Eine Lebensgeschichte.
Gesammelte Novellen. Dritte Abteilung.
Einzelausgaben.
Zweiter Teil
Neu herausgegeben
von
lobo.dox@freenet.de
2024
Ich bin jetzt ein hoher Siebenziger geworden und das Licht meiner Augen ist so schwach, daß heute, als ich aufstand und in den Spiegel sah, der zwischen meinen Fenstern hängt, mein weißes Haar mir braun erschien, braun wie damals, wo es lang und stark über meinen Kopf fiel und ich Mühe hatte, es mit dem Bande zusammen zu halten. Ich lachte über meinen Irrthum, dann wurde mir weich und wehmüthig um's Herz. Mein Gott! es kamen Gedanken über mich, die ich lange nicht gedacht hatte. Ich dachte an meine Jugend, ich dachte daran, daß ich wirklich auch einmal ein junger, rascher Mann gewesen und wie durch einen Winternebel, der Land und See einhüllt, plötzlich ein Windstoß fährt, der ihn zerreißt, daß die Sonne ihren hellen Glanz strahlend ausgießen kann, so standen die Begebnisse meines Lebens vor mir und bildeten eine Kette von Bildern und Gestalten, welche langsam an mir vorüberzogen.
Ich hatte mich in meinen Stuhl gesetzt. Ach, dieser alte, treue Gefährte mit seinen breiten In der Vorlage: »bereiten«. Backen und seinem schwarzen verschabten Leder, er schickte mir vielleicht diese Erinnerungen; denn er allein hat mich gekannt und mich begleitet in guten wie in bösen Tagen. Er weiß Manches von mir, was keiner sonst weiß und was ich in Freude und Leid erfahren, hat er gesehen und gehört: meine Seufzer, meine Zweifel, mein frohes Leben und meine Thränen. –
Wenn ich todt sein werde, wird das Unglück auch über ihn kommen. Niemand wird ihn mehr beachten, Niemand seine Augen mit Wohlgefallen auf ihn heften, denn er ist alt und garstig. Sie werden ihn nehmen, ihn zerschlagen und verbrennen und er muß es geschehen lassen. Könnte er sprechen, ihnen die Geschichte seines Lebens erzählen, die Geschichte seines alten Herrn, dem er treu gedient, sie würden vielleicht mitleidiger sein. Doch nein. Was sollten sie mit ihm? Was könnte er nützen? –
Nur was nützen kann, hat Werth für die Menschen, und wir beide sind unnütz geworden, alter guter Freund, für uns bleibt nichts mehr als der Tod mit seinem Frieden und seiner Vergessenheit.
Das dachte ich, als ich in dem Stuhle saß und mir fiel ein, daß am vergangenen Tage mein Nachbar gestorben war, drüben auf dem Schlosse am See, der Baron von Hartenstein, ein Mann, der an zwanzig Jahre jünger, als ich, noch vor einer Woche hier vorüberritt; ein stolzer großer Herr, von mächtigen Gaben. Er hatte von jung auf dem Staate in vielen Geschäften gedient, war als Gesandter durch die halbe Welt geschickt worden, galt als fein und erfahren in Allem was er that, bis er vor zwei Jahren sich auf sein Schloß zurückzog, weil man ihm ich weiß nicht was vorwarf, oder weil er nicht mehr geschickt genug gewesen war.
Als er hier vorüber ritt, ich in der Laube vor der Thüre saß und mein schwarzes Käppchen abnahm, hielt er still und fragte mich, wie es gehe?
Es geht mir gut, mein lieber Herr Baron, sagte ich. Möge Gott allen seinen Kindern so gnädig sein wie mir.
Wie alt sind Sie denn jetzt, Herr Pastor? fragte er.
Achtundsiebzig gewesen, antwortete ich freudig, doch immer noch ein warmes Herz.
Ihre Frau ist todt? fuhr er fort.
Seit einem Jahre, antwortete ich. Wir haben beinahe ein halbes Jahrhundert zusammen verlebt, da hat sie mich verlassen.
Leiden Sie nicht in Ihrer Einsamkeit?
