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Theodor Mügge

Die Erbin von Bornholm

 

Gesammelte Novellen. Dritte Abteilung.
Einzelausgaben.
Zweiter Teil


 

Neu herausgegeben
von
lobo.dox@freenet.de

2024

 

Erstes Kapitel.

An einem fast sommerwarmen Märztage des Jahres 1848 hielt ein Wagen, in welchem zwei Herren saßen, auf einer Höhe, von der sich ein Hohlweg niederzog in die liebliche Landschaft Angeln im Herzogthume Schleswig.

Es war ein holsteiner Halbwagen, wie er in diesem Lande gebraucht wird, wo die Wege tief und schmal sind. Der Kutscher ließ die mächtigen Pferde verschnaufen, während die beiden Herren nach allen Seiten umhersahen und in dänischer Sprache ihre Unterhaltung führten.

Man konnte meilenweit über ein wunderbares Gewimmel von kleinen Thälern, Höhen und Gründen und hellleuchtenden Saatfeldern schauen. Im Rücken lag die blaue schimmernde Ostsee, welche zwischen Inseln und Halbinseln sich mit waldigen Buchten in's Land gewühlt hatte. Große Schiffe zeigten ihre Segel, ein Kriegsfahrzeug mit flatterndem Danebrog Die offizielle dänische Nationalflagge, ein etwas nach links von der Mitte verschobenes weißes Kreuz auf rotem Grund. und hohen schwankenden Masten kreuzte in weiter Ferne, und von den runden Felsenthürmen des Sonderburger Schlosses prallte die Frühlingssonne zurück. Vor den Blicken der beiden Herren aber lag der große Garten von Angeln in seiner jungen Herrlichkeit, denn obwohl es noch früh im Jahre war, hatte das ungewöhnlich milde, warme Wetter überall schon Leben in Feld und Wald geweckt.

Das reich bebaute Land zwischen üppigen Waldhügeln, welche dunklen Inseln gleich auf dem Meere grünender Saaten schwammen, war von unzähligen Hecken durchschnitten und in unregelmäßige breite und schmale Stücke getheilt. Große Höfe und kleine Dörfer lagen überall zerstreut, Kirchthurmspitzen stiegen zwischen den Hügeln auf, das Menschenleben nestelte sich reich an allen Berglehnen und Gründen fest.

»Dies Angeln,« sagte der jüngere der beiden Herren lächelnd, »sieht aus wie eine Fleisch gewordene Idylle. Man sollte meinen, nur arkadische Schäfer könnten darin wohnen.«

»Und doch hausen Wölfe in Schafskleidern hier,« erwiederte der ältere Herr, »auch ist es von jeher weit mehr blutig als lustig darin zugegangen. So grün und lieblich dies reiche Ländchen zwischen der Schlei und dem Flensburger Meerbusen und zwischen dem blauen Meere dort nach dem dürren Landrücken in der Mitte Schleswigs aussieht, so starrköpfige und verwegene Gesellen haben von jeher darin gehaust. Es ist die älteste Völkerwiege Europa's, der Tummelplatz kämpfender Nationen. Von hier sollen die Cimbern ausgezogen sein, als sie das große Westreich der Römer erschütterten; aus diesen Thälern gingen die Sachsen hervor, welche England eroberten; auf diesen Grenzhaiden dort drüben wurde manche Schlacht geschlagen mit Jüten und Dänen, und als der deutsche Adel sich längst in Angeln festgesetzt hatte, waren die Buchten und Küsten noch voller Raubnester für Seeräuber, die sicheren Schlupfwinkel der berüchtigten Vitalienbrüder.«

»Wären wir nur,« rief der andere Herr, »der starrköpfigen und verwegenen Rotten, welche uns jetzt mit ihren Raubanschlägen plagen, eben so los und ledig, wie der Schnapphähne der alten Zeit. – Ihr habt Euch diese aufrührerischen Advokaten und Bauern über den Kopf wachsen lassen; nun sind wir an den Punkt gekommen, wo das Eisen biegen oder brechen muß. Wo wohnt Lembek?«

»Dort jenseits des Thales an der Berglehne.«

»Ist es etwa der Hof dort?« fragte der Herr. »Wie viel Bescheidenheit gehört dazu, so tief hinab zu steigen. Aber auch darin habt Ihr Unrecht gethan; Ihr habt ihn aufgegeben, ihn mit Spott behandelt und gezwungen, eine Art Bauernkönig zu werden.«

»Sie urtheilen falsch, Herr Etatsrath von Scheden,« erwiederte hierauf der ältere Herr. »Heinrich von Lembek ist der Sohn meines alten Freundes. Als er Regierungsrath war, hegte ich große Erwartungen von ihm und seiner Zukunft. Statt dessen nahm er Theil an dem verwirrenden Streite, ließ sich mit Unruhestiftern ein, schrieb für die schleswig-holsteinischen Rechte und brachte es dahin, daß er entlassen wurde. Mit Allem, was er hatte, kaufte er nun den Hof, welchen wir hier vor uns sehen, und wurde ein Bauer, das heißt ein Bauer, wie die Hufner in Angeln es sind: wohlhabende Gutsherren, die sich besser stehen, als in anderen Ländern große Grundbesitzer. – Das Gut ist ein Zweihufengut, er kaufte es nicht theuer, und jetzt ist es wenigstens 40 000 Thaler werth.«

»Lembek ist also in guten Umständen?«

»Er ist immer ein Mann von Willen und That gewesen,« erwiederte der Begleiter, »und hat dies auch hierbei bewiesen. Ein fleißiger Landwirth ist er geworden, das hat seinen Anhang und sein Ansehen vergrößert. Aber mit der Advokatensippschaft in Schleswig und Kiel steckt er nun erst recht unter einer Decke. Auf seinem Grund und Boden werden Volksversammlungen gehalten, die Bank für die Herzogthümer hat er mit zu Stande gebracht, überall, wo es Etwas gab, war er dabei, und daß ich nun Nichts mehr mit ihm zu schaffen haben konnte, werden Sie begreiflich finden.«

»Sehr begreiflich,« sagte Herr von Scheden. »Aber fruchteten denn keine Vorstellungen? Sie mußten Ihr väterlich freundschaftliches Ansehen brauchen, Baron Alfeld.«

»Sie kennen Lembek nicht. Ich habe nur Aerger davon gehabt. Mit dem kältesten Blute von der Welt hat er mir meine verrotteten Vorurtheile vorgeworfen, meine dänenfreundliche Gesinnung.«

»Ohne Zweifel die größte Ehre, welche er Ihnen erzeigen konnte.«

»Das meint meine Nichte Ida auch, die mich dringend gebeten hat, jede Berührung mit ihm zu vermeiden.«

»Ein Zeugniß für ihr richtiges Gefühl,« sagte der Etatsrath. »Hat Fräulein Ida ihn häufig gesehen?«

»Sie ist vor Jahren schon oft genug bei unseren Streiten gegenwärtig gewesen, und zu jener Zeit war Lembek ein Freund, der viel bei ihr zu gelten schien, bis er endlich mit Allen brach, die ihm wohlwollten. Damals war Ida noch ein halbes Kind, kaum fünfzehn Jahre alt, dann lebte sie bei der Tante in der Propstei, wie Sie wissen, aber seit den acht Wochen, wo sie wieder bei mir ist, hat sie ihn nicht sehen mögen, denn sie hat genug von ihm gehört, um ihren Widerwillen zu verstärken.«

»Wir sympathisiren vollkommen,« rief Scheden, »dennoch ist es mir lieb, wenn wir ihn in seiner Höhle aufsuchen – Sie thun es nicht gern, Herr von Alfeld, ich auch nicht, allein ich muß sehen, was mit ihm anzufangen ist. Unsere alte Freundschaft erlaubt uns, offen mit ihm zu reden, und wenn er nicht alle Vernunft verloren hat, läßt sich vielleicht noch Etwas anfangen. Jedenfalls ist es meine Pflicht, mich ernstlich um ihn zu bekümmern.«

Die letzten Worte wurden mit Nachdruck gesprochen und von einem bedeutsamen Lächeln begleitet.

»Gut,« sagte der Baron, »ich habe es Ihnen versprochen und will ihm nochmals die Hand bieten.«

»Aber vorsichtig! Wilde Thiere zähmt man durch Streicheln,« lachte der Etatsrath.

Der Baron befahl seinem Kutscher, den Weg hinunter und nach dem Hofe, den er nannte, zu fahren. Der Wagen senkte sich in die Tiefe, und bald befand er sich zwischen den Hecken auf einem schmalen und unangenehmen Wege. Zu beiden Seiten waren Gräben gezogen, auf deren Erde wohl drei Fuß hohe Wälle aufgeworfen waren, auf welchen dichtes Strauchwerk von Espen, Birken und Hagebuchen stand. Einzelne höhere Bäume ragten daraus hervor und streckten ihre kahlen Aeste über den Weg aus, der von den Wällen und Hecken wie von Mauern eingefaßt war. Es kostete den Pferden Mühe, den Wagen auf dem klebrigen und nassen Lehmboden fortzuschaffen; dann und wann schwankte das Fuhrwerk bedenklich, und Herr von Scheden versicherte mit einem derben Fluche, daß man in dieser paradiesischen Völkerwiege mit aller Bequemlichkeit den Hals brechen könne.

»Es ist überall so im Lande Angeln,« sagte Alfeld. »Landstraßen haben wir nicht; diese Hecken, Graben und Wälle, diese schmalen, tiefen Wege und die zahllose Menge der Fußsteige, welche nach allen Richtungen hin zwischen den Ackerstücken laufen, und deren Ziel und Ende nur den Eingebornen und Eingeweihten bekannt sind, bilden eine Eigenthümlichkeit, die wirklich Angeln zu einer Art Vendée Die Vendée war im März 1793 Ausgangspunkt eines Aufstandes gegen die Französische Revolution. Unter dem Zeichen von Herz und Kreuz kämpfte die Landbevölkerung gegen die Zwangsrekrutierungen des Pariser Revolutionsparlamentes. Die kirchen- und königstreuen Bauern im Westen Frankreichs, in der Bretagne und in der Vendée, dem Gebiet südlich der Loiremündung, hatten schon in der Auseinandersetzung um die Zivilverfassung des Klerus meist Partei für die eidverweigernden Priester ergriffen. Die in ihren Augen ungeheuerliche Hinrichtung des Königs am 21. Januar 1793 verstärkte die Ablehnung gegenüber der Revolution. macht.«

»Nur fehlen die Vendéer darin, die begeisterten Männer für ihren König und ihren Glauben,« erwiederte sein Begleiter. Er sah in das Heckengewirr und sagte dann nachdenklich: »Allerdings aber ist es wahr, daß wenn eine Anzahl tapferer Männer, die einen entschlossenen Anführer haben, sich hier vertheidigen wollte, sie einem ganzen Heere Widerstand leisten könnten.«

Der Wagen war inzwischen in einen Seitenweg abgebogen, hatte dessen höheren Grund erreicht und rollte jetzt rasch dem Hofe entgegen, welcher auf einem Vorsprunge an der Bergseite lag.

Es schien ein langgestrecktes, mit Hecken umgebenes Gebäude, von Fruchtbäumen und Gartenanlagen eingeschlossen.

Nicht so groß und stattlich zwar, wie viele der Häuser dieser reichen Hufner sind, überragte es doch mit seinem hohen Ziegeldache die Stallungen und Scheunen der Hoflage, welche zu beiden Seiten sich ausdehnten und ungemein sauber und ansehnlich aussahen.

Als der Wagen an der Hofthüre hielt, steckten sich ein Paar Köpfe aus Ställen und Kammer, aber sie zogen sich gleich wieder zurück und ließen die Fremden unbehindert in's Haus treten.

»Es scheint, wir finden ein leeres Nest,« sagte Herr von Scheden verdrießlich.

»Nicht also,« erwiederte der Baron, indem er auf die Thüre im Hintergrunde der kleinen Vorhalle deutete. »Er ist im Pesel, das heißt im großen Wohn- und Empfang-Zimmer, und hat Besuch, denn ich höre mehrere Stimmen.«

Der Etatsrath öffnete die Thüre und warf einen raschen Blick hinein. Er sah ein großes Gemach mit sauber gestrichenen Wänden und hellen, hohen Fenstern, die nach dem Garten hinaussahen. Ein alterthümliches großes Schreibspind von Nußbaumholz stand an der Wand, an deren einen Seite ein Schrank voller Bücher und Papiere. Gardinen von buntem Zitz, ein Spiegel in Goldrahmen, polirte Tische, ein bequemes Sopha brachten modernen Luxus hinein und gaben dem Ganzen ein heiteres und wohnliches Aussehen; in der Mitte des Zimmers aber standen zwei alte Leute in langen, blauen Röcken, der gewöhnlichen Bauerntracht, zwischen ihnen ein junger Bursche, der den Arm um eine hübsche Dirne gelegt hatte und ganz glücklich aussah; vor diesen Beiden endlich ein Mann in blauer Friesjacke mit rotem Futter, welcher sein ernstes, ausdrucksvolles Gesicht dem jungen Manne zuwandte und, indem er dessen Hände in den seinen hielt, mit seiner markigen Stimme zu ihm redete.

Einige Augenblicke blieb das Oeffnen der Thüre unbemerkt, die Handlung wurde daher durch Nichts gestört.

»So müssen Männer thun, die das Rechte wollen,« sagte der Sprecher. »Wie es auch schwer ist, gegen Vorurtheile anzukämpfen und sich selbst zu bezwingen, das eben zeigt den richtigen Mann an, wenn er die Stimme der Natur höher achtet, als was der Hochmuth der Menschen sagt.

Nimm denn die Anna bin, Ludolf, Du wirst eine wackere Frau haben, besser als Viele, die reicher sind und sich mehr dünken. Bezahlt es Euch durch Liebe und Treue in aller Noth, was Ihr gelitten habt, und denkt daran, was Euch geschehen ist, wenn es gilt, Anderen gerecht zu sein.«

»Wenn es auf's Danksagen ankommt,« sprach der eine der Männer, »so müssen wir insgesammt Ihnen dankbar sein, Herr Lembek. Ich glaube, ich hätte es nimmermehr überwunden, und denke immer noch daran, wie Manche den Kopf schütteln werden, wenn sie es hören. Aber mein Wort ist ein Wort. Sie haben es so abgemacht, und was Sie gethan haben, ist gut gethan, daß wissen wir Alle. Gereuen wird's mich nicht, das soll Niemand sagen.«

»Wohlgesprochen, Petersen,« erwiederte der Hofbesitzer, ihm die Hand schüttelnd. »Was ein Mann thut, soll immer so gethan sein, daß er es niemals zu bereuen hat.«

Bei den letzten Worten wandte er den Kopf nach der Thüre, und voll Ueberraschung sagte er: »Ist es möglich? Scheden! wenn ich recht sehe.«

»Es ist Dir doch lieb, mich zu sehen?« fragte der Etatsrath ihn auf's Herzlichste begrüßend. »Wir sind lange nicht beisammen gewesen, Lembek, und finden uns unter veränderten Umständen wieder. Doch ich bin nicht allein,« fügte er umblickend hinzu. »Hier ist der Herr von Alfeld, Dein alter Gönner und Freund. Ich habe ihn bewogen, mich zu Dir zu begleiten, was Dir gewiß lieb sein wird.«

»Es könnte mir nichts lieber sein,« erwiederte der Hofbesitzer, indem er den Baron freundlich anblickte, der ihn ziemlich kalt grüßte.

»Wir stören Dich in Geschäften,« fragte Scheden.

»Mein Geschäft ist abgemacht,« war die Antwort. »Ich habe nur zwei gute Freunde und Nachbarn, die ihre Kinder verheirathen wollten, mit meinem Rath und Beistand unterstützt.«

»Das heißt also, ein glückliches Paar gemacht?«

»Ja, Herr,« sagte der, welcher Petersen hieß, »das hat unser Nachbar gethan, und hat es besser gekonnt als Advokaten und Pfarrer.«

»Er hat uns vor den Advokaten bewahrt,« fiel der Andere ein.

»Unser Geld uns erhalten,« sagte Petersen.

»Und denen beigestanden, die in Noth waren, wie er immer thut,« rief der junge Mann mit einem warmen Blicke.

»Ich sehe,« sagte Herr von Scheden fein lächelnd, »Du bist noch immer der Mann des allgemeinen Vertrauens.«

»Gott Lob,« erwiederte Lembek, »niemals habe ich dies Vertrauen getäuscht. Hier handelt es sich aber um eine ganz einfache Sache. Diese beiden wackeren Leute, der Hufner Petersen und der Kathner Ludwig, hatten Streit über ein Stück Land und alte Gerechtsame. Ludwig's Tochter, Anna, ist seit Jahren in meinem Hause, und führt die Wirthschaft zu meiner größten Zufriedenheit. Petersen's Sohn ist so wacker und tüchtig, wie Wenige; es konnte kaum anders kommen, daß sie sich lieb gewannen. Dennoch blieben allerlei Bedenken, denn es kommt selten vor, daß eines Hufners Sohn die Tochter eines Mannes heirathet, der kaum zwanzig Tonnen Land besitzt.«

»Gewiß,« fiel Scheden ein, »ich kann mir denken, daß sehr Vieles dabei in Betracht kommt.«

»Um so erfreulicher ist es,« sagte Lembek, »daß diesmal alle Vorurtheile überwunden wurden. Mein Freund Petersen war hartnäckig genug; ich wurde Schiedsrichter in dem Land- und Geldstreite. Das Geld wollte er willig geben, was ich ihm aberkannte, obwohl es sich um mehrere tausend Thaler handelte, aber des Sohnes Flehen nicht erfüllen. Nun haben die Bitten der Kinder und die Vorstellungen guter Leute mich auch darin zum Schiedsrichter gemacht,« fuhr er fort, »und eben kommst Du zu rechter Zeit, um Zeuge meines Urtheils zu sein. Ludolf wird Anna heimführen, das Geld aber, das Petersen zahlen muß, wird das Heirathsgut seiner Schwiegertochter sein.«

»O weiser Salomo!« rief Scheden lachend, »das ist ein Vergleich, bei dem alle Theile gewinnen. Ich bin überzeugt, daß er Freude und Glück verbreitet.«

»Mehr, als Du denken kannst,« sagte der Hofbesitzer ruhig. »Aber wir sind fertig und bedürfen weder Schrift noch Siegel. Unser Handschlag reicht hin, und mein Amt ist aus.«

Er gab den Männern die Hand, und nach kurzer Zeit entfernten sich diese, nachdem sie beredt ihren Dank wiederholt hatten, der aus jedem Worte und jedem Blicke sprach.

Der Baron hatte sich während der ganzen Zeit still verhalten. Er saß auf einem Stuhle am Tische, kreuzte die Arme und hörte geduldig zu. Zuweilen richteten sich die Augen der Bauern auf ihn, und nicht allzu freundlich wurde er angesehen.

»Gottes Dank zum letzten Male, Herr Lembek,« sagte der junge Ludolf beim Abschiede. »Wenn je was geschehen sollte, wo ich's zeigen könnte, wie mir um's Herz ist, mag's Gut und Blut kosten, ich will nicht fehlen.«

Lembek begleitete seine Gäste, und mit einem finstern Lächeln sagte der Baron:

»Da haben Sie ein zufälliges Pröbchen, welchen Einfluß er ausübt. Es ist unerhört hier, daß ein Hufner seinen Sohn an eines Kathenmannes Tochter giebt. Eine solche Mißheirath wird als die größte Familienschande betrachtet, mehr verachtet, wie selbst in unserem Stande. Er bringt es dahin, daß alte Sitten und Satzungen überall Nichts mehr gelten, und nennt es Vorurtheile, wie er Alles so nennt, was ehrwürdig und heilig gehalten wird. Und diese zähen Bauern machen ihn zum Schiedsrichter über Geld und Gut nicht allein, sondern selbst über ihr Familienwohl und ihre Ehre. Uns würden sie keinen Pfennig anvertrauen; was wir ihnen riethen, würden sie schon um deshalb nicht thun. Haben Sie die Blicke nicht gesehen, mit denen sie mich anglotzten? Haben Sie wohl bemerkt, wie der Junge mich ansah, als er gelobte, Gut und Blut für seinen Messias in die Schanze zu schlagen?«

»Ich habe Alles gesehen, lieber Alfeld,« erwiederte Scheden, »aber um's Himmels Willen, jetzt keine Empfindlichkeit. Seien Sie freundlich zu Lembek, wir müssen genau wissen, woran wir mit ihm sind; da kommt er.«

Der Hofbesitzer kehrte zurück. Er sah stolz und freundlich aus, und in seinem offenen männlichen Gesicht lag eine wohlbewußte Ueberlegenheit, als er die beiden Herren nochmals willkommen hieß. Aus einem Wandschranke nahm er eine Flasche Wein und Gläser, schenkte ein, stieß mit ihnen an und setzte sich zu ihnen.

Nach einigen raschen, allgemeinen Fragen sagte Scheden:

»Ich sehe es Dir an, Lembek, Du bist erstaunt, uns hier zu sehen. Und wer hätte es auch denken sollen, daß ich einmal den jungen, eleganten Regierungsrath Lembek in der blauen, rothgefütterten Jupe eines Bauern in Angeln wiederfinden würde, wie er die Händel seiner Freunde in den langen blauen Röcken schlichtet.«

»Du weißt wohl,« erwiederte der Hofbesitzer ohne alle Verlegenheit, »daß die Verhältnisse und mein Wille mich zu dem gemacht haben, was ich jetzt bin. Ich fühle mich in meiner Jupe ganz zufrieden, und wie Du eben gesehen hast, besitze ich das Vertrauen Derer, die Du meine Freunde in langen Röcken nennst, in weit höherem Grade, als früher meine Freunde in kurzen Röcken und Glacéhandschuhen es mir schenkten.«

»Und auch jetzt,« rief Scheden, »giebst Du Dich so harmlosen Beschäftigungen hin, Mädchen unter die Haube zu bringen, während ich meinte, Du würdest mitten in der politischen Bewegung stecken, welche alle Köpfe ergriffen hat. – Du bist in die Landesversammlung gewählt worden?«

»Man hat mich gewählt,« sagte Lembek.

»So wirst Du zu den ›Erleuchteten‹ gehören,« fuhr Herr von Scheden mit spöttischer Betonung fort, die berufen werden sollen, um die neue, seligmachende Verfassung für das deutsche Herzogthum Schleswig auszuarbeiten.«

»Ich fürchte,« erwiederte der Hofbesitzer, »daß es dazu gar nicht kommen wird.«

»Warum denn nicht?«

»Weil sehr wahrscheinlich der Fanatismus Derer, die das Aeußerste wollen, es verhindern dürfte.«

»Ich freue mich Deiner Gesinnung, lieber Lembek,« sagte der Freund, »und leugne es nicht, ich habe Dich in der Absicht aufgesucht, Dir dringende Vorstellungen zu machen.«

»Mir?« fragte Lembek. »So laß denn hören.«

»Nicht hier und nicht jetzt,« antwortete Scheden; »hier habe ich eine andere Mission. Du hast Dich von allen alten Freunden zurückgezogen, das ist nicht recht und nicht gut, Lembek. Hier ist Baron Alfeld, Dein wärmster Beschützer, der viel für Dich gethan hat. Ich weiß, was Meinungsverschiedenheiten unter Männern thun, welche Trennungen sie hervorbringen, welche Verbindungen sie auflösen, aber in diesem Augenblicke, wo unserem gemeinsamen Vaterlande die größten Gefahren drohen, sollen Alle, die Herz und Kopf auf der rechten Stelle haben, beisammen stehen.«

»Noth thut es,« sagte Lembek.

»Ich habe Kopenhagen verlassen,« fuhr Scheden fort, »weil ich die Stürme dort kommen sehe. Ich bin noch immer Etatsrath im Dienste des Königs, aber auch geborener Schleswiger. Ich bin auf meinem Gute bei Hadersleben gewesen, habe mich von der Stimmung im Norden überzeugt, habe Flensburg, Kiel und Schleswig besucht und verweile nun hier bei unserm Freunde Alfeld. Gieb ihm Deine Hand, Lembek, dem alten väterlichen Freunde, und versprich ihm, mit uns gemeinsam in Rath und That zusammenzustehen, um Schaden und Unglück zu verhüten, so weit wir es vermögen.«

»Gern und mit Freuden,« sagte Lembek, indem er dem Baron die Hand bot.

»Heinrich,« sprach der alte Herr bewegt, »ich bin zu Dir gekommen voll Hoffnung und Vertrauen. Soll ich Deine Hand nehmen als Zeichen aufrichtiger Versöhnung?«

»Als ein Zeichen,« erwiederte er, »daß ich es immer schmerzlich empfunden habe, Ihnen so nahe und doch so fern zu sein.«

»Nun, wir werden ja sehen, wir werden ja sehen!« sprach Alfeld, ihn ungläubig anstarrend. »Wir wollen die wunden Stellen jetzt nicht weiter berühren, aber der Etatsrath hat nur zu Recht; wir müssen Alle jetzt beisammen stehen, alle Vernunft zusammennehmen, wenn wir nicht in großes Unglück gerathen wollen. Du wirst die neuesten Nachrichten schon gehört haben?«

Er sah ihn forschend an.

Es war im März allerdings Vieles geschehen in den Herzogthümern und täglich noch mehr zu erwarten. In Kiel wurden Volksversammlungen und Bürgerversammlungen gehalten, die sich überall im Lande wiederholten. Die größte Aufregung herrschte in allen Kreisen, denn immer gewisser wurde es, daß von Kopenhagen aus ein Gewaltstreich zu erwarten sei. – Der Haß zwischen Dänen und Deutschen hatte eine Höhe erreicht, die das Aeußerste erwarten ließ. Alles, was seit zehn Jahren vorbereitet war, ging seiner Erfüllung entgegen.

Während in Kopenhagen die dänische Freiheitspartei Krieg forderte gegen die Aufrührer an der Eider und mit Waffengewalt die Incorporation Schleswigs begehrte, wandten sich alle Sympathieen der deutschen Bevölkerung in den Herzogthümern der Bewegung in Deutschland zu. Das kleine holsteinische Heer war ganz auf der Seite des Volks, dies Volk entschlossen, keine Gewalt zu dulden; nur der größte Theil des Adels stand getrennt von der Landessache, eben sowohl aus Abneigung gegen die Advokaten- und Bauernpartei und deren Forderungen und Lehren, wie aus Furcht vor den materiellen Folgen eines Aufstandes.

