Historische Erzählung.
Gesammelte Novellen. Dritte Abteilung.
Einzelausgaben.
Zweiter Teil
Neu herausgegeben
von
lobo.dox@freenet.de
2024
Der Januar des Jahres 1769 war ein äußerst milder und sommerlicher selbst für die Insel Corsika Über die Insel Korsika hat der Verf. noch eine andere Novelle veröffentlicht: »Maria Anna«, in: Vielliebchen. Ein Taschenbuch für 1861. In dieser digitalen Edition der »Gesammelten Novellen« ist sie in Band 3 enthalten. Die vorliegende Novelle stellt in gewisser Weise die Fortsetzung dar, während »Am Scheidewege« wiederum auf das Ende von »Romana« zurückgreift., deren rothe Felsenufer, von den immer lauen Wellen des Mittelländischen Meeres bespült, niemals eine winterliche Farbe tragen, und deren Olivenhaine und Kastanienwälder sich in solcher Zeit mit frischem Geblätter bekleiden, während duftige Kräuter und Blumen die Thäler und Berge bedecken.
Aber je weiter in das Innere des Landes, um so höher steigen die Serren auf, um so kühner und gigantischer erheben sich die Kegelberge, bis zu dem ungeheuern Monte Rotondo, der sein Haupt fast immer in düstere Wolkenkränze verbirgt. Dort oben giebt es keine Wälder mehr, auch die Eichen und Buchen, die Tannen und der Wachholder haben aufgehört, von den steilen zerbröckelten Gipfeln laufen blendende Schneefelder in die Tiefen hinab, manchesmal bis in die Zone der Kastanie und Wallnuß, zuweilen wohl gar die graublassen Blätter des Oelbaums weiß umhüllend.
In jenem Jahre jedoch wußte man Nichts davon. Nur die wilden Gipfel des Grosso, des Tolo und anderer gewaltiger Riesen trugen ihre weiße Rappen, sonst war die schöne Insel überall frühlingsherrlich, wie ein leuchtend Juwel anzuschauen. Die Mandel- und Citronenbäume, die Pfirsichen und Kirschen, Feigen, Granaten und Myrthen, alle hatten ihr schönstes Frühlingskleid in schimmernder Pracht angezogen, und mit ihrem Dufte mischten sich die Wohlgerüche der Geranien, des Lavendel, des Goldlack, des Rosmarin und vieler lieblichen, stärkenden Blumen, die in wilder Ueppigkeit mit Cactus, Epheu und Waldreben gemischt über alle Felder, Felsen und Hügel fortzogen, wo die Menschen sie immer dulden wollten.
Weit über das Meer hinaus führte der Wind den Blumenduft, und die Luft über dem Golf von St. Fiorenzo war so davon durchzogen, daß man von ihm sagen konnte, was Napoleon einst von seinem Vaterlande gesagt: man könne Corsika eher riechen als sehen, und an den Düften und Wohlgerüchen wolle er es mit verbundenen Augen unter allen Ländern der Erde erkennen.
Doch dies herrliche duft- und sonnenvolle Land wird von keinem Volke arkadischer Schäfer bewohnt. Den Römern schon war es als ein wildes, todesmuthiges, rachedurstiges Volk bekannt; seine Geschichte ist ein langer blutiger Faden ohne Ende. So weit diese Geschichte reicht, sind die Corsen im Kampfe gegen grausame Feinde und Eroberer, gegen Römer, Griechen, Germanen, Saracenen, Pisaner, und nun, seit länger als vierhundert Jahren, hatten sie mit äußerstem Heldenmuth gegen ihre tyrannischen Herren und Unterdrücker, die Genuesen, gestritten.
Pasquale Paoli, ihr großer, tapferer General und Präsident ihrer jungen Republik, hatte endlich vor fünf Jahren diese genuesischen Ketten gebrochen, doch nur, damit die Corsen ihre Herren wechselten. Als die Genuesen sahen, daß dies Volk unüberwindlich sei, verkauften sie ihre sogenannten Rechte an die Franzosen, deren König Ludwig und sein Minister Choiseul mit Freuden das wichtige Corsika erwarben und, ohne nach des corsischen Volkes Rechten zu fragen, im letzten Jahre, am 15. Mai, einen Vertrag über diesen Handel in Versailles abschlossen. Mehrere Jahre zuvor schon war ein französisches Heer auf der Insel gelandet, die festen Plätze zu besetzen, damit die Engländer sich ihrer nicht bemächtigen sollten.
Pasquale Paoli mußte dies dulden, um den mächtigen Herrscher der Franzosen nicht zu erzürnen, um Schutz bei ihm gegen Genua zu finden, und weil ihm feierlich zugesagt war, daß diese Besatzung nur vier Jahre dauern, die Franzosen sich auch in keine Sache mischen sollten, die die Corsen und ihren Staat angehe.
Nun aber fiel die Maske ab. Bastia sammt andern festen Orten wurden mit starken Garnisonen versehen, und der Marquis Chauvelin kam mit 15 000 Franzosen aus Marseille. Da wurde den Corsen befohlen, sich zu unterwerfen und dem Könige Ludwig zu huldigen; doch diese, eingedenk ihrer Väter und ihrer Ehre, beschlossen in ihrer Bundesversammlung zu Corte, wie freie Männer zu leben oder zu sterben.
So wurde die blühende Insel mit den lieblichen Weingärten, den Citronenhainen und Olivenwäldern wiederum ein Leichenfeld, und dieser Golf von Fiorenzo, in Blüthen und Blumendüfte eingewiegt, widerhallte vom Donner der Schlacht und duftete von dem Blute der Erschlagenen. Der französische General drang mit seinen Schaaren über die Serra, welche Bastia von dem Lande Nebbio trennt, wo St. Fiorenzo an seinem herrlichen Meerbusen liegt. Pasquale Paoli hatte nur Viertausend um sich sammeln können, welche er und sein tapferer Bruder Clemens gegen den viermal stärkeren Feind führte. Es war vergebens, sie mußten weichen. Die kleine Veste Furiani wehrte sich verzweifelt; nur 300 Corsen kämpften dort gegen die ganze französische Macht. An der Spitze der begeisterten Bergbewohner stand Carlo Saliceti, einer der Helden seines Volkes, und als Alles in Schutt und Asche lag, schlug er bei Nacht sich durch den Feind und erreichte die Seeküste.
Den Sommer und Herbst über währte der Krieg, doch trotz ihrer Uebermacht wurden die Franzosen endlich geschlagen. Weiber zogen den schwarzen Wollenrock der corsischen Milizen an und kämpften in deren Reihen. Engländer und Italiener fochten für das bedrängte Volk, eine ganze Compagnie Deutscher bildete sich aus den deutschen Soldaten, welche den Genuesen gedient hatten, und ihnen gesellten sich mehrere junge deutsche Edelleute zu, welche nach Corsika gekommen den Unterdrückten beizustehen. England selbst aber, auf welches die Corsen hofften, nach welchem sie Hilfe flehend ihre Hände ausstreckten, rührte sich nicht. Die englischen Minister sahen dem Todeskampfe der »corsischen Rebellen« zu, sahen zu, wie Frankreich diese reiche, wichtige Insel eroberte.
Im Dezember des Jahres 1768 wurden die Franzosen überall besiegt nach Bastia und in die festen Küstenplätze zurückgeworfen. Doch nun rief Frankreich den gedemüthigten Chauvelin zurück und sandte den Grafen de Vaux an der Spitze von 45 Bataillonen mit Reiterregimentern sammt vielen Kanonen, und dies mächtige Heer sammelte sich in Bastia, denn von dorther sollte der entscheidende Schlag kommen.
So war es am Ende des Januar im Jahre 1769, wo die Insel in ihrer Frühlingspracht aufblühte. Es war Ruhe im Lande, aber es war die Ruhe eines Vulkanes. Die corsischen Milizen befanden sich zerstreut in ihren Dörfern, die beiden corsischen Regimenter, die einzigen, welche die Regierung besaß, lagen in Corte und anderen kleinen Orten im Innern. Pasquale Paoli schien still zu sitzen in der schwarzen, stillen Casa seiner Väter in Marosaglia und in dem Franciskanerkloster, wo die alten Parlamente des Landes gehalten wurden, und wo sein freiheitbegeisterter Bruder Clemens Tag und Nacht vor den Altären lag, Gott und die heilige Jungfrau anrufend, die Feinde des Vaterlandes in seine Hand zu geben.
Wer aber den General Pasquale Paoli kannte, der war gewiß, daß dieser rastlos thätige Held nicht rastete. Doch fiel kein Schuß gegen die Franzosen in den Hafenplätzen, keiner der schwarzen Krieger ließ sich in der Serra am Cap Corso blicken. Die Franzosen konnten sicher die steilen Pfade hinaufklimmen, welche über diese Bergkette fort in das Land Nebbio hinab und bis nach Fiorenzo führten; denn damals waren diese Pfade wild und öde, von zackigen Klüften und Klippen dicht umschlossen, während zwanzig Jahre später eine prächtige Straße hinüberführte, von den Franzosen mit Kunst und Kraft erbaut, um das wichtige Land Nebbio und seine stolzen, verwegenen Bewohner sicherer bewachen zu können.
Denn es ist diese Landschaft Nebbio der Paß, welcher in das innere hohe Bergland führt. Von St. Fiorenzo steigt es als ein wundervoll herrliches Amphitheater auf. Bis in die Wolken ragen im Halbkreis die hohen Berge der Serra di Tenda empor, und zu ihnen hinauf steigt treppenartig das Land, gefüllt mit Wein und Oel, mit Feigen- und Kastanienwäldern, mit allen Gewächsen und allem Reichthum, den diese Insel von einer übergütigen Natur empfangen hat. Wer das Nebbio hat, hat festen Fuß im Lande, dies wußten die Genuesen schon, und die Franzosen hatten es nicht vergessen.
Chauvelin war hierher zuerst vorgedrungen, und Graf de Vaux kannte Corsika seit zwanzig Jahren, er hatte damals schon unter Malebois Land und Leute gesehen. Kaum war er in Bastia angelangt, als er ein starkes Corps über die Serra nach Fiorenzo schickte, das in dem kleinen Orte das Fort mit dem Genuesenthurme herstellte und das Thal des Aliso bewachte, der brausend in den Bergen von Fels zu Fels springt, hier unten aber träge durch Schilf und Sumpf schleicht.
Die Colonnen der Franzosen drängten sich eng in dem kleinen, schlechten Orte zusammen und blickten mit Mißmuth zu den Bergen und Wäldern hinauf, wo es weit bessere Quartiere geben mußte. Daran war nicht zu zweifeln. Denn nicht allein, daß das Land Nebbio als eines der reichsten auf der Insel bekannt ist, es wohnen auch damit zusammenhängend viele wohlhabende und angesehene Männer darin. Wohl bevölkert war es bis hoch oben, wo der Buschwald und die nackten Klüfte beginnen. Vier große Gemeinden enthielt es, Dörfer kann man diese in Corsika meist nicht nennen; denn wenn auch die Kirche von einer Anzahl Gebäuden umringt ist, so liegen doch sehr viele weit zerstreut, so daß das Pieve oder Kirchspiel einen sehr großen Raum einnimmt.
Die nächste der Gemeinden an Fiorenzo war die Pieve Oletta, so recht in dem schönsten und herrlichsten Theile des Ländchens. Wohl an tausend Fuß über dem Meere, ganz eingewickelt in Oliven-, Feigen-, Kastanien- und andern Fruchtwäldchen, in entzückenden Umgebungen. Steil stieg die Straße durch enge Schluchten aufwärts, doch oben war das Land thalartig ausgedehnt. Nach allen Seiten liefen die Wein- und Fruchtgärten bis an die Bergwände hinauf. Die Häuser und Häuschen, die stattlichen Casas der Wohlhabenden und die engen, düsteren Campannen der kleinen Leute verbreiteten sich durch Garten und Gehege, in der Mitte jedoch lagen sie in einer Reihe, und sanft empor stieg diese bis zu dem Kirchplatze, wo sie einen Halbkreis um das alterthümliche große Gotteshaus bildeten, neben welchem ein Stiftshaus des Franciskanerordens lag.
Wie es häufig der Fall, hatte die Kirche auch hier den Ehrenplatz erhalten. Sie stand an der höchsten Stelle auf einem Vorsprunge, weit über die Pieve fortblickend, und von ihrem hohen Thurme blitzte das goldene Kreuz bis an das Meer und bis an die düstern Felsenkuppen der Serra Tenda. In dem alten Stifte befanden sich keine Mönche, aber der Abt war noch da, hoch angesehen im Orte und im Lande, sowohl durch seine geistliche Würde, wie durch seine Abkunft als Haupt der edlen Familie Saliceti von Oletta.
Dicht in der Nähe der Kirche stand das feste, thurmartige Familienhaus, in welchem jener tapfere Carlo Saliceti geboren wurde, der im letzten Jahre mit solchem Heldenmuthe Furiani vertheidigt hatte; jetzt aber war er nicht darin zu finden. Einen tiefen, festen Schlaf schlief der tapfere Mann, denn in der Schlacht bei Borgo hatte eine Kugel ihn hingestreckt, und seine Kampfgenossen hatten ihn mit Lorbeer bekränzt und mit Todtenklagen und Wehgeschrei in der Familiengruft der Saliceti dort in der Kirche begraben.
Sein Haus lag jedoch nicht verödet, denn noch lebte Giulio, sein jüngerer Bruder, noch seine Schwester Romana, und zum Schutze ihrer Jugend war sein Oheim Giovanni, der verehrte Abt, da, ein eben so glaubensfreudiger Priester wie ein zornig kühner Patriot, der mehr als einmal in seinem Leben Dolch und Doppelbüchse in der einen Hand, das Crucifix in der andern in die Schlacht vorangezogen war.
Ehe wir jedoch mit diesen Personen uns weiter beschäftigen, steigen wir hinauf in ihre Wohnungen und treten ein in ihre Hallen; dahin zu gelangen ist jedoch keinesweges so leicht, als man glauben könnte. Ein corsisches Haus gleicht mehr oder minder einem festen Thurme, mit schmalem düsterm Eingange, steiler hoher Treppe, kleinen Fenstern und dicken Mauern. Selbst die ärmlichen Hütten, so eng und schmutzig sie sein mögen, sind schartig und hoch, denn jeder Corse hat seinen Feind, und die Blutrache kann ihn morgen zwingen, sein Haus zur Festung zu machen. Darum sind diese Häuser auch alle aus Granit erbaut, und drinnen mag kein Stück Brot sein, doch unzweifelhaft ein Gewehr, wenn nicht mehrere sammt Pulver und Blei, genug um eine Belagerung auszuhalten.
Die Dorfgasse, welche zur Kirche und deren Platz hinaufführte, bildete zu beiden Seiten Reihen solcher engerer und weiterer Thürme, die mit ihrem schwarzen Gemäuer und den Epheugewinden, welche sie dicht umrankten, ein romantisches, düsteres und doch liebliches Bild gaben. Manche darunter sahen für verwöhnte Augen freilich wüst und höhlenartig genug aus. Ihre Fenster waren enge Löcher ohne alle Abwehr gegen Regen und Wind, und die zertrümmerten Treppen, die schief hängenden Thüren sprachen für die Armuth, Faulheit und Sorglosigkeit ihrer Bewohner; aber in diesem Lande bedarf der Mensch nicht viel zu seiner Erhaltung, Arbeit ist keine Ehrensache. Von wenigen Kastanienbäumen, wenigen Ziegen, wenigen kleinen Gartenstückchen vermag eine Familie zu leben, und auf allen diesen Bergen und Gehängen lag reicher Gottessegen. Alle diese alten Thurmhäuser umwickelte der Blüthenduft der Fruchtbäume; Oliven, Mandeln, Reben und Feigen umringten sie. Es sproßte und keimte, blühte und reifte überall in wunderreicher Fülle, und wo dies geschieht, ist der Mensch niemals geneigt zu harter mühevoller Arbeit. Er will Noth und Sorgen haben, wenn er im Schweiße seines Angesichts sein Brot essen soll.
Die Häuser von Oletta sahen jedoch nicht alle so aus wie die erwähnten. Manche bildeten auch dicke vierkantige Bauwerke; ihre unregelmäßigen Fenster wurden von Jalousieen geschlossen, ihre Treppen waren wohlerhalten, von Seitenmauern geschützt und mit Eingangsthüren versehen, oben aber sprang ein Altan hervor, die größten hatten deren mehrere nach verschiedenen Seiten. An diesen Erbsitzen der wohlhabenden Familien waren die Steine auch wohl gefugt und glatt bebauen, und um sie her dehnten sich kleinere oder größere Gärten, auf deren Blüthenschnee sie ihren granitnen Leib schwarz und zackig aufhoben.
Das Haus Saliceti erschien als das mächtigste unter allen. Es thürmte sich zu verschiedenen Stockwerken, es hatte Altane nach allen Seiten, und seine Fenster zeigten nicht allein Jalousieen, sondern auch mehrere Rahmen mit kleinen Scheiben von Glas, was damals zu den Seltenheiten gehörte. Die Treppe lief gedeckt hinauf, unten war sie durch ein massives Vorthor geschlossen, das über seinem Portale ein altes Wappen trug, von dem jedoch sich wenig mehr erkennen ließ.
Die Familie Saliceti stammte nicht von den Signori, den alten Baronen und Herren der Insel, aber sie gehörte jener Bauernaristokratie an, die im zwölften Jahrhundert aus den Gemeindevorstehern, den Caporali, entsprang, welche, als Führer und Rächer des gepeinigten Volks, die Barone niederschlugen, später aber selbst noch ärgere Tyrannen wurden, als die gepanzerten Ritter. Genua hatte sie endlich alle ohne Unterschied unter seinen harten Fuß getreten und um dessentwegen dieselbe Gleichheit und denselben ingrimmigen Haß über alle Corsen gebracht. Aber die Nachkommen der alten Signori und der alten Caporali blieben doch immer die stolzen Geschlechter, welche von ihren Vorfahren mit den Familiensitzen, freilich oft nur mit diesen, uralten Ruhm zahlloser Heldenthaten ererbten.
Auch die Saliceti waren reich daran, allein sie besaßen überdies kein unbedeutendes Vermögen an Grundeigenthum, denn ein beträchtlicher Theil des Waldes und der Fruchtgärten der Paese gehörte ihnen. Es wurzelte auch ein gewisser Sinn in dieser Familie, sich ihrer Wohlhabenheit zu erfreuen, und da sie mit manchen edeln Geschlechtern verwandt, Blutsvettern selbst im hohen Rath, an den oberen Gerichtshöfen und in den ersten Städten der Insel besaßen, nicht selten auch selbst dahin kamen als Abgeordnete des Districts und des Landes wie in eigenen Geschäften, so lernten sie besser als die meisten ihrer Nachbarn kennen, was zur Bequemlichkeit, zum Putz und Schmuck auf dem Festlande Italiens und in Frankreich erfunden, sich nach und nach bis nach Corsika verirrte.
Der verstorbene Vater der beiden Geschwister, Pietro Saliceti, hatte aus Bastia sogar einst einen schmalen Spiegel und ein paar hochlehnige Stühle mitgebracht. Doch sein Bruder, der Abt, war es, welcher vor einiger Zeit erst die Scheiben von Glas in die Fenster des großen Wohngemaches einsetzen ließ, ein Luxus, der in Oletta ungeheueres Aufsehen machte.
Aber Pietro Saliceti hatte seiner Zeit auch seinen jüngsten Sohn Giulio nach Bastia in die Schule geschickt, damit er Etwas lerne und ein Richter oder Advocat aus ihm werde. Seine Tochter Romana lebte mehrere Jahre im Hause eines Verwandten, des Raths Grimaldi, und erst im letzten Jahre, als ihr Vater aus dem Leben geschieden und ihr ältester Bruder den Heldentod gestorben, kehrte sie in die Casa Saliceti zurück, weil ihr Onkel es so befahl.
An dem Tage nun, mit welchem hier unsere Erzählung beginnt, saß Romana in dem Wohnzimmer mit einer Näherei beschäftigt, und bei ihr befand sich eine Freundin aus Oletta, die schöne Maria Montalti, die Tochter des Podesta der Gemeinde, eines nicht weniger angesehenen Mannes. Beide junge Mädchen arbeiteten fleißig; Romana half ihrer Freundin, und Maria hatte guten Grund, die Nadel emsig zu bewegen, denn sie war die Braut des jungen Bernardo Leccia, eines überall beliebten und gepriesenen Jünglings aus guter Familie, und im Märzmonate sollte die Hochzeit sein.
Beide Mädchen waren jung und lieblich anzuschauen, dennoch aber konnte es nichts Verschiedeneres geben. Romana Saliceti hatte eine feine, zarte Gestalt, ihr Haar besaß einen wahrhaft goldigen Schimmer, und ihre Haut war so weiß und frisch, als stammte sie aus dem Norden. Sanft waren ihre Mienen, klein ihr Mund, und in ihren dunkelblauen Augen lag eine träumerische melancholische Stille.
Ganz anders stellte sich Maria Gentili Montalti dar. Corsisch schön war alles an ihr, vom Scheitel mit seiner Fülle rabenschwarzer, bläulich schimmernder Haare bis zu dem kleinen Fuße. Von hohem Wuchs, fielen ihre starken Zöpfe, mit rothen Bändern gebunden, weit über den kräftigen Nacken in ein dunkelrothes, mit Korallenstückchen besetztes Netz. Gebräunt war ihre Haut, aber sammetweich, stark und schön gebildet Stirn, Nase und Mund, ihre schwarzen Augen groß und leidenschaftlich funkelnd, die weißen Zahnreihen prächtig zu ihren schnellen übermüthigen Blicken passend.
Und wie die Körper dieser jungen Mädchen so verschieden gebildet, so verschieden war es auch ihre Tracht. Maria Montalti trug das weite schwarzwollene Corsenkleid, die Faldetta, dessen Zipfel faltenvoll und malerisch über Arm und Schulter geworfen werden, aber Romana hatte in der Hauptstadt Bastia andere Kleider kennen gelernt, und da diese Stadt seit so vielen Jahren schon von den Franzosen besetzt gehalten wurde, waren französische Trachten und Farben und leichtere französische Stoffe dort eingedrungen. Romana's blaues Gewand mit dem anschließenden Kamisol stammte aus Marseille, das Corsika vornehmlich mit französischen Fabrikaten aller Art versorgte, aber die Korallenbänder um ihre Arme und um ihren Hals waren echt vaterländische Erzeugnisse. Ist doch das Meer nirgend reicher daran, und giebt es doch nirgends schönere Korallen als diese, welche in Italien als die besten geschätzt werden.
Die Fenster standen geöffnet, würzige Luft wehte herein. Draußen lag das blühende Land, über ihm tiefe Himmelsbläue, und die Sonne schwebte, eine strahlende Goldkugel, am Rande der hohen Berge, bereit, sich darin zu versenken. Doch die beiden jungen Mädchen hatten dafür keine Augen, sie blickten emsig auf ihre Arbeiten; erst nach einiger Zeit ließ Romana ihre Hände sinken, und hinausschauend in den Himmelsglanz, schien sie ihren Gedanken nachzuhängen.
»Holla! kleine Romana, was sinnst Du denn, und woran denkst Du denn?« rief Maria Montalti, indem sie lachend auf den Tisch schlug.
»Ich sinne darüber nach,« erwiederte Romana, »wie einsam es hier ist, und wie wenig mir das gefällt.«
»Es gefällt Dir nicht,« sagte Maria, »weil Du so lange in der Stadt gewohnt hast, und weil Du jetzt mit Deinem Oheim allein in der Casa Saliceti Deine Tage verlebst. Du möchtest lieber wieder dahin, wo es fröhlicher hergeht.«
»Freilich, freilich!« antwortete Romana mit einem leisen Seufzer, »sonst war es anders, als mein Vater noch lebte und mein Bruder Carlo. Es kamen viele Freunde, wir waren vergnügt, die Cither hing nicht müßig an der Wand. Ach! der Krieg hat viel Unglück über uns gebracht.«
Die große Maria ließ ihre übermüthigen Augen auf ihre Freundin blitzen.
»Krieg muß sein,« sagte sie, »wie soll unser Vaterland frei werden, wie sollen wir diese Franzosen und vom Halse schaffen? Aber Du seufzest nach Bastia und wärest lieber dort als in Oletta, habe ich nicht Recht?«
»Es hat mir dort gefallen,« versetzte Romana.
»Wo die Franzosen Herren und Meister sind!« fiel Maria ein. »laß das nicht Deinen Oheim hören, den hochwürdigen Herrn Abt,« sie lachte schelmisch und sah sich dabei um – »denn dieser haßt nicht allein die Franzosen, wie ein echter Corse thut, und hängt mit Leib und Seele Pasquale Paoli an, sondern er ist auch ein so sanftmüthiger, demüthiger und weichherziger Gottesmann, daß das Volk ihm dieser Tugend wegen den Namen Peverino gegeben hat.«
Romana lächelte leise.
»Sie nennen ihn spanischer Pfeffer,« sagte sie, »weil er so hitzig und zornig werden kann, aber spotte nicht darüber. Ist es denn nicht ein Unglück, daß so viele Menschen ihr Leben opfern müssen, so viele Feindschaften entstehen, so viel Unglück und Elend das Land bedeckt, Niemand mehr froh sein kann, und Alle zittern müssen vor dem, was noch geschehen wird?«
»O!« fiel Maria ein, indem sie ihren Finger drohend emporhielt, »ich weiß, wovor Du zitterst, kleine Romana, und ich weiß auch, warum es Dir in der schönen Casa Saliceti zu einsam ist, warum Du weit lieber in Bastia sein möchtest. Giebt es dort nicht einen gewissen jungen Herrn mit Namen Achill Grimaldi, und wird dieser Dein gelehrter, schöner Herr Vetter nicht durch den Krieg zurückgehalten, nach Oletta zu kommen, um Dich zu besuchen?«
Romana's Gesicht röthete sich, aber sie schüttelte den Kopf dabei.
»Nein, nein, Maria,« rief sie dazwischen, »das ist es nicht. Mein Vetter Achill wollte uns besuchen, das ist wahr, und mein Bruder Giulio ist nach Bastia gegangen, um ihn herzubringen. Aber Giulio ist Achill's Freund, ich habe niemals mich nach ihm gesehnt.«
»O, wie Du listig und heimlich bist,« lachte Maria. »Als ob man nicht wüßte, daß die Grimaldi hoch angesehene Leute sind, als ob Dein Vater Dich umsonst so lange nach Bastia geschickt hätte, und als ob der hochwürdige Herr Peverino nicht erst neulich zu meinem Vater gesagt hätte, als von meiner und Bernardo Leccia's Hochzeit die Rede war: Während des Krieges soll Romana nicht heirathen, denn Friede wird es nicht, Nachbar Montalti, darauf verlaßt Euch; aber sobald wir von diesen Franzosen uns erlöst haben, der Teufel hole sie sämmtlich und schleudere sie in seinen tiefsten Schwefelpfuhl! – dann wird in der Casa Saliceti eine Hochzeit gefeiert werden, von der das ganze Land Nebbio lange erzählen soll.
Und wie mein Vater darauf antwortete: Ich kann's mir wohl denken, woher der Bräutigam kommt. Nicht aus unserer Paese, sondern vom Cap Corso herüber, von Bastia her, wo die feinen Leute jetzt französisch sprechen, da schlug der Abt Peverino mit seiner Faust auf und wurde im ganzen Gesichte so roth wie eine Blutnelke. – Was wollt Ihr damit sagen? schrie er meinen Vater an. Maledetto! Denkt Ihr etwa, die Grimaldi könnten jemals sich auf die Seite dieser Furfanti, dieser Franzosen werfen, die uns eben so behandeln wollen, wie die Genuesen es thaten? Corpo di Bacco! ist Leone Grimaldi nicht Paoli's beste Hand, und Achill, sein Bruder – Ihr sollt sehen, Montalti, daß der vom echten Stamme ist, um Romana zu verdienen.«
Bei ihren letzten Worten lachte Maria auf und rief dann ihrer schweigend horchenden Freundin zu:
»Siehst Du wohl, kleine Romana, daß ich Alles weiß und mir nichts verborgen blieb? Da sitzest Du nun hier, und es gefällt Dir nicht, einsam zu sein. Voller Sehnsucht ist Dein armes Herz; ich weiß es ja, wie es thut, wenn Bernardo mich verlassen hat. Er wird aber kommen, Romana, bald wird er bei Dir sein, und dann wird es Dir nirgend besser gefallen als in der Paese Oletta und in der schönen Casa Saliceti.«
Romana hielt ihre Augen auf Maria geheftet, allein sie lächelte nicht zu deren Tröstungen, sondern blickte ernst und nachdenklich und sagte zuletzt:
»Ich möchte Dich wohl Etwas fragen, Maria.«
»So frage!« versetzte diese.
»Wenn Du hörtest, Bernardo käme nicht, was würdest Du thun?«
»Ich würde böse sein und traurig, ich würde weinen und schmähen.«
»Und wenn er Dich nicht liebte, sondern eine Andere. Wenn er Dich verließe?«
Maria's Augen funkelten wie glühende Kohlen, ihr schönes Gesicht verzerrte sich, und ihre Hände ballten sich zusammen.
»Madre de Dio!« schrie sie erblassend. Dann lachte sie plötzlich auf und rief: »Das kann nicht sein, daß wird niemals geschehen! Eher stürzten alle Berge Corsika's zusammen, ehe Bernardo mich verließe.«
»Aber wenn er stürbe, wenn er niemals wiederkäme?« fragte Romana, immer mit großen starrblickenden Augen.
»Sprich nicht so; Gott und die heilige Jungfrau werden ihn beschützen!« antwortete Maria, indem sie ihre Hände faltete und auf ihre Brust preßte. »Ach! ich denke oftmals daran, denn Bernardo ist kühn, er ist ein Corse. Wenn Pasquale Paoli's Männer ihn rufen, wird er sich nicht verstecken. Er wird sterben, Romana, wie Dein Bruder gestorben ist, seine Brust dem Feinde zugekehrt.«
Romana schwieg einige Minuten.
»Wenn Du hörtest von seinem Unglück,« fragte sie darauf, »was würdest Du dann thun, gute Maria?«
»Was ich thun würde?« schrie Maria, in wilder Leidenschaft ihre Arme und ihren Kopf zum Himmel erhebend, als sei das Unglück schon geschehen. »O! ihr Heiligen, ich weiß es nicht, aber ich könnte es nicht ertragen!«
In diesem Augenblicke drangen die Töne eines Hornes in das Zimmer und bewirkten, daß das Gespräch der beiden jungen Mädchen plötzlich aufhörte.
»Was ist das?« rief Maria, indem sie aufsprang und wieder horchte.
»Soldaten kommen,« sagte Romana.
»Nein,« erwiederte Maria, »von den Bergen tönt es herunter, aber das ist kein corsisches Muschelhorn.«
Sie lief auf den Balcon hinaus, Romana folgte ihr nach.
Von dem Balcon aus ließ sich der ganze Halbkreis der Berge überblicken, und unzweifelhaft war es, daß die Töne von dort her, aus der Schlucht von Pietro di Tenda hervorquollen. Es konnten somit keine Franzosen sein, denn diese wagten sich nicht aus St. Fiorenzo heraus. Die Töne aber brachten bald das ganze Pieve in Bewegung. Aus allen Häusern und Hütten kamen die Menschen, hörten verwundert und schrieen sich ihre Vermuthungen zu.
Das Horn klang lustig und lieblich, allein das Lied zu dieser Melodie kannte Niemand. Es schien ein Jagdstück zu sein, oder die Begleitung zu einem Kriegsmarsche; alle Augen richteten sich daher auf den Punkt, wo der Waldpfad aus dem Kastaniendunkel hervortrat, denn an dieser Stelle mußte der Musikant zuerst erscheinen. Und stärker und stärker wurde der Schall, bis endlich man Menschen sah, nicht einen, sondern einen ganzen Trupp. Vor ihm her an der Spitze ritten zwei auf kleinen corsischen Pferden.
Die Leute von Oletta konnten nicht ganz ruhig bei diesem Anblicke sein, denn sie sahen deutlich die Gewehre und Waffen der Fremden blitzen. Nahe an hundert Bewaffnete mochten da wohl Schrecken erregen, wo einer oft schon Unheil genug anstiftete; doch nach dem ersten Beschauen erhob sich ein Jubelgeschrei. Denn diese Fremden kamen nicht allein, sie brachten den Abt Saliceti mit, der war es sicherlich, der dort neben dem Anführer auf seinem rothen, wohl bekannten Pferdchen ritt.
Nach wenigen Minuten konnte dies als eine ausgemachte Sache gelten. Die kräftige breite Gestalt des Abtes ließ sich nicht verkennen, und nun lief Alt und Jung der Schaar entgegen, welche sich rasch näherte und von den Abhängen herunter dem Kirchplatze zuzog. Zwei Hornbläser zogen vorauf, und da der eine den anderen ablöste, fehlte es nicht an Musik, bis sie endlich Beide sich vereinigten und die Soldaten geschlossene Reihen bildeten, als sie den Eingang des Dorfes erreichten.
Der Abt unterhielt sich von seinem Pferde herunter mit den Leuten, welche ihn umringten, und theilte ihnen mit, was sie wissen sollten. Er deutete dabei auch auf den Anführer, und dieser schaute keck und frisch mit lustigen Mienen um sich und sprach zu seinen Kriegern in einer fremden Sprache, welche Niemand verstand. –
»Wisset also, Freunde, Nachbarn,« rief inzwischen der Abt, »daß dieses die neue Fremdencompagnie ist, welche Pasquale Paoli, unser großer General und Gouverneur, vor kurzer Zeit gebildet hat. Es sind lauter Deutsche, meist haben sie vormals den Genuesen gedient, lauter tapfere Krieger aus einem Lande, das Preußen heißt, wo ein mächtiger König regiert, der Frederigo il grande genannt wird, weil er mit seinem kriegerischen Volke große Thaten ausgeführt, die Franzosen, die Oesterreicher und die Russen geschlagen und besiegt hat. Alle diese braven Deutschen wollen uns jetzt helfen. Pasquale Paoli hat sie zu dieser Preußencompagnie vereinigt und diesen jungen Signor, den Ihr hier seht, einen deutschen Nobile, Signor Carlo Wilda, den er besonders ehrt und liebt, zu ihrem Capitän ernannt. Er hat die Compagnie zu uns geschickt, Freunde, und es kann sein, daß er bald selbst kommt und zusieht, wie wir sie aufgenommen haben. Aber Corpo di Bacco! ich denke, er soll mit den Männern von Oletta zufrieden sein. Habe ich Recht? Soll er nicht?«
Ein Beifallsgeschrei gab ihm Antwort. Die Deutschen waren in Corsika nichts Neues, Böses und Gutes verband sich mit ihrem Namen. Vor achtunddreißig Jahren hatte Kaiser Karl VI. 12 000 Deutsche an die Genuesen verkauft, als erstes Beispiel jenes Menschenhandels, der später unter deutschen Fürsten beliebt wurde. Sie kamen mit ihren Generalen Wachtendonk und Schmettau und dem Prinzen von Württemberg, um die corsischen Empörer zu bändigen, wie nachmals 12 000 Hessen die amerikanischen Empörer bändigen sollten, aber das Eine gelang so wenig als das Andere. Die Corsen schlugen die Deutschen in mörderischen Schlachten, und schon nach zwei Jahren zogen deren Reste ab. Der Kaiser wollte Nichts mehr mit dem ungerechten Genua zu schaffen haben. Vier Jahre darauf aber landete in Corsika der wunderbare abenteuerliche Mann, welcher den Haß vom Namen der Deutschen nahm und den Corsen einen deutschen Edelmann zum Könige gab.
Theodor von Neuhoff führte sein Traumkönigreich nur einen Sommer über aus, dann zerrann es ihm unter seinen Fingern, allein von dieser Zeit an fanden die Corsen bei den Deutschen manchen tapferen Freund. Junge Edelleute kamen und kämpften an ihrer Seite in heißen Schlachten, tapfere Officiere ordneten ihre Regimenter, bildeten ihre Milizen und lehrten ihnen die Künste, mit deren Hilfe der große Friedrich seine Gegner besiegt hatte. In der letzten Zeit aber hatte der deutsche Name noch mehr in corsischer Achtung gewonnen, eben durch jene deutschen Soldaten, welche Genua früher gedient.
Die Leute von Oletta waren daher vergnügt, als die deutsche Compagnie bei ihnen einkehrte, es konnte ihnen nichts Lieberes geschehen. Die starken kräftigen Männer gefielen ihnen weit besser als die kleinen bepuderten und bezopften Franzosen, denn die Deutschen hatten nach corsischer Sitte ihr Haar lang und frei wachsen lassen. Mit Wohlgefallen schauten sie auch den jungen Anführer auf seinem flinken kleinen Pferde an. Er sah so recht aus wie ein Kriegsmann und war dabei doch freundlich, fein und schlank, mit breiter Brust und kräftigen Schultern. Sie dachten wohl, daß das einer sein müsse, der das Kriegshandwerk unter jenem großen Könige Frederigo gelernt, von dem der Abt Peverino gesprochen, und so war es auch wirklich.
Karl von Wilda war in dem Preußenlande geboren und hatte in den letzten Jahren des siebenjährigen Krieges unter den Fahnen seines gewaltigen Kriegsherrn gefochten, dann aber hatte er seiner Lust zu Reisen und Abenteuern nachgegeben, hatte Frankreich und Italien durchzogen, und dort war damals alles Volk von Pasquale Paoli's Ruhm und Ruf erfüllt, den Friedrich der Große selbst als den besten General Italiens erklärt hatte. Daß die Franzosen jetzt das kleine tapfere Volk unterdrücken und unterjochen wollten, vermehrte die Rauflust in Karl von Wilda,v denn als guter Deutscher haßte er den Erbfeind aus Herzensgrund.
In Livorno sammelte sich eben eine Schaar junger Männer, meist von gutem Stande, die den Corsen und Pasquale Paoli zu Hilfe ziehen wollten. Der preußische Officier gesellte sich zu ihnen, und sie landeten zu rechter Zeit auf dem Boden der corsischen Republik, um während des letzten Herbstes die glorreichen Gefechte und Schlachten mitzuschlagen, in welchen der stolze Graf Narbonne bis nach Bastia und an's Meer zurückgetrieben wurde. Manche dieser Fremdlinge starben für die corsische Freiheit, andere wurden der Beschwerden in dem wilden Lande überdrüssig, doch Karl von Wilda focht mit solcher Tapferkeit, daß General Paoli sich öfters seines Rathes bediente und ihm die preußische Compagnie übergab, als diese nun errichtet wurde.
Vor der Casa Saliceti ließ der Capitän jetzt Halt machen, und da er hinaufsah zu dem Balcon und sah die jungen Mädchen stehen, schwenkte er seinen Degen und verbeugte sich so ritterlich grüßend und lächelnd dabei, daß plötzlich eine dunkle Gluth Romana's ganzes Gesicht bedeckte.
Sie floh in das Zimmer zurück, und Maria folgte ihr dahin nach, indem sie lachend fragte, warum Romana davongelaufen sei.
»Ich weiß es nicht,« erwiederte das junge Mädchen, »es wurde mir plötzlich bange.«
»O,« sagte Maria, »wenn Achill Grimaldi gekommen wäre statt dieses Deutschen, so wärest Du nicht davongelaufen, sondern ihm entgegengesprungen; aber das hilft Alles Nichts, kleine Romana, Du mußt Dich darein schicken und diesen Fremden um Dich dulden. Denn sieh doch hin, alle Leute drängen sich, den Einen und den Anderen als Gast mit nach Haus zu nehmen; der Oheim aber nimmt sich diesen jungen Capitäns, wie es Recht ist, dafür ist er der Erste in Oletta, die Casa Saliceti das stattlichste Gebäude und dieser Signor Tedesco obenein der allerschönste unter Seinesgleichen, die mir gar nicht gefallen.«
So plauderte Maria, indem sie an der Schwelle stehen blieb und hinabschaute, wo wirklich die Vertheilung der Soldaten jetzt stattfand. Die corsische Gastfreundschaft, welche so berühmt ist, zeigte sich hierbei von bester Seite. Jeder wollte Antheil an den Gästen haben, und schnell waren sie untergebracht, so daß, wer zu spät kam, zankte und lärmte und eine ehrliche Theilung verlangte. Die Deutschen sahen sich zuweilen von Dem beim rechten und von Jenem beim linken Arm gepackt und unter hartnäckigem Streit um die besten Rechtsansprüche hin- und hergezogen. Frauen und Mädchen winkten ihnen zu, ihnen zu folgen, und Gelächter und Geschrei dieser schnellen lebendigen Zungen füllten den Platz, bis die Buben die Gewehre der Männer packten und forttrugen und im Triumph der Gefangene nachgeführt wurde.
Die Soldaten aber waren meist lange genug schon auf der Insel, um die Sprache des Volks zu sprechen und sich mit ihren Wirthen zu verständigen. Sie ähnelten diesem Volke auch durch ihre Tracht, denn sie trugen sämmtlich den weiten kurzen Rock, den Pelone, aus der schwarzen Wolle des Landes, Mützen von corsischem Eberfell und lange Ledergamaschen bis zum Knie. Im Gurte um ihren Leib aber steckten zwei Pistolen und ein breites Dolchmesser, vorn hing daran die Kugeltasche; so sahen sie wie die Corsen selbst aus und wurden um so mehr auch als Brüder behandelt. Auch den Officieren fehlte dies Alles nicht, nur daß an ihren Kragen eine schmale Goldtresse saß.
Als der Abt Saliceti nun den jungen Capitän ersuchte, ihm in sein Haus zu folgen, warf dieser die Kugelbüchse über seine Schulter, überließ sein kleines Pferd den Leuten des Hauses und stieg dem kräftigen Wirthe nach die Treppe hinauf, wo der Abt die Thür öffnete und ihn in das Wohnzimmer führte.
»Wo bist Du, Romana? Komm her, mein Kind!« rief er hinein, »hier bringe ich Dir einen Gast. Oho, Du hast solchen Besuch nicht erwartet.«
Romana eilte auf ihn zu, und er breitete seine Arme aus und küßte ihre Stirn, indem er das Kreuzzeichen über ihrem Kopfe machte. Dann wandte er sich an seinen Begleiter, streckte seine Hand ihm entgegen und fuhr fort:
»Seid uns Allen willkommen, mein Herr, in diesem Hause, und Gott segne Euern Eingang! Ihr sollt uns lieb und werth sein, so lange Ihr bei uns verweilt: mögen wir frohe Tage beisammen verleben. Jetzt aber fort mit dem Krame da vom Tische, Ihr Mädchen,« rief er dann, sich zu diesen wendend. »Schaffe Wein herbei, Brot, Fleisch und was Du sonst hast, Romana; denn unser Gast wird hungrig und durstig sein, und ich bin es auch.«
Maria Montalti nahm rasch ihr Nähzeug und was dazu gehörte und folgte Romana nach, die sich entfernte, um ihres Onkels Gebote zu erfüllen, und als sie zurückkehrte mit einer Dienerin, welche Geräthe, Speisen und eine langhalsige bauchige Flasche voll feurigem corsischem Malvasier trug, saßen die beiden Männer schon am Tische, in ihrer Unterhaltung über den Präsidenten Paoli, über den Staatsrath und über die Franzosen und deren Pläne begriffen.
Da es corsischen Frauen nicht geziemt zu sprechen, wo Männer beisammen sind, auch ihre Stellung eine so zurückgezogene und streng häusliche war, daß, wenn Gäste den Hausherrn beehrten, sie nicht mit diesen am Tische das Mahl theilten, wenn nicht besonders dazu aufgefordert, so zog sich Romana zurück in einen Fensterwinkel, saß dort und häkelte an einer Mandile, dem artigen schönen Kopftuch, während ihre Augen ab und zu den Fremden betrachteten und ihre Ohren auf seine Worte lauschten.
Was sie erfuhr, war ungefähr Folgendes. Ihr Oheim hatte gestern schon einen Brief erhalten, welcher ihm anzeigte, daß die deutsche Compagnie nach Oletta kommen würde, auch hatte er darüber mit dem Podesta der Gemeinde gesprochen, doch waren Beide übereingekommen, so lange zu schweigen, bis man mehr erfahre: denn wenn sich Gerüchte über die Besetzung des Ortes verbreiteten, konnten die Franzosen in St. Fiorenzo davon hören und wohl gar solchen Vorwand benutzen, um selbst Soldaten nach Oletta zu schicken, wie dies lange schon befürchtet wurde.
Am Morgen war der Abt nach Pietro di Tenda hinaufgeritten, um zu vernehmen, was man dort wohl wissen möchte, doch kaum angelangt, kam Nachricht, daß die Compagnie im Anzuge sei. So führte er sie selbst nach Oletta und überraschte seine Mitbürger, wohl wissend, wie leicht und ohne alle Vorbereitung die Leute versorgt sein würden. Nun aber saß er hier, sein Glas in der Hand, und hörte zu, was sein Gast ihm über den eigentlichen Zweck dieses Marsches vertraute. Sein Kopf wurde dabei immer dicker und röther, seine Adern schwollen auf, und ab und zu machte er so heftige Geberden und schrie sein maledetto! mit solcher Gewalt, daß man wohl sah, das Volk hatte nicht eben Unrecht, wenn es ihn Peverino nannte.
»Schon seit länger als einem Monate,« erzählte der Capitän, »unterhandelte General Paoli mit dem General Marbeuf, nachdem die früheren Unterhandlungen mit dem Marquis Chauvelin mißglückten.«
»Der Teufel hole alle Unterhandlungen!« schrie der Abt, »niemals hätte man daran denken sollen.«
»Was sollte der Präsident machen?« versetzte der Capitän achselzuckend. »Alle Hoffnungen auf Englands Beistand sind verloren.«
»Colpo di tuono! sind wir uns nicht selbst genug? Sind nicht alle Corsen bereit zu sterben bis auf den letzten Mann?« wetterte der Abt.
Der Capitän zuckte abermals die Achseln und fuhr dabei fort:
»Der Präsident wünschte sein Vaterland vor Untergang sowohl wie vor Schande zu bewahren. Er schlug früher schon vor, daß Corsika den König von Frankreich als seinen Schutzherrn anerkenne, wenn den Corsen dagegen ihre freie Verfassung bestätigt werde. Davon wollte Chauvelin Nichts wissen, statt dessen aber wurde ein Mordversuch auf den Präsidenten gemacht. Der Sohn seines eigenen Canzlers Massesi hatte sich erboten, ihn umzubringen.«
»O, diese Verräther! diese elenden Schufte! Die Franzosen hatten ihn dazu verlockt!« schrie der Abt. »Sie haben es von den Genuesen gelernt, wie man Mörder anwirbt.«
Der Capitän schüttelte den Kopf.
»Die Franzosen sind nicht daran schuld, hochwürdiger Herr,« sagte er, »daß Pasquale Paoli, der edelste, großmüthigste Mensch, sich mit einer Wache umringen muß, um sein Leben vor Mörderdolchen zu beschützen; sie sind auch nicht daran schuld, daß der Präsident seine Fenster verbarricadiren muß, damit keine Kugel hineindringt und ihn tödtet, oder daß er niemals sagen darf, wohin er geht und wo er sich aufhält, um nicht auf der Landstraße überfallen und niedergemacht zu werden. Sie sind endlich auch nicht schuld daran, Herr Abt Saliceti, daß er bei Tag und Nacht mit sechs großen grimmigen Wolfshunden sein Zimmer theilt, die seine Leibwache bilden.«
»Eh!« sagte der Abt verdrießlich, »wir leben in bösen Zeiten, aber die Fremden sind von je die Ursachen zu allem Schlechten gewesen.«
»Nein, nein!« lachte der junge Soldat. »Die Fremden sind zwar an sehr vielem Unheil schuld, das hier geschehen, doch von jeher haben die Corsen sich das größte Leid selbst angethan.«
»Signor!« schrie der Abt mit flammenden Blicken, »ich rathe Euch, laßt das keinen Corsen wieder hören.«
»Ehrwürdiger Herr,« antwortete der junge Soldat unerschrocken, »ich habe gewiß keine Absicht, Euch zu beleidigen, ich wiederhole, was der Präsident selbst mit Betrübniß sagt: Die Corsen haben edle, herrliche Eigenschaften, die höchste Vaterlands- und Freiheitsliebe, aber ihr übertriebenes Ehrgefühl und Rachegefühl sind ihr Unglück. Von Sampiero's Zeiten ab haben die größten Helden dieses Landes immer auch ihre Mörder gefunden. Wie aber könnte Pasquale Paoli ohne Todfeinde sein, er, der jedes Unrecht, jede Gewaltthat als ein unerbittlicher Richter straft und keinen Uebelthäter schont, mag dieser sein nächster Verwandter sein.«
Der Abt Peverino stützte seinen Kopf in seine Hände, hörte zu und wurde ruhiger.
»Das ist wahr,« sagte er. »Pasquale hat seinem eigenen Vetter den Kopf abschlagen lassen, und Feinde haben wir Alle. Kein Corse vergiebt eine Beleidigung, doch mag man sagen, was man will, die Rache hat auch ihr gutes Recht. Aber fahrt fort, Signor Capitano, erzählt mir, wie Pasquale weiter unterhandelte.«
»General Marbeuf,« erwiederte der Capitän, »machte es ganz eben so wie Chauvelin. Er gab immer neue halbe Antworten und sprach von der Gnade und Großmuth seines erhabenen Monarchen, der diesen Aufruhr verzeihen werde!«
»Demonio!« schrie der Abt mit erneuter Wuth. »Wir wollen von diesem erhabenen Monarchen keine Gnade oder Großmuth. Die Pest über ihn!«
»Ein Franzos ist immer höflich,« lachte der Capitän, »auch wenn er dabei den Strick zusammendreht, an welchem er seinen Gegner hochachtungsvoll aufhängen will. Während Marbeuf bewundernde Briefe an den Präsidenten schrieb, landeten immer mehr Franzosen, bis deren über 30 000 beisammen waren und in letzter Woche nun auch der neue Oberbefehlshaber, Graf de Vaux, in Bastia eingetroffen ist.«
»Ist er da?« rief der Abt, »ich kenne ihn recht gut. Vor mehr als zwanzig Jahren war er bei uns, als Malebois das corsische Volk vor den Grausamkeiten der Genuesen schützte. Damals waren die Franzosen beliebt und unsere Freunde, und der junge Graf de Vaux ein Mann, der alle Herzen bezauberte.«
»Jetzt kommt er, um diese bezauberten corsischen Herzen einzupacken und nach Paris zu schicken,« spottete der muntere Officier, »damit die neue königliche Maitresse, Madame du Barry, und der gesammte Hirschpark sich daran erfreuen mögen.«
Abt Peverino verstand diese Spötterei nicht ganz, aber er faßte im Ganzen doch den Sinn, schüttelte seinen rothen mächtigen Kopf, stampfte sein Glas auf und rief:
»Wir sind ehrliche, sittsame Leute auf unserer abgelegenen kleinen Insel. Verlangen nicht nach dem Glanz von Paris und leichtfertigem, nichtsnutzigem Leben, sondern wollen bleiben wie unsere Väter. Ich hoffe auch, so wird es geschehen. Graf de Vaux wird uns helfen, Signor Capitano, immer war er unser Freund, von edlem Sinn, tapfer und stolz. Benedetto la santa Vergine! daß er gekommen ist, er wird den Vertrag abschließen, der uns unsere Freiheit und unsere Rechte erhält.«
»Darauf kommt es allerdings jetzt an,« sagte Capitän Wilda, »und ich will wünschen, daß Ihr Recht behalten mögt. Graf de Vaux hat sogleich an den Präsidenten geschrieben und eine Unterredung von ihm verlangt.«
»Seht Ihr wohl!« schrie der Abt mit Lebendigkeit. »Was sagte Pasquale Paoli dazu?«
»Er hat die Einladung angenommen, und eben um deswegen bin ich mit meiner Compagnie hierher geschickt worden.«
»Was!« schrie der Abt, indem er von seinem Sitze aufsprang, »um dessentwegen seid Ihr hier? In Oletta soll diese Unterredung stattfinden?«
Der Capitän bestätigte dies, so weit er es thun konnte, indem er mittheilte, was er selbst darüber vernommen. Die Unterhandlungen seien im Gange. Der Präsident Paoli habe Oletta vorgeschlagen, und wohl zu glauben sei, daß Graf de Vaux dies annehme. Wann jedoch die Versammlung stattfinden werde, darüber wußte er Nichts zu sagen. Es konnte morgen schon geschehen, doch eben so gut erst in längerer Zeit oder auch gar nicht. Er hatte den Auftrag, in Oletta so lange zu bleiben, bis er andere Befehle empfange; darauf bat er den Abt, zunächst über das, was er ihm mitgetheilt, zu schweigen, damit nicht voreilig Lärm darüber entstehe.
Indem er dies sagte, hörte er ein Geräusch, und er sah sich um und erblickte in dem Fensterwinkel Romana sitzen.
»Oho!« rief er, sich gegen den Geistlichen wendend, »wir sind nicht allein gewesen, hochwürdiger Herr.«
»Habt Ihr mir ein Geheimniß mitgetheilt, mein Herr?« fragte der Abt.
»Nein, reverendissimo Signor,« antwortete der Capitän, »denn wäre mir Schweigen geboten, so würdet Ihr Nichts davon erfahren haben.«
»Mein lieber Herr,« unterbrach ihn der Abt, »Ihr seid ein Fremder und wißt nicht, was in Corsika Sitte ist. Seid außer Sorge um Alles, was Ihr spracht. Wenn ich zu meiner Nichte Romana sage: Du schweigst über diese Sache, Mädchen, so ist dies so gut, als legte ich sieben Schlösser vor ihre Lippen. Ich könnte jedoch eben so wohl auch meine ganze Gemeinde zusammenrufen, theilte ihr mit, was ich von Euch erfuhr, und spräche dann: Freunde, wir müssen es für uns behalten, weil es des Vaterlandes Heil so nöthig macht; Alles will. ich verwetten, was mein ist, daß der heilige Petrus selbst keine Silbe davon erführe.«
Der Abt sprach dies voller Zuversicht, aber der Capitän schien dennoch daran zu zweifeln.
»Die Corsen sind freilich als verschwiegene Leute berühmt,« sagte er, »ich möchte jedoch diese Tugend auf keine allzu harte Probe stellen. Was Viele wissen, ist immer schlecht bewahrt, und an Verräthern hat es auch in Corsika selten gefehlt.«
Der alte Priester schleuderte ihm einen stolzen Blick zu, allein der Deutsche kehrte sich nicht daran. Der corsische heiße Wein mochte ihn noch unbekümmerter und offenherziger machen, als er sonst schon war. Er nahm sein Glas auf und sagte zu dem hitzigen Abt:
»Treue soll leben und Falschheit verderben! Unser deutsches Volk ist auch berühmt wegen solcher Tugend, dennoch am besten, man verläßt sich auf sich selbst, als auf andere Menschen.«
»Oho!« rief der Abt, »Ihr glaubt nicht, wie ich sehe, weder an Weib noch an Mann, hier aber, Signor Capitano, sind beide von großer Treue. Wir haben viele Beispiele, wo Frauen und Mädchen ihre Männer und Geliebten bis auf Blut und Leben vertheidigten und durch keine Versprechungen, durch keine noch so große Belohnungen oder durch die schrecklichsten Qualen bewogen werden konnten, sie zu verrathen.«
»Ich glaube es, ehrwürdiger Herr, ich glaube es!« lachte der junge Soldat. »Ich habe davon gehört, wie Gaffori's Frau voller Heldenmuth ihr Haus und ihre Kinder gegen die Genuesen drei Tage lang vertheidigte, bis es durchlöchert war wie ein Sieb, aber ich habe auch gehört, daß die jungen Damen in Bastia die Franzosen gar nicht besonders hassen, vielmehr ganz vergessen sollen, daß es Feinde ihres Vaterlandes sind.«
»Cospetto!« schrie der Abt, »Ihr habt eine böse Zunge. Komm her, Romana, sage uns, was Du darüber denkst. Du bist lange Zeit in Bastia gewesen. Glaubst Du, daß es dort so schlechte Mädchen und Weiber giebt?«
Romana hatte das Gebot ihres Onkels befolgt, war näher gekommen und setzte sich nun an den Tisch. –
»Warum soll es deren nicht geben, Onkel, sowohl hier wie überall,« antwortete sie ihm. »Giebt es doch auch manche Männer, die es mit den Franzosen halten.«
»Verdammte sind es! Verfluchte, die dafür ewig in der Hölle brennen müssen!« schrie Peverino. »Jeder mag ihnen das Messer in die Kehle stoßen, wo er sie findet. O Signo Ufiziale! ist die Rache nicht gerecht, wenn sie solchen elenden Verräther zu Boden streckt? Wenn ein Corse den Feinden seines Vaterlandes anhängt, ist er nicht werth, von tausend Messern durchstochen zu werden? Sprich, Romana, könntest Du jemals einem Fremden Deine Hand geben?«
Romana zögerte einen Augenblick mit der Antwort, sah den Onkel Peverino an, darauf auch den Gast, lächelte und sprach mit ihrer sanft klingenden lieblichen Stimme:
»Die heilige Jungfrau möge mich beschützen! Einen Feind meines Vaterlandes möchte ich niemals meinen Freund nennen.«
»Richtig, mein Mädchen, richtig!« rief der Abt, »so war's gemeint,« und indem er sich gegen den deutschen Capitän wandte, fügte er hinzu: »Sie nimmt unsere Freunde aus, mein lieber Herr, wie es sich schickt und gebührt. Auch Ihr seid Corsika's Freund. Darum auch unser Freund, dem wir mit Treue anhängen, und den wir ehren wollen zu jeder Zeit! Darauf laßt uns unsere Gläser leeren.«
Romana mußte ebenfalls ein Glas nehmen und von dem süßen Weine nippen. Dann wurde der Abt hinausgerufen, es kamen Leute, die ihn sprechen wollten; so blieb Capitän Wilda mit dem artigen corsischen Mädchen allein, welchem er jetzt erst seine Aufmerksamkeit schenkte.