Ich leide wie es Menschen bestimmt ist, erwiederte ich, aber ich denke an die, welche mein Herr und Schöpfer abgerufen, um mich zu erwarten und bin getröstet.
Ihre Augen scheinen schwach zu werden, sagte er mitleidig.
Meine Augen sind schwach, war meine Antwort, aber ich bin ein hochbetagter Greis, es kann nicht anders sein. Gottes Güte ist so groß für mich, daß ich weit glücklicher bin, denn Viele. Ich kann noch immer gut sehen, selbst schreiben und lesen; Blumen, Bäume und Himmel sind mir so klar wie in meiner Jugend.
Kinder besitzen Sie nicht? fragte er weiter.
Nein, sagte ich. Ich hatte einen einzigen Sohn, ein liebes, schönes Kind, der ist mir früh gestorben.
Und jetzt – jetzt sind Sie ganz allein?
Allein mit meiner Gemeinde, erwiederte ich lächelnd, die es sehr gut mit ihrem alten Pastor meint. Mein kleines Hauswesen bestellt die Tochter des verstorbenen Schulmeisters, Marie, ein gutgeartetes Mädchen.
Haben Sie keine Verwandten? fragte er dann.
Keine, sagte ich lächelnd, die nach mir ihre Hände ausstreckten.
Er murmelte etwas wie: ich weiß, ich weiß! dann fuhr er laut fort:
Aber bei Ihrem hohen Alter muß Ihr Amt Ihnen lästig und beschwerlich werden. Sie sollten den Abend Ihres Lebens in wohlverdienter Ruhe zubringen.
Meine Arbeit ist meine Ruhe, antwortete ich, mein Frieden liegt in Dem, was Gott mir gewährt hat.
So viel Einfluß, unterbrach er mich, und in seiner Stimme lag eine bittere Schärfe, würde ich vielleicht noch haben, um Ihnen nützlich sein zu können.
Dank Ihnen, Dank, mein bester Herr Baron, sagte ich, mein Käppchen lüftend, schenken Sie Ihre Fürsprache den Armen und Bedrückten. Ich bin ein reicher und gesegneter Mann, denn ich besitze mehr als ich brauche, und habe keinen Wunsch noch auf dieser Erde, den mein Vater im Himmel mir nicht erfüllt hätte. Ich fühle mich noch kräftig und kenne Niemanden, der mich haßt. Unter meinen Blumen und Bäumen kann ich jeden Tag mich freuen. Die Kinder kommen zu mir und lieben mich, in welches Haus ich trete, ich bin willkommen. Seit funfzig Jahren wohne ich nun hier; meine Welt hat dies kleine Dach umschlossen und kein Ehrgeiz, kein stürmischer Wunsch hat mich je daraus vertrieben. Alles was dunkel war, hat der Herr hell gemacht. Alles was er mir auferlegt, hat er mir tragen helfen. Frieden ist in mir, meine Hoffnung ruht auf ihm.
Der Baron reichte mir seine Hand, diese zitterte leise.
Leben Sie wohl, mein lieber Pastor, sagte er. Sie sind glücklich, denn Sie haben keinen Wunsch!
Er ritt davon und ich habe ihn nicht wieder gesehen. Sein Gesicht sah kalt und düster aus, vergebens schien die warme Frühlingssonne darauf. Der Kummer unbefriedigten Ehrgeizes, getäuschter Hoffnungen, zerstörter Träume von Hoheit und Macht nagte an ihm und jetzt ist er todt. – Ach, die Menschen, die Menschen! sie jagen nach Glück und opfern dem grausamen Götzen ihre beste Habe vergebens.
Ich trat an's Fenster und sah über den See fort, wo das Schloß jenseits aus den waldigen Hügeln ragt. Deutlich konnte ich die große schwarze Fahne erkennen, welche von dem Thürme weht. Dann kam Marie herein, die mit dem Verwalter gesprochen hatte, und ich erfuhr allerlei Neues.