Und hier an der Grenzscheide der deutschen und dänischen Bevölkerung lagen diese Folgen am nächsten und waren am gefährlichsten. Der reiche Gutsbesitzer hatte daher wohl Recht, wenn er nach seiner Anschauungsweise den Kopf schüttelte und ängstliche Blicke auf Lembek warf.

»Ich denke,« sagte dieser, »daß wir noch immer nicht das Schlimmste zu befürchten haben. Der König wird dem offenen Unrechte nicht nachgeben, dies deutsche Land nicht zwingen wollen, dänisch zu werden.«

»Aber die Rüstungen,« rief Alfeld. »Was wollen wir machen? Nach Jütland werden täglich Regimenter übergesetzt, und überall kreuzen dänische Schiffe. In Flensburg sind Tumulte gewesen, die dänische Partei hat dort die Oberhand.«

»Bei uns hat sie diese nicht,« erwiederte der Hofbesitzer kalt.

»Aber sage mir doch,« fiel Scheden ein, »ist denn dies Angeln ein deutsches Land, oder hat man nicht noch vor kaum einem Menschenalter hier überall dänisch gesprochen?«

»So war es,« erwiederte Lembek, »aber es ist anders geworden. Man sprach ein dänisches Idiom in Angeln bis an die Schlei, allein das Land war uralt deutsch, ebenso wie die Marschen der Friesen, und keine bessere deutsche Gesinnung kann gefunden werden, wie hier, wo Jeder sich als Deutscher fühlt, wo alle Blicke sich auf Deutschland richten, alle Herzen für Deutschland schlagen, wo alle Vortheile für die Verbindung mit Deutschland sprechen, alle Nachtheile für Dänemark sind.«

»Und auf die Vortheile kommt es an!« lachte der Etatsrath. »Du hast Recht, Lembek, laß uns trinken, Dein Wein ist gut. Was Alfeld sagt, ist allerdings auch richtig. In Flensburg, wenige Stunden von hier, will Keiner, der Etwas zu verlieren hat, ein Deutscher sein. Alle Leute von Vermögen und Einsicht, die Handelsherren und ihr Anhang an der Spitze, lassen den Danebrog hoch leben, jenseits Flensburg aber, wo Niemand mehr Deutsch versteht, ruft das dänisch redende Volk erst recht um Rettung von den verhaßten Deutschen. Was soll der König nun thun? Die gute Hälfte des Landes will dänisch sein, die andere Hälfte schreit nach den alten Rechten und nach Deutschland. Es ist ein verwirrter, schlimmer Handel. Will man billig denken, so muß man zugeben, daß es den Dänen doch nimmermehr gleichgiltig sein kann, eine halb dänischredende und dänisch gesinnte Provinz zu verlieren. Man muß zugeben, daß die alten Landesrechte und die historische und factische Sachlage im schneidenden Widerspruch stehen, und daß das alte vergilbte Pergament, von dem Niemand weiß, wo es geblieben ist, zweifelhaft wird durch andere, jüngere historische Documente, die es antasten und umstoßen.«

»Wenn alte Pergamente Nichts gelten sollen,« sagte Lembek, »vor denen doch sonst die Richter in Israel, die Diplomaten und Staatsgewaltigen so großen Respect haben, so bleibt Nichts übrig, als der Volkswille. Ich beklage es wie Du, daß die Bewohner dieses Landes nicht Alle Deutsche oder Dänen sind. Ich gönne Jedem seine Nationalität, aber ich will die meinige behalten und mein angeborenes Recht nicht aufgeben, so lange ich es hindern kann.«

»Vollkommen klug und weise gesprochen,« rief der Freund, »auf diese Untersuchung kommt es an. Niemand giebt Etwas auf, was er zu halten vermag, es sei denn, daß er zu dem Einsehen gelangt, er wolle Unmögliches und Unausführbares. Es wird spät, Lembek, ich sehe es Alfeld an, daß er nach Hause will, wo seine schöne Nichte Ida uns längst erwarten wird.«

»So ist es,« sagte der Baron aufstehend. »Du erinnerst Dich wohl kaum mehr an Ida, lieber Heinrich. Sie war damals ein Kind, jetzt ist sie eine stattliche Dame geworden, die sich freuen wird, Dich wieder zu sehen.«

»Ich habe gehört,« erwiederte Lembek lächelnd, »daß sie seit einigen Wochen Ihnen Gesellschaft leistet.«

»Sie ist mündig,« sprach Alfeld, §ich bin die Last los. Die Erbin von Bornholm wird aber dennoch manchen guten Rath bedürfen; und meine Nichte bleibt unter meiner väterlichen Obhut, bis ein anderer Beschützer für sie eintritt.«

Der Etatsrath nickte lächelnd seinem Freunde zu und sagte dann:

»Wie sehr wären unsere armen Damen zu beklagen, wenn sie in diesem Lande des Aufruhrs mitten unter kämpfende Parteien geworfen werden sollten. Alle Liebenswürdigkeit reicht nicht aus, um sich vor den Gräueln roher Leidenschaften zu schützen.«

»Was Ida betrifft,« erwiederte ihr Oheim, »so hat sie mehr Entschlossenheit, festen Willen und patriotische Gesinnung, als mancher Mann. Dennoch wäre es mir lieb, ich wüßte sie in Sicherheit. Sie will mich aber nicht verlassen und meint, wir müssen da aushalten in guter wie in böser Zeit, wo das Schicksal uns eben hingestellt hat. – Nun, Heinrich Lembek,« fuhr er fort, »so sei denn zwischen uns Frieden und Freundschaft hergestellt, so Gott will. Wir wollen nicht streiten und nicht zürnen. Es mag so sein, wie Ida sagt, daß Jeder von Gottes Hand an seinen Platz gestellt sei und nicht desertiren dürfe, aber wir können doch in dieser Noth zusammenhalten und wie gute Nachbarn uns rathen und helfen. Wenn es auch Dir so scheint, so nimm meine Einladung an, besuche uns morgen und sei unser lieber Gast.«

»Gewiß, das können wir und wollen wir,« erwiederte Lembek, indem er die Einladung dankend annahm.

»Es kann noch Alles gut werden,« sagte der Baron erfreut, »wenn wir nur vernünftig sind und allen unsern Einfluß anwenden, damit die Ruhe erhalten bleibt. Du hast Deinen Hof gut im Stande, auf einen Blick sieht man, daß Ordnung und Wohlstand hier zu finden sind. Das Gut ist heraufgebracht, wie selten eines; ich weiß, Du hast seit Jahren alles Erworbene an Verbesserungen gewendet.«

»Meine Mühen haben sich gelohnt,« antwortete Lembek.

»Und werden es noch mehr thun,« fuhr Alfeld fort, »wenn Frieden bleibt und die Unruhen uns nicht verzehren. Das muß ein Jeder bedenken, der sein Vaterland liebt; und wer es thut, wird nicht leichtsinnig aufreizen und Verderben über sich und Alle bringen. Also morgen, Heinrich. Lebe wohl und habe Dank für Deine Bewirthung.«

Sie trennten sich unter gegenseitigen erneuten Freundschaftsversicherungen, und doch waren diese sichtlich nur eine dünne Hülle, unter welcher festgewurzeltes Mißtrauen verborgen lag.

»Wir werden morgen Zeit haben, uns auszusprechen und zu verständigen,« sagte der Etatsrath beim Abschiede leise in Lembek's Ohr. »Hoffentlich kann ich Manches für Dich thun, was Dir lieb sein wird.«

Der Wagen rollte durch den sinkenden Abend; es dunkelte in dem kleinen Thale. Die beiden Herren schwiegen eine Zeit lang. Verschiedene große Höfe lagen zerstreut da und dort unter gespenstisch alten Bäumen. Endlich folgte ein kleines Dorf, an dessen Eingange ein hell erleuchtetes Wirthshaus stand. Man konnte hineinsehen in die Gaststube. Eine Anzahl Bauern, meist junge Leute, umringten einen Tisch, an dessen Ende Einer, der sich auf eine Bank gestellt hatte, ihnen eine Zeitung vorlas und in der andern Hand ein Licht hielt, um besser zu sehen. Die Flamme beschien sein Gesicht, es war Ludolf, der glückliche Bräutigam. An der Thüre des Wirthshauses lehnte ein Mensch, der den Wagen anstarrte und laut auflachte, dann aber ein Lied anstimmte, von welchem der geärgerte Baron Alfeld die Worte verstehen konnte:

Ich sag' es Euch mit Freuden:
Ich bin ein deutscher Mann,
Der wohl den Tod mag leiden,
Doch nie ein Däne werden kann.

»Hören Sie wohl,« sagte der Baron, »so steht es hier. Das sind die Folgen der Wühlereien. Und wissen Sie, wer dies Lied und andere ähnliche gemacht hat? Kein Anderer als Lembek. Der Bengel hat mich ohne Zweifel erkannt und singt uns sein Lied zum Hohne nach.«

»Lassen Sie ihm das unschuldige Vergnügen,« erwiederte Scheden lachend.

»Es ist unglaublich, wie sich alles verändert hat,« fuhr der Gutsherr seufzend fort. »Ich will nicht von der Zeit reden, wo alle diese Hufner und ihre Sippschaft leibeigene Leute waren, arm wie die Kirchenmäuse, so elend, daß sie nur in Holzschuhen gingen. Darüber sind sechszig Jahre vergangen, aber es blieb doch das Gefühl der Achtung vor ihren ehemaligen Herren in ihnen. Jetzt ist keine Spur mehr davon vorhanden. Sie sind reich geworden, ihre Prediger sind Männer, die von ihnen gewählt und auf die Landtage geschickt werden, ihre Richter und Vorstände nähren den deutschen Geist, und ihre Kinder bekommen in deutschen Schulen Anhänglichkeit an das sogenannte große deutsche Vaterland.«

»Glauben Sie,« fragte der Etatsrath, »daß Lembek morgen kommen wird?«

»Ich zweifle nicht daran,« erwiederte Alfeld.

»Und wenn wir ihn zur Einsicht bringen können, glauben Sie nicht, daß sein Einfluß hinreichend ist, alle diese Schreier in Ordnung zu halten?«

»Ich bin überzeugt,« sagte Alfeld, »daß nach seinem Beispiel sich der ganze Anhang richten wird.«

»Dann, lieber Alfeld, ist es unsere Aufgabe, ihn auf jeden Fall zu bekehren. Ueberwinden Sie allen Mißmuth und lassen Sie sich zu keiner Heftigkeit hinreißen, wenn er sich etwa nicht sogleich beikommen lassen will. Es wird sich Alles fügen und finden. Lembek wird durch Ihre Güte und Ihr edles Entgegenkommen zur Besinnung gebracht werden; auch Fräulein Ida muß ihre Abneigung überwinden und sich freundlich erweisen.«

»Wenn aber Alles Nichts fruchtet?« sagte Alfeld finster zurückblickend. »Ich traue ihm nicht.«

»Nun, wenn Alles Nichts fruchtet,« lachte Scheden, »so bleibt uns ja immer übrig, einen verlorenen Freund, selbst gegen seinen Willen, vom Verderben zu retten. Jedenfalls ist es gut, wenn er kommt, sorgen wir dafür, daß er bleibt.«

Der Wagen hatte die Höhen erreicht, und nach zwei Stunden lag das Herrenhaus des großen Gutes vor den ermüdeten Reisenden.

Am Himmel flammte es blutig roth und warf zahllose zuckende Blitze über den ganzen Horizont. Es war ein prachtvolle Nordlicht, das Schrecken und Erstaunen erregte und mit seinem Grauen und Ahnen an diesem Abend viele Gemüther bang erfüllte.


Zweites Kapitel.

» So steht es also, liebe Ida,« sagte Alfeld, als er am nächsten Morgen Arm in Arm mit seiner Nichte in dem Saale auf- und abging. »Lembek wird kommen, und freundlich müssen wir ihn empfangen. Du wirst ihn übrigens kaum wieder kennen, so hat er sich verändert.«

»Allem Vermuthen nach nicht zu seinem Vortheile,« erwiederte die junge Dame.

»Nun, daß will ich nicht sagen,« versetzte der Onkel, »aber vor vier Jahren war er lange nicht so ernsthaft und ruhig, so breitschultrig und braunfaltig, wie ich ihn jetzt gefunden habe.«

»Bewahr uns Gott!« antwortete das Fräulein, ein Kreuz schlagend. »Ich kann mir vorstellen, daß solche Vorzüge für seine Umgebung sehr anziehend und sehr Achtung gebietend sein mögen.«

»Du wirst ihn ja sehen,« sagte Alfeld, »doch um Eins will ich Dich bitten, mein Kind. Es liegt uns daran, ihm entgegen zu kommen, so viel wir können; mir wird es herzlich sauer, denn verzeihen kann ich ihm so leicht nicht Alles, was er begangen hat, aber unter den jetzigen Umständen erfordert es unser Wohl, wenn wir ihn bestimmen können, gemeinsam mit uns für die gute Sache zu handeln. Scheden hat mich dringend gebeten, auch mit Dir zu sprechen und Dich zu bitten, uns beizustehen. Willst Du?«

»Was soll ich wollen, theurer Onkel?« fragte das Fräulein lächelnd.

»Als ob Du es nicht wüßtest,« erwiederte er schmeichelnd. »Du sollst seinen harten Sinn erweichen helfen, und wenn es Jemand kann, kannst Du es, Ida.«

»Ich!« rief sie, in die Hände schlagend. »Was soll ich mit dem Bauer anfangen?«

»O, so arg ist es nicht,« sagte Alfeld. »An Bildung fehlt es ihm nicht; alle Tische lagen bei ihm voll Bücher, und früher war er ein sehr munterer Gesellschafter, der den Damen willkommen war.«

Das Fräulein zuckte spöttisch mit den Lippen.

»Man wünscht also von mir, daß ich meine ganze Liebenswürdigkeit bei ihm geltend machen soll?«

»Ihr Frauen,« sagte der Onkel, »übt einen Zauber aus, dessen Macht nicht genug zu bewundern ist. Als ich Lembek Deinen Namen nannte und ihm erzählte, Du würdest Dich freuen, ihn wieder zu sehen, sah ich, daß ihn dies mehr ergötzte, als alle meine Honigreden. Er hat Dich früher gekannt und gern gehabt, ich merkte, daß Du in diesem Augenblicke vor ihm standest, und daß er begierig war, zu sehen, was aus Dir geworden sein möchte. Es gab eine Zeit, Ida, wo ich allerlei Pläne hatte und meinte, es könne sich wohl fügen, daß Heinrich Lembek Dir auch ausnehmend gefallen würde.«

»Ich hoffe, mein theurer Onkel, Du bist seitdem davon zurückgekommen,« erwiederte sie im stolzen Tone, und eine plötzliche Röthe färbte ihr Stirn und Wangen.

»Längst, längst! Das versteht sich von selbst,« rief der Baron, »davon kann nie mehr die Rede sein. Scheden …«

»Wo ist er?« unterbrach sie ihn.

»Er macht einen Spazierritt nach der Küste. Es ist ein prachtvoller Tag, fast zu schön und warm für diese frühe Jahreszeit.«

Das Fräulein blieb einige Minuten am Fenster stehen und blickte in die Ferne. Das Haus lag reizend, vor sich ein weit offenes, jung begrüntes Thal, von jenen zahllosen Heckenrändern durchschnitten, in der Tiefe viele kleine Arbeiterwohnungen und Baumgruppen, mit seiner Hinterfront aber lehnte es an Gärten und Parkanlagen, zwischen denen in der Ferne sich das Meer entdecken ließ.

»Was soll denn also meine eigentliche Aufgabe sein?« fragte sie, sich wieder zu ihrem Oheim wendend.

»Du sollst Nichts thun, als Deinen Widerwillen überwinden, mein Kind,« erwiederte er ungeduldig, »sollst machen, daß er Dich gern sieht und hört, und Heinrich Lembek ist ja ein Mann von kaum drei- oder vierunddreißig Jahren, stolz, charakterfest, eine Art Märtyrer, ein Mann, der Furcht und Bewunderung einflößen kann, also ganz dazu gemacht, um Mädchen zu interessiren. Ich bitte Dich, Ida, sieh ihn von dieser Seite an, und ich bin fest überzeugt, Du wirst mehr finden, als Du meinst.«

»Ich soll ihm also durchaus gefallen,« rief sie lachend. »Du willst es so, will es Scheden auch?«

»Gewiß, gewiß!« erwiederte Alfeld erfreut. »Sieh über seinen Mangel an feinen Formen weg, aber Du wirst finden, Alles, was er sagt, hat eine gewisse Würde, die imponiren kann. Gegen den Etatsrath gehalten verliert er freilich. In ihm paart sich Klugheit und Feinheit, der ist überall sicher und glatt, und wie er Männer zu gewinnen weiß, so gefällt er auch den Damen. Ist es nicht so, Ida?«

Er lachte, indem er seine Hand leise auf ihre Schultern legte und ihr in's Gesicht schaute.

»Ja wohl, lieber Onkel,« erwiederte das Fräulein, seinen Blick erwiedernd, »es ist so.«

»Nun, Du Schelm,« rief Alfeld, »vielleicht ist es recht gut, wenn Heinrich die Folie zu diesem Edelsteine bildet und ihm das rechte Feuer giebt. Ich muß jetzt meinen Umgang machen, sehen, wie es in Haus und Hof steht, habe zu rechnen und zu schreiben. Bedenke Du inzwischen, was ich gesagt habe, und studire ein Bischen darüber, wie man Bären fängt und an die Kette legt.« –

Mit bedeutsamem Lächeln nickte er ihr zu und ging.

 

Nach einigen Stunden, als die kleinen häuslichen Angelegenheiten geordnet waren, ging Fräulein Ida durch den einsamen Garten der Höhe zu, mit welcher die Park-Anlagen endeten. Von dort aus konnte man leicht nach allen Seiten schauen. Ein chinesischer Sonnenschirm stand auf der Spitze. Die Frühlingsluft wehte warm über Angeln hin und kämpfte mit dem kühlen Seewinde, der vom Meere her sie zurücktrieb. Dies tiefblaue Meer mit seinen Buchten bildete einen weiten Halbkreis, und lange hingen die Blicke der jungen Erbin an einem Punkte fest, wo ein großes Schiff nicht fern vom Lande ankerte, und mehrere kleine schwarze Gegenstände, die seine Boote sein mußten, sich hin und her bewegten.

Auf der Bank unter dem Schirme saß sie, dann und wann von einem Sonnenstrahle erreicht, der über den schwarzen Seidenmantel hinflog, wenn ihn der Wind bewegte. Ohne schön zu sein, war ihr Gesicht anmuthig in seiner Unregelmäßigkeit. Die dunklen Augen enthielten geistiges Leben und beherrschten alle übrigen Züge; ein nachdenkender und stolzer Ausdruck lag darin, der die jugendliche Heiterkeit überwiegen konnte, welche so unbefangen und natürlich diesen kräftigen, frischgefärbten Wangen und Lippen aufgedrückt war.

Nach einiger Zeit wandte sich das Fräulein um, denn von der Landseite hörte sie Stimmen. Ein Weg führte nicht weit an der Parkspitze vorüber, und aus dem Thale heraufkommend erblickte sie einen Reiter, der sich mit einem Manne in Bauerntracht unterhielt, welcher neben dem Pferde herschritt.

Im ersten Augenblicke glaubte sie den Etatsrath zu erkennen, gleich darauf aber sah sie den Irrthum ein. Der Reiter ritt ein mächtiges schwarzes Pferd, ein breitgekrempter Hut mit niedrigem Kopfe bedeckte seine Stirn, ein dunkler, weiter Rock mit rothem Futter, wie ihn die Landleute tragen, umhüllte seine ganze Gestalt. »Das ist er,« sagte die Erbin. »Der leibhafte Mephistopheles. Das muß er sein.«

Jetzt schien der Landmann den Reiter auf den chinesischen Sonnenschirm aufmerksam zu machen. Die Dame hörte die Worte nicht, aber sie sah, wie der Mann den Arm ausstreckte, der Reiter sein Pferd anhielt, wie er abstieg und mit vieler Leichtigkeit über ein niederes Heckenwerk sprang, dann einen Rain entlang zu der Höhe heraufstieg und sich ihr näherte.

Einen Augenblick war sie zweifelhaft, ob sie ihn hier erwarten sollte. Fremd und fragend blickte sie auf ihn hin und betrachtete genau sein Gesicht, das ihr gar nicht so sehr verändert vorkam, wie der Onkel es geschildert hatte. Sie fand bekannte Züge wieder, nur hatten Arbeit, Sorgen und Gedanken diese schärfer ausgeprägt. Als er den Hut abnahm, wehte der Wind sein braunes Haar über die breite Stirn, und unmöglich schien es ihr, jetzt noch das kalte Fremdthun beizubehalten, als er vor ihr stand, und ein freundliches Lächeln wie heller Sonnenschein plötzlich durch sein ernstes Gesicht flog.

»Sie sind es, Ida,« sagte er mit seiner tiefen, wohlklingenden Stimme. »Wie mich das freut, Sie wiederzusehen, und zuerst hier auf derselben Stelle, wo wir so oft froh gelacht und gescherzt haben.«

»Herr von Lembek,« erwiederte die Erbin.

»Heinrich Lembek,« fiel er ein. »Geben Sie mir Ihre Hand, oder wollen Sie mich ableugnen? Ist Etwas an mir, was Ihnen nicht gefällt? Meine Hand ist rauh und schwer, aber es ist immer noch dieselbe, die sie sonst war, die Hand Ihres Freundes, der alle Freundschaft aus alter Zeit und alle Erinnerungen daran mitgebracht hat.«

Er setzte sich neben sie auf die Bank, legte den großen Rock ab und sah in seinem dunklen, festgeknöpften Kleide ganz wie ehemals aus.

»So werden wir uns leichter verstehen,« sagte er lächelnd. »Im Grunde freilich ist die Veränderung gering. Mein Blut ist noch eben so roth, meine Gedanken schrumpften nicht zusammen, meine Empfindungen stumpften nicht ab, ich bin auch ohne den großen groben Rock, der ein vortreffliches Erwärmungsmittel ist, voll Empfänglichkeit für das Glück, wieder einmal bei Ihnen zu sein, um zu sehen, wie Recht der gute Onkel hat, der mir gestern schon Ihr Lob verkündigte.«

Die dunklere Röthe im Gesichte des Fräuleins drückte ihr Mißbehagen und ihren verletzten Stolz aus, den sie zu unterdrücken suchte.

»Als mein Oheim mir heute Ihren Besuch ankündigte, Herr von Lembek,« sagte sie, »theilte er mir mit, daß Sie sehr ernsthaft und ruhig geworden wären, ich finde jedoch, daß Sie noch immer in der alten Weise übermüthig und witzig sein können.«

»Nein,« erwiederte er in seinem herzlichen Tone, »zürnen dürfen Sie über meinen unschuldigen Scherz nicht. Ich habe mit so vielen Menschen in der Welt so bittern Hader und so viel Haß auf mich geladen, daß ich die Zahl derer, von denen ich Gutes glaube, mir nicht so leicht verkürzen lassen will.«

In diesem Augenblicke fiel es dem Fräulein von Alfeld ein, was sie ihrem Oheim versprochen hatte, und lächelnd verwandelte sich der stolze Blick, welcher ihre Antwort begleitet hatte, in ein wohlgefälliges Betrachten. Sie neigte sich ein wenig zu ihm hin und sagte mit sanfter Stimme:

»Glauben Sie denn nicht, Herr von Lembek, daß auch ich gern mit lieben Freunden im Frieden lebe, oder daß ich mich nicht freue, Sie wieder zu sehen? Ob in dem Rocke da, ob wie ehemals, gleichviel, aber ich will Niemanden gestatten, sei es Ernst oder Scherz, über mich zu spötteln.«

»Dann also, wie in der alten Zeit,« sagte Lembek, »lassen Sie uns, weil Niemand uns stört, von Allem reden, was wir erfahren haben.«

In seiner einfachen und bestimmten Weise erzählte er nun von sich selbst und wechselte mit Fragen über die Verhältnisse der jungen Erbin, die ihm weitläuftiger wiederholte, was ihr Onkel von ihr gesagt hatte. Ihre Eltern waren früh gestorben, ihr Vermögen bedeutend genug, um begehrlich zu reizen, und dabei hatte sie die Aussicht, den Oheim zu beerben, der keine nähere Verwandten besaß.

Nach und nach wurden die Mittheilungen lebhafter, und durch Lembek's Bemühen verschwand der Zwang, welcher Anfangs sich merken ließ. Er flocht so viele Erinnerungen ein und brachte sie in Ida's Gedächtniß zurück, fragte nach Personen, welche sie kannte, schilderte die Verhältnisse der Vergangenheit in so anziehender Weise und sprach über so viele verschiedenartige Dinge mit so vielem Geschick, oft mit Ernst und Nachdruck, oft so drollig und mit lustigem Spotte, daß sich das Fräulein gestehen mußte, ihr Onkel habe so Unrecht nicht gehabt, als er behauptete, Lembek sei noch immer ein Mann, der Interesse erwecken könne, und mit dem sich umgehen lasse. Dann und wann warf sie einen Blick auf den großen Bauernrock mit dem rothen Futter, das der Wind wie ein Segel ausbreitete, als wollte er es recht deutlich ihr vorhalten, und immer hatte es die Folge, daß die Freundlichkeit auf einige Minuten aus ihrem Gesichte verschwand, und ein gewisses stolzes Bedenken sich ihr aufdrängte. Der Bauer, der Abtrünnige, der Führer einer Partei, die ihr tief zuwider war, ohne daß sie diese eigentlich kannte, dämmerte dann vor ihren Blicken auf, und sie erinnerte sich mit mißtrauischen Empfindungen ihrer Aufgabe, diesen Mann zu bekehren, vor dem sie heimliche Furcht empfand.

Die stolze Erbin von Bornholm wußte nicht, weshalb sie sich fürchtete und ihre Augen zuweilen fast erschrocken von seinen Augen abwandte, wenn er mit der ruhigen Schwere seiner Blicke sie ansah und mit unbekümmerter Offenheit zu ihr sprach, was Andere verschwiegen halten würden. Es war nichts Unzartes und Unstatthaftes in seinen Worten, im Gegentheil, er gebrauchte die Sprache mit allem Geschick, aber oft so energisch kurz und schlagend, wie kein Mitglied der guten Gesellschaft es gethan hätte.