Gewöhnlich sind corsische Frauen scheu und schweigsam, wenn fremde Männer im Hause sind, aber die meisten sind fröhlichen Gemüths, und sobald ihre Bekanntschaft gemacht ist, auch zwangslos mittheilsam. Sie können alle die Cither spielen, Serenaden und Lamentos singen, wissen über ihres engen Lebens Freuden und Leiden zu plaudern, das Mandile in zierliche Falten zu legen, die Faldetta artig zu werfen, Sonntags in und um die Kirche zu spazieren und ihren Rosenkranz eifrig zu beten. Aber wie noch jetzt Schreiben und Lesen bei dem Volke ziemlich ungewöhnliche Künste sind, so war dies damals selbst bei den Männern selten zu finden. Paradiesische Vergessenheit lag über Corsika; die dunkeln Köpfe mit den dunkeln Augen wußten meist blutwenig oder Nichts von der ganzen übrigen Welt.
Karl von Wilda wurde daher sehr überrascht, als Romana sich zu ihm wandte und mit ihrer klaren, hellen Stimme fragte:
»Ihr seid also ein Deutscher, mein Herr, aus dem großen Lande, das hinter dem Lande der Franzosen liegt.«
»Das bin ich,« erwiederte er mit vieler Freundlichkeit, »habt Ihr von Deutschland Etwas gehört, Donzella Romana?«
»Ich habe davon Mancherlei gehört,« war ihre Antwort, indem sie ihn mit den großen, blauen Augen freundlich anschaute. »Es ist ein weit reichendes schönes Land jenseits eines großen Stromes, der Reno heißt, und es leben viele Millionen Menschen darin in vielen herrlichen Städten. Viele Forsten giebt es dort und reiche mächtige Herren, über Alle aber gebietet ein Kaiser, dessen Hauptstadt Vienna heißt.«
Karl von Wilda erstaunte über diese ungewöhnlichen Kenntnisse im Munde dieses jungen Mädchens, denn er hatte manche angesehene Männer kennen gelernt, welche von Deutschland kaum den Namen wußten und keine Ahnung hatten, wo dies fabelhafte Land wohl liegen könnte. Er blickte Romana dafür mit verdoppelter Theilnahme an, und als er in ihre Augen sah, bemerkte er, daß dies schöne strahlende Augen seien, auch bemerkte er erst jetzt ihr gelbes Haar in dem schwarzen Netze und ihre weiße, breite Stirn.
Der junge Capitän besaß kein zärtliches Herz, er sah nicht viel nach den Mädchen, und während seines abenteuerlichen Lebens auf dieser Insel hatte er wenig Gelegenheit gehabt, weiblichen Umgang zu pflegen. Den letzten Herbst über bis zur Winterszeit gab es Kämpfe und Gefechte in Fülle, nirgend aber einen Ort, wo geselliges Familienleben sich für einen Fremden geöffnet hatte. Der Präsident Pasquale Paoli war nicht verheirathet, die Männer, welche ihn umgaben, zum Theil ebenfalls nicht oder in fernen Gegenden der Insel angesessen, die Frauen endlich, meist untergeordnet und zu den Lasten des häuslichen Lebens verurtheilt, kamen kaum je in die Gesellschaft. Auffallend war es dem Capitän daher, hier plötzlich ein Mädchen zu finden, das ihn nicht allein anredete, sondern auch an Geist und Wissen ein ganz anderes Wesen zu sein schien, als ihm bisher vorgekommen.
Romana Saliceti sah mit ihren großen blauen Augen so sanft und so verständig aus, als käme sie aus einer anderen Welt. Je länger er sie anblickte, um so bekannter kam sie ihm vor, als habe er in der Heimath wohl schon ein ähnlich Bild gesehen. Er fühlte ein plötzlich Vertrauen, oder dies entstand aus den zutraulichen Blicken, welche sie auf ihn heftete.
»Wie sehr mich das freut, Jungfer Romana,« sagte er, »daß Ihr mein Vaterland kennt, und daß es Euch gefällt, vermag ich kaum zu sagen, doch fast eben so sehr bin ich erstaunt, denn ich weiß es mir nicht zu erklären, wie das möglich sein kann.«
»Dies ist nicht schwer zu erklären,« versetzte sie lächelnd. »Ich bin lange Zeit in Bastia gewesen im Hause meines Verwandten, des Herrn Grimaldi, eines der Räthe vom hohen Gerichtshofe. Dieser aber wurde vor Jahren nach Frankreich gesandt, als der König den guten General Cursay, der es so brav mit den Corsen meinte, nach Frankreich zurückrief und in ein Gefängniß werfen ließ. Mein Verwandter, Herr Grimaldi, wurde damals nach Paris gesandt, um für den armen General und für uns selbst zu bitten, und da er lange dort verbleiben mußte, nahm er seinen jüngsten Sohn Achill mit sich, welcher damals noch ein Knabe war. Der König und seine Minister wollten uns jedoch nicht helfen, da machte sich Grimaldi mit seinem Sohne auf und ging nach Wien zu dem Kaiser der Deutschen und der schönen stolzen Kaiserin, welche dort herrscht. Sie wurden gut aufgenommen, doch Hilfe brachten sie uns auch von Wien nicht, denn die Kaiserin wollte es mit den Franzosen und Genuesen nicht verderben. Aber Achill hatte viel gesehen und gehört, und oft hat er mir davon erzählt, so habe ich von Deutschland Manches erfahren, was mir wohl gefiel.«
»Und nun will ich mich bemühen,« fiel der Capitän ein, »daß die gute Meinung, welche Ihr von den Deutschen habt, sich nicht verringern soll.«
»Ich denke nicht,« versetzte sie, ihn mit den großen Augen anblickend, »daß dies geschehen wird.«
»Nein, nein!« lachte er, »wir werden artige Gäste sein, und ich selbst verspreche, meine liebe Donzella Romana, Euch so wenig Last zu machen, als ich immer kann.«
Romana schüttelte den Kopf.
»Wir haben ein Sprichwort,« sagte sie, »das heißt: Für Deine Freunde sollst Du mehr noch thun, als Deine Feinde von Dir verlangen würden. Bleibt recht lange bei uns, mein Herr, Ihr sollt Euch überzeugen, daß wir keine Last davon empfinden.«
Erfreut darüber versprach der Capitän, gern zu bleiben, so lange es ihm gestattet sei, und sie plauderten Beide, einander wohl gefallend, unbefangen weiter, bis der Abt zurückkehrte, den Podesta Montalti und einige andere der Ortsvorsteher mitbrachte, und nun eine fröhliche Gesellschaft sich um den Tisch setzte, welche den Abend über beisammen blieb.
Am nächsten Tage hatte der Capitän Wilda seine Einrichtungen zu treffen, welche die militärische Besetzung Oletta's vervollständigten. Mit den Franzosen war kein Frieden abgeschlossen, nur eine Waffenruhe fand statt, welche jedoch durch Nichts verbürgt, jeden Augenblick gebrochen werden konnte. Der Capitän richtete eine Wache ein und fand Bereitwilligkeit genug, um Nachrichten einzuziehen, wie es unten am Golf in St. Fiorenzo herging. Alles, was er vernahm, lautete jedoch beruhigend. Die französische Besatzung war zwar sehr stark und arbeitete fleißig an den Schanzen und Thürmen, auch lagen mehrere Kriegsschiffe im Hafen, allein im Uebrigen verhielten sich die Franken ruhig.
Der Capitän konnte einen Boten an den General Paoli absenden mit einem zufriedenstellenden Bericht, dann konnte er sich ungestört den Freuden überlassen, welche die Gastlichkeit der Bewohner von Oletta ihm und seinen Leuten bereitete. Diese bestanden nun größtentheils darin, daß man sie nach besten Kräften bewirthete, mit allem versorgte, was hier zu haben, und ihnen jegliche Unterhaltung und Zerstreuung zu verschaffen suchte. Deren gab es freilich nicht viele, ein Jeder mußte sich mit dem Gebotenen begnügen.
Die große Kirche mit ihren Altären, ihren Familiengräbern und ihrem Ausputz sammt dem klösterlichen verlassenen Stiftshause war das einzige Bauwerk, das beschaut werden konnte, wer jedoch Freude empfand an den Reizen der Natur, dem boten sich viele herrliche Spaziergänge durch die gartengleichen Umgebungen bis auf hohe, jähe Felsenkuppen und durch Waldschluchten, in welche der Aliso und andere Bäche schäumend niederstürzen, zu schönen kleinen Bergebenen und Thälern mit Oliven, Feigen, zahllosen Lorbeerrosen und anderen herrlichen Bäumen und Blumen bedeckt.
Zur Sommer- und Herbstzeit, wenn die Früchte reifen, die Muskatellertrauben in wunderbarer Fülle und Schwere niederhängen, sammt Pfirsichen, Melonen und so vielen andern süßen Gaben, mochte das lustige Umherschweifen für den Genuß noch lockender sein, jetzt aber, wo der Frühling alle Knospen trieb, wo die Luft so kühl und lau, der Himmel voll paradiesischem Licht, die Erde voll paradiesischer Triebe war, konnten empfindende Menschen sich nichts Schöneres wünschen.
Gleich am ersten Tage hatte der Abt seinem Gaste die Kirche gezeigt und mit Genugthuung dessen Verwunderung über den stattlichen Bau bemerkt, den die Leute von Oletta schon in alter Zeit zu Stande gebracht; nach den rothen Felsen hinauf, welche über dem Olivengarten der Saliceta lagen, ging der Capitän jedoch, begleitet von Romana und ihrer Freundin Maria sammt deren Bräutigam, dem jungen Bernardo Leccia. Von jenen rothen Felsen und dem hochliegenden Olivenhain war die schönste Aussicht weit und breit; den muntern jungen Leuten aber wurde der steile Weg nicht beschwerlich, sie legten ihn in froher Laune zurück.
Der lebhafte Bernardo Leccia hatte wenig von der Tugend der Schweigsamkeit und des Ernstes abbekommen, welche man seinem Volke nachrühmt, oder die Liebe zu der schönen Maria Montalti machte ihn so heiter und gesprächig. Leicht auf seinen Füßen hatte er den Kopf voller Possen, und dann wieder funkelten seine dunkeln Augen in Leidenschaft, und mitten in seinen Neckereien umfaßte er die üppige Braut, um mit Liebesworten und Bitten sie zu küssen.
Romana folgte mit ihrem Begleiter lächelnd und betrachtend dem jungen Paare. Was sie Beide dachten, wußte Niemand, mehr als einmal jedoch begegneten sich ihre Blicke, und es war, als läge ein geheimes Verständniß darin, das aus ihren Herzen herüber und hinüber lief; ein unsichtbarer Faden, der sich um sie schlang und sie so innig zusammenziehen wollte, wie jene dort, die keinen Zwang fühlten. Von Anfang an war ihr Wohlgefallen entstanden, und dies verstärkte sich fort und fort. Schien es Beiden doch, als seien sie längst bekannt, und was der Eine that, erfreute den Andern.
So natürlich, einfach, dabei mild und gut, und doch begabt mit Klugheit und Gedanken war dem deutschen Edelmann noch kein corsisches Mädchen begegnet, und wie dieser Fremde, edel von Gestalt, artig und ritterlich hatte Romana noch keinen Mann gesehen. Von seinen Soldaten wurde auch Manches erzählt, was in Oletta umlief, und ihr Oheim hatte es ihr mitgetheilt. Er gehörte zu den Tapfern, mit denen Pietro Colle und Clemens Paoli in mörderischen Gefechten die Franzosen aus der Casinca trieb, und nach der Schlacht von Borgo hatte der Präsident ihn öffentlich vor allem Volke umarmt und in des Vaterlandes Namen ihm gedankt. Seine Soldaten liebten ihn leidenschaftlich, denn er war ihr bester Mann in That und Rath; streng zwar in seiner Pflicht, dabei aber jedes Andern Freund und Helfer.
Solches Lob konnte Romana nicht gleichgültig hören; auch der Abt war dem jungen Deutschen sichtlich gewogen, der furchtlos und fröhlich sich bezeigte, dennoch bescheiden und ehrerbietig. Der zornige Herr Peverino nahm es nicht übel, daß sein Gast freimüthig urtheilte, hatte er doch bewiesen, daß er corsisch dachte, und daß der Präsident ihn und seine Schaar ausgewählt hatte, Oletta zu besetzen und ihn zu beschützen, wenn es hier zu einer Zusammenkunft mit dem Anführer der Franzosen kam, war sicher auch ein Beweis, wie hoch Pasquale Paoli diesen jungen Mann schätzen mußte.
Der Abt sah den Grund wohl ein, warum keine Corsen dazu ausgewählt wurden, deren Haß gegen die Franzosen leicht zu gefährlichen Auftritten Anlaß geben konnte, wenn sie hier sich begegneten. Die Franzosen hatten manche schlimme That begangen, Dörfer niedergebrannt, um den Aufruhr zu strafen, Menschen erschossen und qualvoll hingerichtet, die sich ihren Befehlen widersetzten. Diese Deutschen aber besaßen Mannszucht, und ihr Capitän war bei aller seiner Tapferkeit ein Mann, dem das glühende corsische Blut in den Adern fehlte, denn wie sollte dieser Nordländer dazu kommen?
Romana erinnerte sich, während sie neben ihm ging, an Alles, was ihr Oheim gesagt hatte. Sie dachte auch daran, daß ihr eigener Bruder, der tapfere Vertheidiger von Furiani, Carlo geheißen, und es kam ihr vor, als ob sie um dieses geliebten Todten willen diesen Fremden so gern sähe; denn die geschwisterliche Liebe auf dieser Insel ist eine heilig schöne, und der älteste Bruder besonders Gegenstand der innigsten Verehrung.
Sie fragte den Signor Carlo, ob er auch Geschwister habe, und war erfreut, als er ihr von seiner Schwester erzählte, die er in der Heimath zurückgelassen. Er mußte ihr deren Namen nennen, den sie bedächtig lächelnd nachsprach, denn diese Schwester hieß Gertraud, und sie ergötzte sich an dem fremdartigen Klang.
Dann nannte sie ihm die Namen aller ihrer Verwandten, er aber fand, daß Romana der schönste sei, und sprach ihn mit seiner fremden schweren Zunge so eigenthümlich aus, daß sie darüber lachen mußte, und doch drang der Ton ihr süß bis in ihr Herz hinein. Er wiederholte ihn vielmals, als wollte er ihn sich einprägen, und sie hörte es mit immer neuem Vergnügen.
So folgten sie Bernardo und Maria nach, die voranliefen und genug mit sich selbst zu schaffen hatten. Romana hatte mancherlei Fragen zu thun über das ferne Land, aus welchem dieser freundliche Signor stammte, und er hatte immer wieder Etwas mitzutheilen, daß sie in Erstaunen setzte, bis sie an eine Stelle gelangten, wo der Weg steil aufwärts ging.
Hier strauchelte Romana, und da sie auf ihr Gewand trat, würde sie gefallen sein, wenn der gefällige Capitän sie nicht in seinen Armen festgehalten hatte. Es war nur ein Augenblick gewesen, wo er sie so umschlossen hielt und ihr Herz unter seinen Fingern pochen fühlte, aber dieser Augenblick war entscheidend. Er beugte sein Gesicht zu ihr nieder, und ihre strahlenden Augen leuchteten, wie mit Sonnenglanz gefüllt, über ihn hin. Zugleich damit hatte sich Maria umgeschaut, und mit Bernardo im Vereine lachten Beide aus Herzenslust und klatschten in ihre Hände.
»O! welch' ein Anblick,« rief Maria, »die kleine Romana hängt am Halse des fremden Herrn. Wenn das gewisse andere Leute sähen, wie würden sie sich entsetzen. Aber das kommt von den französischen langen Röcken, das kommt davon, wenn man keine ehrbare Faldetta trägt. Wer weiß, was wir noch erleben können!«
Vor diesen Spöttereien wurde Romana's ganzes Gesicht roth, doch gleich wieder war sie ohne Verlegenheit, dankte dem Signor und lief nun so sicher und schnell über das Geröll allen Anderen voran, als wollte sie beweisen, daß es an ihrer Tracht nicht gelegen habe.
Der Capitän folgte langsam nach, er hatte nur halb verstanden, was Maria spottete, und seine Gedanken beschäftigten sich mit Romana. Wie sie ihn angesehen mit den großen leuchtenden Augen, das brannte gleich einem Feuerstrom in ihm, der den Weg bis in seine Eingeweide gefunden. Eine Gluth tobte in seinen Adern, als sei er zum Corsen geworden; dagegen aber sträubte sich sein deutscher Kopf gleich auf der Stelle und mahnte ihn zur Besonnenheit.
Welche Thorheit wäre es, sagte dieser zu ihm, wolltest Du einen Liebeshandel mit diesem Mädchen beginnen. Wohin sollte es führen? In wenigen Tagen schon wirst Du sie verlassen und niemals wahrscheinlich zurückkehren. Ein schöner Dank aber wäre es für diese angesehene Familie, wenn Du diesem liebenswürdigen Kinde Kummer und Trauer bereiten oder gar sie betrügen wolltest. – Betrügen? Nimmermehr! rief er empört über diese Vorstellung, und während er weiter ging, fuhr er fort, darüber nachzusinnen, was Ernst wohl sein könnte und was die Folgen.
Aber jedem Ernst setzten sich sofort vernichtende Widersprüche entgegen, die endlich ein Lachen auf seine Lippen brachten. Der junge deutsche Edelmann hatte seinen Zug in's Corsenland als eine romantische Episode betrachtet, die ein Cavalier seinem Leben wohl anhängen durfte. Wenn er auf dem Bette der Ehre für die Corsen und ihre Freiheit starb, so theilte er dies Loos mit manchem andern Sohne berühmter Geschlechter, die, vom ritterlichen Geiste getrieben, Thaten und Schlachtfelder suchten; aber ein corsisches Landmädchen zu heirathen, stammte sie auch aus dem alten Bauernadel der Caporali, waren ihre Verwandten in den Städten auch Räthe und Doktoren, schien gleichwohl unmöglich.
Sollte er in diesem Felsenwinkel sich etwa niederlassen, ein Bauer werden und in dieser halbwilden Insel sein Dasein beschließen? Er fühlte einen Schauder davor trotz aller Feigen und Oliven, aller Kastanien, Orangen und lieblichen Düfte und Früchte. Von allen Seiten schrie es: nein! in seine Ohren, und er lachte dazu und stieg eilig weiter, wo am Eingange des Olivengartens der Saliceti ihn die Gefährten erwarteten und über seine Langsamkeit spöttelten.
»Hier werdet Ihr Etwas sehen, mein Herr,« sagte Bernardo darauf, »was Ihr in Eurem Vaterlande noch niemals sahet. Olivenbäume wie die Kastanien groß und von fast eben solcher Stärke und Blätterkrone.«
»In meinem Vaterlande, mein lieber Bernardo, giebt es gar keine Oliven,« antwortete der Capitän.
»Keine Oliven!« rief der junge Corse erstaunt. »Giebt es auch keine Feigen, keine Mandeln, keine Orangen, keine Kastanien bei Euch?«
Als Karl von Wilda dies Alles nach einander verneinte, malte sich mit dem verächtlichen Mitleid über das arme elende Germania zugleich der Stolz auf sein reiches schönes Vaterland in den Mienen und Blicken des jungen Corsen.
»Misericordia!« rief er aus, »wovon lebt dies unglückliche Volk?«
»Von seinen Feldern und seinen Heerden, von seinen Fruchtbäumen und seinen Gärten, wie Ihr,« antwortete der Capitän, »und es leben viele Millionen Menschen davon. Freilich aber,« setzte er hinzu, »blüht und wächst dort Alles nicht so leicht und mühelos wie hier, sondern die Menschen müssen von früh bis spät fleißig arbeiten, wenn sie leben wollen.«
»Und Eure Wälder bestehen nicht aus Kastanien- und Walnußbäumen?«
»Es wachsen nur Eichen, Buchen und Pinien darin.«
»Der Boden ist nicht mit Blumen bedeckt?« fragte Marie.
»Der Boden ist wenig dazu geeignet; oft liegt Monate lang der Schnee darauf.«
»Schnee!« schrie Maria entsetzt. »lebt Ihr im Schnee wie die wilden Schafe, die Muffoni, auf dem Monte Rotondo?«
»Und warum kann ihn die Sonne nicht schmelzen?« fragte Romana.
»Die Sonne hat keine Macht dazu, ihre Strahlen sind kalt.«
»O, meine liebste Maria!« rief Bernardo, »wie glücklich sind wir, nicht in jenem schrecklichen Lande geboren zu sein, wo die Sonne kalt ist, die Menschen im Schnee leben müssen, wo es weder Blumen noch Oliven und Kastanien giebt, und wo sie, um ihr armseliges Leben zu fristen, wie Thiere arbeiten müssen.«
»Ja, ja!« rief Maria, »um alles Gold in Bastia möchte ich nicht dorthin ziehen. Wie könnt Ihr doch der gnädigen Jungfrau danken, mein Herr, daß sie Euch nach Corsika geführt hat, wo es schöner ist als im Paradiese!«
»Ihr habt wohl Recht, und ich danke ihr auch,« erwiederte der Deutsche lächelnd, »allein bei alledem werde ich dennoch mein Vaterland nicht vergessen, und ob ihm auch Oliven und Mandeln fehlen, wird's mich immer doch nach ihm verlangen.«
»O,« rief Maria ungläubig zweifelnd, »Ihr möchtet doch nicht dahin zurückkehren?«
»Ei gewiß!« sagte Karl von Wilda, »wenn ich am Leben bleibe, so wird es sicherlich geschehen. Dann ziehe ich in das Land, wo es Arbeit, Schnee und kalte Sonne giebt, um darin froh und glücklich zu werden.«
Bernardo und Maria warfen sich Blicke zu, als sei es nicht recht richtig im Kopfe dieses deutschen Herrn, der aber fortfuhr:
»Seht, meine Freunde, es giebt in dem kalten Lande keine Banditi und keine Vendetta, keine flüchtigen Verbrecher in den Bergen und keine Blutrache, sondern die Menschen gehorchen den Gesetzen, und die Gesetze schützen sie gegen Gewalt und Unrecht. Laßt es also gut sein und verachtet nicht das Fremde. In manchen Ländern wachsen Feigen und Orangen, aber die Menschen sind roh und wild und tragen schlechte Früchte. Es fehlt auch Euch noch gar Manches daran, ehe Corsika zum Paradiese wird. Behüt' Euch Gott, daß Ihr nicht die Erfahrung an Euch selbst macht.«
So freundlich sprechend und scherzend ging er durch den Olivenhain, und vor ihm ging Romana, die zu Allem geschwiegen hatte, doch seine Worte aufmerksam hörte und mit großen Augen ihn anschaute, bis sie weiterschritt. Der Olivenhain war aber wirklich selten in seiner Art, lauter hohe prachtvolle Bäume, wie Wilda sie noch niemals gesehen. Zuweilen Stämme, daß es unglaublich schien, Oliven könnten zu solcher Mächtigkeit gelangen. Ihre Kronen verflochten sich zu einem Laubdach, und ihre jungen Blätter bezeugten den Reichthum, der sich hier entfaltete.
»Dies ist ein weit berühmter Olivenwald!« rief Bernardo, »und Mancher ist schon von fern her nach Oletta gekommen, um ihn zu sehen. Ich denke, mein Herr, wenn Ihr dort oben steht, wo Romana jetzt hinaufsteigt, wird's Euch doch bei uns besser gefallen, als irgendwo in der Welt.«
Der Olivenhain zog an einem Berge hinauf und endete auf einer Feldterrasse, über welcher Kastanienwälder bis zu dem hohen Col di Tenda sich ausdehnten. Romana stand schon oben, hatte ihren Strohhut abgenommen, und Wind und Sonnenschein spielten mit ihrem goldigen Haar. Das rothe Mandile fiel von ihrem Nacken auf das blaue leuchtende Gewand, und lächelnd streckte sie ihren Arm aus und deutete vor sich hinaus in die Weite.
Was der Capitän erblickte, war bezaubernd. Das ganze Land Nebbio lag vor ihm mit allen seinen wunderbaren Reizen. Die Berge und Thäler in ihrer Pracht mit ihren Wäldern und Bächen, idyllisch schön und still, voll träumerischer Ruhe, friedensvoll und glücklich. Darunter der große herrliche Golf mit seiner tiefen Bläue, darüber der lichte Himmel, die alten Genuesenthürme im rothen Lichte, die Stadt Fiorenzo in Abendsonnengluth getaucht, die gothische Kathedrale der Bischöfe von Nebbio auf ihrem Hügel herrlich strahlend.
Und alle die rothen Klippen umher wie in Feuer flammend, um die grünen Wälder ein Glanz wie von Goldkronen; überall die Düfte von Millionen Blumen und nirgend ein lebendiges Wesen, nirgend ein Vogel, nirgend ein Ton, Nichts als die reiche, warme, farbenglühende Natur in unnachahmlicher Vollkommenheit.
Romana führte ihren Freund zu einem Steinsitze, der von Lorbeerrosen und Oleander umwuchert war, und lange schwieg sie, während er entzückt diese glanzvollen Panoramen bewunderte. Endlich aber wandte sie den Kopf zu ihm um, blickte ihn an und sagte:
»Wolltet Ihr wirklich in Euer Vaterland zurückkehren?«
»So fragt Ihr, Donzella, da ich hier sitze mit entzückter Seele, und dennoch findet Ihr mein Sehnen nicht natürlich?« erwiederte er. »Wenn der Wandervogel in den Süden fliegt, kehrt er dennoch immer wieder in sein Nest zu dem ödesten Strande zurück. So ist es mit dem Menschen und seiner Geburtsstätte. Nichts kann diese ihm ersetzen.«
»Nichts?« fragte Romana nachdenkend. »Giebt es Nichts?«
»Nein, ich weiß Nichts!«
Romana schwieg.
»Ist das gewiß?« fragte sie nach einigen Minuten.
»Ich glaube es. Würdet Ihr, meine liebe Jungfer Romana, dies Land Eurer Väter jemals verlassen können?«
Sie schien es zu überlegen.
»Vielleicht könnte ich es,« sagte sie darauf, »doch es muß schwer sein. Wann wollt Ihr fort?«
»O, dieser Tag kann lange auf sich warten lassen oder wohl niemals kommen,« versetzte der Deutsche. »Ich werde diesen Kampf ausfechten helfen, komme es, wie es komme. Bis Corsika frei ist, oder bis es zu Boden geschlagen wird, und wer weiß, wer das erlebt, wer in seinem Grabe liegt.«
»Nein,« sagte Romana, und ihre Augen füllten sich mit dem Glanze, den er vorher schon in ihnen bemerkte. »Gott und die heilige Jungfrau werden Euch beschützen.«
»Ich hoffe es,« antwortete Wilda lächelnd, »wer sollte mir denn auch die Todtenklage, den Vocero singen, da ich auf dieser fremden Erde Niemand habe, der es thun möchte.«
»Nein, nein!« rief Romana heftiger, »kein Vocero soll gesungen werden, wir haben deren genug.«
Und Romana hatte den schönsten gedichtet, als ihr Bruder Carlo gefallen war.
»Ermordet von diesen elenden Franzosen!« fiel Maria ein, die so eben herbeikam.
Es war eine unwillkommene Störung. Romana schien dies zu empfinden. Schnell stand sie auf,, wandte sich zu ihrer Freundin und fragte:
»Warum kommst Du? Wo ist Bernardo?«
»Er klettert dort am Berge hinauf,« erwiederte diese. »Schwarze Ziegen liefen unter den Bäumen. Sieh, da ist eine davon.«
Eine große Ziege sprang über die Felsen, ließ ihr lautes Gemecker hören, da sie die Menschen erblickte, und machte sich eiligst davon, ihren Gefährten nach. Aber Romana rief: »Vita! Vita!« und plötzlich kehrte die Ziege um, näherte sich und kam endlich unter Freudenbezeugungen so dicht heran, daß sie Romana's Hand leckte und wunderliche Sprünge machte.
»Nun ist es gewiß,« rief Maria, »der alte Angelo lagert dort oben mit seinen Thieren, und wir können Bernardo nachfolgen, können Angelo besuchen und uns von ihm mit Broccio bewirthen lassen, denn sicherlich hat er schon welchen in Vorrath.«
Romana schien von diesem Vorschlage sogleich eingenommen.
»Wir wollen hinauf zu Angelo,« sagte sie; »Ihr müßt uns begleiten, mein Herr. Angelo giebt uns süßen Broccio, auch ist er klug und weiß viel.«
»Wer ist er denn?« fragte der Capitän.
»Ein alter Hirt, und das sind seltsame Leute,« erwiederte Romana. »Während des Sommers wohnen sie auf den höchsten Bergen, auf dem Doro, dem Tolo und dem Monte rotundo. Dort leben sie manche Monate lang mit Gott und den Elementen in Höhlen oder Hütten; im Winter aber kommen sie herunter, wenn die hohen Berge verschneien, und hin und her ziehend suchen ihre Heerden sich Futter, bis zur Frühjahrszeit, wo sie wieder in ihr Reich zurückkehren. Angelo kommt in jedem Jahre, diesmal aber ist er frühzeitig aufgebrochen. Diese Ziege hier hat er mir geschenkt, als sie ganz klein war. Sie ist in unserer Casa aufgewachsen, dann habe ich sie ihm zurückgegeben, damit sie ihre Freiheit und ihre Gefährtinnen nicht entbehre. Denn ich denke,« fügte sie hinzu, »es geht den Thieren wie den Menschen, wohl ist ihnen nur bei Wesen, die sie verstehen und ihre Neigungen theilen.«
Indem sie die Ziege an ihrem Halsband faßte, schritt sie voran, und das Thier übernahm die Leitung, zu der Berghöhe, wo der alte Hirt Angelo mit seinen Thieren rastete. Sie führte ihre ehemalige Herrin und deren Gefolge um ein Zickzack des Berges zu einer Schlucht, in welcher bei der Regenzeit ein Gießbach herabtobte, in dessen trockenem Bett man aber jetzt ohne große Anstrengung hinaufsteigen konnte. Der Kastanienwald mit gewaltigen Stämmen breitete sein Geäst und Geblätter darüber aus, und die frische Luft, welche niederwehte, kühlte die heißen Gesichter.
Nach einiger Zeit erreichten sie einen Absatz des Berges, und hier lag ein kleines schönes Thal von rothen Felswänden eingefaßt, welche aufwärts zogen zu einer wilden Zerklüftung. Ziegen und schwarze Schafe kletterten und sprangen daran umher, und von jäher Höhe fiel ein Bach herunter, wie ein blanker Silberfaden von unsichtbaren Händen gedreht. Zugleich auch hörten sie Bernardo's Stimme und seinen Zuruf, da er sie erblickte.
Unter weit überhängender ungeheurer Felsmasse stand eine Hütte und vor derselben Bernardo mit einem Manne von seltsamem Ansehen. Es war ein Greis von riesenhafter Gestalt und mit schneeweißem Haar, das bis auf seine Schultern fiel. Ein zottiger brauner Mantel hüllte ihn ein, und auf seinem weißen Kopfe trug er die feurig rothe Berretta, die phrygische Mütze, welche alles Volk trägt. Sein faltenvolles Gesicht, braun von Farbe und mit dicken weißen Augenbrauen über den großen dunkeln Augen, sah patriarchalisch ernst und seltsam aus.
Da er Romana kommen sah, öffnete er seinen Mund zu einem Lachen und zeigte dabei ein so prächtiges Gebiß wie seine großen zottigen Hunde, die jetzt mit wüthendem Gebell aus der Campanne hervorsprangen, doch, durch einen gellenden Pfiff sofort zurückgerufen, friedfertig zur Seite schlichen.
»Evviva Romana,« rief der greise Hirte. »Benvenuto! Benvenuto!« und er streckte ihr seine gewaltigen Hände entgegen, die sie mit ihren kleinen zarten Fingern ergriff, dankbar drückte und ihn dabei voll Freundlichkeit anschaute. Es war, als ob ein Genius von einem Dämon angefaßt würde, der seine Macht verloren hatte, Böses zu thun.
»Wie geht es Dir, mein Vater Angelo?« fragte Romana. »Ich habe Dich lange nicht gesehen.«
»Du warst fern, da ich kam,« antwortete der Hirt, »und kamst, da ich gegangen war.«
»Zwei Jahre sind beinahe vergangen,« versetzte sie, »doch nun bin ich wieder hier, und wir werden uns öfter sehen.«
Angelo machte seine dunkeln Augen weit auf und blickte sie an.
»Weißt Du es, wie oft noch?« fragte er dabei.
»Wer kann es wissen, lieber alter Angelo, denn Gott allein. Fürchtest Du, daß der Krieg uns dahinraffen mag?«
»Der Krieg,« wiederholte der Greis. »Ich habe Nichts mit dem Kriege zu thun, Kind. Wo ich wohne, bei dem Fuchs und dem Wildschaf, kommen die Franzosen nicht hinauf.«
»Aber wir hier im Lande Nebbio,« sagte Romana, »wir werden von ihnen verschlungen werden.«
»Sei ruhig,« fuhr er fort, seine Blicke wieder mit starrer Festigkeit auf sie niedersenkend, »auch Dich wird der Krieg nicht hinraffen – und dennoch, dennoch« – er blieb vor ihr stehen, schwieg und sagte dann: »Nein, nein! Deine Mienen sehen glücklich aus. Kommt und setzt Euch nieder, ruhet aus und laßt Gottes Willen walten.«
So führte er Romana zu den Steinen, welche vor seiner Hütte Sitze bildeten, zwischen ihnen ein langer und breiter, der einen Tisch vorstellen konnte, und mit dem Wesen und der Würde eines Patriarchen hörte er nun an, was die Kinder der Unterwelt ihm von ihrem Leben und ihren Schicksalen mittheilen mochten. Den fremden Capitän betrachtete er mit seinen Seheraugen so forschend, wie er Romana betrachtet hatte, dann mit freundlichen Mienen lobte er ihn für seinen Edelmuth, dem armen corsischen Volk gegen dessen Feinde beizustehen, und verhieß ihm den Beistand Gottes; als aber Bernardo und Maria ihm mittheilten, daß im nächsten Monate ihre Hochzeit sein würde, und daß er kommen möchte, um das Hochzeitsmahl und den Hochzeitskuchen mit ihnen zu essen, lief ein trübes Lächeln durch sein Gesicht. Er nahm das Barett von seinem Kopf und faltete seine Hände darüber; es war, als ob er betete.
»Betest Du für unser Glück?« fragte Maria.
»Für Euer Glück,« erwiederte er.
»Thu's für Andere, die es besser brauchen können,« rief Bernardo übermüthig. »Wir werden glücklich sein, alter Angelo, so glücklich, wie Keiner im Lande. Komm zu uns, so oft Du willst, Du sollst Dich davon überzeugen, und wird es Dir zu einsam in den wilden Bergen, so wohne bei uns, wir werden für Dich sorgen, denn Romana – ei Romana wird wohl nicht lange mehr in Oletta bleiben.«
Angelo nickte vor sich hin.
»So wird es sein,« sagte er. »Sie wird fortziehen, weit fort – sie wurde undeutlich vor meinen Augen, aber ich sah doch ihr frohes Gesicht.«
Maria rief laut:
»Das wird ihr gewiß nicht fehlen, guter Angelo; sie wird glücklich sein, wie ich es bin. Doch weit wird sie nicht ziehen, wir werden beisammen noch manchen frohen Tag erleben.«
»Die heilige Jungfrau mache es wahr,« sagte der Greis, »ich möchte Euch aber rathen, zieht mit mir hinauf in die Berge, wohnt lieber bei mir und dem Wildschaf und feiert dort Eure Hochzeit.«
Sie lachten über den spaßhaften Vorschlag.
»Vielen Dank, Angelo!« rief Bernardo, »wir ziehen doch vor, in Oletta zu bleiben. Willst Du aber im Voraus uns hochzeitlich speisen, so laß es jetzt sein und bewirthe uns mit Brocciokuchen, wenn Du welchen hast.«
Der greise Hirt stand auf und sagte freundlich:
»Ihr sollt haben, was ich besitze.«
»Er lebt und arbeitet allein,« flüsterte Maria dem Capitän zu, »Alle, die einst mit ihm gewesen, liegen begraben.«
Angelo ging zu einem Spalt im Felsen, der, mit einer Thür versehen, seine Vorrathskammer bildete, und kam zurück mit einem Korbgeflecht und einem paar groben Tellern und Löffeln von Holz. Dann nahm er den Deckel von dem Korbe, und darin lag zwischen grünen Blättern der schneeweiße Kuchen von geronnener süßer Ziegenmilch, bei dessen Anblick Maria in ihre Hände klatschte.
»Ein herrlicher Kuchen!« rief sie. »Seht, wie er glänzt. Du sollst bedankt sein für solche Hochzeitsgabe, guter Angelo. Keine bessere wünsche ich mir.«
Der Alte sagte Nichts dazu. Aus seiner Hütte brachte er ein Brett, auf welchem ein großes saftiges Stück geröstetes Ziegenfleisch und ein Brot lag.
»Nehmt,« sagte er, »und eßt, dies ist Alles, was ich anbieten kann; doch mit Freuden gebe ich es Euch.«
So saßen sie denn beisammen um den großen Stein, und es wurde manch' freundliches Wort gewechselt, während sie den Brocciokuchen aßen, der auch dem deutschen Herrn wohl mundete, wenn auch weniger als den Anderen, die ihn als den größten Leckerbissen der Insel rühmten. Weiße Ziegenbutter, Brot und Fleisch machten dann den Beschluß, aber an Getränk gab es Nichts, als das frische kalte Wasser, das eine Quelle in dem Felsen lieferte.
Die Sonne sank hinter die hohen Berggipfel, und die Abendschatten schwebten mit ihren Schleiern über den Wäldern und ließen sie auf Schluchten und Thäler fallen. Der greise Hirt schickte seine Hunde aus, um die zerstreute Heerde heimwärts zu treiben, er selbst saß schweigsam, seine großen feurigen Augen auf die jungen Menschen geheftet, welche ihn umgaben, wie Frühlingsblumen den alten Stamm. Auch bei ihrem frohen Gelächter und Geplauder blieb er ernsthaft, blickte nachsinnend in ihre Gesichter, und nur zuweilen bewegten sich seine Lippen zu Worten, die Niemand verstand.
Erst als die Dämmerung wuchs, nahmen sie Abschied. Romana versprach, daß sie wiederkommen wollte, ihren alten Freund noch einmal zu sehen, ehe er weiter zöge, und Angelo schien nicht daran zu zweifeln.
»Ich werde Dich erwarten,« sagte er, »Du wirst kommen, ich weiß es;« als aber Maria dasselbe versicherte, schüttelte er den Kopf und sprach zu ihr: »Du wirst bei Bernardo Leccia bleiben, Maria Montalti, gehe hin, wohin Dich Dein Weg führt. Gott möge mit Dir sein!«
Als sie den Rand des kleinen Thals erreichten, saß der Greis noch an dem Stamm des großen wilden Oleanders, und er hielt seine Hände gefaltet und blickte in den Himmel hinauf, an welchem der Abendstern zu funkeln begann.
Bernardo lachte heimlich und sagte spöttisch und halb laut zu dem Deutschen:
»Angelo ist ein berühmter Seher, und Manche haben Furcht vor ihm, denn er soll Vielen schon Glück und Unglück prophezeit haben, das eingetroffen ist. Ich will mir aber Nichts von ihm wahrsagen lassen, noch glaube ich daran. Was mein Glück ist, weiß ich, das Unglück, das kommen kann, mag ich nicht hören. Ein Narr, der sich mit solchen Dingen einläßt. Wenn es wahr ist, und ich kann es nicht ändern, um so schlimmer; ist es Lüge, so quält man sich umsonst. Also wollen wir nicht wieder zu ihm gehen, Maria, sondern lieber auf uns selbst vertrauen und nur an unser Glück denken.«
»Ich mag auch nicht wieder zu ihm,« erwiederte Maria, »denn ich habe keine Zeit dazu. Es ist aber doch sonderbar, daß er gleich wußte, wir würden nicht wiederkommen.«
Bernardo rief lustig sie umfassend:
»Mögen die zu ihm gehen, die ihrer Zukunft nicht sicher sind, wünschen, was sie nicht haben, oder haben, was sie nicht wünschen. Wir, meine Maria, wir wollen Nichts mehr, als wir besitzen, und brauchen keine Propheten.«
»Nein, nein, Bernardo,« rief Maria, »Du allein sollst mein Prophet sein, und Dir nur will ich vertrauen. Romana aber will Manches wissen, was sie nicht weiß, denn ihr Prophet ist noch nicht erschienen.«
Sie lachten Beide in ihrer Ausgelassenheit, Romana aber antwortete Nichts darauf. Sie ging mit schnellen Schritten durch den Olivenwald allein voran, und es war dunkel geworden, als sie Oletta und die Casa Saliceti erreichten.
Einige Tage vergingen nun im friedlichen Behagen. Der Abt Peverino bemerkte mit Vergnügen, daß ihm sein Gast angenehme Stunden verschaffte, und daß auch seine Nichte Romana mit dessen Anwesenheit im Hause wenigstens nicht unzufrieden sei. Der deutsche Capitän gefiel auch allen Leuten durch sein freundliches Benehmen sowohl, wie durch seine Verständigkeit, edle Gestalt und Jugend. Er konnte mit Jedem sprechen, wußte ihn zu behandeln und zu ermuntern, so daß er überall die Theilnahme erregte, und da der Neffe des Abtes, Giulio Saliceti, und sein Freund, Achill Grimaldi, noch immer nicht kamen, wurde die Anwesenheit des Capitäns in dem einsamen Hause ein um so willkommeneres Ereigniß.
Es ging manchmal freilich lebhaft darin her, denn der hitzige alte Priester machte es zuweilen wie gleich zu Anfang. Er brauste gewaltig auf, wenn sein Gast ihm widersprach, doch dieser blieb ruhig, wußte so klar zu vertheidigen, was er vertrat, und war doch so nachgiebig und so gut gelaunt, daß immer die Versöhnung dem Streit auf dem Fuße folgte.
Ein großer Theil ihrer Zwistigkeiten betraf die bevorstehende Unterhandlung mit den Franzosen. Der Abt hatte ich in die Ueberzeugung hinein geredet, daß Graf de Vaux alles bewilligen werde, was der Präsident Paoli von ihm verlangen würde, aber Capitän Wilda wollte dies nicht zugeben. Er glaubte vielmehr, daß de Vaux ganz so handeln würde, wie Marbeuf und Chauvelin gehandelt hatten. Denn das französische Cabinet hatte seine Entschlüsse gefaßt, die wichtige Insel sollte unterworfen, ihre Bewohner sollten französische Unterthanen werden. Daran konnte kein General Etwas ändern.
Das Wort Unterwerfung jagte jedesmal Feuer in die Adern des alten Peverino, er wüthete dagegen und verschwor sich, eher sollte ganz Corsika ein Blut- und Aschenhaufen werden, der letzte Corse sein Leben hergeben.
»Ganz recht,« versetzte Karl von Wilda, als dies wieder der Fall war, »allein ehe es geschieht und ein so furchtbares Trauerspiel beginnt, müssen diejenigen, welche an der Spitze des Volkes stehen, sich überzeugt haben, daß ihnen kein anderer Weg übrig bleibt.«
»Unsinn!« schrie Peverino, »wenn sie wissen, daß Unterhandlungen vergebens sind, müssen sie die Zeit nicht damit verderben. Nieder dann mit allen Franzosen, mag ihre Uebermacht sein so groß sie wolle. Mein tapferer Neffe Carlo Saliceti hat mit dreihundert braven Corsen, das Schwert in der Hand, den zwanzigfach stärkeren Feind geschlagen.«
»Dennoch ist er gefallen,« versetzte der Capitän, »und mit ihm liegen Viele begraben.«
»Ruhmvoll! ruhmvoll!« schrie der Abt, »kein Corse fürchtet solchen Tod. Ihr doch auch nicht, mein Herr?«
»Kein Tapferer fürchtet den Tod,« antwortete Karl von Wilda mit einem schnellen stolzen Blicke, der die beleidigende Frage strafte und verzieh. »Doch Männer wachsen nicht wie Feigen und Kastanien, an welchen Corsika Ueberfluß hat,« fügte er hinzu. »Das letzte Jahr hat viele Leben ausgelöscht. Frankreich kann seine Todten immer wieder ersetzen, wir können es nicht.«
»Ha!« rief Peverino hohnlachend, »Ihr rathet uns also Unterwerfung an, damit wir sämmtlich hübsch munter am Leben bleiben. Ihr, mein lieber junger Herr, möchtet wohl bald Hochzeit machen und ein glücklicher Hausvater werden?«
»Dazu habe ich wirklich nicht geringe Lust, Herr Abt Saliceti,« versetzte Wilda eben so munter, »und wenn es so geschähe, würdet Ihr mir doch Euren Segen nicht versagen.«
»Santa Madre! Ich gäbe ihn von ganzem Herzen, mein lieber Capitano, und wollte mich freuen, denn ich könnte ihn keinem besseren Manne ertheilen.«
»Nun, wer weiß! wer weiß!« rief Karl von Wilda, indem er plötzlich seinen Kopf gegen das Fenster wandte, wo Romana wie gewöhnlich mit einer Arbeit beschäftigt saß. Aber sie blickte nicht davon auf, und der Capitän lachte weiter: »Ich fürchte nur, daß die Herren Franzosen es nicht leiden werden, und wer kann vorhersehen, was die Zukunft bald zum Segnen von uns Allen übrig läßt.«
In dem Augenblicke erhielt der Abt einen Brief, der von einem Boten aus Fiorenzo heraufgebracht war, und als er die Aufschrift sah, rief er sogleich:
»Der kommt aus Bastia von meinem meinem Vetter Grimaldi!«
Er brach ihn auf, las ihn und wurde dabei roth vor Freude.
»Nun könnt Ihr Euch beruhigen, mein lieber Capitän,« schrie er. »Ihr werdet Euer Leben nicht in Corsika verlieren. Grimaldi schreibt mir, daß man in Bastia nicht an der Versöhnung zweifele. Graf de Vaux hat die allerbesten Absichten, ich wußte es im Voraus. Die Leute aus der Stadt dürfen wieder hinaus, und das Landvolk darf hinein, Jeder wird freundlich empfangen. Hier auch ein Zettel von meinem Neffen Giulio. Er kommt in den nächsten Tagen mit Achill Grimaldi zu uns. Hast Du es gehört, Romana? Giulio und Achill kommen Beide.«
Romana blickte freundlich auf.
»Herzlich willkommen sollen sie sein,« erwiederte sie, »wir haben sie lange vergebens erwartet.«
»Cospetto!« schrie der Abt, »jetzt laßt den Paoli sich sputen, damit die Sache bald ausgemacht wird und glückliche Zeiten bei uns einkehren. Wir müssen daran denken, das Haus in Stand zu setzen, Romana, und unsere Vorrathskammern zu füllen, um solche Gäste aufzunehmen. Heda, mein Mädchen, mache Dich bereit, Achill Grimaldi zu empfangen, wie es sich gebührt, denn das ist ein feiner verwöhnter Herr. Aber Du wirst ihm schon gefallen, hoho! ich zweifle nicht daran, Du gefällst ihm.«
Er streichelte ihre Wangen, welche sich höher rötheten, und küßte sie auf die Stirn mit vertraulichen Blicken und bedeutungsvollem Gelächter. Dann nahm er die Cither von der Wand und rief:
»Nun mußt Du auch wieder singen und spielen, Romana, Du hast es ja beinahe verlernt. Achill Grimaldi wird Dich alle Tage hören wollen und Dich begleiten wollen, denn er ist selbst ein Meister und hat Dich oft gerühmt. Ich glaube, Capitän Wilda hat Dich noch gar nicht gehört?«
Der Capitän verneinte es, und der Abt verlangte von Romana, daß sie sogleich einen Gesang vortragen solle, allein sie lehnte es ab, und nach einigem Gepolter mußte er sich darein fügen, denn auch der Gast bat vergebens, daß die Donzella doch den schönen Vocero singen möge, den sie selbst gedichtet und von dem er so viel Rühmliches gehört.
Romana schwieg dazu, und da Alles Nichts helfen wollte, ging der Abt endlich ärgerlich fort mit der Behauptung, daß es nichts Eigensinnigeres in der Welt gäbe, als ein eigensinniges Mädchen.
Als er hinaus war, legte Romana ihre Arbeit in den Schooß, blickte den Capitän mit bittenden Augen an und sprach:
»Mein Singen und meine Kunst sind gering, ich weiß es am Besten, doch was ich vermag, gebe ich gern, sobald es sich paßt. Wir haben Serenaden, das sind heitere oder sehnsüchtig bittende und hoffende Gesänge, welche meist den jungen Mädchen zur Feier gesungen werden, bald von Einzelnen, bald von Vielen; dann haben wir die Voceros, Volkslieder und Todtenklagen, zumeist beliebt bei den Corsen; allein einen Vocero mag ich jetzt nicht singen, und wäre es auch der allerschönste.«
Sie sprach dies mit Nachdruck, und ihre Blicke ruhten auf ihm, daß er sie im Herzen fühlte.
»Nein, nein,« fuhr sie dann sanft lächelnd fort, »keine Todtenklage will ich anstimmen, doch eine Bitte habe ich an Euch und möchte wünschen, daß Ihr diese erfüllet.«
»Zweifelt nur nicht daran,« erwiederte Wilda, »daß ich gern Alles thun möchte, was Ihr von mir wünschet.«
Sie prüfte ihn mit ihren großen klaren Augen und sah so lieblich aus, daß er alles Andere darüber vergaß. Er nahm ihre kleine feine Hand, die so schön geformt war, daß ein Künstler sich daran erfreuen konnte, und sagte mit betheuernder Stärke:
»Alles, Alles, was Ihr mir je befehlt, soll geschehen, möchte es auch mein Leben kosten.«
Den Kopf vorgebeugt, als lauschte sie auf seine Antwort, hörte sie ihn, und eine holde Freundlichkeit leuchtete aus ihrem Gesicht, die sich bei seinen letzten Worten in Erschrecken verwandelte.
»Nein, nein!« versetzte sie, »es ist eine kleine Bitte, und kein Heldenmuth gehört dazu, sie zu erfüllen. Maria Montalti, meine Freundin, versammelt heut im Hause ihres Vaters, des Podesta, einige junge Mädchen, und Bernardo Leccia bringt dazu sich selbst und mehrere junge Leute, feine Freunde. Wollt Ihr es nicht verschmähen, dabei zu sein und mich dorthin zu begleiten?«
Der Capitän war auf's Freudigste überrascht von dieser unerwarteten Aufforderung. Er versprach es auf's Willigste und dankte für die Ehre, welche ihm erzeigt wurde.
»Wohin,« sagte er artig, »ginge ich nicht gern in Eurer Gesellschaft, und wo gäbe es eine, welche ich vorziehen möchte.«
»In Oletta,« erwiederte sie scherzend, »sind wir freilich die beste, doch schon in Bastia giebt es auserwähltere Freuden, wie nun erst in den großen Städten großer Länder, wo die Menschen Alles besitzen, was es Schönes in der Welt giebt.«
»Und was giebt es denn Schöneres, das Ihr nicht selbst besäßet,« antwortete er schmeichelnd. »Wahrlich, ich wüßte Nichts, das sich damit vergleichen ließe.«
»Und dennoch sehnt Ihr Euch fort von uns?« fragte sie.
»Gewiß nicht nach prunkenden Festen, welche niemals Reiz für mich hatten.«
»Nun, so laßt uns sehen, ob Ihr genügsam seid,« rief Romana. »Es wird bei Maria Montalti gesungen werden, denn die Cither und der Gesang gehören zu jeder ländlichen Gesellschaft und dürfen niemals fehlen.«
»So werde ich Euch singen hören.«
»Wenn es Euch beliebt, so könnt Ihr auch mit mir tanzen,« erwiederte sie mit lieblicher Geberde, »sicher wird es ebenfalls nicht an Gelegenheit dazu fehlen.«
»Welche herrliche Freuden!« rief er. »Gewiß will ich tanzen, so gut ich es vermag, wenn Ihr Nachsicht mit mir haben wollt.«
Ein Getrapp von Pferden entstand vor dem Hause, und der Abt öffnete die Thür und schrie herein:
»Da kommt ein Officier, der gute Botschaft für Euch bringt. Kommt schnell und laßt Euch sehen, wahrscheinlich kennt Ihr ihn.«
Es war in der That so, wie der Abt vermuthete. Einer von des Präsidenten Officieren, ein junger Corse, brachte Botschaft, daß die Zusammenkunft mit dem französischen Heerführer de Vaux am 2. Februar in Oletta stattfinden werde. Darüber war der Abt mächtig erfreut. Er jubelte laut, daß es dahin gelangt, und daß der Friede so gut wie schon abgeschlossen, schien ihm nicht länger zweifelhaft.
Der Officier hatte den Auftrag, sich nach dem besten Platze für die Besprechung umzusehen, und keinen geeigneteren und stattlicheren gab es, als die Casa Saliceti mit ihren großen Gemächern, welche der Abt sogleich dazu anbot. Nebenher fragte der Officier, ob Oletta auch mit Waffen und Kriegsbedarf wohl versehen sei, im Fall die Unterhandlungen fruchtlos blieben, denn da die Franzosen so dicht in der Nähe lauerten, müsse man sich vorsehen, und hierauf versetzte der geistliche Herr:
»Ei, ich wollte, wir hätten unser Geld besser angelegt, als in solchen Dingen. Doch als der Krieg ausbrach, wußten wir wohl, daß das Land Nebbio, wie gewöhnlich, dem Feinde ein leckerer Bissen scheinen würde, und versorgten uns mit allen nöthigen Gewürzen. Manches ist verbraucht worden, doch noch immer ein hübscher Vorrath in unsern Felsenkellern. Unter unsern Füßen hier liegt genug, um eine corsische Suppe damit zu salzen.«
Der Officier händigte dem Capitän die Befehle des Präsidenten ein, welche dessen Mahnung enthielten, streng auf Ordnung zu halten, auch waren Briefe an den Abt und an den Podesta dabei, welche ersucht wurden, für Aufnahme und Bewirthung des französischen Generals und seines Gefolges zu sorgen, jede feindliche Aeußerung oder Beleidigung aber bei schärfster Ahndung zu verhindern; worauf der Abt lachend erwiederte, daß man nicht nöthig gehabt hätte, damit zu drohen. Corsische Gastfreundschaft sei weit berühmt, herrlich würden die Franzosen empfangen werden.
»Sie haben uns oft schon gegen die Genuesen beschützt,« rief er dann, seinen rothen Kopf aufwerfend, »und werden auch künftig unsere Freunde sein. Niemand wird sie beleidigen, und da sie nun wohl gemerkt haben, daß wir keine Franzosen sein wollen, werden sie unsere Freundschaft unserer Feindschaft vorziehen, denn es ist eine tapfere und großmüthige Nation. Seid also guter Dinge, Ihr Herren, Ihr hört ja, wie die Nachrichten aus Bastia lauten. Die Franzosen wollen den Frieden, schreibt Achill Grimaldi, und wir wollen ihn auch, also sind wir einig. Ihr aber bleibt heute bei uns, mein Herr, wir wollen einen frohen Tag haben.«
Der Officier erwiederte dankend, daß er in alle vier Gemeinden des Nebbio müsse, um den Podestas Befehle zu bringen, jede feindliche Handlung zu verhindern, auch daß, wenn die Zusammenkunft stattfinde, das Volk nicht nach Oletta ströme, um jede Unruhe und jeden zufälligen Anstoß zu vermeiden.
