der Erfolg war kein anderer als der, daß Omar Scheik eine verächtliche Miene annahm und seinen furchtbaren Kopf fester auf den Stierhals stemmte, während auf Reschid's hoher Stirn die Adern schwollen.
Plötzlich streckte er seinen Arm aus und rief den Männern, die ihn umstanden, einen Befehl zu, und eben so plötzlich senkte sich das Segel, das vor der Sonne schirmte, bis auf das Deck nieder und bildete eine Art Zelt um das Polsterlager, welches dadurch allen Blicken entzogen wurde.
Freude und Dankbarkeit erfüllte die Lady dafür.
»Bravo, mein wackerer Bayard Pierre du Terrail, Chevalier de Bayard (ca. 1476-1524), französischer Feldherr. Seine Biographie » Le Loyal Serviteur«, die ein Jahr nach seinem Tod von seinem ehemaligen Leibarzt und Sekretär Symphorien Champier verfasst wurde, fand weite Verbreitung und trug zu seinem sprichwörtlichen Ruf als »Ritter ohne Furcht und Tadel« bei., bravo!« lachte sie in ihre Hände klatschend. »Es ist etwas Ritterliches in diesem tapferen Scheik, und hatte ich nicht Recht, gegen Sir William zu behaupten, daß diese stolzen Wüstensöhne geborene Edelleute sind? Wenigstens können sie es sein,« fügte sie hinzu, »und ich hoffe, auch Reschid bewährt sich als solcher, ohne mir die Ehre anzuthun, mich zur Frau zu nehmen, was allerdings ein eben so komischer Einfall von ihm ist, als daß eine gute erzbischöfliche Christin den Propheten anbeten soll.
Aber der arme Sir William wird sich entsetzlich ängstigen,« fuhr sie von dieser Vorstellung belästigt fort. »Er wird, sobald er in Maskat landet, eine furchtbare Schilderung machen, Rache schwören und alle Welt zur Rache auffordern. Er wird sich an die Spitze der Reiter des Imams stellen und die ganze arabische Wüste durchstreifen, um mich zu suchen und zu finden. O, er ist so kalt, so vernünftig und so phlegmatisch wie ein echter Northumberländer, aber diese Jagd wird ihn heiß machen, und ich freue mich darüber, er wird in Leidenschaft gerathen und dann noch schöner aussehen als dieser Scheik. Doch was wird inzwischen aus mir?« fuhr sie nachsinnend fort. »Ich muß diesen närrischen Burschen bei guter Laune erhalten, und das wird so schwer nicht sein, aber welche allerliebste Abenteuer sind das nicht! Was werde ich noch zu erzählen und zu beschreiben haben, wie viel Aufsehen wird es machen, wenn alle Zeitungen davon sprechen! Ganz London wird mich sehen wollen, ich werde das Wunder der Saison sein.«
Hier wurde sie durch die Heftigkeit des Streites unterbrochen, der sich außerhalb ihres Zeltes entspann. Von Neugierde getrieben stand sie auf, und durch einen Riß in dem Segel konnte sie das ganze Schiff überschauen. Der Centaur war völlig ausgeplündert worden. Ein ungeheurer Berg von Sachen und Dingen der verschiedensten Art nahm das Vorderschiff ein, und überall standen Wachen, welche verhindern sollten, daß Etwas heimlich entwendet würde.
Lady Esther erblickte auch ihre eigenen großen Koffer, welche erbrochen vornan standen, und mit Schmerz und Unwillen sah sie, wie gierige Hände darin umhergewühlt, kostbare Kleider und prächtige indische Tücher von Madras, chinesische Seidenshawls, Borten und Gewebe von Benares herausgerissen hatten, die in einem wirren Knäuel daneben lagen.
Aber Alles, was sie sah, beschäftigte sie nur auf Augenblicke, ihre Aufmerksamkeit richtete sich schnell auf die beiden Scheiks, welche vor diesem zusammengeraubten Waarenhaufen standen und sich mit Blicken voll Haß und Muth betrachteten. Das vierkantige Gesicht des dicken Omar war noch viel abscheulicher geworden. Er stampfte mit den Füßen, schüttelte seine Arme und warf seinen schmutzigen weißen Mantel wie ein römischer Consul über seine Schultern. Ohne ihn verstehen zu können, war Lady Esther nicht zweifelhaft, daß er Reschid heftig drohte, was dieser ihm eben so heftig erwiederte und mit seinem grimmigen Gelächter beantwortete.
Zuweilen kam es ihr vor, als ob der schreckliche Mann seine Hand gegen sie selbst ausstreckte, und als ob seine funkelnden Augen sie in ihrem Versteck erblickten. Sie erschrak davor so sehr, daß sie sich zurückzog und bange Ahnungen ihr Vertrauen auf einige Minuten überwältigten.
»Mein Gott,« flüsterte sie, »wenn es mir nicht gelänge, diese wilden Thiere zu besänftigen, wenn ich endlich dennoch von ihnen zerrissen würde! Aber nein, Reschid wird mich schützen und vielleicht – o wenn Sir William zurückkehrte, wenn er mich befreite. Aber wie könnte das sein und er –. Ach, wie thöricht habe ich ihn gequält, wie grausam war mein Spott! Niemals will ich wieder über ihn spotten, niemals, wenn ich ihn wiedersehe.«
Bei allen diesen Klagen und guten Vorsätzen, denen eine ganze Reihe anderer folgte, konnte sie doch immer noch nicht den ganzen Ernst ihrer Lage begreifen. Ihre Hoffnung bestand darin, daß sie überzeugt war, diese Araber würden zuletzt doch jedenfalls durch die Festigkeit ihres Willens und mit Hilfe der Macht ihrer Schönheit wie durch große Versprechungen zu bändigen sein. Sie hatte gesehen, wie Alle sich vor ihr beugten, sie sah auch, wie gierig sie nach Raub waren, und sie wußte, wie einst Lady Stanhope Hester Lucy Stanhope (1776-1839), britische Abenteurerin. Sie herrschte (ab 1810) über ein lokales »Reich« in den Drusenbergen des Libanon und wurde zu Europas »Königin der Wüste« und zur » Mystery Lady of the Orient«. gleich einer Königin von eben solchen wilden Gesellen verehrt wurde.
Mit demselben Stolze dachte sie zu handeln, wenn es zum Handeln kommen sollte. – Wie eine geborene Sultana lag sie daher auch auf den Polstern und zog den Schleier über ihr Gesicht, um ungestört lachen zu können, als endlich einige Araber von Reschid begleitet hereintraten, welche demüthig einige Schüsseln voll Pilav, Schaffleisch, Datteln und Früchten sammt Wein und Wasser vor ihr niedersetzten.