Der Baron hat eine große Familie, aber wenig Vermögen hinterlassen; seine Güter sind schwer verschuldet, er war kein besonderer Wirth und hat bei seinem glänzenden Leben in fremden Ländern viel verbraucht, weit mehr als er eingenommen. Das ganze Geschlecht ist immer ein stolzes und hochfahrendes gewesen; ach, wie war nicht der, den ich gekannt habe! Nichts achtend, verschwenderisch und wilden Sinnes! Friede den Todten, ja Friede den Todten! Wenn es wahr ist, daß es schlecht im Schlosse dort steht, werden die Lebendigen die Sünden ihrer Väter zu tragen haben.
Noch Eines hat der Verwalter mir selbst erzählt. In der Nacht sind ein Paar Herren aus der Residenz gekommen mit Vollmacht der Regierung, die Papiere des Verstorbenen zu durchsuchen und zu versiegeln. Man besorgt, daß er Memoiren geschrieben habe, und fürchtet vielleicht, daß sein Unmuth ihn verleitete, allerlei, was Geheimniß bleiben soll, darin auszuplaudern. So will man denn, wie der Verwalter sagt, die Hand darauf legen, damit nichts in die Oeffentlichkeit kommt und die Menschen sehen, wie es die großen Herren treiben.
Es wäre aber schade, meinte der Verwalter, wenn so etwas im geheimen Archiv vermoderte; der Baron sei jedoch so klug gewesen wie Einer, und wenn er wirklich Memoiren geschrieben, wie er öfter gedroht, so würde er auch dafür gesorgt haben, daß sie am guten Orte wären.
Als er fort war, setzte Marie meinen Stuhl unter den Birnbaum im Garten, brachte meine Pfeife, die Zeitungen von letzter Woche und mein großes Augenglas. Dann legte sie auch die Bücher auf den Tisch, welche aus der Stadt mitgekommen waren und holte mir eine Tasse voll kräftiger Brühe. Ich versuchte Alles, allein meine Gedanken waren zerstreut; ich lehnte mich in den Stuhl zurück, blies den Rauch in die Luft und sah nachdenkend immer wieder über den See nach der großen Trauerfahne auf dem Thurm.
Der Tod war dort als ein unerwarteter Gast gekommen. Am Abend war der Baron ungewöhnlich heiter gewesen, am Morgen hatte man ihn kalt in seinem Bette gefunden Ich blickte hinauf in den blauen Himmel, an dem kein einziges Wölkchen hing, dann dankend durch das Geblätter meines guten alten Baumes in die wärmende belebende Sonne und leise lächelnd sah ich meine Hände an und prüfte deren Biegsamkeit. Weiß ich denn, ob nicht vielleicht morgen schon, wenn Marie an meine Kammer klopft, Alles darin schweigt? Weiß ich denn, ob diese langsame Hand nicht in wenigen Stunden schon erstarrt ist?
Ich senkte meinen Kopf und dachte wieder an den Baron. Er hat die Begebnisse seines Lebens aufgezeichnet, damit hat er sich beschäftigt. Ganze Kisten Briefe und Papiere haben die beiden Commissaire unter Siegel gelegt und eingepackt; mitten in seinen Arbeiten hat ihn der Tod fortgenommen, aber die Leute bedauern dies als einen wichtigen Verlust, und der junge Verwalter Heinrich sagte mit seiner Jugendlebendigkeit:
»Eigentlich sollte jeder Mensch eine Lebensbeschreibung hinterlassen. Gedruckt brauchte das Meiste nicht zu werden und weit herum bekannt auch nicht; allein Jeder erlebt doch wohl Einiges, was seinen Nachkommen und seinen Freunden wichtig oder anziehend ist und in solcher Nachlassenschaft eines Todten spiegeln sich auch Sitten, Zustände und mancherlei menschliches Leben und Treiben ab, dessen Niemand weiter gedenkt. Wir würden eine ganz andere Kenntniß von dem Leben unserer Vorfahren haben, wenn die Leute aus dem Volke Memoiren schrieben, nicht blos einzelne große Herren. Sogar die Geschichtsschreiber könnten Mancherlei dabei gewinnen.«
Ich lächelte, als mir nun einfiel, ich könnte damit den Anfang machen, denn was der junge Mann sagte, hatte etwas Verständiges; allein wem sollte ich die Aufzeichnungen über mein stilles Dasein hinterlassen? Ich, der ich keine Kinder habe, die das lesen und dabei denken können, dies ist das Lebensbuch meines Vaters oder Großvaters, der ich auch keine Verwandten habe, welche sich daran zu erfreuen vermöchten, wer soll diese wenigen Blätter beachten und aufheben, welche das Schicksal eines armen kleinen Häuschens und des dürftigen Greises, der es bewohnt, enthalten?