»Morgen will ich Euch selbst begleiten!« rief der Abt, »will selbst ein Wort mit den Podestas und den Vorstehern reden, und ich schwöre es bei der gebenedeiten Jungfrau, kein Mann wird seine Campanne verlassen. Ihr werdet keinen braunen Kittel auf der Straße sehen, Oletta wird so still sein wie heute.«
Der Officier hatte Nichts mehr einzuwenden, und es wurde ein froher Tag gehalten, wie der Abt es gewollt. Der Podesta wurde geholt, ein Lamm wurde geschlachtet, ein Mahl bereitet, so gut es zu beschaffen, und der feurige Wein wurde dabei nicht gespart. Der Officier wußte von der unermüdlichen Thätigkeit des Präsidenten viel zu erzählen, von seinen Reisen und Berathungen mit dem Rathe der Neun sowohl, wie mit allen entschlossenen und erfahrenen einflußreichen Männern auf der Insel. Auch wie er Ordnung und Gesetzlichkeit überall aufrecht erhalte, und die Richter und Priester umherzögen, allen Streit zu versöhnen, damit alle Corsen einig seien bei des Vaterlandes großer Gefahr, rühmte der Officier; aber der Abt Saliceti schüttelte dabei den Kopf und rief:
»Pasquale Paoli ist ein großer Mann und edler Bürger, nur schwärmt er zu viel für seine erhabenen Ideen. Den Charakter der Corsen wird er nicht ändern, dazu gehören viele Menschenalter. Er mag hinrichten lassen, so Viele er will, die Blutrache wird doch bleiben; Zahn um Zahn, so steht es in der heiligen Schrift. Wir können es nicht vertragen, uns beleidigen zu lassen, wehe dem, der es bei mir wagt! –Der Präsident hat sich eben dadurch so viele Feinde gemacht, die ihre dem Henker überlieferten Freunde an ihm rächen wollen. Wenn die Franzosen wie die Genuesen wären, könnten sie Leute genug bekommen, die ihm an's Leben gingen.«
»Sie machen es feiner und dingen Verräther,« sagte Wilda.
Der Abt fuhr zornig auf.
»Mörder zu finden ist leichter in Corsika!« rief er. »Mag Paoli die Corsen rufen, sie werden Alle vereint das Vaterland vertheidigen. Das Volk ist gut und brav. Es soll Keiner seine Ehre antasten.«
»Ich habe nur gehört,« erwiederte der Capitän beruhigend, »daß die französischen Anführer sich viele Mühe geben, in Bastia und an andern Orten angesehene Leute zu überzeugen, daß es kein größeres Glück gebe, als französische Unterthanen zu sein, und daß mehrere, die dies glaubten, mit einträglichen Aemtern und Geschenken belohnt wurden.«
Der Abt schwieg erst stille, dann schrie er auf:
»Verflucht sei der bis in Ewigkeit, der seines Vaterlandes Feinden dient! Aber das haben von je an nur wenige ehrlose Schurken gethan. Wo ist Leo Grimaldi?« fragte er den Officier.
Der Officier sprach mit großen Lobeserhebungen von dem Herrn Grimaldi, den er als einen der klügsten und tapfersten Führer rühmte, auf welchen der Präsident das allergrößte Vertrauen setzte.
Leo Grimaldi hatte im letzten Jahre auf's Muthvollste gekämpft. Mit Pietro Colle wurde er als der erste aller Helden gefeiert, und auf seine militärischen Kenntnisse wurde viel gebaut. Aber der Name Grimaldi hatte einen übeln Klang in des Capitäns Ohr, er dachte dabei an Achill Grimaldi, und gegen diesen regte sich sein Blut, ohne daß er ihn gesehen.
Der Abt Peverino vergaß dagegen seinen Unwillen, als er so viel Gutes von seinem Verwandten vernahm. Leo Grimaldi hatte schönen Grundbesitz auf dem Cap Corso, wo er reich und angesehen wohnte, und der Abt sprach lange Zeit von nichts anderem, als von ihm und der ganzen Familie, von dem alten Rath sowohl wie von dessen jüngstem Sohne, den er sehnsüchtig erwarte. Dabei gab er einige Andeutungen, welche der Capitän sich wohl auszulegen wußte.
Romana nahm nach corsischer Sitte nicht Theil an dem Mahle, sondern verwaltete die häuslichen Geschäfte, und erst später erschien sie, als der Podesta Montalti Alle einlud, nun in seinem Hause den Abend zuzubringen und an den Freuden der muntern Gesellschaft junger Leute Theil zu nehmen, welche sich dort versammelte. Romana hatte sich schon dazu geschmückt, und so lieblich sah sie aus, daß Alle sie mit Freuden betrachteten. Der Abt nahm sie in seine Arme und rief mit Wohlgefallen:
»Schade, daß Achill Grimaldi nicht heute schon bei uns ist, er würde vergleichen können, ob die französischen Mädchen schöner sind oder die corsischen.«
»Ich will mich nicht vergleichen lassen, Onkel,« erwiederte sie lächelnd.
»Willst Du denn unvergleichlich sein?« schrie er vergnügt. »Sagt uns doch, was Ihr vorzieht, Signor Capitano, Eure Frauen in Deutschland, oder was Ihr hier seht.«
»Seit ich hier bin,« erwiederte Wilda, »habe ich alles Gedächtniß für die Vergangenheit verloren und kann es auch nicht wiederbekommen, denn was ich sehe, läßt für Anderes keinen Raum.«
»Bravo! bravo!« rief der Abt. »Ihr seid kein Franzos, aber Ihr verdientet einer zu sein.«
Die Fröhlichkeit wurde nun allgemein, und nach manchem Scherz und gutem Wort machten sich Alle auf und gingen über den Kirchplatz fort nach dem Ende desselben, wo das Haus des Andrea Montalti stand. Drinnen ging es schon lustig her, denn die jungen Leute waren beisammen, und als Romana nun kam, entstand ein frohes Laufen und Begrüßen; sie wurde von ihren Gespielinnen als die erste und schönste empfangen. Die jungen Männer drängten sich auch um sie, ihr angenehme Dinge zu sagen, und lebhaft, lärmend und fröhlich währte die Unterhaltung fort, während süßes Gebäck und eingemachte Früchte zur Bewirthung der Gäste umhergereicht wurden.
Darauf aber begann bald der Gesang, als liebster Zeitvertreib aller jungen Leute. Sie theilten sich in zwei Parteien, von denen die eine die andere ablöste, und die ältern Personen saßen als Kunstrichter im Halbkreis, aßen getrocknete Trauben und Feigen, tranken vom süßen Traubentrank, geriethen aber nicht selten in solches Entzücken und Beifallgeschrei, daß sie alles Andere darüber vergaßen.
Es wurden manche Serenaden und Liebesgrüße vorgetragen, die in feurigen Ausrufungen sehnsüchtig klagten, noch größern Beifall jedoch fanden die Romanzen, in denen die Abenteuer und Schicksale unglücklicher Männer und Frauen geschildert wurden. Wahre Geschichten, welche sich zugetragen, und wie sie im Munde des Volkes lebten; meist schauerlicher Art, Banditengeschichten und Mordthaten, begleitet von dem schwermüthigen Klange der Cithern und von klagenden Melodieen. Die Einzelgesänge wechselten mit dem Chore, bei Lieblingsliedern aber stimmten auch die Alten ein, drückten sich die Hände, wechselten zärtliche Blicke, und Jeder machte mit dramatischem Feuer, was er empfand, lebendig.
Die Theilnahme erreichte jedoch den höchsten Grad erst, als endlich auch die Voceros, die Todtenklagen, an die Reihe kamen. Manche derselben behandelten sehr rührende und traurige Geschichten, und ihre Melodieen athmeten das tiefste Leid gebrochener Herzen, den schwersten menschlichen Kummer. Oft waren die Worte so schön wie die Töne, die höchsten Schmerzen darstellend und in poetischen Bildern malend. Die Mienen der Hörer drückten dann alle Vorstellungen ihrer erhitzten Phantasie aus. In ihren Augen spiegelten sich die Regungen ihrer Seelen, ihre Blicke hingen festgebannt an den Lippen der Sänger, in athemloser Spannung vernahmen sie mit derselben leidenschaftlichen Begier, was sie oft schon vernommen, als geschehe das Schreckliche, Grausige, Thränenwerthe eben erst jetzt vor ihren Augen.
Auch der fremde Gast war von diesem Schauspiele ergriffen, doch seine Theilnahme gehörte zum bei weitem größten Theile Romana. Sie sang mit den Anderen, und er lauschte auf den Klang ihrer Stimme. Er beobachtete das sanfte, klare Gesicht; er begegnete ihren Augen, welche zuweilen ihn zu suchen schienen, und ihrem Lächeln, das ihn für seine Aufmerksamkeit belohnte. Aber sie hatte bisher nicht einen Einzelgesang vorgetragen, doch nun erhob sich lauter Ruf darnach von allen Seiten.
»Singe uns den schönen Vocero auf den Tod Deines Bruders,« bat Maria, und nicht allein stimmten die anderen jungen Freunde bei, indem sie Romana umringten, sondern auch die älteren waren voller Feuer, und der Abt wiegte stolz lächelnd den Kopf, als seiner Nichte die Cither aufgedrungen und sie in die Mitte des gesellschaftlichen Kreises auf den Ehrensitz geführt wurde.
Leise nachdenkend ließ sie sich nieder, leise nahm sie das feine verzierte Widderhörnchen in ihre weiße Hand, mit welchem diese corsische Mandoline von sechszehn Saiten geschlagen wird, und ihren Kopf tief niedergebeugt, entlockte sie dem Instrumente eine Reihe süßer, dann immer lauter und schärfer klingender schmerz- und wehmuthsvoller Töne, die das Vorspiel bildeten. Plötzlich dann hob sie ihr Haupt empor, und ihr goldiges schönes Haar in den Nacken schüttelnd, ihre Augen voll Innigkeit, ihr Gesicht durchgeistigt von den Empfindungen ihrer Seele, begann sie zu singen:
»O, mein Carlo! o, mein Bruder!
Ewig muß ich Dich beklagen,
Muß bis an mein Lebensende
Meiner Seele Trauer tragen;
Denn Du Starker, denn Du Theurer
Liegst von Feindeshand erschlagen.
Sagt, wie konnte es geschehen,
Hörtet Ihr den Ruf nicht schallen?
Ach, es waren ihrer Viele,
Er der Tapferste von Allen,
Für des Vaterlandes Ehre
Ist mein Carlo hier gefallen.
Alle Deine Feinde flohen,
Sahen sie Dein Schwert nur blitzen,
Und vor Deiner Rache schirmten
Mauern nicht, noch Felsenspitzen.
O, mein Carlo! o, mein Bruder!
Wer soll nun uns Arme schützen?!
Färben will ich ein Mandile,
Roth von Deinem Blut es machen,
Das Mandile will ich tragen,
Wenn ich sinn' auf Spiel und Lachen;
Nimmer will ich Dich vergessen
So im Schlafen, wie im Wachen.
Eher will ich meine Augen
In zwei Quellen mir zerweinen,
Als ich je Dein Angedenken
Könnte zu vergessen scheinen.
Immer will ich Dich, mein Carlo,
Klagend nennen noch den Meinen.
Und um Dich auf meinen Knieen
Will ich Gott im Himmel bitten,
Daß Dich seine Engel tragen
In des Paradieses Mitten.
So will ich mein Herze trösten,
Weil es Deinen Tod erlitten.«
Athemlose Stille herrschte während dieses Gesanges, aber viele Augen füllten sich mit Thränen, viele Hände falteten sich, leises Schluchzen zog durch das Gemach, die schmerzlichste Rührung drückte sich in allen Gesichtern aus. Liebevoll und tief bewegt blickten sie auf die begeisterte Sängerin. Die herzergreifenden Töne ihrer Cither, die klagende, wehmuthathmende Melodie des Vocero, die sanfte, weiche Stimme voll von dem Schmelz ihrer Gefühle und die schöne, junge Gestalt, allen Kummer und alle Erhebung ihrer Schmerzen tief ausgeprägt in ihren edeln, reinen Zügen, Alles vereinte sich zum vollendeten Erfolge.
Und dieser brach nun in einem Sturme von Beifall los, der Romana umtobte. Alle wollten sie umarmen, Alle ihr danken, Alle ihr Schmeichelworte sagen, nur Wilda hielt sich entfernt davon. Sie dankten ihr für das Weh, das in ihrem Herzen toben mußte. Doch diese Corsen achten das nicht, sie finden in Tod und Leidenschaften ihre Freuden. Und Romana selbst. – Als sie den Namen Carlo aussprach, als sie gelobte, Carlo nimmer zu vergessen, immer an ihn zu denken, hatte sie nicht dabei ihre Augen mit wunderbarem Glanz auf ihn gerichtet, der bis in seine Seele leuchtete?
Gedanken stürzten über ihn hin, er konnte sie nicht bewältigen. Es wurde getanzt, und er tanzte mit Romana. Aber wenn er zu ihr sprach und sie anblickte, zitterte er heimlich, daß ihre Augen ihn wieder so anschauen könnten, und doch sehnte er sich darnach. Er wich ihr aus, suchte bei Anderen Unterhaltung und Zerstreuung, und doch immer wieder mußte er nach ihr hinschauen. Ihr Gesang, ihre Augen verfolgten ihn überall.
Und als das Fest beendet war, als er auf seinem Lager lag, konnte er nicht schlafen. Immer wieder klang die Cither in seine Ohren, und es war ihm, als hörte er die süße, innige Stimme: Carlo! rufen – Romana! antwortete er fieberhaft laut.
Am folgenden Tage machte sich der Abt mit dem Sendboten des Präsidenten auf, um in die übrigen Gemeinden des Nebbio zu reiten, und ließ Romana bei dem Gaste zurück. Der Capitän hatte mit der Musterung seiner Compagnie zu thun, und seine Beschäftigung dauerte heute länger, als je, es schien, als empfände er gar wenige Lust, mit dem schönen Mädchen allein zu sein.
Doch an Lust fehlte es ihm nicht, nur hatte er Zeit gehabt, die Verhältnisse nachdenklich zu überlegen, und je öfter er dies that, um so mehr sagte er sich, daß es schicklich und vernünftig sei, wenn er die Neigung, welche er fühlte, bekämpfe und beherrsche. Er rang mit der Liebe, die sich seines Herzens bemächtigte, und stellte ihr seinen Kopf entgegen, der sie bezwingen sollte; aber diese Kämpfe sind unzählige Male fast immer vergebens gefochten worden, mit welcher Entschlossenheit sie auch geführt wurden.
Während der Capitän seine Männer musterte, ihre Waffen untersuchte und ihre Uebungen anschaute, dachte er immer daran, wie er sich benehmen, und mit welcher Würde und Kälte er den Tag in der Casa mit Romana verleben wollte. Dabei jedoch fühlte er ein heftiges Pochen an seiner linken Seite, sobald ihm einfiel, Romana könnte darüber betrübt sein, wohl gar meinen, er wolle sie kränken.
Je länger die Waffenübung dauerte, um so unruhiger wurde er; denn Romana erwartete ihn gewiß schon längst, und sein Ausbleiben konnte sie ängstigen. Er ließ es daher genug sein und begab sich nach dem Hause, wo ihn eine sonderbar jähe Freude überlief, als er die liebliche Donzella auf dem Altane stehen und den Weg hinabblicken sah, den er kommen mußte.
Er hatte es heimlich gewünscht, sie möchte ihn so empfangen, und dann wieder heimlich noch mehr getadelt, daß er solchen Gelüsten nachhänge. Eine Stimme rief in ihm: »Sie liebt Dich!« und bei der Gluth in seinen Adern zog er seine Stirn zusammen und sah sehr ernsthaft, mißbilligend aus. Wenn in dem Herzen dieses schönen Kindes die Leidenschaft aufloderte, würde es dann nicht eine corsische Leidenschaft sein? Glühend wie der Sirocco, wenn er aus dem nahen Afrika herüberweht. Versengend und verzehrend wie das Unglück würde diese dann über sie zusammenschlagen. – Nein! es sollte nicht geschehen, er mußte sie davor bewahren.
So sich beschirmend stieg er die Treppe hinauf, und oben fand Romana, schön wie ein junger Frühlingstag, und streckte ihm mit holdem Gruß ihre Hände entgegen. Als er sie sah, fiel sein Muth. Wie verlockend, wie verheißend war ihr Anblick! Das war kein corsisches Weib mit dunkeln Feueraugen, ein heißes Lachen auf ihren Lippen. Wie eine Madonna stand sie von dem Goldschein ihres reichen Haares umgeben, die blauen, leuchtenden Augen voll sanfter Freude, die hohe, weiße Stirn so klar und friedlich, ihr Lächeln so lieblich rein, wie das Lächeln eines Kindes.
Ja, es war ein Madonnenbild, wie der größte aller Maler, wie Rafael Sanzio sie gemalt hat. Gottes feinste, süßeste Farben für ein Menschengebild trug sie in ihrem Liebe und Güte strahlenden Gesichte.
Eine Minute lang war es ihm, als müsse er Alles aufgeben, nur das Eine nicht: das Glück, das er winken sah und von sich stoßen wollte. Mit aller Gewalt hielt er seine Arme zurück, die widerstrebend sich bewegten, den Willen gebunden durch den Willen, der ihn zwingen wollte, dem rothen, klopfenden Blute zu folgen.
»Endlich! endlich!« rief Romana. »Wie lange habe ich nach Euch ausgeschaut. Jetzt kommt geschwind, das Mahl ist längst fertig.«
Der gefährliche Augenblick war vorüber.
»Ihr werdet mir verzeihen, Jungfer Romana,« erwiederte er, »ich hatte viele Geschäfte.«
»So mußte es sein,« versetzte sie zuversichtlich ihn anblickend, »sonst wäret Ihr gewiß schon zu mir gekommen.«
Er antwortete nicht darauf, doch seine Finger zuckten zusammen, da sie diese festhielt. Allein sie fragte nicht weiter, sondern führte ihn in das Zimmer, das sie mit schönen Blumen aller Art geschmückt hatte. In der Mitte stand der Tisch bereit, Blumenurnen zu beiden Seiten. Die bauchige Flasche in der Mitte bekränzt, als werde der fröhlichste aller Götter erwartet, und sie selbst nun eifrig wie die ewig junge schöne Hebe beim Göttermahle bestrebt, ihn zu bedienen. –
In ihre kleinen Hände schlagend vor Freude, als sie sah, mit welcher staunenden Freudigkeit er ihre Werke betrachtete, nahm sie ihm Hut und Degen ab und nöthigte ihn an die Tafel, welche sie mit den süßesten Früchten und Leckerbissen aus den Vorräthen des Hauses besetzt hatte. Dann brachte sie ihm Forellen aus dem Bergstrome und Fleisch und Vögel und duftige Artischocken, pries ihm beredt und lockend ihre Gerichte, schnitt und reichte ihm das Beste, füllte sein Glas mit dem perlenden goldigen Weine und lauschte nun auf jede seiner Mienen, wie es ihm behage, was er wünsche, immer geschäftig und glückselig in ihrer Sorgsamkeit.
Theil an diesem Mahle nahm Romana nicht, und der Gast forderte sie nicht dazu auf. Mehr als einmal wollte er rufen: »Nehmt doch Platz hier an meiner Seite, liebste Jungfer, denn so will es mir nicht schmecken,« aber er scheute sich davor. Höflich und steif saß er da, während sie so freundlich erzählte und fragte, geschäftig sich beugte und neigte, die süße Stimme dicht an seinem Ohre klingen ließ und ihr Athem ihn berührte. Er fuhr unruhig mit Gabel und Messer umher und richtete seine Augen auf die Teller und Speisen, denn er fürchtete sich, sie anzusehen, fürchtete, daß alle seine Würdigkeit dann wie Schnee an der Sommersonne zerschmelzen würde.
Daß sie heute so allein mit dem Gaste war, ihm allein alle ihre Aufmerksamkeit widmen konnte, machte ihr entzückendes Vergnügen, und sie sagte es ihm auch ohne Bedenken.
»Das ist eine uralte Sitte in Corsika,« sprach sie, »daß die Hausfrau nicht allein das Beste in der Küche beschaffen läßt, was lieben Gästen vorgesetzt werden soll, sondern daß sie es diesen auch selbst reicht und, was am schönsten, ihnen vorlegt.«
»Eine herrliche Sitte, Jungfer Saliceti,« antwortete Wilda, »allein ich sollte meinen,« er hielt einen Augenblick erschrocken inne, dann aber fuhr er entschlossen fort: »ich sollte meinen, es sei noch schöner, wenn die Hausfrau sich selbst zu ihren Gästen setzt, ihnen mit gutem Beispiele voranzugehen.«
Romana nickte freundlich.
»Es wird wohl auch dahin noch kommen,« sagte sie, »und mein Vetter Achill Grimaldi, der lange in Paris gelebt hat, erklärt es als eine alte Barbarei unserer Sitten, daher kommend, daß unser Volk aus Afrika stammt und unsere Insel so nahe an Afrika liegt, wo die Frauen so wenig Rechte haben. Aber,« fuhr sie heiter fort, »ist es denn nicht schön, den lieben Gast zu bedienen, immer zur Hand und immer bereit zu sein, und wenn man eine Frau ist, soll man den Mann als Haupt und Herrn verehren, wie es Gott geboten hat.«
Wilda konnte sich nicht enthalten, zu ihr aufzublicken, und da ihre Augen sich begegneten, empfand er die ganze unschuldvolle Wahrheit, die ihn entzückte; doch er nahm sogleich wieder eine strenge Miene an und sagte:
»Ihr habt Recht, Jungfer Saliceti, es ist freilich nicht überall so, zuweilen jetzt sogar schon derartig umgekehrt, daß die Frau das Haupt und der Herr ist, der Mann der unterthänige Diener, wie das häufig bei den Franzosen in Paris vorkommt.«
»Das darf nicht sein!« rief Romana. »Der Mann muß Ehre und Achtung in seinem Hause finden, wie sollte er diese sonst von Andern erlangen. Wie aber ist in Deutschland die Sitte?«
»O! in Deutschland, in Deutschland!« versetzte der Capitän. »Seht, Jungfer Romana, in Deutschland sind die Frauen die Gefährtinnen der Männer, wenigstens soll es so sein. Die Frau soll Alles theilen mit dem Manne, alle Freuden und alle Sorgen des Lebens, und das Haus soll der Tempel ihres Glückes sein, sie soll darin schalten und walten mit ihrer Liebe und Sorgfalt als alleinige Herrin.«
»Herrlich! herrlich!« rief Romana, ihre blitzenden Augen weit öffnend, »das gefällt mir.« Und sie legte ihre Hand auf seinen Arm, daß es elektrisch darin zuckte, und sagte lächelnd: »Es sind gewiß treue und gute Frauen, die deutschen Frauen!«
Er zog den Arm zurück, als fühle er einen Skorpion.
»Ihr werdet nicht glauben, daß ich von den Frauen meines Landes eine üble Meinung haben könnte?« antwortete er dabei.
»Gewiß nicht. Aber vielleicht giebt es Eine dort,« sprach sie, ihn lächelnd dreist und doch so lieblich anblickend, als thäte sie die allerunschuldigste Frage, »um derentwillen Ihr eine so gute Meinung habt.«
Eine Verwirrung überkam ihn, und doch wollte er nicht schweigen.
»Keine habe ich zurückgelassen, die mein Herz besäße,« rief er und schaute sie an, als wollte er die Wahrheit betheuern. »Um dessentwegen also –«
Hier brach er ab, sprang auf, und mit erhitztem Gesicht trat er an ein Fenster und schaute hinaus, indem er sagte, es sei ihm, als höre er Rosse kommen.
Als er sich umwandte, sah er Romana an dem Tische stehen, die Hand aufgestützt, in ihrem Gesichte ein frohes, glückliches Lächeln, nachdenkende Stille in den großen Augen.
Da trat die alte Dienerin herein; Romana half ihr den Tisch räumen und verließ das Zimmer. Der Capitän schlich schnell davon, erfreut, daß er in seine Kammer entkommen konnte, und doch mehr noch als vorher warf die Liebe ihre Zauberbänder um ihn und umstrickte ihn ganz damit. Er schloß die Jalousieen, warf sich auf sein Bett und wollte die heißesten Tagesstunden verträumen, wollte nicht eher wieder sichtbar werden, bis der Abt zurückgekehrt sei, dabei aber horchte er auf jeden Ton, auf jedes leise Geräusch, und mit sehnsüchtigem Verlangen vermuthete er, Romana möge kommen, anpochen und fordern, daß er aufstehe und ihr folge.
In solchem Streben und Schwanken verging die Zeit, endlich aber, als er eben festgeworden, allen Verlockungen zu widerstehen, rief Romana mit süßer Stimme an der Thür:
»O Siore Carlo, kommt doch zu mir in den Garten unter den Feigenbaum.«
»Sogleich! sogleich!« rief er aufspringend und folgte der Eva, die ihn versuchte, unter den Feigenbaum, unbekümmert um das Verbot, das der Herr schon im Paradiese vergeblich gethan.
Der Feigenbaum stand als ein Patriarch neben der Casa in dem Gehege mit weiten Aesten und jungem Blätterwachsthum; die Früchte aber, welche ihm fehlten, reiften auf Romana's blühenden Lippen. Unter dem Baume stand ein Tischchen vor der Bank, von den Bergen fächelte es kühl in den Zweigen. Die Sonne hatte ihr heißes Strahlen verloren, aber auf dem Tische dampfte der Kaffee, mit welchem Romana den Gast bewirthen wollte.
Wie geschäftig war sie nun wieder, wie lieblich ihre Bewegungen. In dem weißen blumigen Jäckchen, das sich an ihr blaues Kleid schmiegte, und über welches ihr Haar lockig in den Nacken wallte, sah sie im Sonnengezitter, das durch die Blätter fiel, wie ein Seraph aus, der aus dem duftigen Aether herabgestiegen war. Und als sie ihn versorgt hatte, setzte sie sich neben ihn mit freundlichem Geplauder, und es kam ihm vor, als sei ihre Zutraulichkeit noch inniger geworden, denn nun nannte sie ihn Herr Carlo und legte in den Namen einen Klang, der wunderbar wonnig in ihm wiederhallte.
Sie schien dies auch zu bemerken, denn plötzlich sagte sie:
»Carlo hieß, wie Ihr wißt, mein lieber Bruder, der mir so unvergeßlich geblieben. Denn wie tapfer und stolz er war, und wie sehr ihn seine Feinde fürchteten, so besaß er doch das gütigste, edelste Herz. Alle Menschen liebten ihn und ich zumeist, denn so voll Zärtlichkeit war er für mich, wie für kein anderes Wesen auf Erden.«
»Ich habe gehört,« erwiederte Wilda, »daß in Corsika die Liebe der Geschwister über jeder andern Liebe steht, und daß kaum je ein Beispiel vorkommt, wo Bruder und Schwester sich nicht auf's Innigste anhängen.«
»So ist es,« erwiederte sie, und mit schwärmerischem Ausdruck setzte sie hinzu: »Ich liebte meinen theuern Bruder Carlo, wie man Gott lieben soll, den Geber alles Guten. Viele unserer Voceros enthalten die Klagen einer Schwester, die ihren Bruder verloren hat.«
»Den Geboten des Bruders gehorcht aber auch die Schwester unbedingt,« sagte Wilda.
»Es ist uralte Sitte,« versetzte Romana. »Wie könnte ein Bruder Etwas befehlen, was seine Schwester betrübt. Nie, o! niemals würde mein lieber Carlo mir befohlen haben, was ich beklagt hätte.«
»Ihr habt noch einen Bruder,« sagte Wilda, »ist er von derselben Güte?«
»Giulio,« erwiederte sie, und im Nachdenken schwieg sie einen Augenblick, ohne das Lächeln von ihren Lippen zu verlieren; darauf aber fuhr sie fort: »Er ist edel und gut, nur nicht so ruhig und besonnen, wie Carlo war, sondern mehr nach der Art meines Oheims aufbrausend. Daher lieben sich auch Beide so sehr.«
Der Capitän sah über sich hinauf in den Baum, welcher sich rauschend schüttelte, und eine Wolke löschte zugleich die Sonne aus; es wurde dunkel umher. Darauf wieder hell, und Romana sprach zu gleicher Zeit:
»Bruder ist der schönste Liebesname, den ein Mann empfangen kann von der, die ihm mit Seele und Leib angehört, alle Liebe und alle Sehnsucht liegt in dem Rufe nach ihm vereinigt. Aber wie blickt Ihr doch so ernsthaft, Herr Carlo? War's die Wolke, die vor der Sonne stand, oder welche Wolke ist es, die vor Eurer Seele vorüberfliegt?«
»Eine Wolke,« antwortete Wilda, »welche wir nicht sehen, und doch fühlen wir ihren finstern Schatten. Die Wolke, welche mitten im Sonnenschein des Glücks plötzlich wie ein Gespenst uns einhüllt mit dem Mantel der Nacht, ohne Ende und ohne Zukunft.«
»Ohne Zukunft!« rief Romana. »Habt Ihr denn nicht gehört, Siore Carlo, was Angelo sagte, als er in Euren Mienen und Augen las? Madre di Dio! wie hätte ich so froh sein mögen, wenn ich nicht wußte, daß Euch kein Leid geschehen werde. Angelo hat noch niemals falsch gesehen, und ich weiß es, eine Stimme sagt mir, Gott schützt Euch!«
»Glaubt Ihr das, liebe theure Romana?« fragte er, ihre Hände ergreifend, und es rauschte um seinen Kopf wie lodernde Flammen.
Einen Augenblick noch, und er hätte sie mit seinen Armen umschlossen, mochten alle Menschen von Oletta dabei stehen. Doch Romana sprang auf.
»Kommt,« sagte sie, »wir wollen zu Angelo geben, wir wollen Alles erfahren, er soll uns die Scapula lesen. Morgen will er weiter ziehen, er hat es mich wissen lassen. Heut aber treffen wir ihn noch an dem Felsen von Tenda, sicher auch erwartet er mich.«
»Was ist die Scapula?« fragte der Capitän.
»Ihr werdet es sehen,« lächelte sie. »Zweifelt nur nicht daran, daß diese Weissagung falsch sein könnte. Von uralten Zeiten an ist ihr Wissen bei den Hirten. Achill Grimaldi hat mir erzählt, es stehe in den Büchern, daß sie vorhanden war, noch ehe es Christen gab.«
»Das ist Aberglauben,« sagte Wilda.
Wer kann das wissen,« erwiederte sie. »Habt Ihr nicht von dem Helden Sampiero gehört, dem größten, den Corsika hervorgebracht? Auch ihm verkündigte eine Scapula sein Schicksal, wie vielen anderen berühmten Männern. Fragt nicht weiter, kommt, mein Lieber, denn die Sonne eilt schon über die Berge, wir hätten früher aufbrechen sollen.«
Sie rief nach der alten Magd Bedetta, sagte ihr, daß sie in die Berge gehe, warf das Mandile über ihren Kopf und führte ihn über die Matten und Felder an dem Bache hinauf, die schmalen Stege aufwärts, welche zu dem Kastanienwalde an den Abhängen des Tenda leiteten. Zuweilen stand sie still, um mit dem Gaste zu plaudern, eine Blume zu pflücken oder ihn zu ermuntern, ihr nachzuklimmen auf einen steilen Gipfel, wo eine dunkle Cypresse einsam stand, umflossen von dunkelrother Abendgluth.
Das Thal lag warm und duftig ausgestreckt, über sich die flammenden Felsköpfe mit funkelnden Augen, und dann traten sie in den schweigenden Wald, Hand in Hand ohne Worte. Die Abendschatten wurden dichter, zuweilen blickte Romana lächelnd ihren Freund an, als wollte sie ihm Muth machen und den Ernst aus seinen Mienen scheuchen, und dann wieder eilte sie voraus, ein Lied anstimmend, das mit dem zärtlichen Ruf eines verirrten Hirtenmädchens nach ihrem Geliebten endete.
So erreichten sie endlich die Schlucht am Fuße des Hochgebirges, und Romana streckte ihre Hand aus und sagte:
»Dort ist Angelo, er sitzt bei seinem Feuer.«
Das zackige Haupt des Tenda schwebte in blutiger Röthe hoch am Himmel, in dem Felsenspalt aber rieselte die Nacht an den steilen Wänden nieder, und das Feuer des alten Hirten glänzte hell darin. Bald wurden sie auch von den wachsamen Hunden empfangen, aber diese zeigten sich nicht feindlich gesinnt, sondern gingen vor ihnen her und begleiteten sie wie Trabanten, die ihren Auftrag auszurichten haben, zu ihrem Herrn. Die Heerde ruhte schon um die Hütte, doch die schwarze Ziege sprang auf, ließ ihre Grüße hören und bezeigte ihre Dankbarkeit für Romana's Liebkosungen. Seltsam genug war der Anblick, als die beiden Wanderer die Hütte am Felsen mit diesem Gefolge erreichten und das Feuer, das davor brannte.
Angelo saß auf seinem Steinsitze, die lichte Flamme vor sich, welche er aus dem fetten Holz des wilden Oelbaumes genährt, den Rücken an den alten Stamm gelehnt. Auf seinem Schooß ruhte eine große Cither, deren dumpfe Klänge den späten Gästen entgegenschallten.
Der Greis hörte auch nicht auf mit seinem Spiele, als Jene sich näherten, er schien sie nicht zu beachten, und selbst als Romana mit ihrem Begleiter dicht vor ihm stand, fuhr er noch fort, bis er aufblickend ihr zulächelte und seine harte große Hand aufhob.
»Guten Abend, Angelo,« sagte Romana, »Du hast uns wohl nicht mehr erwartet?«
»Ich wußte, daß Du kommen würdest,« erwiederte der Greis.
»Ich nicht allein,« antwortete sie. »Sieh, auch dieser Herr, den Du kennst, ist mit mir gekommen.«
»Ich wußte, daß er sein würde, wo Du bist,« versetzte Angelo.
»Wußtest Du das?« rief Romana, »dann wußtest Du auch, warum ich ihn zu Dir führte.«
»Auch das,« sagte Angelo, »Du willst, daß ich ihm die Scapula lese.«
»Thue es, guter Angelo, im Namen Gottes thue es,« bat Romana, sein weißes Haar berührend.
»Ist es Dein Wille, fremder Mann, willst Du Dein Schicksal hören?« fragte der alte Hirt mit feierlichem Ernst.
Ein eigenthümlicher Schauer überkam den jungen Officier. Er glaubte nicht an solche unheimliche Kunst, mochte wohl lieber darüber spotten; jetzt aber wurde ihm bange davor, er wagte es nicht, einen Zweifel zu äußern oder Nein zu sagen.
»Ich will mein Schicksal hören, Angelo,« erwiederte er, »wenn Du es wahrzusagen verstehst.«
»Du wirst es erproben,« sagte der Hirt, »es wird sich erfüllen, wie sich Vieles erfüllt hat. Setze Dich mir gegenüber auf den Stein dort und gieb Romana Deine Hand. Was ich Dir verkündige, wird dann für Euch Beide gelten.«
So sprechend zog er unter seinem Kittel Etwas hervor, das Wilda mit Neugierde betrachtete. Es war ganz ohne Zweifel der Knochen eines Thieres, und Angelo bestätigte dies, als Jener seine Vermuthung aussprach.
»Es ist das Schulterblatt des Schafes, dessen Fleisch Ihr jüngst hier genossen habt,« sprach er, »und ist das linke Schulterblatt, denn das rechte blendet und trügt, man darf es nicht nehmen. Betet nun in der Stille ein Gebet zur Mutter Gottes, daß sie Euch Gnade verschaffe für Eure Sünden, und was Ihr hoffet und wünschet, damit erfüllet Eure Seelen, und fleht Gott an, daß er es Euch gewähre.«
So saßen sie neben einander, ihre Hände verschlungen, sich anschauend; in ihren Gedanken aus ihren Wünschen die Welt aufbauend, nach welcher sie sich sehnten; ihre heißen Finger zuweilen zusammenzuckend vor dem, was sie schauten, ihre heißen Augen sich einbohrend, verschmelzend in dem Strom zärtlicher Gefühle, der ihnen entgegenschwoll und zurückkehrend die süßeste Gewißheit brachte. Die Sympathie ihrer Seelen, die sie innig, einig empfanden, löste alles Fremde und Getheilte auf, als fließe durch die verbundenen Hände Blut und Leben, Geist und Wille in einen Körper zusammen.
Und welch' seltsamer Anblick, dies nächtliche Bild. Schweigen rings umher, tiefes Schweigen und Dunkelheit. Nur von ferne das dumpfe Gebraus des Baches, am Himmel die großen funkelnden Sterne und vor ihnen der Licht- und Feuerkreis. Darin die schwarzen Ziege und Schafe, welche sich aufgemacht hatten und jenseits des Feuers ohne Blut und Bewegung standen wie verzauberte Dämonen. Vor ihnen der alte Hirt auf seinem Felsensitze in seinen weißen Loden, aus denen Funken zu sprühen schienen, in seiner Hand die Spalla und ein eirunder Achatstein, mit welchem er den Knochen rieb, bis dieser davon zu glänzen begann wie ein Spiegel.
Zaubersprüche vor sich hinmurmelnd, fuhr er mit dieser Arbeit fort, bis der Feuerschein wundersam an dem weißen Knochen zu glühen begann, als sei er ein sprühend Eisen. Da ließ er den Stein sinken, und seine Augen hefteten sich an diesem Spiegel fest, und er blickte hinein, als wollte er in die Tiefe hinab sehen, und als zeigten sich dort Bilder und Gestalten. Und jetzt erhob er seine Stimme, erst langsam in einzelnen Worten, dann rascher und fügsamer, bis er wie ein Seher sprach, den eine fremde erhabene Macht treibt, die ihn zu ihrem Werkzeuge gemacht, wie die Seher und Propheten des Alterthums.
»Blut! Blut!« begann er, »hoffet nicht auf Frieden, ich sehe Blut! Ist das nicht der Aliso, der so roth dort fließt, ist das nicht Oletta, das mit Thränen und Trauer gefüllt ist? Wehe Euch! wehe Euch! Ihr Verlorenen! Wie ringen die Mütter ihre Hände, wie schreien die Schwestern um ihre Brüder, wie klagen die Weiber und die Bräute! Fliehet! fliehet! rettet Euch! – Doch nein! Du bist geborgen, Romana. Da ist Giulio Saliceti. Tapferer Fremdling. Du kamst zu rechter Zeit. Doch hüte Dich! hüte Dich, eine schwarze Gestalt ist hinter Dir, dunkle Schatten fallen auf Deinen Weg. Sieh den Baum, der dort steht, Blitze fahren nieder und zerreißen seine Zweige. Wo bist Du, Romana, ich sehe Dich nicht mehr? Wo ist Dein tapferer Freund, wo ist er, daß er Dich nicht zerschmettern lasse von diesem Wetter!«
Er hielt inne, seine Augen öffneten sich weit; es war, als verfolge er verworrene Bilder, welche sich nicht enträthseln ließen.
»Ein Fuchs, der Dich verschlingen will!« rief er dann, »ein Rachen mit tausend Zähnen über Deinem Haupt! Aber dort, welch' ein Strom ist das! Ich sehe eine Brücke und Blut, das von allen Pfeilern träufelt. Die Leiden treiben darauf, und der Tag löscht aus. Wo bist Du, Fremdling, liegst Du dort bei den Haufen der Erschlagenen?!«
In wilder Angst umklammerte Romana ihren Freund und sah ihn mit Entsetzen an.
»Nein!« rief der Prophet, »ich sehe Dich! Du hältst Dein Schwert in Deiner Rechten, und wen trägst Du fort, wer reicht Dir seine Hand? Da ist auch sie, und er segnet Euch. – Ich sehe ein Schiff, ist dies das Meer? Ich sehe den Baum wieder, er ist nicht zerschmettert. Ich sehe seine Krone, ich sehe seine Aeste. Fremder Mann, Gott hat Dich beschützt, Du wirst leben, lange leben! Du wirst erreichen, was Du begehrst; so Du, Romana, auch Du. Der Fuchs wird Dich nicht zerreißen, Du wirst keine Klagelieder singen. Da stehst Du geschmückt, und die Myrthe blüht in Deinem Haar, fern, fern sehe ich Dich, aber seine Arme halten Dich. Schütze sie, Madre di Dio! schütze sie in Ewigkeit!«
Und wie er diese letzten Worte leiser und leiser sprach, ließ er seine Arme sinken, und der Zauberspiegel fiel nieder, der greise Kopf senkte sich auf seine Brust, er schlief. Aber Romana schlang beide Arme um den Hals des Geliebten mit inbrünstiger Zärtlichkeit, mit aller Seligkeit ihres Lebens.
»Romana! meine Romana!« rief er voll überströmender Liebeswonne.
»Carlo! mein Bruder! mein Bruder!« antwortete sie unter seinen Küssen.
So, ohne Sprache, im reinsten Menschenglück, in einer Minute ein langes Leben lebend, saßen sie umschlungen, als plötzlich die Hunde aufsprangen und dies zauberische Nachtbild zerstörten. Die schwarzen Thiere flohen von dem Feuer, ein Geschrei ließ sich hören, der greise Hirt wachte auf. Und als ob auch die Natur erwacht sei, fuhr ein Windstoß durch die Schlucht und jagte Flammen und Funken umher.
»Ruft die Bestien zurück!« schrie eine kräftige Stimme, »oder ich schieße sie nieder.«
Angelo ließ seinen Ruf hören, zugleich aber eilte Romana einige Schritte vor das Feuer und sah Männer sich nähern, deren lautes Sprechen sie ankündigte, ehe man sie erkennen konnte.
»Alles in Ordnung, Achill!« rief der, welcher voranschritt, »wir sind richtig hier herunter gekommen. Oletta liegt vor uns, und der Hirt, der hier rastet, muß der alte Angelo sein. Holla, Angelo! Er muß uns Fackeln geben.«
In dem Augenblicke sah er die Mädchengestalt vor sich, und gleich darauf schrie er: »Colpo di Tuone! wer ist da? Romana, so wahr ich lebe!«
»Giulio! Giulio!« antworte Romana, und nun wußte Wilda, wer diese fremden seien: Romana's erwarteter Bruder, sein Vetter Achill Grimaldi und ein Hirt, der sie durch die Schluchten der Bergkette des Tenda begleitet hatte und einen Pack auf seinem Rücken trug, welcher Reisetaschen und Kleider des jungen Grimaldi enthielt.
»In frühester Frühe sind wir von Bastia aufgebrochen,« sagte Giulio, nachdem er seine Schwester umarmt, »haben die Serra überstiegen und dann uns die Pfade in die Berge des Nebbio hinaufleiten lassen, um aufs Kürzeste zu Dir und nach Oletta zu kommen. Achill konnte die Zeit nicht erwarten,« fuhr er lachend fort, »aber es ist ihm zu viel geworden. Die Felsen des Tenda sind nicht für weiche Füße gemacht.«
»Glaube ihm nicht, liebe Romana,« fiel der Andere mit wohllautender Stimme ein. »Auf die Spitze des Doro oder Blanco würde ich klimmen, wenn ich wüßte, Dich dort zu finden, und herrlicher konnten alle Heiligen mich nicht belohnen, als mit der Freude, Dich hier unverhofft zu finden.
»Wie war das möglich, Romana. War es eine himmlische Eingabe, oder was hat Dich in der Nacht hier herauf geführt?« fuhr er fort, indem er ihre Hände ergriff.
»Ich wollte Angelo noch einmal sehen,« sagte Romana, »morgen zieht er weiter.«
»Oho, Achill!« lachte Giulio, »das war also ihre Sehnsucht. Allein bist Du gekommen! Wo ist der Onkel?«
»Ich bin nicht allein gekommen,« erwiederte Romana. »Unser Gast hat mich begleitet, der Capitän von der deutschen Compagnie.«
»Wir haben in Bastia schon davon gehört, daß in Oletta Soldaten eingerückt sind, und Friedensunterhandlungen dort stattfinden sollen,« entgegnete Achill Grimaldi. »Das hat den General auch bewogen, uns die Thore zu öffnen, und wir fliegen dem Frieden voran, theure Romana, und bringen Dir den Oelzweig.«
»Aber wo ist dieser brave Siore Capitano,« sagte Giulio, »daß wir ihm unsere Hände reichen!« Mit diesen Worten ging er auf das Feuer los, und als er Wilda dort fand, rief er ihm ein freudiges Evviva Siore! entgegen. Gleich folgte auch Achill Grimaldi, und die drei jungen Männer betrachteten sich bei dem Scheine der Flammen und tauschten freundliche Worte.
Giulio Saliceti hatte Etwas an sich, das den Capitän gleich für ihn einnahm, denn er ähnelte seiner Schwester; doch sein wohlgebildetes Gesicht prägte sich männlich kräftig aus. Man sah es ihm an, daß er rasch und heftigen Sinnes war. Seine Augen blickten feurig unter starken Brauen wie die des Abtes Peverino, seine Gestalt war schlank, und sein corsisch dunkles Haar fiel dicht auf Stirn und Nacken und vermehrte den trotzigen Eindruck seines Anblicks. –
Ganz anders sah dagegen Achill Grimaldi aus, der kleiner und breitschultriger neben ihm stand. Dieser besaß das Wesen eines Mannes, der ebensowohl welterfahrener als verständiger und klüger schien, als sein Gefährte. Sein farbloses, hageres Gesicht wurde von einer geschmeidigen Freundlichkeit belebt, seine Augen blickten ruhig und sicher; höflich und gewinnend, doch mit bedächtigen wohlgesetzten Worten drückte er dem Capitän seine Freude aus, ihn hier anzutreffen, und in Allem, was er sagte, war wohl zu bemerken, daß er mehr geistige Bildung und Urtheil besitze, als die meisten seiner Landsleute.
Giulio Saliceti trug einen corsischen weiten Kittel, den Pelone, eine Mütze nach dem üblichen Schnitt, auf seiner Schulter einen Carabiner und um seinen Leib einen Gurt für Pulver und Blei. Achill Grimaldi in seinem schwarzen Rocke, ein kleines Hütchen mit einer Tresse auf der Fülle seiner dichten feinen Haare, diese Haare selbst im Nacken zusammengebunden, und in seiner Hand einen Rohrstock mit Goldknopf, sah dagegen aus wie ein Herr aus der Stadt, vertraut mit den Moden, welche die Franzosen dort üblich gemacht hatten.
Die Unterhaltung währte einige Zeit in freundlicher Weise fort, dann aber forderte Giulio seine Freunde auf, jetzt ohne Säumen nach Oletta hinabzusteigen.
»Hungrig sind wir und müde, wie Du Dir denken kannst,« sagte er zu seiner Schwester, »allein Du wirst Noth haben, Achill's Ansprüche zu befriedigen, denn er ist verwöhnt und liebt die französischen Gerichte.«
»Glaube dies ebenso wenig, beste Romana,« fiel Achill ein, »wie alles Andere, was er Böses von mir spricht. Ich vergesse niemals, daß ich ein Corse bin, somit wirst Du mich genügsam und dankbar für alles Gute finden. Wenn Du aber Nichts mehr hier zu thun hast – ich hoffe, es ist geschehen, was Du wolltest –«
»Es ist geschehen, Achill,« fiel Romana lächelnd ein.
»So werden wir Giulio's Rath befolgen können, sobald Angelo uns mit Fackeln ausrüstet.«
Der alte Hirt hatte schon dafür gesorgt. Er zündete ein Bündel harziger trockener Spähne an und schritt dann ohne ein Wort voraus, die Anderen ihm nach unter freudigem Geplauder. Durch den Wald flammte das Licht in das Thal hinab. Giulio folgte dem riesigen Alten mit Romana Hand in Hand. Achill Grimaldi wußte die kleinen Reiseabenteuer, welche er heut bestanden, mit den lustigsten Scherzen gewürzt darzustellen; schweigsam betrachtete und beobachtete ihn der Signore Capitano.
Als sie dann an die Brücke des Baches gelangten, leuchteten andere Lichter ihnen entgegen. Der Abt Saliceti, zurückgekehrt in sein Haus, war unruhig ausgezogen, seine Nichte zu suchen, nun fand er sie hier mit seinem Neffen und Vetter. Groß war die Freude.
»Lebt wohl!« rief Angelo von der Höhe herunter, auf der er stehen geblieben. »Gottes Segen mit Dir, Romana. Sei klug, so wirst Du glücklich sein!«
Am anderen Tage war es wohl zu merken, daß Giulio Saliceti in sein Vaterhaus zurückgekehrt war, denn viele junge Leute aus der Gemeinde, seine Freunde und Genossen kamen, um ihn zu begrüßen und ihre Zuneigung zu beweisen. Bernardo Leccia fehlte nicht dabei, und fröhlich ging es her, mancher Weinkrug wurde geleert. Die Sache des Vaterlandes wurde heiß besprochen, und viele Schwüre, viele Flüche gegen die Franzosen verhallten in dem großen Gemache. Der Abt saß inzwischen bei älteren angesehenen Leuten, Achill Grimaldi unter diesen, denen er Nachrichten gab über die Verhältnisse in Bastia, über das französische Heer und über die Generale. Seine Schilderungen waren ungemein anregend und lebhaft, doch keineswegs ermuthigend.
Der französische König hatte ausgesuchte Soldaten herübergeschickt, die besten, welche er besaß, und diese stießen zu dem Heere, das die Corsen im letzten Sommer so übel zugerichtet. Ihre Niederlagen zu rächen brannten sie um so mehr, da nicht allein die Corsen verspottende Siegeslieder sangen, sondern ganz Europa Beifall klatschte und das heldenmüthige kleine Volk pries, das so große Thaten vollbrachte. Dazu kam, daß die frischen Schaaren aus Frankreich ihre Kameraden verächtlich behandelten, da sich diese von Bauernhaufen schlagen und jagen ließen. Die Stimmung der Franzosen wurde dadurch eine wüthende und rachedürstige, sie zitterten vor Begier nach dem erneuten Kampfe, und dieser wurde von ihren Generalen auf's Sorgfältigste vorbereitet.
Was Achill mittheilte, wurde verschiedentlich aufgenommen. Die meisten der jungen Leute lachten und prahlten, manche der älteren hatten jedoch auch bedenkliche Mienen. Achill Grimaldi übte ein unzweifelhaftes Gewicht aus. In seinem schwarzen Kleide, seinen Schuhen mit Schnallen, seinem gebundenen Haar und seiner weißen, faltigen Hemdkrause unterschied er sich eben so bedeutsam von diesen Dorfbewohnern, wie durch die geistige Ueberlegenheit seiner Darstellungen. Dabei wußte Jedermann, daß die Grimaldi's aus einer alten Signorenfamilie stammten, Jedermann wußte auch, daß der alte Rath zu den angesehnsten Männern gehörte, daß Leo Grimaldi Paoli's getreuester Freund sei, und das dieser junge Rechtsgelehrte nächstens einer der neun Richter sein würde.
Nur den Abt Saliceti verdroß es, das sein Vetter so sprach. als wolle er Schrecken vor den Franzosen verbreiten. Er runzelte daher seine Stirn, ließ seine Augen rollen und sah den schwarzen Advocaten von Bastia spöttisch messend an.
»Ich sehe wohl,« rief er endlich, »daß die Leute in der Stadt, wo sie mit den Franzosen umgehen müssen und sich putzen müssen, striegeln und bügeln, immer mehr dabei verlernen, wie es bei dem Volke in den Bergen aussieht. Es sind aber noch dieselben Corsen, die bei Borgo die weißen Lilienfahnen in den Staub stürzten, und Dein eigener Bruder Leo Grimaldi war es, welcher drei Mal die Franzosen schlug, trotz aller ihrer Wuth und Tapferkeit.«
»Wir werden sie wieder schlagen, daran zweifle ich nicht,« erwiederte Achill; »doch haben wir jetzt 30 000 gegen uns, während Chauvelin nur die Hälfte hatte.«
»Und wären ihrer so Viele, wie Sand am Meere!« brauste Peverino auf, so wollen wir Corsen bleiben. Maledetto! Alle diese Elenden, die uns zu Knechten des Franzosenkönigs machen wollen. Aber es wird nicht dahin kommen,« setzte er ruhiger hinzu, »in wenigen Tagen werden wir es sehen. Graf de Vaux ist ein edler gerechter Mann und ein Freund unseres Volkes.«
Achill Grimaldi schwieg darauf einige Augenblicke, indem er vor sich hinlächelte und mit der goldenen Kette an seiner Uhr spielte, die einzige, welche hier zu finden war.
»Graf de Vaux ist sicherlich ein edler und ein Ehrenmann,« erwiederte er darauf. »Er wird für Corsika thun, was er immer vermag, ich wünsche es von ganzem Herzen. Ein ehrenvoller Frieden ist das Beste für uns, und besonders für mich,« setzte er hinzu, indem er eine seiner Hände auf seine Brust legte und mit einem verliebten Blicke Romana nachsah, welche soeben durch das Zimmer ging.
Jedermann wußte, was er meinte, mancher Mund verzog sich, aber Achill fuhr fort:
»Graf de Vaux ist ein sehr kluger Mann von den größten und vortrefflichsten Gaben. Er kennt Corsika genau, kennt unsere ersten und besten Männer. Wenn Einer Unterhandlungen zu leiten versteht, so versteht er es, wenn Einer uns den Frieden verschaffen wird, so wird er es sein. Ein großer Feldherr ist er nicht, wie man sagt, dafür aber hat er den General Marbeuf zur Seite.«
»Und das ist Einer, der Nichts schont und scheut!« rief Bernardo Leccia. »Er hat Dörfer verbrennen lassen und Menschen todtschießen oder gar rädern lassen ohne Gnade, wo ein Schuß auf seine Franzosen aus einem Hause gefallen war.«
»Somit muß sich ein Jeder vor ihm und vor dem Todtschießen und Rädern in Acht nehmen,« erwiederte Achill in einer Weise, daß ein allgemeines Gelächter entstand.
»Das wollen wir, indem wir ihn selbst in die Hölle schicken mit allen seinen verdammten Franzosen!« schrie Bernardo übermüthig.
So ging es weiter her in diesem Kreise, der endlich sich zerstreute, ohne eben klüger geworden zu sein. Auf den Frieden rechneten Viele und wünschten ihn, Andere hingen fest an dem Präsidenten Paoli, dem sie treu bis in den Tod folgten. Ingrimmiger Haß und Stolz gegen die Franzosen drückte sich in den meisten dieser braunen Gesichter und in ihren feurigen Worten aus; daran ließ es auch Giulio Saliceti nicht mangeln.
Er hatte von seinem Vetter in Bastia weder Vorsicht und Klugheit gelernt und erklärte mit vieler Lebendigkeit, daß ihm Nichts so schwer geworden sei, als sich so weit zu verstellen, daß er keinen Anstoß gegeben. Aber er habe niemals in einer Gesellschaft aushalten mögen, wo sich Franzosen befanden, und doch sei dies nicht zu vermeiden gewesen. Nach Bastia zurück wolle er auch nimmer, er habe an dem überstandenen Aufenthalt in der Stadt vollkommen genug.
Dieser Gegenstand wurde dann weiter behandelt, als die Familie allein war.
»Ich bin jetzt zwanzig Jahre alt,« sagte Giulio, »da ist es Zeit, an mich zu denken, und da mein Bruder nicht mehr lebt, will ich meines Vaters Erbe übernehmen und ein Landmann sein, wie er es war.«
»Eheh!« rief der Abt, ihm zunickend, »und führst uns auch bald wohl eine junge Frau in's Haus. Hast Dich schon umgesehen darnach?«
»Nein, nein!« versetzte Giulio, »noch hat mir keine gefallen, so viel ich auch gesehen habe.«
»Narrheiten sind das!« schalt der Abt.
»Mag sein,« lachte Giulio, »doch was scheeren mich die Weiber! Meine Braut ist mein Vaterland, eine andere verlange ich nicht. Wenn Corsika frei ist, will ich an ein Weib denken. Sollte ich aber mein Leben lassen müssen, Oheim, so bleibt Dir Romana und Achill, der sie beschützen wird.«
Der Abt schüttelte sich und sah nach dem Balcon bin, wo Romana und ihr Vetter beisammen standen, und er warf einen langen Blick auf Beide und sprach darauf:
»Sie wird jetzt bald siebenzehn, doch nicht eher will ich ihr einen Mann geben, als der Friede geschlossen ist.«
»Du bist unser Vater und redest weise; allein wir können sie doch verloben,« versetzte Giulio. »Ich habe es Achill versprochen, Dir seine und meine Bitte mitzutheilen. Er liebt Romana mit Zärtlichkeit, und wo gäbe es für sie einen besseren Mann?«
Der Abt stimmte ihm bei.
»Es ist ja eine längst beschlossene Sache,« sagte er, »wenn es mir auch nicht gefällt, daß Achill derartig von den Franzosen spricht, wie er es thut.«
»Onkel!« rief Giulio spottend, »Du meinst doch nicht, Achill könnte nicht wie ein Corse denken? Ich will Dir Etwas vertrauen. Graf de Vaux ist ein schlauer Herr. Er sucht zu gewinnen, wer sich irgend gewinnen läßt, und er weiß sehr gut, welchen Einfluß die Grimaldi's haben. Auch an Achill hat er sich gemacht, doch da ist er an Einen gekommen, der schlauer ist, als er. Da Achill in Paris war, sich modisch kleidet und französische Suppe ißt, meint er, ihm so recht vertrauen zu können, und sieht ihn gern bei sich, so daß Achill Mancherlei erfährt.«
»Ich würde lieber Nichts erfahren,« fiel der Abt unmuthig ein.