»Iß, meine Herrin, und stärke Dich,« sagte der Scheik zärtlich. »Fürchte Dich nicht vor Omar, der mit den Augen eines Schakals Dich umschleicht. Ich werde bei Dir sein, wenn er seinen Mund aufthut, und eher soll dieser auf ewig verstummen, ehe er die Rosen auf Deinen Wangen erbleichen soll.«
»Glaubst Du, daß er dies vermöchte?« fragte sie.
»Nichts vermag er, wenn ich Dich mit meinem Mantel bedecke,« erwiederte er. »Betrübe Dich nicht, o süße Taube, erschrecke nicht vor dem Geier, über welchem der Adler schwebt. Wir werden theilen, was Allah uns gegeben, Dich aber theile ich nicht. Sei froh, hier ist süßer Wein.«
»Theilen? Mit ihm mich theilen! Das ist wahrlich ergötzlich!« rief sie laut auflachend.
»Lache, Du thust Recht, wir wollen Beide lachen!« sagte er. »Wir werden theilen, was uns Allah in diesem Schiffe schenket. Omar soll nehmen, was er begehrt, ich werde mich nicht mit ihm darüber streiten. Dich allein soll er nicht besitzen.«
»Wagt es der Elende, seine Augen zu mir zu erheben?« fragte sie verächtlich.
»Hat der Hund Abu Sophians doch den Propheten angebellt, als er von dem Erzengel Gabriel begleitet in die heilige Kaba ging, um die Götzenbilder zu zerstören,« spottete Reschid. »Frage nicht nach seinem Gebell, meine Rose, seine Hand soll Dich nicht berühren.«
»Er würde die Dornen der Rose kennen lernen, Sir Reschid,« sagte sie stolz lachend.
»Gieb ihm Deine Dornen und mir Deinen Duft,« versetzte er. »Sage mir, ob Dein Herz sich zu mir neigt und zu keinem Andern.«
»Wer wäre wohl hier,« antwortete sie klug lächelnd, »der sich mit Scheik Reschid vergleichen könnte, und den ich lieber meinen Freund und Beschützer nennte. Alle meine Hoffnungen habe ich auf seine Großmuth und seinen Edelsinn gesetzt.«
»Du sprichst wahr!« rief Reschid vergnügt, »Dein Herz ist mein Herz, Deine Seele ist meine Seele,« und indem er mit seinen Händen in den Pilav faßte, knetete und drückte er eine Kugel aus Reis und Fleischstücken zusammen, die er an die Lippen der Dame brachte, welche von Ekel ergriffen davor zurückfuhr und ihm den Leckerbissen aus der Hand schleuderte.
»Was thust Du?« fragte Reschid zürnend.
»Willst Du mich vergiften, Scheik?« erwiederte sie.
»Ich will Dich ehren. Wisse, daß es die höchste Ehre für ein Weib und für jeden Gast ist, wenn Scheik Reschid ihm den Pilav in den Mund steckt.«
Die Lady versuchte einen versöhnlichen Blick, aber ihr Ekel war noch immer stärker als ihre Klugheit.
»Das ist eine abscheuliche Sitte,« sagte sie, »ich will nie wieder Etwas davon hören.«
Mit finsterer Stirn stand Reschid vor ihr.
»Versuche es niemals wieder, mich so schwer zu beleidigen,« sagte er.
»Wie?« fuhr sie mit stolzem Tone ihn an, »ist das die Verehrung, welche Du für mich haben willst?«
»Schweig, Weib!« versetzte er streng. »Ein Weib muß folgsam sein, so spricht der Prophet, denn ein unfolgsames Weib ist eines Mannes Plage und Schande. Doch Geduld, Du wirst es lernen.«
Halb versöhnt, halb warnend blickte er sie an und entfernte sich. Lady Esther aber schlug die Hände über ihren Augen zusammen, und als sie lange so gesessen, quollen Thränen darunter hervor.
»Ich bin in seiner Gewalt, ich bin verlassen!« seufzte sie. »O, warum war ich doch so thöricht, des guten Sir William's Bitte zu verhöhnen, mich in der Jacke eines Schiffsjungen zu verbergen. Hätte ich mein Gesicht geschwärzt, die schmutzigste Kappe über mein Haar gezogen, ach, hätte ich, statt mich in Seide und Gold zu kleiden, um diese Wilden zu demüthigen, mich in das elendeste Segeltuch gewickelt, so wäre ich jetzt frei, wäre bei ihm, der mich liebt, der so edel, so gut, so sorgenvoll war.«
Mitten in ihren Klagen und Thränen unterbrach sie sich, und ihr stolzes Herz füllte sich mit Scham.
»Ja, ich bin allein, bin verlassen,« rief sie aus, »aber ich will nicht verzweifeln. Diese Elenden sollen nicht mit mir umgehen, wie mit ihren Weibern und mit ihren Thieren. Unter einer Horde schmutziger wilder Geschöpfe will ich nicht leben, lieber den Tod!«
Sie versank in ein langes Nachdenken über ihr Geschick und wiederholte sich dabei, daß Bitten, ein Zeichen der Schwäche, bei allen rohen Naturvölkern die übelsten Folgen haben. Nur mit Hilfe der größten Furchtlosigkeit und Kühnheit könne man sie zur Achtung zwingen, und dies sei das einzige Mittel, ihrer Wuth und ihren mörderischen Anschlägen zu entgehen. Auf diese Weise hätten sich oft schon kühne Männer selbst aus den würgenden Schlingen der schrecklichen Thugs gerettet, warum sollte es einer Frau nicht auch bei diesen arabischen Räubern gelingen, wenn sie List und Muth zu vereinigen wüßte.
Inzwischen war die Mittagszeit vorüber gegangen, und der Tag neigte sich seinem Ende entgegen, als sie von erneutem heftigem Lärme unterbrochen wurde. Lady Esther sprang auf und blickte durch den Riß in der Zeltwand. Das Erste, was sie jetzt entdeckte, war, daß die Sonne sich in röthliche Nebel gehüllt hatte, welche vom Himmel auf Meer und Land zu sinken schienen. Das Zweite war der Haufen der Araber, der, mit der Theilung beschäftigt, sich vor die beiden Scheiks drängte.
Vor ihren Augen entwickelte sich eine Scene voll dramatischen Lebens. Aus dem Berge der zusammengeraubten Sachen wurden zwei Hälften gebildet für die Stammgenossen jedes der beiden Häuptlinge, doch jedes Stück fiel erst nach langen Unterhandlungen und heftigem Streite entweder Dem oder Jenem zu. Mit einer Fülle von Beredtsamkeit, Vorstellungen, Verheißungen, Bitten, Drohungen, Schwüren, Scherzen, Flüchen und Fauststößen wurde jeder Gegenstand endlich von dem einen Theile erobert, dann aber gab er in der habgierigen Genossenschaft selbst wiederum Gelegenheit zu Neid, Betrug und Ueberlistungen im Tauschhandel, bis er endlich seinen Herrn erhalten, der ihn in Sicherheit zu bringen suchte.