Doch wenn überhaupt Wahrheit in den Bemerkungen meines jungen Freundes liegt, daß es gut und nützlich sei, wenn auch das bescheidene Leben seine Freuden und Leiden aufzeichne und hinterlasse, warum soll ich dann nicht den Versuch wagen und meine Nachbarn, die Kinder meiner Gemeinde und meinen jungen Rathgeber selbst zum Erben einsetzen? O, diese Erbschaft wird unangefochten bleiben; keine Regierung wird Jagd darauf machen, Niemand wird sie gefährlich finden und kein geheimes Archiv sich für sie aufthun.
Der Gedanke, meine Lebensgeschichte zu schreiben, wurde nach und nach so stark in mir, daß ich über die Heftigkeit endlich selbst erstaunt war, mit der ich wiederholt nach meiner guten Marie rief, welche nicht sogleich hörte. Es war mir, als hätte ich keine Zeit zu verlieren und dürfte ich keinen Tag länger säumen, wenn ich mein Vorhaben ausführen wolle. Die wehende schwarze Fahne schien gegen mich hergetrieben zu werden, ich glaubte, einen dunklen Arm zu sehen, der sich über den See nach mir ausstreckte. Und wenn er mich ergriffe und mein Herz darunter still stände, sagte ich lächelnd, wäre dann meine ganze Geschichte nicht in diesem weißen Haar und in diesen Falten zu lesen? Ein armer Greis, den sie hinaustragen und seine Thür zuschließen, ein Dorfpfarrer, dem die kleine Gemeinde weinend folgt, an dessen schmucklosem Sarg die Kinder knien und dem die Alten zitternd nachrufen: Er war unser Freund! Ist das nicht genug Geschichte? –
Doch nein, nein, fuhr ich fort, es ist doch Einiges in meinem Leben, das, wenn sie es lesen, belehren, aufrichten und Vertrauen geben kann, doch Einiges, wobei sie meiner mit neuer Liebe gedenken werden. Und ich richtete mich auf und rief nochmals:
Marie, komm her! Komm her, gute Marie!
Dies Mal hatte sie meinen Ruf gehört. Sie kam aus der Küche, trocknete sich die Hände an ihrer Schürze und sah ganz erschrocken aus.
Ach, lieber Herr Prediger, was ist denn geschehen? fragte sie. Soll ich den Doctor holen? Er ist eben hier vorüber auf's Gut gefahren.
Nichts ist geschehen und nichts sollst Du holen, sagte ich, als Papier und das Schreibzeug von meinem Pulte.
Sie sah mich an, als begriffe sie es nicht.
Hole es nur, fuhr ich vergnügt fort, es soll Dein Schaden nicht sein.
Lieber Herr Prediger, stotterte sie und die Thränen schossen in ihre hellen blauen Augen, Sie werden doch nicht – ach nein, ach nein!
Ich wußte, was sie meinte; sie meinte ich wollte meinen letzten Willen aufschreiben, wie es gehalten werden sollte bei meinem Begräbniß, und ich streckte meine Hand nach ihr aus und drückte sie.
Nicht doch, meine gute Marie, sagte ich, mit dem Sterben hat es noch Zeit und was dann geschehen soll, ist längst geschrieben und besiegelt. Ich will noch leben, mein Kind, aber ich will Dir hinterlassen, was ich erlebt habe, Dir und Heinrich, dem jungen Verwalter.
Sie wurde blutroth, wie ich das sprach und ließ den Kopf ein wenig sinken.
Ja, so soll es geschehen, fuhr ich fort. Jeden Abend will ich Dir vorlesen, was ich geschrieben und wenn er zuhören will, soll er auch kommen, das kannst Du ihm sagen. Jetzt hole mir das Schreibzeug.