»Er ist ein Advocat, aber ein noch größerer Patriot,« sagte Giulio. »Alles, was er erfährt, theilt er seinem Bruder mit, so bleibt dem Präsidenten Nichts verborgen. Obwohl Bastia scharf bewacht wird, giebt es doch Mittel und Wege, um Briefe nach Corte zu bringen und in die Berge.«
»Steht es so,« sprach der Abt, »so ist es freilich ein großer Dienst, den Achill dem Vaterlande leistet, obwohl ich lieber wollte – aber weißt Du es gewiß?«
»Alles weiß ich, Oheim. Groß sind die Gefahren, die er wagt, denn der geringste Verdacht würde ihm das Leben kosten. Aber Achill ist ein Corse, er fürchtet den Tod nicht. Es giebt kein so braves, so tapferes Herz, darum liebe und ehre ich ihn wie meinen älteren Bruder, und darum will ich, daß Romana sein Weib werden soll.«
So sprachen sie weiter, und der Abt wurde immer zufriedener, bis er zuletzt behaglich blickend zugab, Achill Grimaldi sei eine Ehre für die Saliceti, und freudig werde er Romana ihm angeloben, heute oder morgen, sobald Achill dies wünsche oder wolle.
Während dies aber drinnen gesprochen und bedacht wurde, unterhielt auf dem Balcone Achill Grimaldi seine schöne Muhme mit Beschreibungen, wie viel und oft er an sie gedacht, welche Unruhe er empfunden, und mit welcher Sehnsucht er den Tag herbeigewünscht, der ihn in ihre Nähe bringen und so glücklich machen sollte, als er jetzt sich fühle.
Romana, mit ihren großen, sonnenhellen Augen ihn anschauend, als wollte sie bis in Herz und Seele ihm leuchten, und mit ihrem lieblichen Lächeln, das ihr freudiges Beistimmen nicht holder ausdrücken konnte, schien dem melodischen Klang seiner Worte aufmerksam zu lauschen. Es kam dem klugen Advokaten vor, als ob Romana eine Prüfung mit ihm anstellte, als habe sie Etwas in ihrem kleinen Kopfe, was sie beschäftigte, und er wußte, daß sie nicht ohne geistige Fähigkeiten sei, um nachzudenken und zu urtheilen.
»Was ist es,« fragte er daher, plötzlich in seiner Rede abbrechend, indem er seine feurigen, scharfen Augen auf sie heftete, »das Dich beschäftigt, liebe Romana?«
»Ich denke nach,« erwiederte sie, »wie sich Deine Versicherungen zu den Wirkungen verhalten, welche sie bei mir hervorrufen.«
Er lachte auf.
»Das klingt ja so gelehrt, als ob es ein Professor von der hohen Schule in Corte sagte. Ich hoffe doch, Du zweifelst nicht an der Wahrheit jeder Silbe.«
»Nein, Achill, ich zweifele nicht, ich glaube es,« war ihre Antwort.
»Nun, und was ist die Wirkung?«
»Daß auch bei mir Alles wahr sein muß, was ich empfinde.«
»Herrlich, liebe Romana! Folge der Stimme der Wahrheit in Deinem Herzen. Du wirst doch nicht von ihrem Pfade weichen wollen?«
»Nein, Achill, ich glaube an die Wahrheit.«
»Wie es einer christlichen Jungfrau geziemt, theure Romana. Willst Du mir immer die Wahrheit sagen?«
»Das will ich, wenn Du mich frägst.«
»Gut. Was sagt diese schöne Stimme in Deinem Herzen?«
»Da kommt Er!« rief Romana, indem sie sich über den Balcon beugte.
»Wer?« fragte Achill.
»Sior Carlo Wilda,« versetzte sie. »Richtig, er ist es. Er kommt heute wieder sehr spät, und einen Brief hält er in seiner Hand.«
»Oh,« sagte Achill lächelnd, »Du hast diesen Sior Carlo wohl schon lange erwartet?«
»Schon seit einer Stunde,« erwiederte sie. »Er war heute so früh schon fortgegangen, daß ich ihn noch nicht gesehen habe.«
»Das ist ja recht schade!« fuhr Achill freundlich fort. »Es scheint ein sehr artiger Herr zu sein.«
Romana hörte nicht mehr darauf. Sie lief von dem Balcone nach der Thür, offenbar, um ihren Freund zuerst zu empfangen, und Achill folgte ihr nach, so einnehmend lächelnd, als bisher, während er in dem Satze fortfuhr, den er abgebrochen, und leise zu sich selbst sagte: »den der Henker holen mag, sobald es ihm beliebt. Aber ich muß diesen Burschen näher kennen lernen.«
Sein Wunsch konnte bald erfüllt werden, denn Wilda trat in der nächsten Minute schon herein und wurde von Allen wohl empfangen. Romana bot ihm ihre Hand dar und fragte, warum er so lange fort geblieben, und er antwortete darauf, daß es auch die Männer hörten:
»Ich empfing eine wichtige Nachricht, wir haben morgen schon den Präsidenten zu erwarten. Gleich in der Frühe wird er eintreffen und von Fiorenzo herauf General de Vaux mit seinem Gefolge kommen. Der Podesta hat mich rufen lassen, um Vorkehrungen zum Empfange zu verabreden, gleich wird er selbst hier sein, um dem Herrn Abt Saliceti mehr davon zu sagen.«
Diese Mittheilungen wurden mit lebhafter Theilnahme gehört, sie brachten bald die ganze Familie in Bewegung. Schon Beschlossenes wurde von Neuem bedacht und Anderes hinzugefügt, was nun erst zu Rath gelangte. Der Podesta versammelte die Gemeindevorsteher, um jegliche Fürsorge zu treffen, daß die Zusammenkunft durch nichts Ungehöriges gestört werde, und jetzt kam zur Ausführung, was schon früher angeregt, daß die größte Ruhe und Stille herrschen, das Volk von Oletta sich in seinen Häusern halten solle. Die Casa Saliceti aber sollte geschmückt werden, so viel dies geschehen konnte. Der Podesta und die Vorsteher sollten die hohen Fremden empfangen und bis an die Treppe begleiten, die Soldaten die Ehrenwache bilden; um aber die sechseckigen rothen, kleinen Steine, aus denen der Fußboden des großen Gemaches bestand, zu bedecken, prahlte der Abt mit dem prächtigen großen Teppich, den er aus der Kirche holen lassen wolle, wo er vor dem Altare lag.
So auch wurden die Anstalten besprochen, um die Gäste zu bewirthen, und solche und ähnliche Angelegenheiten beschäftigten den Abt und die Männer von Oletta den ganzen Tag über. Romana mit den Mägden des Hauses und der Beschließerin wurden damit nicht minder in Thätigkeit erhalten, denn die Befehle und Fragen des Abtes donnerten umher. Er selbst hielt Musterung über alle Geschirre und Vorräthe und ordnete in seiner polternden Weise an, was schnell beschafft werden sollte. Giulio Saliceti wollte Nichts damit zu thun haben, er untersuchte dafür Gewehre und Waffen, lief zu seinen Freunden und sprach mit ihnen geringschätzig über die Franzosen, indem er zugleich zornig gegen jede Nachgiebigkeit redete, welche etwa von dem Präsidenten bewilligt werden könnte. Er reizte die jungen Leute damit auf, doch zu gleicher Zeit war er verständig genug, zur Ruhe zu ermahnen, damit kein Schimpf auf Oletta oder auf die Saliceti und deren Freunde falle.
»Laßt sie nur unterhandeln,« sagte er, »ich denke, es wird doch Nichts helfen. Diese Franzosen sind übermüthig und anmaßend; laßt sie nur kommen. Es soll ihnen noch einmal so gehen, wie bei Borgo, das ist auch Achill Grimaldi's Meinung.«
Der Advokat aus Bastia hatte inzwischen Gelegenheit gesucht, sich an den deutschen Capitän zu machen, und ihm besonderes Wohlwollen bewiesen. Er zeigte sich zutraulich und in allen Dingen wohl unterrichtet. Nach der Sitte der wohlhabenden Familien der Insel, welche ihre Söhne in Florenz und in Pisa studiren ließen, war auch er in diese Pflanzstätte corsischer Bildung geschickt worden und hatte sie als Doktor der Rechte verlassen. Ein längerer Aufenthalt in Paris sollte vollenden, was ihm noch fehlte, und als er vor zwei Jahren nach Bastia zurückkehrte, war er wohl im Stande, eine politische Rolle zu spielen, wenn sich dazu die Gelegenheit bot.
Zu derselben Zeit aber traf er in seines Vaters Hause dann seine junge Verwandte Romana Saliceti, und man erinnerte ihn daran, was im Familienrath beschlossen, und was er gut genug wußte.
Er kannte Romana aus der ersten Kinderzeit, und ihre Schönheit und geistige Befähigung, wie die Aussichten auf nicht unbeträchtliches Vermögen waren seinen Wünschen gemäß. So vereinigten sich Wohlgefallen und Berechnung in seinen Absichten und machten ihn zu einem ergebenen Freunde der angesehenen Familie sowohl, wie des kindlichen Mädchens, dessen Neigung er für sich zu gewinnen suchte.
Und dies schien ihm auch vollkommen zu glücken. Romana kannte keinen Andern, in dessen Gesellschaft sie lieber gewesen wäre, der ihre Fragen besser beantwortete, ihren Gedanken und Vorstellungen Richtung und Bewegung gab, mit solcher Theilnahme sich mit ihr beschäftigte, ihr Vertrauter und ihr Beschützer sein mochte.
Sein Uebergewicht begründete sich durch seine geistige Ueberlegenheit, durch die Achtung vor seinem Scharfsinn und seinen Kenntnissen, welche ihm so viele Männer zollten, durch sein Ansehen bei seinen Verwandten sowohl, wie bei seinen Mitbürgern. Nur der Krieg im letzten Jahre, der Tod Carlo Saliceti's, den Romana so zärtlich liebte, und der Tod ihres Vaters hinderten die Erklärung des Lebensbündnisses, aber Achill Grimaldi sah seine Erwählte ruhig nach Oletta zurückkehren, er wußte, daß sie ihm gehörte.
Jetzt stieg zum ersten Male ein Zweifel darüber in ihm auf, hervorgerufen durch diesen deutschen Soldaten, den ein Zufall hierher gebracht hatte. Wenn er die Verhältnisse bedachte, kam es ihm verächtlich vor, daß ein Abenteurer seinen Weg durchkreuzen könnte, denn was hatte dieser Mensch zu erwarten, sobald die Saliceti ahnten, wohin seine verwegenen Wünsche gingen. Abt Peverino hätte ihn mit dem Scapulier aus dem Hause getrieben, und Giulio ihm eine Kugel durch's Herz gejagt.
Doch dahin durfte es auf keinen Fall kommen. Der Präsident Paoli war nicht der Mann, um eine Gewaltthat, an seinen Officieren verübt, zu dulden, ohne Rücksicht darauf, wer die Verbrecher seien. Ein Liebesverhältnis Romana's zu diesem Fremden hätte jedoch ohnedies die Ehre der Saliceti, die Ehre Romana's und seine eigene Ehre angetastet. Niemand durfte daher Etwas erfahren.
Achill Grimaldi beobachtete mit scharfen Augen, obwohl Niemand Etwas davon bemerkte, während des ganzen Tages das Benehmen der beiden Verdächtigen und bildete sich daraus sein Urtheil. Der Capitän schien Romana zu vermeiden, ihren leuchtenden Blicken auszuweichen, ihren fröhlichen Fragen und Ermunterungen mit höflicher Gemessenheit zu begegnen. Aber Romana kümmerte sich nicht darum, sie blieb in derselben glücklichen Stimmung. Achill Grimaldi wurde irre an dieser Sicherheit.
Der deutsche Abenteurer erschien dagegen ernst, zuweilen zerstreut und nachdenklich, und als davon die Rede war, daß diese Zusammenkunft der Generale entweder zu einem raschen Frieden oder zum raschen Kriege führen werde, brach er in die hastigen Worte aus:
»Mag kommen, was da will, alles ist besser als diese Lage.«
»Seid Ihr so unzufrieden damit?« lachte Achill. »In Oletta ist es freilich langweilig, allein seine Bewohner werden Euch eben deswegen nicht gern scheiden sehen, mein Herr Capitän.«
Wilda warf einen scharfen Blick auf den Advokaten, doch dieser sah ganz harmlos aus. –
»Ich bin dieser edeln Familie Saliceti vielen Dank schuldig,« antwortete er darauf, »dennoch muß ich wünschen, daß der Krieg beginnt und mich fortruft, denn die gerechte Sache Corsika's kann nur mit dem Schwerte erstritten werden.«
»Hoffen wir, daß es so geschehe,« versetzte Grimaldi, »und daß Ihr dann mit uns den Frieden feiern helft und bei uns bleibt als ein Bürger des freien Corsika's.«
Da er keine bestimmte Antwort erhielt, fuhr er fort:
»Viele tapfere, großherzige Männer stehen uns bei, aber wir können sie leider nur mit unsern Bürgerkronen belohnen, und Wenige werden diese annehmen, denn es ist wahr, man muß in Corsika geboren sein, um die Welt vergessen zu können.«
Wilda dachte daran, was er mit Romana erst gestern über denselben Gegenstand gesprochen, und er antwortete mit denselben Worten fast, die ihm einfielen:
»Nichts kann das Vaterland ersetzen, Herr Grimaldi. Auch ich werde in meine Heimath zurückkehren, sobald Corsika frei ist.«
»Gott gebe es!« rief Achill, und er ließ es zweifelhaft, was er meine, denn Wilda wurde durch einen seiner Soldaten abgerufen, den er nach St. Pietro hinaufgeschickt hatte, um dem Podesta die nahe Ankunft des Präsidenten zu melden.
Inzwischen kam Giulio mit einigen andern jungen Leuten, welche voller Scherz und Uebermuth sich zu dem Advokaten setzten und ihn wegen seiner Liebe zur Einsamkeit und seiner Schweigsamkeit verspotteten. Bernardo Leccia befand sich bei ihnen und war der Munterste von Allen. Er kannte Achill und that vertraut mit ihm.
»Es kann nicht anders sein,« sagte er, »der gelehrte Doctor Grimaldi muß krank sein, doch betrübt Euch nicht, meine Freunde, es wird kein Lamento um ihn angestimmt werden, ich kenne diese Krankheit aus Erfahrung. Ist Euch nicht sehr bange um's Herz, mein lieber Achill,« fragte er im Tone eines Arztes, »zu gewissen Zeiten und wenn gewisse Personen in Eure Nähe gerathen?«
»Ich glaube, daß ich nicht Nein sagen darf,« versetzte Achill.
»Und wenn Ihr von zwei Augen angesehen werdet, die allerdings seltsamlich leuchten wie Johannisfeuer, ist Euch dann nicht so zu Muthe, als müßtet Ihr auf Eure Kniee niederfallen und sie anbeten?«
»Wie Ihr das genau zu beschreiben wißt!« rief Achill.
»O! ich kenne diese Leiden aus dem Grunde, ich habe sie studirt, mein gelehrter Herr Doktor,« versetzte Bernardo, »aber ich will Euch vertrauen, wie ich selbst davon befreit wurde. Eines Tages, als ich eine Angst empfand, ärger als ein Bandit, hinter dem die Vendetta ist, gerieth ich in Wuth. Und eben begegnete mir die Ursache meines Uebels. So sprang ich auf sie los, überwand alle Furcht, schloß sie in meine Arme und schloß ihren Mund mit meinem Munde, damit sie nicht schreien könnte. Doch siehe da, sie schrie nicht, und es geschah ein Wunder, illustrissimo Dottore. Die Zauberei hatte keine Macht mehr über mich, ich fühlte, wie die Krankheit von mir abfiel, und statt der Angst, die mich wie ein Berg von Blei zusammengepreßt viele Tage lang, schien es mir, als hätte ich Flügel bekommen und schwebte durch alle Himmel, an meinem Herzen die Strega, die böse Hexe, welche sich in einen Gottesengel verwandelt hatte. Und seit dieser Zeit, mein vortrefflicher Herr Achill, bin ich so gesund und so glücklich gewesen, daß ich Euch nur rathen kann, dies Recept auf's Pünktlichste und Schnellste zu gebrauchen.«
»Wirklich,« antwortete Grimaldi, »nun, ich sage Euch, hochweiser Wunderdoktor, ich habe die größte Lust dazu.«
Das Gelächter, das Bernardo's Rathschläge begleitete, verdoppelte sich.
»Auf der Stelle! auf der Stelle!« schrien Mehrere.
»Nein, meine lieben Freunde,« versetzte Achill, »das würde sich nicht schick. Doch morgen werde ich Bernardo's Mittel gebrauchen, und da unser großer Präsident dann ebenfalls in Oletta sein wird, soll das Wunder in seiner Gegenwart geschehen, damit er es segne.«
Ein Freudengeschrei folgte darauf, und ein Scherz jagte den andern. Es war gewiß, daß Giulio seinen Freunden vertraut hatte, wie es mit der Verlobung seiner Schwester mit seinem Vetter stand. Ohne Wein und Gesang ging es nicht ab, die Cithern wurden herbeigeholt, und bis spät in die Nacht hinein saßen sie singend und trinkend beisammen. Daß Achill Grimaldi sich entfernte, wurde von den Wenigsten beachtet.
Unter dem Feigenbaume in dem Gehege hatten inzwischen Romana und ihre Freundin Maria ein langes Gespräch gehalten, das hauptsächlich deren nahe Hochzeit, ihr Liebesglück und ihre häuslichen Einrichtungen zum Inhalte hatte. Maria erzählte mit Stolz, was sie Bernardo zubringen würde, sowohl an ihrer Ausstattung in Kisten und Kasten, wie auch an Kastanien- und Oelbäumen, an Fruchtgärten und an Weinstöcken. Die Leccia aber waren überdies eine wohlhabende Familie, und Maria Montalti versicherte nicht ohne Stolz, daß sie dann die Ersten in Oletta sein würden, die Saliceti ausgenommen.
»Du,« rief sie dann, »hast bald Nichts mehr mit solchen Dingen zu schaffen. Was kümmern Dich Weingärten und Oliven! Du wirst in der Stadt wohnen, Dich putzen und wie eine Dame leben.«
»Ich denke, so wird es kommen,« antwortete Romana.
»Und Bastia wird wieder die größte und erste Stadt durch die Franzosen,« fiel Maria ein.
»In Bastia werde ich nicht leben,« unterbrach sie Romana.
»Oh! es giebt andere Orte, wie Corte oder Ajaccio. Doch ich möchte nimmer aus Oletta, und Bernardo eben so wenig. Erst heute noch schwor er mir, hier zu leben und zu sterben.«
»Sterben! – wenn man glücklich ist,« sagte Romana nachsinnend.
»Schweige! schweige! wir werden daran denken, wenn wir alt sind,« rief Maria.
»Könntest Du nicht mit Bernardo sterben?« fragte Romana. »Möchtest Du zurückbleiben?«
»Nein! Gottesmutter, nein! Möchtest Du leben, wenn Achill in dem Leichentuche läge?«
Romana antwortete nicht. Sie legte ihre Hand auf Maria's Hand und besann sich.
»Was fragte ich Dich neulich,« begann sie dann, »erinnerst Du Dich daran? Ich fragte Dich, wenn Du hörtest, Bernardo reiste weit fort, wenn Du hörtest, er habe Dich verlassen, wenn Du hörtest, er sei gestorben, was Du thun würdest, und ich dachte dabei selbst an Achill Grimaldi. Du riefst mir mit erzürnter Stimme zu, Du könntest es nicht ertragen, ich aber empfand Deine Schmerzen nicht; daran wußte ich es gewiß, daß ich Achill nicht liebte.«
»Du liebst ihn nicht?« antwortete die Freundin erstaunt. »liebst Achill Grimaldi nicht, den alle Leute bewundern und Dich glücklich preisen?«
»Mögen sie ihn bewundern. Er ist sehr klug, was geht das mich an?«
»Dein Oheim, Dein Bruder, alle Deine und seine Verwandten sind einig und freudig, Romana. Was würde geschehen, wenn sie Deine Worte erführen?«
»Kann ihre Einigkeit denn machen, daß ich ihn liebe?« antwortete Romana. »Liebst Du Bernardo Leccia, weil Deine Eltern es Dir befohlen?«
»Du liebst ihn nicht, aber Du liebst auch keinen Anderen,« rief Maria erschreckend vor dem, was sie hörte, und doch ungläubig und sich tröstend. »Dein Herz ist ein Lilienblatt, aber die Stunde wird kommen, wo es zur Purpurrose wird. Achill Grimaldi wird es schlagen und beben machen.«
»Falsch! falsch!« sagte Romana, mein Herz gehört schon einem, der keinen Raum für Achill Grimaldi darin übrig läßt.«
Jetzt wurde Maria bange.
»Du liebst einen Anderen?« fragte sie zweifelnd. »Wer könnte es sein?«
In dem Augenblicke hörten sie, wie vom Hause her Jemand durch das Vorthor der Treppe in das Gehege trat, und Romana sprach:
»Er kommt.«
»Wer?« fiel Maria hastiger ein.
»Den ich liebe.«
»Gott und ihr Heiligen!« flüsterte Maria. »Bist Du bei Sinnen, Romana? Eine Hexe hat Dich bezaubert.«
»Ich habe mich selbst bezaubert,« antwortete Romana. »Würdest Du Deinen Bernardo Dir nehmen lassen?«
»O! meine arme Romana,« rief Maria heftig bewegt, sie mit ihren Armen umschlingend, »höre mich! höre mich! Ich werde glücklich sein, Dich aber werden sie umbringen in ihrer Wuth, und wer soll das Leben dessen retten, den Du liebst?«
»Ich,« antwortete Romana freudig.
»Nein, nein, wie könntest Du das?! Du liebst diesen Fremden, es ahnte mir, nun weiß ich es. Niemals wird Dein Oheim, wird Giulio solche Schmach ertragen, und ganz Oletta wird ihnen Recht geben. Möchten Raben und Hunde eher sein Fleisch gefressen haben, ehe er hierher kam.«
»Wie böse Du bist,« sagte Romana. »Bist Du nicht meine treue Maria, die mir helfen soll?«
»Wie soll ich Dir helfen, o! wie soll ich helfen!« schluchzte Maria, ihre Hände ringend. »Erbarme Dich, Gottesmutter! Morgen soll sie an Achill Grimaldi verlobt werden!«
»Wer hat Dir das gesagt?« fragte Romana ruhig.
»Dein Bruder. Es ist mit Deinem Oheim so beschlossen.«
»So mag es geschehen, wenn es geschehen muß.«
»Du willst nicht nein sagen? Willst Dich nicht widersetzen?«
»Ich werde es nicht thun.«
»Und dieser Mann – dieser Fremde –«
»Er wird uns verlassen, und Gott wird mit ihm sein.«
»Liebe gute Romana!« rief die Freundin getröstet, »laß ihn von dannen ziehen. Versprich mir, daß Du gehorchen und schweigen willst.«
»Höre, was ich ihm sagen werde,« antwortete Romana lächelnd, und sie trat aus dem Schattenkreise des Baumes hervor, eben als die Schritte dessen sich näherten, der hier erwartet wurde. Ein großer Stern funkelte am Himmel über dem Feigenbaume, und es war, als sammle sich sein Licht auf Romana's Gesicht. Wilda glaubte ihr frohes Lächeln und die glücklich glänzenden Augen zu sehen, während ihre süße Stimme ihm entgegenhallte.
»Kommst Du, mein Geliebter,« rief sie, »kommst Du, um Abschied zu nehmen von Deiner Schwester? Du mußt mich verlassen, Du hast es mir heute geschrieben, und ich habe Dir geantwortet, daß ich Dich erwarten will unter diesem Baume. Du wirst mich nicht vergessen.«
»So lange ich zu denken vermag, niemals!« erwiederte er.
»Schwöre nicht!« fiel sie ein, »ich weiß es, daß Du Wahrheit sprichst, und auch von mir fordere keinen Schwur. Keine Stunde wird vergeben, wo ich Dich nicht sehe, und schaust Du hinauf zu dem Sterne dort, wird er Dir meine Grüße sagen.«
»O! daß all mein Glück sich in eine Minute zusammendrängte!« sagte Wilda, sie an seine Brust pressend, indem er zu dem großen leuchtenden Sterne hinaufblickte.
»Morgen wird mein Bruder mich mit Achill Grimaldi verloben,« unterbrach sie ihn, »und mein Oheim wird uns seinen Segen geben.«
Als er keine Antwort darauf gab, legte sie ihre Arme um ihn und fuhr fort:
»Sei nicht traurig darüber, mein Geliebter. Weißt Du nicht, daß Gottes Wille mächtiger ist, als Menschenwille? Sie würden Dich todt niederstrecken mit ihren Kugeln und Messern, wollten wir vor sie hintreten und sprechen: Ihr sollt nicht! Aber es wird doch nicht geschehen. O! mein Carlo, mein Geliebter! Gott beschützt uns, er wird und vereinigen, wir werden glücklich sein!«
Mit solcher Gewißheit, als gäbe es keinen Zweifel, sagte sie ihm, daß er ruhig und freudig sie verlassen solle, vertrauen solle auf das, was im Himmel beschlossen sei, und voll Schmerz und Erstaunen sah Wilda, mit welcher gläubigsten Zuversicht auf die Prophetengabe des alten Hirten, auf die Spalla, welche dieser gelesen, ihre Seele mit den süßesten Tröstungen gefüllt war. Wie kläglich, verdammlich erschien ihm der Aberglaube, wie stieß er ihn von sich voll Bitterkeit und Stolz, und dennoch – wie hätte er den süßen Liebeszauber zerstören, das Gottvertrauen vernichten können, die ihre Seele mit Muth und unerschütterter Freudigkeit füllten. In den Armen des holden Kindes, das ihn umschlang und ihn mit Liebesnamen bedeckte, zitterte sein Herz in dem Weh der Entsagung. Von jenem Augenblicke an, wo Grimaldi plötzlich auf dem Felsen am Tenda erschien, war es ihm gewiß gewesen, daß er Romana vor Unglück bewahren müsse. Nun war er dazu entschlossen, es konnte nicht anders sein, er mußte von ihr scheiden auf Nimmerwiederkehr; doch sie sah diese Trennung nur als eine kurze an, hinter welcher das Glück einer ewigen Vereinigung stand.
»Geh denn, theurer Carlo!« rief sie bei ihren Küssen, »geh, Gott wird mit Dir sein. Keine Kugel wird Dich treffen, kein Schwert Dich verletzen, Du wirst geschützt sein durch die Hände der heiligen Jungfrau, und ich will für Dich beten, will Dich erwarten. Ich sehe Dich als einen Sieger, ich sehe Dich und mich, wie Angelo uns gesehen hat. Glück in Deinen Augen, mein geliebter Freund, Glück in Deinen frohen Mienen, wenn Du gehst. Glaube, glaube an Gottes Segen, und nun lebe wohl! Küsse Deine Romana, lebe wohl!«
Eine stumme Minute verging, der Stern funkelte heller, Schweigen war überall, dann klang der leise Ruf:
»Lebe wohl, Romana, von allen himmlischen Mächten sei ewiglich beschützt!«
Gleich darauf eilte ein dunkler Schatten durch das Gehege. Es war, als ob er fliehe, als ob er den giftigen Spinnen und Skorpionen entgehen wollte, die zur Nachtzeit aus diesen Blüthen kriechen.
Romana blieb stehen. Ihre Hände streckten sich ihm nach, dann blickte sie zu dem Sterne empor, lächelte und nickte ihm zu, ohne Worte. Als sie unter den Baum zurückkehrte, fand sie Maria nicht mehr; von Bangigkeit getrieben, hatte diese leise sich entfernt, sie wollte keinen Theil haben an Romana's Vergehen.
Und wieder wurde es still unter dem Feigenbaum, auch Romana war gegangen. Aber hinter dem Stamme hervor trat jetzt Achill Grimaldi.
»Es ist nicht werth,« sagte er nach kurzem Bedenken lächelnd und die Achseln zuckend, »um diese Komödie ein finsteres Gesicht zu machen. Romana war immer eine Schwärmerin, mag sie sich damit die Zeit vertreiben, bis sie ein neues, schönes Lamento auf diesen Deutschen machen kann. Hoffentlich verschafft ihr eine französische Kugel dies Vergnügen, wo nicht – so werde ich es ihr verschaffen.«
Am folgenden Tage fand die Unterredung Statt, welche zwischen dem Präsidenten der corsischen Republik, Pasquale Paoli, und dem Anführer des französischen Heeres in Oletta verabredet war. Am frühen Morgen kam ein Trupp Reiter auf kleinen, rothen Corsenpferden von den Bergen von Oletta herunter, und bald blieb kein Zweifel übrig, daß dies der Präsident mit seinen Officieren und Räthen sei. Paoli war von Corte, seinem Regierungssitze, nach Murato gekommen und von dort über die Pässe der Bergkette in das Nebbio hinabgestiegen. Sobald die Töne der Muschelhörner sich hören ließen, wurde es in Oletta lebendig, die Soldaten versammelten sich an dem Kirchplatze, und der Abt machte sich auf, den General zu empfangen; doch dieser kam ihm beinahe zuvor, denn eben, als der geistliche Herr vor das Thor trat, sprengten die rothen Pferde schon in Oletta hinein.
Es hielten wohl ein Dutzend Reiter an der Thür der Casa Saliceti, und die meisten derselben konnten die Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen, denn die tapfersten und tüchtigsten Männer des kleinen, hart bedrängten Volkes befanden sich darunter. Pietro Colle, der Sieger in der Casinca, der tapfere Serpentini, Achill Murati und der düstere Clemens Paoli, kenntlich vor Allen an seinen großen, fanatisch glühenden Augen. Doch alle diese Tapferen wurden vergessen über dem Anblick des Mannes, der Corsika's Schicksal auf seinen Schultern trug, und dem das Volk mit begeistertem Vertrauen anhing.
Pasquale Paoli war damals zweiundvierzig Jahre alt, doch mochte man ihn für jünger halten. Von kräftiger, hoher Gestalt drückte sein edles Gesicht Festigkeit und Milde zugleich aus. Hochgewölbt und frei war seine Stirn, dichte schön gebogene Augenbrauen über den klaren blauen Augen, welche groß und hell Jedem bis in die Seele schauten; edel und stolz Nase und Mund, das Haar voll und fein bis in den Nacken fallend, Alles an ihm wohlgebildet, würdevoll, voller Ruhe und Verstandessicherheit, und doch noch mehr voller Milde und Menschenliebe.
Die Leute aus Oletta staunten aber weniger die edle Gestalt und den würdigen Kopf ihres Präsidenten an, als sein Gewand, das ihnen noch wunderbarer dünken mochte. Einfach in seinem Leben, so einfach an Kleid, Haus und Tisch, wie der schlichteste Mann aus dem Volke, hatte Niemand den Präsidenten noch anders angethan gesehen, als mit dem corsischen Wollenrocke und dem Gurte, welcher diesen zusammenhielt. Heute jedoch trug er ein grünes, reich mit Goldtressen besetztes Kleid, einen Federhut mit blitzender Agraffe von Edelsteinen und einen prächtigen Türkensäbel in rother und goldener Scheide, den ihm der Bey von Tunis als Zeichen seiner Bewunderung vor Kurzem übersandt hatte. Kein anderer Mann aus seinem Gefolge steckte in einer Uniform, Alle trugen den haarigen Mentone, doch dieser war als Zeichen ihres Ranges mit Aufschlägen von Sammet und mit Seidenschnüren besetzt; nur Clemens Paoli schritt in seinem braunen groben Rocke ohne alle Abzeichen daher.
Noch aber war der Abt Saliceti mit den Bewillkommnungen seiner Gäste beschäftigt, als man den Ton einiger Trompeten vernahm, die aus der Felsschlucht des Aliso herauftönten. Die französischen Generale nahten, diese Zeichen kündigten sie an, und bald sah man am Eingange der Paese eine flatternde Fahne und hinter ihr einen Reitertrupp auf hohen, mächtigen Rossen, die von den kleinen Bergpferden der Corsen sehr verschieden waren.
Von seinen Officieren umgeben, ging der Präsident den Franzosen entgegen und empfing sie am Rande der kleinen Ebene, auf welcher die Kirche lag.
Graf de Vaux befand sich an der Spitze, begleitet von den Generalen Marbeuf und Grandmaison, dem Befehlshaber in Fiorenzo. Adjutanten folgten ihnen, den Schluß machte eine Abtheilung Dragoner. Kaum erblickte de Vaux den Feldherrn der Corsen, als er von seinem Pferde stieg und mit freundlicher Eile und lebhaftem Gruße sich ihm näherte.
Aus ihren Häusern konnten die Einwohner von Oletta sehen, daß der französische Graf den Pasquale Paoli umarmte, sie konnten sehen, wie höflich seine Begleiter sich zu dem Gefolge des Präsidenten benahmen, und als de Vaux vertraulich dann seinen Arm in den Arm seines Gegners legte, und Beide mit ihren Begleitern der Casa Saliceti zugingen und darin verschwanden, wurde manches Gesicht froh, denn der Friede schien gewiß zu sein.
Aber es kam anders, als die Vertrauenden in Oletta dachten. Das große Gemach im Hause der Saliceti war festlich geschmückt; die Teppiche lagen auf dem rothen Steinboden, der Tisch war besetzt mit Wein und Speisen, und Abt Saliceti lud mit verbindlichen Worten zum Genuß seiner Gastfreundschaft ein. Niemand verschmähte diese. Der Obergeneral ergriff zuerst sein Glas und trank auf das Wohl des edeln und tapferen Generals Paoli, und mit der würdigen Haltung, die ihm eigen, erwiederte der Präsident dies mit einem Wohle auf den König von Frankreich, der so oft schon dem corsischen Volke seinen mächtigen Schutz und seine freundschaftliche Theilnahme geschenkt.
»Diese Theilnahme, diesen Schutz,« erwiederte der Graf einfallend, »wird mein allergnädigster König auch niemals den Corsen entziehen; ja, ich bin beauftragt, es Ihnen, General, auf das Bestimmteste zu versichern, daß Se. Majestät Alles für diese Insel thun will, was in seiner Macht steht, um sie mit Wohlthaten zu überhäufen.«
Der Präsident verneigte sich, es entstand eine augenblickliche Pause.
»Wir vertrauen der gnädigen Zusicherung des Königs,« erwiederte Pasquale Paoli alsdann. »Möge es dem mächtigen Monarchen gefallen, der edle Schirmer und Schützer unserer Freiheit zu sein, wofür wir ihm ewig dankbar sein wollen.«
Graf de Vaux lächelte, indem er leise die Achseln zuckte. Er sah weniger wie ein Kriegsmann, denn wie ein Hofmann aus. Auf seinem Kopfe trug er eine lockige Perrücke, reich mit Puder bestreut, sein Gesicht war geschminkt, die Züge darin offen und angenehm, die Stirn edel gewölbt, die Augen voll Güte, und ein adlig Wesen ihm aufgeprägt, das von seiner hohen, leichten und noch jugendlichen Gestalt vermehrt wurde. Er war das Bild eines französischen Cavaliers aus der alten Zeit, edeln und ritterlichen Empfindungen eben so wohl zugänglich wie grau geworden in der sittlichen Verwilderung am Hofe des fünfzehnten Ludwig's. In Wahrheit konnte er nicht recht begreifen, warum diese halbwilden Corsen sich so fanatisch weigerten, die Unterthanen des allermächtigsten und größten Monarchen der Welt zu werden, der ihnen obenein die schönsten Vorzüge und Vortheile bot.
»Mein lieber General,« sagte er mit einer anmuthigen Handbewegung, »täuschen wir uns nicht über die Absichten und Zwecke unserer Zusammenkunft und erschweren wir uns nicht den Erfolg. Der König hat die Insel Corsika durch den Vertrag von Versailles am 15. Mai 1768 von Genua gekauft; auf's Tiefste beklage ich es, daß die Corsen sich dagegen empörten und die Rechte des Königs mit den Waffen in der Hand bekämpft haben.«
Ein Gemurmel entstand in den Reihen der corsischen Anführer. Paoli sandte ihnen einen befehlenden Blick zu und sagte dann mit seiner tiefen weichen Stimme:
»Wider alles Völkerrecht hat Genua gehandelt, denn es verkaufte, wozu es kein Recht besaß. Nur durch Gewalt und Mord haben die Genuesen Corsika seit Jahrhunderten zu erobern und zu beherrschen gesucht, doch niemals hat das corsische Volk sich ihnen unterworfen. Immer hat es sie als seine Feinde betrachtet, sie bekämpft, und jetzt hat es diese Fessel für immer abgeschüttelt. Es hat sich eine Verfassung gegeben, es ist frei und hat keinen Herrn. Frankreich selbst stand uns dazu bei, unterhandelte mit uns als mit einem unabhängigen Staate. Wie war es darnach möglich, unser Land und uns wie ein herrenloses Gut oder wie eine willenlose Heerde zu kaufen?«
Seine Augen ruhten auf dem Grafen mit solcher Festigkeit, und die Macht der Wahrheit wirkte mit solcher Stärke, daß de Vaux sichtlich verlegen nur durch eine kecke Antwort sich zu helfen suchte.
»Dies sind unentschiedene Streite, mein General,« rief er. »Die Genuesen behaupten das Gegentheil, sie haben ihr Recht immer zu behaupten gesucht.«
»Aber es ist falsch,« versetzte Paoli. »Niemand kann sich darüber täuschen. Wir haben bis zur Sonnenklarheit es in unseren Druckschriften vor den Augen der ganzen Welt bewiesen, zum Ueberfluß aber es jetzt noch einmal gethan.
Tritt hervor, Carlo Bonaparte,« fuhr er fort, indem er sich zu seinem Gefolge wandte, und es nahte sich ihm sein Geheimschreiber, jener junge schöne Advocat aus Ajaccio, der Vater des berühmten, gewaltigen Mannes, den die Vorsehung dazu bestimmt hatte, Kaiser der Franzosen zu werden und Frankreichs Recht und Freiheit so unter seinen Füßen zu zerstampfen, wie Corsika's Recht und Freiheit zerstampft wurde.
Aber Graf de Vaux stand auf, als er Carlo Bonaparte mit einem dicken Hefte erblickte, und sagte abwehrend:
»Schriften vorzulegen und Rechte zu prüfen, haben wir weder Zeit noch Beruf. Ich bin nicht gesandt worden, um solche Untersuchungen anzustellen. Der König, mein gnädigster Herr, hat mich an die Spitze seines Heeres gestellt, um seinen Willen zu vollziehen. Recht oder Unrecht, gleichviel, ich bin Soldat und gehorche den Befehlen meines Monarchen; aber ich beschwöre Euch, Ihr Herren, bringt es nicht zum Aeußersten. Dem Könige ist diese Insel wichtig, er will und muß sie besitzen, leistet ihm nicht länger fruchtlosen Widerstand. Ihr sollt wissen, daß es ein Unterschied ist, zu Genua zu gehören oder zu Frankreich. Frankreich wird Euch reich und glücklich machen, Genua hat Euch ausgesogen. Euer Handel wird aufblühen, Euer fruchtbar schönes Land wird das reichste in der Welt werden. Eure Häfen werden lebendig sein, Eure Städte groß, das Volk aus seiner wilden Verlassenheit zur Bildung und Gesittung reifen, Eure Kinder werden fortan in Frankreich erzogen werden, und Ihr selbst, Ihr Herren, die Ihr Edelleute seid, Ihr werdet von dem großen und gütigen Monarchen die Rechte Eures Standes empfangen, mit Ehren und Würden belohnt werden. Wenn Sie Ihr Vaterland lieben, General,« rief er lebhaft aus, indem er Paoli's Hände ergriff, »dann zögern Sie nicht, meinen Vorschlag anzunehmen. Unterwerfen Sie sich dem Könige als getreuer Unterthan. Legen Sie die Waffen nieder, überliefern Sie ihm die Insel, und ich verbürge mich mit meiner Ehre, alle Ihre anderen Wünsche sollen befriedigt werden.«
Wiederum lief ein dumpfes Gemurmel durch die Reihe der Corsenführer. Die Gesichter von Bronce erhielten Leben, die schwarzen Augen funkelten und glühten, die Lippen zuckten und zeigten weiße zusammengepreßte Zahnreihen, aber Pasquale Paoli streckte nochmals gebietend seine Hand aus und sprach zu gleicher Zeit, würdig aufgerichtet vor den Franzosen, fest und stolz:
»Nicht um Gnade bitten wir, nicht um Lohn und Ehren, sondern um Gerechtigkeit. Gott und Menschen rufen wir zu Zeugen an, daß, was wir begehren, unser ewiges und heiliges Menschenrecht ist. Wir fordern Nichts, als das Recht, in dem Lande unserer Väter als freie Männer zu leben und zu sterben. Warum wollt Ihr uns zu Franzosen machen, die wir nicht sein wollen? Warum wollt Ihr unser Land erobern, uns mit Gewalt zu Eures Königs Unterthanen machen? Recht und Gerechtigkeit verachtend, uns, die wir Nichts so sehnlich wünschen, als in Ruhe und Frieden mit allen Völkern der Welt zu leben, das einzige Gut nehmen, das wir besitzen, unsere Unabhängigkeit?! Um dies Höchste aller Menschengüter haben die Corsen gekämpft mit den Sarazenen, den Pisanern und Genuesen seit den Zeiten des Giudice della Rocca und des Sampiero, und jetzt endlich, wo es ihnen gelang, frei zu sein, ein Volk zu werden, das mit guten Gesetzen sich selbst regiert, jetzt erscheint Ihr, die wir als unsere Freunde liebten und ehrten, um uns neue Fesseln zu bringen. Wenn Gerechtigkeit noch auf Erden wohnt, kann so großes Unrecht nicht geschehen. Gott wird es nicht zulassen, er wird in unserer Noth uns Hilfe senden. Er hat das Mitgefühl aller Völker für unsere gerechte Sache geweckt, er hat noch nie ein Unrecht ungerächt gelassen!«
Mit steigender Bewegung sprach Pasquale Paoli. Edel und schön war sein Anblick. Graf de Vaux konnte seine feurigen und vorwurfsvollen Blicke nicht ertragen. –
»Ihr hofft auf Englands Beistand,« sagte er, den Präsidenten unterbrechend, »ich versichere Euch mit meiner Ehre, Ihr habt keine Hilfe von dort zu erwarten. Das englische Cabinet hat dem Könige die feierliche Versicherung gegeben, Euch keine Unterstützung zukommen zu lassen, und in diesem Augenblicke ist die Bekanntmachung erneut, welche schon vor acht Jahren in London gegeben, den Engländern jeden Verkehr mit den corsischen Rebellen verbietet.«
»Graf de Vaux!« rief Pasquale Paoli, indem er dem französischen Obergeneral einen Schritt näher trat und seine Rechte zum Himmel aufhob, »wir kennen Sie als einen edeln, als einen gerechten und Wahrheit liebenden Mann, dessen Namen das corsische Volk mit Freude und Vertrauen hörte, als es erfuhr, Sie kämen von Ihrem Könige gesandt. Sind wir Rebellen, sind wir Verräther?! Verdienen wir Schmach und Schande? Lastet eine Schuld auf uns, die uns werth macht, verachtet und verfolgt zu werden? Giebt es ein Recht, das Sie gutheißen können, um uns zu Unterthanen des Königs von Frankreich zu machen? Antworten Sie im Namen der Wahrheit, im Namen Gottes!«
In größter Verwirrung wandte de Vaux sein geröthetes Gesicht dem neben ihm stehenden Grafen Marbeuf zu, als suche er Beistand bei ihm, und hierzu ließ sich der rauhe General sogleich bereit finden.
Sein narbiges finsteres Gesicht hatte den harten Ausdruck eines Soldaten von Handwerk, der seinen Befehlen unbedingten Gehorsam zu verschaffen weiß. Er hatte in diesem Kriege auch schon bewiesen, daß er seine Feinde schonungslos behandelte, und die Corsen fürchteten ihn mehr als jeden Anderen, denn er galt als der wahre Feldherr der Franzosen, der die Pläne zur Eroberung des Landes machte und ausführte, während de Vaux geschickt war, um durch seine überredende Milde die Eroberung zu erleichtern.
»Was können Fragen helfen, die ohne Antwort bleiben müssen, da Niemand hier sein Urtheil über den Willen des Königs abgeben darf,« begann er. »Se. Majestät hat uns befohlen, diese Insel in Besitz zu nehmen und Jeden, der sich zu widersetzen wagt, als Rebellen und Verräther zu behandeln, das ist alles, was wir erwiedern können. Graf de Vaux hat, wie mir scheint, bestimmt erklärt, was des Königs Gnade Euch anbietet; Ihr habt zu wählen, ob Ihr diese annehmen oder die Folgen Eures Ungehorsams tragen wollt. Wie sieht es in Corsika aus trotz Eurer hohen Worte! Das Land ist wild und arm bei aller seiner Fruchtbarkeit. Der Boden liegt wüst und unbebaut, statt hundertfältiger Ernten trägt er Rosmarin, Dornen, Disteln und wildes Oelgestrüpp. Und wie der Boden, so sind die Menschen faul und träge. Die Männer an müßiges Umhertreiben gewöhnt, die Weiber ihre Lastthiere. Nirgends in der Welt geht es so gesetzlos her, nirgends wird mehr Blut vergossen. Statt fleißig zu arbeiten und als gute Bürger friedlich zu leben, schweifen die meisten mit ihren Doppelgewehren umher, um ihren schlechten Leidenschaften, ihren Rachegelüsten nachzujagen, ihre Mitbürger zu ermorden. Das muß aufhören. Der König will es nicht länger dulden, er will Euch Gesetze und Ordnung bringen, er will dieser Barbarei ein Ende machen. Alle redlichen Menschen müssen sich darüber freuen; wer sich widersetzt, hat verwirkt, was er verdient.«
Mit starrem Erstaunen hörten die Häuptlinge der Corsen diese harten drohenden Worte. Anfänglich fesselte sie die Ueberraschung, sie standen wie Bildsäulen, mit jedem neuen Satze dieser Rede aber verbreitete sich ein grimmigerer Zorn in ihren Adern und Muskeln, und noch hatte der General nicht geendet, als ein Schrei der Wuth in dem Gemache widerhallte.
Clemens Paoli, der Mönch, wie er genannt wurde, war aus der Reihe seiner Gefährten hervorgetreten, und mit seinen schrecklichen Augen den General verschlingend, mit der Hand an dem Dolchmesser in seinem Gürtel, rief er dröhnend laut:
»Wer wagt es, die Corsen zu schmähen?! Wer wagt es, unser Volk und Vaterland zu verleumden?!«
Und alle Hände zuckten nach den Dolchen und Pistolen, die französischen Officiere faßten nach ihren Degen. Marbeuf allein blieb stehen, seine Arme gekreuzt, ohne eine Miene zu ändern, seine furchtlosen Augen auf einen grimmigen Corsen gerichtet, der seine Pistole gegen des Generals Kopf richtete.
Es war ein. gefahrvoller Augenblick, den Paoli's Großherzigkeit überwand.
»Halt!« rief er seinen Officieren zu, »befleckt unsere Ehre nicht! Beweist Denen, die uns lästern, daß sie Unrecht haben. Fort mit den Waffen, meine Brüder, diese Männer stehen unter dem Schutze corsischer Gastfreundschaft, kein Haar darf ihnen gekrümmt werden.«
Alle gehorchten, nur Clemens Paoli sagte in seinem begeisterten Prophetentone:
»Wehe Euch, Ihr Uebermüthigen, die Ihr gekommen seid als Unterdrücker der Gerechten. Wehe Euch, Ihr Knechte des Gewaltigen, die Ihr prahlt mit Ruhm und Ehren, Schande sei Euer Erbtheil. Seid Ihr Männer voll Mannessinn, Werkzeuge eines Despoten, fühllos gegen Recht und Gerechtigkeit, die Ihr in dies Land kamt, bereit, uns in Ketten zu schlagen? Wahrlich, höher als Ihr steht der Geringste der Corsen, der voll Freiheitsliebe, voll Liebe für sein Vaterland aufsteht gegen Euch. Ihr sollt uns finden und sollt uns Rede stehen. Gott wird richten zwischen uns und Euch!«
»Auf die Galeeren mit Euch Allen!« murmelte Marbeuf, indem er einen funkelnden Blick auf den Corsen warf, der soeben von ihm sein Pistol zurückzog.
Es war Carlo Abbatucci, den er nicht lange darauf in Bastia vom Henker brandmarken und auf die Galeeren verurtheilen ließ, was er ihm im Stillen hier zugeschworen.
»Sie machen den Corsen ungerechte Vorwürfe,« begann inzwischen nochmals der Präsident, nachdem er die Ruhe hergestellt. »Voll Betrübniß sehe ich, wie vergebens meine Bemühungen sein werden, Gerechtigkeit zu erlangen. Was wahr ist in dem, was Sie sagten, wird leider von Ihnen nicht gebessert werden, wenn Gott es in seiner ewigen Weisheit geschehen lassen sollte, daß Corsika in die Hände der Franzosen fiele. Wir sind von uralten Zeiten her ein Volk von Hirten und Fischern gewesen,« fuhr er fort; »sehen Sie unsere Männer in den Gebirgen und an den Küsten, sie sind rasch, kräftig und tüchtig, Keinen in der Welt stehen sie nach. Ackerbauer sind die Corsen nicht, harte Arbeit scheint ihnen Sclaverei, das reiche Land gewährt zu leicht und gütig, was sie nöthig haben, und ihre Bedürfnisse sind gering. Wahr ist es, wir haben Fehler und Mängel, tief zu beklagende Fehler, aber diese entspringen fast alle aus Freiheitsliebe, aus kühnem Mannessinn, aus übergroßem Ehrgefühl. Doch wir besitzen auch Tugenden, wie man diese vergebens in manchen Ländern suchen wird.« –
Er hob seinen Kopf auf und sagte mit Kraft:
»Es giebt bei uns bis jetzt keine Diebe und keine Betrüger! Eines Corsen Haus hat kein Schloß und keine Riegel, eines Corsen Wort wird treu gehalten. Heilig ist die Freundschaft, heilig die Liebe! Unter allen Schrecken und Schicksalen hat der stolze Sinn dieses armen Volkes sich erhalten, keines Volkes Geschichte weiß edlere, schönere Thaten der Vaterlandsliebe und der Menschenwürde zu melden. Seit zwölf Jahren habe ich es versucht, mein Vaterland seiner Freiheit werth zu machen, und es blühte empor und begann zu gedeihen; jetzt erscheint Ihr, um diese jungen Blüthen zu zertreten. In der Freiheit werden die Corsen ihre Fehler ablegen, sie werden ein einsichtiges, nachdenkendes Volk, ein thätiges, friedfertiges und die Gesetze ehrendes werden; Ihr aber, die Ihr ihm sein Selbstgefühl und Freiheitsgefühl nehmen wollt, werdet es nicht bessern, Ihr werdet das Gute verderben und das Schlechte vermehren. Gott möge mich bewahren, daß ich dazu helfe, daß ich mein Volk verrathe und mich selbst mit Schimpf und Schande bedecke! Ist, was ich hörte, Alles, was Sie mir zu sagen haben, Herr Graf de Vaux, so habe ich Nichts mehr darauf zu erwiedern. Dann mag diese Unterredung beendet sein; alles Blut und alles Elend aber falle auf die Schuldigen!«
Diese stolzen, entschlossenen Worte des Präsidenten beendeten nun zwar die Zusammenkunft nicht, aber eine Wiederholung des heftigen Auftritts, den General Marbeuf herbeigeführt, wurde vermieden durch das höfliche und gewinnende Benehmen, mit welchem der französische Obergeneral sich bemühte, seine herzliche Theilnahme für Land und Volk der Corsen zu betheuern. Er sagte viel zu ihrem Lobe, erinnerte daran, wie er Jahre lang hier gelebt und immer der Corsen Freund gewesen, schwur, daß sein Rath aus eines Freundes Herzen komme, entschuldigte den Grafen Marbeuf, der, wenn auch Soldat und des Königs eifriger Diener, es doch gut meine, drückte seine tiefe Betrübniß aus, daß er nicht mehr thun könne, und wiederholte endlich schmeichelnd und überredend alle die glücklichen Folgen, welche Corsika von einer Vereinigung mit Frankreich genießen würde.
Doch was er auch klug und gewandt zu reden wußte, es prallte ab an der stolzen Freiheits- und Vaterlandsliebe dieser Männer. Vergebens hielt er ihnen seine Lockungen hin, vergebens zeigte er ihnen das glänzende Paris und den goldenen Lohn, der ihrer wartete. Seine Winke, zu fordern, was sie begehrten, und gewiß zu sein, es zu erhalten, prallten wie Pfeile ab auf einen Panzer von Stahl. Pasquale Paoli bedurfte Nichts als eine Hand voll Kastanien oder ein Stück Brot, um satt zu werden, und diese Männer in ihren groben Mänteln verachteten das Gold der glänzenden Uniformen ebenso sehr, wie die Goldstücke mit dem Bildnisse des Königs, der sie mit deren Hilfe zu Verräthern machen wollte.
Beide Theile sahen endlich wohl, daß eine Vereinigung nicht erfolgen werde, so bemühten sie sich denn um so mehr, ihren redlichen Willen zu betheuern und ihre letzten Hoffnungen auf reifliche Ueberlegung und Prüfung, wie es Männern geziemt, zu setzen. Beweise der Hochachtung und persönlicher Zuneigung wurden gewechselt, von frühern Zeiten erzählt und lebhafte Mittheilungen über die Kämpfe den letzten Jahres gemacht, wobei General Marbeuf mit größter Freimüthigkeit die Tapferkeit der Corsen rühmte und mehrern der anwesenden Anführer, besonders dem kühnen Pietro Colle, der den Sieg bei Borgo entschieden, seine Bewunderung bezeigte.
Die Unterhaltung wurde dabei bald scheinbar herzlicher und allgemeiner. Die Flaschen kreisten wieder, Trinksprüche folgten, daß Friede und Versöhnung die Wiederkehr des Krieges verhindern möchten, und während so Abt Saliceti seines Hauses Gastfreundschaft alle Ehre zu machen suchte und seine alte Bekanntschaft mit dem Grafen de Vaux erneuerte, hatte nur General Grandmaison es vorgezogen, in's Freie hinauszugehen, wo er auf dem Kirchplatze mit Achill Grimaldi umherwandelte.
General Grandmaison war ein noch ziemlich junger Officier, galant und tapfer, die Eigenschaften Marbeuf's und de Vaux's vereinigend. Er hatte Achill Grimaldi in Bastia kennen gelernt und stand mit ihm auf vertrautem Fuße.
»Es wird Nichts mit unserm Vergleich werden, mein lieber Grimaldi,« sagte er lachend, »denn diese Herren, Eure verehrten Freunde und Vettern, sind so hart, wie ihre rothen Felsen.«
»Haben Sie denn jemals geglaubt, General, daß Felsen zu erweichen sind?« antwortete Achill.
»Nein, beim Teufel! ich kannte sie genugsam,« versetzte Grandmaison, »und ich glaube, de Vaux war der Einzige unter uns Allen, der eitel genug meinte, seine schönen Worte und sein Goldgeklimper in der Tasche könnten diesen tugendhaften Präsidenten und seine Helden in Ziegenhaarröcken bewegen, unseres erhabenen Monarchen gehorsame Kinder zu werden.«
»Pasquale Paoli war ein Schwärmer von Kindesbeinen an,« erwiederte Achill. »Schon sein Vater Hyacinth, der Landdoktor von Morosaglia, bestand aus demselben Stoffe und erzog ihn darnach in seiner Verbannung zu Neapel. Seit den zwölf Jahren, wo dieser großherzige Paoli nun Corsika regiert, hat er sich bemüht, unser Solon zu werden; aber er ist der Phantast geblieben, der er gewesen, und als solcher wird er enden.«
»Mag es je eher je lieber so geschehen,« versetzte der General, »damit würden wir diesen elenden Krieg los und könnten leben, wie es gebildeten Menschen geziemt. Statt uns mit diesen wilden Gesellen abzuplagen, die Nichts besitzen als ihre schlechten Hütten, ranziges Oel, Zwiebeln, ekelhafte Ziegenbutter und ihre Doppelflinten, um aus jeder Felsenecke uns das Lebenslicht auszublasen, könnten wir in dem schönen Frankreich vergnügte Feste mit gefälligen Schönen feiern, während diese braunen Weiber und Mädchen uns noch grimmiger hassen wie ihre Männer. Aber ich fürchte, mein lieber Grimaldi,« fügte er dann hinzu, »wir werden noch manchen Schweiß- und Blutstropfen zu vergießen haben, ehe wir diese Phantasten zur Vernunft bringen.«
Der Advokat gab darauf keine Antwort, und sie gingen Beide an der Kirche vorüber bis zu dem Felsenvorsprunge, welcher dort steil in das Thal abfiel.