Die spaßhaftesten und originellsten Auftritte stellten sich auf dem Deck dar, und diese bronzenen Männer mit glänzenden Augen, charakteristischen Gaunergesichtern und blitzschnellen Bewegungen bildeten einen Bazar von Handelsleuten und Käufern, deren Zungen, Lippen, Arme und Leiber wunderbar durcheinander wirbelten. Das Schreien und Toben, das Gelächter und Geschimpfe, die plötzliche Wuth und die eben so plötzliche Versöhnlichkeit, wie das Tauschen, Bieten, Anpreisen und Verachten verursachten einen entsetzlichen Lärm und belustigten und beschäftigten die Lady lange Zeit in ihrem Versteck.
Auch Reschid und Omar hatten vollauf mit dem zu thun, was sie sich von dem Raube auserwählt. Sie hatten den Löwenantheil für sich genommen und, was ihnen das Werthvollste schien, ihren Genossen klüglich entzogen; allein hierbei verfuhr Reschid wirklich großmüthig, denn niemals machte er dem kleinen dickköpfigen Scheik Etwas streitig. Die besten Kleider, die schönsten Geräthe aus den Kajüten, Sir William's Degen, Federhut und Pistolen sammt vielen anderen kostbaren Dingen packte Omar zusammen.
Reschid aber ließ Lady Esther's Koffer und Kasten, und was er weiter für sich gesichert, von seinen Leuten in seine Schaluppe tragen. Lady Esther bemerkte dies wohl, sie merkte auch, wie der Scheik darauf bedacht gewesen, die Saffianpolster und Ruhebetten aus dem Damengemach sammt Vorhängen und Mobilien sich anzueignen, und sie sagte sich, daß dies Alles dazu bestimmt sei, ihre neue Wohnung unter seinem Zelte auszuschmücken.
Endlich blieb Nichts mehr zu vertheilen übrig. Streiten, Zanken und Betrügen hatten aufgehört, der ganze Raub war verschwunden, das Deck leer geworden, und nun standen sich die beiden Häuptlinge gegenüber, und es begann zwischen ihnen ein Zwiegespräch, an welchem der ganze Schwarm der Araber wachsenden Antheil zu nehmen schien. Aller Blicke richteten sich neugierig auf die Scheiks, alle Beweglichkeit war verschwunden, die Stille lautlos. Wie Bildsäulen in ihre grauen faltenreichen Mäntel gehüllt, hörten die Wüstensöhne zu, was ihre Stammführer verhandelten.
Was aber konnte es sein, das diese wilden Männer also fesselte, welche weit eher Ursache hatten, sich in ihre Boote zu werfen und der Küste zuzueilen; denn der Himmel hatte sich verdunkelt, die Sonne war hinter dichten Nebeln verschwunden. Es war, als stieße das Meer Dampfsäulen aus, die wie bleiche Geister in schweren schleppenden Gewändern das Schiff umkreisten, um zu schauen, was hier geschehen. Sie wälzten sich um den ausgeraubten Centaur, als wollten sie ihn jedem fremden Auge entziehen, um endlich allein Besitz von ihm zu nehmen. Dem dumpfen unheimlichen Stöhnen in der dicken Luft antwortete ein Aechzen der Planken und Balken des Centaurs, ein klagendes Seufzen seiner hohen Masten, ein Wimmern in seinen Ketten und Stengen, und unter ihm rollten lange schaumige Wasserstreifen über die rothen Klippen und sprangen wie gierige Wölfe mit weißen Zähnen an seinen Bugen auf.
Aber die Luft umher war leblos. Die heißen Wüstengeister deckten ihre gelben Hände darüber und hielten den Wind ab, der das hohe Meer zu fegen begann. Lady Esther konnte genau erkennen, was in dem Kreise der Araber vorging. Die beiden Scheiks sprachen zunächst in ruhiger und selbst in würdiger Weise. Ihre Stimmen klangen laut und stark, ihre Bewegungen hatten etwas Declamatorisches und Feierliches, ihre Mienen waren voll Ausdruck und Ernst, ihre Gestalten stolz aufgerichtet wie Helden in einem Schauspiele. Nach und nach aber kam mehr Leben hinein. Ihre Nasenlöcher bliesen sich auf, Omar stemmte die linke Hand in seine Seite, die rechte streckte er gebieterisch aus und deutete unverkennbar auf das Zelt, hinter welchem Lady Esther den Athem anhielt. Ihre Sehkraft verdoppelte sich, indem sie in Reschid's Gesicht blickte, der sich langsam umwandte und dem Arme seines Gegners mit seinen Blicken folgte.
Die Mienen des Scheiks drückten seine Entschlossenheit aus. Den Kopf in dem Nacken sprach er mit solcher Kraft, als sei er begeistert, und was er sagte, mußte den Beifall der Allermeisten, die ihn hörten, erhalten; denn ihre Köpfe nickten beistimmend, und ein Gemurmel entstand, bei welchem der häßliche dicke Omar noch viel häßlicher wurde. Lady Esther sah, wie seine Augen wild umherleuchteten, sie sah aber auch, wie Reschid triumphirend lachte, und als er seine Schritte gegen das Zelt richtete, wußte sie, daß dies ihr galt, daß die Stunde da sei, wo ihr Schicksal entschieden werden solle.
»Komm, o meine Taube!« sprach der Scheik, indem er ihr seine Hand reichte, »komm und fürchte Nichts. Reschid ist an Deiner Seite, antworte ohne Sorge. Unter Deinen Schritten werden Blumen blühen, während Schlangen sich um Omar's Füße winden. Sage meinen Brüdern Deinen Willen, der des Propheten Wille ist.«
So führte er sie in den Kreis und stellte sich mit ihr Scheik Omar gegenüber. Die Blicke der Araber hingen erstaunt an diesem schönen Gebilde, verwundert sahen sie das fremde, seltsame Weib an, das ohne Schleier in ihren langen Locken, ihrem stolzen Lächeln und reichen Gewändern leicht und anmuthsvoll umherschaute.
»Was wollt Ihr von mir, und warum hast Du mich hierher geführt?« fragte sie ihren Führer.
»Diese Männer, meine Brüder, ich selbst, wir Alle wollen von Dir hören, ob es der Prophet war, der Dich zu uns sandte,« erwiederte er.
»Zweifelst Du daran?« versetzte sie. »Geschieht nicht Alles, was geschieht, nach Gottes Willen?«
»Hört, meine Brüder!« rief Reschid, indem er ihre Antwort den Arabern mittheilte, »hört, was diese Frau spricht.«
»Gott ist groß!« schrien viele Stimmen, »er hat dies Weib zu uns gesandt.«
Omar stampfte heftig mit dem Fuße auf und richtete einige schnell hervorgestoßene Worte an Reschid.