Sie sagte kein Wort mehr, lief eilig davon, brachte was ich verlangte und ließ mich allein. Ich nahm die Feder und prüfte sie, dann nahm ich das Papier, sie hatte mir ein ganzes Buch gebracht.
Das ist ein gutes Zeichen, flüsterte ich mir lächelnd zu, sie möchte viel von mir hören, aber ich habe wenig zu geben.
Ich muß kurz sein, denn meine Hand zittert und die Buchstaben werden sehr groß und schief werden, die Feder Flecken machen: o, da ist schon einer! – Gleich beim Anfange ein großer mächtiger Fleck, fast wie ein Kreuz und schwarz wie das Grab. Das ist der Denkstein, den ich mir selbst setze. – So will ich denn beginnen:
In einem kleinen Städtchen wurde ich geboren, es liegt wenige Stunden von hier und heißt Daber.
Mein Vater war aus dem Reiche bei Bamberg zu Haus. Preußische Werber hatten ihn aufgegriffen, wie er als Schuhmacher wanderte, sie brachten ihn gebunden zu einem Regiment des großen Königs, da mußte er den ganzen siebenjährigen Krieg mitmachen und wußte viel davon zu erzählen. Sein Hauptmann war ein Herr von Winning und sein Lieutenant ein Herr von Daber, dem er das Leben gerettet hatte in der Torgauer Schlacht. Diese beiden Herren blieben ihm gewogen, und als der Krieg ein Ende nahm, wurde mein Vater Sponton-Unteroffizier und trug die Regimentsfahne, worauf er bis an sein Lebensende sehr stolz war.
Er hatte aber drei Finger von seiner linken Hand verloren und einen Schuß durch sein rechtes Bein erhalten, das ihm zuweilen viele Schmerzen machte. Der große König gab seinen alten Soldaten, wenn es nicht mehr mit ihnen gehen wollte, gewöhnlich nichts weiter als den sogenannten Gnadenthaler; meinem Vater stand daher eine traurige Zukunft bevor; allein der Herr von Daher nahm sich seiner an.
Dieser Herr verließ den Kriegsdienst und ging auf seine Güter, wozu auch das Amt Daher gehörte, denn sein Vater hatte das Zeitliche gesegnet. Er nahm meinen Vater mit und machte ihn zum Schulmeister, indem er ihm zugleich befahl, die Wittwe des verstorbenen Schulmeisters zu heirathen, damit er dieser nicht noch ein Gedinge zu entrichten habe.
Mein Vater hatte im Regiment Schreiberdienste gethan, war also der Feder gewachsen, wie man es nannte, konnte lesen und rechnen, besaß somit weit mehr Kenntnisse, als die meisten Schulmeister jener Zeit, die gewöhnlich aus den invaliden Corporalen gemacht wurden, wenn sie nur lesen konnten, denn die Schreibekunst wurde damals auf dem Lande nicht gelehrt.
Mein Vater heirathete meine Mutter, weil sein gnädiger Herr es so wollte, aber er kam dadurch auch in ein eingerichtetes Häuschen und meine Mutter war noch keine alte Frau und von gutem Ansehen. Sie lebten in Frieden und vier Jahre nach ihrer Hochzeit wurde ich geboren. Der gnädige Herr von Daher stand Gevatter und versprach, für mich zu sorgen.
Mit dieser Sorge war es jedenfalls so gemeint, daß ich wie mein Vater Soldat werden und endlich einmal in meines Vaters Posten einrücken sollte. Mein Vater ärgerte sich daher zumeist darüber, daß ich nicht recht wachsen wollte und ein schwächliches, etwas bleiches und schüchternes Kind blieb; meine arme Mutter aber schloß mich, wenn wir allein waren und er gescholten hatte, um so zärtlicher in ihre Arme, küßte mich, streichelte mein Haar und sagte mit bittenden Blicken nach oben:
»Gott sei Dank, er wird nicht Soldat werden müssen. Er wird zu klein bleiben, sie werden ihn nicht brauchen können. O, Gott sei Dank! Gott Preis und Dank!«
Sie hatte einen tiefen Widerwillen vor den Soldaten und ihrem Wesen, und hatte doch einen alten Soldaten zum Manne nehmen müssen, weil der gnädige Herr es so wollte, was sie sonst wohl nimmer gethan haben würde. Doch mein Vater behandelte sie meist gut, denn sie war mild und verständig in allen Dingen und hatte ein frommes, weiches Gemüth.