»Die Corsen,« sagte Achill, als Beide dort stillstanden, »sind nicht Alle von demselben fanatischen Schlage. Es giebt auch Manche darunter, die wohl begreifen, daß ihre Insel ein nichtssagender, unbedeutender Punkt im Meere ist, der niemals irgend eine Wichtigkeit in der Weltgeschichte haben kann, so wenig wie dies arme, unwissende Volk, das diese Berge bewohnt. Was können ihre größten Männer jemals werden, und was sind sie von jeher gewesen als Häuptlinge und Bandenführer, die zuletzt noch immer ermordet oder verjagt wurden. Alle Größe und Macht hier ist die Größe und Macht in einer Nußschale; alle Corsen, welche Ehrgeiz besaßen, sind darum stets auch nach Frankreich, Neapel oder Spanien gegangen. Man muß ein Tugendschwärmer sein, wie Paoli, oder so roh und wild wie die meisten dieser Freiheitshelden, um Geschmack an solchem Nußschalendasein zu finden. Die klugen Männer, General, wissen, was uns Frankreich, als großes Vaterland, gewähren kann und gewähren wird. Es giebt deren mehr, als Paoli denkt; ich hoffe, lange wird es nicht mehr dauern, so wird er es erfahren.«
»Bravo, Grimaldi! Ihr verdient ein Franzose zu sein,« lachte Grandmaison. »Wie steht es mit Eurem Bruder?«
»Ueberlaßt es mir, ihm zur rechten Zeit die Augen zu öffnen. In der nächsten Zeit komme ich nach Bastia zurück und sehe Euch in Fiorenzo.«
»Kommt lieber gleich heute mit uns,« erwiederte Grandmaison.
Grimaldi schüttelte den Kopf.
»Unter den hervorstechendsten Eigenschaften der Corsen steht das Mißtrauen obenan,« sagte er, »ich gelte schon als Einer, der französisches Wesen liebt. Ueberdies habe ich noch einen zweiten zarten Grund zum Bleiben. Ich will mich noch heute mit meiner Cousine Romana verloben.«
»Das blonde, artige Mädchen mit den Veilchenaugen, eine Seltenheit auf diesem Boden,« rief der General. »Euer Geschmack ist nicht übel, mein Freund, aber wollt Ihr dies hübsche ländliche Kind wirklich heirathen?«
»Dazu habe ich in der That nicht wenig Lust,« versicherte Achill.
»Bedenkt es wohl, ob es nicht besser wäre, Ihr wartet noch,« fuhr Grandmaison fort. »Ich hoffe, Ihr sollt bald einen hohen Platz auf dieser Insel inne haben, Großrichter sein oder Civilgouverneur des Königs. Habt Ihr dann nicht lieber Eure Hand frei für eine Dame aus einem der edlen Geschlechter der Colonna, Istria oder Buttafuoco und wie sie weiter heißen?«
Achill Grimaldi schüttelte nochmals den Kopf.
»Die Saliceti sind eine uralte Landesfamilie, und ihr Ansehen ist gewichtiger bei dem Volke, als wären sie gräfliche Nachkommen.«
»Wahrscheinlich sieht es auch in ihren Taschen besser aus, als in denen mancher Signori,« lachte Grandmaison, indem er den Advokaten bedeutsam anblickte.
»Die Familie hat hier umher großes Grundeigenthum, die Oel- und Kastanienwälder, Weingärten und Campannen bis hinauf an die Serra gehören ihr zu. Es könnte sein, daß dies einmal viel werth würde.«
»Und das liebliche Kind ist sicherlich die einzige Erbin, mein scharfsichtiger Freund,« fragte der General.
»Romana hat noch einen Bruder.«
»Der Bursche mit den funkelnden Augen, der uns ansah, da wir kamen, als hätte er die beste Absicht, und niederzudolchen. Ist es der?«
Achill lächelte bejahend.
»Eine vortreffliche Familie! Dieser Abt mit einem wahren Banditengesicht; der älteste Bruder unser Todfeind bis an sein Ende, und dieser Andere wahrscheinlich noch schlimmer.«
»Er wird sein Leben nicht sparen, wo es gilt,« sagte Grimaldi. »Er schießt beinahe ebenso gut, wie Clemens Paoli, der sich rühmt, noch niemals einen Gegner gefehlt zu haben, und mit Dolch und Säbel sucht er seinen Meister. Es wird mancher Eurer Grenadiere Etwas davon zu erzählen wissen, mein General, ehe dieser Krieg zu Ende ist.«
Grandmaison's Mienen waren voll Spott.
»Um so besser also für Euch, mein Freund Achill,« versetzte er, »denn meine Grenadiere werden sich dieses Hitzkopfs in derselben Weise annehmen, wie sie seinen Bruder zu einem ruhigen Mann machten. Seid auch versichert, daß ich dazu beitragen werde, so viel ich kann. Dann habt Ihr alle diese schönen Olivenwälder und die kleine Romana obenein ganz allein für Euch; aber ich möchte Euch dennoch rathen, seht Euch vor, heirathet sie ein ander Mal, oder nehmt sie mit nach Bastia, wo Ihr nicht gestört werden könnt.«
Sein Lachen war frivol, und seine Blicke streiften über Grimaldi hin, der ihn lauernd betrachtete und dann fragte:
»Meint Ihr denn, daß wir hier gestört werden könnten, mein lieber General?«
»Ich meine Nichts,« antwortete Grandmaison, »aber – wohlan Grimaldi, ich will Euch Vertrauen schenken, denn Ihr seid ein Mann, der über engherzige Ansichten hinaus ist und seine Vortheile versteht. Wir müssen das Nebbio haben, wenn wir den Krieg mit entscheidenden Schlägen beginnen wollen. Oletta muß zunächst unser sein, es ist eine feste gute Stellung, aus der uns so leicht kein Paoli und kein Saliceti wieder vertreiben werden.«
»Ihr wollt es also fortnehmen?«
»Marbeuf hat meinen Plan gebilligt, de Vaux hat Ja gesagt, sobald die heutige Unterredung fruchtlos ausfällt. Sie ist so ausgefallen, und in Fiorenzo steht meine Brigade bereit.«
Grimaldi war über das, was er hörte, nicht erstaunt. Er schwieg einige Augenblicke und sagte darauf:
»Was Ihr unternehmen wollt, ist nicht ganz leicht. Die Leute in Oletta werden Euch blutig empfangen, und die deutsche Compagnie besteht aus verwegenen Soldaten. Wenn die Hohlwege gut besetzt sind, kommt Ihr nicht herauf ohne schwere Verluste, oder gar nicht; gelingt es Euch aber, in der Stille hier oben anzulangen und diese Kirche zu besetzen, so habt Ihr die ganze Pieve in Eurer Gewalt.«
»Wahrlich, Ihr habt Recht, Grimaldi,« erwiederte Grandmaison. »Ihr seid auch für den Krieg nicht ohne Anlagen geboren. Aber was Ihr da sagt, ist uns nicht unbekannt. Diese Kirche ist im Voraus als unsere Festung betrachtet, und wir wollen in ihr einen Gesang anstimmen, der ganz Oletta aus dem Schlaf wecken soll.«
»Wann denkt Ihr diesen frommen Hymnus anzustimmen?« lächelte Grimaldi.
»Morgen, wenn Ihr Nichts dagegen einzuwenden wißt.«
Der Advokat nickte beistimmend.
»Ihr habt Recht,« sagte er darauf. »Am Tage nach dieser freundschaftlichen Unterredung erwartet man eine solche Ueberraschung gewiß am wenigsten. Die Deutschen werden Euch auch nicht hindern, denn ich hörte, daß der Präsident sie mit sich hinauf nach Murato nehmen will, ich aber werde, nach dem, was ich jetzt erfahren, ganz gewiß meine Verlobung feiern und ein Fest begehen, bei dem es an Fröhlichkeit nicht fehlen soll.«
»Ihr habt besondere Gründe dazu, ich sehe es Euch an.«
»Aus reiner Menschenliebe,« erwiederte Achill. »Ganz Oletta wird kommen und bewirthet werden, darauf sich müde und mit Wein gefüllt auf's Ohr legen und glücklich und fest schlafen bis an den hellen Morgen. Es kann somit kaum einen vorschnellen Burschen geben, der etwa mit dem ersten Grauen in's Thal hinausliefe, um unter Bajonette und Säbel zu gerathen; selbst mein Vetter Giulio, der gern nächtlich mit seinem Carabiner in den Bergen umherschweift, Fuchs und Wildhuhn zu belauern, wird friedlich ausschlafen und damit großen Gefahren entgehen.«
»Das ist ja recht schade,« lachte Grandmaison, »und Ihr seid allzu zärtlich, mein lieber Achill, gegen diesen liebenswürdigen Vetter und dies undankbare Volk, aber ich bewundere Euch! Ihr wißt Nichts von den corsischen Vorurtheilen, welche der phantastische Präsident vorher so hoch pries, sondern stellt Euch auf die höhere Stufe der Weltbürgerschaft.«
Der Spott in seinen Worten schien sich zu verstärken durch einen gewissen verächtlichen Ausdruck. Grimaldi bemerkte diesen gewiß, aber sein Gesicht blieb so ruhig freundlich wie vorher.
»Ich liebe mein Vaterland mehr als diese Verblendeten, die es in Blut und Leiden stürzen ohne vernünftiges Bedenken,« erwiederte er. »Ich wünsche das Elend des armen Volkes wenigstens abzukürzen, zu erhalten, was möglich, den Kindern ihre Väter zu sparen, da ich nicht mehr zu thun vermag. Könnten wir Euch widerstehen, wären wir ein starkes, mächtiges Volk, dann, mein lieber General, würde ich wahrscheinlich einen anderen Platz nehmen, als an Eurer Seite.«
»Nein, nein! es ist so besser,« fiel Grandmaison ein. »Ihr seid ein kluger verständiger Mann, den alle Verständigen hochachten müssen. Was hat man davon, wie ein Narr zerschossen oder zerhackt zu werden für eine Einbildung, oder arm und verlassen umherzuirren und umzukommen! Man muß das Leben genießen und ausbeuten, so viel man kann, mein Freund, jetzt kommt und laßt uns unsere Sache genau verabreden.«
So sprechend gingen sie weiter, und noch währte ihre Unterredung fort, als aus dem Hause der Saliceti der Obergeneral und sein Gefolge heraustraten, dem sich nun auch Grandmaison beigesellte, während Grimaldi unbemerkt verschwand. Bei aller gegenseitigen Höflichkeit wußten doch beide Theile, daß dieser Versuch zur Versöhnung gescheitert sei, und sie eilten, sich zu trennen, nachdem der Zwang des längern Beisammenseins bestimmter und kalter hervortrat. Ihre Worte und Mienen blieben jedoch freundlich und hoffnungsvoll, und Graf de Vaux schüttelte dem Präsidenten beim Abschiede herzlich die Hand und versicherte, daß Nichts ihn so sehr freue, als die Hoffnung, welche er bewahre, daß dieser Tag sich wiederholen und dann in Einigkeit enden werde. Damit schwang er sich auf sein Roß, und Grüße nach allen Seiten spendend ritt er das Thal hinab, den Schluchten des Aliso zu; nur der finstere Marbeuf ließ nicht von seinem strengen Wesen.
Als die Corsenführer allein waren, umstanden sie eine Zeit lang schweigend ihren schweigenden General und Präsidenten, der vor dem Hause Saliceti mit ernsten Mienen auf der Steinbank an der Thür saß und mit seinem Degen Züge und Linien in den lockern Boden malte. Nachdenklich blickte er darauf hin, und die Augen der Andern verfolgten die Striche, bis endlich Clemens Paoli seine schwere Hand auf seines Bruders Schulter legte und mit der andern niederdeutend sagte:
»Du machst Deinen Schlachtplan.«
»Es ist Alles vorbei!« antwortete Pasquale, indem er aufstand und seine blauen Augen umherleuchten ließ. »Nichts bleibt uns mehr, Freunde, als Gott und unser Schwert. Müssen wir untergehen, so sei es als freie Männer!«
Wie er seine Gefährten ansah, wußte er, daß sie dachten wie er selbst. Ihre stolzen Mienen sagten es ihm, und die düstere Entschlossenheit darin, daß der Todeskampf sie nicht erschrecke. Aber ein Lächeln verbreitete sich über Paoli's Gesicht, und mit der milden Festigkeit, die ihm so großes Vertrauen verschaffte, fuhr er fort:
»Wir sind keine Verzweifelnde, sondern Männer, die besonnen handeln werden. Keine Schuld drückt uns; für das Edelste und Höchste kämpfen wir, so laßt uns froh und freudig bleiben. Noch haben sie uns nicht in Ketten geschlagen, bleiben wir nur einig und treu, so mögen wir hoffen und vertrauen. Ich habe meinen Plan gemacht, Freunde; laßt die Franzosen kommen, unsere Berge sind unsere Bundesgenossen. In ihren granitenen Wällen wird ein tapferer Mann zu zehn.«
Er wandte seine Augen, da Jemand sich näherte, und erblickte den Capitän Wilda.
»Sammelt Eure Leute, mein Freund,« rief er diesem entgegen, »denn es bleibt dabei, Ihr sollt uns begleiten. Ich habe für Euch in Murato zu thun, und dahin wollen wir sämmtlich aufbrechen, unsere lieben Wirthe für jetzt verlassen. Bald, will's Gott! sind wir wieder hier.«
Der Abt Saliceti trat bei den letzten Worten aus der Thür hervor, hielt Romana an der einen, Achill an der anderen Hand, gefolgt von Giulio und dessen Freunden, sammt Maria Montalti und jungen Mädchen im schönsten Putz.
»Heute sollt Ihr bei uns bleiben und an unserer Freude Theil nehmen,« sprach er, »denn seht, ich bringe Euch ein Brautpaar zum Segnen: meine Nichte und meinen Vetter Grimaldi.«
Der Präsident küßte Beide und gab ihnen seine schönsten Glückwünsche, so auch die Anderen, aber zu bleiben verweigerte er, vieler dringender Geschäfte wegen. Doch Abt Peverino schrie auf, er wollte Nichts davon hören, und was der Präsident auch begütigend einwandte, er drang darauf, Alle baten mit ihm, nur Achill Grimaldi that es nicht. Er wartete bis zuletzt, und während dessen war sein Kopf mit Vorstellungen gefüllt.
Wenn Paoli und diese Männer in Oletta blieben, wenn morgen in der Frühe die Franzosen kamen und den Ort besetzten, wenn er sie in deren Hände lieferte, welche That und welche Folgen! Der Krieg war mit einem Schlage aus, die Unterwerfung gewiß, de Vaux Meister in Corsika. Aber auch die deutschen Soldaten blieben, und wenn ein verzweifelter Kampf entstand, wenn es mißglückte?! Und endlich: wenn die Franzosen siegten, wie konnten sie ihren Sieg benutzen, wenn sie den Verräther Preis gaben? Welche Sicherheit hatte Achill Grimaldi? Auf ihn allein fiel dann der Fluch seines Vaterlandes, und die Saliceti's wurden seine grimmigsten Feinde. Schwankend zwischen widersprechenden Entschlüssen, schwieg er, bis der Abt auf ihn losfuhr und schrie:
»Weißt Du denn gar nichts zu sagen, Achill, um Deine Ehre an diesem Tage zu vermehren?«
»Vieles und Manches,« antwortete Achill, würdig sich verneigend, »denn eine hohe Ehrensache ist es mir gewiß, die ersten Männer unseres Landes in Oletta festzuhalten; um dessentwillen bitte ich, bleibt bei uns, wenn es irgend angeht. Auch in meines Bruders Namen bitte ich, ehret uns damit.«
Paoli blieb vor ihm stehen, da er ihm die Hand bot, sah ihn an, als bedachte er sich, und antwortete darauf:
»Ihr müßt mir beistehen, Grimaldi, wenn ich dennoch Nein sage; denn Ihr wißt besser als Alle, daß ich nicht recht thäte, wenn ich hier bliebe.«
»Wie meint Ihr das, mein Herr?« fragte Grimaldi mit einem inneren Schauder, der ihn durchlief.
»Ihr seid ein Mann, der weiß, was Zeit und Stunde bedeuten,« fuhr Paoli fort. »Gehe ich jetzt, so erreiche ich noch Murato und kann morgen frei über mich bestimmen; bleibe ich, so ist morgen für mich verloren, und wer weiß, was mehr. Jetzt sprecht, was ich thun soll.«
Grimaldi schwieg einen Augenblick, dann sagte er:
»So müßt Ihr gehen, mein Herr Präsident, ich muß es für das Beste halten.«
Und mit diesem Ausspruche war die Abreise entschieden, denn Paoli nickte ihm dankend zu und rief:
»Es ist gewiß das Beste, mein würdiger Freund, Abt Saliceti, ich würde Euer Fest gestört haben. Kommt und gebt uns den Abschiedstrunk, wir wollen ihn leeren auf das Glück der schönen Braut.«
So geschah es denn, und in weniger als einer Stunde bewegte sich der Zug gegen die hohe Serra hinauf, wo die Engpässe nach Murato führen. Die deutsche Compagnie machte den Schluß, und wo man zum letzten Mal nach Oletta hinabschauen konnte, blieb ihr junger Capitän stehen und sah auf die graue, hohe Casa Saliceti nieder. Von Allen war er freundlich geschieden, Alle hatten gute Wünsche für ihn, und sie mit den großen, sonnigen Augen, sie hatte ihm glückselig zugelacht, ihre Hand in Achill Grimaldi's Hand.
»Lebe wohl, Romana, lebe wohl!« rief er leise und wehmüthig, dann sprang er über die Steine fort, hastig fliehend vor den Tönen der Cithern und dem Gesange, der aus dem Thale zu ihm emporstieg.
Das Fest begann in Oletta mit den Jubelgesängen der Jugend, und das Volk der Pieve sammelte sich vor dem Hause und ließ sich den Inhalt der großen Weinkrüge schmecken, welche niemals leer zu werden schienen. Und lauter wurde die Lust mit jeder Stunde; die besten Sänger thaten sich zusammen, Achill Grimaldi war der Erste. Sie sangen Serenaden und Lamentos ohne Ende, und das Volk wurde nicht müde im Zuhören, bis die Sterne am Himmel aufzogen und durch die Nacht funkelten.
Romana aber blickte mehr als einmal zu dem großen, hellen Sterne auf, der über dem Feigenbaume stand, nickte ihm zu und flüsterte süße Namen. Dann kam es zum Tanze, und sie tanzten die Reihentänze des Volks, Blumensträuße in den Händen, die bunten Mandili's schwingend, bis endlich Oletta still wurde und immer stiller, und zulegt kein Licht mehr zu sehen war, die Nebel aufdampfend, feuchte Finsterniß überall.
Wachend allein lag Achill Grimaldi in seiner Kammer, wachend und sinnend, zuweilen aufhorchend, aufgerichtet, dann wieder spottend über sein Erschrecken. Plötzlich aber fuhr er aus seinem Halbschlaf empor. Der Tag graute, er hörte ein Geräusch, wie von vielen Schritten, Waffengeklirr, und jetzt wirbelten die Trommeln. Oletta war von den Franzosen besetzt.
Der Präsident Paoli hatte beschlossen, in Murato ein festes Lager zu errichten, und das Urtheil Friedrich's des Großen, der ihn einen Mann von großen Feldherrngaben genannt hatte, den größten, den Italien besitze, wurde dadurch bestätigt. Murato lag vor dem Ausgange der Bergpässe, die aus dem Nebbio in das Thal des Golo hinabführten, des größten Flußthales in Corsika, und so lange es den Franzosen nicht gelang, hier hinabzudringen und das östliche Küstenland zu erobern, blieb die Insel unbezwungen. Sollte Murato aber auch verloren gehen, so boten die steilen Felsmassen von Lento und Canavaggio Seitenstellungen, die ein Feind im Rücken lassen konnte, um in das Golothal niederzusteigen.
So hoffte der Präsident die Uebermacht der Franzosen zu bändigen, und er versammelte eilig die beiden Regimenter Soldaten sammt den Abtheilungen der Freiwilligen, welche aus dem Landvolke kamen, und ließ Schanzen und Festungswerke aufführen, wobei er sich hauptsächlich des Rathes und der Kenntnisse seiner deutschen Officiere bediente.
Gleich am nächsten Morgen, wo er in Murato angelangt, begann er seine Thätigkeit. In einem der finsteren Häuser des schlechten kleinen Ortes saß er bei'm ersten Tageslicht mit seinen Secretären, um nach allen Seiten hin seine Briefe und Befehle zu verbreiten. Der goldige, grüne Rock, den er am vorigen Tage getragen, war verschwunden, in dem einfachen groben Kleide seines Landes, das er fast niemals ablegte, sah er wie der schlichteste Bürger aus. Kein Glanz, keine Auszeichnung waren an ihm und um ihn zu bemerken.
Seine Thätigkeit war eine ungeheuere, rastlose und unermüdliche; wenige Stunden Schlaf genügten ihm nach den größten Anstrengungen; aber obwohl die schwersten Sorgen auf ihm lasteten, trug sein Gesicht nicht die Spuren davon. Er hatte mit Neid, mit Unmuth, mit Haß und Armuth zu kämpfen, mit offenen und heimlichen Feinden, doch Körper wie Seele gehörten seinem Vaterlande und seinem Volke, das auf ihn wie auf seinen Messias schaute.
Die Größe seiner Ideen, die sein Herz und seinen Kopf füllten, gaben ihm den Muth der Begeisterung, und diese strahlte ihren Frieden und ihre Ruhe aus seinen Augen und verschönte sein edles Gesicht, das unerschrocken, voller Menschenwürde, alle Gefahren so fest und sicher anblickte, wie jeden Mann, der sich ihm nahte. Daher dies wunderbare Vertrauen der armen unwissenden Corsen.
Und jetzt nach den Siegen über die Franzosen hatte sich dies auf's Höchste gesteigert, denn Pasquale Paoli, der große Bürger, wird sie wiederum schlagen und verjagen. Zwar haben die Feinde viele Kanonen, viele Soldaten und viel Geld, das sie großmüthig ausstreuen, und die Corsen haben Nichts, kaum Brot genug, kaum Pulver und ihre Doppelflinten, aber was thut das! Sie haben ihren Präsidenten, ihre tapferen Arme und ihre Freiheitsliebe.
Was hatte dieser Präsident, der Mann aus dem Volke, nicht Großes schon vollbracht, was sollte ihm nicht gelingen? Er hatte die Genuesen verjagt, er ist der Gesetzgeber seines Volkes geworden, er hat die Republik begründet von unten auf, durch freie Gemeindeverfassung, durch Selbstregierung, durch billige Selbstbeschatzung, durch wenige dem Volke verantwortliche Beamte, durch reisende Richter und unabhängige Gerichtshöfe. Er hat den Handel und noch mehr den Ackerbau belebt, Sümpfe ausgetrocknet, Straßen gebaut, Einöden fruchtbar gemacht, den Oelbaum und die Kastanie darauf gepflanzt. Aber auch Schulen hat er begründet, vor Kurzem erst die hohe Schule in Corte, damit die Corsen ihre Kinder nicht mehr nach Pisa schicken mögen, um zu studiren. Frieden und Sicherheit herrschen im Lande, denn die Vendetta hat er bei Todesstrafe verboten.
O, Pasquale Paoli! gesegnet ist Dein Name in allen Hütten. Wie sollte dies arme verlassene Volk Dich nicht als seinen Messias verehren, wie sollte es nicht in großen Haufen das kleine Haus in Murato umringen, an dessen Thür zwei Schildwachen stehen, um zu verhindern, daß die Leute nicht bis in das Innere dringen, wie dies oft schon geschehen.
Der Präsident arbeitete fort, trotz des Lärmens vieler Stimmen vor seiner Wohnung, er hatte jedoch strengen Befehl ertheilt, Niemand zu ihm einzulassen, mit Ausnahme seiner Officiere, und deren Einer trat so eben herein. Als Paoli aufblickte, sah er den Hauptmann Wilda vor sich.
»Ich habe Euch erwartet, mein Herr,« rief er ihm entgegen, »denn Ihr sollt mir wichtige Aufträge erfüllen, die ich keinem Anderen übertragen möchte. Ihr habt mit solcher Freudigkeit unsere gerechte Sache ergriffen und seid ein so tapferer und geschickter Officier, daß es mir ein Trost ist, Euch bei mir zu haben.«
»Befehlt über mich, Herr Präsident,« erwiederte Karl von Wilda, »ich stehe zu Euren Diensten.«
»Heute noch muß ich Murato verlassen,« fuhr Paoli fort, nachdem er ihm die Hand gereicht und ihn neben sich sitzen lassen, »denn ich muß nach Corte in den Staatsrath und muß in den Süden, um den Widerstand des Landes zu beleben. Euch lasse ich hier als Commandant zurück und vertraue Euch das Heil Corsika's an. Befestigt diese Pässe, so gut Ihr könnt, und vertheidigt sie bis in den Tod, sobald ihr angegriffen werdet. Hilfe sende ich Euch, so schnell ich es vermag.«
»Seid versichert, mein General,« antwortete Wilda, »daß, so lange Blut und Leben in mir ist, kein Franzose nach Murato kommen soll.«
Paoli drückte ihm dankbar die Hand und betrachtete den kräftigen Mann mit Freuden.
»Was meint Ihr von unserer Sache, Capitän?« fragte er darauf. Glaubt Ihr, daß wir widerstehen können?«
»Wenn irgendwo, so hier,« antwortete Wilda, und was er weiter hinzufügte, gab Anlaß zu einem langen Gespräche über die Vertheidigung dieses Platzes, von welchem der Besitz des Nebbio und der Verlauf des Krieges abhängen mußte. Aufmerksam hörte der Präsident zu, was sein Officier über die möglichen Absichten der Franzosen sagte, welche nicht lange mehr zögern würden, weiter vorzudringen. Er theilte mit, was er während der letzten Tage von der Ansammlung der Franzosen in Fiorenzo gehört, und fügte die Vermuthung hinzu, daß deren Absichten sich auf Oletta richten müßten, welches für ihre weiteren Unternehmungen besonders vortheilhaft sei.
»Sie werden den Krieg nicht eher beginnen, ehe sie nicht alle ihre Macht beisammen haben,« versetzte Paoli. »De Vaux wird nicht eher das Schwert aus der Scheide ziehen, ehe die letzten Befehle aus Frankreich eingetroffen sind. Bei allen ihren Großsprechereien sind sie doch nicht sicher, ob England ruhig zusieht. Es kann und darf nimmer zusehen, wenn seine Minister nicht blind sind, dieser König Georg nicht voll übermäßig kurzsichtigen Haß gegen Volksrecht und Volksfreiheit ist. Doch das ist es nicht allein. Sie haben Netze mit goldenen Maschen ausgeworfen und hoffen auf guten Fang. In Bastia haben sie Verräther gefunden, es schleichen Menschen umher, die guten Lohn bieten, warnen und drohen. Aus Calvi, aus Ajaccio, aus Corte selbst sind mir warnende Briefe zugekommen, aber was will das sagen,« fügte er lächelnd hinzu, »haben sie doch selbst mir schon den Grafentitel angeboten und Geld genug, um eine Grafschaft zu kaufen. Sie hoffen, daß die Landesversammlung uneinig und zum Frieden geneigt sein wird, und bis dies sich zeigt, werden sie warten, um statt mit Bomben uns mit Goldfäden zu unterjochen.«
»Und sind dies nicht die furchtbarsten Waffen, die es giebt?« fragte Wilda.
»Seid ohne Sorgen,« rief der Präsident. »Ihr werdet sehen, wie wenig sie fruchten. Die mit mir sind, sind treu. Gold kann ihnen Nichts anhaben. Um alle Schätze Frankreichs würde Keiner sein Vaterland verrathen.«
»Will's Gott, daß Ihr immer Recht haben mögt, mein General,« versetzte der Capitän.
Paoli blickte ihn scharf an.
»Wißt Ihr Einen, an dem Ihr zweifeln möchtet?« fragte er.
»Nein,« sagte Wilda, denn was hätte er antworten können?
»Ihr habt in Oletta wackere Männer kennen gelernt,« fuhr Paoli fort. »Die Saliceti haben hohen Ruhm aus alter Zeit aufzuweisen, und Carlo Saliceti's Name wird bei'm corsischen Volke ewig fortleben. Mit den Grimaldi's ist es dieselbe Sache,« sprach er weiter, »das ist ein stolzes, ritterliches Geschlecht. Leo Grimaldi hängen die tapferen Männer vom Cap mit Leib und Seele an, und dieser Achill ist ein außerordentlicher Kopf, er wird einmal die höchsten Stellen einnehmen. In Bastia sagt man von ihm, er gehe viel mit den Franzosen um,« fügte er lächelnd hinzu, und es war, als wollte er den Gedanken begegnen, welche er in dem Capitän vermuthete – »ich weiß das. Leo Grimaldi ist sein Bruder, und wer sich mit den Saliceti verbindet, wer die Nichte des Abtes, die Schwester Carlo Saliceti's heirathet, der kann kein Franzose sein. Laßt den Advocaten seine Sache machen, machen wir die unsrige nach unserer Art.«
Karl von Wilda schwieg.
»Ihr habt in Oletta frohe Tage verlebt,« fragte Paoli freundlich. »Gerieth Euer Herz nicht in große Gefahr in der Nähe der schönen Romana?«
»In große Gefahr, mein General.«
»Das thut mir leid. Aber Grimaldi war ihr längst bestimmt, und in Liebe zu ihm ist sie aufgewachsen.«
In welchen Kampf der Gefühle sah sich der arme Capitän gestürzt. Sollte er dazu schweigen oder bekennen, was verschwiegen bleiben mußte. Das Blut stieg ihm in den Kopf, und mit halber Stimme antwortete er:
»Diese Liebe ist doch wohl nicht so sicher, als man meint. Romana folgt dem Willen ihrer Verwandten.«
Des Präsidenten Blicke hatten etwas Mitleidiges, als er ihm die Hand drückte und dabei sagte:
»Sie schien mir eine glückliche Braut zu sein. Tröstet Euch, mein lieber Freund, ändern läßt sich nichts daran, also müßt Ihr Eure artige Bekanntschaft vergessen. Glücklicherweise ist sie kurz gewesen. Wenn aber Corsika frei ist, und Gott uns Beide erhält, will ich Euch dankbar beistehen, auch wenn es gilt, um ein edles und schönes Weib zu werben, stammte sie selbst aus dem stolzesten Geschlechte.«
Er legte dabei seine Hand auf des Capitäns Schulter und sah ihn mild und zutraulich an, denn er sah die Wolke auf der Seele seines jungen tapferen Freundes.
»Weiß ich doch besser als Mancher,« fuhr er mit einem Anfluge von Rührung fort, »was dieser Schmerz bedeutet, und stehe allein und habe entsagt.«
In dem Augenblicke erhob sich der Lärm heftiger unten an der Thür. Die rauhen Stimmen der Wachen schallten herauf und das Klirren ihrer Gewehre, die sie auf den Boden stießen, worauf ein noch lauteres Geschrei des Volkes folgte. Der Präsident stand auf, ging an ein Fenster und schaute hinab. Es stand vor den grimmigen Wachen, welche sie zurückgestoßen, ein Weib in der schwarzen Trauermütze, in schwarzer, langer Faldetta, um den Hals ein schwarzes Band mit einem silbernen Mohrenkopfe, dem corsischen Wappen, daß Viele als Zeichen ihrer Gesinnung trugen. An ihrer Hand führte sie einen Jüngling, der klein und behend, fast noch wie ein Kind aussah, aber ein langes Doppelgewehr am Riemen und um den Leib Kugeltasche und Pulverhorn trug.
»Laßt sie hereintreten,« rief Paoli hinab, und die Wachen wichen zurück. Doch er, erzürnt über den Lärm und die Ungebühr, stieß die Thür hastig auf und rief ihr herrisch entgegen:
»Was wollt Ihr? Warum drängt Ihr Euch hier ein?«
Die Frau war groß, und ihre Augen stolz und tief. Langsam hob sie ihren Kopf auf und zeigte dem Präsidenten ihre ernsten, von Kummer gefurchten Züge.
»Mein Herr,« begann sie, ohne zu erschrecken, »zürnet mir nicht, sondern wollt mich hören. Ich hatte zwei Söhne, der Eine fiel am Thurme von Gicolata, der Andere steht hier. Da das Vaterland bedroht ist, bringe ich ihn Euch, damit er seinen Bruder ersetze.«
Und als sie dies gesagt, kehrte sie sich zu ihrem Sohne um und sagte zu ihm:
»Mein Sohn, vergiß niemals, daß das Vaterland Dir näher steht, als Deine Mutter. Sei tapfer, wie Dein Bruder war, und lebe wohl. Gottes Segen und Deiner Mutter Segen sollen Dich in die Schlacht begleiten!«
Und leise ihr Haupt beugend und ihre Hände faltend ging sie nach der Thür. Doch Paoli, verwirrt und gerührt, eilte ihr nach und hielt sie fest.
»Großherzige Frau!« rief er, »bleibe, daß ich im Namen des Vaterlandes Dir danke. Ich will für Deinen Sohn Sorge tragen und auch für Dich, wenn Du es nöthig hast. Verlaß Murato nicht, sondern komm zu mir zur Mittagszeit,« und als sie ihm dies zugesagt, wandte er sich voller Freudigkeit zu Wilda um.
»Nehmt Euch dieses Jünglings an, ich übergebe ihn Euch und will ihn von Euch fordern,« sagte er, »doch seht da, mein Freund, welch' Beispiel der höchsten, der hochherzigsten Liebe. Welch' Beispiel für uns Alle! Dürfen wir nicht an des Vaterlandes Rettung glauben? Ist es nicht erhebend, ist es nicht schön, dieses Volkes Befreier zu sein?!«
Er umarmte den Capitän mit stolzen, feurigen Blicken, doch indem er dies that, sprengten Rosse auf der Straße daher, und das Volk unten vor dem Hause erhob ein wildes Geschrei mit hundert verworrenen Stimmen. Es umringte einen Reiter, dessen kleines Roß athemlos schien von einem langen Ritte. Der Reiter selbst war ein Diener aus dem Hause Saliceti. Wilda erkannte den Mann auf der Stelle, und auch er erkannte den Capitän und erkannte den Präsidenten an dem schmalen Fenster. Da richtete er sich in dem schmalen Sattel auf, hob seine Hände empor und schrie mit durchdringend scharfer Stimme:
»An Euch, mein Herr, richte ich meine Botschaft. Oletta ist in dieser Nacht von den Franzosen überfallen und besetzt worden mit vielem Volk, als wir in Frieden schliefen. Sie haben befohlen, daß Niemand sich aus der Pieve entfernen solle; doch bin ich ihnen entkommen, um Euch dies zu melden. Helft uns von den treulosen Feinden, mein Herr. Sie haben die Kirche in Besitz genommen und Kanonen davor gestellt.«
Paoli hörte dieß bestürzt an; der Volkshaufe schwieg, als der Präsident dem Boten befahl, hereinzutreten, dann aber brach ein Wuth- und Rachesturm los, Verwünschungen und das Geschrei: »Nach Oletta!«
Pasquale Paoli aber dachte eine Minute lang nach und sprach darauf ruhig zu dem Capitän:
»Ihr habt richtiger gesehen als ich, Oletta ist verloren, wir können es jetzt nicht wieder nehmen. Murato gilt es zu halten; alle Macht, die ich schaffen kann, soll sich hier vereinigen. Beobachtet Oletta, tröstet unsere Freunde dort, helft ihnen, wenn sie sich befreien können. Denkt an Romana Saliceti, doch denkt noch mehr daran, was des Vaterlandes Wohl von Euch verlangt.«
In Oletta war ein ganzes Regiment Franzosen eingerückt, 1500 Mann unter Befehl des Marquis von Arcambal, eines strengen alten Kriegsmannes. Der Ueberfall wurde so gut ausgeführt, daß die Gemeinde vollständig besetzt war, ehe es die Bewohner inne wurden. Das Dorf war umzingelt, bald standen auch vier Kanonen vor der Kirche, die Kanoniere mit brennenden Lunten daneben, bereit, jedes Haus in Trümmer zu zerschmettern, aus welchem ein Schuß fallen würde. Aber die Leute in Oletta erkannten alsbald, wie verderblich und wie vergebens jede unbesonnene Handlung sein würde, und der schweigsame, überlegende Sinn des ernsthaften Volkes trat sogleich in sein Recht. Ihren glühenden Zorn verschlossen sie in ihre Herzen, und als der General Grandmaison nach einer Stunde von Fiorenzo heraufkam und befahl, daß der Podesta und die Gemeindevorsteher vor ihm erscheinen sollten, leisteten sie sämmtlich Gehorsam, so auch der Abt, den er dazu gefordert.
In der Casa Saliceti war inzwischen leidenschaftliches Toben genug gewesen, denn bei der ersten Entdeckung dessen, was geschehen, war Giulio bereit, mit den Waffen dareinzuschlagen, allein der Abt hielt ihn davon zurück, und Achill Grimaldi, welcher dazu kam, stand ihm bei. Der Abt, so aufgebracht er war, blieb doch ein Corse; er wußte seine Rachelust zu begrenzen, da er einsah, er könne ihr nicht genügen, ohne selbst zu verderben. Er sprach daher zu seinem Neffen mit ganzem Ansehen, ernst und würdevoll, und wies auf Romana hin, die geschützt und gesichert werden müsse. Romana selbst war jedoch furchtlos und ihr Muth ungetrübt, was sie bald beweisen sollte.
»Wir werden bleiben, die wir sind,« sagte der Abt, »ob Franzosen in Oletta hausen oder nicht, aber die heilige Jungfrau sei gelobt, daß der Präsident sich nicht bewegen ließ, bis heute hier zu verweilen, und daß Du, mein lieber Achill, ihm beistandest und unsere kurzsichtigen Bitten vereiteltest, das danke Dir Gott! Gestern zürnte ich Dir darüber, heute segne ich Dich dafür. Romana muß Dich zwiefach dafür lieben und ehren, so lange sie lebt.«
Grimaldi nahm die Lobsprüche willig in Empfang und küßte Romana, die es mit Freudigkeit erwiederte, denn sie dachte dankbar dabei, daß auch ihr Freund dadurch gerettet wurde. – Der Abt legte dann sein geistlich Gewand an, nahm Kreuz und Scapulier und ging mit Achill Grimaldi und mit dem Podesta und seinen Männern auf den Kirchplatz, wo General Grandmaison vor einer Mauer von Bajonetten sie erwartete.
Der junge General lächelte spöttisch, als er sie kommen sah, was wohl zumeist Grimaldi galt; dann benahm er sich mit vieler Artigkeit und suchte die Gewalt vergessen zu machen. Auf Befehl des Generale de Vaux habe er Oletta besetzen lassen und sei beglückt, daß es in friedlicher Weise geschehen. Kein Leid auch solle den Bewohnern widerfahren, wenn sie als friedliche und getreue Leute sich benehmen würden. Auch keine Last solle sie treffen, denn die Besatzung werde in der großen Kirche und in dem Stifte bleiben und bezahlen, was ihr geliefert werde. So biete er ihnen Frieden und Freundschaft und hoffe, diese würden nicht gestört werden. Hierauf ermahnte er den Podesta und die Gemeindevorsteher, für Ordnung und Ruhe zu sorgen, ermahnte auch den Abt mit eindringlichen Worten, sein ganzes geistliches Ansehen anzuwenden, damit kein Unglück über Oletta komme.
Der Abt sowohl als alle Andern wußten, daß Vorwürfe oder Widerspruch gar Nichts helfen konnten; sie nahmen schweigend die Befehle hin, nur der Geistliche sagte für Alle:
»Es bleibt uns Nichts weiter übrig, als Euch zu gehorchen, mein Herr; da dies das Beste ist, so wird es geschehen.«
»Ihr sprecht sehr verständig, hochwürdiger Herr,« versetzte Grandmaison, »und obwohl Ihr uns jetzt nicht mit gutem Herzen betrachtet, wird dies später doch der Fall sein. Ich bin aufrichtig Euer ergebener Freund, Herr Abt. Alles, was Ihr wünscht, und was in meiner Macht ist, zu gewähren, thue ich mit Freuden.«
Der Abt dankte höflich dafür und sprach darauf seinen Wunsch aus, daß die Besatzung, statt in die Kirche gelegt zu werden, es sich lieber bei den Bewohnern Oletta's gefallen lassen möge.
»Wir werden Euch als Gäste4 bewirthen, so gut wir es vermögen,« sagte er, »verschont jedoch das Gotteshaus, das nicht dazu bestimmt ist, ein Heerlager zu werden.«
Der General lehnte dies jedoch ab, und was er dachte, ließ sich wohl merken.
»Leider würde dies gegen den Befehl sein, den ich befolgen muß,« versetzte er. »Die Bewohner von Oletta sind gewiß von der besten Gesinnung, wir würden bei ihnen wohl aufgehoben sein, allein wir leben noch im Kriege, Herr Abt, so müssen wir darnach uns benehmen. Für Eure Kirche seid unbesorgt, sie soll nicht geschändet werden, sind wir doch Alle gute katholische Christen. Eure liebenswürdige Gastfreiheit jedoch nehme ich dankbar für mich und meine Officiere an. Gern wollen wir Euch begleiten und auf Euer Wohl und das Eures Hauses trinken, wenn Ihr uns ein Glas Wein reichen wollt.«
Das hatte der Abt wohl nicht im Sinne, allein es blieb ihm Nichts übrig, als sich bereit zu zeigen, und so folgten ihm denn die Anführer der Feinde seines Vaterlandes, die Oletta überfallen, voll heimlichem Hohn und Uebermuth und thaten sich gütlich an derselben Stelle, wo gestern der Frieden vergeblich verhandelt wurde.
General Grandmaison schien die Kälte und die Schweigsamkeit des Wirthes nicht zu bemerken; er blieb höflich und fröhlich, sprach viel mit Achill Grimaldi, doch kein Wort über die Besetzung des Ortes, um so mehr aber von der gestern gefeierten Verlobung und von Festen und Freuden. Dabei brachte er seine Glückwünsche, bat, ihm auch die schöne Braut zu zeigen, und als Romana kam, machte er ihr die herrlichsten Schmeicheleien, die sie freundlich und gefällig annahm. Nichts Verdrossenes oder Sprödes stand in ihrem lieblichen Gesicht, ihre Augen leuchteten heut wie gestern, und ihre rosigen Lippen lächelten, als sei Nichts geschehen, das sie betrüben könnte. Sie nahm die Glückwünsche des artigen Generals mit unbefangener Heiterkeit an und dankte mit zierlichen Verbeugungen, als die Officiere auf ihre glückliche Zukunft toasteten.
»Herr Grimaldi,« sprach Grandmaison darauf, »Ihr sagtet mir vorhin, daß Ihr nach Bastia Eurer Geschäfte wegen zurückzukehren wünschtet, sicher stellen wir Euch kein Hinderniß entgegen. Aber wäre es nicht das Beste, wenn Damigella Romana Euch begleitete und Oletta jetzt verließe, wo sie gewiß nicht so gut in dieser unruhigen Zeit aufgehoben ist, als bei Eurer Familie und in Eurer Nähe.«
Wenn dieser Vorschlag nicht verabredet war, so traf er doch sicherlich mit Grimaldi's Wünschen zusammen, der mit Blicken auf den Abt und Romana zugab, daß dies allerdings ihm sehr wünschenswerth und richtig erscheinen müsse.
Was er sprach und andeutete, schien begründet genug, und an den Mienen des Abtes ließ sich der günstige Eindruck erkennen; allein eben, als der General versicherte, daß er mit Vergnügen bereit sei, für jede Sicherheit und Bequemlichkeit Sorge zu tragen, lief Romana auf ihren Oheim zu, umarmte ihn und rief:
»Nein, mein theurer Onkel, ich will mich nicht von Dir und meinem Bruder trennen. Ich will bei Euch bleiben und glaube an keine Gefahren, wenn aber solche uns kommen sollten, will ich sie mit Euch tragen.«
Dabei blieb es, obwohl noch viel dagegen gesprochen wurde, Achill Grimaldi lächelnd Einwürfe erhob, und der General ihn lebhaft und galant unterstützte. Giulio ließ sich nicht blicken, er wollte mit den Franzosen in seines Vaters Hause nicht verkehren, und der Abt behielt Romana am liebsten bei sich, da sie selbst es so wollte.
»Du weißt wohl,« sagte er zu seinem Verwandten, »daß ein corsisches Mädchen nicht eher aus dem elterlichen Hause scheiden will, bis die Hochzeit es ihr gebietet. So laß sie denn hier, doch komm Du dagegen, so oft es angeht, zu ihr und uns nach Oletta, bis sie Dir folgen wird.«
»Muß es so sein, Romana?« fragte er.
Sie reichte ihm ihre Hand und antwortete:
»Wenn das hochzeitliche Roß an meiner Thür steht, dann führe mich in Dein Haus; eher aber nicht, Achill; so lange will ich warten.«
»So geschehe Dein Wille,« versetzte er freundlich.
»Ich will sorgen, daß der glückliche Tag bald komme, und werde bald wieder hier sein, um mich zu trösten.«
Die Vorbereitungen zur Abreise wurden nun getroffen, und als Grimaldi bereit war, ging er in Giulio's Zimmer, wo dieser sich eingesperrt hatte.
»Ich muß Dich verlassen,« sagte Achill, »aber ich hoffe, Du hast Nichts im Sinne, was verderblich sein könnte. Verhalte Dich ruhig und warte ab, was geschieht.«
»Das will ich,« erwiederte Giulio, »doch Oletta soll nicht in der Gewalt der Franzosen bleiben. Ich habe so eben einem getreuen Diener Auftrag gegeben, in Murato zu berichten, was hier geschehen ist. Wäre dieser Capitän mit seinen Deutschen hier geblieben, die ihre Posten und Wachen ausstellten, die Schurken hätten uns nicht so überrumpeln können.«
»Bei alledem,« antwortete Grimaldi, »war es Zeit, daß dieser Mann sich entfernte.«
Giulio blickte ihn fragend an, Achill fuhr leiser fort:
»Was ich Dir jetzt sagen werde, behalte für Dich. Wisse, daß dieser fremde Narr sich erdreistete, seine Blicke auf Romana zu werfen und sie –«
»Achill!« fiel Giulio heftig ein, »willst Du meine Schwester beschuldigen?«
»Gott behüte mich davor!« antwortete Grimaldi ruhig lächelnd, »aber ich wiederhole: es ist gut, daß er ging, und nun höre, Giulio. Sprich kein Wort zu Romana über diesen Fremden, aber sorge für sie mit Deiner ganzen brüderlichen Liebe. Unternimm Nichts, was Gefahr bringen könnte, wartet die Nachrichten ab, welche ich Euch verschaffen werde. Sobald ich in Bastia bin, soll mein Bruder Leo erfahren, wie es hier steht. Laß Dich nicht mit den Leuten in Murato ein, nicht mit dem Deutschen, er soll keine Verbindung mit Dir haben.«
Giulio Saliceti sah finster und drohend aus, Grimaldi hatte einen Verdacht angeregt, der ihn heftig erzürnte. Bei der erbitterten Stimmung, in welcher er sich befand, mußte diese Neuigkeit ihn um so mehr reizen. Seine Schwester in heimlicher Neigung zu diesem Fremden, dies zu denken, erfüllte ihn mit Wuth, doch verwarf er schnell solche Vorstellung und schob sie auf eine eifersüchtige Anwandlung seines Freundes.
»Romana weiß sicherlich, was sich schickt,« sagte er mit einigem Stolze, »auch hat sie Dir, so viel ich bemerkte, keinen Anlaß gegeben, Anderes von ihr zu glauben. Indeß will ich thun, was Du wünschest; auch soll es an Vorsicht nicht fehlen. Ich will den fremden Capitän nicht als meinen Freund; unser Vaterland aber schuldet ihm Dank, und was ich von ihm sah, war recht und tüchtig. Reise ruhig, Achill, doch hilf uns schnell, wenn Du es kannst, denn diese Franzosen in Oletta brennen mich wie höllisches Feuer.«
Grimaldi suchte ihn zu beruhigen, und eine halbe Stunde später ritt er mit General Grandmaison nach Fiorenzo hinab, gleich darauf aber ließ der Oberst Arcambal bei Trommelwirbel überall verkündigen, daß Niemand Oletta ohne seine Erlaubniß verlassen dürfe, auch Niemand sich mit einer Waffe zeigen solle, bei harter Ahndung.
Das gab neuen heftigen Verdruß, sowohl in der Casa Saliceti, wie im ganzen Dorfe. Giulio rief mit Zähneknirschen, daß er sich nicht fügen wolle, und zu ihm kamen seine Freunde, Bernardo Leccia und Andere, nicht weniger aufgeregt und erbittert. Alle Fröhlichkeit hatte ein Ende, die Leute saßen in ihren Häusern und vermieden die Soldaten, diese aber, durch Benehmen und Blicke der Bewohner überzeugt von deren feindlicher Gesinnung, vergalten ihren Mißmuth durch höhnische und grobe Worte. Am folgenden Tage schon kamen Beleidigungen vor, und es wurden ein paar Männer gefangen gesetzt, weil sie in Streit mit den Wachen gerathen. Anderer Streit entstand darauf um die Lieferung der Lebensmittel, und überall benahmen sich die Officiere herrisch, der alte Oberst that wie in Feindes Land.
Am dritten Tage, als es finster geworden war, kam es einem der Wachtposten vor, der am Rande des Felsenweges stand, welcher nach Olmetta hinauf führt, als ob Jemand nicht weit von ihm vorüberschreite. Er konnte die Gestalt nicht sehen, allein er hörte das Geräusch, und da er auf seinen Ruf keine Antwort erhielt, rannte er mit dem Bajonett darauf los. Doch nun fand und vernahm er Nichts mehr, nur ein Stein kollerte den steilen Hang hinab und blieb vor ihm liegen. Lachend und pfeifend kehrte der Grenadier um und verfluchte alle diese corsischen Rebellen, denen es übel ergeben sollte, wenn Einer davon in seine Hände fiele. Wenige Minuten später aber öffnete Jemand leise die Vorthür an der Casa Saliceti, stieg leise dann die Treppe hinauf, blieb horchend stehen und wandte sich eben dem Feuerscheine in der Küche zu, als Giulio heraustrat, dessen scharfes Auge sofort ihn bemerkte.
»Wer ist da?« fragte er auf ihn zugebend.
»Mein Herr,« antwortete eine flüsternde Stimme, »ich suche den Giulio Saliceti.«
»Und woher kommst Du?«
»Darauf will ich antworten, sobald ich weiß, ob Ihr der seid, an den ich gesandt bin.«
»Warte einen Augenblick,« sagte Giulio, ging zurück und kam mit einem Lichte wieder. Nun beschaute er den Boten und fand einen fremden Jüngling, kaum dem Knabenalter entwachsen, klein und behend, mit braunem scharfem Gesicht und schwarzen lebendigen Augen. In seinen dicken groben Rock gehüllt, über welchen das zottige Haar fiel, die rothe phrygische Mütze tief über die Stirn gezogen, sah er so wild und verschmitzt aus, wie eine Katze aus den Wäldern des Hochgebirges, friedlicher auch wurde sein Anblick nicht durch den Gurt seines Mantone, in welchem zwei Pistolen und ein Dolchmesser steckten.
Giulio hatte diesen Burschen niemals gesehen. Er führte ihn in seine Kammer und sagte dort:
»Nun sprich, ich bin Giulio Saliceti. Wer bist Du?«
»Ich bin Pietro Barbaro, mein Herr,« redete der Kleine, »aus der Pieve Rutali.«
»Und woher kommst Du?«
»Ich komme aus Murato –«
»Sprich leise,« sagte Giulio, ihn unterbrechend, und er selbst dämpfte seine Stimme.
»Hat Dich kein Franzose gesehen? Wer zeigte Dir mein Haus?«
»Die Franzosen haben keine Augen,« antwortete Pietro spöttisch. »Euer Haus, mein Herr, wurde mir genau beschrieben.«
»Wer beschrieb es Dir?«
»Mein Capitän.«
»Dein Capitän? Wie heißt er?«
»Ich habe hier einen Brief von ihm,« versetzte der Bursche, und er zog aus der Tasche des Mantels ein kleines gefaltetes Papier, das er Giulio hinreichte.
Dieser öffnete es, trat zum Lichte, blickte hinein und heftete seine Augen starr auf die wenigen Zeilen, welche er fand, während Gluth seinen Kopf füllte.
»Theure Romana!« stand darin, »tausend Grüße für Dich. Sende mir ein Wort, daß Dir kein Leid geschah, bald soll Oletta wieder frei sein. Gottes Engel beschützen Dich und mögen mir beistehen.«
Giulio nahm sich Zeit, seine Gefühle zu besänftigen. Er faltete das Papier wieder zusammen, steckte es ein und sagte dann zu dem Boten:
»Du hast noch einen Brief, gieb mir den anderen.«
Pietro Barbaro erschrak und griff in seinen Rock, aber der kluge Bursche schickte sich in die Umstände. »Gut,« versetzte er, »so nehmt diesen dafür und gebt mir jenen zurück, der nicht hierher gehört.«
Giulio las den zweiten Brief, es stand darin:
»Wir haben das Unheil vernommen, das Euch betroffen. Der Präsident ist nach Corte, um Hilfe zu sammeln, ich befehle in Murato. Gebt mir Nachricht, was Ihr thun wollt, und rechnet auf mich mit Leib und Leben. Mit hundert tapferen Männern bin ich in Eurer Nähe; wollt Ihr mich sprechen, so führt Pietro, dem Ihr ganz vertrauen mögt, Euch zu mir. Carlo Wilda.«
Giulio dachte einige Minuten nach, dann fragte er:
»Wo ist der Capitän?«
»Aus Olmetta schickte er mich hinab,« antwortete der Bote; »jetzt wird er in dem Kastanienwalde sein, dort wollte er mich erwarten.«
»Ich werde Dich begleiten,« sagte Giulio, »den anderen Brief werde ich bestellen und selbst die Antwort bringen. Bleib' in dieser Kammer, Niemand darf Dich sehen. Wenn das Haus schläft, brechen wir auf. Ruhe aus, ich werde Dir Nahrung bringen.«
Damit nahm er das Licht, ging hinaus, schob den Riegel vor die Thür und ließ Pietro Barbaro allein, der sehr verdrießlich über seine Unachtsamkeit sich jedoch bald darüber tröstete; denn sein Capitän hatte ihm keine besondere Heimlichkeit empfohlen, sondern nur gesagt, er möge dies Briefchen der alten Beschließerin des Hauses geben, wenn es ihm nicht selbst gelänge, es der Donzella einzuhändigen.
Giulio Saliceti kam nach einiger Zeit zurück, brachte Wein und Speisen und fragte den Boten über Manches aus: wie es in Murato stehe, wie viel Mannschaft dort beisammen, welche Officiere und wie die Meinung? Aus den Antworten ging hervor, daß man bald die beiden Corsenregimenter erwarte, auch Milizen aus der Casinca und vom Süden her, daß jedoch für jetzt nur die deutsche Compagnie vorhanden sei, und was aus Murato und der Umgegend sich mit ihr vereinigen ließ.
Giulio erfuhr aber auch, daß der deutsche Capitän rastlos arbeiten lasse und bei allem Volk in großem Ansehen stehe. Dabei vernahm er zugleich, daß Pietro Barbaro der Sohn jener Wittwe sei, die ihn als Ersatz für seinen Bruder zum Präsidenten gebracht, und mit begeisterten Worten lobte der Knabe des Capitäns Güte und Sorge um ihn. Er hing ihm sicherlich dafür mit corsischer Zuneigung an.
Als Giulio Saliceti dies Alles erfahren hatte, ging er in das Wohngemach zurück, wo seine Schwester am Tische arbeitend saß, und mit ihr Maria Montalti, neben Beiden Bernardo Leccia. Maria sah betrübt aus, Bernardo ingrimmig. Sie hatten davon gesprochen, daß nun Nichts aus ihrer Hochzeit werden könne, so lange die Franzosen in Oletta seien, und Bernardo hatte ein paar wilde Verwünschungen ausgestoßen über die Greuelthaten der Soldaten, die es nächstens dahin bringen würden, daß die Messer und Pistolen Arbeit erhielten.
»Dann werden sie Euch alle Waffen fortnehmen,« sagte Romana. »Der Onkel erzählte heute schon, daß der Oberst Arcambal nur auf Gelegenheit warte, solchen Befehl zu erlassen.«
»Aber mein Messer und meinen Karabiner werden sie nicht blank und rein bekommen,« rief Bernardo.
»Madre de Dio!« fiel Maria ein, ihre Nadel niederlegend und ihn ängstlich anblickend, »sprich nicht solche Worte, lieber Bernardo.«
»Wie?« fragte Bernardo, sein Haar von der heißen Stirn werfend, »wolltest Du einen Mann nehmen, der sich ungestraft entehren läßt?! Wolltest Du Einem Deine Hand geben, der seine Waffen ablieferte?«
»Nein, nein!« rief Maria, »aber sie werden es nicht wagen.«
»Sie werden noch weit mehr wagen, wenn wir es dulden,« fuhr Bernardo fort. »Wir hätten diese Schufte nicht in Oletta dulden, sie jagen sollen, sobald sie sich blicken ließen.«
»Was konntet Ihr thun,« sagte Romana, »da der fortgezogen, der Euch allein helfen konnte.«
»Meinst Du den deutschen Capitän?« fragte Giulio.