»Dieser Scheik fragt Dich,« begann er darauf, »ob der Prophet es war, der Dir den Auftrag gab, in seinem Namen zu uns zu sprechen, daß wir Deine Freunde ziehen lassen sollen.«
»Kann es anders sein?« entgegnete sie. »Eine Stimme rief mir zu, gebiete ihnen im Namen des Propheten einzuhalten und unschuldiges Blut zu schonen. Muß der Prophet es nicht gewesen sein, der durch meinen Mund zu Euch gesprochen hat, da er meinen schwachen Worten die Kraft gab, daß Ihr sie hörtet und befolgtet?«
Reschid's Gesicht strahlte von Vergnügen.
»Hört diese Frau!« rief er. »Der Prophet war an ihrem Ohr, in einem Sonnenstrahl senkte er sich zu ihr nieder.«
»Gott ist Gott und Mahomed sein Prophet!« schrieen die Araber. »Dieses Weib ist eine Auserwählte!«
Aber wiederum schüttelte Scheik Omar seinen dicken Kopf, und seine rauhe heisere Stimme schallte drohend umher.
»Dieser Scheik fragt Dich,« sagte Reschid, »wie Du es beweisen willst, daß Deine Worte Wahrheit sind. Wie hat der Prophet Dich auserwählt, da Du von einem fremden ungläubigen Volke stammst? Welches Zeichen gab er Dir, daß Du sein Bote seiest?«
»Welche Zeichen er mir gab?« erwiederte sie unerschrocken. »Bin ich nicht selbst der Beweis, den dieser Mann begehrt? Stehe ich nicht hier unter Euch, und habt Ihr mich nicht aufgenommen gleich einer Tochter Eures eigenen Stammes? Gewährtet Ihr mir nicht Schutz, achtetet und ehrtet Ihr mich nicht? Ich aß von Eurem Brote und trank von Eurem Dattelwein. Gott füllte Eure Herzen mit Mitleid und mit Milde. Seine Gnade machte, daß Ihr mir vertrautet. Konnte das Alles sein, wenn der Prophet es nicht so wollte? Könnte das sein, wenn er nicht seinen Mund an mein Ohr gelegt, wenn die weiße Taube seines heiligen Geistes sich nicht auf meine Schulter niedergelassen? Und noch jetzt fühle ich seine Nähe, noch jetzt weiß ich, daß, was ich zu Euch spreche, auf seinen Befehl geschieht. Sind nicht alle Menschen Allah's Kinder? Fragt er darnach, wo er seinen Tempel aufrichtet? Ja, ich bin des Propheten Auserwählte!«
»Hört, meine Brüder, hört diese Frau, welche der Geist ergriffen hat!« rief Reschid. »Wer will noch ungläubig sein, da sie vor uns steht mit des Propheten Segen beladen? – Oeffne Deinen Mund, o Herrin, sage ihnen, was der Prophet Dir gebietet, sage ihnen, was wir thun sollen, was Allah's Wille ist.«
»Schwöre mir beim Barte Deines Vaters, Scheik, daß Du Deinen Brüdern getreulich mittheilen willst, was ich Dir verkündige,« sagte Lady Esther.
Reschid konnte ein listiges Lächeln nicht unterdrücken.
»Du bist so klug, wie Du schön bist,« murmelte er, »die Schlange des Paradieses konnte nicht klüger sein. Sage ihnen, daß Du in meinen Zelten wohnen und nach Mekka pilgern willst, wie der Prophet es Dir befohlen.«
»Ich werde reden, wie der Geist es mir befiehlt,« antwortete Lady Esther. »Schwöre, Scheik, wie ich von Dir begehre.«
Und Reschid hob seine Hand auf, leistete den Schwur und theilte den Arabern mit, was sie zu vernehmen hatten, deren Blicke jetzt mit ehrfurchtsvoller Erwartung an der Seherin hingen, denn einer solchen ähnlich sah die wunderbare Fremde aus, als sie ihre Hände aufhob und diese zum Selam ausbreitete.
»Hört, meine Freunde,« begann sie, »hört, was Gottes und des Propheten Wille ist. Dies Schiff hat er Euch gegeben mit Allem, was darin war, doch viele andere Schätze, Beutel mit Gold und harten Piastern, viele Kleider, viele schöne Waffen, viele seidene Gürtel, indische Tücher und persische Decken werdet ihr erlangen. Keine Hand wird leer sein, jede wird nehmen können, was sie begehrt, und kaum werden Eure Thiere die Last der Güter tragen können, welche Euch erwarten.«
» Allah il Allah!« schrieen die Araber voll freudiger Gier, und was sie dann hinzufügten, übersetzte Reschid, indem er sagte: »Wo, Du Auserwählte, wo sind diese Schätze, welche der Prophet für seine Kinder bestimmt hat?«
»In Maskat liegen sie bereit;«: fuhr Lady Esther mit Nachdruck fort. In Maskat wird er Imam seine Schatzkammer öffnen lassen, mit Perlen, Gold und köstlichen Steinen die Taschen der Scheiks füllen und Jedem reichen lassen, was sein Herz begehrt.«
Jetzt erst errieth Reschid, was seine Gefangene beabsichtigte, und sein bis dahin zufriedenes und wohlgefälliges Lächeln wurde von einem Schatten verdüstert.
»Was sprichst Du von Maskat?« murmelte er. »Sagte ich Dir nicht, daß der Imam mir so viel gilt, wie ein Esel?«
»Hört, Ihr wackeren Männer,« fuhr die Lady fort, ohne sich daran zu kehren, »also spricht der Prophet zu Euch: Geht nach Maskat und bringt dem Imam diese Frau, welche ich zu Euch sandte. Führt sie zu ihm und fürchtet Nichts von seinem Zorne, er wird Euch auf seine Polster setzen, wird mit Euch lachen und Euch reich beschenken.«
»Du lügst!« sagte Reschid heftiger, »Du willst mich betrügen.«
Und indem er sich umwandte und einen finsteren glühenden Blick auf ihr furchtloses Gesicht heftete, fügte er hinzu:
»Hat der Prophet Dir nicht auch gesagt, daß er den Stamm Ben-Yolath noch viel reicher segnen will, wenn Du bei ihm bleibst und Scheik Reschid's Weib wirst?«
»Nein, Scheik,« erwiederte sie, »davon sagte der Prophet mir Nichts.«
»Aber es soll so sein!« fuhr er fort. »Wage es nicht noch einmal ungehorsam zu sein.«
»Thörichter Scheik!« rief Lady Esther ihn mit stolzen Blicken messend, »was wagst Du selbst mir anzusinnen? Theile Deinen Brüdern mit, was ich Dir vertraute, sie werden verständiger sein, als Du bist.«
»Du willst nicht?« fragte er, während seine Lippen zitterten und seine Augen wie Feuerballen zu glühen begannen.