»Es fehlt ihm die feine Form,« sagte Ida in sich hinein, und sie lächelte, weil sie an den Etatsrath dachte und mit Gedankenschnelligkeit Vergleiche anstellte. Jener hohe, stattliche Herr, so elegant, so fein und überall mit einer geschickten, schmeichelnden Antwort bei der Hand, und dieser markige, unbiegsame Mann bildeten in Wahrheit grelle Gegensätze. Sie neben einander zu sehen, hieß, wie der Onkel sagte, dem Edelstein erst sein Feuer ertheilen, und dennoch fühlte das Fräulein in der Nähe des Etatsraths ein Uebergewicht, während sie vor Lembek ein scheues Gefühl empfand.

»Und nun,« sagte er endlich, »wenn Sie bei uns bleiben und in Bornholm wohnen, mitten im grünen Lande Angeln, dann werde ich Ihr nächster Nachbar sein. Die Grenzsteine von Bornholm stoßen an meine Felder, und wenn ich auf der letzten Knicke stehe, kann ich in jedes Fenster des alten Hauses hineinsehen.«

»So bald,« erwiederte Ida, »werde ich wohl nicht in Bornholm wohnen.«

»Ja freilich,« gab er zur Antwort, »Sie bleiben lieber hier bei dem Onkel; aber kann denn nicht der Tag kommen, wo Sie ihn verlassen müssen?«

Die dreiste Frage ließ das Fräulein erröthen.

»Wer weiß, was die nächste Zeit über uns bringt,« sagte sie. »Ist denn nicht Alles jetzt so ungeheuerlich und schwankend, daß Niemand wissen kann, ob ihm morgen noch gehört, was er heute sein nennt?«

»Es ist möglich,« sagte Lembek, »daß diesem Lande Schweres bevorsteht, was standhaft getragen werden muß, ja es ist sogar mehr als wahrscheinlich, aber ich habe gehört, wie Sie den rechten Glauben besitzen, daß Niemand seinen Posten verlassen dürfe, und ich gestehe, daß dies Wort mir besonders gefallen hat.«

»Man muß nur auch auf der rechten Stelle stehen,« erwiederte sie mit höherer Betonung.

»Das glaubt Jeder von sich,« sagte der Hofbesitzer. »Man muß zu seinem Volke stehen in schwerer Zeit und von gutem Rechte nicht lassen, wenn fremde Hände es antasten wollen.«

»Von Politik verstehe ich Nichts,« antwortete die Dame lächelnd, »nur so viel weiß ich, daß würdige und achtungsvolle Männer von Verstand und Einsicht das Treiben bitter tadeln, durch welches die Ruhe des Landes schon so lange untergraben, und der Frieden, dem man Glück und Wohlstand verdankt, so schwer gefährdet wird.«

»Ich will Sie von Politik auch nicht unterhalten, Fräulein von Alfeld,« antwortete Lembek sanft und doch mit Nachdruck, »aber Sie sind ja selbst ein deutsches Mädchen, sind ein Kind dieses Landes und wie alle Frauen für Gefühle empfänglich. Ist es Ihnen gleichgiltig, eine Dänin zu heißen; Ihr Vaterland abzuschwören, Fremde darin walten zu sehen, die uns Alles nehmen möchten, was der Mensch als seine heiligsten Güter achtet?«

»Ich lasse mich nicht darauf ein, mit Ihnen zu streiten,« sagte sie, »denn ich weiß, daß ein Mann, der so oft seine Grundsätze gelehrt und vertheidigt hat, mir weit überlegen sein muß. Alles, was ich darauf sagen kann, ist, daß Andere nicht so düster urtheilen und den Rechten ihres Landesherrn ein größeres Gewicht beilegen.«

»Scheden,« sagte Lembek.

Seine Stimme hatte etwas Mißachtendes, das Ida wohl bemerkte.

»Er wahrlich nicht allein,« versetzte sie, »mein Onkel, die große Zahl der besten Männer dieses Landes.«

»Wen nennen Sie so?«

Das Gesicht der jungen Dame erglühte.

»Diejenigen allerdings nicht,« rief sie lebhaft, »welche begierig sind, Gewalt und Unrecht auszuüben.«

»Man hat Sie falsch unterrichtet, Fräulein von Alfeld,« sagte Lembek mit Ruhe. »Ich bin kein Mann der Gewalt und des Unrechts und möchte gern im Frieden meinen Kohl bauen und ihn verzehren. Nur Unrecht und Gewalt leiden wollen wir nicht von diesen Dänen, die mit wüthendem Geschrei von uns fordern, den Nacken zu beugen. Was würden Sie von dem Manne halten, der so feige und verächtlich wäre, vor Drohungen in den Staub zu sinken? Könnten Sie ihm Ihr Herz schenken, Ihre Hand reichen? Könnten Sie mit Liebe auf ihn blicken, ihn ehren und freudig zu ihm aufsehen, wie schön und klug auch sonst sein Wesen sein möge?«

Er strich mit der Hand über seine stolze Stirn, und in seinen Augen brannte ein Feuer, sein Gesicht drückte eine Zuversicht aus, der sie Nichts entgegen zu setzen wußte.

»Gefällt es Ihnen,« sagte sie aufstehend, »so gehen wir zu meinem Onkel, und dort,« fügte sie hinzu, indem sie in den Garten hinabblickte, »sehe ich den Etatsrath, der uns aufsuchen will.«

»Wie lange ist Scheden bei Ihnen?« fragte Lembek.

»Seit einigen Tagen.«

»Aber nicht zum ersten Male.«

»Nein. Er besuchte mich mit meinem Onkel, als ich noch bei der Tante war. Dann habe ich ihn in Schleswig gesehen, und er begleitete uns hierher, um nach dem Norden zu reisen und wiederzukommen. Er ist aus früherer Zeit Ihr Freund, Herr von Lembek?«

»Wir haben uns ehemals sehr gut gekannt,« erwiederte er lächelnd. »Damals war Scheden Einer von denen, die, wie Sie meinen, nur Unrecht wollen, später hat er besser eingesehen, was Recht ist, und seinen Weg in Kopenhagen gemacht.«

»Er ist sehr liebenswürdig und klug,« antwortete die Erbin.

»Sehr klug,« wiederholte Lembek.

Sie gingen dem Etatsrathe entgegen, der schon von fern ihnen seine Grüße zurief und in der Hand ein Sträußchen Frühlingsblumen trug, welches er dem Fräulein überreichte.

»Der schönsten Blume des Landes müssen alle Blumen huldigen,« sagte er, ihre Hand küssend. »Lembek, ich freue mich unendlich, Dich zu sehen. Diese Nacht habe ich von Dir geträumt und den ganzen Morgen mich mit Dir beschäftigt. Und welch' köstlicher Tag ist es heute,« fuhr er fort. »Ich habe einen Ausflug nach der See hinab gemacht und bedauert, daß nicht alle Wesen sich daran freuen können. Die armen Strandleute waren jedoch in voller Angst und Schrecken, daß kein Sonnenschein sie davon heilen konnte.«

»Was giebt es denn dort?' fragte das Fräulein.

»Lauter entsetzliche Geschichten,« sagte Scheden. »Ein paar dänische Schiffe treiben sich auf dem Wasser umher, eines hat nicht weit von der Küste geankert. Im Flensburger Busen soll auf eine Kanonenschaluppe geschossen worden sein, und diese dafür mit Kartätschen geantwortet haben. Nun wagen sich die armen Leute in ihren Booten nicht hinaus, um ihre täglichen Fische zu fangen, weil die Burschen fürchten, ergriffen und zu Matrosen gepreßt zu werden. Das jammert und flucht nun wild durcheinander, erzählt sich, daß auf Fühnen eine ganze Armee stehe, eine Flotte im Belt liege, und Alsen schon von den Dänen besetzt sei.«

»Wohl möglich,« erwiederte Lembek, als der Etatsrath schwieg.

»Aber ziemlich unglaublich»« fiel der Etatsrath ein. »Ich habe unterwegs einen Kaufmann aus Sonderburg gesprochen, der mich hierher begleitet hat, einen verschmitzten Burschen, der seines Kornhandels wegen in großen Aengsten zu sein scheint. Der Baron hat ihn in Empfang genommen, um Geschäfte mit ihm zu besprechen und Briefe und Zeitungen zu lesen, die aus Schleswig gekommen sind.«

»Briefe von meiner guten Tante?« fragte Ida.

»Ich weiß nicht, ob so frohe Botschaften dabei sind,« fuhr Scheden fort, »aber wir können nichts Besseres thun, als uns überzeugen, da ohnehin die Tischglocke gezogen wird und Lembek den Baron noch nicht gesehen hat.«

Er bot dem Fräulein den Arm, und während sie langsam zusammen den großen Gang des Gartens hinab und dem Hause zugingen, belebte er die Unterhaltung durch seine Plaudereien und Scherze, die so leicht und lustig die verschiedensten Dinge zusammenfaßten, wie ein Dandy der guten Gesellschaft dies nur immer zu thun vermag.

»Vor Allem,« sagte er endlich zu seiner lachenden Begleiterin, »müssen wir jetzt darauf bedacht sein, uns Lembek's Huld zu versichern. Das ist ein Hexenmeister, der Alles kann, und wenn es hier an's Kopfabschneiden geht, vermag er allein unsere unschuldigen Häupter zu retten.«

»Du muthest mir zu viel zu,« erwiederte Lembek in derselben Weise.

»Fürchten Sie Nichts, Fräulein Alfeld,« fuhr der Etatsrath betheuernd fort, »er wird uns nicht fallen und verderben lassen, denn er liebt es, der Schutzgeist unglücklicher, verzagender Sterblicher zu sein. Gestern erst hat er ein Meisterstück vollbracht; einen hartherzigen Vater, einen alten eingefleischten Aristokraten, hat er bewegt, die Ehe seines Erben mit einer höchst unberechtigten, unebenbürtigen Tochter des Volks nicht allein zu segnen, sondern noch obenein die Ausstattung und Hochzeitskosten zu bezahlen. – Solche Wunder geschehen dicht neben uns und bleiben verborgen. Darum Preis und Ehre unserm mächtigen Freunde, den man bewundern, vor dem man sich aber doch hüten muß, denn unter der bescheidenen Stille ist ein gefährlicher Geist verborgen.«

»Wer wird den Geist fürchten,« rief das Fräulein, indem sie sich freundlich zu Lembek wandte, »wenn er mit uns im Bunde ist.«


Drittes Kapitel.

Sie waren bis an die Thüre des Salons gelangt, als diese geöffnet wurde, und der Baron, Zeitungsblätter in der Hand, ihnen entgegen trat.

»Nur herein,« rief er. »Da bist Du ja, Heinrich, sei herzlich willkommen.«

Er warf einen raschen Blick auf die munteren Gesichter und nickte seiner Nichte im Einverständniß zu, schüttelte aber dann plötzlich wieder den Kopf und sagte, die Hände zusammenschlagend:

»Es ist Alles aus, total aus, man kann um seinen Verstand kommen und weiß nicht wie.«

»Was ist denn geschehen? Was giebt es?« fragten der Etatsrath und das Fräulein zugleich.

Der alte Herr schlug auf das Blatt und sprach mit matter Stimme:

»In Berlin haben sie den Spektakel von Wien nachgemacht. Ganz Deutschland ist toll geworden, Alles bricht, Alles fällt. Und hier leset um Gotteswillen! aus Kiel. Sie haben die Stadt erleuchtet, eine Bürgerwache bewaffnet, Deputationen abgeschickt, Freiwillige aufgerufen, Proclamationen erlassen.«

»Und eine provisorische Regierung eingesetzt,« fiel Scheden ein.

»Davon steht Nichts hier,« sagte Alfeld.

»So wird es noch kommen,« fuhr der Etatsrath fort, »aber ich finde Nichts zu erschrecken. Es ist natürlich, daß dem A das B folgt.«

Die Papiere wurden gelesen, sie enthielten alle bekannten Vorgänge.

»Und hier ist Herr Nielsen aus Sonderburg,« sagte der Baron, noch immer sehr aufgeregt, »der Alles bestätigt, was wir aus dem Norden gehört haben. In Kopenhagen ist das Ministerium gestürzt. Alles schreit nach Krieg, es wimmelt von Rothröcken an der Königsau, morgen können sie hier sein, denn überall können sie ja landen. Und was wird es dann werden, wenn das unvernünftige, aufgehetzte Volk der rechtmäßigen Obrigkeit Widerstand leisten will?«

Er richtete diese Frage nach allen Seiten hin, theils an Lembek und den Etatsrath, theils an den kleinen breitschulterigen Herrn, der, in einen kurzen blauen Oberrock eingeknöpft und die Hände auf den Rücken gelegt, an der Wand stand.

»Ist es nicht so, Herr Nielsen?« rief Alfeld. »Sie kennen die Sache genau. Ist der Norden nicht voller Wuth und ganz Dänemark auf den Beinen, um die Burschen in Kiel zur Ordnung zu bringen?«

Der kleine Herr an der Wand wurde lebendig.

»Meine Geschäfte,« sagte er mit etwas schwerer Zunge, »haben mich erst in letzter Woche nach Kopenhagen und durch die Inseln geführt, überall war da nur eine Stimme. In ein paar Wochen wird der Danebrog da wehen, wo Dänemark will.«

Lembek lächelte, der Kaufmann aus Sonderburg sah ihn starr an und fuhr dann freundlich fort:

»Zwanzigtausend Dänen liegen an der Königsau, möchte Jedem rathen, das wohl zu bemerken.«

»Das heißt,« sagte der Etatsrath, »Sie, Herr Nielsen, werden es vorziehen, sich als guter Bürger und treuer Unterthan Sr. Majestät ganz ruhig zu verhalten.«

»Ei, allerdings,« rief der kleine Mann. »Mein Geschäft ist die Hauptsache. Ich will lieber ein Däne sein und ein Vaterland haben, das mich beschützen kann, als gar Nichts sein.«

»Wie gar Nichts sein?« fragte Lembek.

»Ich meine ein Deutscher sein,« sagte der Kaufmann.

»Ja so,« sagte Lembek, ihn betrachtend, »Sie wünschen wenigstens Etwas zu sein, was ein sehr verständiger Wunsch ist. Und wenn Deutschland die Herzogthümer beschützt?«

»So wird Dänemark dafür diese Deutschen züchtigen.«

»Echt dänische Prahlerei,« erwiederte der Hofbesitzer lachend. Und indem er in das zornfunkelnde Gesicht des kleinen Kaufmanns sah, fügte er ruhig hinzu: »Ich glaube, Herr Nielsen, daß, was Sie da sagen; ein gut dänisches Urtheil und nicht Ihr eigenes ist.«

»Bewahr uns Gott vor allem Streite!« rief der Etatsrath. »Das ist das Unheilvolle, daß nicht drei Männer zusammen sein können, ohne sich zu erhitzen. Sie wissen nicht, Herr Nielsen, daß dieser Herr, mein lieber Freund, Heinrich Lembek ist, ein Name, den Sie wohl schon gehört haben.«

Herr Nielsen schien sich zu beruhigen, er wurde viel höflicher.

»Habe vielerlei gehört,« sagte er, »halte mich auch durchaus nicht für beleidigt.«

»So geben Sie ihm die Hand auf spätere bessere Bekanntschaft,« fuhr Scheden fort. »Wir wollen kein Wort mehr von Dingen sprechen, an denen sich mit Worten Nichts ändern läßt.«

Damit war die Sache abgethan. Der Kaufmann aus Sonderburg befolgte den guten Rath und näherte sich Lembek mit vieler Freundlichkeit.

»Ich bin ein einfacher Geschäftsmann,« sagte er, »sehe die Verhältnisse an, wie sie eben liegen, und verstehe sie darnach. Sollten Sie jemals mit mir eine Reise machen, so würden Sie erfahren, daß ich weit entfernt bin, zu prahlen. Gebe Ihnen meine Hand darauf, Herr Lembek, daß ich lange begierig gewesen bin, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

Alfeld hatte kein Wort zu dem Gezänke gesagt, er nöthigte seine Gäste jetzt zu dem wohlbesetzten Tische, an welchem nun Jeder vermied, Gegenstände zu berühren, die den Andern mißfällig sein könnten; aber es dauerte nicht lange, so waren dennoch die Dinge, welche alle Herzen erfüllten und alle Leidenschaften aufregten, der Inhalt des Gesprächs, dem Lembek allein sich entzog, indem er dem Fräulein seine ganze Aufmerksamkeit zuwandte, oder wenn er sich einmischen mußte, es auf eine so besonnene und würdige Weise that, daß sein Beispiel nicht ohne Einwirkung blieb.

 

Am Nachmittage war Lembek allein mit Ida. Er hatte die Gesellschaft der drei Herren aufgegeben, welche beim Glase ihre Gespräche fortsetzten, und traf die, welche er suchte, im Garten auf- und niedergehend.

»Ich will Ihnen Lebewohl sagen,« begann er, »damit die letzte Minute mich nicht überrascht.«

»Wollen Sie uns schon jetzt und so eilig verlassen?« fragte sie überrascht.

»Die Sonne sinkt,« erwiederte er, »in einigen Stunden wird es Nacht sein, und mein Weg ist dunkel.«

»Lassen Sie ihn von einer neuen Sonne bescheinen, damit er hell werde,« sagte sie bedeutungsvoll und lächelnd.

»Und woher soll das Licht kommen?« fragte Lembek.

Ida antwortete nicht. Sie ging neben ihm einige Schritte und fuhr dann fort:

»Wann werden wir Sie wiedersehen?«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht niemals.«

»Niemals! Das ist ein schreckliches Wort,« rief sie, den Kopf zu ihm aufhebend. »Aber wie soll ich es deuten? Ist es Ihre Absicht etwa, da hinaus zu ziehen?«

Sie hob die Hand und deutete nach Süden.

»Nach Kiel,« sagte er.

»Warum dahin?« fragte sie lebhaft.

»Auf meinen Posten. Ich gehöre zur Landes-Versammlung.«

»Und ist das die rechte Stelle? Es wird dem armen Onkel sehr wehe thun, wenn er es hört. Er hat Anderes geglaubt, und Scheden – haben Sie mit ihm gesprochen?«

»Nein,« sagte Lembek, »nur Ihnen mache ich das Bekenntniß, weil ich weiß, daß ich es darf.«

»Und warum ich, warum mir?«

»Weil Ihr Herz Ihnen sagen wird, daß ich muß.«

»Nein,« erwiederte sie, »mein Herz sagt mir das nicht. Ich kann es nicht ändern, aber wenn ich es vermöchte, würde ich Sie zurückhalten.«

Er hielt ihre Hand fest und fühlte sie leise zittern. –

»Ich danke Ihnen für diesen Antheil,« sagte er, »der mir wohlthut und doch den Abschied schwerer macht.«

Eine Thür klirrte in der Ferne. – Scheden und der Kaufmann aus Sonderburg traten auf den Altan, lachend und sprechend.

»Ich werde morgen in Bornholm sein, um, da ich mündig bin, mein Eigenthum in Besitz zu nehmen,« sagte sie, sich niederbeugend und eine Frühlingsblume vom geschützten Beete brechend. »Roth und weiß, das sind meine Farben; ich reiche sie Ihnen zum Andenken und Lebewohl, wenn es so sein muß.«

Sie gab ihm die Blume,blickte lächelnd zu ihm auf, und ihre Hand zurückziehend, weil sie sah, daß der Etatsrath ihnen entgegenkam, fügte sie leise hinzu:

»So leben Sie denn wohl, wenn es so sein muß.«

»Warum gehst Du denn nicht mit?« fragte Scheden belustigt, als er Lembek erreicht hatte, der stehen geblieben war, während Ida durch einen Seitenweg dem Hause zuging. »Was hast Du mit ihr gehabt? Streit? – Streit mit einem hübschen Mädchen ist das Beste, was ein Mann sich wünschen kann, weil er Bürgschaft erhält, daß er ihr nicht gleichgiltig ist. Aber bei alledem ist es gut, daß ich Dich habe, um als Gefangener Dich fortzuschleppen.«

Er nahm ihn beim Arm, führte ihn mit sich fort und rief dann lachend:

»Alfeld ist ganz selig, daß Du wieder da bist, und selbst dieser Narr, der Nielsen aus Sonderburg, hat eine merkwürdige Zärtlichkeit für Dich gefaßt. Er will Dich durchaus mitnehmen, um Volksreden zu hören.«

»Ich fürchte,« erwiederte Lembek, »er wird dennoch gehen müssen ohne mich.«

»Das meine ich auch,« fuhr der Etatsrath fort, »denn Du hast hier Besseres zu thun.«

Sie waren auf die Höhe gelangt. Nebel umwölkte die Seeküste, aber in der Ferne glänzte Sonnenschein. Auf der Landseite lag das Gewimmel der kleinen Thäler und Senkungen im bläulichen Duft des nahen Abends, von hellem Licht durchzogen, das röthlich an den Waldkuppen und Hügeln hing.

»Wie das lieblich und friedensvoll aussieht,« rief Scheden. »Es ist ein beneidenswerthes Loos, auf diesen grünen Höhen zu wohnen, reich und angesehen zu sein und seinen Wohlstand im Schooße eines schönen Familienglückes zu mehren. Du hast eine Zukunft vor Dir, Heinrich, nach welcher mancher Fürst jetzt seine Hand sehnsüchtig ausstrecken möchte.«

»Möglich, daß Du Recht hast,« erwiederte Lembek.

»Wirf es nicht in das zweifelvolle Reich der Möglichkeiten,« sagte Scheden. »Du darfst nur wollen, und sie fällt Dir von selbst zu, und Du wirst wollen, denn Du bist kein Träumer und kein Schwärmer, zwei Eigenschaften, die dem echten Deutschen immer ankleben.«

»So meinst Du, daß ich unecht sei,« antwortete Lembek lachend.

»Du bist ein Kind der Grenze,« sagte der Etatsrath, »und in Angeln seßhaft, wo jeder Mensch ein Kaufmann ist, der in der Wiege schon das Rechnen lernt. Die klugen Leute da unten in den fruchtbaren Gründen wissen recht gut, was es heißt, so und so viel Pflüge Land besitzen, und Jeder von ihnen zählt Dir an den Fingern her, was Alfeld's Güter werth sind, und was Bornholm liefern kann, wenn es in die rechten Hände fällt.«

»Es öffnen sich jedenfalls manche dazu.«

»Aber die Deinigen sind die nächsten und ohne Zweifel die besten. Du wirst doch Nichts dagegen haben?«

Er legte beide Hände auf feines Freundes Schultern, und ohne auf dessen abweisenden Blick zu achten, fuhr er fort:

»Deswegen habe ich bei Alfeld auf Verständigung mit Dir gedrungen und diese Versöhnung angebahnt, welche mir so gut gelungen ist. Dein heutiges Benehmen ist, wie es sein muß. Es wäre Thorheit, von Dir zu fordern, Du solltest mit einem Male umkehren, wie ein Kleidungsstück, das links und rechts nach Belieben getragen wird. Kein Vernünftiger kann das fordern, und mit der Ueberzeugung eines Mannes ist es wie mit dem Rufe eines Mädchens, er muß vor allen Flecken bewahrt werden.«

»Du hast vollkommen Recht,« sagte Lembek.

»Man muß das Vernünftige wollen, das allein ist das Rechte. Hohle Träumereien können die Jugend begeistern, für Männer sind sie unwürdig. Ich habe heute zwei Bemerkungen gemacht, Lembek, welche ich Dir nicht vorenthalten will. Die erste ist die, daß Alfeld vergebens gegen eine Zärtlichkeit ankämpft, die er für den Sohn seines alten Freundes hegt, dessen Verständigkeit und mildes Wesen ihm wohlthut; die andere, daß noch eine zweite Person hier ist, welche, nachdem sie lange Zeit sich gewöhnt hatte, mit einer gewissen Feindlichkeit an Dich zu denken und über Dich zu urtheilen, plötzlich von einem ganz anderen Gefühle ergriffen wurde, seit sie Dich gesehen und gehört hat.«

»Ich bitte Dich, Scheden,« sagte Lembek. »Es steht Dir schlecht, mich durch solche Täuschungen fassen zu wollen.«

»Täuschungen?« erwiederte Scheden, »und warum sollte ich sie anwenden? Um Dich zu bekehren? Eitle Thorheit, ich weiß, Du würdest mich durchschauen. Und wozu hätte ich sie nöthig? Etwa um Dich mit einer Lüge zu anderen Lügen zu bewegen? So plumpe Fallen würdest Du verachten und eben deswegen Dich abwenden, statt uns beizupflichten. Ich appellire an Dich selbst, Du wirst am besten wissen, was wahr, was falsch ist.«

»So meinst Du, daß Alfeld meine Stellung richtig erkannt?« fragte Lembek.

»Wie sollte er nicht?« erwiederte der Etatsrath. »Er ist reizbar und mißtrauisch, aber er fordert Nichts, was Deine Ehre antasten könnte. – Deine Lage ist so klar, wie sie sein kann den Verhältnissen gegenüber, die jeden Mann jetzt zwingen zu zeigen, welche Farbe er trägt. Das aber bedenke wohl, willst Du Deine eigene Zukunft glänzend und sicher machen, so bleibt Nichts übrig, als Alfeld's neuerwachtes Wohlgefallen Dir zu sichern; spricht Etwas in Dir für die Erbin von Bornholm, die Alfeld's Erbin sein wird, so kannst Du ihre Hand nicht anders gewinnen, als durch den Beweis, daß Du ihrer würdig bist.«

»Auch darin pflichte ich Dir bei,« sagte Lembek.

»Sie ist schön und gut,« fuhr Scheden fort, »wer möchte nicht um ihre Hand werben; ich habe eingesehen, daß keine Concurrenz für mich möglich ist.«

»Vielleicht auch nicht,« murmelte Lembek vor sich hin.

»Ich habe beobachtet, welchen Eindruck Du auf sie gemacht hast, und ich kenne die Weiber.«

»Ich danke Dir,« antwortete Lembeck, »und werde Zeit haben, Deine Mittheilungen zu überlegen.«

»Das heißt, Du willst fort?

»Ja, ich habe versprochen, am Abend zu Hause zu sein.«

»Ohne Zweifel, um Deinen Freunden in den blauen Röcken eine Vorlesung zu halten?«

»Du hast es getroffen. Eine Versammlung angesehener Männer erwartet mich.«

»Dann hast Du Recht, nicht dabei zu fehlen, und bist im Stande, aus freier Wahl den Eingebungen Deiner Klugheit Gehör zu verschaffen. Wann sehe ich Dich wieder?«

»Morgen nicht,« erwiederte Lembek.