»Den meine ich,« versetzte sie mit leuchtenden Augen. »Er hätte Wache gehalten für Euch, als Ihr schlieft.«
»Was schiert uns dieser Fremde,« versetzte er rauh. »Wir werden uns selbst helfen, wie es Corsen geziemt. Alle diese Soldaten taugen Nichts. Heute dienen sie uns, morgen laufen sie zu den Franzosen. Das sind schlechte Männer, die sich weit von ihrem Vaterlande in der Welt umhertreiben.«
»Gehen die Corsen nicht auch noch nach Neapel, zum Papst und nach Spanien?« versetzte Romana. »Und hat der Präsident Paoli nicht selbst diesen deutschen Capitän hier vor allen Leuten gelobt?«
»Warum nimmst Du Dich dieses Mannes so besonders an?« fragte Giulio. »Hat er Dir so sehr gefallen?«
»Das hat er,« antwortete sie unerschrocken.
»Dann bete für ihn, daß es ihm wohlergehe!« rief er spottend.
»Gern thue ich es,« erwiederte sie, »und es wird ihm wohlergehen.«
»Schweig!« rief er aufbrausend, »es ist ein Anderer da, für den Du beten sollst. Für keinen Anderen.«
Maria Montalti drückte ängstlich Romana's Hand, aber Bernardo sprach inzwischen:
»Was zankt Ihr Euch um diesen Mann. Er ist fort, doch ich wollte, er wäre bei uns. Er hat uns Allen wohlgefallen, und Wenige sind in Oletta, die nicht denken wie Deine Schwester. Geschehen ist aber geschehen, jetzt ist es an uns, diesen Franzosen zu beweisen, daß wir nicht Schelme sind, die sich wie solche behandeln lassen.«
Giulio schwieg mürrisch, es kochte in seinem Herzen; er merkte wohl, daß Grimaldi recht gesehen hatte. Romana sprach von diesem Capitän, als sei er ein Heiliger, und der Zettel, den er gelesen, bewies genugsam ihre Vertraulichkeit.
Jetzt kam auch der Abt, er war bei dem Podesta gewesen, an den der Commandant harte Drohungen und neue Forderungen geschickt hatte, welche erfüllt werden sollten. Der Abt sah noch aufgeregt von dieser Verhandlung aus, die Adern lagen ihm dick auf der Stirn, sein mächtiger Kopf war so roth wie eine Pfefferschote, und Giulio mußte es hören, wie auch er darüber seufzte, daß die Deutschen nicht in Oletta geblieben seien, und ihr tapferer Capitän nicht hier an seinem Tische sitze.
Romana lächelte stolz dazu, und Giulio war mehr als einmal nahe daran, den Zettel hervorzuziehen und ihr diesen zuzuschleudern; aber er bezwang sich, denn er dachte an Grimaldi, und daß seines Hauses Ehre ihm Verschwiegenheit gebot. Wessen sollte er seine Schwester auch beschuldigen? Sie mochte immerhin schmeichelnden Worten ihr Ohr geschenkt haben, ernstlich Wesen war das nicht. Mit Achill hatte sie willig sich vereinigen lassen, neue Unbill wollte er abwehren.
Sie saßen bis spät am Abend beisammen; es kamen Freunde, viel wurde über die Verhältnisse gesprochen, und die Stimmung blieb trübe und gedrückt. Zuweilen loderte leidenschaftliche Gluth wild auf, doch der Abt tadelte strenge die jungen Leute, und die Alten stimmten ihm bei.
»Wir müssen ruhig und geduldig bleiben,« sagte er, »damit die Franzosen keinen Anlaß finden, über uns herzufallen. Auch Achill Grimaldi hat uns dringend gebeten, kein Unglück über unsere Familien, über Weiber und Kinder zu bringen. Arcambal hat geschworen, an Oletta ein Beispiel zu geben, wovon kommende Zeiten noch lange erzählen sollen, sobald er uns auf Verrath ertappe. Sie fürchten geheime Einverständnisse mit unseren Brüdern in Murato, darum soll morgen schon ausgerufen werden, daß bei Todesstrafe Niemand den Ort verlasse. Ich befehle und bitte Euch Alle, bleibt und haltet Euch still. Befreien kann uns Niemand, also seid klug wie corsische Männer, bis die rechte Stunde erscheint. Quält man uns dennoch weiter, so wird Grimaldi bei dem Grafen de Vaux unsere Klage anbringen, und wir werden nicht ohne Hilfe bleiben.«
So verständig und behutsam ermahnte der Abt, sein Neffe hielt geheim, was er wußte, und auch als sie Beide allein blieben, sagte er ihm Nichts von dem Boten und seinen Absichten. –
Als Mitternacht vorüber, schlichen zwei schattengleiche Gestalten durch das Gehege hinter der Casa Saliceti, und ihre leisen Schritte verloren sich bald in der Dunkelheit der Campagna. Einmal wurde der Ruf einer französischen Wache gehört, dann Nichts weiter.
Mit raschen Schritten stieg Giulio die mächtigen Felsen hinauf dem Kastanienwalde zu, der in einer breiten Kette den Bergsattel bedeckte, bis gegen Olmetta und Vallecalla hin. Pietro folgte ihm, flink wie ein zottiger Spürhund, seine Augen nach allen Seiten werfend und seine Ohren gegen den Wind haltend. Lange aber dauerte es, daß sie durch die riesenhaften Bäume irrten, durch Schluchten abwärts und steile Gehänge aufklimmend, ohne zu finden, was sie suchten. Die Finsterniß im Walde ließ keinen Pfad erkennen, und wie genau Giulio hier auch bekannt war, blieb doch Nichts übrig, als nach Vermuthungen sich zurechtzufinden. Geduld und Vorsicht wurden bei dieser nächtlichen Wanderung auf harte Proben gestellt und diese um so mehr geschärft, da Giulio viele Gründe hatte, um zu eilen. Es drängte ihn, mit dem Capitän zusammenzutreffen, ihm zu sagen, was er wohl überlegt; es drängte ihn aber auch, zurückzukehren, ehe der Tag anbrach, daß Niemand seine Abwesenheit bemerkte, so wenig die Leute im Hause, als die Franzosen. Aber Stunden vergingen, bis endlich von einer Stelle aus Lichtschein gesehen wurde, zugleich auch rief Pietro: daß dies die Capanne am Walde sei, wo der Capitän ihn verließ, und dort in der Tiefe Olmetta liege.
Als er dies laut und erleichtert ausrief, antwortete eine Stimme in seiner Nähe:
»Pietro Barbaro, wer ist mit Dir? Ist es Giulio Saliceti?«
»Ja, mein Herr, ja!« schrie der Bursche freudig, »er ist hier, nach dem Ihr mich schicktet.«
Und unter einem der Bäume hervor in den Weg trat eines Mannes Gestalt und sprach mit bekanntem Tone:
»Ihr seid es, Giulio Saliceti?«
»Eurer Aufforderung bin ich gefolgt,« versetzte Giulio. »Hier bin ich, um Euch Antwort zu geben.«
»Seid willkommen,« erwiederte Wilda, »folgt mir in die Capanne.«
Er griff nach Giulio's Hand, doch dieser zog sie zurück.
»Ihr habt mich weit hinauf beschieden,« sagte er, »ich habe keine Zeit, lange zu verweilen. Was wir zu reden haben, mag hier geschehen.«
»Bis nach Mitternacht blieb ich im Walde über Oletta,« war des Capitäns Antwort, »dann kehrte ich hierher zurück, da ich Euch nicht mehr erwartete. Mit dem ersten Morgengrauen wollte ich nach Murato, um am Abend wieder hier zu sein zu Euren Diensten.«
»Nehmt meinen Dank, mein Herr,« fiel Giulio ein, »doch bleibt in Murato und erfüllt dort Eure Pflicht. Wir bedürfen Eure Dienste nicht.«
»Ihr bedürft sie nicht?« fragte Wilda, betroffen von dieser kalten Behandlung.
»Oletta wird für sich selbst sorgen, sobald dies nöthig,« fuhr Giulio fort, »auch wird ihm Hilfe nicht ausbleiben. Fest jedoch sind wir entschlossen, uns kein Unglück auf den Hals zu ziehen durch unkluge Versuche.«
»Wie es Euch beliebt; doch hätte ich andere Antwort erwartet,« sagte der Capitän.
»Das mögt Ihr,« versetzte Giulio, »doch bemüht Euch nicht weiter, mein Herr. Kümmert Euch nicht mehr um Oletta und seine Bewohner.«
»Ihr sprecht zu mir in einer wenig freundlichen Weise,« sagte Wilda, »womit habe ich das verdient?«
»Hört mich an, mein Herr. Ich bin Euer Freund nicht, wünsche jedoch auch nicht Euer Feind zu sein. Ich komme zu Euch ohne Waffen, damit kein Streit entstehen kann zwischen Euch und mir. In Oletta achtet man Euch, auch mein Oheim will Euch wohl. Möge Euch Gott in seinen Schutz nehmen!«
»Und dennoch,« fiel Wilda ein, »sind Eure Worte so bitter. Wißt, daß ich Nichts so hoch schätzen möchte, als Eure Freundschaft; daß ich Blut und Leben geben möchte für Euch zu jeder Stunde.«
Die herzliche Wärme, mit welcher er dies aussprach, blieb nicht ohne Wirkung auf Giulio Saliceti. Er schwieg eine Minute lang und antwortete dann milder als bisher:
»Wollt Ihr meine Freundschaft, so vernehmt noch Eins vorher. Hier ist der Brief, den Ihr an meine Schwester Romana geschrieben. Nehmt ihn zurück, und niemals versucht es wieder.«
»Was denkt Ihr von mir und Romana,« antwortete der Capitän überrascht. »Ich schwöre Euch –«
»Kein Wort weiter!« unterbrach ihn Giulio. »Ihr seid der Freund meines Vaterlandes, auch rühmt man Euch als einen tapfern und klugen Mann. Zeigt Euch als solcher; nehmt die Saliceti als Eure Freunde, niemals aber denkt an Romana.«
»Nicht an sie denken!« rief Wilda erregt, und er hob seinen Kopf zu dem schönen Sterne auf, der über dem Walde stand, und blickte in sein silbernes Gezitter. »Wie wäre das möglich!« fuhr er fort. »Könnt Ihr dem Strom verbieten, in's Meer zu fließen? Könnt Ihr die Sonne vom Himmel nehmen und auslöschen? Ihr wißt es, daß ich Romana liebe, und wollt mir befehlen, sie zu vergessen?«
»Ihr liebt sie!« schrie Giulio in Wuth, »und wagt es, mir das zu sagen! Fluch und Tod über Euch! Wißt Ihr nicht, daß sie Achill Grimaldi verlobt wurde, daß wir alle dies wollen, und daß Romana eher sterben soll, und Ihr und wir, ehe Schande über uns gebracht wird?!«
»Ich weiß, was das heißt,« versetzte Wilda ruhig, »sorgt nicht, daß ich Unglück über Euch bringen werde,« und stärker seine Stimme erhebend, fügte er hinzu: »Was ich besitze, sollt Ihr mir nicht nehmen, es ist mein und wird mir bleiben. Laßt uns Freunde sein, Giulio Saliceti, Eure Ehre ist meine Ehre.«
Aber der hitzige, heißblütige Corse war dadurch nicht zufriedengestellt. Es blieb ihm dunkel, was dieser Deutsche meinte, er konnte das Widersprechende nicht auflösen.
»Ich danke Euch für dies letzte Wort, mein Herr,« sagte er, »doch scheint es mir das Beste, wir bleiben geschieden. Kommt nicht wieder nach Oletta, möge dann jeder Eurer Wege glücklich sein. Und nun lebt wohl! Treffen wir uns einst wieder, so sei es in Freundschaft.«
»Bleibt, Giulio Saliceti!« rief Wilda ihm nach.
»Nein,« lautete die Antwort. »Ich habe Euch Nichts mehr zu sagen, und bald wird der Tag anbrechen.«
So ging er zurück, Stolz in seinem Herzen und mit der Gewißheit, recht gehandelt zu haben, dabei im Zwiespalt mit sich selbst, ob er diesen Fremden lieben oder hassen solle. Hätte er nicht Romana's wegen ihm gegrollt, so mochte er ihm gern seine Hand reichen, allein in dies milde Empfinden mischte sich immer wieder sein Zürnen, und er dachte dann an Grimaldi und fand es gut, was er gethan. –
Nach Oletta sollte dieser Mann nicht wieder kommen, Romana sollte ihn nicht wiedersehen, dann blieb Nichts weiter zu besorgen von seiner thörichten Liebe, die er fernab nähren mochte, wie es ihm beliebte. Und indem er dies weiter bedachte und spottend vor sich hin lachte, wie eine Liebe ohne Besitz unsinnige Einbildung sei, die nur ein Narr sich schaffen könne, da doch Romana Achill zum Manne nahm, zog ein bleicher Schimmer durch die Gipfel des Waldes, und um die Felsenhäupter der Serra ballten sich Nebel, welche bald wie mit Geistermacht auch überall im Thale entstanden. Der junge Tag brachte sie mit, als wollte er sich darin verstecken, doch immer eiliger verfolgte Giulio seinen Weg, denn er wußte wohl, daß dies nicht lange dauern würde.
Der Nebel lag jedoch so dick, daß, als er aus dem Walde trat, es rings umher noch Nacht schien; weder Steg noch Richtung ließ sich erkennen. Dann tauchte zu seiner linken eine steile felsige Wand auf, und er glaubte nun zu wissen, daß er rechtswärts geben müsse, indem er aber dahin weiter schritt, sprangen mehrere Männer ihm entgegen. Waffen klirrten, ein paar Hände packten ihn am Arm und Kragen; er war von einer französischen Streifwache ergriffen.
Nach einem augenblicklichen Widerstande sah Giulio ein, daß er nicht entrinnen konnte, denn die Franzosen würden ihn mit Kugeln und Bajonetten durchbohrt haben; auch ohne Flucht waren sie aufgelegt genug dazu. Wild durch einander schreiend, überhäuften sie ihn mit höhnenden Worten und bedeuteten ihn, in's Gefängniß zu folgen.
Darein mußte sich Giulio ergeben. Er verstand die Franzosen so wenig, wie diese ihn, aber er hörte wohl, wie sie in ihrer Sprache über den Fang frohlockten und ihn bedrohten. Er schwieg dazu, und sie brachten ihn in's Dorf hinein, eben als es Tag wurde und die Nebel vor der Sonnenhelle zerrannen. Sie führten ihn an seinem Hause vorüber in das Stiftshaus, wo unten die Wache sich befand, darüber Oberst Arcambal sich einquartiert hatte, und bald versammelte sich ein ganzer Schwarm Soldaten, welche herbeiliefen, um den eingefangenen Spion zu sehen.
Eine Stunde mochte so vergangen sein unter großem Aerger des Gefangenen, als er endlich zu dem Obersten hinaufgeführt wurde, der mit mehreren Officieren ihn erwartete. Einer davon sprach italienisch und begann ihn zu verhören; doch wie auch sein Blut in den Adern kochte, äußerlich benahm sich Giulio Saliceti gelassen und darauf bedacht, seine Lage nicht zu verschlimmern. Er gab an, daß er am Abend spät in die Berge gegangen sei, um nach seinem Eigenthume zu sehen, den kleinen Pächtereien, welche er dort besitze, und daß er dann zurückgekehrt vor Tagesanbruch von der Wache angehalten wurde.
Der kurze stämmige Oberst mit dem dicken Zopfe und dem Fleischhackergesicht musterte ihn mit grimmigen, harten Blicken. Als des Abts Neffe war er ihm bekannt, doch das machte zunächst keinen Unterschied.
»Wißt Ihr nicht,« fuhr er ihn in gebrochenem Italienisch an, »daß ich befohlen habe, Niemand soll Oletta verlassen? Warum untersteht Ihr Euch, meinen Befehl zu verachten?«
Giulio entschuldigte sich, so gut es ging, dabei zitterte er vor Aufregung; dem Obersten aber mochte dies als Furcht erscheinen. Er maß ihn geringschätzig und sagte dann zu seinen Officieren:
»Der Bruder dieses Menschen war von heldenmüthigem Sinn, dieser hier hat dafür ein Hasenherz bekommen, er bringt uns niemals in Gefahr! Selbst seine Waffen hat er zu Hause gelassen, was sonst kein Corse thut; das Zittern wird er nicht sobald aus den Gliedern los werden. Also mag er geben.«
Und sich wieder zu dem Gefangenen wendend, fuhr er fort:
»Für diesmal sollt Ihr so davon kommen; doch heute noch will ich es ausrufen lassen, daß Jeder erschossen wird, der ohne meinen Paß aus dem Dorfe geht, lägen ihm auch Vater und Mutter in der Campagna im Sterben. Fort mit Euch! aber merkt Euch, daß Ihr zuerst an den Galgen sollt, wenn Ihr Euch nochmals ertappen laßt.«
Damit deutete er auf die Thür, und als Giulio Saliceti hinausging, schallte ihm ein Hohngelächter nach, in welches die Soldaten unten an der Treppe einstimmten. – Mit wilden Blicken seine Zähne zusammengebissen, wand er sich durch den übermüthigen Haufen, und halblaut murmelte er vor sich hin:
»Alle Qualen der Hölle über Euch, Ihr verdammten Schurken! Seid verflucht in Ewigkeit!«
Plötzlich hielt er inne und taumelte zur Seite. Blut strömte über sein Gesicht. Ein riesenhafter Sergeant hatte ihm einen Faustschlag versetzt. Vielleicht hatte er gehört, was Giulio murmelte, vielleicht nur geahnt, was dessen Lippenbewegung bedeutete.
»Corsischer Spitzbube,« schrie er, »ich will Dich schimpfen lehren!«
Damit hob er seine Faust abermals auf.
Mit Blitzesschnelle griff Giulio nach dem Gurte, in welchem sonst sein Messer stak, aber er fand es nicht, und mit einem hastigen Sprunge entrann er seinem Feinde unter einem weithin über den Platz schallenden Hohngelächter der Franzosen.
Dies Geschrei aber lockte den Abt Saliceti an sein Fenster. Eben war er aufgestanden und erblickte voller Verwunderung seinen Neffen unter den Soldaten, die ihn umringten und verspotteten. In diesem Augenblicke fiel der Schlag, und es war dem Abte, als ginge ein Schwert ihm mitten durch den Leib. Hinter seinem Fenster stieß er ein Gebrüll aus, gleich dem verwundeten Mars, so daß die nachsetzenden Soldaten es hörten und davor erschraken. Giulio aber hörte es auch. Er sah mit seinem blutenden Gesicht zu dem Fenster hinauf und sah seines Onkels rothen Kopf und dessen Hände, welche sich nach ihm ausstreckten. Da sprang er in's Haus, die Treppe hinauf, und leichenblaß, wie er war, flog er in Peverino's Arme, vor Schmerz und Wuth seiner Stimme nicht mehr mächtig, darin zusammensinkend. Doch sein Ohm rüttelte ihn auf und zog ihn mit sich fort in seine Kammer.
» Rache! Rache! die Elenden!« stöhnte Giulio, und von dem Rachegeiste mit neuem Leben erfüllt, riß er sich los.
»Wohin willst Du?« fragte der Abt, ihn festhaltend.
»Meine Waffen! mein Gewehr! meine Pistolen!« schrie Giulio. »Ich will mich mitten unter sie stürzen.«
»Ruhig,« sagte der Abt. »Du schlügst drei oder sechs, dann wirst Du todt.«
»Mein Messer! mein Messer!« fuhr Giulio, krampfhaft sich windend, zitternd fort, indem er einen neuen Versuch machte, sich zu befreien. »Der verfluchte Arcambal soll der Erste sein.«
»Dann werden sie über Oletta herfallen und so Weib wie Kind ermorden,« sprach der Abt. »Von Fiorenzo kämen ihre Genossen, ihre Henkersknechte sind immer bereit.«
»Rache! Rache!« ächzte Giulio, das Blut von seinem Gesicht wischend und seine rothen Hände zeigend.
»Rache!« antwortete Peverino, und sein Kopf nahm die Farbe der Pfefferschote an, seine Augen glühten wie Kohlen. »Sie haben Dich in's Gesicht geschlagen,« fuhr er fort, »das Aergste, das einem Corsen geschehen kann, haben sie an einem Saliceti gethan; darnach muß es auch gerächt werden. Keiner von Allen darf entkommen, Keiner! Nicht der tyrannische Oberst, nicht der geringste Knecht, sie müssen sämmtlich sterben, als habe die Pest sie fortgerafft.«
Giulio horchte auf, erblickte seinen Ohm starr an. Was dieser sagte, war Balsam für ihn; aber er wußte nicht, wie es geschehen konnte.
Der Abt neigte den rothen Kopf und murmelte halblaut:
»In der Kirche dort haben wir sie beisammen. Die Kellergewölbe der Casa Saliceti laufen bis unter den Platz. Es ist nicht weit und nicht schwer, von dort aus einen Gang bis in die Kirche zu graben, und Pulver haben wir genug, daß alle Mauern über diese elenden Räuber zusammenstürzen und sie zerschmettern. Was übrig bleibt, dafür haben wir Messer und Kugeln.«
Er sagte dies Silbe für Silbe, Wort für Wort mit fester, tiefer Stimme. Die furchtbare That trat mit solcher Gewalt vor Giulio's Augen, daß diese wie leblos sich weit und starr aufthaten. Um die Lippen des Abts zuckte ein schreckliches Lachen, er ballte seine Faust zusammen in Wuth und Lust.
»Die Kirche,« stammelte Giulio, »das Gotteshaus!«
»Sie haben diese alte Kirche entehrt!« antwortete der Abt. »Sie haben eine Caserne daraus gemacht! Sie haben die Altäre entweiht mit frechen Liedern und gemeinen Flüchen! Sie haben sie benutzt, um aus ihren Gewölben Gefängnisse für uns zu machen, uns mit Schmach und Schande zu bedecken. Und jetzt haben sie Dich geschlagen, den Giulio Saliceti, Tod und Hölle! In Stücke sollen sie dafür zerrissen werden, in Stücke jedes Glied! Ich will es vertreten vor Gottes Gericht. Ich, ein Priester, will es vor Papst und Christenheit vertreten, vor Volk und Richtern in Corsika. Die Saliceti werden eine neue Kirche bauen, zuerst aber müssen sie sich rächen.«
»Demonio!« schrie der junge Mann mit funkelnden Blicken, »schnell die Rache, oder ich sterbe vor Gram! Laßt uns unsere Freunde rufen, Oheim, kein Mann lebt in Oletta, der uns nicht beisteht. Laß uns den Gang graben, alles versteckte Pulver zusammenbringen; eile, eile, ich kann nicht warten.«
Sie reichten sich die Hände und überlegten die Ausführung. Nach einiger Zeit kam Romana mit Thränen, um ihren Bruder zu trösten, aber sie fand die beiden Männer ruhiger, als sie es erwartete. Giulio hatte dem Abte mitgetheilt, warum er in der Nacht Oletta verlassen habe, um mit dem Capitän Wilda, der ihm einen Boten gesandt, heimlich im Walde zu sprechen; was er weiter gewollt, davon sagte er ihm Nichts. Doch auch jetzt noch sprach er dagegen, mit dem deutschen Anführer in Murato in Verbindung zu treten, denn er dachte daran, was die Folge sein könnte, und an sein Gelöbniß, diesen Fremden nie wieder in Oletta zu dulden. Der Abt stimmte ihm bei, daß Jener nicht in das Geheimniß ihres Vorhabens gezogen werde, wohl aber könne man den Capitän wissen lassen, daß man auf seinen Beistand rechne, im Fall in Oletta Etwas geschehe.
Romana erfuhr von allen diesen Dingen Nichts, mit finstern Mienen wies Giulio ihre Tröstungen zurück, und der Abt befahl ihr, das Weinen und Klagen zu lassen, wohl aber daran zu denken, daß sie eine Saliceti sei.
Was solche Mahnung bedeutete, konnte Romana ermessen, ihr Herz war voll Kummer, doch wagte sie nicht weiter zu fragen. Es kamen während dieses Tages manche Freunde, denn was Giulio geschehen, hatte sich schnell überall verbreitet. Endlich kam auch der Podesta Montalti mit Trostworten und Bedauern, doch ging er bald wieder fort, sein Gesicht war erschrocken. Der Abt hatte ihn auszuforschen gesucht und von Dingen gesprochen, bei denen sich der alte bedächtige Podesta bekreuzigte und bittende warnende Worte einwandte; da fuhr Peverino auf ihn los, und Montalti machte, daß er fort kam, er wollte Nichts weiter hören.
Oletta war den Tag über wie ausgestorben, keiner der Bewohner verließ sein Haus, nur die Franzosen lärmten und lachten auf dem Kirchhofe, und in den Gassen zogen ihre Streifwachen umher. Zur Mittagszeit aber rasselten die Trommeln. Oberst Arcambal ließ ausrufen, daß binnen drei Tagen alles vorhandene Pulver ihm abgeliefert werden sollte, bei wem dann noch davon gefunden würde, der sollte vor das Kriegsgericht gestellt werden, so auch der, welcher ohne Erlaubniß das Dorf verlasse. Die Waffen zu fordern, stand der Commandant noch an, denn er wußte wohl, daß ein solcher Befehl den Corsen an's Leben greifen hieß. Die Meisten gaben sicherlich lieber dies bin, als ihre Flinten; Oletta aber zeigte wohl üble Gesinnung genug, doch offen widersetzt hatte sich noch Niemand.
Somit dachte Arcambal sich zunächst mit dem Pulver zu begnügen, doch es war, als ob Niemand seine Bekanntmachung hörte. Nicht einmal Weiber und Kinder wurden dadurch neugierig auf die Straße gelockt, in den düsteren Mauern der Steinhäuser aber schallten ingrimmige Verwünschungen, und mancher Schwur wurde abgelegt, daß diese Räuber nicht ein Loth Pulver bekommen sollten. Es gab Verstecke genug dafür.
Als es darauf dunkel geworden und Nacht, kam Leben über Oletta. Es schlichen überall Männer heimlich durch die Gehege und verschwanden in der Casa Saliceti. Der Abt hatte Romana befohlen, in ihrer Kammer zu bleiben, den Mägden, in der Küche, Keine durfte diese verlassen; doch horchten sie hinaus und erzählten sich leise, was sie entdeckt.
Es saßen ihrer dreißig Männer in der Halle beisammen, darunter die Ersten und Angesehensten, besonders die Jungen. Bernardo Leccia war erkannt worden, der Podesta war nicht gekommen. Sie blieben beisammen fast bis zum Morgen, und die Mägde lauschten, als Viele in die Keller hinabstiegen, und von unten herauf hörten sie dumpfe Schläge. Die Spitzaxt wühlte in dem felsigen Boden.
Am folgenden Abend geschah dasselbe, und am zweiten und dritten war es eben so. Die Tage dagegen gingen düster und still vorüber, Oletta blieb öde. Pulver brachte Niemand in die Kirche, Niemand forderte einen Paß. Oberst Arcambal saß lauernd und giftig lachend in seinem Hause; er wollte abwarten, dann aber um so härter verfahren.
Und als der vierte Abend herandunkelte, trat Maria Montalti in das Haus der Saliceti und begab sich zu ihrer Freundin Romana. Und da sie deren Kammer öffnete, sah sie, daß Romana vor dem kleinen Altare auf ihren Knieen lag und betete. Ein Licht brannte und beleuchtete das Bild der Gottesmutter, die das Kind am Herzen trug, und Romana hatte ihre Hände inbrünstig aufgehoben, während Thränen aus ihren Augen strömten.
Leise trat Maria hinein, und indem sie verwundert auf ihre Freundin sah und sich näherte, rief sie ihr zu:
»Du weinst, Romana! Warum weinst Du?«
Romana wandte sich zu ihr und antwortete:
»Um die weine ich, die ich liebe, um die Noth und Gefahren, welche sie bedrohen. Ich habe Nichts als meine Thränen, Maria, als meine Bitten zu der gnadenreichen Gottesmutter. Ah! ich habe kein Mittel, um das Unglück abzuwenden, das uns bedroht, so bitte ich zu der Himmelskönigin, sie möge es nicht geschehen lassen.«
»Nicht geschehen lassen?« fragte Maria. »Sollen diese bübischen Franzosen uns alle erwürgen? Willst Du, daß sie auch andere Männer so entehren, wie sie Deinen Bruder entehrt haben?«
Romana senkte den Kopf und legte ihre Hand auf ihr Herz.
»Böses ist ihm geschehen,« erwiederte sie, »aber sollen wir Böses mit Bösem vergelten?«
»O Du!« rief Maria zornig, »Du denkst nicht, wie ein corsisches Mädchen denken soll. Damals schon sagte ich es Dir, als Dein Herz sich einem Fremden zuwandte, nun aber wendet es sich von Deines Bruders Ehre feige seinen Feinden zu.«
Romana verneinte dies betrübt.
»Mein Herz ist treu bei ihm,« seufzte sie, »aber Maria, liebe Maria! kannst Du solche grausame Rache wünschen? Zittert nicht Deine Seele in Angst? Bebst Du nicht vor solchem Schrecken und um Bernardo, Deinen Bernardo?«
»Ich bebe nicht,« versetzte Maria. »Alle diese Elenden haben den Tod verdient, mag er sie treffen. Frage in Oletta, ob es Einen giebt, der anders dächte. Alle wissen, was geschehen soll, Keiner ist, der sich nicht freute, der die Stunde der Rache nicht mit Jubel erwartete. Mein Vater hält sich zurück, weil er meint, es schicke sich für ihn, doch meinst Du, daß er Deinen Sinn hätte? Er weiß, daß Bernardo zu den Eifrigsten gehört, und er billigt es, denn Schande wäre es für uns, wollte Bernardo seinen Freund verlassen, Schande, wollte er mit Feinden Mitleid haben, die dem Giulio Saliceti solche Schmach angethan. Wer sich nicht rächen mag, wenn er entehrt wurde, der verdient Verachtung! Darum schweige und hüte Dich, daß die Rache sich nicht auch gegen Dich wendet.«
Dies letzte warnende Wort hatte Grund genug, denn Beispiele gab es manche, wo die Wuth sich gegen Weiber und Verwandte gekehrt, die den Rächer mit Bitten und Vorwürfen abzumahnen suchten. Hier aber war das Rachewerk nicht in den Händen eines einzelnen Beleidigten, sondern eine ganze Gemeinde hatte sich zu einer furchtbaren That verbunden. Fünfzehnhundert Menschen, Weiber und Kinder dabei, sollten der Vendetta erbarmungslos geopfert werden.
Wie aber konnte Romana dies ändern? Wie wäre es möglich gewesen, ohne Verderben über alle ihre Freunde zu bringen? Die kleinste Warnung, den wachsamen Franzosen überbracht, genügte, um das Racheschwert auf Oletta fallen zu lassen. Zu viel war schon geschehen, um verziehen zu werden; ein blutiges Strafgericht mußte jeder Entdeckung folgen, und wen mußte es zunächst treffen?
Romana faltete traurig ihre Hände, Maria Montalti sprach die Wahrheit. Doch ehe sie Worte finden konnte, um weiter zu sprechen, entstand ein Geräusch vor dem Hause. Ein Pferd stampfte dort die Granitplatten, der Reiter läutete am Thore, gleich darauf ließ sich Giulio's Stimme hören und eine andere, die durch Romana's Mark zitterte, gab Antwort. Achill Grimaldi kam zu dieser Stunde nach Oletta, und Maria rief triumphirend:
»Gut, daß er hier ist, er wird Dir sagen, was sich ziemt, wenn Du ihm Deinen Kummer mittheilst. Gehe und empfange ihn.«
So, mit stolzem Vorwurf, schob sie Romana der Thür zu, doch diese sträubte sich, und erst als Maria wiederum höhnte, es sei kein corsisches Blut in ihr, sprach sie entschlossen:
»Du hast Recht, ich muß zu Achill hinab, ihn sendet Gott zur rechten Stunde. Er ist klug, und spricht das Herz nicht in ihm, so thut es der Kopf. Er wird rathen und helfen, wie es sein muß.«
Sie machte sich bereit, und Maria Montalti folgte ihr nach und sagte spottend:
»Vertraue ihm nur; von ihm hast Du kein schwachherziges Mitleid zu hoffen. Er wird sich freuen über das, was er hört; Lieberes kann ihm nicht geschehen.« –
Sie hatte die richtige Antwort gegeben.
Romana fand in dem großen Zimmer ihren Verlobten im Gespräche mit ihrem Bruder und ihrem Onkel. Er wußte schon, was sich zugetragen, und mit klopfendem Herzen blieb sie stehen, als sie Giulio mit grimmiger Genugthuung ausrufen hörte:
»In's Gesicht haben sie mich geschlagen, ich aber will ihnen dafür einen Schlag geben, wovon sie bis in die Wolken fliegen sollen!«
»Seid Ihr schon so weit?« fragte Achill.
»Heut Nacht soll das Letzte geschehen.«
»Habt Ihr Pulver genug?«
»Pulver für alle diese Schurken. Aus ganz Oletta haben wir es beisammen.«
»Hier im Hause?«
»Im Keller liegt es.«
»Morgen also –«
»Morgen, sobald die Nacht anbricht.«
»Es ist der 13. Februar,« sagte Grimaldi nachdenklich und langsam, »man wird diesen Tag sobald nicht vergessen. – Dachtet Ihr auch daran, daß ein so furchtbares Krachen alle Häuser hier oben mit fortreißen kann, Euch selbst begrabend und zerschmetternd?«
»Alles ist wohl überlegt,« antwortete der Abt. »Weiber und Kinder, die Alten und die Kranken werden morgen, sobald die Stunde heranrückt, gewarnt werden, sich an's andere Ende von Oletta zu begeben.«
»Wissen sie schon darum?« fragte Achill.
»Die Meisten wissen es, wenn auch nicht die Stunde.«
»Das scheint mir bedenklich,« fiel Grimaldi ein. »Ihr hättet besser gethan, heimlicher zu bleiben.«
»Es giebt in Oletta keinen Verräther,« versetzte Giulio. »Sie könnten es sämmtlich wissen.«
»Aber ein Furchtsamer kann sich verrathen. Die Franzosen sind überall auf ihrer Hut, sie merken auf jedes Zeichen. Hütet Euch wohl.«
»Sei ohne Sorge, Achill!« versetzte der Abt, »sie werden Nichts eher merken, bis die Hölle unter ihren Füßen sich aufthut.«
»Eine Hölle ist es,« lachte Grimaldi, »seht zu, daß der Teufel Keinen übrig läßt.«
»Wenn die Weiber fort sind und die Schwachen,« antwortete der Abt, »bleiben die Tapfersten und Besten bei uns zurück, sammeln sich in unserem Hause und warten hier, bis die Lunte brennt.«
»Und diese soll keines anderen Mannes Hand anlegen, als die meine,« unterbrach ihn Giulio.
»Dann ist es Zeit, und ebenfalls zu sichern,« fuhr der Abt fort. »Zwar ist dies Haus so fest, daß ich Nichts besorge. Bei alledem ist unser Plan, wir laufen durch den Garten auf die andere Seite des Baches, und erwarten dort den Schlag. So wie er fällt, dann heraus mit den Messern und Pistolen, und nieder mit Denen, die etwa noch am Leben sind.«
Ein Seufzer folgte seinen Worten nach. Alle sahen nach der Thür und erblickten im Halbdunkel eine Gestalt.
»Wer ist da?« schrie Giulio voll Wuth und Schrecken, aber Grimaldi hatte sie schon erkannt. Er hielt ihn auf und sagte:
»Es ist Deine Schwester, es ist Romana. Jedenfalls gehört sie nicht zu Denen, die Nichts wissen.«
So nahm er ihre Hand und führte sie näher.
»Du hast alles vernommen, was hier verhandelt wurde, liebe Romana?« fragte er.
Sie antwortete Ja, aber sie stieß dieß kleine Wort so kummervoll schwer hervor, als sei es eine schreckliche Last, und jetzt, da sie sah, daß Achill nicht that, was sie von ihm erwartete, lief sie plötzlich auf ihren Bruder zu, umschlang ihn mit ihrem linken Arme und streckte den rechten nach ihrem Oheim aus, indem sie angstvoll bittend Beiden zurief:
»Gnade! Giulio, Gnade! Vergieb ihnen, mein geliebter Bruder, vergieb ihnen, mein Oheim! Ueberlaßt Gott die Rache, vergießt kein Blut, das zum Himmel schreit.«
Aber diese Worte waren kaum gesprochen, als Giulio sie von sich schleuderte, und der Abt mit seiner Donnerstimme schrie:
»Soll ich Dich verfluchen, Du jämmerliches Geschöpf! Bist Du ein Abschaum ohne Gefühl für die Ehre Deines Stammes? Bist Du keine Saliceti, sondern schlechter, als das elendeste Hirtenmädchen aus den Bergen?!«
»Muß man morden, um eine Saliceti zu sein?« antwortete Romana, deren Stolz bei diesen beleidigenden Vorwürfen erwachte.
»Kein Wort mehr laß noch hören, wenn es Dich nicht reuen soll!« schrie der Abt, und Giulio sagte, gewaltsam sich mäßigend: »Suche in Oletta umher, ob eine Schwester so zu ihrem Bruder, ein Weib so zu einem Manne sprechen würde, den sie liebt oder auch nur achtet. Der Elendeste würde Gott um Rache bitten und um tausend Leben nicht davon ablassen. Du aber hast kein Empfinden für unsere Ehre, weil Du die Deinige nicht besser beachtest.«
»Ha!« rief Romana, ihre leuchtenden Augen aufhebend, »das hätte mein Bruder Carlo nimmer mir gesagt, und nie, nie hätte er, der so stolz und tapfer war, Eure entsetzliche Rache gebilligt.«
»Maledetto!« schrie Giulio, aber Grimaldi hielt seinen Arm fest und sagte zu ihm und dem Abte: »Laßt mich mit Romana ein Weilchen allein und werdet ruhig. Sie wird bald das Richtige erkennen, Ihr werdet zufrieden sein, sobald Ihr zurückkehrt.«
Damit führte er Beide nach dem Zimmer des Abtes und kehrte dann zu Romana zurück, welche mit ihren nassen heißen Augen auf den Balcon hinausschaute. Die Kirche lag auf dem Platze ihr gegenüber, und sie sah dort die erleuchteten Fenster, die Menge der Soldaten, welche sich umhertummelten, und deren Lärm und Gelächter zu ihr herüber schallten.
»Und alle diese menschlichen Wesen,« sagte sie zu Achill gewandt, »wollen sie zerschmettern; morgen um diese Stunde sollen sie dort mit verstümmelten Leibern liegen, weil sie eine Beleidigung rächen müssen. Welche schreckliche Sünde! Welche grauenvolle That! Hindere Du es, lieber Achill, Du darfst es nicht zugeben; denn Du bist ein Richter, und Paoli selbst hat die Vendetta verboten. Alle gute Menschen werden diese That verfluchen, so lange die Welt steht, und Gott wird sie richten. Auf meinen Knieen bitte ich Dich, laß es nicht geschehen.«
»Höre mich an, theure Romana,« antwortete Achill sanft und leise, »ich kann Deinen Wunsch nicht erfüllen, denn meine Abmahnungen würden fruchtlos bleiben. Einst werden Zeiten kommen, wo man milder auch in Corsika denkt, jetzt aber giebt es Wenige, die Deinen Onkel und Deinen Bruder verdammen werden; man wird sie preisen und bewundern. Sie rächen sich an ihren Feinden, und diese sind zugleich die Feinde ihres Vaterlandes. Es mag bei anderen Völkern eine entsetzliche, eine höllische That genannt werden, hier wird selbst Paoli damit zufrieden sein, denn Oletta wird dadurch befreit, und den Franzosen ein schwerer Schlag bereitet. Du kannst Nichts ändern, theure Romana, Niemand kann es, ja, es muß Dein Wunsch sein, daß dieser Plan gelingt, denn wenn er fehlschlägt, ist Dein Bruder verloren, und Deinen Onkel wird sein geistliches Gewand nicht vor dem Henker schützen.«
»Noch ist Nichts geschehen, Niemandem ist ein Leid widerfahren,« fiel Romana ein.
»Du irrst,« erwiederte Grimaldi: mit ruhiger Kälte, »die Würfel sind geworfen. Einer muß verlieren. Die Franzosen wissen bis jetzt Nichts davon, aber verschwiegen wird es ihnen nicht bleiben, und wer diesen Plan ersonnen, diesen Minengang gegraben hat, den wird ihr Kriegsgericht nimmer verschonen!«
»Ach! wie schrecklich ist es, daß Wesen, denen Gott Vernunft verliehen, sich hassen und verderben!« weinte Romana, ihre Hände faltend.
»Leider ist es so,« erwiederte Grimaldi, »doch Gott hat es so gewollt, Romana, sonst würde er es nicht geschehen lassen. Das erste Gesetz des Lebens ist die Selbsterhaltung, die Sorge für unser eigenes Glück. Jeder Mensch ist eine Welt für sich, Jeder soll suchen so glücklich zu sein während seines Lebens auf Erden, als er es vermag. Wer ihn daran hindern will, wer sein Glück ihm streitig macht, wer ihm Schaden zufügt, der ist sein Feind; wer sich mit ihm zum gleichen Zwecke des Wohlseins verbindet, den nennt er Freund. So ist dies Leben ein Krieg Aller gegen Alle. Es müssen Viele sein, die besiegt werden, verderben und umkommen, Andere müssen triumphiren. Aber in fünfzig Jahren oder in sechszig sind sie sämmtlich todt, die Glücklichen wie die Unglücklichen verschwunden. Darum klage nicht zu sehr über die, welche morgen sterben sollen. Wir aber wollen leben, theure Romana, wir wollen glücklich sein! Es ist jedes Menschen Sache, sich vor Unglück zu schützen.«
»Und zu glauben,« sagte Romana, »daß Gottes Auge über uns wacht.«
»Zu glauben, daß seine Sterne den Unschuldigen rettend leuchten,« versetzte Achill, indem er ein Lächeln nicht unterdrücken konnte.
Romana's heiße Blicke flogen zum Himmel auf, und aus den Dünsten der Nacht schimmerte dort ein leuchtender Punkt, welcher immer lichter und glänzender wurde.
»Wahr und gewiß,« rief sie mit ausbrechender Freudigkeit, »Gottes Wille wird geschehen!«
»Und er lohnt den Gerechten,« fiel Grimaldi scheinheilig spottend ein, »also sei ruhig, liebe Romana, und vertraue ihm. Da aber morgen hier doch Manches geschehen kann, was Dein weiches schönes Herz betrübt, so bitte ich Dich auf's Innigste nun noch einmal, begleite mich morgen früh nach Bastia und erwarte dort in Sicherheit und Ruhe, was die Vorsehung zuläßt oder verhindert.«
Indem er dies sagte, traten der Abt und Giulio wieder herein, aber Romana ging ihnen entgegen, gefaßten Muthes und mit klaren Mienen.
»Möge Gott Eure Herzen lenken,« sagte sie, »ich bin ein schwaches Weib. Achill will, daß ich ihm nach Bastia folge, doch hier ist mein Platz; ich weiß, daß ich eine Saliceti bin. Sprecht kein Wort mehr dagegen, ich will Euch nicht verlassen. Du selbst, Achill, hast mich auf Gottes allmächtigen Beistand verwiesen, so will ich ihm denn vertrauen, daß er uns glücklich mache und erhalte.«
Als Grimaldi Einwendungen erhob, zeigte sie in kluger Rede, wie leicht er in große Gefahr gerathen könne und sie mit ihm, wenn sie nach dieser That in Bastia verweilen wollte.
Er konnte dies nicht ganz zurückweisen, die beiden Saliceti aber stimmten bei und ließen Romana gewähren; sie mochten auch jetzt wohl durch Zeichen ihrer Liebe die Ausbrüche ihres Zornes vergüten wollen. –
Am Abend war Achill Grimaldi Zeuge von der Versammlung der Verschworenen von Oletta und deren Verabredungen. Sie führten ihn auch hinab in die Keller, zeigten ihm den Pulvervorrath und den Minengang, und er sah nun selbst, daß nur noch die schon gelockerten Steine einer Mauer fortzuschaffen blieben, um in die unterirdischen Gewölbe der Kirche zu gelangen. Dies letzte Hinderniß sollte aber erst am nächsten Abend in der Stunde der Ausführung des Rachewerkes fortgeräumt werden, damit nicht etwa ein Zufall Entdeckung möglich mache. Achill Grimaldi hieß Alles gut, ertheilte Rath und gute Lehren, wie das Pulver in der Mine behandelt werden müsse, um die größte Wirkung hervorzubringen, wie man selbst sich am besten vor Schaden bewahren könne, und was zu thun sei, wenn der Schlag geschehen.
Die ganze Nacht über saßen sie beisammen, denn Grimaldi berichtete auch, was er von den Rüstungen in Corsika und den Abrichten der Franzosen erfahren hatte. Sein Bruder Leo hatte ihm geschrieben, daß der Präsident ihn aufgefordert, alle seine Männer zu sammeln und in der Stille alle Vorbereitungen für den Kriegsausbruch zu treffen, daß einige englische Schiffe Pulver und Waffen in Porto Vecchio und in Ajaccio gelandet hätten, und daß Alles, was wehrhaft sei auf der Insel, zur Rettung des Vaterlandes aufgeboten werde. Der Präsident habe Unterredungen gehabt mit dem englischen Admiral Smittoy und einem englischen Agenten, der die Corsen bestimmen sollte, sich den Franzosen zu unterwerfen. Aber Pasquale Paoli habe die hochherzige Antwort gegeben, daß die Corsen untergehen, doch nicht als Knechte verkauft werden könnten. Nun sei beschlossen, eine Volksversammlung in der Casinca zu halten, um das gesammte Volk zum Heldenkampfe zu entflammen.
Die düsteren Mienen der verschworenen Männer hellten sich auf bei diesen Nachrichten, und als Giulio sprach:
»Auch wir werden, frei von unseren Bedrückern, nach der Casinca ziehen,« antworteten ihm flammende Blicke. Achill Grimaldi erzählte jedoch weiter, daß unaufhörlich in Bastia Schiffe mit Soldaten, Kanonen und ungeheueren Vorräthen aller Art aus Frankreich anlangten, und daß General de Vaux vier starke Divisionen bereit habe, um loszuschlagen. Was er mittheilte, klang erschreckend, und doch wieder spottete er darüber und gelobte, sobald der Sturm da sei, seine Feder in's Feuer zu werfen, dafür nach Schwert und Flinte zu greifen und mit seinen Brüdern zu stehen und zu fallen.
Dafür drückte ihm Mancher voll freudiger Bewunderung die Hand, und er nahm von ihnen Abschied, bedauernd, daß er nicht bleiben könne, doch sei es nothwendig, daß er gehe und Bastia erreiche, noch ehe Oletta sich in seine blutige Rachewolke hülle. Auch hierbei bewunderten die Männer seine Unerschrockenheit, denn wohl ließ sich denken, daß die Franzosen Verdacht schöpfen würden; allein er beruhigte sie, und als der Tag anbrach, schwang er sich auf sein Pferd, zeigte der Wache seinen Paß und ritt nach Fiorenzo hinab, unbekümmert um die höhnischen Worte der Franzosen. –
Langsam ging dieser letzte Tag vorüber. Am Himmel hingen dunkle schwere Wolken, in der Serra tobte ein Wetter, das mit Sturm und Regengüssen und flammenden Blitzen von Zeit zu Zeit aus den Bergen hervorbrach. Und wie der Himmel dumpf und schwül, so war es in den Häusern von Oletta, so auch in der Casa Saliceti! Romana hatte den scheidenden Grimaldi bei seiner Abreise nicht gesehen, und als Giulio später in ihre Kammer blickte, fand er sie vor dem Altar im Gebet und zog sich davor zurück.
Als die Geschwister und der Oheim dann beisammen ihr Mahl hielten, sprach Keiner mehr über das, was mit furchtbarer Gewißheit mit jedem Ticken der schwarzen Uhr an der Wand näher rückte. Nur zuweilen warfen die beiden Männer ihre Blicke ungeduldig auf die Zeiger und dann scheu und wild hinaus auf die Wolken und den Nebel, der wie ein Leichentuch über Platz und Kirche hing.
So verging eine Stunde nach der andern, und der Abend begann zu nahen. Der Abt ging in seine Kammer, Romana hörte Waffen klirren. Sie sah, wie der Diener des höchsten Herrn sein Doppelgewehr von der Wand nahm, und wie er über seinen Priesterrock einen Gurt schnallte, um Pistolen und ein langes zweischneidiges Dolchmesser hineinzustecken. Auf dem Platze hörte sie Geräusch, er war bisher leer gewesen.
Die Franzosen hatten sich vor dem Regen in der Kirche geborgen, jetzt kamen sie hervor, um mit Verwunderung die Bewohner von Oletta anzuschauen, welche aus den an der Kirche und am Ausgange des Dorfes gelegenen Häusern eilig und scheu bei ihnen vorüberzogen. Greise, von Kindern geführt, Weiber, mit allerlei Habe beladen, Männer auch wohl, die Nichts mit dem gefahrvollen Unternehmen zu thun haben wollten, machten sich fort wie Ratten, die ein Schiff verlassen, das im nahen Sturm zertrümmern soll.
Die Soldaten standen staunend über diese Wanderung, deren Grund sie nicht begriffen; während dessen aber schlüpfte durch die Hinterpforte eine Anzahl Männer in die Casa Saliceti, in ihre rauhen dunkeln Mäntel gehüllt. Ihre Waffen befanden sich längst hier verborgen. Giulio durfte sie nur aus den Verstecken holen.
Und noch war er damit beschäftigt, als ein Reiter im vollen Galopp über den Platz sprengte. Wer war es? Woher kam er? Die Dunkelheit ließ ihn nicht mehr erkennen, auch verschwand er schnell an der Kirche.
Ein Franzose mußte es sicherlich sein.
»Gleichviel,« sagte der Abt. »Er bringt sicherlich irgend einen nichtswürdigen Befehl und kommt zur rechten Zeit, um den Luftsprung mitzumachen. Es ist Zeit, Freunde; ordnet Euch, wie wir es verabredet. Hinab in den Keller, Giulio. Nehmt Eure Werkzeuge, räumt die Mauer fort; dann das Pulver hinein und die Leitung daran. In einer halben Stunde müßt Ihr fertig sein.«
In dem Augenblicke wirbelten die Trommeln vor der Kirche. Die Verschworenen standen horchend und athemlos.
»Was haben sie vor?« fragte Giulio heftig.
»Sie sollen marschiren, haben Ordre erhalten. Der Teufel steht ihnen bei!« versetzte Bernardo Leccia.
Alle flüsterten eine Zeit lang, verborgen hinabschauend hinter den schmalen Fenstern; plötzlich aber wurde es drüben hell.Fackeln flammten auf, die Franzosen standen unter Waffen. Commandoworte schallten, die rauhe Stimme des alten Obersten ließ sich vernehmen. Gleich darauf eilte ein Schlachthaufe in das Thal hinab, ein anderer links gegen die Berge, ein dritter vorwärts auf die Casa Saliceti los, von allen Seiten sie umzingelnd. Ein furchtbares Geschrei durchhalte die Luft; als es verstummte, schrie Arcambal:
»Heraus, Ihr Mörder, aus Eurer Höhle! Ergebt Euch, oder meine Kanonen sollen Euch Alle zerschmettern!«
»Verrath!« schrie der Abt drinnen. »Wir sind verloren!«
»Ergebt Euch, so will ich die Weiber verschonen!« begann der Oberst noch einmal. »Ich will die Unschuldigen verschonen.«
»Ha! Romana!« sagte Giulio und ergriff den Arm seiner Schwester, welche neben ihm stand. »Rette Dich!«
»Laßt uns sterben als freie Männer,« sprach der Abt mit funkelnden Augen und fester Stimme. »Wir wollen diese Schurken niederschmettern, so lange wir können, dann wollen wir uns mit ihnen begraben. Lege die Leitröhre an den Pulverkasten, Giulio, und führe den Schlauch herauf zu uns.«
Hier wurde er unterbrochen, denn mit verzweifelnden Mienen sprang die alte Magd Orsola herein und kreischte:
»Sie sind da, sie sind in den Kellern und schlagen gegen die Fallthür. Sie werden die Riegel sprengen – dann sind wir verloren! Verloren!«
Die Männer standen wie vernichtet von dieser Schreckenskunde. Die Franzosen wußten Alles, sie hatten den Gang entdeckt, sie waren unter ihren Füßen. – Ein Todeszittern lief durch ihr Gebein.
»Verzagt nicht,« sagte Romana mit ihrer klaren Stimme. »Benutzt den Augenblick, wo noch Verwirrung unter unsern Feinden ist. Hat Carlo Saliceti sich nicht mit einer kleinen Schaar durch ihr ganzes Heer geschlagen? Fallt auf sie wie ein Gewittersturm; Gott wird mit uns sein!«
Das war ein zündender Schlag.
»Sie hat Recht!« rief Giulio. »Es ist der einzige Weg, der uns noch übrig. Bleibe Du im Hause, Romana, sie verschonen Dich mit den Mägden.«
»Nein,« versetzte sie, »ich will leben und sterben wie eine Saliceti. Eile, mein Bruder, eile! Jede Minute ist verderblich.«
Da öffnete sich plötzlich die Pforte, und heraus stürmte die Schaar der Verschworenen. Eine Minute lang glaubten die Franzosen, sie kämen um Gnade zu bitten, aber fünfzig Feuerblitze spalteten das Dunkel, dann noch einmal. Todte und Verwundete stürzten in den dichten Reihen der Franzosen über einander. Und jetzt gab es ein Laufen und wiederum ein Feuer, Geschrei und Jammertöne stiegen zum Himmel auf.
Aber die Franzosen erholten sich rasch von ihrer Verwirrung. Oberst Arcambal schrie ihnen voll Grimm und Wuth zu:
»Ewige Schande für Euch, Grenadiere, wenn diese Mörderbande uns entkommt. Holt sie ein, stoßt sie nieder! Hundert Livres für jeden Kopf, tausend für den nichtswürdigen Abt und seinen Neffen!«
Es lag eine starke Wache am Eingange der Berge, mit ihr hatte sich die Colonne vereinigt, welche der Oberst abgesandt. So von vorn und hinten von ihren Feinden gepackt, fochten die Corsen wie Verzweifelnde in einem dichten Gewühl, schrecklicher noch gemacht durch die Dunkelheit, dennoch aber von ihr geschützt. Von den Feuerwaffen zuckten nur einzelne Blitze auf, wer mochte sie gebrauchen, um vielleicht den liebsten Freund zu tödten? Die furchtbaren Dolchmesser und kurzen Schwerter der Corsen und die Bajonette der Franzosen bedeckten den Felsboden mit Blut. Der grimmige Abt Peverino, in der einen Hand sein Scapulier, in der andern sein blutbedecktes Schwert, schritt laut betend und singend voran, während Giulio ihn deckte und seine Schwester schirmte, dabei seine Freunde ermahnte, fest beisammen zu halten.
Aber der Augenblick der Vernichtung war für die tapfere Schaar gekommen. Ihr Widerstand löste sich auf, umringt von der Ueberzahl lagen die Meisten am Boden; Bernardo Leccia, noch auf den Knieen fechtend, bis er, von den Franzosen ergriffen, fortgeschleift wurde. Ein Bajonettstoß fuhr dem Abt mitten durch den Leib, schreiend warf sich Romana über ihn und umschloß ihn mit ihren Armen. Giulio hieb den Grenadier nieder, der sie durchbohren wollte, aber mit zehn Anderen um sein eigenes Leben ringend, wäre er verloren gewesen, wenn die Hilfe, welche er erhielt, eine Minute später gekommen. –
Hornstöße schmetterten jetzt von den nahen Felsen, und wie aus dem Boden hervorgezaubert stürzten sich eine Schaar höllischer Dämonen auf die Franzosen. Ihr Anführer befreite Giulio mit einigen Degenstößen, die eben so viele Franzosen niederstreckten. Dann, ohne weiter an dem Kampfe Theil zu nehmen, welcher jetzt rasch entschieden war, hob er Romana auf und hielt sie in seinen Armen, ängstlich nach ihrem Leben forschend.
»Romana, meine Romana!« rief er.