»Ich will, daß Du thust, was der Prophet Dir durch meinen Mund befiehlt!«
»Betrügerin!« schrie Reschid, seinen Arm blitzschnell aufhebend, nachdem die Hand daran eines seiner großen Dolchmesser aus dem Gürtel gerissen hatte, aber er ließ den Arm langsam wieder sinken, und ein schreckliches Lachen verzerrte sein Gesicht. So wandte er sich zu dem staunenden Haufen und sprach zu ihm, und während er mit dem Finger auf die Frau deutete, der er vor wenigen Minuten noch gesagt, daß er sie mehr als alle Houris in den Himmeln des Propheten liebe, sah man es ihm an, daß er sie verderben wollte.
Und so stolz und kühn Lady Esther weiter zu lächeln versuchte, so schlimme Ahnungen stiegen in ihr auf, als sie in die Gesichter der Araber schaute. Die Meisten hatten sie bis dahin mit allen Zeichen ehrfurchtsvollen Staunens angeblickt, plötzlich aber malte sich eine ganze Hölle voll Wuth, Haß und Unheil in ihren dunklen Gesichtern. Sie fletschten ihre weißen Zähne, sie spieen vor ihr aus, und ihre Hände griffen nach den breiten Yatagans. Ein wildes vielstimmiges Geschrei erhob sich um sie, aber diese Gefahr weckte den Märtyrermuth in ihr auf. Furchtlos stand sie unter den tobenden Männern, ohne zu erbleichen, ohne einen Schrei, ohne eine Bitte, und als einer der Vordersten zum Wurf ausholte, machte sie keine Bewegung, seinem Dolche auszuweichen.
Dies Mal aber war es Scheik Omar, der sich in's Mittel legte und Ruhe gebot; was er dann mit seinem Gefährten verhandelte, preßte diesem ein höhnisches Gelächter aus; er wandte sich zu seinem Opfer und sagte verächtlich:
»Du kannst wählen, wenn Du lieber mit Omar gehen willst.«
»Frage den Scheik, ob er mich nach Maskat führen will. Zehntausend harte Piaster wird der Imam ihm dafür zahlen.«
»Glaubst Du, Weib, Omar wird ein Narr sein und seinen Hals unter des Imams Beil legen?« schrie er auf. »Mag der Imam kommen und Dich holen. Zum letzten Male frage ich Dich, willst Du gehorchen, so will ich Dein Leben retten.«
»Gehorche Du selbst, Scheik, den Befehlen des Propheten.«
Er betrachtete sie einen Augenblick, arglistig seinen Bart streichelnd, bis er mit größerer Ruhe wieder begann:
»Du sagst,« begann er, »ich bin eine Auserwählte, aber Nichts beweist Deine Worte. Willst Du Deinen falschen Glauben abschwören?«
»Ich bin eine Christin und werde es bleiben.«
»Willst Du Omar wählen, der dort steht und seine Hände nach Dir ausstreckt?«
Der dicke Scheik nickte ihr zu und grinste so entsetzlich, daß ihr das Herz erstarrte. Keine Rettung zeigte sich ihr mehr, als rascher Tod.
»Frage nicht also!« sagte sie mit stolzer Festigkeit. »Zu meinem Gott allein hebe ich meine Hände auf, er wird mich rächen!«
»Kniee nieder und bete den Propheten an!« schrie Reschid, indem er sie bei der Schulter ergriff.
»Dein Prophet ist nicht mein Prophet, falscher Scheik.«
»Weib! Du Natter, so fahre hin!« –
Er stand nachsinnend, lauernd und mit seinem ausgestreckten Arme Schweigen gebietend. Aufblickend starrte er in die Wolken und schien in die Ferne zu horchen. Das Schiff hob sich und stieß auf die Felsen, das dumpfe Rauschen des Meeres war stärker geworden. Durch die Nebel zuckte ein elektrisches Flimmern.
Zu Omar und zu dem Räuberhaufen gewandt sprach Reschid, wie ein Priester spricht, der einen göttlichen Willen verkündigt, und Omar nickte dazu und stieß einen tiefen Kehllaut hervor, und seine boshaften Augen funkelten voll fanatischer Lust. Plötzlich stürzte einer der Araber sich auf die hilflose Frau, und in einer Minute waren ihre Arme und Füße fest zusammengeschnürt, in der nächsten war sie aufgehoben und getragen.
»Nimm gnädig meinen Geist auf, Vater im Himmel!« rief sie mit lauter Stimme. »Gott sei gelobt! Ich fürchte den Tod nicht.«
Aber was war das? Nicht in's Meer wurde sie hinabgestürzt, nein, an den Mast gelehnt, mit Stricken daran festgebunden und um sie getheerte und zerschlagene Holzstücke aufgehäuft.
»Willst Du zu dem Propheten beten?« flüsterte Reschid ihr zu. »Noch will ich Dich vom Feuertode retten.«
»Fort von mir, Du elender Knecht!« sagte sie.
Er schüttelte seine Faust.
»So stirb denn, betrügerisches Weib!« schrie er. »Nicht der Prophet, der Teufel hat Dich zu uns gesandt. Von der Schlange kamst Du, die von der Lüge geboren wurde. Alles, was Du sagtest, war Lüge und Schmach. Schande über Dich, Fluch und Schande!«
Seine Befehle wiederholten sich; er schleppte selbst herbei, was noch umherlag, und half den Wall von Trümmern aller Art um sie erhöhen. Aber der Boden, auf dem sie stand, das ganze dem Verderben geweihte Schiff war ja ein Scheiterhaufen. Mit entsetzlichem Eifer vollbrachten die Araber ihr Werk, in wenigen Minuten war sie bis an den Leib in einen Kreis von Stoffen eingeschlossen, die in einem Augenblicke sich entzünden konnten.
Und nun flammte ein Licht auf, und noch eines und noch zehn andere. Aus langen Holzstäben bereiteten die Araber sich Fackeln, und nochmals trat Reschid herbei, leuchtete ihr in's Gesicht und lachte ingrimmig. Neben ihm stand Omar und schrie ihr Verwünschungen zu, und er senkte seine Fackel nieder zu den Matten und dem Bambusstroh und dem Reisig, doch alle Noth konnte ihr noch immer nicht einen Schrei um Erbarmen auspressen.
Ihre Augen hoben sich zu dem düstern Himmel auf, ihre Lippen beteten. Sie sah es kaum, wie Reschid Omar's Arm zurückriß, wie er mit seinem Fuße die kleine Flamme austrat, welche sich entzündet hatte, und zu dem Haufen mordlustiger Männer gewandt diesen abzulassen gebot. Ihre Seele war bei Gott; sie war erfüllt mit dem Muthe der Märtyrer, mit der Gewißheit, daß es besser sei zu sterben als zu leben.