»Morgen nicht? Gut, mag es so sein. Alfeld geht nach Schleswig, um Ida's Mündigkeit beim Obergericht in gesetzliche Form zu bringen und sich von der letzten Rechnungsablegung über ihr Vermögen freisprechen zu lassen. Ich werde ihn begleiten. Die Erbin von Bornholm ist eine ganz unabhängige freie Herrin über alles, was sie zu geben hat. Hast Du Vertrauen zu mir, so will ich Deine Sache führen. Wende Deinen Tag gut an und komm denn, wann Du willst. Ich sage noch einmal, es ist nicht Zeit, mit Ideologen in Dunst und Nebel umherzutaumeln und sich die Köpfe mit patriotischem Unsinn zu verwirren. Laß uns jetzt gehen, es wird feucht hier. Die Welt versinkt, erhalte sich wer kann.«

In dem Augenblicke flog ein rother Schein durch das Abenddunkel, das die Küste einhüllte, und bald darauf hallte der Donner eines Schusses ihm nach.

»Ach,« rief Scheden lachend, »die Fregatte da unten erinnert uns zur guten Zeit, daß sie auch ein Wort mitzusprechen hat. Was soll auch einem Widerstande werden, der überall angefallen und erstickt werden kann? Von beiden Seiten Wasser für die Schiffe der Dänen, ein Stück Land dazwischen von kaum acht Meilen Breite, ein Heer im Norden doppelt so groß, als was man hier zusammenraffen mag. Wahrlich, Lembek, wenn man dies Alles erwägt, gehört der Muth eines Tollhäuslers dazu, sein Leben, seine Habe und Gut dafür in die Schanze zu schlagen. Sie schreien freilich nach Deutschland und meinen, von dort, wo die sogenannte Freiheit wild aufwuchert, müsse der wahre Stern des Heils kommen. Ich glaube, es hätte ihnen nichts Böseres geschehen können. Sie werden in diesen Strom gerissen werden, der Nichts ist, als ein wilder Waldbach, den ein Gewitter erzeugte. Wenn es vorüber ist, wird er versiegen.«

»Wer kann die Zukunft ermessen?« fragte Lembek.

»Niemand, sagen unsere Weisen, aber ein gutes Auge kann dennoch in dem dunklen Buche blättern und Manches lesen, was da geschrieben steht. Meinst Du, daß die Politik der großen Mächte ruhig zusehen werde, daß Deutschland diese Länder verschlingt, deren Besitz es zur Seemacht erheben würde?«

»Revolutionen, wie diese,« sagte Lembek, »brechen allen Widerstand.«

Der Etatsrath lachte. –

»Guter, gläubiger Freund,« rief er, »frage in einem Jahre darnach und sieh zu, was daraus geworden ist. Das kleine Volk der Dänen wird seine Sache siegreich führen, weil es ein Volk ist, Euch aber wird man als Empörer behandeln, sobald der Tag gekommen ist, wo die Vernunft zurückkehrt. – Ich bitte Dich, Lembek, laß Dich nicht verleiten, an die Dauer dieses unnatürlichen Völker-Frühlings zu glauben, der erfrieren wird, ehe er Knospen treibt. Hüte Dich, Freund, und glaube mir, Glück ist für Dich nur in Ida's Armen, die sich Dir entgegen strecken. – Da ist das holde Kind, da geht Deine Sonne auf!« –

Er deutete auf den Balkon, wo die Erbin schön und stolz neben ihrem Oheime stand und die Nahenden erwartete.

 

Nach einer halben Stunde war Lembek auf dem Wege nach Hause. Alfeld hatte ihn freundlich entlassen, aber er hatte versprechen müssen, am zweiten Tage wieder zu kommen und ein Familienfest feiern zu helfen, das Ida's Mündigkeit verherrlichen sollte. Das Fräulein hatte kein Wort zu dieser Einladung hinzugefügt. Kalthöflich und förmlich nahm sie mit wenigen gleichgültigen Phrasen Abschied und wandte sich ab, als Lembek von den Herren begleitet hinausging, wo fein Pferd bereit stand.

Das Hausgesinde hatte sich versammelt und mit auffallender Freudigkeit wollten Viele ihm hilfreich sein, Andere ihm die Hand reichen, Alle ihn sehen. Sie wußten recht gut, was er seit Jahren im Lande gethan hatte, sein Name war weit umhergetragen. Manche hatten ihn in Versammlungen auch sprechen hören, und jetzt zeigte sich die freiwillige Huldigung der Menge für den Mann, dem sie ihre Zuneigung schenkte in der Liebe, mit welcher sie ihn betrachtete.

»Da haben wir es,« sagte der Baron verdrießlich. »In seinem eigenen Hause ist man vor Demonstrationen nicht mehr sicher. Ihm laufen sie nach und sehen ihn so verliebt an, als brachte er ihnen das Himmelreich. – Heillose Wirthschaft, und meinen Sie denn, er wird in sich gehen?«

»Ich denke wohl,« erwiederte der Etatsrath, »wenigstens hat er Stoff zum ersten Besinnen mitgenommen. Sie sind ihm vertrauensvoll entgegengekommen, auch Fräulein Ida hat wesentlich geholfen.«

»Geholfen hat sie,« sagte der alte Herr kopfschüttelnd, »aber sie hätte mehr thun können. Er ist ihr in tiefster Seele zuwider, ich kann es nicht ändern. Ich bat sie vergebens, ihn freundlich einzuladen. ›Lassen Sie mich ganz aus dem Spiele, Onkel, ich will nicht!‹ war ihre Antwort. Was ist da zu machen? Sie hat sich nicht einmal überwinden können, ihm Lebewohl zu sagen.«

Mit einem spöttischen Lächeln blickte Scheden den Weg hinab, wo der Reiter verschwunden war, und folgte dem Baron dann nach, der seine Parthie Sechsundsechszig spielen wollte.

Lembek hatte inzwischen seinem raschen Pferde keinen Zwang angethan. Er überließ sich seinen Gedanken, und während die Dämmerung und Nacht verlief, ging er rasch über die Höhen hin, bis sich der Weg in ein Labyrinth von Hecken verlor.

»Gute Nacht, Herr Lembek!« rief eine Stimme hinter ihm, als er langsam sein Pferd in den schmalen Pfad eintreten ließ, und als er umblickte, sah er wenige Schritte vor sich den Kaufmann Nielsen stehen, der dicht an ihn herantrat.

»Sie wollen so spät noch weiter?« fragte Lembek.

»Fluth und Zeit kehren sich an Nichts,« antwortete der Kaufmann, »aber so bekannt bin ich doch hier nicht im Lande, um nicht fragen zu müssen, ob dieser Weg nicht hinabführt an's Meer?«

Lembek bejahte es.

»Es ist Schade,« sagte der Kaufmann, »daß unsere Wege so weit auseinanderlaufen, aber ein ander Mal, Herr Lembek, wird es mir vergönnt sein, länger mich ihrer Gesellschaft zu erfreuen. Ich bleibe in der Nähe, und wenn es irgend angeht, bin ich übermorgen auch wieder bei Herrn von Alfeld. Sie kommen doch?«

»Ganz gewiß,« war die Antwort.

»Sie sind mein Mann! Der Teufel hole alle Aristokraten! Schleswig-Holstein für immer! Hallo, wer geht da?«

»Gut Freund!« sagte ein zweiter Mann, der zwischen den Hecken hervorkam.

Der Kaufmann trat einen Schritt zurück und zog Etwas aus der Tasche, das eine Pistole sein mußte, denn es knackte, als werde der Hahn gespannt.

»Nehmt das Ding weg!« schrie der Andere, »wenn's kein Unglück geben soll.«

»Bist Du es, Ludolf?« sagte Lembek.

»Ja, Herr,« antwortete der Bauer. »Habe heute Sachen abgemacht in Missunde und kam die Heckensteige herauf, um heim zu gehen, hätt' aber nicht geglaubt, daß mir Einer in den Weg kommen würde, der sich fürchtet, wenn er einen Mann sieht.«

»Einerlei,« sagte der Kaufmann, »in der Nacht muß Jeder auf seiner Hut sein, zumal, wenn er allein ist. – Vorwärts denn, wir treffen uns wieder. Gute Nacht, Herr, und damit genug.«

Er schritt rasch fort, Ludolf faßte den Steigbügel Lembek's und ging neben dem Pferde her.

»Ich habe Sie hier erwartet,« sagte er leise, »nachdem ich auf dem Gute gehört hatte, Sie wollten bald nach Hause kommen. Der Donnerkerl ging vor mir her, sah hier und dort hin, blieb stehen und schaute sich um, als suche er Gesellschaft oder hätte nichts Gutes im Sinne. Kennen Sie ihn?«

»Es soll ein Kaufmann aus Sonderburg sein.«

»Und hat Pistolen in der Tasche?« fuhr Ludolf bedächtig fort. »Es treibt sich allerlei Volk hier umher, möglich, daß es Einer von den Inseln ist, die Alle kein gut Gewissen haben. Das ganze Land soll voll Spione sein.«

»Und wie steht es in Missunde?« fragte Lembek.

»Ihre Briefe sind sicher besorgt,« antwortete Ludolf. »In Missunde sind Dragoner und Jäger, alle Herzen voll Lust, überall Fahnen und Gesang. Ist ein herrlich Leben da; jede Hand wartet auf den Augenblick, wo es losgehen wird.«

»Und wir in Angeln werden nicht zurückbleiben.«

»Wenige werden es thun, obwohl es auch Träge genug giebt, die da meinen, ruhig sitzen sei besser. Schade d'rum, daß wir nicht mehr Waffen und weniger Geld haben. Sitzen da Viele auf ihren Geldsäcken und schauen bedächtig durch's Fenster, woher der Wind bläst. Die Landessache wollen sie freilich Alle und möchten um keinen Preis das rothe dänische Kreuz küssen, aber sie sind im Frieden reich geworden und können es nicht fassen, daß sie selbst mit d'rein schlagen müssen, wenn es anders werden soll.«

Mit diesen Worten hatte der junge Mann den Zustand des ganzen Landes wahrhafter dargestellt, als er selbst es wohl dachte. Guter Wille war überall vorhanden; der heftigste Zorn gegen die, welche sie zu Dänen machen wollten, war genährt durch den langen Streit der Gelehrten, der Gebildeten und der Presse. Der Haß saß tief in den Herzen des Volkes, aber zur That war dies zu langsam deutsch, zu einsam wohnend auf seinen Höfen, zu wenig raschen Blutes und zu friedlich kaufmännisch und wohlhäbig, um kriegerisch zu sein.

Lembek hörte lange schweigend auf das, was sein Begleiter ihm mittheilte, der lebendig ausmalte, was er wußte und empfand. Aber die Begeisterung des jungen Landmannes war eben so groß, wie seine Verachtung der Gegner.

»Wir wollen's schon machen,« rief er, »laßt sie nur anfangen. Oft genug haben die Bauern ihre Freiheit vertheidigt gegen zehnfach stärkere Feinde. Denkt an die Dithmar'scher, wie die sie jagten. Laßt die Bedächtigen reden, was sie wollen, so wie es in Kiel losgeht, bricht's überall zusammen; wir thun, was Sie sagen, Herr.«

Als endlich der Hof erreicht war, befand sich dort eine Anzahl kleiner Gutsbesitzer, zu denen sich einige Prediger gesellt hatten. Lembek wurde mit Freuden empfangen, man sah es jedem Gesicht an, daß alle Hoffnungen an ihm hingen, und bis spät in der Nacht saßen sie beisammen, angeregt durch die Nachrichten aus dem Süden, und hörten ihm zu, wie er mit hinreißender Macht über die Opfer sprach, welche das Vaterland jetzt von seinen Söhnen forderte.


Viertes Kapitel.

Am andern Tage war eine Volksversammlung, zu der die Männer aus nahen und ferneren Kirchspielen zusammenkamen. Die jungen Leute zogen mit Fahnen und Musik herbei, viele kamen zu Roß und zu Wagen, denn Keiner wollte zu Hause bleiben, Alle wollten wenigstens hören, wie es stände, denn bis in die ärmsten Hütten war die Bewegung gedrungen.

Eine kleine Anzahl junger Männer hatte sich mit Jagdgewehren und allerlei alten Waffen versorgt, die große Mehrzahl aber sah so friedlich aus, wie immer. Krieg war ihnen Menschenalter lang völlig unbekannt geblieben, ihre Kinder meist nicht einmal Soldaten geworden, denn wen etwa das Loos traf, in dem kleinen Heere zu dienen, der hatte sich, wenn es irgend anging, losgekauft. Mit ihren harten, braunen Gesichtern und kräftigen Schultern sahen sie allerdings breit genug aus, um mannhaft fest zu stehen, wo es gilt; aber wo so viele Heerden brüllen, so reiche Felder liegen, so große Höfe an den Berglehnen stehen und so lange Zeit kein Mensch daran gedacht hat, das Aeußerste zu wagen, blieb es bei aller Aufregung und allem Haß doch wahr, was Ludolf sagte: Die Meisten konnten es nicht fassen, daß sie mit darein schlagen müßten, wenn es anders werden sollte.

Als Lembek erschien, flog ihm ein Jauchzen entgegen. Keiner ließ sich hören, der ihm nicht beipflichtete. Neues konnte er nicht sagen, er zählte auf, was seit Jahren vorgegangen, und was seit des alten König Christian's Tode seit einigen Monaten hinzugekommen war. Seine Rede wurde lautlos gehört, jedes seiner Worte hallte von den Bergen wieder. –

Wie er da stand zwischen den wehenden deutschen und den Landessahnen, die man um den Erdhügel gesteckt hatte, auf welchem er sprach, mußte sein Anblick die Herzen ergreifen. Seine Gestalt schien sich auszudehnen, seine Augen sprühten, seine begeisternden Worte drangen wie Pfeile durch die härteste Haut. Da war Keiner, der ihm nicht zunickte bei jedem seiner Gründe, um die Wahrheit zu bekräftigen, Keiner, der nicht eingesehen hätte, es bliebe irgend eine andere Wahl, als Weib und Kind zu schützen vor Gewalt oder das Vaterland aufzugeben und dänisch zu werden.

Mitten in seiner Rede blickte er auf und sah einen Wagen herbeikommen, in welchem eine Dame saß. Der Wagen näherte sich und hielt an dem äußersten Kreise still, die Dame schlug den Schleier zurück, der ihr Gesicht bedeckte, und sah zu dem Redner hinüber, über die Köpfe der Menge fort, welche sich nach ihr umwandte, und deren Gemurmel und feindliche Blicke sie nicht beachtete, obwohl nach und nach das Lachen, Zischen und Spotten bedenklich zunahm.

Lembek hatte sie sogleich erkannt. Eine hellere Röthe färbte seine Stirn, aber seine Stimme wurde noch lauter und eindringlicher, seine Augen hefteten sich auf sie, es war, als richtete er seine Worte an die Versucherin.

»Wir sind ein stilles, friedliches Volk,« sagte er, »wir begehren Nichts, als daß man uns bei unseren Brüdern und Freunden lasse, mit denen wir durch uralte Rechte, durch Sprache und Sitten, durch Gesetze und Gebräuche verbunden sind. Wo sind denn die Ehrgeizigen unter uns, welche mehr begehrten, als was wir verbürgt und verbrieft besitzen, und was das Erbe unserer Väter ist? Haben wir irgend ein Recht des König-Herzogs angetastet, wollen wir von ihm fordern, was nicht uns gehört, wollen wir ihm abzwingen, was wir nicht besäßen? Die Dänen allein sind es, die den Frieden stören, sie nur wollen uns von denen reißen, die mit uns durch alles Leid seit Jahrhunderten gegangen sind. Sie wollen uns ein Vaterland aufzwingen, das wir von uns stoßen, weil es uns fremd ist, sie wollen uns lehren, daß wir keine Deutschen sind, weil dies Stück Land ehemals zur dänischen Krone gehörte. Das Land thut es nicht, es ist derselbe Lehm und Sand wie vor uralten Zeiten, mag da wohnen, wer da will, aber wir haben es mit unserem Fleiße bebaut, wir haben es erobert durch unsere Arbeit. Der deutsche Pflug hat es fruchtbar gemacht, und mit tausend Fingern klammern wir uns an unsere Freunde im Süden fest, die durch Kunst und Gewerbe, durch Handel und Verkehr, durch Alles, was das Menschenleben verbindet und vereint, mit uns zusammengehören.

Klein und schwach sind wir, denn die Dänen haben uns schwach gemacht. Unser Geld haben sie für ihre Flotte, für ihr Kriegsheer und für ihre Erhaltung verbraucht, unsere Steuern wanderten über die See in ihre Hauptstadt, unser Ruf nach Gerechtigkeit verhallte vergebens, aber Alles, was seit vielen Jahren geschah, um uns zu Dänen zu machen, gelang nicht, denn unser Sinn war deutsch, und keine Verlockungen konnten Eingang finden. Nun endlich, da Nichts geholfen hat, soll das Schwert entscheiden.

Sie sammeln ein Heer an der Grenze, das über uns herfallen will, ihre Schiffe sperren unsere Häfen, und wir haben Nichts, als unsere Zuversicht und den Muth unserer gerechten Sache. Da mögen Viele sein, die mit Bangen in die Ferne blicken. Andere mögen bedenken, ob sie der Uebermacht nicht erliegen werden. In solchen Zeiten aber wirft der Mensch hin, was er hat, und darf nicht fragen, ob es nicht klüger sei, den Nacken zu beugen, um sein Brot in Demuth weiter zu essen. Was einem Manne auch geboten werden kann für Abfall und Verrath an seinem Volke, er muß den Sündenlohn weit von sich schleudern. Es sieht wohl lockend aus, Reichthum zu gewinnen, oder eines Weibes Liebe, oder um Ehren und Ansehen, um den Lohn der Mächtigen und Großen klugem Rathe zu folgen, um sich zu sichern vor der Rache der Feinde; aber Schmach und Schande über den Elenden, der um solchen Preis Vaterland und Freunde verbüßt. – Der Güter Höchstes, sagt ein großer Dichter unseres deutschen Volkes, Vaterland, Freiheit, Recht und Ehre muß der Mensch vertheidigen gegen Gewalt. Wir stehen für unser Land, für unsere Weiber, unsere Kinder.«

Die kräftige Stimme des Redners, der Ausdruck seines Gesichts und seine hochgehobene Hand vollendeten den Erfolg seiner Rede. Bänder mit deutschen Farben wurden vertheilt, alle Hüte damit geschmückt, Jubelgeschrei und Schwüre, deutsch zu leben und deutsch zu sterben, hallten durch die Luft. Mitten durch diese erregte Menge aber fuhr der Wagen der Erbin von Bornholm langsam weiter. Die Dame hatte den schwarzen Schleier wieder über ihr Gesicht gedeckt, und zwischen den wehenden Fahnen stand Lembek und sah ihr nach, bis sie verschwand.

 

Nach einigen Stunden trat er in sein Haus, wo Anna ihn erwartete, die ihm freudig die Hände drückte und mit Stolz zu ihm aufsah. Das große Mädchen mit blühendem Gesichte und muthigen Augen war voll Geschäftigkeit und Sorgfalt.

»Will's Gott!« rief sie, »das ist ein Tag, den Niemand vergessen wird. Aber wie sehen Sie müde und matt aus, Herr. Es muß angreifen, so lange aus voller Brust zu sprechen, ich kann's wohl denken. Doch heute ist Jeder froh und freudig, und ich bin es auch.«

»War Ludolf hier?« fragte Lembek.

»Ja, Herr,« sagte Anna, »er hat mich hergebracht und ist auf und davon, um mit anderen Freunden seine Sache abzureden. Er wird nicht hier sitzen bleiben, wenn die Rothröcke kommen,« fuhr sie fort, als Lembek schwieg, »und so ein Bursch wie der nimmt Manchen mit sich fort.«

»So muß es geschehen, Anna.«

»Weiß wohl, Herr,« sagte sie, »so muß es geschehen, es kann nicht anders sein. Wir können's lassen mit der Hochzeit, bis wir wissen, woran wir sind.«

»Ludolf ist seines Vaters einziger Sohn,« erwiederte Lembek halb für sich.

»Das hat auch Petersen gesagt,« fiel sie ein, »aber Ludolf wollte Nichts davon wissen. Der hat sein Herz auf der richtigen Stelle, wollte Gott, sie hätten es Alle so. Sag' Du, sprach er, ob ich gehen oder bleiben soll, und wenn Du es zufrieden bist, wird Keiner mich halten.«

»Du sagtest: Geh?« fragte Lembek.

»›Hast nicht gehört,‹ sagte ich, ›daß man Schimpf und Schande auf sich bringt, wenn man um ein Mädchen Volk und Land verläßt in der Noth? Möchte Deine Hand nie annehmen, Ludolf, nie mit Dir mich zusammenthun, wenn Du die Augen niederschlagen müßtest. Geh und sei brav, ich will schon warten.‹«

»Aber wenn er niemals wiederkehrt, Anna?«

»Wer mag das Schlimmste denken, Herr. Aber wenn's Gottes Wille ist, muß es auch getragen werden.«

Ihre Stimme zitterte leise, und doch lachte sie dazu.

»Es muß ja so sein,« rief sie freudig auf; »wenn Jeder sich davon schleichen will, was soll daraus werden?«

»Hast Recht, liebe Anna,« rief Lembek, »o wären alle Mädchen Dir gleich. Aber auch ich muß gehen und lasse Dich allein zurück.«

»Geht in Gottes Namen,« sagte sie, »ich will's zusammenhalten, wie ich kann. So, Herr,« fuhr sie fort, als sie in seine Augen sah und diese klar und ausdrucksvoll wie sonst glänzten, »das ist der rechte Blick. Ist unsere Sache wahr und gerecht vor Gott und Menschen?«

»So gerecht, Anna, und so wahr, wie es Menschen wägen und fassen können.«

»Nun denn,« sagte sie, »so opfere Jeder das Liebste, was er hat, und werf' die Sünde von sich, die ihn verlocken will. Da war das stolze Fräulein von Bornholm bei uns im Kreise und hörte an, was Sie redeten. Es mag ihr nicht gefallen haben; sie stand in ihrem Wagen lange wie ein Bild von Stein, bis sie endlich davon fuhr. Das ist auch eine von Denen, die ihr Volk verlassen haben. Haben Sie sie gesehen, Herr?«

»Ich habe sie gesehen,« sagte Lembek, indem er fortging, denn es war ihm unmöglich, Anna anzuschauen.

 

Am Nachmittage endlich ging er hinaus in die Feldmarken und durch die Heckensteige hinauf zu der Höhe, an welcher der Hof lag. Von dort aus zog sich das Gelände in einen weiten Grund, über welchem die Sonne funkelnd hing und das saftige Grün der Saaten, die Waldgehege und großen Höfe beleuchtete. Einer derselben lag vor ihnen unter alten kahlen Bäumen, die um sein hohes Schieferdach ihr narbiges Geäst, wie ein Kranz, verflochten. Seine Blicke hefteten sich an die sonnenhellen Fenster und irrten über den ganzen Raum, ohne zu finden, was er suchte.

Endlich stieg er hinab, von Stein zu Stein springend, die den schmalen Pfad füllten, und bald stand er vor dem Hause, das zur Seite der Wirthschaftsgebäude lag, in welchem der Pächter von Bornholm mit seinen Leuten wohnte. Das Herrenhaus des adligen Gutes lag öde und still, von verwilderten Grasplätzen umgeben. Einst war es ein Schloß gewesen, auf dessen Grundmauern und runden Thürmen die spätern Besitzer ihre bescheidene Wohnung errichtet hatten.

Aber als sie diese bauten, waren sie doch Herren über Land und Leute; die Leibeigenen blickten mit Furcht und Demuth zu diesen dunklen Mauern auf. Die Großväter und Großmütter derer, welche heute die Besitzerin dieses stillen Hauses verlacht und Lust gehabt hatten, sie mit Geschrei und Hohn aus ihrem Kreise zu jagen, waren zitternd hierher gekommen, um Frohnden zu verrichten, auf dem hölzernen Esel zu reiten, schwere Steine an den Beinen, oder mit verbrannten Fingern nach Hause zu heulen, wenn sie den Flachs nicht fein genug gesponnen hatten, der auf Befehl der strengen Schloßfrau um ihre Glieder gewickelt und angezündet wurde.

Sechszig oder siebzig kurze Erdenjahre hatten alle die alte grausame Macht und Herrlichkeit von diesen Rittersitzen abgestreift. Da standen Bauernhäuser, die ganz anders groß und stattlich in's Thal blickten, wie dies öde Haus mit seinen eisernen Fenstergittern, da fürchtete sich keiner dieser freien Hufner mehr, wenn sie Geld zählend in ihren bellen, behaglichen Wohnungen saßen, daß der gestrenge Herr eintreten oder der Vogt sie zur Arbeit schleppen könnte mit Weib und Gespann. Nichts von Allem war geblieben, als die tiefe Kluft einer Trennung, die an den Menschen festklebte, nachdem die alten Schloßgräben längst ausgefüllt, die alten Satzungen längst zu den Todten gelegt waren.

Die Herren in den alten Edelsitzen und die Männer in den großen neuen Häusern von Stein blieben doch ganz verschiedene Geschlechter. Je mehr der Adel sich absonderte, seine alten Privilegien vertheidigte, seine Corporation und deren Rechte voranstellte, um so mißtrauischer betrachtete ihn der Bauer, und um so mehr fiel er der patriotisch-deutschen Volkspartei zu. Wenige Männer und Familien aus der Reihe des Adels waren Männer des Volks; man hatte nicht vergessen, was sie von je an gethan und gehindert. Bei der Landesfrage: ob dänisch oder deutsch? war es aber freilich anders geworden. Mancher Hochgeborene hatte sich heftig dagegen erklärt, der ganze Anhang der Herzoge von Augustenburg hatte sich nun mit der Volkspartei verbunden.

Als Lembek die angelehnte Thür des alten Hauses öffnete und auf den schallenden Steinstufen die Treppe hinaufstieg; deren schnörkeliges Eisengitter verbogen seitwärts hing, überkamen ihn alle diese Gedanken und Vergleiche zwischen ehemals und jetzt. Dies alte Haus mit seinen Erinnerungen vergangener Zeiten war doch noch immer für andere Wesen bestimmt, als jene da in den blauen Jacken und bunten Röcken. Die Wahrzeichen eines alten Geschlechtes, das gebietend hier gewohnt hatte, hingen in verblichenen und verstaubten Wappenschildern über der Thür, welche in die oberen Gemächer führte, und als er jene öffnete, stand er in einem gewölbten Saale mit Deckenstücken, deren Farbe kaum mehr zu erkennen war. Die Eichentäfelung war schwarz geworden von Rauch und Zeit; von den Wänden umher sahen Ahnenbilder auf ihn nieder, Damen in steifen Faltenhauben und Stuartskragen, Rosen in den Händen und Gebetbücher, daneben Männer im Brustharnisch oder schwarzen Mänteln mit goldenen Ketten. Gelbe Sonnenblitze fielen auf die stillen, harten Gesichter, und Staubwolken flogen auf, die aus ihrem Nichts aufgeweckt waren von der Macht des belebenden Lichtes, um wild darin umherzujagen.