Den Widerwillen gegen das Soldatenwesen hatte ich von ihr geerbt. Jedes Mal, wenn mein Vater davon sprach, daß, wenn ich nur wachsen wollte, ich unter die Grenadiergarde kommen könnte, die jetzt der Oberst von Winning commandirte, zitterte ich wie ein Espenlaub; wenn er von den blutigen Schlachten und Stürmen erzählte, in denen er gefochten, schlich ich mich fort, denn ich sah die Todten und die Sterbenden und wenn ich Abends in meinem Bette lag, betete ich inbrünstig zu dem Allmächtigen, mich doch ja nicht wachsen zu lassen.
In der Schule war ich fleißig, fleißiger, als mein Vater es wünschte, der lieber gesehen hatte, daß ich der Erste bei den Spielen und Gefechten meiner Mitschüler gewesen wäre. Ich hatte jedoch keine Neigung dafür, hielt mich meist allein und mein liebstes Vergnügen war, in der Ruine des alten Ritterschlosses zu sitzen, das dicht bei der Stadt an dem kleinen See liegt. Hier hatten die alten Barone von Daher gehaust und oft selbst den Herzögen des Landes getrotzt; jetzt wohnte die Herrschaft eine Stunde von uns auf einem großen Landsitze, der ihnen besser behagte, als das kleine düstere und verfallene Haus ihrer Väter; nichts Schöneres aber wußte ich in der Welt, als zwischen dem alten Gemäuer umherzukriechen, bis auf den hohen Thurm und dort mich niederzusetzen, um über das weite Land mit seinen Wäldern, Seen und Dörfern zu schauen.
Oftmals haben sie mich dort gesucht und gefunden. Der Vater schalt und drohte, die Mutter aber sagte zu den Nachbarn:
»Mein Friedrich ist doch ein absonderliches Kind«, und wenn die guten Frauen, ihre Freundinnen, dazu nickten und meinten, so sei kein anderes und in mir stecke Etwas, dann wurde sie stolz und froh.
Mein Vater hatte, wie alle Schullehrer in kleinen Orten, auch das Küster- und Kirchendiener-Amt und hierdurch kamen wir in allerlei Beziehungen zu dem Prediger, der mein Wohlthäter wurde. Es war ein alter, sehr ehrwürdiger Mann, der mich lieb gewann, und da er den Söhnen des Bürgermeisters und des Richters Unterricht ertheilte, kam es dahin, daß ich Theil nehmen durfte. Das war die erste Stufe zur Laufbahn meines Lebens.
Ich lernte mit Eifer und wurde sein bester Schüler, denn es war ein Drang nach Wissen in mir, der trieb mich vorwärts, und der alte Prediger schloß mir die heiligen Bücher und Schriften auf, welche Römer und Griechen uns hinterlassen haben. Je mehr ich diese Schätze kennen lernte, um so mehr wurde ich zu ihnen hingezogen.
Ehe Dies jedoch geschah, kam etwas vor, was noch entscheidender für mich war. Der gütige Greis, dem ich so Vieles dankte, war mir ein Vorbild geworden, das ich mit der ganzen Innigkeit meines kindlichen Herzens verehrte. Er war arm, denn sein Amt brachte wenig ein, dennoch aber lebte er im Ueberfluß, denn seine Bedürfnisse waren gering, und kein Bittender ging je ohne Trost von seiner Thür. Sein Körper wurde von mancherlei Schmerzen gequält, allein sein Geist blieb ungebeugt, und wenn er Sonntags seine schwache Stimme von der Kanzel erhob, wurde sie voll und mächtig, und sein Angesicht leuchtete von Güte und Menschenliebe; sein Auge blitzte freudig durch den starken Glauben, der seine Seele füllte. –
An diesem Mann hing meine Mutter mit inbrünstiger Demuth wie an dem Gerechten des Herrn; mein Vater aber mochte ihn nicht leiden. Erstens, sagte er, macht er einen Kopfhänger aus dem Burschen, zweitens ist der alte Schwarzrock ein Feind meines gnädigen Herrn, drittens ist er um dessentwegen auch mein Feind.