»Rufst Du zu Deinem Gott?« fragte Reschid höhnend. »Glaubst Du, daß er Dir Kühlung bringen wird, wenn Du brennst?«
»Mein Erlöser wird bei mir sein,« antwortete sie. »Auch Deine Flammen fürchte ich nicht. Ich rufe zu ihm, dem Nichts unmöglich ist. Er wird Dich finden, wo Du sein magst, er wird mir seinen Engel senden.«
»Du sollst Zeit haben,« fiel er mit grausamer Bedächtigkeit ein. »Rauch und Flammen würden Dich zu schnell in Deines Gottes Schooß bringen, Du sollst Zeit haben, Weib, Deines Heilands Wunder zu proben. Wenn ich in Fatima's Armen bin, die mich dort erwarten, dann denke an mich, ich will an Dich denken, Auserwählte des Propheten!«
Seine Augen glühten sie noch einmal an, es waren Blicke voll Rachgier und teuflischer Lust.
»Du sollst keinen Mann mehr betrügen, der Dir sagt, nimm, was ich habe, und sei mein Weib. Auch Dein Gott verdammt die Schlechten. Dein Gemüth ist falsch und schlecht. Allah hat Dich gerichtet!«
Mit diesem Richterspruche wandte er sich um und entfernte sich. Seine Fackel leuchtete durch die Nacht, seine hohe Gestalt überragte den Trupp, der ihm nachfolgte.
Mit einem tiefen Athemzuge blickte die unglückliche Frau den Henkern nach, die sie allein und hilflos zurückließen. Ihre Augen hefteten sich an den röthlichen Punkten fest, welche sich von ihr entfernten, aber wie ein Gefühl der Freude und neu erwachender Hoffnungen drang es in ihre Brust, als sie das Geschrei auf dem Wasser, das Plätschern der Ruder und rufende Stimmen hörte, welche ihr Gewißheit gaben, daß die Piraten das Schiff verlassen wollten; neue tödtliche Angst kehrte zurück, wenn sie das rasche Hin- und Herlaufen mancher Andern vernahm, die in der Dunkelheit vorübersprangen, und von denen Einer mit einem Messerstoß sie durchbohren konnte.
Wilde wirre Gedanken sprangen in ihrem Kopf auf. Bald glaubte sie, Reschid komme, durchschneide ihre Fesseln, werfe Decken über ihren Kopf und trüge sie heimlich in sein Boot, bald glaubte sie, Omar zu sehen, wie er mit seinem Hamschar Handschar: traditioneller arabischer Krummdolch. heranschlich und seine langen Zähne fletschte. Dann hörte sie hinter sich ein Rauschen und Rascheln und fühlte eine furchtbare Hand, die ihren Hals zusammenpreßte. Und vor ihr in den ringenden Nebeln regte es sich; flatternde graue Schatten stürzten auf sie ein, riesengroße Gestalten wickelten sich daraus hervor, und bei dem halben zuckenden Leuchten des Himmels sah sie die langen braunen Gesichter, die blutrothen Lippen, die wilden Augen und das satanische Lachen ihrer Mörder.
Sie rüttelte heftig an den Stricken, die ihre Arme und Hände auf's Schmerzhafteste zusammenschnürten, aber diese Wüstensöhne verstanden zu gut, wie man Knoten schürzt und es Gefangenen unmöglich macht, sich aus ihren Schlingen zu befreien. Ihre Augen brannten, und ihre Lippen waren vertrocknet trotz dem durchdringenden Thaue und der Kälte, welche er mit sich brachte. Fieber glühte in ihrem Kopf, aber dieser Kopf war dennoch klar und stark genug, um über ihr Geschick und ihre Lage nachdenken zu können.
Lady Esther war keine gewöhnliche Frau, die in ihrer Noth sich unter Klagen und Weinen den Schmerzen ihrer Verzweiflung überläßt. Sie hatte entsetzliche Stunden verlebt, doch diese hatten ihre geistige Kraft mehr gehoben als verbraucht. Der Glaube dämmerte in ihrer Brust, daß sie nicht dazu bestimmt sei, so elend zu enden. Die Macht, welche die mörderischen Messer der Araber von ihr abgehalten, welche Reschid gezwungen hatte, das schon glimmende Feuer auszutreten, die ihm eingegeben, sie hier zu lassen, statt sie fortzuschleppen in sein Wüstenzelt; dieselbe Macht, so schien es ihr, werde sich jetzt auch weiter einmischen und sie beschützen.
Man hatte ihr das Leben gelassen, freilich nur um ihre Leiden zu verlängern, aber die Aufgabe des Himmels ist es ja von je an gewesen, aus dem Bösen Gutes zu schaffen; was diese Räuber zu ihrer Qual ersannen, pries sie daher als ein Glück. Sollte sie vor Kälte auch erstarren, sollte das hohle Rauschen, das dann und wann in der hohen Luft sich hören ließ wie klagende Stimmen der Geister, auch der nahende Sturm sein, der das lecke Schiff zerschmetterte, sollte sie unter seinen Trümmern auch endlich von Nacht und Wogen auf ewig bedeckt werden, Alles war besser, als diesem Räuber folgen zu müssen, um sein Eigenthum zu werden. Alle Hoffnung erstarrte vor ihr bei dem Gedanken daran, mit Banden umwickelt athmete sie Freiheitsluft, und über ihrem Haupte schwebte ein Hoffnungsstern, der bis in ihr Herz leuchtete.
Mußten denn die schrecklichen Pläne dieser Räuber sich erfüllen? Mußte sie hier hilflos umkommen? – Ihr Blick glänzte auf, sie fühlte, daß es nicht geschehen würde, sie fühlte die Kraft zum Widerstande. Und wenn ihre Freunde kamen und sie suchten, wo sollten sie suchen als hier? Und sie werden kommen. Er wird kommen, er, der bis an's Ende der Welt ihr nacheilen und nie rasten wird, bis er sie gefunden, und er wird sie finden. Sie flüsterte seinen Namen mit einer Innigkeit, die ihre Augen mit Thränen füllte, und es war ihr, als hätte sie seine Stimme gehört, als dränge diese durch die jagenden Nebel, als spalteten sich die dunklen Wände, und sie könnte das Rettungsschiff sehen, an dessen Spitze er stand und seine Arme nach ihr ausstreckte.
In diesem Augenblicke hörte sie einen Schrei, aber es war ein wilder und furchtbarer. Es war ein Geheul, das aus der Tiefe des Meeres zu steigen schien, als kämen die bösen Wassergeister alle heraufgefahren und begännen ihr Werk. In den Nebeln dämmerten leuchtende Punkte. Waren es Irrlichter, die dort vorüberhuschten und verschwanden? Sanct Elmsfeuer Elmsfeuer: eine durch elektrische Ladungen hervorgerufene Lichterscheinung; benannt nach dem heiliggesprochenen Bischof Erasmus von Antiochia, den Seeleute früherer Zeiten anriefen, wenn sie durch einen Sturm in Not gerieten., das seinen unheimlichen Schein auf den hohen Bugspriet des Centaurs warf und die wankenden Mastenspitzen beleuchtete?