Langsam ging Lembek durch den einsamen Saal und blieb in der Mitte stehen, indem er die Bilder betrachtete. Es kam ihm vor, als richteten sie alle die Augen auf ihn, als wollten sie ihn fragen, was er hier suche, und als runzelten sich die breiten rothen Stirnen der alten Barone über den verwegenen Bauer, der in seiner Friesjacke so dreist mitten unter sie trat.

Plötzlich aber blickte er nach der Thür hin, die in ein Nebenzimmer führte, und er hörte eine Stimme, die ihn lebendig machte. Er hörte seinen Namen laut und deutlich aussprechen und dann ein langes, leises Murmeln von Worten, die an den Wänden flüsternd hinzogen und verhallten.

Als er die angelehnte Thür öffnete, sah er die Erbin von Bornholm vor sich. Ein Feuer brannte in dem großen Kamine, auf dessen Rand sie ihren Fuß setzte, während ihre Hand ein mächtiges Rechnungsbuch festhielt, das auf ihren Knieen lag: Ihr schwarzes schweres Kleid von Seide zog einen weiten Kreis um den Sessel, auf welchem sie saß, ihr Arm, mit einem funkelnden Geschmeide umwunden, streckte sich weiß und voll aus der dunklen Umhüllung und stützte den gebeugten Kopf, der regungslos auf die Blätter des großen Buches sah. Die langen dunklen Vorhänge hielten das helle Licht zurück, und leicht konnte man meinen, eine der alten Ritterfrauen sei aus ihrem Rahmen gestiegen, um Rechnung zu halten über Zins und Recht ihres Hauses. Nach einigen Augenblicken aber wandte sich die Dame nach dem Geräusche um, als Lembek einen Schritt that, und ohne Ueberraschung blickte sie ihn an wie einen lange Erwarteten.

»Endlich kommen Sie, lieber Lembek,« sagte sie, »eben da ich mich mit Ihnen beschäftigte. Der Meier hat mir das Grund- und Einnahmebuch des Gutes vorgelegt, und darin steht, daß Sie mir steuerpflichtig sind für Holz und Mühle und bei Strafe des doppelten Betrags am St. Martinstage immerdar Zahlung leisten sollen in guter Landesmünze.«

»Und als Ihr Lehnsmann versprach ich dies treu zu halten, meine edle Herrin,« erwiederte Lembek. »Alle meine Schuld will ich in guter Landesmünze bezahlen und freudig meine Pflicht in Ihrem Dienste erfüllen, es sei denn, daß ich davon entbunden werde.«

»Darauf hoffen Sie nicht,« versetzte das Fräulein. »Nein, Lembek, ich halte fest am alten Recht, meine Lehnsleute sollen sich nicht auflehnen gegen ihren Herrn. Setzen Sie sich her zu mir und nehmen Sie dies ehrwürdige Buch, das einen Schatz guter, zum Nachdenken geeigneter Lehren enthält. Wir sind in diesem Augenblicke die einzigen Bewohner dieses alten Hauses; aber ist es nicht schön in seiner schwermüthigen Einsamkeit und Trauer? Ich freue mich darauf, hier einmal zu wohnen, und habe Stunden lang heute, ehe Sie kamen, damit zugebracht, mir alle die Geisterschauer wieder einzuprägen, welche in meinen Kinderjahren mich so oft beschlichen, wenn ich durch den Saal dort ging und die Bilder mich betrachteten.«

»Es ist schön,« sagte Lembek lächelnd, »auch mit Denen zu leben, die nicht mehr sind und Nichts hinterlassen haben, als ein Bild, das ihre Züge trägt, doch größere Rechte haben Die an uns, welche mit uns fühlen und empfinden; das warme Fleisch und Blut der Gegenwart, das nicht ersetzt werden kann durch alle Farben, die Todtes mit dem Scheine des Lebens umhüllen.«

»Als ob die Vergangenheit nicht zu uns gehörte,« erwiederte das Fräulein, »als ob wir selbst wären, wenn sie uns nicht in die Gegenwart geführt hätte; als ob die Zeit, welche über uns hinrauscht, nicht ein Ganzes bildete, aus dem kein Stein genommen werden kann. Darin liegt das Widerwärtige, was mich immer electrisch zurückstößt, daß Die, welche vorwärts wollen, nicht anders es zu können meinen, als wenn sie die Vergangenheit schmähen. Sehen Sie in dies Buch, Lembek. Seit länger als fünfhundert Jahren haben meine Vorväter hier gewohnt. Einer ist König Abel's Feldherr gewesen, ein anderer Herzog Waldemar's Kanzler. Mancher ist gefallen in blutigen Schlachten, bei Hemmigstedt, gegen die wilden Bauern aus Dithmarschen, gegen Friesen und Holsten, immer waren sie da, wo ihres Fürsten Banner wehte. In Rath und Heer standen sie voran, und hier stehen ihre Namen in diesem alten Buche beisammen, wie sie einander folgen, und was sie Löbliches vollbrachten. In diesem Thale wohnten sie, erwarben Land und Leute, schützten die, welche sich zu ihnen wandten, stellten Gerechtsame fest und überlieferten von Geschlecht zu Geschlecht ihren Nachkommen ihren Ruhm, ihre Ehren und ihren Namen. Ihre Habe ist nach und nach schmäler geworden,« sagte sie dann lächelnd, »von vielem Besitze ist Nichts übrig geblieben, als dies prächtige alte Haus und wenige Hufen Land, von aller Macht Nichts, als der Staub verwitterter Gnadenbriefe, von aller Stärke Nichts, als ein einsames Mädchen, das heute vom Hohngelächter der jetzigen Landesherren verfolgt hierher floh, um es denen dort im Saale zu erzählen, wie wunderbar sich Alles in der Welt umgestaltet hat.«

»Und was haben Sie ihnen von mir erzählt?« fiel Lembek ein. »Ich fürchte, theure Ida, es ist nichts Gutes gewesen, denn überall schauten mich vorhin ernsthafte und strenge Gesichter an.«

»Wenn Sie nicht Lembek hießen,« erwiederte das Fräulein, »so würde ich vielleicht dem Bannerträger Herzog Friedrich's, der dort an der Ecke hängt, berichtet haben, daß ich auf seltsame Weise ergriffen worden sei von dem, was ich heute gesehen. Ich hätte sagen können, daß er sich denken möge, es sei diese Zeit fast wie damals, wo in den Dithmarschen sich die kühnen Bauern versammelten, welche, als Wolf Isebrand zu ihnen gesprochen, zu ihren Spießen griffen, um ihre Freiheit gegen das furchtbare Heer des Dänenkönigs und seiner schwarzen Garde zu vertheidigen.«

»Und was haben Sie statt dessen gethan?«

»Nichts,« erwiederte sie, »als daß ein Lembek es war, den ich reden hörte. Ein Name, den er ganz gewiß kennen mußte, denn er sah mich an mit seinen großen Augen, als sei er ganz erschrocken darüber, und wahr oder falsch, ich weiß es nicht, aber es kam mir vor, als schüttele er den Kopf und mache ein Gesicht, wie Einer, der Unglaubliches glauben soll.«

»Sie hätten ihm wenigstens sagen sollen,« fiel Lembek ein, »daß der heilige Vertrag, den er oder sein Vater in Ripen mit unterzeichnete, nach welchem Schleswig und Holstein auf ewig zusammenbleiben sollten, ungetheilt, schmählich gebrochen worden sei, und daß man uns alle, den letzten Sprößling seines eigenen Namens nicht ausgenommen, dänisch machen will, dann würde der alte Ritter den Lembek wohl begriffen und ehrlich dazu genickt haben.«

Das Fräulein schwieg nachdenkend, indem sie in das verglimmende Feuer schaute; endlich hob sie den Blick wieder auf und sagte mit abwehrender Stimme:

»Der große König Harald Harfagr stand einmal mit dem Fuße in dem Taufstein, um ein Christ zu werden. – Wo sind meine Ahnen, Priester? fragte er; in Deinem Himmel oder in der Hölle? – In der Hölle, sagte der Christen-Priester. – Und mein Vater und Alle, die ich liebte auf Erden? – Alle in der Hölle. – Nun denn, bei Odin, Thor und Freia! rief der König, so will ich bleiben, wo sie sind. – Kommen Sie, lieber Freund,« fuhr sie dann lebhaft fort, »ich will Ihnen zeigen, was dies alte Haus enthält, und was ich mir ausgedacht hatte, um es bequem und wohnlich einzurichten. Mein Oheim ist, wie Sie wissen, heute in Schleswig, um seine Rechnungen abzuthun, mir hat er sie schon abgelegt und mich in Erstaunen gesetzt, wie viel seine Güte für mich gespart hat. Ich bin reich geworden, denn ich habe Nichts verbraucht. Dies Haus ist geblieben, wie es war, er hat mir es überlassen, dafür zu sorgen, wenn ich einst es bewohnen wollte. Und ich will es bewohnen,« fuhr sie fort. »Ich sehne mich nicht darnach, in großen Städten zu leben, ich ziehe den Frieden einer einsamen Häuslichkeit vor, den engen Kreis mit Wenigen, die eine feste, treue Kette bilden.«

»Die Kette der Liebe und Freundschaft,« erwiederte Lembek, »schlingt sich dichter um die Menschen, die in sich selbst ihren Frieden finden, als um andere, welche viel von dem glänzenden Beiwerk des Lebens nöthig haben. Aber die Verhältnisse thun Alles, bestimmen unser Schicksal.«.

»Doch nicht ohne unsern Willen,« antwortete sie. »Ich bin frei und unabhängig und denke darnach zu handeln. Wenn die Welt voll Hader und Gewalt ist, soll man dann nicht um so mehr nach Glück und Frieden für sich selbst suchen? Die alten Weisen haben das schon gesagt, und Könige haben ihre Kronen und ihren Ruhm vergessen, um in einem grünen stillen Thale froh und einsam zu leben. Können uns die Dänen das nehmen? Können sie mit all' ihrem Rechte oder Unrechte uns dieses einsame Glück entreißen?«

»Ein märchenhaftes Glück,« sagte Lembek.

»O, warum märchenhaft? Es ist das Glück, das vor Allem gepriesen wird, das Glück, welches uns, fern von Ehrgeiz, das Herz bietet und die Natur. Ich kann nicht denken, daß, wenn man diese Thaler mit Blut benetzt, wenn die Hälfte derer, die jetzt darin leben, begraben, die andere Hälfte glücklicher und besser geworden ist.«

»So kehrt der alte rohe Zustand zurück, wo kein Bedränger Recht kann finden, und Nichts übrig bleibt, als dulden und leiden.«

»Und deshalb zerstören und vernichten sich diese Wesen, welche sich Gotteskinder nennen?« rief die Erbin. »Haß und Mord, und Niemand macht es besser. Nein, mein Freund, ich will Nichts für mich von Eurem blutigen Rechte, ich will glücklich werden und nicht fragen, ob Eure Politik es mir erlaubt.«

Sie reichte ihm die Hand und nickte ihm mit einem trotzigen stolzen Lächeln zu.

»Jetzt sehen Sie an, was ich hier bauen und ändern will,« fuhr sie dann fort, indem sie ihn von Zimmer zu Zimmer durch alle Räume des Hauses führte, welche größtentheils ganz leere Wände zeigten. Zermürbte Tapeten hingen geborsten daran nieder, Hausrath aus alter Zeit stand in Winkeln und Ecken, und durch zerbrochene, verstaubte Fenster fiel das dämmernde rothe Licht des Tages auf die schwarze Dame, wenn sie leicht und unhörbar voraneilte.

»Und all' diesem Schutt und Staube zum Trotze,« sagte sie lebhaft, »ist es doch schön. Hier habe ich als Kind gespielt, dort in der tiefen Wölbung habe ich geschlafen, und meine Mutter saß an meinem Bette und erzählte mir merkwürdige Geschichten jeden Abend, bis ich davon weiter träumte. Dort in dem kleinen Zimmer habe ich sie zum letzten Male gesehen, wie sie ihre sanften Augen voll namenloser Liebe auf mich richtete. O, es ist keine Stelle, von der mein Gedächtniß nicht irgend Etwas mir zuflüsterte und Stimmen mit mir sprächen, welche aus diesen Mauern zu dringen scheinen. Das Alles wird mir bleiben, wie ich diese Räume auch ausschmücke, um sie neu und wohnlich zu machen.«

Sie ging geschäftig hin und her, beschrieb, was sie thun wollte, fragte Lembek um Rath und hörte bedächtig an, was er erwiederte.

»Ich denke Nichts zu sparen,« fuhr sie dann fort, »um mein Haus hell und sauber auszustatten. Vornehm prächtig soll es nicht sein, aber so, daß man gern darin verweilt. Nur der Saal hier, wo meine Ahnen hausen, soll bleiben, wie er ist, damit ich nie vergessen mag, daß ich zu ihnen gehöre. Aber gestehen Sie, Lembek, haben meine Väter nicht den rechten Platz gewählt, um ihren Bau zu begründen?«

Sie stieß die Thür auf, welche zu dem Altan führte, und vor ihm lag das weite Thal in seiner ganzen Frühlingsfrische, sonnig, warm und lieblich, ein schöner Garten, wohin das Auge blicken mochte.

»So arm bin ich doch nicht,« fuhr Ida lächelnd fort, »um nicht manchem Aermeren noch Etwas abgeben und manche Thräne trocknen zu können. Kein Haß und keine Gewalt sollten mich daran hindern.«

»Sie sind gut und edel, ich weiß es,« sagte Lembek.

»Sehen Sie dort, die Mühle ganz fern in der Tiefe gehört noch zu Bornholm. Der Wald da oben ist mein, und alle die Menschen dort in den kleinen Häusern leben von der Arbeit auf meinen Feldern. Wie viel kann man thun, um Segen zu verbreiten! Ist es nicht süß, das zu denken, und ein großer Trost, darin seines Lebens Ziel zu finden?«

»Das edelste, das schönste Ziel. Behüte Sie Gott, theure Ida, und gebe er Ihnen Alles, was Sie dazu bedürfen.«

»Was ich bedarf,« erwiederte sie lächelnd, »wird gefunden werden, die starke, gute Hand, welche mich schützen und schirmen kann.«

Ihre Blicke begegneten sich. Die hellen, stolzen Augen der Erbin trugen einen feuchten Schimmer, der wie Sonnennebel sie einhüllte.

»Ida!« rief Lembek plötzlich, und seine Hand aufhebend fügte er hinzu: »Ist es diese Hand, die mit aller Macht der Liebe Dich schützen und ewig halten soll?«

»Ja, Heinrich,« sagte sie mit leiser, fester Stimme.

Er legte den Arm um sie, und keines Wortes mächtig starrte er eine Minute lang in ihr Gesicht, wie ein Mensch, der zwischen Täuschung und Wahrheit schwankt, während nach und nach das selige Gefühl der Gewißheit ihn ergreift.

»So liebst Du mich?« sagte er endlich. »So willst Du mein sein, mir folgen durch Freud' und Leid?«

»Wir müssen uns verstehen,« erwiederte sie, den Finger auf seine Brust legend. »Tritt hierher, Heinrich,« sie führte ihn in den Saal zurück und nahm seine Hand.

»Sieh' hier meine Mutter, die auf uns herabblickt, hier meinen Vater, der mit klaren Augen uns betrachtet. Könnten sie von den Todten auferstehen, ich würde ihnen sagen, wie ich es jetzt thue: Hier ist Der, dem ich folgen will in Treue und Liebe, wenn er diese höher achtet, als seinen stolzen Willen. Kehre zu Denen zurück, die zu Dir gehören, wähle zwischen Deinen Freunden und mir!«

Mit jedem Wort war Lembek's Gesicht ernster geworden, ein schmerzliches Lächeln zuckte darin, dann schlug er seine Augen fest zu ihr auf und sagte sanft:

»Lebe wohl, Ida, wir haben uns nicht verstanden.«

»Du gehst?« rief sie, ihre Arme erhebend. »Es ist unmöglich, Du kannst nicht gehen!«

»O welche Qual bringst Du über mich,« sagte er, gramvoll sie anblickend, »und doch – schwanke ich keinen Augenblick. Ich muß!« –

»Du mußt?« fragte sie, und ihre Blicke richteten sich anklagend und zürnend auf ihn, Scham und Angst rangen in ihrer Stimme. »Ich fordere kein Opfer; laß uns hier leben und Frieden finden. Tritt vor meinen Oheim hin, sage ihm, wir haben in Bornholm den Plan für unsere Zukunft entworfen; dort wollen wir wohnen, ich und sie.«

Lembek schüttelte leise den Kopf.

»Was ich heute vor tausend Menschen gelehrt habe,« sagte er, »das fordert Erfüllung und Wahrheit. Um eines Weibes Liebe darf kein Mann sein Vaterland in Noth lassen. Schmach und Schande über Den, der anders wählt, wie ich es thue.«

Ida wendete sich ab, ihr ganzer Stolz war aufgeweckt. Sie ging nach der Thür des Balkons, wo der kühle Wind mit ihren Locken wehte, dann kehrte sie zurück, und eine gewaltsame Fassung verdrängte die heftige Erregtheit.

»Laß es genug sein,« sagte sie. »Was ist es denn auch mehr? Es war mir so, als hätten wir uns verstanden, als könnte ich mit meiner Liebe Dich zurückziehen von einem Wege, der Dich auf immer von uns reißt. Es war eine Täuschung, wir wollen sie vergessen.«

»Er hat es mir vorher gesagt,« erwiederte Lembek, »daß ich Dich nur erwerben könnte, wenn ich würde, wie er. Er hat Recht, einen Mittelweg giebt es nicht.«

»Wer?« fragte Ida, dunkel erröthend.

»Scheden,« sagte er ruhig.

»Sagte er das?« rief das Fräulein heftig.

»Besitzt er nicht alle Eigenschaften, welche mir fehlen?« fuhr Lembek mit strengem Blicke fort. »Wenn ich dies edle Vorbild erreichte, dann erst stünde ich vollkommen am rechten Platze! – Dein Onkel und er – weißt Du, welchen Plan sie verfolgen?«

»Kein Wort mehr,« sagte Ida. »Ich weiß nicht, was Herr von Scheden gesagt hat, und will es auch nicht wissen. Das aber glaube von mir, daß ich weder mit meiner Hand, noch mit meinem Herzen Handel treiben lasse. Der Freund meiner Jugend wird immer mein Freund bleiben, auch wenn die Verhältnisse uns trennen, und nun, Herr Heinrich Lembek, Gott hat es nicht gewollt; wir müssen scheiden.«

Er nahm ihre Hand, welche sie ihm bot, und führte sie schweigend an seine Lippen.

»Lebe wohl,« sagte er, »und denke immer an mich wie an einen fernen treuen Freund.«

»Und morgen?« rief sie ihm mit schwankender Stimme nach.

»Ich komme,« sagte er, an der Thür stille stehend.

Sie hörte den Schall seiner Schritte auf der Steintreppe, dann sah sie ihn über den Vorplatz geben. Ein bitteres Gefühl gekränkten Stolzes erfüllte ihr Herz. Ihre Hände preßten sich um das kalte Eisengitter fest, ihre Augen folgten ihm mit magnetischer Gewalt; er blickte nicht zurück, und nach wenigen Minuten war er verschwunden.


Fünftes Kapitel.

Am folgenden Tage war auf dem Gute des Barons ein vielbewegtes Treiben. Die Gäste, welche aus der Nähe geladen waren, hatten meist absagen lassen, denn die beunruhigenden Gerüchte machten, daß Jeder gern sich zurückhielt, weil Niemand wußte, wie es kommen werde. Der Baron war mißgestimmt aus Schleswig zurückgekehrt, er hatte überall Dinge gesehen und erfahren, die ihn verdrießen mußten. Männer, welche sonst sehr mild und versöhnlich dachten, und Andere, welche er seines Sinnes meinte, konnte er nicht wiedererkennen. Er lief ärgerlich auf und ab und erzählte seiner Nichte mit größter Heftigkeit, wie toll und verwirrt alle Köpfe seien, wie weit Verkehrtheit und Schamlosigkeit gingen, wie man ihn verhöhnt und mit Vorwürfen überschrieen habe.

»Man wird schon wieder vernünftig werden,« sagte Ida lächelnd.

»So meint Scheden auch,« erwiederte Alfeld. »Aber Du siehst, wie die Menschen sind. Seine Treue, kein Glauben. Wenige, die den Muth haben, fest zu stehen bei der alten Fahne, sogar mein Essen verschmähen sie und lassen uns allein. Was siehst Du blaß und angegriffen aus, Kind?«

»Ich habe schlecht geschlafen, Onkel.«

»Aus Aerger über den Anblick, den Du gestern gehabt hast,« rief der alte Herr. »Ich kann es mir denken. Du bist also bei der großen Volksversammlung gewesen? Hast den Abtrünnigen reden hören, den Nichts bessern und belehren kann?«

»Du mußt Dich nicht erhitzen, lieber Onkel.«

»Ei ja, nicht erhitzen! Ich möchte ihn – aber warte, der Lohn soll nicht ausbleiben. Du meinst also wirklich, daß er kommen wird?«

»Er wird kommen. Du hast ihn eingeladen, und er hat sein Wort gegeben.«

»Ich habe auch mein Wort gegeben,« rief Alfeld mit einem finsteren Blicke, »er soll mir willkommen sein. Es war viel Volk zusammengelaufen, nicht wahr?«

»Ein großer Kreis, der ihn mit Begeisterung reden hörte.«

»Dem er seine Lügen auftischte.«

»Ich muß sagen,« erwiederte Ida, »daß das tiefe Schweigen dieser Masse von Menschen aller Art, unter denen sich Greise mit ehrwürdigen Gesichtern und viele Männer befanden, denen man Kraft und Verstand ansah, einen wunderbaren Eindruck auf mich machte. Sie hingen mit gläubiger Verehrung an den Lippen ihres Priesters.«

»Ich kenne den Fanatismus, den sie angefacht haben, nur zu gut,« fiel Alfeld ein, »und weiß, wie Lembek ihn zu gebrauchen versteht. Aber das hinderte die rohe Horde nicht, Dich zu verhöhnen, die Aristokratin auszulachen, wohl gar Hand an sie zu legen?«

»So weit ist es nicht gekommen, Onkel, ich entfernte mich, als ich bemerkte, daß meine Gegenwart Unruhe zu erregen begann.«

»Sie hätten Dich gesteinigt, wenn Du nicht gegangen wärest,« sagte der Baron heftig, »und er würde zur Ehre der Freiheit dabei geholfen haben. Ich habe Schweres von Dir gefordert, mein Kind, wenn ich Dich bat, Dich freundlich diesem Manne wieder zu nähern. Deine Abneigung ist nur zu sehr gerechtfertigt, aber Scheden hat so gewollt, und noch jetzt hat er mich ersucht, auf Dich einzuwirken, ihn auch heute nicht merken zu lassen, wie sehr er Dir zuwider ist. Mein Wort darauf, Du sollst Genugthuung erhalten.«

»Ich glaube,« antwortete Ida, »Lembek weiß am Besten, daß ich ihn nicht zu täuschen vermag. Spart Eure Mühe, ihn zu gewinnen. Wie er uns nicht bekehren wird, so wenig kann es bei ihm gelingen. Darum laß diese letzten Stunden ruhig ablaufen, laß uns in Frieden von ihm scheiden. Mag er seinen Weg geben, wohin er auch führe.«

»Zum Unheil und zur Schande!« rief Alfeld.

»So möge diese auf ihn fallen. Wir können seine Verirrungen beklagen und Nichts mit ihm gemein haben, aber bis zur Verachtung und Schmähung dürfen wir uns nicht erniedrigen.«

»Wie, Ida,« sagte der Onkel, indem er still stand und sie betrachtete, »Du kannst ihn noch vertheidigen?«

»So weit ich es vermag, ja,« antwortete das Fräulein. »Ich habe in Bornholm mein Urtheil über ihn festgestellt. Alle rühmen seine Milde und seine Redlichkeit. Keiner, der ihm nicht vertraut und nicht an ihn glaubt.«

»Um so schlimmer,« fiel der Baron ein, »wenn er ein ganzes Land verführen kann. Ein solcher Mensch ist ein gemeinsamer Schade, eine wahre Pest.«

»Aber Du selbst,« fuhr das Fräulein fort, »hast mir so eben erzählt, daß mancher Deiner alten Freunde jetzt so denkt, wie er, und was viele besonnene und ehrenvolle Männer für wahr und recht halten, kann doch durchweg nicht Lug und Trug sein.«.

»Ida!« rief Alfeld erstaunt und zürnend. »Was ist mit Dir vorgegangen? Hat die Luft seiner Nähe Dich angesteckt, oder hat es der Unsinn gethan, den Du gestern hören mußtest?«

»Du wirst von mir Nichts glauben, was mich unwürdig machen könnte, Deine Nichte, die Erbin Deines Namens zu sein,« erwiederte das Fräulein mit stolzer Stimme.

»Nein, mein Kind, nein!« sagte Alfeld beruhigend, indem er ihr die Wange streichelte, »ich kenne Deine Grundsätze, die Nichts mit Lembek's Treiben gemein haben; aber bin ich doch selbst von seinem Wesen fortgerissen worden und habe mich alter Zuneigung nicht erwehren können, als ich ihn wiedersah. Du wirst es mir daher nicht übel nehmen, wenn mir einfiel, es könnte sich ereignen,« – er blickte die schöne Nichte lächelnd an und setzte dann rasch hinzu: »aber ich weiß ganz gewiß, daß es nicht sein kann.«

»Was könnte sein oder nicht sein, Onkel?«

»Du könntest Dich verlieben,« rief der alte Herr lächelnd, »aus dem Spaße Ernst machen, den Eifer, ihn für unsere gute Sache zu gewinnen, etwas zu weit treiben.«

Die Erbin wendete sich ab, und plötzlich röthete sich ihr Gesicht, denn ihre Blicke fielen auf den Etatsrath von Scheden, der eben draußen vom Pferde stieg und freundlich hereingrüßte.