Da schlug sie beide Hände um ihn, und neben ihr schrie Giulio:
»Sie fliehen! Wir sind gerettet! – Habt Dank, Ihr tapferen Deutschen!«
Ein furchtbares Strafgericht erging am folgenden Tage über das unglückliche Oletta. Schon in der Nacht kam General Grandmaison mit zwei Bataillonen und mit Reitern aus Fiorenzo, und ehe die Sonne aufging, drangen die erbitterten Franzosen in alle Häuser und schleppten die Männer gebunden fort. Der Podesta und die Gemeinderäthe wurden von dem Profoß und seinen Leuten in Ketten gelegt und so in den Kerker unter dem Thurm gebracht, wo sie einen Haufen blutender, verstümmelter Freunde fanden, welche in dem Gefechte und auf der Flucht gefangen wurden, Bernardo Leccia lag unter ihnen mit drei schweren Wunden, und an seiner Seite kniete der alte zitternde Podesta nieder und suchte unter Thränen ihm beizustehen. Bernardo drückte ihm die Hand und murmelte leise:
»Maria!«
Doch lange Zeit blieb ihnen nicht, um zu klagen, denn wenige Stunden darauf saß das Kriegsgericht beisammen. Und wiederum nach zwei Stunden waren vierzehn tapfere Männer zum Tode verurtheilt, und noch beschien die Sonne die Kirche und das Kloster, da lagen auf einem Gerüste auf dem Platze davor sieben Leichname mit zerbrochenen Gliedern. Sieben Verurtheilte waren vom Henker gerädert worden, die anderen sieben sollten auf die Galeeren nach Marseille geschickt werden, so waren sie begnadigt. Den Podesta aber und die Gemeinderäthe schickte das Gericht in Ketten nach Bastia, damit der Obergeneral ihre Strafe beschließe. –
Die Wuth der Franzosen war grenzenlos; diese Barbaren hatten ihnen ein furchtbares Ende zugedacht, nur durch einen glücklichen Umstand, durch einen Verräther waren sie ihm entgangen, nicht durch ihre Wachsamkeit. Wer jedoch den Leuten des Königs diesen großen Dienst geleistet, wußte Niemand. In ganz Oletta gab es keinen Menschen, der dafür belohnt wurde, dennoch mußte es Einer sein, der auf's Genaueste um Alles gewußt. Aber er hatte wohl Recht, verborgen zu bleiben, denn vor den Dolchen und Kugeln der Corsen, vor ihrem Haß und ihrer tödtlichen Verachtung würde alles französische Gold ihn nicht gesichert haben.
Die Soldaten erzählten sich, daß General Grandmaison in Fiorenzo an jenem Tage einen Brief erhielt, der ihm die ganze Verschwörung offenbarte. Sogleich warf sich einer seiner Adjutanten auf's Pferd, jagte hinauf nach Oletta und brachte dem Obersten Arcambal so bestimmte Nachrichten, daß dieser auf der Stelle bis in den Minengang und bis in die Keller der Casa Saliceti eindringen konnte.
Der Ingrimm der Franzosen steigerte sich aber durch ihre Scham, daß sie den größten Theil der Verschwörer sammt dem höllischen Priester und seinem Neffen entkommen ließen. Die Corsen hatten sich gewehrt wie Teufel, mehr als hundert Franzosen lagen todt und verwundet, dafür hatte man vierzehn Gefangene gemacht, die nicht mit einer Miene um Gnade flehten. Sie hätten Alle müssen gerädert werden, wie es Mördern damals geschah; allein die französischen Generale wollten doch immer noch dem treulosen Volke eine menschliche Milde beweisen, daher suchten sie die sieben Schuldigsten aus, und unter diesen stand Bernardo Leccia oben an.
Er hatte mit fester Stimme bekannt, daß er die Mine graben half, und daß ihm Nichts so leid sei, als diese schmachvoll vereitelte gerechte Rache. Dafür lag er jetzt kalt und starr vornan auf dem schrecklichen Gerüste, und dort sollten die Leichen liegen, bis ihr Fleisch von den Knochen fiel, eine Beute der Raubvögel und andern Gethiers; denn bei Todesstrafe hatte Oberst Arcambal befohlen, keinen der Todten vom Gerüste zu nehmen und zu begraben.
Entsetzen lag auf Oletta. Kein menschliches Wesen zeigte sich in den Straßen, kein Feuer, kein Licht brannte in den Häusern. Auf ihren Knieen lagen sie drinnen, von Schmerzen, Angst und Qual erfüllt; das Todesgeschrei der Geräderten in ihren Ohren, ihre Herzen bei den Gefangenen in den Kerkern, ihre Gedanken bei der Schmach, die Allen widerfahren. Jedes Haus war bis auf den Grund durchsucht worden, jede Waffe ihnen genommen. Wehrlos und hilflos blickten sie in die Zukunft, verzweifelnd und verfluchend, denn was jedem Corsen das Theuerste und Höchste, ihr Ehrgefühl, war auf's Tiefste verwundet. Sie waren beschimpft, geschlagen, von den Soldaten mit Füßen getreten worden, nicht Weiber, nicht Kinder blieben von rohen Mißhandlungen verschont.
Nun kam die Nacht, und endlich kam der Schlaf, drückte nach und nach mit milden Fingern alle die brennenden Augen zu und legte seine kühlen weichen Hände auf gequälte Herzen. Aber über ein Herz hatte er keine Macht, das schlug fort und fort, wie es den ganzen Tag über geschlagen, in dumpfen, schweren Schlägen, der eine wie der andere, wie gegen eine Wand von Eis, an der das Blut gerinnt.
Maria Gentili Montalti saß in dem öden Hause, in dem finstern kalten Gemache, vor dem Kamin ohne Feuer, auf dem Lehnstuhl ihres Vaters. Hier hatte sie oft gesessen, gewartet und gehorcht, bis sie Bernardo's Stimme hörte, bis sie aufsprang und ihm entgegeneilte, oder dem Vater, dessen einziges, zärtlich geliebtes Kind sie war. – Aber ihr Vater lag in Ketten im Thurme, und Bernardo – Bernardo – oh! wehe Wehe! Sie rang ihre Hände zusammen, es war, als ob Eisschollen sich umklammern. Sie weinte nicht, sie klagte nicht. Ihr Gesicht lag auf ihrer Brust, ihre Hände in ihrem Schooß, ihre Augen waren geschlossen. Manchmal aber that sie diese weit auf, und wie ein glühend Eisen fuhr dann ein Schmerz durch ihre Brust. Das Feuer brannte darin mit namenlosem Schmerz. Sie wimmerte und ächzte und faßte mit beiden Händen nach ihrem Kopfe, dann wurde es wieder still.
Plötzlich aber sprang sie wie verzückt von dem Stuhle, irre Blicke um sich werfend. Sie hatte eine Stimme gehört, die rief mit unsäglichem Klageton: »Maria!« Es war Bernardo's Stimme, er kam, wie er sonst gekommen – aber nein, o nein! Wehe! Ach, wehe! Bernardo lag zerbrochen auf dem Gerüste, bleich und todt. Doch die Todten rufen oft in der Nacht die, welche sie geliebt haben, bei ihrem Namen. Wer ihnen antwortet, der muß sterben.
Maria wußte dies wohl, aber sie streckte ihre Arme verlangend aus und rief:
»Hier bin ich, Bernardo! Nimm mich mit Dir, laß mich nicht zurück!«
Dann taumelte sie in den Stuhl, und die Sinne wollten ihr vergeben, sie konnte sich nicht aufrichten, nicht bewegen. Da hörte sie die Stimme zum andern Male flehend an ihrem Ohr, Bernardo's Stimme, die sie so gut kannte.
»Ach, meine Maria, höre mich, Du wirst mich nicht verlassen. Dort haben sie mich hingelegt, die grimmigen Feinde, kalt und nackt, den Geiern zur Beute. Komm, Geliebte, komm, laß Deinen Bernardo nicht in solcher Schande. Lege ihn in sein Grab, wie es Christen geziemt. Verlaß mich nicht, Maria, meine Maria!«
Da sprang sie von Neuem auf und lief nach der Thür, aber ihre Hand sank nieder, als sie an ihren Vater dachte. Durch des Henkers Hand sollte ein Jeder sterben, der einen der Todten von dem Gerüste nahm. Ihr Herz fing an zu zittern, sie sah den alten Vater in der Finsterniß, wie er seine geketteten Hände nach ihr ausstreckte, von Kummer und Gram verzehrt.
Und nochmals sank sie in den Stuhl und warf die Kappe ihrer schwarzen Faldetta über ihren Kopf, doch die Stimme des Todten drang hinein.
»O Maria! wende Dich nicht von mir. Ich habe Dich so sehr geliebt, nun liegt in meinem zerbrochenen Leibe mein Herz, das Dir gehört, schandvoll auf der Straße. Begrabe mich in der Kirche des heiligen Franciscus im Grabe meiner Väter, daß ich zur Ruhe komme und Dich segne, Maria!«
»Ja, Bernardo, ja!« rief sie, »Frieden will ich Dir bringen, Frieden Dir, mir!«
Und so eilte sie hinab, öffnete die Thür und trat auf den Kirchplatz. Nichts regte sich. Der Himmel hing voll schwerer Wolken, aber zuweilen fegte der Sturm sie fort, und bleiches Mondlicht zitterte dann herunter. Gleich aber deckten schwarze ungeheure Hände den Mond wieder zu, als sollte er das rothe schreckliche Gerüst nicht bescheinen, das vor der Kirche stand.
Die Eulen und die Raben schrieen um den Thurm; dem Grenadier, der vor dem Platze auf- und abschritt, mochte davor grausen und vor den Mondblitzen, die über die offenen starren Augen und blutig blassen Gesichter der sieben Leichen auf dem Gerüste streiften. Er wandte sich davon ab und ging mit langsamen Schritten nach dem andern Ende des Platzes. Die Kirche aber war dunkel und leer, die Franzosen hatten sie geräumt; hatten die Casa Saliceti und manche andere Häuser in Besitz genommen an allen Enden Oletta's. Nur im Thurm lag die Wache, und das Stiftshaus war ganz von ihnen angefüllt.
Und jetzt heulte der Sturm und brachte auf seinen Flügeln einen ungeheuren schwarzen Ballen, den er über den Mond warf. Und über den Platz ging Maria in ihrer schwarzen Faldetta, ungesehen in dem heulenden Nachtwetter. Sie stieg auf das Gerüst und nahm den siebenten der Todten in ihre Arme. Sie fühlte die Last nicht, es war, als kämen ihr Riesenkräfte. Sie trug ihn zu der Kirche des heiligen Franciscus und trat durch die kleine Pforte hinein in die östliche Kapelle, da war vor dem Altare das Grab der Familie Leccia. An dem Altare setzte sie sich nieder, der Todte lag in ihrem Schooß. Und jetzt trat der Mond wieder hervor, und durch das hohe Kirchenfenster leuchtete er in Bernardo's Gesicht und auf das Bild über dem Altar, wo der todte Christus auf dem Schooße der Gottesmutter lag.
Da in unendlicher schmerzensvoller Seligkeit drückte sie des geliebten Todten Haupt an ihre Brust, und der Frieden, der auf seiner Stirn lag, drang hinein. Sie küßte ihn und sagte leise:
»Ruhe nun, o mein Bernardo! Ich habe erfüllt, was Du begehrtest, jetzt rufe mich an Dein Herz.«
Dann ließ sie ihn niedergleiten auf den Altar, hob den Stein von der Gruft, nahm ihr langes schwarzes Tuch von der Faldetta, umwickelte ihn damit und senkte ihn daran hinab.
Und als sie die Gruft geschlossen hatte, warf sie sich vor dem Altare nieder im heißen brünstigen Gebet zur schmerzensreichen Gottesmutter; darauf ging sie, und beschützt von der Gebenedeieten erreichte sie ungefährdet ihre Kammer. Ihr Herz war jetzt leicht, es war Friede darin; so schlief sie ein, hoffend auf Bernardo.
Und endlich erwachte sie von einem Geschrei, schlug die Augen auf und sah den hellen Tag. Ihre Magd stand händeringend an ihrem Lager.
»Wacht auf, o Maria! Wacht auf!« schrie sie. »Der Leichnam Bernardo's ist gestohlen worden, und gleich haben sich die Franzosen aufgemacht, haben den alten Leccia in Ketten geschlagen, so auch seine Vettern, und wollen sie Alle dem Henker überliefern.«
Maria sprang auf und sah nach dem Platze hin. Die französische Besatzung stand vor dem Stiftshause aufmarschirt, eine Wache brachte die gefesselten Leccia's, zahlreiche Officiere standen vor den Soldaten, schreiende und weinende Weiber folgten den Gefangenen nach. Maria aber sah, daß bei den Officieren mehrere sich befanden mit Goldschmuck und Federbüschen auf den Hüten, und gleich erfuhr sie, daß General de Vaux so eben gekommen sei, begleitet von Grandmaison und großem Gefolge. Gefaßten Muthes verließ sie das Haus, ging den Weibern nach und kam an den Kreis, eben als die Gefangenen dort verhört wurden.
»Ihr habt es gethan, leugnet es nicht,« rief der General. »Sterben sollt Ihr dafür, wie es Euch angedroht wurde.«
»Nein,« schrie Maria auf, »nein, sie sind unschuldig!« und wie sich die Blicke ihr zuwandten, drang sie hinein und warf sich zu des Grafen Füßen. »Ich habe meinen geliebten Bernardo begraben,« sagte sie demüthig. »Hier bin ich, mein Herr; nehmt mich und laßt mein Haupt abschlagen, doch gebt Denen die Freiheit, welche schuldlos leiden.«
»Wie?« rief de Vaux, »Du willst die Thäterin sein! Was hast Du mit dem Leichnam gethan?«
»Er war mein Verlobter,« erwiederte sie, »in wenigen Wochen sollte unsere Hochzeit gefeiert werden.«
Nun erzählte sie, wie Bernardo sie gerufen, Nichts verschwieg sie, aber Oberst Arcambal fiel grimmig ein:
»Glaubt Nichts davon, mein General; sie will diese Missethäter retten!« und der Graf schüttelte den Kopf und sagte: »Heldenmuth genug zu solchen Dingen magst Du wohl besitzen, doch wie sollte Dir die Kraft dazu kommen. Wer hat Dir geholfen?«
»Meine Liebe, mein Herr, und die gnadenreiche Gottesmutter,« antwortete Maria.
»Wie willst Du es beweisen?« fragte de Vaux weiter.
»Geht und öffnet die Gruft der Leccia,« versetzte sie, »dort werdet Ihr ihn finden, und um seinen Leib das Tuch meiner Faldetta, in das ich ihn einhüllte, als ich ihn hinabließ.«
Auf des Generals Wink entfernten sich Mehrere, bald kamen sie zurück mit dem Tuch. De Vaux sah in das stille Gesicht Maria's, in ihre großen begeisterten Augen, und plötzlich hob er sie auf, Thränen liefen über sein Gesicht.
»Großherziges Mädchen,« sagte er, »ich glaube Dir. Geh', Du bist frei. Geh' und erlöse Deinen Vater aus dem Thurm; erlöse sie Alle, ich will ihnen die Strafe erlassen. Möge Gott Deinen Heldensinn belohnen, möge er uns Allen vergeben und uns Frieden schenken!«
Da beugten die Corsen ihre Kniee vor dem großmüthigen General; ein Freudenschrei erschallte zum ersten Male wieder in Oletta. Und von ihren Verwandten mit Liebesworten überschüttet, wurde Maria im Triumphe nach dem Kerker geführt, dann in ihres alten Vaters Armen nach Haus.
An demselben Tage aber nahm man auch die anderen sechs Gerichteten von dem Gerüste, gab sie ihren Verwandten und erlaubte ihnen, sie christlich zu bestatten. Und der Obergeneral kam in das Haus des Podesta, um Maria nochmals zu sehen, zu trösten, zu rühmen und zu preisen. Er setzte Montalti wieder ein in sein Amt und so die Gemeinderäthe, versprach ihnen seinen Schutz, und daß Niemand mehr um diese Verschwörung verfolgt werden sollte. Gutes sollte den Bewohnern Oletta's fortan geschehen, wenn sie dem Könige von Frankreich getreu und ergeben sein würden, Gutes auch dem hochherzigen Mädchen, dem er verhieß, immerdar ihr Freund und Schützer zu sein.
Aber vier Wochen darauf läutete die Todtenglocke in der Kirche des heiligen Franciscus, und sie trugen Maria Gentili Montalti zu ihrem Freund und Schützer Bernardo, der sie gerufen hatte.
Den schwer verwundeten Abt Saliceti hatte sein Neffe in den Convent von Lento gebracht, und hier wurde er von seiner Nichte gepflegt und von einem Arzte behandelt, den der Capitän Wilda auch Murato herüberschickte, wo er zu einem der corsischen Regimenter gehörte, welche so eben dort eingerückt waren, das Lager befestigen zu helfen und die Pässe gegen das Land Nebbio zu bewachen. Es reihte sich Woche an Woche, doch die Wunde des Abtes wollte nicht heilen; sein mächtiger Körper zehrte ab, doch sein Gemüth blieb feurig, und sein Geist klar und stark. Er nahm den lebendigsten Antheil an den Rüstungen auf der Insel, und als die Nachricht kam, daß die große Volksversammlung in der Landschaft Casinca den Beschluß gefaßt, bis zum letzten Blutstropfen für Corsika's Recht und Freiheit zu kämpfen, wollte er durchaus sein Bett verlassen, sein Schwert wieder umgürten und mit dem Kreuz voranziehen.
Doch der Geist war williger, als das Fleisch. Bei dem ersten Versuche, das Krankenzimmer zu verlassen, sank er zusammen, und Alle sahen nun wohl, daß sein Ende herannahte, nur er schien es nicht zu wissen.
In dem Lager von Murato sammelte sich nach und nach die ganze corsische Macht. Die Milizen kamen unter ihren Führern, und nach corsischer Sitte ordneten sich ihre Abtheilungen nach den Gemeinden. Verwandte und Freunde standen dicht neben einander, die Geschlechter beisammen, die Söhne neben den Vätern, wie einst bei den alten Germanen, damit Jeder seine Thaten unter den Augen seiner Sippschaft verrichte, es Keinem auch an Hilfe und Beistand fehle.
So ordneten sich die Züge, und dies corsische Heer in rothen phrygischen Mützen, Taschen von Eberfell und rauben Kitteln von Ziegenhaar war seltsam anzuschauen. Da kamen die hohen heldenhaften Gestalten der Männer von Marodaglio und vom Süden her, aus den Bergen und Bergthälern von Ornano. Es kamen die stolzen Küstenleute von Bonifacio, die rauhen Hirten aus den Schluchten des Monte Rotondo und d'Oro und die schnellen schlauen Burschen vom Cap Corso. Der größte Theil dieser Kämpfer klein, broncefarbig, mit funkelnden schwarzen Augen, scharfen eckigen Gesichtern, napoleonischen Anblicks, darunter aber auch schöne herrliche Jünglinge von edelster Gliederung, altgriechisch in ihren Mienen und Bewegungen. Alle in braunen Kitteln, im Gurt Messer und Pistolen, an der Kugeltasche das Pulverhorn, im Ziegenschlauch Wein, Milch und Brot, in den Händen die Doppelflinte.
Die Muschelhörner tönten schrillend scharf bald auch in den Bergen um Lento, wo der kranke Abt freudig aufhorchte, wenn er sie vernahm. Giulio Saliceti, sein Neffe, hatte von den treuen Männern Oletta's gesammelt, was übrig geblieben, und einen kleinen Schlachthaufen daraus und aus anderen Flüchtlingen des Nebbio gebildet. Selten vergingen ein paar Tage, wo er nicht aus Murato herüber kam, seinem Oheim Nachricht zu bringen, was dort geschehen. Die Seele des alten Priesters füllte sich dann mit freudigen Hoffnungen.
Der Präsident Paoli war überall, treibend, fördernd und ordnend, und wo er war, stählten sich Muth und Vertrauen. Alle Hilfsmittel, welche Corsika besaß, wurden von ihm aufgeboten, und im Namen Gottes und des Vaterlandes beschwor der General alle Corsen, jetzt jeden Streit zu vergessen, jede Feindschaft aufzugeben. In der That waren noch niemals in diesem Lande so viele Versöhnungen geschlossen worden, denn auch die Priester zogen umher und ermahnten bei des Himmels ewigem Strafgericht, von jeder Blutrache abzulassen. So reichten sich Gegner die Hände, welche bisher sich nicht sehen mochten, ohne nach ihren Mordgewehren zu greifen.
Das ganze wehrhafte Volk zog herbei, und mit ihm kamen wiederum auch manche Fremde, um den Corsen zu helfen; aber der Deutsche, welcher die Männer aus Oletta vom sicheren Verderben gerettet hatte, kam nicht nach Lento, obwohl der wunde Abt oft nach ihm fragte und nach ihm verlangte.
Er war nur einmal dort gewesen, als er den Abt in den Convent bringen half, darauf kam er nicht wieder. Die Dankbarkeit des Abtes war groß gewesen. Romana hatte ihm beim Abschiede schweigend die Hand gereicht, aber ihre Augen glänzten wie Siegesfackeln, und ihr Finger deutete himmelwärts; er verstand ihr Zeichen. Giulio vermied ihn, doch war eine Aenderung in seinem Herzen erfolgt, die er sich selbst nicht eingestehen wollte, somit that er noch spröder und rauher zu dem Fremden, der ihm so viel Gutes erwiesen.
Es konnte nicht fehlen, daß der Verrath in Oletta viele geheime Nachforschungen und Vermuthungen hervorrief, wer der Verräther gewesen, denn von diesem wurde Nichts bekannt. Viele hatten darum gewußt, doch schwur der Abt Peverino täglich noch immer bei seiner ewigen Verdammniß, daß kein Mann in Oletta solcher Nichtswürdigkeit fähig sei, und fluchte und wüthete mit den zornigsten Verwünschungen gegen den Elenden, der den Franzosen sich verkaufte.
Wo aber sollte man ihn suchen? Man wußte nicht einmal, ob das Gerücht wahr sei, daß General Grandmaison aus Fiorenzo die erste Nachricht erhalten, oder nur ersonnen, um den Thäter zu verdecken. Montalti und manche Gemeinderäthe hatten Nichts von der Sache wissen wollen, jetzt befanden sie sich wieder in ihren Stellen. Dennoch – was den greisen Podesta betraf, so machte des armen Bernardo's schrecklicher Tod und die rührende Heldenthat wie das Ende seines einzigen Kindes ihn zum Gegenstande der innigsten Theilnahme. Er sowohl wie alle Anderen waren ehrenhafte, angesehene Männer.
Einer aber mußte doch der Verräther sein, und wie genau mußte er alle Umstände gekannt haben. Als Giulio zum ersten Male an den dachte, dessen Namen endlich allein übrig blieb, der letzte unter Allen, fuhr es ihm wie Feuer durch Mark und Bein. Er riß den Brand aus seinem Hirn und schleuderte ihn weit von sich.
»Achill Grimaldi! – Fluch und Tod! über solch' Blendwerk des Teufels, er ein Verräther! Nein und tausend Mal nein! Wer mochte das denken.«
Doch immer wieder kehrte der böse Feind in Giulio's Herz, und entsetzlich war es, daß es seinem Oheim nicht besser ging. Der Abt sprach den Verdacht nicht aus, allein er lag zuweilen vor sich hin sinnend, murmelte von seltsamen Dingen, von der Menschen unergründlicher Falschheit und Hinterlist, und fragte dann wohl plötzlich Romana, ob Achill Grimaldi noch immer Nichts von sich hören ließe, und ob Niemand wisse, was er in Bastia treibe? Oder erkundigte sich bei seinem Neffen, sobald dieser kam, ob man noch nichts von neuen Verräthern gehört habe, die von den Franzosen Ehren und Aemter angenommen?
Giulio's Gesicht verdüsterte sich bei solchen Fragen, sie trafen ihn schmerzhaft, weil sie mit dem übereinstimmten, was er heimlich mit sich herumtrug, und wovon er doch keinem Menschen Etwas merken lassen durfte. Die Franzosen suchten um hohen Lohn jeden Corsen zu fangen, den sie brauchen konnten, und wen hätten sie besser brauchen können? Wenn Achill Grimaldi wollte, wenn er sich verkaufen, sein Vaterland verrathen wollte, welch' Gewinn für den Feind der Freiheit! Und er lebte in Bastia, mitten unter ihnen, ihren Verlockungen Preis gegeben, und war ein feiner, französischen Sitten ergebener Herr. Welche Schmach dann für die Saliceti, welche Schande für Romana, und wenn dies geschah, o Tod und Hölle! dann war er es auch, der Oletta verrieth, seine Freunde, seine Verwandten. Giulio zitterte am ganzen Leibe, so oft er dies bedachte; denn er verehrte seinen Freund dabei noch immer mit inniger Hingebung, fast demüthig; corsische Wuth überkam ihn nur, sobald er zu solchen Vorstellungen gelangte.
Doch nein, nein! Er war ja unmöglich, es war Satan selbst, der so Entsetzliches in seinem Hirn ausbrütete, ihn mit Teufelsspuk toll zu machen. Darum vermied er auch um so mehr, dem Capitän Wilda zu begegnen, denn er meinte, es ginge sein klägliches Denken mit vom Anblicke dieses Mannes aus, der so viele widerwillige Erinnerungen in ihm auferweckte.
Und doch hatte er ihm viel zu danken, und dieser Fremde, immer voll Freundlichkeit, ein Mann, den Jeder liebte und lobte; sowohl das Volk und seine Untergebenen, wie die Voranstehenden und der Präsident selbst. Mit unermüdlicher Thätigkeit hatte Wilda die Befestigungen von Murato geleitet; trotz der geringen und unvollkommenen Mittel Alles gethan, was sich thun ließ, um den Franzosen das Thal zu verschließen, das aus dem Nebbio heraufführte, und überall wurde sein kriegskundiger Rath hochgeschätzt, und seine Erfahrungen besonders beachtet.
Dieses tapferen und edeln Officiers Freund zu sein würde vielen stolzen Männern wohl gefallen haben, und im tiefsten Herzen gefiel es auch Giulio Saliceti, dennoch stellte er sich ihm kalt entgegen. Romana stand zwischen Beiden, das vergaß der junge Corse nicht. Zwar hatte Jener niemals mehr nach ihr gefragt, nie ihren Namen genannt; und daß er nicht wieder nach Lento gekommen, erschien würdig und edel gehandelt, allein Giulio hatte in jener Mondnacht wohl den Ruf vernommenen: Romana, meine Romana! und in seinen Armen hatte dieser Fremde sie aus dem Getümmel getragen, da sie ohnmächtig an seinem Halse lag.
Nein, Giulio durfte ihm kein Zeichen von Zuneigung geben, er mußte seine Schwester behüten, mußte sie für Achill Grimaldi bewahren, wachsam sein für seine Familienehre.
Mit jedem Tage jedoch vermehrte sich das Getümmel in Murato, und als der April zu Ende ging, waren fünfzehntausend Corsen hier beisammen. Der Präsident langte mit seinen Officieren und seiner Wache an, den Männern von Marosaglia, welche sein mönchischer Bruder Clemens befehligte. Wilder, düsterer, gewaltiger war kein Mann auf der Insel. Mit scheuer Ehrfurcht sahen Alle auf ihn, als den von Gott erwählten furchtbaren Krieger, vor dem kein Anderer bestehen konnte. Aber Clemens Paoli war auch zugleich der geschickteste Führer, und kaum befand er sich im Lager, so begannen die Berathungen der Obersten; denn Nachrichten kamen aus dem Nebbio herauf, daß die Franzosen sich fortgesetzt verstärkten.
An einem der letzten Apriltage wurde ein großer Kriegsrath gehalten, bei welchem auch Giulio Saliceti zugegen war, und es handelte sich darum, zu entscheiden, ob es besser sei, den Angriff des Feindes in Murato zu erwarten, oder, ehe dieser es ahnte, durch die Pässe und Schluchten hervorzubrechen und über ihn herzufallen, wie es im vorigen Jahre geschehen.
Gründe wurden für beides geltend gemacht. Der Capitän der deutschen Schaar und Manche mit ihm riethen, die vortheilhafte Stellung nicht zu verlassen. Eindringlich zeigte Wilda ihre Vortheile und hob es hervor, daß bei aller Tapferkeit der Corsen nicht vergessen werden dürfe, daß sie den besten französischen Soldaten gegenüber ständen, welche, begierig nach Rache und von vorzüglichen Officieren befehligt, den Vortheil strenger Disciplin besäßen und nach allen Regeln geschult seien.
Mehrere der Führer erinnerten sich dabei, daß dieser Deutsche schon oft den Rath ertheilt, den Corsen soldatische Dressur beizubringen, wogegen sich ihr heftigster Widerwille sträubte. Jetzt fielen zornige und spöttische Worte, Streit entstand und verbitterte sich. Die Corsen, so hieß es, seien keine Söldner, die sich abrichten ließen. Nach Pfeife und Trommel möge Keiner marschiren oder nach Commando laden und feuern, schwenken und sich drehen. Wie freie Männer würden sie fechten, mit Dolch und Säbel auf ihre Feinde fallen und alle deren Künste durch ihre Tapferkeit vernichten, wie diese bei Borgo vernichtet wurden.
Darauf antwortete der Deutsche:
»Was einmal gelang, gelingt nicht immer. Solch ein Heer, wie dies, muß siegen oder untergeben. Wird es geschlagen, löst es sich in wilde Flucht auf, denn nur der wohlgeschulte, an Zucht und Ordnung gewöhnte Soldat hält auch im Unglück fest zusammen. In dieser starken Stellung ist es möglich, dem viel zahlreicheren Feind hartnäckigen Widerstand zu leisten, auch bleibt uns endlich der Rückzug in das Golothal offen, um hinter dem Strom eine neue vortheilhafte Vertheidigungslinie einzunehmen.«
Diese Antwort mißfiel den meisten Corsen noch mehr, sie fühlten sich beleidigt, da der fremde Soldat die Franzosen herausstrich und Flucht und Auflösung in Aussicht stellte. Finstere Gesichter blickten ihn an, und einer der wilden Häuptlinge, Filippo Serpentini, sprang auf und schrie mit Heftigkeit:
»Mögen die Fremden sich hinter den Schanzen verbergen, wir Corsen wollen nicht warten, bis der Feind uns aufsucht, sondern nach unserer Sitte sehen, wo wir ihn finden.«
Lauter Beifall folgte seinen kecken Worten, aber aus dem Hintergrunde antwortete eine volltönende Stimme:
»Ihr würdet Unrecht thun, die Vorsicht zu vergessen. Ich rathe dazu, in Murato zu bleiben, denn denn die Franzosen sind mit ihrem ganzen Heere schon im Anzuge und lassen es an Wachsamkeit nicht fehlen.«
Alle wandten sich dem Sprecher zu, und ihre Mienen wurden hell, als sie ihn erkannten. Es war ein hoher stolzblickender Mann eingetreten, nach welchem schon Viele vergebens gefragt hatten. Leo Grimaldi! riefen Manche hoch erfreut, und der Präsident Paoli, der bisher schweigend zugehört, streckte ihm seine Hand entgegen.
»Edler, tapferer Grimaldi,« sagte er, »Du kommst zur rechten Stunde, mit Sehnsucht habe ich Dich erwartet. Du bringst uns Nachrichten über den Feind?«
»Ich erwartete meinen Bruder aus Bastia,« antwortete Leo, »darum zögerte ich, bis er kam. Jetzt hört ihn, er kann Euch genauen Bericht erstatten.«
Da blickten die Corsen Achill Grimaldi an, welcher bescheiden vortrat; Giulio Saliceti hätte vor Freuden aufschreien mögen. Hier stand sein Vetter und Freund, nicht mehr im schwarzen Rocke und feiner Hemdkrause, sondern wie ein echter Sohn des Landes im Mentone mit Gurt und Tasche. Und sie hörten ihn Alle aufmerksam, denn er brachte die vollständigste Kunde von den Plänen des französischen Generals. Die ganze feindliche Armee war auf dem Marsche, mehr als 30 000 Mann stark. General Grandmaison führte die Vorhut, Marbeuf das Gros. Achill wußte über jedes Regiment Auskunft zu geben. Die erdenklichste Vorsicht war getroffen, der Zug auf's Sorgsamste vorbereitet, die strengste Wachsamkeit angeordnet, alle Einrichtungen vollkommen.
Ein leises Grausen schüttelte Manchen, der diese Erzählung hörte, welche so getreu alle Einzelheiten schilderte. Daß ein entsetzlicher Kampf bevorstand, konnte sich Niemand mehr verhehlen. Damit änderte sich auch die Meinung, man müsse Murato verlassen und dem Feinde entgegenziehen. Die beiden Grimaldi erklärten dies für unmöglich und stimmten dem deutschen Capitän vollständig bei, dasselbe aber thaten die verständigsten und tüchtigsten Führer, Clemens Paoli voran, endlich auch der Präsident, der die Stellung von Murato selbst und zuerst als Kampfplatz ausgesucht hatte.
Die Einigkeit war hergestellt, und General Paoli dankte seinem Freunde Grimaldi mit herzlichen Worten:
»Du bringst uns tausend tapfere Männer vom Cap, theurer Grimaldi,« sagte er, »sie werden unter Deiner und Deines Bruders Leitung ruhmvolle Thaten begehen, zufriedener aber macht es mich, daß ich Dich zur Seite habe, denn nun weiß ich, daß der beste und treueste Corse bei mir steht. Du sollst mit Deinen Braven Lento besetzen, der tapfere Gaffori soll mir Canavaggio bewahren. Geschehe dann, was da wolle, hier in Murato, hinab an den Golo können die Franzosen nicht; wagen sie es, so wird es ihr Verderben sein. So, meine Freunde, laßt uns muthig den übermüthigen Feind erwarten.«
Sobald der Kriegsrath beendet war, warf sich Giulio Saliceti voll Entzücken in die Arme seines Vetters. Alle traurigen Vorstellungen hatte er vergessen, sie waren alle falsch. Reuevoll bat er ihm heimlich den entehrenden Verdacht ab. Achill war der kluge, treue, standhafte Freund seines Vaterlandes, dem er jedes Opfer brachte. Wie er es verheißen, kam er, Dolch und Pistolen im Gürtel, und seine erste Frage betraf Romana. Giulio mußte ihm nun den Hergang der Dinge in Oletta erzählen, den Kampf, die Flucht, die Rettung, die Geschichte der ganzen Zeit bis auf die letzte Stunde.
»Habt Ihr denn keine Spur des Verräthers entdecken können?« fragte er dann.
»Nicht die leiseste Spur,« antwortete Giulio mit verlegenen Blicken. »Aber er wird nicht immer verborgen bleiben.«
»Gewiß nicht,« fiel Achill ein, »er soll uns nicht entkommen. Doch dem Himmel sei Dank, daß er Dich beschützte und meine geliebte Romana! Dein armer Onkel ist zu beklagen, doch immer noch glücklich, daß er den Franzosen nicht in die Hände fiel, denn sie würden ihn eben so gewiß gerädert haben, wie diesen närrischen Bernardo. Danken wir Gott, theurer Giulio, daß wir hier beisammen und am Leben sind, und jetzt laß uns nach Lento eilen, um den lieben Kranken mit Romana zu umarmen.«
Bald sprengten sie auf ihren rothen Pferden über die Felsen, und in dem Garten des Convents fanden sie den sterbenden Priester und seine Pflegerin. Der Abt hatte sich in den Frühling hinaustragen lassen, auf's Sehnlichste hatte er darnach verlangt. Voller Unruhe saß er auf seinem Ruhebette in der milden, weichen Luft, die mit Blüthendüften erfüllt war, seine fieberheißen Augen sahen der Sonne nach, die hinter den Bergen verschwand. Romana saß neben ihm. Er hatte lange Zeit ihre Hände festgehalten, während er leise seine Lippen bewegte. Plötzlich aber richtete er seine Augen auf sie, sah sie fest an und sprach:
»Haben nicht viele Weiber Schwert und Flinte genommen, Romana, und fechten für ihr Vaterland?«
»Ja, lieber Oheim,« antwortete sie, »es sollen deren mehr als hundert sein.«
»So thu wie sie, wenn ich todt bin,« fuhr er fort. »Steh Deinem Bruder bei, verlaß ihn nicht und höre« – er zog sie näher heran und sagte leiser: »Versprich mir, Romana, bei Deiner Seelen Seligkeit, keinem Verräther Deine Hand zu reichen. Höre wohl, was ich sage: stoße ihn von Dir, oder sei mit ihm verflucht! Ich sehe ihn, der mich verrathen hat, Dich, uns Alle,« fuhr er mit wachsender Heftigkeit fort. »Ich höre ihn, er ist da, und wie er uns verrieth, so wird er das Vaterland verrathen. Pasquale Paoli! hüte Dich, Du bist verloren! Ich will hin, ich will zu ihm, ihn warnen. – Bringt mein Pferd, ich will nach Murato! Fort! Fort!«
Er richtete sich auf und fiel zurück, seine Augen verdrehten sich und sanken zusammen. Angst ergriff Romana, eine sonderbare Veränderung prägte sich auf dem abgezehrten Gesichte des alten Priesters aus, laut und angstvoll schrie sie nach Hilfe. In dem Augenblicke nahte sich Jemand, und sie schrie ihm entgegen. Sie sah Achill Grimaldi, der mit freudigem Ausruf seine Arme aufhob, doch sie hielt ihn zurück und deutete auf das Lager.
Grimaldi beugte sich darüber hin und blickte den Sterbenden an, der aber schlug seine Lider noch einmal auf, sein Blick traf den Blick, ein grimmiges Zucken lief über sein Gesicht. Der morsche Körper richtete sich in die Höhe, die Lippen öffneten sich zum letzten Male. »In die Hölle mit Dir!« stöhnte er voll Wuth, starrte ihn gespenstisch an und wollte den Arm aufheben, da fiel er in die Kissen und war todt.
Die letzten Worte ihres Oheims hatte Romana nicht vergessen, auch als die Todtenklagen schwiegen und man den Abt eingesenkt hatte in die Gruft des Convents, wohin der Lärm des Krieges und die scharfen Töne der Muschelhörner nicht drangen. Die Bestattung geschah am 1. Mai, und Lento war gefüllt mit der Schaar des corsischen Kriegsobersten Leo Grimaldi und mit vielen Officieren sammt andern Männern und Freunden der Saliceti, die aus Murato gekommen, dem tapferen Abte die letzte Ehre zu erweisen. Unter diesen befand sich auch der Capitän Wilda. Er wurde von Giulio wohl empfangen, doch Niemand kam ihm freundlicher entgegen als Achill Grimaldi, der, nachdem der Trauerfall besprochen, und der Leichenzug in die Kirche gegangen und zurückgekehrt war, noch lange Zeit mit dem Capitän in der artigsten und zutraulichsten Weise verhandelte.
Die kriegerischen Ereignisse, welche man in den nächsten Tagen schon erwarten mußte, gaben den Stoff zu ihren Mittheilungen, denn die Franzosen waren durch die Landschaft Nebbio vorgedrungen und hatten sich von Oletta aus der höher gelegenen Orte bemächtigt, wobei es zu verschiedenen kleinen Gefechten gekommen war. Obwohl ihre Fortschritte endlich aufgehalten wurden, schien es doch gewiß, daß das feindliche Heer seinen Zug auf Murato bald wieder beginnen würde, und aufmerksam forschte Achill Grimaldi nach dem Urtheile des deutschen Officiers.
Dies lautete nicht besonders günstig für den Sieg der Corsen. Der Capitän hielt es für zweifelhaft, ob bei dem Mangel an schwerem Geschütz und bei der geringen militärischen Ordnung in diesem Heere ein hartnäckiges Behaupten dieser Stellungen möglich sei, was jedoch nur entschieden werden könne durch die ausdauernde Tapferkeit und Kühnheit der Franzosen.
»Daran zweifelt nicht, mein Herr,« antwortete Achill. »Die Franzosen sind bis zur Wuth von ihren Officieren entflammt, zugleich sind es ausgezeichnete Soldaten, voller Vertrauen zu sich selbst und zu ihren Führern.«
»Dann ist es unsere Aufgabe,« sagte Wilda, »Murato so lange als möglich zu vertheidigen und uns geordnet in das Golothal zurückzuziehen.«
»Wird das geschehen können?« fragte Achill bedenklich.
»Gewiß, wenn Jeder seine Schuldigkeit thut. Die zähe Tapferkeit der Corsen werdet Ihr, Herr Grimaldi, am wenigsten bezweifeln.«
»Nicht im Geringsten,« versetzte Achill; »die Corsen werden ihrem Namen Ehre machen; aber, mein lieber Capitän, was wird geschehen, wenn das französische Heer in das Golothal hinabsteigt?«
»Es kann nicht hinab,« erwiederte Wilda, »so lange Lento uns gehört. Der Präsident legt mit Recht den größten Werth auf diesen starken Platz.«
»Mein theurer Herr,« sagte Achill bewegt, »ich lese in Euren Mienen, was Ihr nicht aussprechen mögt. Am Golo wird Corsika's Freiheit begraben! So müssen wir diese Felsen mit unserem Blute bedecken, mag das meine bis zum letzten Tropfen ausströmen; aber was wird aus Romana!« –
Ein Seufzer begleitete diesen Namen, dann hob er seinen Kopf lebhafter auf und drückte des Capitäns Hand.
»Ich weiß,« fuhr er fort, »welchen Antheil Ihr an diesem hochherzigen Mädchen nehmt, weiß, welchen Dank Euch die Saliceti schulden, und werde es niemals vergessen. Aber in welcher Lage sind wir jetzt! ich, dem das Herz tausendfach durchbohrt wird bei dem Gedanken an dies zärtlich geliebte Kind. Mitten in den Kriegssturm ist es geworfen, nirgend ein Zufluchtsort, nirgend eine Stütze. Was wird ihr geschehen, wenn die Franzosen über uns herfallen? Das Erbe der Saliceti ist eingezogen, ihr Name geächtet, ein Preis auf ihre Köpfe gesetzt. Wohin soll Romana fliehen, wenn – großer Gott! wenn wir unterliegen? Wenn dies Morden mit wilder verzweifelter Auflösung endet, wenn wir erschlagen liegen, wenn alle Banden der Ordnung zerreißen!«
Kummervoll legte er seine Hände zusammen über sein Gesicht und blickte düster vor sich nieder. Auch Wilda schwieg, er wußte Nichts darauf zu erwiedern, sein Herz preßte sich zusammen wie seine Lippen.
»Nein, nein!« rief Achill darauf mit Heftigkeit, »so darf es nicht enden. Romana muß fort, da es noch Zeit ist, und Ihr, mein Herr, Ihr müßt mir beistehen. Nirgend giebt es größere Sicherheit für sie, als auf Cap Corso, in Sisto, im Hause meines Bruders, in seiner Familie, bei unseren Freunden. Was auch kommen möge, dort ist sie geborgen, und noch fehlt es uns nicht an Mitteln, sie dorthin zu geleiten. Denkt Euch, wenn Romana umkäme in diesem Gräuel, wenn sie verstümmelt oder erschöpft von Elend im Buschwald endete oder von plündernden Haufen der Franzosen gefangen würde. – Helft mir, mein Herr, der Ihr so großen Antheil an ihr nehmt, sie wird auf Euch hören. Ja, Ihr müßt mir beistehen, um Romana's willen.«
So bewegt Wilda von diesen Vorstellungen war, so mischte sich seinen Empfindungen doch ein lebhafter Widerwille bei. Argwöhnisch hefteten sich seine Blicke auf den Advocaten, doch er sah in dessen Gesicht nur Kummer und schmerzliche Aufregung.
»Ich theile Eure Besorgnisse, mein Herr, im vollen Maße,« erwiederte er, »doch kann ich Euch wenig helfen. Größeres erwartet von Euch selbst und von dem, der dieser Donzella am nächsten steht, von ihrem Bruder. Ihr habt mit dem Herrn Saliceti doch gewiß gesprochen.«
»Noch nicht,« antwortete Achill, »doch bin ich seiner Zustimmung gewiß. Seht, dort kommt Romana. Geht ihr entgegen, sagt ihr, was Ihr als wahr befindet, schildert ihr aufrichtig Eure Besorgnisse und seid meiner ewigen Dankbarkeit gewiß.«
Das klang in des Capitäns Ohren abermals wie arglistige Falschheit, aber seine Augen hingen jetzt an Romana, die sich näherte, und alles andere Denken verschwand vor ihrem Bilde. Sie kam in dem schwarzen weiten Trauerkleide, in dem schwarzen Tuche, über welches ihr lockiges Haar rollte. Kummervoll waren ihre edeln, reinen Züge, und doch belebten sich diese, wie ein Sonnenleuchten den dunkeln Himmel erhellt, als sie ihn erblickte. In einem einzigen Aufschlagen ihrer tiefblauen Augen, an einem Strahl, der liebend ihn durchglühte, wie das rosige Morgenlicht die Memnonssäule Nach der griechischen Mythologie wurde Memnon, Sohn der »Göttin der Morgenröte« Eos und von Tithonos, dem Sohn des trojanischen Königs Laomedon, als er seinen Onkel Priamos, König von Troja, unterstützte, vor den Toren Trojas durch Achill getötet. Eos entführte Memnons Leichnam nach Aithiopia und beweint ihn noch immer. Ihre Tränen, die jeden Morgen als Tau vom Himmel fallen, rührten den obersten olympischen Gott Zeus so sehr, dass er Memnon Unvergänglichkeit gewährte. Seitdem antwortet er morgendlich seiner Mutter Eos mit einem Klagelaut, wenn sie ihn mit den ersten Sonnenstrahlen streichelt, eine passende Assoziation zu den Geräuschen, die der rechten Statue der Memnonkolosse im oberägyptischen Theben jeden Tag bei Sonnenaufgang entwichen, deren Ursprung wahrscheinlich in Vibrationen der großen Bruchstelle des Kolosses beim schnellen Durchgang der nächtlichen Kälte durch die Erwärmung der ersten Sonnenstrahlen zu suchen sein dürfte., erkannte er, daß Nichts sich geändert hatte. Seine Arme wollten sich nach ihr ausstrecken, er hätte aufschreien und in den Himmel rufen mögen: »Ich will sie schützen, mir gehört sie allein!« Wie seine Blicke aber umherflogen, trafen sie auf Giulio Saliceti, der seiner Schwester nachgefolgt, dicht bei ihr war; stolzer Ernst in seinen Mienen.
Da kehrte dem Capitän die Besonnenheit zurück, und mit ihr schwanden die begeisternden Erscheinungen. Er sah nun Romana, die Verlobte des Herrn Grimaldi, und er dachte an sein Versprechen, die Wahrheit zu sagen. So ging er den Geschwistern entgegen, begrüßte sie höflich, und war bald an der Stelle angelangt, wo er nach seinem Worte handeln konnte.
»Verzeiht mir, mein Herr,« sagte er, nachdem Giulio um seines Oheims Tod geklagt, »wenn ich frage, ob Ihr, nachdem der hochwürdige Abt in sein Grab gelegt wurde, daran denkt, in Lento zu bleiben.«
»Es sind in Murato zweihundert tapfere Männer unter meinem Befehle,« antwortete Giulio, »und wie ich meine, ist die Stunde nahe, wo alle Corsen ihre Waffen zum Schutz ihres Vaterlandes bereit halten müssen.«
»Ich gebe Euch Recht,« erwiederte Wilda, »doch vergebt, wenn ich sage, daß Ihr mehr noch zu schützen habt.«
»Als er dies gesprochen, blickte er Romana an, und Giulio's Gesicht wurde kummervoll.
»Ihr habt nur zu sehr Recht,« rief er aus, »wohin soll meine Schwester in diesem Kriegssturme? Rathet ihr und mir, wenn Ihr es könnt, was wir thun sollen.«
Der Capitän wollte beginnen, seinen Rath zu ertheilen, als Romana ihm zuvorkam.
»Erlaubt mir,« sagte sie, »daß ich zuerst spreche. Wo ist jetzt Friede und Ruhe auf dieser Insel, und wo drohen nicht Gefahren? Wir sind vertrieben aus unserem Eigenthume, die Feinde verfolgen uns. Sie haben einen hohen Preis auf Deinen Kopf gesetzt, Giulio, und auf den Kopf dessen, der jetzt ihre Rache nicht mehr zu fürchten hat. Wo ist größere Sicherheit für mich, als bei Dir, mein Bruder, und welchen Namen verdiente ich, wollte ich von Deiner Seite weichen? Nein, es soll nimmer geschehen,« fuhr sie freudiger und stolzer fort, »ich will hier bleiben, wo ich die einzigen Freunde habe, welche ich noch in der Welt besitze, und ich will nicht von ihnen weichen, denn eine Stimme in mir, die ich oft schon gehört, ruft mir zu, daß ich nicht von Dir mich trennen soll.«
Während sie ihren Arm um ihren Bruder legte, blickte sie den Freund an mit solcher Zuversicht und Siegesgewißheit, daß ein süßes Empfinden ihn davon durchschauerte. Jetzt aber trat auch Achill Grimaldi herbei, denn Romana hatte mit laut tönender Stimme gesprochen, und er kam mit sanftem Lächeln und mit warnenden Worten.
»Du hast es mir zwar mehrmals schon abgeschlagen, wenn ich Dich bat, mich für Dein Wohl sorgen zu lassen,« begann er, »doch jetzt ist die Noth gestiegen, und ich komme wieder und bitte Dich, liebe Romana, sieh ein, daß Du unmöglich bei uns bleiben darfst. Denn in das Kampfgewühl kannst Du uns nicht folgen, und welche Beruhigung wäre es für uns Alle, Dich an einem sicheren Orte zu wissen.«
»Und noch,« fuhr er fort, »können wir dafür Sorge tragen. Laß Dir, wenn Du meinen Rath wiederum verschmähst, von dem werthen und einsichtsvollen Freunde rathen, der Dir zur Seite steht.«
»Von ihm,« fiel Romana ein, und sie wandte sich dem Capitän zu, »ja, so soll es geschehen. Doch wartet noch einen Augenblick und hört mich an: Sorgt nicht um mich, daß mir Böses geschehen könnte, denn wisset, eine Prophezeiung hat mir verkündigt, daß kein Unheil mich treffen werde; doch Alles, was ich wünsche und hoffe, soll sich erfüllen. Also laßt mich bleiben und fürchtet kein Unheil.«
»Daß auch Propheten lügen,« erwiederte Achill Grimaldi lächelnd, »ist oft schon bewiesen worden. Besser ist es, das Vernünftige zu thun, um den Aberglauben nicht zu bereuen.«
»Jeder folgt seiner Klugheit,« sagte Romana, »und Gott wacht über uns Alle. So wird auch mir geschehen, was über mich beschlossen ist. Doch nun sprecht, mein Herr, was Eure Meinung, und so Ihr glaubt, daß ich gehen muß, will ich bereit sein.«
Da kam über den Capitän eine Freudigkeit, die sich nicht länger verbergen ließ, denn Romana stand vor ihm, ihre Hand bietend, und in ihrem lieblichen Gesicht lagerte das höchste Vertrauen und die Demuth ihrer Liebe. Giulio Saliceti regte sich nicht, die letzten Worte seiner Schwester gaben ihm zu denken.
»Da Ihr glaubt,« sagte Wilda, »daß eine höhere Macht Euch schirmt und antreibt hier zu bleiben, Euer Schicksal zu erwarten, so rathe ich, begebt Euch in das Golothal hinab nach Rostino. Dorthin hat der Präsident die junge Frau seines Geheimschreibers Carlo Bonaparte mit anderen Frauen gehen heißen. Dorthin auch ist die Canzlei gebracht, und eine Abtheilung Soldaten hält jenen Ort besetzt. Ich will die Dame Letitia bitten, Euch unter ihre Obhut zu nehmen, wenn Euch dies genehm ist.«
Bei dieser Antwort röthete sich das bleiche Gesicht Achill Grimaldi's, und zum ersten Male verließ ihn die Verstellungskunst.
»Daraus kann Nichts werden,« fiel er in stolzem Tone ein, »und dies ist wahrlich kein Rath, den man von einem besonnenen Freunde erwarten durfte. Weder hier noch in Rostino ist Sicherheit zu finden. Wenn die Franzosen in das Golothal hinabdringen, wird Rostino der Schauplatz wildester Verwirrung sein.«
»Aber woher wißt Ihr, mein Herr, daß die Feinde dahin gelangen werden?« fragte Wilda.
»Wer soll sie aufhalten mit ihrer übergroßen Macht?!«
»Unsere Tapferkeit,« versetzte der Capitän.
»Eure Tapferkeit,« lächelte Achill geringschätzig.
»Mein Herr,« sagte Wilda würdig und ruhig, »ich hoffe nicht, daß Ihr zu Denen gehört, die ihr Vaterland verloren geben, noch ehe dies entschieden ist.«
»Ich gebe Nichts verloren, was mir gehört!« rief Grimaldi, »aber ich bin auch kein Abenteurer, der dem Zufalle vertraut. Romana in Sicherheit zu bringen ist mein Recht, daher werde ich bestimmen, was geschehen soll.«
Diese energischen Worte klangen wie ein Befehl, und sie rüttelten den jungen Saliceti aus seinem Schweigen auf. Seine Stirn faltete sich; er nahm eine stolze Stellung.
»Ich denke,« begann er, »daß ich bis jetzt allein über meine Schwester zu bestimmen habe, und mir scheint der Rath, sie nach Rostino hinabzubringen, ein guter zu sein. Erwarten wir, was sich bei Murato zuträgt; werden wir besiegt, so bleibt uns Zeit, weiter zu sorgen.«
»Wer weiß,« antwortete Achill gereizt und mühsam sich bezwingend, »ob Du Recht behältst. Ich bitte Dich, Giulio, stehe mir bei. Laß uns unsere theure Romana von diesem blutigen Schauplatze der Kriegsgräuel in ein friedliches Asyl bringen, wo keine Gefahren sie bedrohen.«
Romana trat lächelnd zwischen Beide.
»Sage nein, mein Giulio,« sprach sie. »Ich bin nicht in Gefahr bei der Dame Letitia Bonaparte. Zu ihr laß mich gehen.«
»Ich bringe Dich nach Rostino,« erwiederte Giulio, so soll es sein.«
»Wie,« rief Achill, »bist Du so schwach, weißt Du nicht –« er hörte auf und fügte dann langsam hinzu: »weißt Du nicht, daß ich Gründe habe, über Romana zu wachen?«
»Meine Schwester ist Deine Verlobte, und sie wird es bleiben,« fiel Giulio ein, und einen drohenden Blick auf Wilda schleudernd sprach er weiter: »Wer dies vergessen wollte, sollte es bald bereuen. Kein Saliceti hat je sein Wort gebrochen. Fluch und Tod jeder Falschheit! Fluch und Tod jedem Verräther!«
Als er dies sagte, dröhnte vom Gebirge herüber ein dumpfes Krachen, das an den hohen Felswänden in Lento wiederhallte. Horchend standen sie verstummt. Donner folgte auf Donner. Ein Geschrei entstand. Menschen liefen erschrocken umher.
»Der Feind! der Feind!« riefen plötzlich viele Stimmen.
Nach wenigen Minuten sprengte Capitän Wilda auf dem klippigen Pfade gen Murato. Als er zurückblickte, sah er Romana's schwarze Gestalt noch auf demselben Platze, aber in ihrer Hand wehte als Liebessahne ihr Mandile.
Drei furchtbare Kampftage vergingen bei Murato. Am 3. Mai stieg das französische Heer das Gebirgsthal hinauf und begann seine Angriffe. Stellung für Stellung wurde genommen, Schanze für Schanze erobert. Zuweilen gab es ein wildes mörderisches Handgemenge, zuweilen warfen die Corsen die Schlachtkeile der Franzosen von den Felsenhöhen hinab und stürzten wie Verzweifelnde mit Säbeln und Messern in die Weichenden. Aber immer neue Bataillone folgten den geschlagenen. Die dichten Hecken der französischen Bajonette waren nicht zu durchbrechen, das furchtbare Kreuzfeuer der Kanonen konnte nicht bewältigt werden.
Doch jeder Fuß des gewonnenen Bodens kostete Blut. Die corsischen Schützen lagen hinter jedem Busche, hinter jedem Steine, und mit wunderbarer Fertigkeit trafen sie ihr Ziel. Clemens Paoli, der Mönch mit den schrecklichen Augen, stand mit den Männern von Morosaglia voran. Jeder Schuß von ihm kostete einem Franzosen das Leben, und mitten in dem Toben der Schlacht sahen seine Krieger ihn, wie er im Kugelregen umherging, kaltblütig sein furchtbares Gewehr ladend, ordnend, befehlend; mitten im entsetzlichsten Morden hörten die Franzosen die feierlichen Gesänge der Corsen, erblickten sie Priester mit geweihten Fahnen und Heiligenbildern, fanden sie Weiber mit durchbohrten Leibern, die noch im Sterben sie zu tödten suchten.
Am dritten Tage langte der französische Obergeneral vor Murato an, und seine ganze Artillerie beschoß das feindliche Lager, ehe Sturm auf Sturm folgte. Tapfere, gewaltige Thaten geschahen hier, als aber der Abend kam, waren die Corsen schwer bedrängt, und wohl zu merken, daß sie nicht lange mehr widerstehen konnten. Viele ihrer tapfersten Männer lagen todt, die Meisten hatten Wunden, es stand der letzte Verzweiflungskampf bevor.
Da ward ein Kriegsrath gehalten, ob dieser Kampf zu wagen und zu schlagen sei, oder ob es besser, während der Nacht in das Golothal zurückzuziehen und an diesem Strome, der schon so manchmal rothe Wellen schlug, ein neues Schlachtfeld zu suchen. Es wurden alle Gründe erwogen. Ward Murato erstürmt, schien Rückzug unmöglich, wilde Flucht und Auflösung mußten Corsika's Schicksal besiegeln. Hinter dem Golo aber ließ sich Ruhe und neue Kräftigung hoffen. Auch die Franzosen hatten schwere Verluste erlitten, und so lange Lento sie aufhielt, mochten sie sicher nicht nachfolgen, denn es gab keinen Weg für ihre Kanonen; auf halsbrechenden Pfaden kaum für ihr Fußvolk.