Nein, o nein! Es waren die Boote der Araber, welche sich entfernten, es war ihr Abschiedsgeheul und ihr schrillendes Gelächter, das hinter den dichten Vorhängen erstarb. – Lady Esther's Blicke drangen wie Pfeile ihnen nach, sie horchte mit verhaltenem Athem; Nichts war mehr zu hören, Nichts zu sehen, sie war das einzige lebendige Wesen auf dem großen Schiffe, das sich aufzubäumen und zu schütteln schien, als freue es sich mit ihr. Ja, sie freute sich wie ein Verurtheilter, der die Stunde seiner Hinrichtung schlagen hörte und den Henker vergessen hat. Bis zum nächsten Morgen ist eine lange Zeit, ehe er erscheint, kann sich vieles geändert haben. Wenn die Sonne von Neuem leuchtet, wenn die Piraten wieder kommen, sehen wollen, ob ihr Opfer noch lebt, neue Qualen dafür in Vorrath haben, ist es frei, ist es glücklich, lacht es ihrer und ihrer Foltern. –
Himmel, Du bist mit den Hoffenden! War es nicht wieder, als riefe seine Stimme: Esther, meine Esther! War es nicht, als käme ein Geschrei von den Wellen herauf, oder hat es der Wind mitgebracht, der plötzlich sich fühlen läßt und in den Raastengen und in dem Seilwerk des Centaurs lärmt? Und dort, an den Bugen des Schiffs leuchtet es heller auf, auch da – es wird licht in der großen Cajüte. Menschen sind dort. Ein Boot hat sie gebracht, sie suchen umher.
»Hier bin ich, William! o Gott, nein, was ist das? Flammen schlagen am Vorderdeck auf. Allmächtiger! Das Schiff brennt. Feuer auch in der Cajüte. Rette mich! Rette mich!«
Sie strengte alle Kräfte an, eine ihrer Hände zu befreien, es war vergebens. Das Feuer fraß an dem Centaur. Es brach aus den Luken des Vorderschiffes hervor, kletterte mit entsetzlicher Schnelle an dem ausgedörrten Holzwerke weiter und züngelte eben so schnell an dem Fockmast herauf. Zu gleicher Zeit fliegen erstickende Dampfwolken vom Hinterschiffe auf, und als die Fenster der Cajüte zersprangen, fuhr eine hohe Flamme über das Gitterwerk hinaus und beleuchtete das ganze Deck.
Mit stieren Blicken starrte die unglückliche Frau in das Graus. Das Meer färbte sich röthlich, die brandenden Klippen ragten daraus hervor, die Wogen spritzten daran auf, als wollten sie helfen, und der Centaur neigte sich stöhnend nieder, um seinen flammenden Leib zu kühlen. Vergebens alles Mühen und Ringen. Hüpfende Flammen sprangen von Seil zu Seil, von Mast zu Mast, ungeheure Wolken schwarzen Dampfes wälzten sich in die bleichgelben Nebelwolken, Feuersäulen flackerten hinter ihnen her, und jetzt fuhr ein Windstoß mit brausender Gewalt hindurch und schleuderte glühende Wirbel vor sich her.
Noch immer stand Lady Esther sprachlos und fühllos. Der Brand leuchtete weit über das Meer, der Sturm war da und peitschte die Flammen, die immer höher, immer grimmiger zu wüthen begannen, brennendes Tauwerk, Holzstücke und Zunder flogen an den Hauptmast, unter dem sie ihr Ende erwartete; aber sie schien Nichts davon zu wissen.
Die Windstöße nahmen an Heftigkeit zu, sie wandte ihr Gesicht ihnen entgegen. Ihr Haar löste sich auf und peitschte um Gesicht und Nacken, auf ihre Schultern fiel ein brennendes Segelstück, sie schüttelte es ab, es flog weiter; eine erstickende Dampfwolke hüllte sie ein, und über ihr trat die brennende Mastspitze daraus hervor. Sie hob ihre Augen auf, und ihr Mund lachte. Ihre Augen hingen an einem Punkte, einem schwarzen Punkte auf den Wogen, der sich weiter und weiter heranarbeitete.
»Leuchte ihm,« rief sie zu dem Maste empor, »leuchte ihm als Fackel, daß er mich sieht. Hier bin ich, William, hier bin ich! Fürchte Nichts, Gott beschützt mich, fürchte Nichts! Wie er die Männer im feurigen Ofen errettete, so rettet er mich. Mir ist kühl. Aber dort, dort liegen die Klippen. Nimm Dich in Acht. Gott und Herr! Das Boot! Geliebter! Oh!«
Ihren verzweiflungsvollen Schrei begleitete ein furchtbarer Stoß an die Schiffswand des Centaurs, ohnmächtig sank ihr Kopf nieder in dem Augenblick, wo ein Feuerregen von dem brennenden Maste herabstürzte und den Scheiterhaufen entzündete, der sie umschloß.
Sie fühlte Nichts mehr davon, aber sie fühlte und sah auch nicht, daß ein Mann sich Bahn zu ihr brach, wie er mit dem Hamschar die Stricke zerschnitt, wie er mit seinen Händen das Feuer von ihr abstreifte und zerdrückte, und wie er sie auf seine Schultern hob und durch Rauch und Flammen mit ihr forteilte. – Gleich darauf, als dies geschehen, verbreitete sich der Brand auch über das ganze Mittelschiff. Der Centaur bildete eine einzige ungeheure Flammenmasse, aus der seine Masten Vulkanen gleich in den Himmel stiegen.
Als Lady Esther die Augen aufschlug, glaubte sie einen langen, seltsamen und schrecklichen Traum geträumt zu haben. Sie lag auf weichen Seidenpolstern in einem schön geschmückten Gemach, das mit indischen Teppichen belegt war. Von der Decke schwebte eine bunte Ampel, deren wohlriechendes Oel einen lieblichen Duft verbreitete, und um den großen Spiegel, welcher mit seinem Marmorconsol eine Nische füllte, rankten sich prächtige goldene Blumengewinde.
Lady Esther fühlte, daß sie sich auf einem Schiffe befand, und daß dies Schiff sich auf hochgehenden Wogen bewegen mußte. Es sank mit ihr in Tiefen hinab und hob sich auf die Spitzen schwellender Hügel, aber es war keine unangenehme Bewegung, sondern ein rhythmisches Fallen und Steigen sanfter und einschläfernder Art. Lady Esther schloß ihre Augen mit einer süßen Empfindung. Alles, was sie glaubte erlebt zu haben, alle diese furchtbaren Auftritte, diese Stunden der Angst und grausamen Qualen, waren Nichts als Traum und Täuschung.
Sie befand sich auf dem Centaur, der mit mächtigen weißen Flügeln über das arabische Meer rauschte und sie auf seinem sichern Rücken in die Arme ihrer wartenden Freunde trug. Unter ihren geschlossenen Wimpern wurde es Tag, und die Sonne schien auf hohe Mauern, auf die gelben Felsenwände der Bisbah von Maskat, auf schlanke Minarets und auf liebliche Gärten voll Palmen und Tamarinden.