»Du mußt nicht roth werden,« rief Alfeld, indem er sie umarmte. »Ich habe nur einen Wunsch, mein Kind, den Wunsch, Dich recht glücklich zu sehen. Leider sind die Zeiten so, daß weit eher an Krieg, als an Hochzeit gedacht werden kann, aber eben deswegen ist es nöthig, einen sicheren Hort zu suchen für alle Stürme. Nun,« sagte er, »Du weißt schon, was ich meine.«

»Es würde mir Nichts helfen, wenn ich es leugnen wollte,« erwiederte sie.

»Da kommt er,« fiel der alte Herr ein. »Ich mische mich in Nichts, aber alles, was Du thust, ist mir lieb und recht. Du bist ja mündig, Ida, bist Herrin über Deinen Willen.«

»Und über meine Freiheit, Onkel?«

»Ei ja,« rief er lachend, »Ihr wollt Sklaven haben. Nun, da hast Du einen, der Dich abgöttisch verehrt.«

In dem Augenblick, wo Alfeld sich entfernte, trat Scheden herein, sichtlich erfreut, Ida allein zu finden.

»Ich habe mich darnach gesehnt, Sie zu sehen,« sagte er nach den ersten Worten, »denn seit gestern trage ich mich mit einem Gedanken umher, der mich glücklich macht, wenn Sie ihn billigen.«

»So lassen Sie hören, was Ihnen seit gestern für mein Glück und für das Ihre eingefallen ist,« erwiederte sie scherzend.

»Für unser beiderseitiges Glück also,« fuhr er fort, »dürfen Sie hier nicht länger verweilen.«

»Und woran hängt das Unglück, wenn ich bleibe?«

»Ich darf es Ihnen nicht verhehlen,« erwiederte Scheden, »daß vielleicht schon in wenigen Tagen dies Land der Schauplatz blutiger Verwirrung sein wird. Es ist kein Zweifel, daß die Sache des Königs den Sieg behält, allein Sie dürfen den Ausgang der Dinge nicht abwarten. Meine dringende Bitte ist daher, mir zu gestatten, für Ihre Sicherheit zu sorgen und Sie an einen Ort zu führen, wo Sie vor allen Schrecken geborgen sind.«

»Halten Sie unsere Lage denn wirklich für so gefährlich?« fragte Ida.

»Beantworten Sie sich diese Frage selbst. An der Grenze steht ein Heer, das unfehlbar vordringt, sobald die Fahne des Aufstandes erhoben wird, und zweifeln kann Niemand, daß dies geschieht. Ich habe heute die sichere Nachricht erhalten, daß alle Bemühungen in Kiel fruchtlos geblieben sind. Sie rufen Hilfe aus dem empörten Deutschland herbei, und wie weit der Wahnsinn geht, weiß Niemand. Die bethörten Menschen wollen den Krieg, sie werden ihn finden.«

»Und wohin wollen Sie mich führen?«

»Nach Kopenhagen,« sagte er, »oder wenn Sie es vorziehen, nach Fühnen. Ich habe Freunde überall und werde Sie begleiten, wenn Sie mir gestatten, Ihr treu ergebener Diener und Freund zu sein.«

»Und mein Oheim – kennt er Ihre freundliche Absicht?«

»O der gute Baron,« sagte Scheden. »Ihre Einwilligung genügt, um ihn dafür zu bestimmen, und was kann er Besseres thun, als uns begleiten? Der Frühling kommt und macht unsere herrlichen Buchenwälder grün. Sie kennen noch nicht die Reize unseres Nordens, diese wundervollen Inseln im Thau des Meeres gebadet und ausgestattet mit den lieblichsten Einsamkeiten. Dorthin retten wir uns aus diesem feindlichen Gewirre von Lüge und Leidenschaft, bis ich Sie zurückführen kann, theure Ida, in die beruhigte Heimath.«

»Ich fange an zu fürchten,« erwiederte das Fräulein, »daß Ruhe und Frieden hier so bald nicht wieder einkehren werden.«

»So bleiben wir dort, bis dieser schöne Zeitpunkt eintritt.«

»Unter den Dänen?«

Scheden lachte.

»Sie haben doch auch Ihre deutschen Sympathieen,« sagte er.

»Und ein deutsches Herz,« fügte sie hinzu.

»Voll deutscher Treue,« sagte der Etatsrath, indem er mit einem innigen Blicke ihre Hand an seine Lippen drückte. »Theure Ida,« fuhr er dann leiser fort, »fühlen Sie nicht, wie unendlich glücklich es mich machen würde, oft und immer in Ihrer Nähe zu sein?«

»So bleiben Sie uns,« antwortete sie lächelnd.

»O, wie gern! doch der Wille eines Mannes ist nicht immer genug, um zur That zu werden. Sie kennen meine Verhältnisse ganz. Zwar bin ich unabhängig, doch habe ich die Zukunft und meine Stellung zu bedenken. Ich darf hoffen, daß diese einst eine glänzende sein wird, darf ich nicht auch glauben, daß meine kluge, geistvolle Freundin mir etwas mehr als gewöhnliche Theilnahme schenkt?«

»Sie sind zu gütig und besorgt um mich gewesen,« antwortete die Erbin, »um Undankbarkeit zu erwarten.«

»Lassen Sie uns nicht mit Worten spielen,« erwiederte er, »es hängt viel von der Minute ab, die man ergreift, ich halte sie fest, weil ich Nichts verlieren will. Ihr Herz muß Ihnen sagen, was meine Lippen nur unvollkommen vermögen, von diesem Herzen erwarte ich mein Urtheil. Sprechen Sie es aus, theure Ida, wollen Sie einem Manne angehören, der mit der innigsten Verehrung um Ihre Liebe wirbt?«

»Sie überraschen mich nicht, lieber Scheden,« erwiederte sie nach einem augenblicklichen Schweigen, während sie ihre Hände ihm überließ, »aber sind unsere Neigungen nicht zu verschieden, um nicht Bedenken einzuflößen?«

»Bedenken?« fragte er lächelnd, »welche Bedenken?«

»Sie wünschen und hoffen eine glänzende Laufbahn, ich ziehe ein stilles, einfaches Leben vor. Ich habe keinen Gefallen an buntem Scheine; bei einem fremden Volke mag ich nicht wohnen, wer mich liebt, muß mich nicht von dem Boden reißen, auf den ich gepflanzt bin.«

»Wenn Sie das beruhigen kann,« fiel Scheden lächelnd ein, »so verspreche ich Ihnen auf's Heiligste, allen Ihren Wünschen nachzukommen. Sobald die Ruhe hier hergestellt ist, wollen wir zurückkehren und in Bornholm ein paradiesisches Leben führen.«

»Und Ihren glänzenden Aussichten könnten Sie entsagen?«

»Allem, was Sie wollen, nur nicht dem Glücke, das Sie mir als Ersatz bieten.«

»Liebenswürdiger Freund,« rief das Fräulein, »ich erkenne dieses Opfer. O wie anders entzückt mich diese edle Milde, wenn ich damit den finstern Starrsinn Lembek's vergleiche.«

»Der Narr!« sagte Scheden, indem er spöttisch auflachte. –

»Sie haben Recht, er ist aufrichtig zum Erbarmen. Da fällt mir ein: Was haben Sie ihm von mir gesagt?«

»Ich habe ihn, wie der Versucher, auf die höchsten Spitzen der Berge geführt,« erwiederte Scheden noch immer lachend, »und ihm das Schönste gezeigt, was die Erde bietet.«

»Welche Größe der Entsagung!«

»Bah!« sagte der Etatsrath, »wir sind fertig mit ihm. Dieser Ritter von der traurigen Gestalt soll uns nicht mehr stören.«

»Ich denke nur zu sehr an ihn und fürchte seine Macht,« antwortete das Fräulein nachdenkend.

»So muß er zum Beispiel werden, was solche bedeutet. Seien Sie ganz ruhig, er soll Ihnen keinen Schrecken einflößen.«

»Was haben Sie vor?« fragte sie, rasch aufblickend.

»Nichts, was Sie erschrecken könnte,« lachte Scheden, »eine Ueberraschung höchstens, die ihm eine gute Lehre sein wird. Wenn er kommt, seien sie freundlich, ich denke ihn vernünftig zu machen und habe ein unfehlbares Mittel dazu. Ist er artig, so nehmen wir ihn mit, um Zeuge unseres Glückes zu sein, wo nicht, so überlassen wir ihn seinem Schicksale. Sagen Sie mir nur, liebe theure Ida, ob ich mit Ihrem Onkel sprechen darf?«

»Nicht heute,« erwiederte sie, »nicht jetzt.«

»Und warum diese Grausamkeit?« fragte er zärtlich bittend.

»Weil dies kein Tag ist, wie ich ihn wünsche,« war ihre Antwort.

»Vielleicht haben Sie Recht,« sagte Scheden nach einem Augenblicke des Bedenkens. »So bewahre ich denn mein Geheimniß bis morgen, aber dann, dann –«

Er beugte sich nieder und näherte sich ihren Lippen, als plötzlich die Thür geöffnet wurde und Lembek hereintrat.

»Wie, Heinrich!« rief der Etatsrath zurückfahrend, »Du kommst höchst erwünscht, wie der Wolf in der Fabel. Wir haben so eben von Dir gesprochen.«

»Ich bitte um Verzeihung,« sagte Lembek, sich verbeugend, »wenn ich unerwartet eintrete.«

Er wandte sich an Ida, die lächelnd aufstand und unbefangen sagte:

»Ich habe Sie erwartet, Herr von Lembek, und freue mich, Sie hier zu sehen.«

»Also munter, Freund Heinrich, und lege Dein ernsthaftes Gesicht ab,« fiel Scheden ein. »Setze Dich zu uns und erzähle, was Du Neues weißt. Wie geht es der hübschen Anna? Wann soll die Hochzeit sein? Ich hoffe, der verliebte Bräutigam wird nicht warten wollen, bis das deutsche Vaterland gerettet ist.«

»Du magst sie selbst fragen,« erwiederte Lembek, »denn ich habe sie Beide mitgebracht.«

»Als unterhaltende Reisegesellschaft,« rief Scheden lachend.

»Sie haben Verwandte hier in der Nähe und wollen am Abend mit mir zurückkehren.«

»Da spazieren sie schon umher,« sagte Scheden, zum Fenster hinausdeutend, »wirkliche Prachtexemplare der Völkerwiege Angeln.«

Auf dem Hofe stand Ludolf neben dem Wagen bei den mächtigen Pferden, die ihn gezogen hatten, und für welche er ein Unterkommen suchte. Die Köpfe der muthigen Thiere waren mit farbigen Bändern geschmückt; ein deutsches Band steckte von gestern her an seinem Hute und bildete eine stattliche Schleife; der junge schmucke Bursch sprach lebhaft mit den Hausleuten des Barons, die sich um ihn gesammelt hatten und eifrig zuhörten. Was er ihnen erzählte, schien viele Theilnahme und Beifall zu finden und dann und wann von Anna bestätigt zu werden, die in ihrem rothen Rocke mit dem grünen Besatze, dem schwarzen Jäckchen mit blanken Knöpfen und dem Strohhute, der wie ein großes Vogelnest mitten auf ihrem Kopfe saß und lange glänzende Bänder durch die Luft wehen ließ, anmuthig unter dem Haufen stand.

»Laß sie doch näher treten,« sagte Scheden, als nach einigen Minuten die Pferde ausgespannt waren und Ludolf seinen Hut zog, weil er das Fräulein am Fenster bemerkte.

»Kommt hierher,« rief er dann, ohne die Antwort abzuwarten. »Wir müssen der hübschen Braut unsere Glückwünsche sagen.«

Der junge Bauer zögerte nicht. Er kam mit festen Schritten auf das Haus zu und führte Anna bei der Hand. Eben aber, als er die Stufen hinaufstieg, sah er den Baron mit einem andern Herrn im Vorflur stehen, der sehr vertraulich die Hand auf dessen Arm gelegt hatte und lebhaft sagte:

»Es ist Alles zu seiner Aufnahme bereit, Herr von Scheden hat mich von Ihren Wünschen unterrichtet. Folgen Sie seinem Rath, Herr von Alfeld.«

Der Gutsherr sah auf und erblickte Ludolf an der Thür, im Augenblicke drehte sich der andere Herr um, in welchem der junge Bauer den Kaufmann aus Sonderburg erkannte.

»Wer seid Ihr?« fragte der Baron ärgerlich.

»Ei, Herr von Alfeld,« erwiederte Ludolf, seinen Hut drehend, »kennen Sie mich nicht? Ich bin der Petersen von Cappeln, und hier ist meine Braut, Anna Ludwig. Wir sind mit dem Herrn Lembek herüber gekommen und wollen uns der gnädigen Herrschaft vorstellen.«

»Schaffen Sie den albernen Burschen fort,« murmelte Nielsen in dänischer Sprache, »er ist uns hier im Wege.«

Lembek öffnete das Zimmer und sah hinaus. –

»Da ist ein Bursch, der zu Dir gehört,« sagte der Baron. »Ist es so?«

»Ludolf Petersen,« erwiederte Lembek. »Sie haben ihn bei mir gesehen. Tritt ein, Ludolf, das Fräulein hat von mir gehört, daß ich Dich und Anna besonders schätze, sie will Euch ihren Glückwunsch sagen.«

»Glück ist zu brauchen jeder Zeit,« sagte Ludolf, »ich und Anna aber, wir haben es jetzt mehr nöthig, als sonst.«

»Und warum jetzt noch mehr?« fragte das Fräulein, die wohlwollend Beiden in die hellen Augen sah.

»Ja, Fräulein,« antwortete er unerschrocken, »weil's mit den Dänen erst muß zur Hochzeit gehen, ehe es mit Anna hier geschehen kann.«

»Die Hochzeitsbänder sitzen Euch schon an dem Hute,« sagte Herr Nielsen lachend.

»Freilich, Herr,« sprach der Bauer, »und es ist ein Schmuck, der da sitzen bleiben soll, bis der letzte Gast nach Hause geschickt ist.«

»Wie ich sehe, sind es die deutschen Farben,« fragte Scheden. »Seit wann seid Ihr denn deutsch geworden?«

»Weiß es meiner Treu nicht,« rief Ludolf, »muß also wohl gewesen sein von Geburt an, aber ist eine Frage erlaubt, Herr? Von welchem Stamme meinen Sie denn zu sein, deutsch oder dänisch?«

Der Etatsrath lächelte über diese kecke Frage, die ihn selbst ein wenig verwirrte. –

»Ich bin in Schleswig geboren,« sagte er, »also ein Kind des Landes wie wir Alle.«

Ludolf schüttelte den Kopf.

»Ich will es Ihnen sagen, Herr,« fuhr er dann fort, »was meine Meinung ist. Ein Däne mag ein Däne sein, ich verdenke es ihm nicht, wer aber eine deutsche Zunge im Kopfe hat, soll auch ein deutsches Herz in der Brust haben, und wer das nicht hat, der ist der Schlimmste von Allen. Ich möcht' mein Lebtag keinem trauen, der sich selbst so betrügen kann.«

»Es ist keine Ehrlichkeit mehr in der Welt,« rief Scheden lachend. »Aber wir wollen Eure kostbare Zeit nicht zu sehr verkürzen. Ein deutscher Mann hat viel jetzt zu thun.«

»Damit hat's keine Noth,« sagte Ludolf. »Was ich thun kann, geschieht mit rechtem Willen und findet überall Ohren genug.«

»Sorgt nur dafür, daß sie Euch nicht abgeschnitten werden,« fiel Herr Nielsen in seiner Weise freundlich ein. »Es wäre Schade, wenn das hübsche Mädchen da keinen ganzen Mann bekäme.«

»Hör', Anna,« sagte der junge Bauer, »die Sache hat ihre Richtigkeit.«

»Komm wie Du willst zurück,« erwiederte das Mädchen, »wirst immer noch mehr ein Mann sein, wie die, welche ihre Augen und Ohren und Gliedmaßen nur brauchen, um Unheil zu stiften.«

»Sehen Sie, Herr,« rief Ludolf, »so muß ein Mädchen sprechen hier im Lande. Will's Gott, bleibt Recht doch Recht und meine Ohren bleiben mein. Kommst mit den Dänen zusammen Du, sagt ein altes Sprichwort, – so halt die Augen offen, den Beutel zu. – Mache denn Jeder die Augen weit auf, damit er nicht in Schaden gerathe, und damit Gott befohlen. – Wann soll ich wieder hier sein, Herr Lembek, damit wir nach Hause fahren?«

Die Antwort, welche Lembek ertheilte, führte zu Einwürfen von Seiten des Barons, und während Ida sich mit Ludolf's Braut beschäftigte, unterstützte Scheden die Vorstellungen des gastlichen Hausherrn, der Lembek nicht vor Abend entlassen wollte.

»Du darfst es mir nicht abschlagen,« sagte Alfeld endlich, »und wer weiß denn, ob es nicht der letzte Tag ist, wo wir beisammen sind.«

»Das wollen wir nicht denken,« erwiederte Lembek. »Ich hoffe, daß die Zukunft, wie düster sie auch jetzt aussieht, uns dennoch bald eine Wiedervereinigung gestattet, die unseren Wünschen besser entspricht.«

»Ich scheue mich beinahe zu fragen,« sagte Alfeld, ihn zum Fenster führend; »aber es muß dennoch geschehen, Du bist, wie ich leider glaube, noch immer entschlossen, Dich zu den Männern zu halten, die das Aeußerste versuchen wollen?«

»Mein väterlicher Freund, Sie dürfen mir nicht zürnen,« antwortete Lembek. »Ich halte dafür, daß ich Ihrer Achtung unwerth wäre, wenn ich jetzt zögern und schwanken könnte, meine Pflicht zu erfüllen. Mein Haus ist bestellt, ich lasse in Anna eine treue Hüterin zurück.«

»Hast Du auch Alles bedacht, und giebt es Nichts, was Dich an uns zu fesseln vermöchte?« fragte der alte Herr, indem er seine Blicke auf Ida hinübergleiten ließ und mit besonderem Nachdrucke diese Worte betonte.

»Ich habe Alles bedacht,« sagte Lembek, »und bin mit dem Gefühle zu Ihnen gekommen, daß ich nicht gehen durfte, ohne Ihnen nochmals die Hand zu reichen.«

»Also doch,« rief Alfeld. »Nun, mag es denn sein,« fuhr er fort, »ich weiß zu gut, daß ich nicht der Mann bin, der Dich zur Aenderung Deiner Entschlüsse bewegen könnte. Ich danke es Scheden, daß eine Annäherung zwischen uns erfolgt ist, die Hoffnungen, welche ich daran geknüpft habe, muß ich freilich fallen lassen.«

»Aber Sie werden mir Ihre wiederkehrende Freundschaft nicht entziehen,« sagte Lembek, ihm die Hand reichend.

Alfeld stieß diese sanft zurück. »Hand in Hand können wir nicht geben,« erwiederte er. »Zwischen Männern, die wie wir sich entgegenstreben, ist wahre Freundschaft nicht möglich, doch davon sei überzeugt, daß ich alles, was zu Deinem Besten gereichen kann, gern und willig thun werde.«

»Sie denken zu edel und sind zu ehrenhaft,« sagte Lembek, »als daß ich daran zweifeln könnte.«

»Wann willst Du fort?« fragte der Baron.

»Morgen.«

»So laß uns denn gar nicht mehr von dem sprechen, was uns trennt, aber verlängere die Stunden, welche Du uns zugedacht hast, so viel als möglich. Ich will Dir noch einen Grund anführen, warum Du hier bleiben mußt.« –

Er neigte sich zu ihm und sagte leise:

»Wir feiern heute wohl noch eine Verlobung.«

»Scheden?« sagte Lembek.

Alfeld nickte ihm lächelnd zu. –

»Es kann kaum anders sein, ein passenderes Pärchen ist nicht zu denken. – Beide sind für einander geschaffen, übereinstimmend in Gefühlen und Empfindungen, jung, feurig, liebenswürdig und er ein Mann, der kein Träumer oder Schwärmer ist, sondern seine Zukunft begreift. Vor einigen Tagen schon war die Sache in Richtigkeit, heute, denke ich, soll die Erklärung stattfinden. Darum mußt Du bleiben und dabei sein.«

»Wenn es das ist,« erwiederte Lembek, »so will ich bleiben.«

»So ist es recht,« rief Alfeld laut, »Heinrich bleibt bei uns, bis der Mond aufgeht; die Fackel der Verliebten, wie es die Poeten nennen, wird ihm dann auf der Reise leuchten.«

»Es wird somit spät werden, Ludolf,« sagte der Hofbesitzer.

»Spät oder früh, Herr,« antwortete der Bauer, »es ist einerlei, wenn wir überhaupt nur nach Hause kommen. Zu Abend bin ich hier und zu Ihrem Dienst.«

Der Baron lud ihn ein, sich als sein Gast zu betrachten, und verwendete eine Anzahl höflicher Worte und Späße, um seine Herablassung vollkommen zu machen.

Fräulein Ida schenkte der Braut eine große silberne und vergoldete Nadel, wie sie die reichen Bauerstöchter im Haar zu tragen pflegen, und Beide entfernten sich endlich sehr vergnügt über diese Aufmerksamkeiten mit lautem Dank.

»Ein prächtiger Bursche,« sagte Herr Nielsen, die Hände reibend. »Voll Leben und von leichten Gliedern. Das wird ein guter Soldat werden.«

»Sie wundern sich vielleicht, Herr Nielsen,« erwiederte der Baron, »daß ich ihn als Gast eingeladen habe. Aber dieser junge Mann ist der Erbe eines vollen Hufengutes. Sein Vater ist ein wohlhabender Mann, und obenein ist er unseres Freundes Lembek vertrauter Freund.«

»O,« sagte der Kaufmann bescheiden, »wie sollte ich mich wundern, da ich doch selbst, als ein schlichter und untergeordneter Händler, von Ihnen so gastlich aufgenommen bin.«

»Und wie ich denke,« fügte Scheden hinzu, »haben wir Alle die Ueberzeugung gewonnen, daß die Unterschiede der Gesellschaft jetzt auf ganz anderen Grundlagen ruhen, wie ehemals. Die Ideen der Zeit geben auf Gleichheit hinaus, Gleichheit des Rechtes, der Gesetze und der Ansprüche. Die bloße Geburt thut es nicht mehr. Ansehen läßt sich nur durch Achtung erwerben, Einfluß sich nur durch Reichthum, Bildung und Besitz begründen. Die Tage sind vorüber, wo ein Name oder Titel Hoheit verlieh oder Demuth bewirkte. – Der Baron mag sich daher immer mit einem Bauer an den Tisch setzen und sein Brot mit ihm brechen. Er wird um so sicherer Baron bleiben, wenn er es versteht, die neue geistige Hörigkeit in die rechte Form zu bringen.«

Alfeld schien nicht recht zu begreifen, was sein bewunderter geistreicher Freund eigentlich meinte. Er sprach von alten Rechten und Satzungen, die eine leichtfertige Zeit antaste, und ließ in einer Abhandlung, welche er vornehmlich dem geduldigen Nielsen zum Besten gab, seinen Zorn aus, wie seit dreißig Jahren systematisch daran gearbeitet worden sei, die historischen wohlbegründeten Rechte der Ritterschaft zu zerstören.

Der Etatsrath wandte sich zu dem Fräulein und forderte sie zu einem Spaziergange auf.

»Man spricht so viel von Natur und Kunst,« sagte er, »aber wir leben in einem Zeitalter der Kunststücke und der Ueberraschungen. Mit der Natur ist es ganz und gar aus; ihre gesetzmäßigen Zustände werden überall verspottet und verlacht, und die alte Mutter der Menschen hat darüber den Glauben an sich selbst verloren und sinnt darauf, sich durch unnatürliche Kunststücke wieder zu Ansehen zu bringen. Die Völker haben, wie jetzt überall zu lesen ist, ihren Frühling mit Revolutionen begonnen, putzen sich mit Fahnen und Bändern, lassen Freiheitsbäume wachsen und singen wonnevolle Lenzhymnen von dem Reiche Gottes voll Brüderlichkeit, wo Milch und Honig fleußt; darüber erschreckt die Natur sich dergestalt, daß sie um keinen Preis hinter den Hitzköpfen zurückbleiben will und plötzlich in schönster Frühlingspracht den März zum Mai macht. Ist es nicht ein sonderbares Kunststück der alten Mama,« rief er lachend, »daß sie heute, am vierundzwanzigsten März, mit grünen Kränzen und Blumen ihr Haupt schmückt, wie sonst noch nie, und sollte man nicht meinen, sie sei von der Revolution angesteckt oder die geheime Verbündete der Revolutionen geworden? Ich fürchte, sie wird für diese Uebereilung büßen müssen; nehmen wir darum, was wir bekommen können, ehe es zu spät wird.«

Mit dieser Unterbrechung schnitt Scheden die Auslassungen des Barons ab, und mehrere Stunden lang war die kleine Gesellschaft beschäftigt, so heiter als möglich zu sein. Nach und nach vergrößerte sie sich durch einige Freunde des Herrn von Alfeld, aber es waren doch nur wenige, die obenein besorgte Gesichter und schreckliche Neuigkeiten und Gerüchte mitbrachten. Die Meisten waren entschiedene Gegner der Dinge, die sich in Kiel begeben hatten, Andere vertheidigten diese mit halben Worten, und wenn die Einen sich widerwillig abwendeten, sobald Lembek in ihre Nähe kam, und nicht begreifen konnten, warum Alfeld diesen verhaßten Mann hierher geladen habe, suchten ihn die Mildergesinnten auf und behandelten ihn mit weit größerer freundlicher Aufmerksamkeit, als es je der Fall gewesen war.

Lembek selbst war sehr heiter und wußte Alles zu vermeiden, was in einen ernsten Streit ziehen konnte. Höflich und gewandt strebte er jede Ursache dazu zu entfernen, und dann und wann genügte ein rasches in scherzendem Tone gesprochenes Wort, ihm Achtung zu verschaffen.

Vor allen Andern suchte der Kaufmann aus Sonderburg sich auch heute in Lembek's Nähe zu drängen und ihm besondere Aufmerksamkeit zu erweisen. Er hatte immer Fragen in Bereitschaft und Schmeicheleien zur Belohnung für die Antworten, die er empfing. Zuweilen waren seine Lobeserhebungen so übertrieben, daß sie wie Spott klangen, und das schlaue Gesicht des Kaufmannes paßte zu dieser Vermuthung, aber er wußte dies bald wieder gut zu machen durch ein aufrichtiges und derberes Benehmen. So ging er mit ihm durch den Garten, wo sich die Gesellschaft zerstreut hatte, und unterhielt den Hofbesitzer mit den Erfahrungen, die er auf seinen Handelsreisen gesammelt.