Alle kriegskundigen Männer stimmten überein, es in Murato nicht zum Aeußersten kommen zu lassen, das Heer zu retten, da es noch Zeit sei. Schon hatte sich die Ordnung mehr und mehr gelöst, schon war die glühende Kampflust gedämpft, die Begeisterung für des Vaterlandes Freiheit von dumpfem Schrecken betäubt, daß es unmöglich sei, dem übergewaltigen Feinde zu widerstehen.
Der Präsident hatte in diesen blutigen Tagen mit unerschütterlichem Muthe die Vertheidigung geleitet. Ueberall war er an den bedrohten Stellen, keine Gefahr scheuend, die Corsen ermunternd, ihre Tapferkeit belebend und als Feldherr ordnend und handelnd. Es ruhten auf ihm alle Hoffnungen seines Volkes. Er wußte, daß er auch jetzt, nachdem die äußersten Anstrengungen vergebens gewesen, dieselbe Zuversicht zeigen, dieselbe Ruhe zur Schau tragen mußte. Keine Miene seines edeln, stolzen Gesichtes war verändert, kein Wort drückte eine Befürchtung aus, er sprach in freudiger, fester Weise aus, daß Nichts verloren sei, daß dieser Rückzug nur dazu dienen werde, des Vaterlandes Freiheit sicherer zu behaupten, und alle seine Anordnungen und Befehle wurden mit ungetrübter Klarheit gegeben.
Als er aber endlich allein vor dem Feuer saß, sanken seine Mienen schlaff zusammen, und trostlos starr blickte er in die Flamme, während seine Hände sich langsam zusammenkrampften, seine Lippen sich zuckend bewegten. So fand ihn der Capitän Wilda, als er eintrat, wie der Präsident ihm geboten; aber Pasquale Paoli schien es nicht zu beachten, erst nach einigen Minuten blickte er auf, als erwachte er.
»Ihr seid es,« sagte er. »O, wie viel Blut ist vergossen! Seid Ihr ohne Wunden? – Gelobt sei Gott dafür!« fuhr er nach der Antwort fort, und plötzlich rasch aufstehend fügte er hinzu: »Es wird nicht vergebens vergossen sein, es kann uns niemals anklagen, denn für das höchste und edelste Gut des Lebens streiten wir gegen übermüthige Feinde. Wie der höchste Herr auch über uns walten mag, keine Schande wird je an uns haften, mit Ehren werden kommende Geschlechter unsere Namen nennen.«
Was seine Gedanken beschäftigt hatte, sprach sich in diesen Worten aus. Seine Augen ruhten glänzend auf dem Capitän, er reichte ihm seine Hand und sprach:
»Wie Ihr der erste und tapferste Kämpfer in Murato gewesen seid, sollt Ihr es auch zuletzt verlassen. Die deutsche Compagnie und die Compagnie von Oletta sollen uns den Rückzug decken. Haltet den Feind auf, so lange Ihr es könnt, doch leistet keinen ernsten Widerstand mehr; denn er nützt zu Nichts. Was jetzt geschehen soll, muß am Golo geschehen. Ich habe jedoch diesen französischen Herren ein paar harte Nüsse aufgespart, die sie erst aufknacken müssen, wenn sie den Kern verspeisen wollen.«
Nach einer kleinen Stille antwortete Wilda:
»Darf ich eine Bitte aussprechen, mein General?«
»Was ist es?« fragte Paoli.
»Erlaubt, daß ich mit meinen Deutschen und der Compagnie Oletta die Besatzung von Lento verstärke.«
Paoli dachte nach.
»In Lento wird Leo Grimaldi bleiben,« erwiederte er darauf, »Euch brauche ich nöthiger. Doch was treibt Euch zu solchem Wunsche? Ach!« rief er fortfahrend, »Ihr hattet einst schon besondere Bedenken, aber Achill Grimaldi kämpft tapfer jetzt an seines Bruders Seite, und Dieser ist kein Mann, der einen schmählichen Verdacht zuläßt.«
Er schwieg und erhielt keine Antwort. Sinnend kreuzte er seine Arme, doch schon nach einigen Augenblicken fuhr er lebhaft fort:
»Wer könnte es wagen, seines Namens Ehre anzutasten! Es giebt keinen Mann, den ich höher schätzte, Keinen, dem ich reinere Vaterlandsliebe zutraute. Und Achill Grimaldi hat Amt und Brot in Bastia verlassen, um für die heilige Sache Corsika's sich zu opfern –« er hielt inne. »Wo ist Romana Saliceti?« fragte er darauf. »Hat man mir nicht gesagt, daß ihr Bruder sie nach Rostino brachte?«
»So ist es, mein General,« antwortete der Capitän.
»Nun seht, mein Freund,« fuhr Pasquale Paoli lächelnd fort, »so habe ich sie in meinem Hauptquartiere als Pfand und Bürgschaft und will sie wohl bewachen lassen. Ihr aber sollt nicht in Lento bleiben, Euer Platz soll an der Golobrücke sein, die sollt Ihr mit Leib und Leben vertheidigen, und dafür möge Euch Gott den schönsten Lohn bewahren.«
Nach einer halben Stunde wurde Wilda entlassen, und er ging von dem Präsidenten mit Bewunderung vor dessen edeln Eigenschaften und doch mit der Gewißheit, daß Pasquale Paoli nicht groß genug sei, um Corsika zu retten. Vergebens hatte er ihm nochmals die Wichtigkeit Lento's vorgestellt und ihn gebeten, alle und jede Vorsicht zu verdoppeln, um diesen Platz zu sichern. Paoli's reine Seele empörte sich gegen jedes Mißtrauen wider den Freund, leichter erblickte er in dem Warner einen von Eifersucht gequälten, darum ungerechten Widersacher der Grimaldi, der in seinen Bedenken ohne es zu wollen Unrecht thue. Er hatte ihn mit großmüthigen Betrachtungen, die ihn selbst beruhigten, zu überzeugen gesucht, und da der Capitän keinen bestimmten Grund gegen die Grimaldi anführen konnte, hatten seine Vorsichtsermahnungen Nichts gefruchtet.
Während der Nacht zogen die Corsen in der Stille aus ihrem Lager und aus Murato; am Morgen vertheidigte nur der Nachtrab noch auf einige Zeit die letzten Schanzen, dann warf er sich rasch in die Felsenschluchten und erreichte unverfolgt das Golothal.
Jenseit der Brücke lag dort an den aufsteigenden Höhen der Ort Rostino, und hierhin hatte der General der Corsen sich begeben. Der kleine Flecken war angefüllt mit Pferden und Menschen, Gepäck und Troß, die von einem Heerwesen unzertrennlich sind. Was an Vorräthen vorhanden, lag hier aufgehäuft und mußte vertheilt werden, eben sowohl Kriegsbedarf, wie die nothwendigsten Lebensmittel. Es konnte an Verwirrung nicht fehlen, die im Laufe des Tages sich eher vermehrte, als abnahm.
Der General und seine Adjutanten hatten mit Anordnungen der verschiedensten Art zu thun. Einige Abtheilungen der Milizen waren so gut wie aufgelöst, viele der Soldaten hatten sich zerstreut, manche sich davongemacht. Es galt die Ordnung herzustellen, die Schaaren zu sammeln, sie zu versorgen, die Gefallenen und Verwundeten zu ersetzen, Officiere zu ernennen, die Stellungen des Heeres zu bestimmen. Die Abhänge der Berge blieben besetzt, an dem ganzen Laufe des Stromes lagerten die Schaaren; die Ponte nuovo umstellte die deutsche Compagnie und mehr als tausend Corsen, darunter die Männer aus Oletta.
So ging der 8. Mai hin, und Giulio Saliceti konnte endlich am Abend erst nach Rostino eilen, um seine Schwester dort aufzusuchen. – Als damals Achill Grimaldi heftigen Widerspruch gegen den Aufenthalt in Rostino erhob, machte der Kanonendonner allem Streit ein Ende, und sobald Karl von Wilda sich nach Murato begeben, stimmte der kluge Advokat seinen versöhnlichen, sanften Ton wieder an. Liebevolle Betheuerungen entschuldigten sein Zürnen, auch fand er es jetzt selbst gerechtfertigt, Romana eilig zunächst nach dem Hauptquartiere jenseit des Golo zu bringen, da keine Zeit mehr bleibe, Anderes zu thun, und in seiner rasch entschiedenen Weise handelnd, verging keine halbe Stunde, so standen Pferde vor dem Convent bereit, sowohl für Giulio und seine Schwester, wie für einen bewaffneten Diener der Grimaldi, der Romana's geringe Habe trug und Beide begleitete.
In einem Lande, wo die Frauen gleich den Männern zu reiten verstehen, und wo es damals noch kaum eine Straße für Fuhrwerke gab, hatte diese kurze Reise bis Rostino keine Schwierigkeiten für die Donzella Saliceti. In wenigen Stunden war der Ort erreicht, schnell auch das Haus aufgefunden, in welchem die junge Letitia Bonaparte mit einigen andern Frauen Zuflucht gefunden, und gern nahm sie den Flüchtling auf und versprach mit liebenswürdiger Artigkeit, so gut für Romana zu sorgen, als sie dies für sich selbst vermöchte.
Darin lag allerdings kein allzu großer Trost, denn die Dame Letitia war selbst hilflos genug. Erst achtzehn Jahre alt trug sie unter ihrem Herzen das Kind, das Corsika rächen, die Franzosen unterjochen, die Welt mit Blut und seinem Ruhm füllen sollte. Aber Letitia Bonaparte war schön und muthvoll, ihre dunkeln Augen voll Feuer und Geist, und wie ihr junger Gemahl, der berühmte Advokat und Geheimsecretär des Präsidenten, begeistert für des Vaterlandes Freiheit.
Erleichtert in seinen Sorgen sprengte Giulio nach kurzer Rast in die Berge zurück, und am nächsten Morgen stand er zur rechten Zeit an der Spitze seiner Schaar, um an dem beginnenden Kampfe Theil zu nehmen.
Nun kam er müde, voll heimlicher banger Ahnungen um sein Vaterland, und er dachte an Romana und Achill Grimaldi, doch der war in Lento, keine Kugel hatte ihn getroffen. Ein widerwillig Gefühl überkam ihn und dann nannte er es gut, daß Achill nicht bei ihm war, denn er fühlte wohl, daß Romana ihn nicht liebte, und er selbst hätte wünschen mögen, es sei, was geschehen, nicht geschehen. Doch wo gab es eine Möglichkeit, dies zu ändern? Achill hatte sich wacker und treu bewiesen, Romana war ihm zugesagt durch heiliges Familiengelöbniß, und niemals hatte ein Saliceti sein Wort gebrochen.
Dies wiederholte Giulio, als er durch Rostino ging, seine Schwester aufzusuchen. Glück in ihren Mienen eilte sie ihm entgegen und rief mit ihrer zärtlich klingenden Stimme:
»Du lebst, mein Giulio, ich sehe Dich! Preis und Dank der Gottesmutter!«
»Besser wäre es,« erwiederte er, »Du sähest mich nicht, denn daß ich hier bin, ist kein gutes Zeichen.«
»Und doch ist es das Beste, das mir werden konnte,« sagte sie ihn küssend, »denn ich habe angstvolle Tage verlebt. Bei jedem Donner aus den Bergen sah ich Dich blutend fallen, und Schreckbilder schwebten vor meinen Augen, die sich nicht schließen wollten.«
Sie führte ihn in ihre Kammer im unteren Theile des Hauses, und er erzählte ihr, was sich begeben. Vielmals wollte er den Namen des Mannes nennen, um dessen Leben und Tod sie sicherlich im tiefsten Herzen noch größeres Bangen trug, allein seine Zunge sträubte sich immer wieder; Romana selbst mochte eine Frage thun, doch diese erfolgte nicht. Endlich, als er vergebens es ihr nahe gelegt, sprach er dennoch von dem Capitän, seine Tapferkeit lobend, und daß er wohlbehalten an der Golobrücke den Befehl führe.
Romana's Augen glänzten heller, aber sie vernahm die Nachricht wie Etwas, woran sie niemals gezweifelt. Dann als ihr Bruder fortfuhr von den Schlachttagen zu sprechen, und wie Wilda ihm getreulich beigestanden im heißesten Gewühl, leuchteten ihre Blicke freudiger und stolzer.
»Ich wußte es, daß Du nicht verlassen warst, mein Giulio,« rief sie ihn umarmend, »daß er mit seinem Leben Dein Leben beschützen würde, und ich lag auf meinen Knieen, zu Gott flehend, daß er ihm dazu beistehe allezeit.«
Giulio fiel ein, was Romana über die Prophezeiung gesprochen, die ihr Schutz vor Unheil und Erfüllung ihrer Wünsche verheißen, und liebevoll traurig blickte er sie an. Woher sollte das Glück kommen, daß sie hoffte? Ein Schatten schwebte vor seinen Augen, er sah wie Achill Grimaldi aus.
»Ach, meine theure Schwester!« seufzte er, sie in seine Arme schließend, »meines Vaterlandes Fall möchte ich nicht erleben, und doch möchte ich nicht sterben, ohne Dich beglückt zu sehen.«
Und mit derselben Zuversicht sah sie ihm lächelnd in's Gesicht und sagte freudig:
»Glaube doch, es wird geschehen. Gott läßt sich nicht beugen.«
Er sprach bewegt:
»So gebe ich Dich in Gottes Schutz, geliebte Schwester, er wird entscheiden. Was sich für uns nicht ziemt, daß wird Er nimmer zulassen.«
Nun stiegen sie hinauf in das obere Zimmer des Hauses, wo die Dame Letitia wohnte, und fanden dort mit Andern den Geheimsecretär Carlo Bonaparte, der manche gute Nachricht wußte. Die Franzosen hatten sich nicht heruntergewagt von den steilen Felswänden, und viel wurde die weise Vorsicht des Präsidenten gepriesen, der ihnen den einzigen guten Weg abgesperrt, den es gab. Wenn dies nur eine Woche lang dauerte, waren solche Verstärkungen und Kriegsmittel von Corte und aus dem Süden herbeigezogen, alle Lücken so gut ausgefüllt und alle Ordnung hergestellt, daß man die Franzosen noch besser empfangen konnte, als in Murato.
»Seht, mein Herr Saliceti,« sagte Carlo Bonaparte, »es ist der Unterschied, daß wir uns immer wieder verstärken können, während General de Vaux keinen einzigen Franzosen mehr besitzt, als die er um sich bat. Laßt ihn einmal geschlagen werden, so ist er verloren. Wir sind dann eher in Bastia, als er.«
»Aber die Franzosen sollen schnellere Beine haben,« lachte die schöne Letitia, »und für uns,« fügte sie hinzu, indem sie sich schalkhaft betrachtete, »möchte es doch beschwerlich sein, ihnen nachzukommen.«
Ihr Mann umarmte sie und sprach dabei zu Giulio:
»Das war es, weßhalb ich gekommen bin. Die Frauen müssen Rostino verlassen. Morgen in der Frühe geht ein Zug von Maulthieren unter Bedeckung nach Corte. Begleitet Letitia dahin, meine beste Romana, und leistet ihr Gesellschaft, wofür ich Euch tausendfach verbunden sein werde.«
»Ei,« sagte Romana, »müssen wir muthigen corsischen Frauen diesen Franzosen so weit aus dem Wege gehen, um bis nach Corte vor ihren schnellen Beinen zu fliehen? Wer weiß, ob wir dort vor ihnen sicher sind?«
»Davor,« antwortete Carlo Bonaparte, »laßt nur den tapfern Grimaldi in Lento sorgen, er wird sich die Braut schon zu behüten wissen; wenn aber,« fügte er spottend hinzu, »auch Corte nicht mehr sicher genug sein sollte, nun so zieht hinauf auf den Monte Rotondo, wohin die Hirten ihre Heerden von allen Orten her vor den Franzosen in Sicherheit brachten. Dort giebt es Verstecke genug, die kein Späher entdecken kann.«
Diese Antwort gab lustige Erwiederungen in Fülle, aber es wurde dabei festgestellt, daß die Reise nach Corte nicht aufzuschieben sei. Rostino, mit Soldaten und Kriegslärm gefüllt, war kein Aufenthalt mehr für Frauen. Gern mochten sie diesen Ort verlassen, der, trotz aller Hoffnungen der Corsen, so wenig Behaglichkeit für friedlicher gesinnte Menschen bot.
Spät erst verließ Saliceti seine Schwester mit dem Versprechen, beim Anbruch des Tages zurückzukehren, um sie noch einmal zu sehen. Was an Vorräthen im Hause vorhanden, wurde zum möglichst stattlichen Abschiedsmahle von der freundlichen Dame Letitia großmüthig verwandt, und der feurige Malvasier hatte die heitere Laune vermehren helfen. Hoffnungsvolle und patriotische Wünsche erschienen darum als halbe Gewißheit, und Romana mußte mancherlei beziehungsvolle Sprüche auf die baldige Erfüllung ihrer liebsten Wünsche annehmen.
»Die heilige Mutter Gottes wird Deinen Geliebten beschützen, theure Romana,« sagte die schöne Freundin sie umarmend, »und Dich so glücklich machen, wie ich es bin.«
»Das wird sie,« versetzte Romana mit so lieblich gläubigem Ausdruck, daß Letitia Bonaparte sie innig küßte und dabei sprach:
»Ja, Du wirst nicht von ihrer Gnade verlassen werden, sie wird ihn Dir erhalten, den Du so innig und zärtlich liebst. O! wie freue ich mich, denn ich empfinde Deine Freude und Deine Sorgen: aber Du bist glücklicher, als ich es war, meine Romana, denn meine Liebe hatte mit Haß und Feindschaft zu kämpfen. Meine Eltern, meine nächsten Verwandten, wollten Nichts von meinem Carlo hören; er war ein Republikaner, der begeisterte Anhänger Pasquale Paoli's, die Romarino aber von jeher genuesisch gesinnt. Da kam Paoli selbst, und mein Vater verstummte vor seiner edlen Beredtsamkeit. O! meine Romana, wenn Du es nöthig hättest, er würde auch von Deinem Geliebten sagen: Wem könntet Ihr würdiger Eure Tochter geben, als dem Manne, den alle guten Bürger dieses Landes so hoch schätzen, daß er der stolzesten Familie Corsika's zur Ehre gereicht.«
»So würde Pasquale Paoli von ihm sprechen, zweifelt nicht!« rief Romana mit Freudigkeit, und Carlo Bonaparte erhob sein Glas und sprach dazu: »Der treue edle Kämpfer für Corsika's Freiheit soll siegreich bestehen und Romana ihn belohnen!«
Giulio Saliceti wußte wohl, was seiner Schwester leuchtende Blicke bedeuteten, er wagte jedoch nicht, ein Wort zu erwiedern, brach auf und ging fort, um Nichts mehr zu vernehmen. Als er aus dem Hause trat, fiel das Licht auf einen Mann, welcher nicht fern von der Thür stand und leise mit einem anderen sprach, der, in seinen Mantel eingehüllt, ihm den Rücken zuwandte. Giulio ging weiter, doch nach einigen Dutzend Schritten kehrte er um, denn plötzlich fiel ihm ein, daß das Gesicht, das er gesehen, dem Diener der Grimaldi ähnelte, welcher ihn und Romana hierher begleitet hatte. Er fand die Beiden nicht mehr, sicherlich auch war es Täuschung, die gelben scharfen Gesichter der Corsen sind meist nicht sehr verschieden, und was sollte dieser Mann in Rostino thun?
Die Mondsichel trat über die Berge, einen schwachen Glanz am Himmel verbreitend, unter ihm lagen die Massen des Gebirges düster und still, doch am Golo und weit hinab durch das Thal flackerten die Feuer, an denen die müden Soldaten schliefen.
Bei der Brücke loderte es heller auf, und einige Minuten lang blieb Giulio dort stehen. Der deutsche Capitän saß unter einem Baume vor ihm, einsam wachend und die Flamme hütend. Zuweilen hob er seinen Kopf auf, blickte nach der Seite hin, wo Rostino lag, und horchte in das Dunkel, dann wieder sah er trübsinnig nieder. Es wurde dem Saliceti warm um's Herz, leise trat er näher hinzu; er hätte seine Hand ausstrecken und dem Waffengefährten ein Freundeswort entgegen rufen mögen. Da klang durch die Stille der Name Romana! zu ihm hin. Es zuckte ihm durch Blut und Adern.
»Nein! nein!« murmelte er, »Du rufst vergebens!« und eilig zog er sich zurück.
Während er nun bei den Männern von Oletta den Morgen erwartete, und dieser endlich mit bleichem Schein sich ankündigte, war die Gesellschaft in Rostino längst zur Ruhe gelangt. Romana lag in ihrer Kammer und träumte einen herrlichen Traum. Ihr Geliebter stand an ihrem Bette, weckte sie mit leisen, süßen Worten, und sie hörte deutlich an ihrem Ohre: Wache auf! O! Du, mein liebstes Leben, und laß uns fliehen aus diesem mit Blut erfüllten Lande. Alles ist bereit, ich bringe Dich in ein friedliches Haus, wo wir glücklich wohnen werden. Wache auf! hier ist Deine Brautkrone, wache auf und folge mir! Die Stunde ist da, wo Gott uns vereint.
Und Romana schlug ihre Augen auf und schloß sie wieder, denn ein blendender Glanz fuhr darüber hin. Süß klang eine Stimme ihm nach: Erwache, meine geliebte Romana, erwache! Ich bin es, der Dich ruft!
Aber das war nicht die Stimme, welche sie im Traume gehört. Jäh richtete sie sich empor. Es stand ein Mann an ihrem Lager, eine Laterne in seiner Hand.
»Achill Grimaldi!« rief sie ihn anschauend. »Was willst Du?«
»Dich will ich,« erwiederte er sanft und leise, »Dich aus dieser Bedrängniß befreien. Noch ehe es Tag wird, mußt Du fort von hier, theure Romana, denn dieser Tag wird schrecklich enden. Stehe auf und höre mich.«
Er setzte das Licht auf den Tisch und trat an's Fenster. Romana hörte Pferde draußen schnauben. In einem Augenblick war sie in ihrem Kleide.
»Warum soll dieser Tag schrecklich enden?« fragte sie.
»Du wirst Alles erfahren,« erwiederte er. »Folge mir nur, ohne zu zögern, denn wir müssen eilen.«
Romana entzog ihm ihre Hand.
»Wir sind in Gefahr?« begann sie.
»In großer Gefahr.«
»Wo ist mein Bruder?«
»Wo er sein muß,« erwiederte Achill.
»Warum kommst Du zu mir, wenn es wahr ist, was Du sagst?Warum eilst Du nicht zu Denen, die helfen können?«
»Niemand kann helfen, liebe Romana, auch ich nicht. Nur für Dich kann und will ich sorgen.«
»Was ist das?« antwortete Romana, ihre Augen fest auf ihn heftend. »Du willst nur für mich sorgen und für Dich? Ich will wissen, was Wahrheit, was Lüge ist, Achill Grimaldi.«
»Wahrheit ist,« versetzte er mit stärkerer Stimme, »daß Du verloren bist, wenn Du mir nicht folgst; Lüge ist, wenn Du glaubst, ich würde auch diesmal meine bessere Einsicht Deinen Widersprüchen opfern. Du mußt mich begleiten, Romana, denn die Franzosen werden in einer Stunde am Golo sein, und ein blutiges Schlachten wird hier beginnen.«
»Steht es so mit Dir und uns?« fiel sie ein.
»Schweig!« erwiederte er. »Einem Weibe steht kein Urtheil darüber zu, was Männer beschließen, die es zu verantworten haben. Glaube mir,« fuhr er dann milder fort, »daß ich dies vermag; verständig, wie Du bist, wirst Du gerechtfertigt finden, was mein Bruder gethan.«
»Was that er?«
Achill Grimaldi bedachte sich einen Augenblick, dann sagte er gelassen:
»Er streckte in dieser Nacht die Waffen. Es mußte so sein.«
Romana gab keine Antwort, ihre Hände falteten sich; plötzlich aber begann sie:
»So erfüllt sich, was mein Onkel sterbend sah. Er sah den Verräther und schied aus diesem Leben ihn verfluchend.«
»Du bist eine Schwärmerin,« antwortete Grimaldi, »aber ich habe keine Zeit, es Dir zu beweisen. Nur das Eine bedenke: Soll ein vernünftiger Mann sich in den Abgrund stürzen, wenn er sich zu retten vermag? Wir haben drei Tage lang gekämpft und sind besiegt worden. Es giebt keine Hoffnung auf Erfolg mehr; nur Wahnsinnige und fanatische Thoren können noch daran glauben. Nur sie mögen noch Blut vergießen, dies arme unwissende Volk auf die Schlachtbank treiben. Als Bettler und Verbannte werden sie dafür durch die Welt irren, wenn sie dem Schwerte oder den Galeeren entgehen. Zum letzten Male bot de Vaux uns Frieden, Sicherheit, den Besitz unserer Güter, die Gnade und Hilfe seines Königs. Was sollten wir wählen? Wo können wir mehr für unser verlassenes Volk thun? Wer ist dessen wahrhafter Freund? Komm, theure Romana, komm! Wir werden auch Giulio retten, wir werden ihm Freunde sichern, die ihn schützen, die das alte Erbe der Saliceti ihm erhalten. Vertraue mir, gieb mir Deine Hand. Sieh, ich schwöre Dir«
»Rühr' mich nicht an,« unterbrach sie ihn. »Du lügst! Du hast uns verrathen! Uns in Oletta, jetzt Dein Vaterland!«
»Verhindert habe ich eine grause Blutthat,« antwortete Achill, »Eure Seelen gerettet von einem entsetzlichen Verbrechen. Warst Du es nicht selbst, die davor bebte und die Mörder verdammte? – Der Tag bricht an. Du mußt mich begleiten, einst wirst Du mir danken. Zwinge mich nicht zur Gewalt!«
Mit diesen Worten packte er Romana um den Leib, warf ihr den langen Zipfel der Faldetta über den Kopf und hob sie auf, um sie hinauszutragen. Es war das Werk einer Minute, mit überraschender Schnelle ausgeführt, und doch war es kaum halb vollendet, als es sein Ende nahm; denn als Grimaldi hinaus wollte mit seiner Beute, sah er Giulio Saliceti vor sich und ließ Romana aus seinen Armen gleiten.
Und in demselben Augenblicke, wo er ihn erkannte, dröhnte ein ferner Donner von den Bergen her, ein zweiter, ein dritter; dann wieder Stille.
Die beiden Männer standen sich gegenüber; zu ihren Füßen Romana, die sich aufraffte, mit angstvollen Blicken ihren Bruder zu umklammern suchte. Giulio's Arm hielt sie von sich zurück. Seine Augen hingen an Achill Grimaldi wie glühende Feuerballen, sein Gesicht war wie von Erz, bewegungslos, es zuckte kein Muskel darin.
Plötzlich riß Achill eine Pistole auf dem Mantel, aber bei seiner ersten Bewegung war es, als erhalte ein Tiger Leben. Mit einem Sprunge warf sich der Saliceti auf ihn. Sein doppelschneidiges Dolchmesser fuhr drei Mal bis an's Heft in seines Vetters Brust. Die Pistole entlud sich in Grimaldi's Hand, doch kein Schrei, kein Laut, kein Röcheln ward gehört. Mit dem Blitz und Knall zugleich fiel der Getödtete ohne Zucken nieder, und auf ihn warf Giulio das blutige Messer und entfloh. Die entsetzten Menschen im Hause, Mord und Hilfe schreiend, stürzten die Treppe herab!
Jetzt waren sie da. Carlo Bonaparte kam mit Säbel und Gewehren, seine muthige Frau mit ihm, angstvoll nach Romana rufend. Der Pulverdampf qualmte zur offenen Thür heraus; als sie hineinleuchteten, erblickten sie Romana am Boden knieend neben einer leblosen Gestalt, deren Blut über die Fliesen strömte.
»Herr des Himmels!« schrie Carlo Bonaparte, »was geschah hier?« Und indem er das Licht dem Gesichte des Todten näherte, erkannte er ihn und fuhr mit vermehrtem Grausen fort: »Achill Grimaldi! Wer hat die verruchte That gethan? Wer hat ihn ermordet?«
»Mein Bruder that es,« antwortete Romana mit fester Stimme, und sie erhob sich von ihren Knieen.
»Arme Romana!« rief Letitia Bonaparte. »O! Jammer und Elend! Er erschlug den Geliebten in Deinen Armen.«
»Er erschlug den Verräther!« sagte Romana. »Er hat recht gerichtet, ich preise ihn dafür!«
Alle blickten sie an, als sei ihr Geist von dieser grausamen That zerstört worden, da dröhnten die Häuser in Rostino wiederum von dem Schießen in den Bergen, und Romana fuhr fort:
»Hört Ihr es? Das ist der Feind! Dieser hier hat ihm Lento verrathen, wie er Oletta verrathen hat. Die Grimaldi's haben sich den Franzosen verkauft, Corsika's letzter Freiheitstag ist gekommen!«
Die Menschen standen zitternd und ungläubig. Plötzlich gellte ein wildes Geschrei auf der Straße:
»Rettet Euch! rettet Euch! die Franzosen sind da, Lento ist verloren!«
Nun liefen sie Alle angstvoll und klagend hinaus; vom Thale her wurde das Schießen heftiger, und zwischen dem Kanonendonner knatterten die Gewehre. Der Präsident Paoli mit einem Gefolge von Officieren eilte vorüber dem Golo zu. Sein Geheimsecretär ließ Maulthiere und Saumrosse eilig packen, dann fort nach Corte.
»Romana! wo ist Romana?« rief die Signora Letitia, doch nirgend war Romana zu finden. Man wußte in der Verwirrung nicht, wo sie geblieben, mußte sie endlich ihrem Schicksale überlassen. Denn schon flogen die Franzosenkugeln über den Golo fort.
Und die Sonne ging auf und beleuchtete das Thal durch Wolken von Pulverdampf, die wie blutrothe Schleier sich darüber ausspannten. Aus den Bergen blitzte und donnerte es unaufhörlich, eine dunkle bewegliche Masse wälzte sich, wie eine ungeheure Schlange mit glänzenden Schuppen, von den steilen Hügeln herab, hinter denen Lento lag. Es war das französische Heer und seine funkelnden Bajonette. Voran seine Jäger, welche die corsischen Milizen aus den Wein- und Oelgärten warfen und vor sich hertrieben; auf den freien Punkten seine Kanonen, weiße Dampfsäulen schleudernd, aus denen der Tod seine furchtbare Stimme erschallen ließ.
Das Feld bis zur Brücke bedeckte sich schnell mit fliehenden, von Schrecken und Entsetzen erfüllten Menschen. Wo man es am wenigsten geahnt, stieg der Feind plötzlich herab. Wo waren die Grimaldi's, wo war Lento? Sie flohen nach der Brücke, sie warfen ihre Waffen fort in athemloser Angst. Die Franzosen ihnen nach, feuernd, mit tausendstimmigem Schlachtgeschrei, in dichten Haufen mit dem Bajonett, ermuntert zum Siegeslauf von ihren Officieren, Marbeuf voran. Und je näher der Brücke, um so grimmiger vereinzelter Widerstand, um so größer die Verwirrung; endlich Freund und Feind in einander gemischt darauf losdringend, ein Knäuel, der Nichts mehr erkennen läßt: Staub, Rauch, Waffengeklirr und Mord- und Jammergeheul …
Plötzlich aber schmettert ein Kugelregen in diese verworrene Masse. Die Deutschen jenseit der Brücke haben Feuer gegeben. Sie haben den Auftrag, um jeden Preis den einzigen Uebergang zu schirmen, die Flüchtlinge aufzuhalten; sie sehen die Franzosen sich auf diese stürzen und eindringen. Der Schrecken hat auch sie ergriffen, sie feuern auf die Milizen. Ein Schrei der Todesangst antwortet ihnen. Da ist es, als ob die gefangenen Dämonen in jeder Brust ihre Fesseln abstreifen und frei werden.
»Verrath! Verrath!« rufen tausend Stimmen. »Wir sind verloren! Flieht! flieht!« Und von einem höllischen Schrecken gefaßt, zittern und fliehen die Tapfersten. »Verrath! Verrath!« schreit es durch die Schaaren am Ufer des Golo; bleiche Angst jagt den Muth aus den Herzen. Sie fliehen, sie lösen sich auf, sie laufen den Wäldern und Bergen zu. Vergebens wollen die Führer sie halten, vergebens flehen und beschwören sie, im Namen des Vaterlandes, wie Männer, wie Corsen, zu fechten und zu sterben.
»Verrath! Verrath!« das fürchterliche Wort hat alle Bande zerbrochen, alle Kraft zerstört. Der Eine reißt den Anderen fort, aller Widerstand hört auf. Der Präsident selbst, sein Bruder, die unerschrockensten, todesmuthigsten Männer, sie müssen fliehen, denn es giebt kein Heer mehr.
Die Franzosen sind über die Brücke gedrungen, nur die deutsche Compagnie und ein kleiner Haufen Corsen hat diese bis zum letzten Augenblicke vertheidigt, und jetzt entsteht dort ein grauenhafter Kampf, der den Feind allein noch aufhält. Mann gegen Mann ringen sie, Verwundete und Todte stürzen in Haufen nieder. Ein junger Corse ficht wie ein Rasender, er hört nicht auf den Zuruf der französischen Grenadiere, sich zu ergeben. Jetzt sinkt er auf sein Knie, und zehn Bajonette drohen ihn zu durchbohren; doch ihm zur Hilfe eilt der Capitän der deutschen Compagnie. Um ihn liegen die Deutschen todt und verstümmelt, um seine Füße klammert sich sterbend der arme kleine Pietro, mit seinem letzten Seufzer flehend: »Rette Dich, Herr!« Er aber wirft sich auf die Franzosen, treibt sie zurück und schirmt seinen wunden Freund mit dem Schwert in der Hand, allein, wie ein Paladin aus der Heldenzeit.
Und wie von einem Zauber gefesselt stehen die Franzosen, senken ihre Waffen und blicken mit Rührung auf das Schauspiel vor ihren Augen. Ein schönes junges Weib hat sich neben dem Corsen niedergeworfen. Sie hält ihn in ihren Armen und bedeckt ihn mit ihren Küssen; sie ruft ihm zärtliche Worte zu, sucht ihn aufzurichten, und er erhebt sich. Sie führt ihn fort, und sie lassen es geschehen. Ein herrenloses Pferd wird von dem Capitän ergriffen. Das Weib stützt den Verwundeten, der im Sattel schwankt. Sie führen das Pferd den Gehölzen zu, durch welche die Straße nach Corte läuft.
Kein Halt! wird ihnen nachgerufen, kein Gewehr auf sie angelegt. Es sind die letzten Corsen, die dies blutige, jammervolle Schlachtfeld verlassen.
In Corsika's Mitte liegt der ungeheure Felsstock, welcher Monte Rotondo genannt wird. In den Thälern, die ihn umringen, blühen Citronen und Myrthen, seine Gipfel deckt der ewige Schnee. Durch Wälder von riesigen Lärchenbäumen und Pinien geht es hinauf in das Reich der Hirten und der Banditen, zu den Bergmatten und zu den wüsten, zerklüfteten Felsgewinden, bedeckt mit chaotisch zerrüttetem Gestein, das hier zusammenstürzte, als die Giganten den Himmel stürmten, und Zeus sie traf. Fels über Feld liegt aufgethürmt, von tobenden Wassern durchnagt, von den Wurzelfingern des Urwalds zusammengenäht, von duftigen Kräutern und Blumen liebevoll zugedeckt, von schwarzen Höhlenschlünden, Klüften und Abgründen unterbrochen.
Die Restonica springt weißschäumend über die Blöcke, die ihr den Weg verlegen, und aus den Seen vom Gipfel des Rotondo zucken leuchtende Wasserstrahlen an steilen Wänden nieder mit Donner und Blitz. Es ist der einzige Laut fast in dieser Natur. Dann und wann der Schrei eines Falken, dann und wann der gellende Pfiff eines Hirten, der nicht zu sehen ist.
Auf den hohen Felszacken, über denen die Schneefelder ihr blendendes Licht verbreiten, erblickt das Auge einen dunkeln, beweglichen Gegenstand. Es ist ein Thier mit hohen spiralen Hörnern. Es ist ein seidenhaariger Muffro, ein Wildschaf, das Wache hält zum Schutze seiner Gefährten, die hinter ihm weiden und auf dem ewigen Schnee behaglich ruhen; die einzigen Wesen, die ihn lieben.
Und wo der Wald verkrüppelt und die Weiden beginnen, lagern über diese weiten Halden, auf Meilen rund um die Gipfel, die Hirten mit ihren Ziegen und Schafen. Sie wandern über den Stamm des Gebirges und steigen aus den Thälern, wo die Menschen mit ihren Gesetzen und ihrer Ordnung wohnen, in dies herrenlose Reich, wenn der Schnee es verläßt, und überlassen es ihm, wenn er wiederkehrt. In andern Jahren kommen sie erst so hoch hinauf, wenn der Mai zu Ende geht, doch diesmal war nicht allein das Wetter so mild, wie niemals, auch der Kanonendonner und die Franzosen gaben dem Monte Rotondo sein frühes ungewöhnliches Leben.
Nach der unglücklichen Schlacht am Golo benutzten die französischen Generale energisch ihren Sieg, denn sogleich verfolgten sie die fliehenden Corsen, und eine ihrer Abtheilungen drang auf Corte vor und bemächtigte sich des Regierungssitzes. Da flohen Alle, die zu fürchten hatten, mit Weib und Kind auf den Monte Rotondo, und die Hirten nahmen sie in ihre Höhlen und Campannen, wo sie angstvoll zitternd die Stunde erwarteten, in welcher die Franzosen auch hier hinaufsteigen und ein schreckliches Gericht halten würden.
Und es lag eine dieser armseligen Hütten östlich vom Col di Mozzo auf einer Felsklippe, unter dem Horn des ungeheuern Frate. Vor ihm lief eine blumenvolle Matte sanft hinab bis an den Urwald, und rund umher weideten wohl mehr als hundert schwarze Schafe und Ziegen. Gegenüber schloß sich die Welt mit Felswänden und aufstarrenden, nackten, rothen Spitzen, über denen sich der gewaltige Monte d'Oro riesenhaft erhob; zur Linken sah das Auge tief hinab in blüthenweiße Thäler, und hinter diesen schimmerte ein blauer Meeresstreif. Die Abendsonne streute ihr rothes sanftes Licht aus, und mit dem kühlenden Hauche kamen die Düfte zahlloser würziger Blumen und Bäume aus der Tiefe. Das kleine Haus von Steinen hatte keine Thür. Ein rauhwolliger Vorhang deckte seine Oeffnung zu, ein breites Vordach gab Schirm vor Wind und Wetter. Unter diesem Dache saß der greise Hirt Angelo in seinen weißen, langen Locken, neben ihm auf dem Steine saß Romana.
Angelo hielt die Zither auf seinen Knieen, seine zottigen Hunde vor ihm schienen aufmerksam zuzuhören, wie er leise die Saiten bewegte. Nur dann und wann wandten sie die Köpfe nach der Heerde auf der Matte, darauf sahen sie den Vorhang an und dann ihren alten Herrn, der ihre fragenden Blicke nicht beachtete.
In der Hütte war es still, und doch lag ein Mensch darin in großen Schmerzen. Giulio Saliceti lag darin, den sie hierher gebracht hatten mit seinen Wunden an Seele und Körper. Und einmal, als es war, als dränge ein Seufzer durch den Vorhang, sprang Romana auf und horchte, aber sie hörte Nichts mehr. –
»Er schläft,« flüsterte sie. »Werden Deine Tränke ihn zum Leben aufwecken, Angelo?«
Angelo gab keine Antwort. Seine Finger irrten weiter über die Stahlsaiten, es gab einen schrillen Klang. –
»Laß ihn schlafen,« sagte er. »Schlaf und Tod machen uns gleich und frei.«
»Aber er soll leben, Angelo.«
Der Greis schüttelte traurig seinen weißen Kopf.
»Laß ihn sterben,« erwiederte er; »wie soll der Giulio Saliceti leben als ein Knecht?«
»Hast Du denn keine Hoffnung, lieber alter Angelo,« fragte Romana betrübt, »und hast mir doch verkündigt, daß ich glücklich sein soll.«
Der greise Hirt heftete seine großen, schwarzen Augen auf sie, und sah sie geisterhaft an.
»Habe ich Euch nicht gesagt,« sprach er dabei, »kommt mit mir auf den Monte Rotondo, wenn Ihr leben wollt? Ihr habt es nicht gethan. Der rasche Bernardo, die glückselige Maria, der zornige Peverino, der Grimaldi, den Keiner an Klugheit übertraf, alle sind umgekommen.«
Er dachte nach, und ein wehmüthiges Lächeln bewegte seine Lippen; dann hob er seinen Arm auf und deutete auf den fernen blauen Meeresstreif.
»Dorthin gehe, wenn Du glücklich sein willst, dorthin ruft es Dich. Diesen aber laß hier, der Monte Rotondo wird immer frei bleiben.«
Die Hunde sprangen laut bellend auf, es kamen Menschen vom Walde her. Romana erkannte ihren Freund, sie erkannte auch Carlo Bonaparte mit Letitia; Hirten waren in ihrer Begleitung, aber auch ein französischer General mit zwei andern Officieren.
Der Capitän ging vor einigen Stunden fort, um seine Freunde aus Ajaccio aufzusuchen, welche in einer nahen Campanna Obdach gefunden, um von ihnen zu hören und mit ihnen zu berathen, was in dieser gemeinsamen Noth geschehen könne. Jetzt sah Romana mit Erstaunen ihn in solcher Gesellschaft, welche ihren Schrecken und doch auch Hoffnungen erregte; denn von fern schon wehte die Signora Letitia freudig mit ihrem Tuche, und näher herangekommen, riefen mehrere der Männer: »Evviva! Evviva! der Frieden ist gemacht, wir sind gerettet, gerettet!«
So erreichten sie die Campanna, wo Letitia Bonaparte ihre Freundin in großer Bewegung umarmte.
»Hier ist der General Grandmaison,« sagte sie, »Graf de Vaux hat ihn selbst von Corte heraufgesandt, um uns einzuladen, zu ihm herunterzukommen, Sicherheitspässe zu empfangen. Alles soll vergessen und vergeben sein, theure Romana. Jeder soll in seine Heimath unbehindert zurückkehren und ungefährdet dort leben können. Sage ich nicht die Wahrheit, General? Es soll Niemand davon ausgenommen sein.«
Der General verneigte sich lächelnd.
»Die Insel ist unterworfen,« erwiederte er. »Pasquale Paoli und die Häupter des Aufstandes haben Bewilligung erhalten, sich einzuschiffen; es ist ihnen Zeit vergönnt, sogar um, was sie an Vermögen besitzen, mitzunehmen.«
»Wirklich!« sprach eine tiefe Stimme hinter dem Vorhange, »so großmüthig seid Ihr gewesen!«
Der General sah dorthin, Giulio Saliceti trat heraus. Bleich und verfallen, brennende Fiebergluth in den Augen, doch stolz aufgerichtet, ohne zu wanken. Wie der Franzose ihn mit seinen Blicken maß, begegnete er festen furchtlosen Blicken, gramvollem Haß, der in bitterster Schärfe auf diesen blutlosen Lippen lag.
»Warum gebt Ihr ihnen ein Almosen mit auf den Weg, da Ihr ihnen Alles genommen habt,« sagte Giulio. »laßt sie betteln gehen, die Ihr zu Bettlern machtet, und heuchelt nicht Großmuth, nachdem Ihr wie Räuber die Corsen geplündert und erschlagen.«
Grandmaison erkannte den Zustand des Mannes, der also zu ihm zu sprechen wagte, er blieb gelassen.
»Ihr seid Giulio Saliceti, der die Kirche in Oletta in die Luft sprengen wollte,« begann er.
»Der bin ich,« antwortete Giulio. »Ein Verräther war Schuld, daß es nicht geschah. Nicht ich.«
»Noch steht ein Preis auf Euren Kopf dafür,« fuhr der General fort, »und Euer Vermögen ist dem Könige verfallen. Dann fand man in Rostino in einem Hause den Herrn Achill Grimaldi von drei Dolchstichen durchbohrt, und wie die Nachrichten uns eingekommen, habt Ihr ihn getödtet.«
»Sucht keinen Andern,« versetzte Giulio. »Diese Hand gab dem Elenden seinen Lohn; tausend Mal noch möchte ich es wieder thun!«
Ein ingrimmiges Zucken lief durch das abgezehrte Gesicht. Corsische Rachegluth und der Triumph ihrer Befriedigung.
»Es genügte dies eine Mal vollkommen,« versetzte der General. »Ich will Grimaldi's Handlungen nicht vertheidigen; allein Ihr werdet es richtig finden, Herr Saliceti, daß das Ende eines Mannes, der dem Könige so große Dienste leistete, uns nicht gleichgiltig sein kann.«
»Nein,« sagte Giulio, »er gehörte zu Euch, so thut darnach.«
»Man benutzt den Verräther, wenn man ihn auch verachtet,« antwortete Grandmaison. »Hört meinen Rath, Herr Saliceti. Wendet Euch an den Grafen de Vaux, stellt Eure Sache dar, wie ein Corse, der aus fanatischer Liebe zum Vaterlande gefehlt, gelobt in Zukunft ein Anderer zu sein und bittet ihn, Euch die Gnade des Königs zu verschaffen.«
Giulio hörte schweigend, doch sein Gesicht verdunkelte sich, das Blut trat in seine Augen, seine Brust hob sich heftig.
»Gnade!« sagte er mühsam, »Gnade von Eurem Könige? Gelobt sei Gott! ich bedarf ihrer nicht. Eines nur habe ich noch auf Erden zu erfüllen. Romana – und Du, mein Bruder, reicht mir Eure Hände. Nimm meine Schwester, edler, geliebter Freund, nimm sie und sei beglückt! Führe sie fort von hier, fort von diesen Knechten, ich aber« – er wandte sein Gesicht der Sonne zu, die mit ihren letzten Strahlen ihn umglühte – »ich sterbe frei! Räche uns, Allvater im Himmel, räche uns an unseren Feinden!«
Blut quoll aus seinem Munde, er taumelte und fiel in Wilda's Arme. Romana rief jammernd seinen Namen.
»Er stirbt, wie er gelebt hat,« sagte Grandmaison, als sie ihn forttrugen, »ein echter Corse. Rache war die Aufgabe seines Lebens, Rache ist sein letztes Gebet. – Kommt, wenn es Euch beliebt, nach Eurer Wohnung, Herr Bonaparte, ich will Euch dort einen Brief an den Grafen de Vaux schreiben, den bringt nach Corte hinab. Ihr werdet gut empfangen werden.«
»Wo ist General Paoli?« fragte Carlo Bonaparte.
»Wahrscheinlich jetzt noch in Vivario, doch soll in Porto Vecchio die Einschiffung geschehen.«
»So gebt mir einen Sicherheitsbrief, mein Herr, daß ich dahin gelange.«
»Wozu?« fragte Grandmaison.
»Daß ich ihn in die Verbannung begleite.«
Der General ließ seine Augen über die Gestalt der Signora Letitia gleiten und antwortete dann:
»Ihr habt zunächst, wie mir es scheint, für diese Dame Sorge zu tragen. Bringt sie nach Ajaccio zu ihren Verwandten und bleibt dort. Ihr würdet es bereuen, wolltet Ihr meinen Rath nicht befolgen. In der Verbannung könnt Ihr weder Eurem Vaterlande noch dem Präsidenten nützen, wohl aber da, wo Ihr seid. Glaubt es mir, Frankreich wird Corsika niemals wieder herausgeben, somit helft sorgen, wie Beiden zu helfen ist. Die königlichen Gerichtshöfe werden Richter brauchen wie Ihr, die Corsen Männer von Muth und Rechtsgefühl. Nun,« fuhr er fort, »wenn diese Gründe Euch nicht überzeugen können, so seht da die Thränen Derer, welche Hilfe von Euch verlangt.«
Ihre nassen Augen erhebend, wie ihre Arme, rief Letitia:
»Verlaß mich nicht, Carlo, was sollte aus mir werden? Wohin mit mir und meinem Kinde?«
So geschah es, daß Carlo Bonaparte im Lande blieb, und daß das Kind, welches Letitia in Ajaccio ihm gebar, sein Sohn Napoleon, als er heranwuchs, durch die Freundschaft des Generals Marbeuf in die Militärschule nach Brienne geschickt wurde.
Als aber am nächsten Morgen die Sonne aufging, legte der alte Hirt Angelo den Giulio Saliceti in ein Felsengrab auf der höchsten Stelle der Klippe hinter der Campanna. Er und der Deutsche senkten ihn ein, und sie wälzten ein mächtiges Felsstück darüber. Lange lag Romana hier auf ihren Knieen, bis ihr Geliebter sie endlich fortführte. Und sie stiegen hinab durch Wald und Felsen auf engen, steilen Hirtenpfaden, voran der weißlockige Greis mit gewaltigen Schritten, bis sie tief unten San Pietro liegen sahen.
Da hielt Angelo an und sprach:
»Hier müssen wir scheiden. Geschirmt hat Gott Euch wunderbar und hat Euch seinen Willen verkündigt, so ist es geschehen. Klagt nicht und bangt nicht, lebt fromm und gerecht und vertraut auf ihn; doch wenn Ihr betet, so betet auch für Angelo, wenn Ihr zurück denkt, denkt auch an ihn. Wenn die Wetter fahren um Euer Haus, so denkt an den Monte Rotondo, und wenn die Frühsonne glänzt am blauen Himmel, so denkt an das Grab am Horn des Frate, wo der ruht, der Euch geliebt hat, und ich – o Romana! ich, der einsam dort sitzen, wachen und beten wird, manchen Tag, manche Nacht, bis an die letzte Stunde.«
»O! lieber alter Angelo!« rief Romana, bitterlich weinend, »werde ich nie Dich wiedersehen?«
Der greise Hirt hob seinen Arm auf und deutete in die Weite.
»O, Kind!« sagte er, »dort liegt Deine Welt, hier oben bei den Wolken die meine. Geh' und vollbringe Deinen Lauf, bis Du heimkehrst in Gottes Schooß. Evviva! Evviva! Wir werden uns wiedersehen! Sei gesegnet für alle Zeit!«
So stieg er in den Wald hinauf, und Romana warf sich an ihres Freundes Herz und sagte schluchzend: »Nun bin ich ganz allein und ganz Dein eigen!«
* *
*
Am 12. Juni des Jahres 1769 war die kleine Stadt Porto Vecchio gefüllt mit Thränen und Trauer. Im Hafen lag ein großes englisches Schiff, der Admiral Smittoy hatte es geschickt, um die Flüchtlinge in die Verbannung zu führen, es sollte sie nach Toscana hinüberbringen. Und sie waren hier beisammen, die stolzen Ueberreste des Corsenvolks, die ihre Nacken nicht beugen wollten; lieber das Elend in der Fremde wählten, als die Verzeihung ihrer Unterdrücker. In den Bergen fochten noch da und dort einzelne verzweifelte Führer mit ihren Genossen, die Meisten aber hatten sich um den Präsidenten in Porto Vecchio vereinigt, dreihundert Männer, bereit, sein Schicksal zu theilen.
Und jetzt läuteten die Glocken von dem alten Thurme der Pfarrkirche, und die Priester begleiteten ein junges Paar hinaus, das den Segen empfangen, der es über das Meer begleiten sollte. Romana Saliceti zog hinaus an der Hand ihres Gatten, von der heimischen Erde treulos fliehend, zu dem, dem sie ewige Liebe und Treue gelobt, und heimlich, tief unter den Myrthenblüthen auf ihrer Stirn, lauschte das Glück, wartend, wann ihre Augen aufhören würden zu weinen.
Da trat Pasquale Paoli hervor, in stolzer Fassung, mit der Ruhe des Philosophen, mit der Ergebung des standhaften Mannes. Nur einmal verdunkelte sich sein edles schönes Menschenangesicht, als er den Fuß aufhob, um ihn in das Boot zu setzen, wo die englischen Matrosen sich auf ihre Ruder lehnten. Sein Fuß bebte zurück, er blickte umher, auf die fernen Berge, auf die Wälder, auf die Oliven- und Mandelhaine, auf die schluchzende Menge dort auf ihren Knieen, auf die Priester, welche ihre Scapuliere ausstreckten, – seine weit geöffneten Augen ruhten starr und verzweifelnd darauf, athemlos still war es umher, als er sie aufhob zum Himmel und mit voller fester Stimme sprach:
»Du hast so gewollt, mein Herr und Gott, Dein Wille ist geschehen!«
Und nur ein Mal noch wurden seine Augen naß, als die Fregatte hinausflog in das blaue Meer, und die Verbannten das Land ihrer Sehnsucht und ihrer Schmerzen in den Ocean versinken sahen. Ihre Blicke hingen daran mit magnetischer Macht, Alles, was sie ertragen, Alles, was sie verloren, drängte sich in ihre Herzen. Viele dieser rauhen, von den gewaltigsten Leidenschaften erfüllten unerschütterlichen Männer, die nie den Tod gefürchtet, nie vor einer That gebebt, stöhnten laut vor Jammer.
Da erhob Pasquale Paoli sein Haupt und sprach:
»Zürnet nicht, meine Freunde, und trauert nicht. Laßt uns stolz und muthig unser Schicksal tragen. Besser ist es, in der Fremde bei freien Männern zu wohnen, denn in der Heimath bei Knechten. – Vielleicht,« setzte er seine Blicke niedersenkend hinzu, »hätten wir länger noch ausharren können – ich – ich, aber Bandenführer in den Bergen zu sein schickte sich nicht für uns, für die Häupter des corsischen Volkes, noch konnten wir elend und nutzlos vergossenes Blut vertreten, das Corsika nimmer frei gemacht hätte.«
Seufzend schwieg er, Alle blieben still. Ihre Augen waren naß vom Schauen nach der geliebten Insel, die in Nebeln sich verlor.
»Ich bin nicht, wie Sampiero war!« rief Pasquale Paoli. »O! hätte Gott uns einen solchen Mann gesandt, Frankreich würde es nicht gewagt haben, uns zu unterjochen. Der Herr der Welt hatte mir nicht Sampiero's Kühnheit und sein Geschick verliehen, ich that, was ich vermochte, und nur in Einem will ich ihm nie weichen, in der Liebe und Treue zu meinem Volke, zu meinem heilig geliebten Vaterlande! Darin, meine Freunde, laßt uns einig sein, laßt uns ausharren. Laßt uns nach England geben, laßt uns warten. Eine Stimme in meinem Herzen ruft mir zu, wir werden unsere Berge wiedersehen, glänzend in der Morgensonne der Freiheit! Wir werden zurückkehren, jubelnd empfangen, jubelnd begrüßt von einem freien beglückten Volke.«
Er reichte seinem Bruder seine Hand, aber der Mönch mit den düstern Augen nahm diese nicht an.
»Geh', Pasquale,« antwortete er, »geh' zu den Fremden und sei die Fahne Corsika's, sei der Spiegel ihrer Schande, daß sie uns verlassen in unserer Noth. Ich aber kann niemals von Italien scheiden, ich muß die Stimme meines Volkes hören. In dem Kloster von Vallombrosa will ich beten und büßen. Die Geister Corsika's, die großen Todten, werden zu mir über die Wasser ziehen, und wenn sie im Abendscheine mich umschweben, werde ich mit ihnen klagen, mit ihnen die Verräther verfluchen! Diese, nicht die Franzosen haben Corsika besiegt. – O! du hoher, heiliger Gipfel!« rief er im Prophetentone, »aus deinen Wolken trittst du, um die Wahrheit zu bezeugen. Zeichen Gottes! von dir will ich nicht lassen, gläubig ausharren, Burg der Freiheit, bis ich wieder bei dir bin.«
Auf seine Kniee sank er nieder, seine Arme begeistert aufhebend, denn aus Wolkenlagern stieg der Monte Rotondo in den Himmel, strahlend im lichten Sonnenglanz.
Und viele der Corsen lagen betend um ihn, Romana aber sank an des geliebten Mannes Brust, innig und glühend seine Augen suchend.
»Dahin nur will ich schauen,« sprach sie, »Du bist mein Gotteszeichen und sollst es bleiben bis an meinen letzten Tag. Zu Dir will ich beten. Führe mich, wohin Du willst. Gott wird mit uns sein, er wird uns glücklich machen!«
Und nach ihrem Glauben und des alten Hirten Scapula ist es geschehen. Glücklich und lange hat Romana Saliceti mit ihrem geliebten Freunde gelebt, erst im Anfange dieses Jahrhunderts ist sie in Westphalen bald nach ihm gestorben; heimgekehrt in Gottes Schooß zur ewigen Vereinigung.
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