Da eilte ein greiser Kriegsmann den steilen Weg zum Hafen hinab, und schon von weitem streckte er seine Arme aus. Und sie hörte ihn, wie er ihr entgegenschrie:
»Bist Du da, mein Goldvögelchen, meine Esther, meine Herzenspuppe! Geschwind, geschwind! Ihr da, herbei mit dem Palankin Sänfte., und hinein mit Dir in mein kühles Haus, denn die Sonne von Maskat kennt kein Erbarmen.«
Sie fiel ihm lachend um den Hals, und er nahm sie auf und trug sie in den schönen Palankin, aber plötzlich sah sie zurück und sah Sir William, der auf dem Deck des Centaurs stand und ihr nachblickte. Sein Gesicht war so voll Schmerz, wie sie es nie gesehen. Angstvoll ruhten seine Augen auf ihr, und es war ihr, als hörte sie sein qualvolles Seufzen, und wie er mit seiner tiefen Stimme sagte:
»Lebe wohl, meine Esther! Gott sei ewig bei Dir! lebe wohl!«
Ein krampfhaftes Zucken lief davon durch ihr Herz, ihre Augen brannten und öffneten sich, und doch träumte sie weiter. Stand er nicht jetzt dort dicht vor ihr, und waren seine Züge nicht bleich und kummervoll? Lehnte er sich nicht über sie hin und schaute sie so traurig und schmerzvoll an, als wollte er einen ewigen Abschied nehmen?
Es war eine Erscheinung, sie betrachtete diese lange und wunderte sich, daß sie nicht weichen wollte. Ohne sich zu rühren, lag Lady Esther, und im Schwanken zwischen Traum und Wachen, in dem Dämmerzustande, für den es keinen Namen giebt, auf des Lebens Brücke, die im nächsten Augenblicke zerbricht und uns in das Zauberreich der Königin Mab Queen Mab ist eine Feekönigin, die Hebamme der Feen. In Shakespeares »Romeo und Julia« hält Mercutio die sog. Queen-Mab-Rede (I. 4). Er bezieht Romeos Traum auf einen Besuch von Queen Mab. Danach ist sie winzig und zerbrechlich, und ihre Kutsche besteht aus Insektenflügeln und Spinnennetzen. Eine solche Beschreibung legt nahe, dass die Träume, die Queen Mab im Kopf eines Schläfers erschafft, ebenso substanzlos und unwirklich sind. Diese Träume erfüllen die tiefste Wünsche der Schläfer, aber nicht unbedingt im wirklichen Leben: nur Fantasien bringt sie den Menschen. Mercutio verweist auch auf die rachsüchtige Seite von Queen Mab, deren Träume nicht immer das Beste in den Menschen hervorbringen, sondern sogar eine Gier nach Gewalt hervorrufen können. - 1813 hat Percy Bysshe Shelley » Queen Mab, a Philosophical Poem« veröffentlicht, ein Versepos in neun Gesängen. schleudert, streckte sie ihren Arm aus, und auf ihren Lippen zitterte ein Name, kaum hörbar und doch gehört. Denn plötzlich fühlte sie, wie ihre Hand festgehalten ward, und wie eine Stimme voller Rührung ausrief:
»Sie lebt! Gott sei gelobt! Sie lebt!«
Lady Esther richtete sich ein wenig auf, obwohl sie die Bewegung anstrengte, und indem sie fühlte, wie ihr Blut lebendig wurde, sagte sie erstaunt und mit einem Anfluge der alten Spötterei:
»Sie sind es, Sir William? Giebt es schon wieder ein Abenteuer? Was wollen Sie hier?«
»Sie haben mich gerufen, theure Lady Esther?« antwortete er.
»Aber seit wann ist es denn Sitte, Sir William, daß Sie diesem Rufe bis in den Damensalon des Centaurs Folge leisten? Was ist es an der Zeit?«
»Der Morgen beginnt zu dämmern.«
»Der Morgen beginnt zu dämmern? Nun wahrhaftig, so habe ich lange geträumt. Seltsam, Sir William, Sie waren auch dabei. Aber was thun Sie hier? Wo ist der Centaur? Wo ist Maskat?«
»Dies ist nicht der Centaur,« sagte er.
»Nicht der Centaur?« fragte sie, und ihre Blicke kehrten von der Rundschau zurück, zu welcher sie ausgeschickt waren.
»Nein, das war der Centaur nicht, dieser Salon war größer, die Kissen des Divans waren roth – es war manches anders hier –. Der Centaur war es nicht. Wo bin ich denn?« fragte sie zu ihm aufschauend.
»Auf dem Königsdampfer Mahmudie, der dem Imam von Maskat gehört,« antwortete er sanft.
»Wie ist das möglich, Sir William?«
»Wir fanden dies Schiff im Hafen vor Soor, als wir gestern in der fünften Stunde dort glücklich anlangten. Es war bereit, so eben nach Maskat abzugehen, aber Master Salmons und ich, wir ließen nicht ab, den Capitain zu bestürmen, einen andern Weg zu nehmen, bis er dazu bereit war. Und da Salmons ohnmächtig vor Erschöpfung niederfiel, auch unsere armen Laskaren ihre Glieder kaum mehr rühren konnten, ging ich allein mit dem wackern Capitain Reis Meschid, und der Himmel war mit uns, theure Lady Esther. Wir sahen ein Feuer auflodern durch die Nebelschicht, welche auf dem Meere lag, und setzten sogleich die Boote aus, welche uns glücklich durch die Klippen brachten.«
Lady Esther legte ihre Hände auf seine Hände. Sie zitterten heftig, als sie dies that.
»Was haben Sie an Ihren Fingern?« fragte sie mit erstickter Stimme. »Warum sind Ihre Finger verbunden?«
»O, daß – das kam daher – ja das geschah, weil ich sie ein wenig verbrannte, indem ich –«
Er konnte nicht vollenden. Ihre Arme umschlangen ihn, ihre Küsse suchten und fanden seine Lippen.
»Mein William!« rief sie leidenschaftlich, »mein Freund, mein Geliebter!« –
Drei Stunden später lief der Dampfer in den Hafen von Maskat ein, und kaum war es geschehen, als Lady Esther's Traum sich auch weiter erfüllte. Der Ministerresident Major Harrison kam eilig herbei, um von seiner Nichte Schicksal zu hören, denn kurz vorher waren Boten von Soor gekommen, welche ihr Unglück und das des Centaurs meldeten. Der alte Herr schrie vor Freude auf, als er Lady Esther gerettet und glückselig lachend an's Land steigen sah; er breitete seine Arme aus, aber sie warf sich nicht in diese.
»Umarme ihn, meinen Verlobten, meinen Geliebten zuerst, mein theurer Oheim,« rief sie auf Sir William deutend, den sie ihm entgegenführte. »Er hat die Flammen gelöscht, welche mich verzehren sollten, dafür aber andere angezündet, die niemals erkalten können!«
* * *