»Ich bin ein schlichter Mann, Herr Lembek,« sagte er, »wie ich denke, wissen Sie, ich halte damit nicht hinter dem Berge. In den Tagen aber, wo ich mich hier umhergetrieben habe, ist mir so viel gewiß geworden, daß Manches anders ist, wie man es sich auf den Inseln denkt.«

»Und was denkt man auf den Inseln, Herr Nielsen?« fragte Lembek.

»Ja, was denkt man?« antwortete dieser. »Man denkt, daß ein Haufen spitzbübischer Advokaten die ganze Sache hier aufgerührt hat, und daß nun dazu die Herzöge von Augustenburg mit ihrem Anhang gekommen sind, um den Aufstand für ihre Erbfolgerechte in den rechten Gang zu bringen und auszubeuten.«

»Sie werden sich überzeugt haben,« sagte der Hofbesitzer, »daß die ganze deutsche Bevölkerung wie ein Mann fest entschlossen ist, lieber Alles zu wagen, als sich ihr Recht nehmen zu lassen.«

»Das ist die Sache,« rief Nielsen. »Die Dänen sagen, das Land ist unser, und im Grunde ist es doch so. Ich verstehe zwar Nichts davon, Herr Lembek, aber wenn ich mir denke, ich hätte mein Magazin voll Kornsäcke, und Einer käme und sagte mir, das gehört Dir nicht, würde ich es auch nicht dulden.«

»Hier ist der Unterschied,« erwiederte Lembek lachend, »daß ein ganzes Volk mit geballten Händen ruft: Wir sind euer Eigenthum nicht, und Dokumente und Beweise beibringt, daß es wirklich sich also verhält.«

»Was wollt Ihr mit Beweisen?« rief der Kaufmann. »Der beste Beweis ist der feste Wille, und Dänemark will nicht!«

»Nun denn,« sagte Lembek, »wir wollen wenigstens ebenso wenig.«

»Ihr wollt nicht,« rief Nielsen, »aber Ihr müßt wollen. Es ist beinahe so, als wenn ein Hündchen zu einem Bären sagte, ich will nicht aufgefressen sein, ich beiße dich. Gebt Acht, wie es Euch gehen wird.«

»Herr Nielsen,« sagte der Hofbesitzer, »Sie fallen wieder in Ihre eitlen Prahlereien.«

Herr Nielsen wurde roth, und einen Augenblick sah er sehr zornig aus, aber in der nächsten Minute war er wieder sanft und freundlich.

»Ich bitte um Entschuldigung,« sprach er demüthig, »mich geht es eigentlich blutwenig an, ich spreche nur aus, was jenseits des Wassers darüber gesagt wird, denn davon mögen Sie überzeugt sein, Herr Lembek, kein Däne denkt anders. Ein Mann wie Sie aber, so aufgeklärt, so seiner innersten Natur nach dem Volke zugewandt und für des Volkes Wohl streitend, sollte doch größeren Antheil nehmen an dem, was soeben in Kopenhagen geschehen ist. Die alten Minister sind gestürzt, Volksmänner sind an die Spitze getreten, eine Verfassung, so frei wie die norwegische, wird gegeben. Das ist doch Grund genug zur Theilnahme für Jeden, der zu uns gehört, und von drüben herüber strecken sie die Hände aus und rufen uns zu: kommt und theilt mit uns, ihr sollt Alles haben, was wir besitzen.«

»Guter Herr Nielsen,« sprach Lembek lachend, »Sie haben vernommen, was Ludolf vorhin sagte, der ein so einfacher Mann ist, wie Sie: Vor jedem Dänen mache die Augen auf.«

»Der unverschämte Bauer!« rief der Kaufmann.

»Behalte jeder darum das Seine,« fuhr Lembek fort, ohne darauf zu achten, »wir sind zufrieden mit dem, was wir haben. Aber sehen Sie, da sind wir richtig bis auf den Hügel gestiegen und haben den schönsten Beweis vor uns, wie es mit der Brüderlichkeit und Freundschaft unserer alten Herren gemeint ist.«

Er deutete über das Meer fort auf die hohen Mastenspitzen des Kriegsschiffes, das noch immer auf derselben Stelle lag, wie früher, und seine weiß-rothen Wimpel wehen ließ.

Nielsen lachte.

»Es ist eine prächtige Fregatte,« sagte er, »ich habe sie neulich vor Sonderburg gesehen. Ja, wenn der Bursche da ein Wort im Ernst sprechen wollte, würde uns bang genug werden. Aber es wohnen höfliche und friedliche Männer darauf,« fuhr er fort, »die Leute von der Küste fahren hin und her, man kann dreist einen Besuch machen.«

»Dazu würde ich Niemandem rathen,« rief eine helle Stimme, und überrascht bemerkten jetzt erst die beiden Herren, daß sie nicht allein waren. Hinter dem dicken Pfeiler des chinesischen Sonnenschirms fanden sie die Erbin von Bornholm, welche ihre Worte wiederholte und dann zu Lembek gewandt sagte: »Dies Schiff da ist ein Schiff des Königs, unseres Herzogs, und noch ist Frieden überall, aber ich möchte mich nicht hinauf wagen, eine so gute und getreue Unterthanin ich auch bin.«

»Und was,« fragte Herr Nielsen unterthänig, »könnte das gnädige Fräulein davon abhalten?«

»Jedes Schiff ist ein Gefängniß,« sagte sie, »am Bord ist der Capitain unbeschränkter Gebieter, der thun kann, was ihm beliebt. Ich bin nie auf einem Schiffe gewesen, wo mir das nicht eingefallen wäre.«

»Waren Sie schon am Bord eines Kriegsschiffes?« fragte der Kaufmann.

»Nein,« antwortete Ida, »auch habe ich nicht die geringste Lust dazu. Sie, Herr Heinrich Lembek, theilen sicherlich meine Abneigung.«

»Wenigstens,« sagte Lembek, »möchte ich kein dänisches Kriegsschiff besteigen.«

»Ei,« lachte Nielsen, »ich denke, Sie lassen sich doch erbitten, wenn sich Gelegenheit bietet.«

Er schilderte ein Kriegsschiff als ein Wunder des menschlichen Geistes, der nichts Schöneres erfunden habe, und beschrieb mit vielem Geschicke die Einrichtungen und einzelnen Theile des Baues.

»Wenn wir dort bis an den äußersten Vorsprung gehen,« sagte er, »so sehen wir die Fregatte in ihrer ganzen Länge vor uns liegen, und wenn Sie die schlanken Linien genau betrachten, bekommen Sie schon Lust, eine Reise mit ihr zu machen.«

Der Punkt, auf welchen der Kaufmann deutete, war nicht weit entfernt, die Hügelwand senkte sich dort steil hinab, das Schiff lag vor den Beschauern im hellen Sonnenschein glänzend, mit seinen zahlreichen Tauen, die wie feine Seidenfäden von Mast zu Mast liefen. Die reine stille Luft ließ den kleinsten Gegenstand erkennen, Alles war so friedlich, schön und ruhevoll, das Meer so blank, das Land so goldig, die Färbungen und Spiegelungen so wundervoll saftig und tief und das Kriegsschiff so bewegungslos und zierlich, als sei es als ein prächtiges Spielzeug zum Vergnügen der Beschauer auf's Wasser gesetzt.

Herr Nielsen wußte außerordentlich gut Bescheid mit allen Namen der Stangen, Seile und wonach er sonst gefragt wurde.

»Man sollte meinen,« sagte Lembek lächelnd, indem er seinen scharfen Blick auf ihn richtete, »Sie wären selbst ein Seemann.«

»Gott bewahre mich!« rief der Kaufmann, »ich habe immer das Wasser gescheut, allein es doch nicht vermeiden können, oft Reisen über's Meer zu machen und allerlei Schiffe zu sehen, die mir besonders gefielen.«

»Liegt es nicht so still dort,« fiel Ida ein, »als wäre es eine Felsenmasse und gänzlich unbewohnt?«

»Sie liegt ganz leicht an ihrem Pflichtanker, die schlanke Nixe,« sagte Nielsen, vergnügt hinschauend, »in wenigen Minuten könnte sie rasch durch den Wind schießen, und ob die Leute darauf munter und wachsam sind, können wir sogleich erfahren.«

Er nahm sein weißes Taschentuch, schwenkte es durch die Luft und rief dann luftig lachend:

»Sehen Sie dort, die Wache hat einen Officier gerufen, der in aller Eile sein Glas auf uns richtet.«

Mehrere der Herren, und mit ihnen Scheden, waren inzwischen herbeigekommen, und Alle betrachteten die Fregatte, auf welcher nach einigen Minuten die frühere Bewegungslosigkeit eintrat. Die dunklen Gestalten verschwanden vom Quarterdeck, aber an der Stenge des Besanmastes Der Besanmast ist der hinterste Mast auf Schiffen, die mit Masten hinter dem Großmast getakelt sind. - Eine Stenge bildet die Verlängerung des Mastes oberhalb der ersten Saling auf einem Segelboot oder Segelschiff. Sie ist Teil der Takelage und kann aus einem Metallrohr oder früher auch aus einem massiven Rundholz bestehen. wurde eine Flagge aufgezogen, gleichsam als Dank und Antwort für das Schwenken des Tuches.

Diese Höflichkeit gab zu manchen Bemerkungen Anlaß, bis endlich der Baron seine Gäste zur Rückkehr einlud.

»Wir wollen unsere Gläser darauf leeren,« sagte er, »daß Alles sich zum Besten wenden möge, und dies Schiff voll höflicher und tapferer Männer und immer so friedlich und freundlich gesinnt bleiben möge, wie es jetzt der Fall ist.«

»Das ist ein Toast, den wir sämmtlich trinken können,« sagte Scheden, indem er der Erbin den Arm bot, und leise fügte er hinzu: »Ein solcher Delphin, theure Ida, trägt uns auf seinem Rüden leicht und sicher zu der glücklichen Insel unserer Liebe.«

Sie blickte ihn lächelnd an.

»Ist das die Brücke,« fragte sie, »die uns von aller Noth befreit?«

»Von Noth und Klagen und von allen zudringlichen, widerwärtigen Gesellen, welche uns nicht mehr stören und überraschen sollen,« erwiederte er lachend.

In der Nähe des Hauses arbeitete der Gärtner an den Taxuseinfassungen des Weges. Es war ein alter Mann, der seinen Spaten ruhen ließ und ehrerbietig den spitzen, verbogenen Hut zog, als die Herrschaften bei ihm vorübergingen. Lembek machte den Schluß, und noch immer wich Nielsen nicht von seiner Seite, der unermüdlich im Fragen und Erzählen blieb, obwohl er nur einsilbige Antworten empfing.

Plötzlich fühlte der Hofbesitzer, der die Hände auf den Rücken gelegt hatte, ein Papier zwischen seinen Fingern. Er wandte sich verwundert um, der alte Gärtner arbeitete tief gebückt und pfiff dazu die Melodie des Nationalliedes: Schleswig-Holstein stammverwandt. Besser bekannt unter dem Titel: »Schleswig-Holstein, meerumschlungen«. Die Melodie stammt von Carl Gottlieb Bellmann (1772-1862), dem Kantor des St.-Johannis-Klosters vor Schleswig. Der Text hatte ursprünglich der Berliner Rechtsanwalt Karl Friedrich Straß (1803-1864) verfasst. Kurz vor dem Schleswiger Sängerfest 1844, wo das Lied vorgestellt wurde, schrieb ihn jedoch der Schleswiger Advokaten Matthäus Friedrich Chemnitz (1815-1870) fast vollkommen neu.

»Ein jämmerliches Lied,« rief Herr Nielsen voraneilend, als wollte er Nichts davon hören.

»Aber von guter Wirkung,« sagte Lembek, indem er den Zettel öffnete und hineinsah. Es stand Nichts weiter darin, als mit steifen, etwas unbehilflichen Buchstaben das einzige Wort plattdeutsch geschrieben: Aufgepaßt!


Sechstes Kapitel.

Das festliche Mahl hatte spät begonnen, denn der Abend kam, und noch war es nicht beendet. Alfeld bot auf, was er vermochte, um seine Gäste heiter zu stimmen, aber die Fröhlichkeit wollte nicht recht gedeihen. Die Meisten ließen sich selbst durch den feurigen Wein des Barons nicht aufregen, während dieser Reden hielt, Trinksprüche ausbrachte und in steigend gute Laune sich versetzte.

»Meine lieben Herren und Freunde,« sagte Alfeld endlich, »wir feiern heute unter allen Umständen einen frohen Tag. Meine Nichte, hier an meiner Seite, ist mündig geworden nach dem letzten Willen meines Vaters. Ihr Eigenthum, das ich bisher verwaltete, habe ich in ihre Hände gegeben, Rechenschaft abgelegt und mich absolviren lassen. Die Erbin von Bornholm kann nun thun und lassen, was ihr beliebt, aber bezeugen soll sie mir vor meinen Freunden und Nachbarn, daß sie keine andere Forderung an mich hat, als meine herzliche Liebe, die ich ihr immer zu zahlen verspreche, und doch niemals aufhören will, ihr Schuldner zu sein.«

»Theurer Onkel,« erwiederte Ida, als er sie zärtlich umarmte, »ich erkenne Deine väterliche Güte und Großmuth. Bin ich auch heute die freie Herrin meines Willens geworden, so werde ich doch nie aufhören, mich Deinem Rathe und Deinen Beschlüssen zu unterwerfen, weil ich weiß, daß Alles, was Du willst und thust, nur ehrenhaft und recht sein kann, weil ich Dich liebe und verehre und nie Etwas von Dir gesehen und gehört habe, was mich nicht stolz machte, Dir zu gehorchen.«

»Du gutes Kind,« sagte Alfeld; ihre Stirn küssend, »bist mein Trost in dieser Schreckenszeit; aber ich bin ein alter Mann, wer weiß, wie bald ich abgerufen werde, und wer wird dann Dir zur Seite stehen und Dich schützen?«

Er blickte mit bedeutsamem Lächeln in Ida's Gesicht und sah dann Scheden an, der neben ihr saß; aber wenn er geglaubt hatte, eine kühne Erklärung dadurch hervorzurufen, so wurde seine Absicht vereitelt.

»Du wirst mich nicht verlassen, mein Väterchen,« sagte Ida schmeichelnd, »wenn aber Unglück über uns kommen soll, so bin ich im Stande, ihm muthig Trotz zu bieten, und einige Freunde werden mir in aller Noth doch bleiben.«

Sie wandte sich nach Lembek um und nickte ihm zu:

»Da ist Herr Heinrich Lembek,« sagte sie, »den Du auch lieb hast seit alten Zeiten, und der mich genau kennt. Kann ich nicht immer auf Sie rechnen, bei Allem, was mich treffen mag, mein tapferer Freund?«

»Ich glaube,« sagte Lembek, indem er sein Glas erhob, »daß Niemand hier ist, der diese Frage freudiger mit Ja beantwortete und für Erfüllung aller Ihrer Wünsche mit Rath und That zur Hand wäre.«

»Das ist eine Zusage, die Etwas gilt,« rief Scheden von der anderen Seite. »Man hat viele wunderbare Geschichten aus Revolutionszeiten, wo mächtige Volksrepräsentanten sich verlassener Jugendfreundinnen annahmen und mittelst ihrer Allmacht sie von Gefangenschaft und Tod befreiten.«

»Ich wünschte,« erwiederte Lembek mit einem unmuthig raschen Blicke auf den Sprecher, »daß ich im Stande wäre, alle meine Freunde vor Heuchlern und Verräthern zu schützen.«

Der Etatsrath strich fein lächelnd das Haar von seiner Stirn zurück. Niemand antwortete, eine gewisse Verlegenheit lag auf den Gesichtern der Gäste.

»Du hast Recht, Lembek,« rief Scheden nach augenblicklichem Schweigen, »darauf laß uns anstoßen, ich nehme Deinen Spruch auf. Möchten alle Verräther bald den Weg gehen, der ihnen gebührt, möchte es uns gelingen, unsere Freunde auf immer von ihnen zu befreien.«

»Die Verräther an König und Vaterland!« rief eine Stimme am andern Ende des Tisches.

Lembek setzte sein Glas hin. Herr Nielsen lachte hell auf.

»Auf's deutsche Vaterland,« sagte er. »Trinken Sie, Herr Lembek.«

»Ist es so gemeint,« rief Lembek ruhig, »dann trinke Jeder, worauf es ihm beliebt.«

»Auf die gute Sache also und deren Sieg!« sagte Scheden. »Du kannst nicht beleidigt sein, Lembek, denn hier ist Keiner, der Dich nicht lieb hätte. Gieb mir Deine Hand, wir wollen nicht richten und rechten; Alles, was wir wünschen, ist ja nur Dein Bestes, und warum sollen wir nicht offen gestehen, daß wir Dich zu hoch achten, um nicht mit Betrübniß zu sehen, wie weit Du Dich verirrt hast.«

»Verschone mich und diese Gesellschaft mit allen weiteren Erklärungen,« antwortete Lembek, »und laß uns die letzten Minuten unseres Beisammenseins nicht unfruchtbar verbringen.«

»Nein,« rief Scheden, »ich sage es laut, ich kann den Gedanken nicht aufgeben, Dich loszureißen von dem Verderben, das über Deinem Haupte schwebt. Du willst morgen nach Kiel. Ich bitte Dich, Lembek, gieb Deinen Vorsatz auf. Fordere, was Du willst, und höre die Gründe an, welche Deine Freunde haben. Es kann nicht glücklich enden. Du weißt nicht, was ich weiß, Du übersiehst die Lage nicht, erkennst nicht, was ich erkenne.«

»Ich erkenne und weiß, welchen Platz Du einnimmst, und welchen Weg zu geben Dir gebührt,« erwiederte Lembek.

»Welchen Platz ich einnehme? Ich denke, einen, der nur mit Ehren bekleidet werden kann.«

»Bei den Feinden Deines Vaterlandes!«

»Bei Dänemark,« sagte Scheden, »ja und ich bin stolz darauf, nicht zu den Schwärmern zu gehören, die von einer großen deutschen Nation, von einem weltbeherrschenden Volke träumen, dessen Blüthezeit wiederkehren soll, dieweil es ein Greis ist, der seinem Grabe entgegengeht.«

»Frevle weiter wie ein entarteter Sohn gegen Deine Mutter,« fiel Lembek ein.

»Du sollst mich nicht erhitzen,« sprach der Etatsrath, »allein ich hoffe, wir vergessen die Grenzen nicht, welche uns durch Geburt und Erziehung gezogen sind. Sieh Dich vor, Lembek, ich rufe es Dir zum letzten Male zu. Ist es denn etwa das kleine Dänemark allein, das sein Recht begehrt, sich nicht berauben lassen will? Sieht Deine Erfahrenheit nicht ein, daß andere, gewaltigere Kräfte bei diesem Drama mitwirken werden? Und soll denn, Du Mann der Freiheit und des Lichtes, etwa die alte Nacht hier wiederkehren? Sind nicht Geister thätig und wirksam, deren kühnes Streben Männer Deines Schlags zum Beifall und zur eifrigen Theilnahme aufreizen müssen?«

»Ich habe Nichts mit ihnen gemein,« warf Lembek dazwischen.

»Nichts mit ihnen gemein?« wiederholte Scheden mit unverkennbarem Hohn. »Weil sie Dänen sind? Kann die nationale Engherzigkeit denn wirklich das Evangelium der Freiheitsschwärmer so weit untergraben, daß es mit allen andern herrlichen Ideen über die Erlösung der Völker daran untergeht?«

»Weder Dein Spott,« sagte Lembek, »noch Deine erkünstelten Besorgnisse können die einfache Wahrheit verdunkeln, daß Unrecht und Gewalt über uns hereinbrechen.«

»Wen meinst Du damit?« fragte Scheden. »Du liebst Dein Vaterland, sagst Du, und könntest im Gewissen ruhig sein über die Mitschuld, daß blutige Verwüstung und Elend aller Art diese glücklichen und reichen Thäler verheeren? Ich bitte Dich, Lembek, höre die Stimme der Klugheit und der Vernunft. Glaubst Du wirklich, daß diese wohlhabenden Hufner in Angeln es Dir danken werden, wenn Du ihre Geldbeutel leerst, ihre Söhne ihnen nimmst, ihr Vieh und sie selbst zur Schlachtbank führst? Welch' Glück giebst Du ihnen denn besten Falls dafür? und welch' schreckliches Unglück bringst Du über sie, wenn sie wirklich Dänemark einverleibt werden!«

»Du empfindest es freilich nicht,« antwortete Lembek erglühend, »was es heißt, sein gutes Recht von der Gewalt zerreißen zu sehen. Das Vaterland ist Dir ein leerer Name, ich knüpfe daran das höchste Glück und die größte Liebe, die eines Menschen Brust erfüllen können.«

»Armer Freund,« sagte Scheden, »es sieht übel mit Dir aus. Du bist ein Idealist, der jetzt, wo der wilde Freiheitstaumel losgebrochen ist, nur durch die entschiedensten Mittel geheilt werden kann. Wenn ich Dich doch auf ein Jahr hindern könnte, an diesen Thorheiten Theil zu nehmen, Du würdest es mir danken, denn die Wahrheit wird an den Tag kommen, noch ehe der März wiederkehrt. Vielleicht übernimmt es Herr Nielsen und bringt Dich nach Sonderburg in König Christians Thurm. Wahrlich, es wäre besser, Dich in Einsamkeit zu begraben, als in diesem Gewühl umkommen zu lassen.«

»Wenn Herr Lembek will,« fiel Herr Nielsen höflich ein, »so steht ihm meine Wohnung jeder Zeit zu Diensten.«

Lembek suchte jeder Antwort zu entgehen, indem er sich an Alfeld wandte und lächelnd sagte:

»So haben wir denn die letzte Stunde doch nicht ganz nach unserer Verabredung zugebracht. Aber die Zeit, die allgewaltige, wird zu Gericht sitzen über uns, alle Lüge aufdecken und alle Wahrheit zu Ehren bringen.«

»Ich bin fertig mit ihm,« rief Scheden dazwischen, indem er sich niedersetzte, »versuchen Sie Ihr Heil, Alfeld, wenn Sie noch Glauben haben können.«

»Ich denke,« fuhr Lembek fort, »der Mann, welcher mich als Knaben kannte, wird nicht glauben, daß Worte mich erschrecken oder umzuwandeln vermögen.«

»Nein, Heinrich Lembek,« sagte Alfeld, »ich weiß zu gut, daß ich die Mühe sparen kann. Ich zürne nicht mehr auf Dich, aber nur zu wahr ist das Bild, das der Etatsrath Dir vorgehalten hat. Du bringst Gefahr und Noth über Viele, welche sich später das Haar zerraufen und ihr zerstörtes Leben von Dir fordern werden. Das thust Du. Ich verlasse diesen Ort, wo ich so lange friedlich und ruhig gelebt habe; Du und Deine Genossen, ihr treibt mich und andere wackere Männer fort, aber besser in irgend einem Winkel in Sicherheit sitzen, als hier die Schrecken mit erleben, welche dieses arme Land heimsuchen werden.«

»Sie wollen fort?« fragte Lembek. »Doch was frage ich, ohne Zweifel nach Kopenhagen. Das ist der böseste Rath, der Ihnen gegeben wurde, ein trauriges Beispiel, das seine Früchte tragen wird. Hören Sie nicht auf die verlockende Stimme Scheden's, der in Kopenhagen verlernt hat, ein Deutscher zu sein. Wohin wollen Sie? Zu denen, die mit fanatischen Drohungen uns zurufen, daß deutsches Leben, deutsche Sitte, deutsche Sprache, deutsche Gesinnung bis zum letzten Hauch zerstört werden soll. Können Sie das, mein väterlicher Freund? Vermögen Sie Alles von sich abzustreifen, was als Ihr heiligstes Erbtheil Ihnen zufiel? Sie sind aus altem deutschem Stamm entsprossen, Ihre Vorfahren sind stolz darauf gewesen. Wollen Sie Vaterland, Stamm und Geschlecht hinwerfen, um bei einem Volke, daß den Deutschen auf's Bitterste haßt, ein Asyl zu suchen, um für ihre Waffen zu beten?«

»Sagte ich es nicht,« rief Scheden höhnisch lachend, »er werde uns selbst noch mit einer Bekehrung heimsuchen?«

»Sei sicher davor,« antwortete Lembek, »ich weiß, daß ein Renegat, wie Du, für seines Landes und Volkes Recht und Ehre kein Gefühl besitzt, aber Sie, den mein Vater Freund und Bruder nannte, Sie sollen wenigstens die Stimme seines Sohnes hören, der Sie beschwört, jenen falschen Rath zu verwerfen. Es mag klug sein, Gott weiß es! aber hier ist Ihr Platz. Gehen Sie nicht, verlassen Sie das Vaterland nicht, wahren Sie Namen und Ehre vor ewiger Schmach.«

»Es ist genug!« rief der alte Herr heftig aufstehend, »ich weiß am besten, was meine Ehre von mir verlangt.«

»Und was Pflicht und Treue jedem getreuen Unterthanen des Königs befehlen,« sagte Scheden ruhig lächelnd.

»Landesverräther festzuhalten, wo man sie findet,« fügte eine andere Stimme hinzu.

In diesem Augenblicke entstand vor den Fenstern auf dem Hofe ein Lärmen mehrerer rauher Stimmen, und mitten darin ließ sich ein schrilles Pfeifen hören, das sich dreimal wiederholte. Zugleich wurde die Thüre geöffnet, und herein trat Ludolf Petersen, frohgelaunt, als komme er von der Flasche, den Hut mit dem deutschen Bande etwas schief auf den Kopf gedrückt und seine Braut am Arme führend.

»Da ist der wackere Bursch, den ich lange erwartet habe,« rief Nielsen. »Ich wäre nicht ruhig gewesen, wenn der uns gefehlt hätte. Wie sieht es aus, Freund? Euer Gesicht strahlt ja vor Freude und Wonne! Was bringt Ihr für gute Nachrichten mit?«

»Ei ja,« sagte Ludolf, sich nach allen Seiten verneigend und seinen Hut lustig schwenkend, »was ich bringe, ist der Mühe werth, gehört zu werden, und wird den Herrschaften gefallen. Herr Lembek, die Zeit ist da, es läßt sich Nichts mehr halten. In Rendsburg ist die Landesregierung eingesetzt, alle dänischen Farben sind abgerissen, alles Volk ist auf den Beinen und marschirt auf Flensburg los. Sehen Sie den Feuerschein dort unten an der Schlei? Das sind die Jäger aus Kiel. Auf allen Höhen werden Feuer angezündet, das ganze Land steht auf. Hurrah, jetzt gilt's, Herr Lembek. Ich denke, wir müssen nach Cappeln zurück, so schnell es gehen will.«

»Wie ihm die Augen blitzen,« rief Herr Nielsen. »Ein prachtvoller Junge. Will sich nicht halten lassen, bis er das Gewehr in der Hand hat.«

»Ja, Herr,« antwortete Ludolf, »kann's kaum erwarten.«

»Gut,« lachte der Kaufmann aus Sonderburg, »sehr gut!«

»So scheide ich denn von Ihnen,« sprach Lembek, »mit dem Bewußtsein meiner Pflicht und Treue und mit der Hoffnung, einst besser beurtheilt zu werden.«

»Antworten Sie ihm, Herr von Alfeld, wie Sie müssen,« fiel Scheden ein, indem er aufstand:

»Du bleibst!« sagte der Baron. »Wenn kein Vertrauen, kein verständiges Einwirken fruchten kann, dann ist es Zeit, Dir den vollen Ernst zu zeigen.«

»Und was bedeutet das Alles?« fragte Lembek, indem er einen Schritt zurücktrat.

»Ich kann es nicht verantworten,« rief Alfeld, »Dich ungehindert Aufruhr verbreiten zu lassen. Gegen Deinen Willen muß ich Dich vor den Folgen schützen, zugleich aber dafür sorgen, daß Du nicht größern Schaden thust.«

»Sie wollen meine Freiheit antasten?« fragte Lembek stolz.

»Deine Freiheit, weil sie gefährlich für das allgemeine Beste ist.«

Lembek fühlte eine Hand, die seinen Arm ergriff. Er riß sich mit einer heftigen Bewegung los. Es war Herr Nielsen, der sehr sanft und gutmüthig aussah und lächelnd nach der Thür deutete.

»Still, mein lieber Herr Lembek,« sagte er, »wer wird so viele Umstände machen bei Dingen, die nicht zu ändern sind. Mein Wort darauf, es soll Ihnen nichts Uebles geschehen.«

»Herein Ihr da!« schrie Nielsen, und die Thür flog auf. Ein halbes Dutzend wetterbraune Gesichter, Glanzhüte auf den Köpfen, braunrothe Jacken auf den breiten Schultern, Säbel und Pistolen in den Händen, zeigten sich auf der Schwelle.

»Sehen Sie, theurer Herr Lembek,« fuhr der Kaufmann fort, »das sind Einladungen, denen kein vernünftiger Mann sein Ohr verschließen kann. Diese wackern Leute gehören zu der Fregatte, welche im Sunde an der Küste ankert und, wie ich Ihnen nicht verschweigen will, schon seit einigen Tagen auf Ihren Besuch wartet. Heute Nachmittag, als ich mit meinem Tuche winkte, und eine aufgezogene Flagge antwortete, war dies das verabredete Zeichen, daß Sie sich hier befänden und die Fregatte in Augenschein zu nehmen wünschten. Man verlangt weiter Nichts von Ihnen, als die kleine Gefälligkeit, sich dorthin begleiten zu lassen.«

»Mit Menschenraub also beginnt Ihr die Vertheidigung Eurer gerechten Sache?« rief Lembek verächtlich.

»Wer wird denn so böse sein!« lachte Nielsen. »Wir wollen ja nur, wie der verehrte Herr Baron sagt, Sie hindern, ein Verräther zu werden, und für Ihre Sicherheit sorgen. Im Uebrigen werden Sie uns nicht verargen, daß wir einen Mann, der zu den gefährlichsten Feinden Dänemarks gehört, ergreifen und festhalten, wo wir ihn bekommen können.«

»Sie sind, wie ich es längst nicht bezweifelte, ein Officier des Schiffes,« sagte der Gefangene.

»Der commandirende Officier,« erwiederte Herr Nielsen. »Aber beim Himmel, wenn Sie dies ahneten, warum haben Sie gewartet, bis ich Ihnen selbst es bestätige?«

»Warum?« erwiederte Lembek. »Weil ich wohl denken konnte, daß in diesem Hause ein dänischer Officier gastliche Aufnahme finde, aber weil ich den Gedanken verwarf, daß ein ehrloser Plan gegen meine Freiheit damit verbunden sei.«

»Verzeihen wir ihm in seiner Verblendung alle Beleidigungen,« sagte Scheden, »doch achten wir nicht darauf. Ohne ihn sind diese aufrührerischen Bauern Nichts; es giebt keinen Andern, der sie zusammentreiben, fanatisiren und zu Opfern fähig machen kann. Bald genug zwar würde auch sein Einfluß zu Grunde gehen, denn sie sind zu reich und zu bedächtig, um für hohle Ideen viel zu wagen; zu bequem und zu friedlich, um sich dafür todtschlagen zu lassen. Vorwärts denn, Herr Nielsen, ich glaube, wir können in kurzer Zeit sämmtlich zu ihren Diensten sein. – Ein letztes Wort zu Dir, Lembek. Verschlimmere Dein Schicksal nicht durch unfruchtbaren Widerstand. Je fügsamer Du bist, um so besser. Du mußt mir das Zeugniß ausstellen, daß ich Nichts unversucht ließ, um Dich als Freund zu gewinnen, versuche jetzt Nichts, was mich zwingen könnte, Dich als Feind zu behandeln.«

»Elender!« rief Lembek. »Du sollst mir Rechenschaft geben.«

»Keine Declamationen,« fiel Scheden ein. »Ich glaubte, Sie thäten am besten, Herr Nielsen, Ihren Gast an seinen Bestimmungsort begleiten zu lassen, während wir unsere Reise vorbereiten.«

»Sehr gerne,« sagte der Officier so freundlich wie immer. »Nehmen Sie Ihren Hut, Herr Lembek, und vertrauen Sie sich den guten Leuten dort an. Machen Sie jedoch keinen Versuch, sich ihrer hilfreichen Fürsorge zu entziehen; betrachten Sie die Säbel, Handpiken und Pistolen. Es sollte mir sehr leid thun, wenn Sie dadurch beschädigt würden, doch um Ihnen jeden Unfall zu ersparen, wird es besser sein, wenn wir einige Ellen gut gedrehten Hanf um Ihre Arme legen.«

Bei diesen Worten, welche er in dänischer Sprache wiederholte und an die Seeleute richtete, welche lautlos und bewegungslos die Thür besetzt hielten, traten sogleich ein Paar breitschulterige Gesellen näher heran, von denen Einer aus seiner Tasche eine zusammengewickelte getheerte Schnur zog, die er rasch zu einer doppelten Schlinge umformte.

»Nicht doch, Knudsen, mein guter Junge,« rief sein Vorgesetzter abmahnend, »dazu ist draußen Zeit genug. Im Uebrigen seid höflich mit dem Herrn, er soll nicht sagen können, daß er ohne Noth von dänischen Männern Uebles erfahren habe. Ihr dort,« fuhr er mit derselben Freundlichkeit fort, indem er sich zu Ludolf umwandte, der schweigend, aber mit ziemlich gleichgiltigem Gesichte in der Ecke neben der Thür stand, »Ihr wißt jedenfalls den besten und nächsten Weg zur Küste hinab?«

»Ja, Herr, den weiß ich,« sagte Ludolf unerschrocken.

»Dann werdet Ihr gewiß die Gewogenheit haben und diese guten Leute als Wegweiser begleiten.«

»Wenn's so sein muß, Herr, und es mir nicht erlassen werden kann,« antwortete der Bauer achselzuckend.

»Gewiß nicht, mein lieber Petersen. Es muß so sein.«

»Ei ja, so wird's an mir nicht fehlen dürfen.«

»Ein prächtiger Junge!« sagte Herr Nielsen, »durchaus verständig, er gefällt mir immer mehr. Ein Paar Tage soll er sich besinnen, ob er nicht Geschmack am Seeleben gewinnt und bei uns bleibt, oder ob er bei seinem Vorsatze beharrt, in des Königs Regiment einzutreten. Was meint Ihr, Freund, bleibt Ihr bei uns?«

Ludolf nickte vergnügt und unbesorgt dazu.

»Unters dänische Seevolk gehen oder unter die Garde, es ist Alles einerlei, wie ich denke.«

»Vortrefflich gesagt!« rief der Officier. »Ruhm und Ehre sind gleich groß. Aber wo ist die niedliche Braut, das hübsche Mädchen? Es wäre doch grausam, so ganz ohne Abschied sie auf einige Zeit zu verlassen.«

Ludolf sah sich langsam um, Anna war fort.

»Sie ist wahrhaftig davon gelaufen aus Angst vor den Theerjacken,« lachte er.

»Und ihr Narren da an der Thür habt sie laufen lassen?« rief Herr Nielsen. »So macht ein Ende, nehmt den Burschen da zwischen Euch und seht Euch vor. Bei der geringsten Falschheit schlagt ihn zu Boden. Ich hoffe, Du lustiger Narr, Du wirst mich verstehen. Wie lautete Dein hübscher Spruch: Kommst Du mit einem Dänen zusammen, halt die Augen auf. War's nicht so?«

»Sie haben ein gutes Gedächtniß, Herr.«

»Nun gut, Du deutscher Schelm, so halt Deine Augen auf, oder Du sollst morgen an der großen Raa hängen zur Warnung für alle Krähen im Lande. Vorwärts mit ihm. Herr Lembek, geben Sie Ihrem Freunde den Arm.«

»Ist das Wahrheit, Onkel?« sagte in diesem Augenblicke die Stimme der Erbin von Bornholm, welche aufgestanden war und sich vor Lembek gestellt hatte; »soll Dein Gast, der Deiner Ehre vertrauend in Dein Haus gekommen war, von Deinem Tische weggeschleppt und seinen Feinden überliefert werden?«.

»Mische Dich nicht in Dinge, die nicht zu ändern sind,« antwortete der alte Herr verlegen, indem er seine Festigkeit zu behaupten suchte. »Meine Schuld ist es nicht; haben wir nicht Alles versucht, ihn zu überzeugen? Jetzt ist es Pflicht geworden, ihn festzuhalten.«

»Schande über die,« fuhr das Fräulein fort, »welche solchen Rath geben konnten. Es kann nicht sein, Du kannst es nicht zulassen. Ehre und Recht verbieten es in gleichem Maße.«

»Dringen Sie nicht weiter in den guten Oheim,« unterbrach sie Scheden, »was er auch thun möchte, in diesem Augenblicke hätte sein Widerspruch keine Bedeutung mehr. Ich glaube kaum, daß die bewaffneten Männer dort und ihr Anführer viel darauf achten würden.«

»Rufe aus dem Fenster, laß die Hofglocke ziehen,« rief das Fräulein heftig, »wir haben Mittel genug, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Mit welchem Rechte will man diesen Menschenraub vertheidigen?«

»Mit dem Rechte des Krieges, schöne Dame,« sagte Herr Nielsen lächelnd.

»Es ist kein Krieg,« erwiederte das Fräulein, »doch wäre er selbst schon da, wie kann es mit der Ehre des Krieges sich vereinbaren, waffenlose Menschen fortzuschleppen, um sie dem Kerker zu überliefern?«

»Was das betrifft, so beruhigen Sie sich, theure Freundin,« sagte Scheden. »Lembek ist sehr glücklich, einen so feurigen, edlen Vertheidiger gefunden zu haben, allein es wird nur von ihm abhängen, wie leicht oder schwer seine Haft sein soll. Vorläufig gebe ich Ihnen mein Wort, er wird mit der größten Schonung behandelt werden, und da wir ihn begleiten, können Sie selbst sich überzeugen, daß ihm kein Leid geschieht.«

»Wie?« antwortete Ida stolz zurücktretend; »wen meinen Sie, Herr von Scheden? Geht die Gewalt etwa so weit, auch meine Freiheit anzutasten?«

»Sie würden Ihren Oheim nicht begleiten?« fragte Scheden bittend und lächelnd.

»Nein,« erwiederte sie, »nicht auf ein dänisches Schiff, nicht nach den Inseln und nicht in Ihrer Gesellschaft, Herr Etatsrath.«

»Darüber hat meiner Meinung nach Herr von Alfeld allein zu entscheiden,« sagte Scheden, »doch bin ich auf's Aeußerste bestürzt und betrübt, Ihnen zu mißfallen, obenein über Beschlüsse, die vor wenigen Stunden noch Ihre freiwillige und freudige Zustimmung fanden.«

»Niemals,« fiel sie lebhaft ein, »Sie täuschten sich eben so wohl über meinen Willen, wie über meine Empfindungen.«

»Wir werden morgen Zeit haben, uns zu verständigen,« unterbrach sie Scheden gereizt. »Diese augenblickliche Aufwallung wird größerer Besonnenheit Raum geben. Es ist an Ihnen, Herr von Alfeld, Ihrer Fräulein Nichte bemerklich zu machen, was Ihr Wunsch und Ihre Absicht ist.«

»Ida,« sagte der Baron, zwischen Bitte und Befehl schwankend, »ich verlange Gehorsam von Dir. Was ich beschlossen habe, muß ausgeführt werden. Komm her, mein Kind, gieb mir Deine Hand, es ist Nichts mehr zu ändern.«

»Nichts zu ändern?« fragte sie, ohne dem Wunsche Ihres Oheims Folge zu leisten. »So ist es Dein unwiderruflicher Entschluß, den Sohn Deines Freundes zu verrathen und Dich selbst den Dänen auszuliefern?«

»Mein Entschluß steht fest,« sagte der Baron finster und heftig, »aber Deine Sprache ist eine ungebührliche.«

So wisse,« fuhr Ida fort, »daß ich keine andere dafür habe und Dich nicht begleiten kann.«

»Ich befehle es Dir!« rief Alfeld heftig.

»Ich bin frei und mündig,« antwortete sie mit festem Tone, »und will bleiben, wo ich bin, in meinem Vaterlande, bei Denen, die durch Geburt, Recht, Sprache und Sitte mir nahe stehen.«

»Sie ist von Sinnen!« schrie der Baron auf. »Hat die Nähe dieses Verräthers Dich angesteckt, oder welcher Wahnsinn hat Dich ergriffen? Du sollst mir folgen! Ich habe ein Recht, Gewalt zu brauchen. Ich, Dein nächster Verwandter, will es so. Deine Freiheit und Mündigkeit ändern Nichts daran, ein Mädchen hat keinen Willen, jetzt nicht und hier nicht, – ich bestimme über Dich und Deine Zukunft und will es Dir beweisen!«

Scheden suchte den heftigen Mann zu beruhigen.

»Ich bitte Sie, bester Alfeld,« sagte er, »mäßigen Sie Ihren Zorn. Fräulein Ida ist zu einsichtsvoll, um nicht zu begreifen, daß Weigerungen ganz fruchtlos bleiben müssen. Ich beklage diese unglückliche Scene, welche so viele seltsame Zuschauer hat. Wenn Fräulein Ida so gütig sein will, mir in das nächste Zimmer zu folgen, so werde ich sie hoffentlich in wenigen Minuten überzeugen, daß ihr gütiger Oheim im vollsten Rechte ist, und während dieser Zeit« – er sah Nielsen lächelnd an – »läßt sich alles Nöthige ordnen.«

»Ich werde Ihnen nicht folgen,« erwiederte das Fräulein, den Arm zurückweisend, den er ihr bot. »Nur durch Gewalt kann ich gezwungen werden, mein Recht aufzugeben.«

»Dann freilich,« sagte Scheden kalt lächelnd, »werden wir in eine üble Lage gerathen.«

»O, Lembek,« rief Ida, indem sie plötzlich, beide Hände auf dessen Brust legte, »wie recht hast Du gehabt. Sie achten Nichts und scheuen Nichts. Sie kennen Nichts als Gewalt und Zwang; Falschheit und Verrath ist ihr Wesen.«

»Wie,« rief Scheden, als Alle, bestürzt über diese unerwartete Wendung, schwiegen, »ist das die wahre Ursache dieses schönen Zornes? Hören Sie doch, Alfeld, wie weit die Abneigung Ihrer Nichte geht.«.

»So weit,« sagte das Fräulein, stolz sich aufrichtend, »daß ich offen bekenne, Lembek zu lieben, daß ich gestehe, ihm meine Hand angetragen zu haben unter der Bedingung, daß er das werde, was Sie, Herr von Scheden, aus ihm machen wollten.«

»Ich aus ihm machen wollte?« fiel der Etatsrath erhitzt ein.

»Einen Verräther an seinem Vaterlande!« fuhr sie fort, »aber er verwarf mich, und ich achte ihn darum noch höher. – Jetzt reiche ich Dir diese Hand noch einmal, Heinrich Lembek, und schwöre meine Irrthümer ab. Ich will mit Dir aushalten in Noth und Tod, mögen sie uns Beide fortschleppen auf ihr Schiff, hinführen, wohin sie wollen, es soll sich Nichts ändern an meinem Schwure.«

»Geliebte Ida!« rief Lembek, seinen Arm um sie legend, »fürchte Nichts. Niemand soll uns zwingen, der Verrath fällt auf die zurück, die ihn ersannen. – Hütet Euch, Hand an mich zu legen!« rief er den Seeleuten zu, als er sah, daß diese sich bereit machten, auf den Wink ihres Anführers sich seiner zu bemächtigen. »Eine Minute noch, und Ihr seid verloren!«

Die furchtbare Gewißheit, welche aus seinen Blicken sprach, blieb nicht ohne Eindruck. Herr Nielsen sah ihn unschlüssig an, dann wandte er sich rasch zum Fenster hin, durch welches heller Feuerschein von den nahen Bergen leuchtete.

Die Glocke der Kirche im Thale läutete, in den Wirthschaftsgebäuden des Gutes wurde eine andere Glocke gezogen, wildes Geschrei vieler Stimmen gab Antwort darauf.

»Ei, wahrhaftig,« schrie Ludolf, »da sind die Dragoner aus Missunde. Herr Nielsen aus Sonderburg, folgen Sie dem guten Rathe, den ich Ihnen gebe. Es ist meiner Treu so: Kommst Du mit einem Dänen zusammen, halt die Augen auf. Die Augen haben wir aufgethan, Herr, die Dragoner sind da, und die wackere Dirne, meine Anna, hat das ganze Thal in Bewegung gebracht. Wenn's Ihnen nicht um blutige Köpfe zu thun ist, so nehmen Sie Reißaus. Durch den Garten geht der einzige Weg, auf dem Ihr entkommen könnt, dann immer gerade hinunter, wie es sich paßt und schickt.«

Nielsen schien einen Augenblick zu überlegen, dann sagte er lachend:

»Du bist ein prächtiger Junge, weißt immer guten Rath. Schade, daß Du kein Däne bist. – Da kommen sie den Weg herauf mit Spießen und Stangen; mit brüllenden Bauern wollen wir schon fertig werden, aber ich sehe Pferde und Helme. Gute Nacht, meine Herren, wer mich begleiten will, der folge mir. Herr Lembek, auf Wiedersehen ein ander Mal.«

»Halt!« rief Scheden, »halt! – Alfeld! Fort mit Ihnen!«

Der alte Herr hatte sich in einen Stuhl geworfen und sagte erschöpft:

»Retten Sie sich, ich will bleiben.«

»Bei uns, theurer Onkel, mit uns!« rief das Fräulein zu ihm eilend.

Er stieß sie zurück und sagte erbittert:

»Geh' zu ihm, Du bist frei. Da kommen seine Genossen. Werft Feuer in mein Haus, überliefert mich dem Gesindel, macht, was Ihr wollt, aber rühr' mich nicht an, ich habe Nichts mehr mit Dir zu schaffen.«

Ein Haufen Landleute, bewaffnet mit Sensen und Stangen, drang in den Hof und stürmte auf das Haus los. – In wenigen Augenblicken waren sie bis in den Saal gedrungen, geführt von einem Weibe, von Anna, die in ihren kräftigen Händen ein scharfes Pflugmesser hielt. Ihr Gesicht glühte vor Freude, als sie Ludolf sah und ihr Blick auf Lembek fiel.

»Gott zum Lob!« rief sie, »da sind sie Beide. Als ich sah, wie es stand, lief ich hinunter in's Dorf, wo die Leute beisammen saßen und die Dragoner erwarteten, welche Ludolf bestellt hatte, die aber immer noch nicht kommen wollten. – Da zog ich die Sturmglocke und rief ihnen zu, wir müßten es selbst thun, wenn's helfen sollte. Und Alle nahmen, was sie fanden, möchte es gehen, wie es wollte, die Dänen sollen Keinen haben.«

»Wo sind sie?« schrieen viele Stimmen. »Wo ist der dänische Spion? Wohin habt Ihr ihn versteckt?«

Scheden war verschwunden, aber die erhitzte Menge machte ihren Zorn in Flüchen und Drohungen Luft, die deutsch genug auf Alfeld sich richteten.

»Ist es wahr, Herr,« rief einer der Bauern Lembek zu, »daß man Sie hierher gelockt hat, um Sie den Dänen zu verkaufen? – Wer hat es gethan? Wer ist so ehrlos gewesen?«

Er sah dabei den alten Gutsherrn grimmig an, der ohne Laut vor sich niederblickte, und schüttelte die Faust über dessen Haupt.

»Was auch die Absichten meiner Feinde waren, sie sind vereitelt,« erwiederte Lembek. »Das Land ist frei, die Feuer brennen auf allen Bergen. Mögen die Verräther auf ihr Schiff fliehen. Laßt sie, Freunde, verfolgt sie nicht. Da kommen unsere Brüder aus Missunde, Dragoner und Jäger, ich höre ihre Hörner, laßt uns ihnen entgegen gehen.«

Das Haus des Barons wurde leer. Der Mond, welcher jetzt hell am Himmel aufzog, beleuchtete die Reiterschaar, deren Waffen in der Nähe klirrten und blitzten. Es war Niemand in dem Saale geblieben als Ludolf, der seine Anna herzte, und Lembek, welcher Hand in Hand mit der Erbin von Bornholm vor dem finster schweigenden Oheime stand.

Alle Worte der Liebe hatten Nichts geholfen, ein bitterer, unerbittlicher Hohn preßte die Lippen des alten Herrn zusammen.

»Zwischen uns kann es nicht besser werden,« sagte er endlich, zu Lembek gewandt, »die letzte Möglichkeit zu Deiner Rettung war, Dich einzusperren. Du hast sie vernichtet. Und wie Du diese unwissenden Menschen verführst, so hast Du Dich in Ida's Herz geschlichen und reißest sie in Dein Verderben. Scheden hat Recht, Reue wird über Dich und sie kommen, aber es wird dann zu spät sein.«

»Niemals!« erwiederte Lembek. »Was auch kommen möge, wie die Würfel fallen, aushalten werde ich bei meinem Vaterlande in aller Noth. Wer für Wahrheit und Recht leidet, kann nie bereuen. – Aber Du,« fuhr er sanft auf Ida blickend fort, »Du bedenke wohl, was Du thust. Er sagt, ich reiße Dich in mein unglückliches Schicksal. Wähle, geliebte Ida, wähle zwischen mir und ihm. Seine Liebe wird Dich vor allen Gefahren behüten, die meine führt Dich vielleicht flüchtig umherirrend, verbannt und ausgestoßen durch die Welt.«

»Ida! – Meine Tochter! Mein Kind!« rief Alfeld, seine Arme ausbreitend, »kannst Du mich verlassen?«

»Hier ist mein Platz,« sagte sie, sich an Lembek's. Brust werfend, »von hier aus, Onkel, strecke ich meine Hand nach Dir aus. Sei gütig und gerecht!«

»So geh' denn!« schrie der Greis mit Heftigkeit. »Folge ihm nach Kiel; Lug und Trug hat Dich getäuscht. Geh' nach Bornholm und Verbrenne die Bilder Deiner Väter, damit sie nicht sehen, was aus Dir geworden ist!«

»Ja, nach Bornholm!« sagte die Erbin ihm nachblickend. »Noch einmal, Heinrich, laß und dort hintreten vor die Bilder der strengen, ehrenhaften Ritter und Frauen. Ohne Furcht will ich ihnen Alles sagen, ohne Bangen bekennen, daß ich Dich gewählt, daß ich Dich liebe, daß ich ein deutsches Mädchen bin. Nach Bornholm zum letzten Male; Gott behüte uns, daß wir es wiedersehen und in seinem Frieden wohnen; führe mich wohin Du willst.«

Da klangen die Hörner und Trompeten dicht in der Nähe, und Ludolf schwenkte seinen Hut und jubelte zum Fenster hinaus:

»Morgen, Anna, bin ich ein Jäger und habe eine Büchse auf dem Nacken. Hurrah für Schleswig-Holstein! Aber drei Hurrahs für Dich, Du Herzensmädchen, denn wenn Du nicht warst, säßen wir Alle jetzt auf der Fregatte in eisernen Reifen. Hochzeit wird kommen, Anna, und Lohn und Liebe und Freude, so viel ein Mensch zu geben vermag.«


Aber Saaten sind ausgestreut, und der Sturm hat sie fortgeweht. – Ludolf ist gefallen in der Schlacht bei Idstedt Schlacht bei Idstedt am 24./25. Juli 1850: die Schleswig-Holsteiner erlitten eine Niederlage gegen die dänischen Truppen. Nachdem Preußen und der Deutsche Bund aus dem Krieg ausgeschieden waren, waren die Schleswig-Holsteiner auf sich allein gestellt. Schleswig blieb endgültig unter dänischer Kontrolle und wurde von einem außerordentlichen Regierungskommissar verwaltet. Holstein wurde durch preußische und österreichische Bundestruppen besetzt, die Schleswig-Holsteinische Armee wurde am 1. April 1851 aufgelöst. - Erst der Deutsch-Dänische Krieg 1864 brachte eine neue Lage: Im Wiener Frieden trat der dänische König die Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg an die beiden deutschen Großmächte Preußen und Österreich ab. - Nach dem preußischen Sieg im Deutschen Krieg 1866/67 zwischen Preußen und Österreich gehörte ganz Schleswig-Holstein als Provinz zu Preußen.; die treue Anna kann's noch immer nicht denken, daß er niemals wiederkehren soll; Lembek lebt mit seiner Gattin in Deutschland, hoffend und glaubend, daß Recht Recht bleiben muß. Der alte Baron ist gestorben ohne Sühne und Vergebung. Der dänische Geheimrath von Scheden hat ihn beerbt.

* * *