Der Pastor hatte gegen den Herrn von Daher die Rechte armer Leute aus seiner Gemeinde mehr als einmal muthig vertreten, denn der Freiherr achtete nicht viel anderer Menschen Eigenthum und Willen, wenn sein Wille ihnen entgegenstand. Der alte, gebückte Mann fürchtete ihn jedoch nicht, er drang mit seinen Klagen bis an die Regierung, ja bis an den König selbst und hatte bewirkt, daß wegen barbarischer Mißhandlungen und schweren Unrechts der stolze Edelmann wenigstens zur Geldbuße gezwungen wurde. Das konnte dieser ihm nicht vergeben.
Mein Vater bestand darauf, daß ich nicht mehr zu dem Räsonneur in's Haus sollte, trotz dessen, daß er Küster und Untergebener des Pastors war, denn er hing bis zum letzten Hauche an seinem Herrn, dem Baron, mit Leib und Seele; und wer weiß, was geschehen mochte, wäre es nicht unerwartet mit ihm zu Ende gegangen. Er starb wenige Tage darauf, wo der Herr von Daher ihm befohlen hatte, mich zu einem Schneider in die Lehre zu thun, damit ich als Soldat in der Compagnieschneiderei arbeiten und wenn ich Invalide und Schulmeister sei, mein Handwerk nebenbei treiben könne.
Den verdammten weißhaarigen Schwarzrock schmeiß zur Thüre hinaus, wenn er Dir im Hause umherschnüffelt, ich will's verantworten, sagte er zu meinem Vater. Marsch mit dem Jungen da, daß er Rock und Hosen flicken lerne und stopfe dem heulenden, alten Weibe den Mund; bist ein tapferer Soldat gewesen, laß sie Dir nicht über den Kopf wachsen.
Meinem Vater durfte das kaum noch gesagt werden, um ihn in Wuth zu versetzen. Er redete mit dem Stadtschneider meine Lehrzeit ab, schlug dann auf den Tisch, daß das Licht zu Boden stürzte, schwor und fluchte, und stieß meine Mutter von sich an die Wand. Es war das einzige Mal, daß er seine Hand gegen sie erhob, auch hat er es sehr bereut, als er Tags darauf auf seinem Bett lag, aber geändert hatte sich sein Sinn nicht. Er starb an einer gichtischen Lähmung der edlen Organe, denn an Gicht litt er viel, und wahrscheinlich hatte er sich an jenem Abend zu sehr im Zorn erhitzt und hatte dann viel getrunken.
Als er den Tod fühlte, ließ er sich seine alte Uniform anziehen, die Grenadiermütze wurde ihm auf seinen Kopf gesetzt, so wollte er begraben sein. Zu meiner Mutter bitterster Qual schwur er, keinen Schwarzrock sehen zu wollen und lachte grimmig auf, als sie ihm weinend sagte, daß er ja selbst ein Kirchenmann sei, und daß er an Gott denken solle.
Als Grenadier habe ich gelebt, als Grenadier will ich sterben, rief er und seine gebrochene Stimme meine ich noch zu hören. In Euren Himmel will ich nicht, den behaltet für Euch; ich gehe auf die grüne Wiese, wo die Trompeten blasen.
Er richtete seine gläsernen Augen auf mich und streckte seine Hand aus.
Her mit Deiner Hand, Fritz, gurgelte er mühsam, versprich mir, daß Du Deinem Könige dienen willst.
Ich versprach es ihm zitternd. Er konnte kaum mehr den Mund öffnen, aber er sah mich stier und schrecklich an und hob seinen Zeigefinger drohend auf.
O Wenzel, schrie meine arme Mutter auf, indem sie weinend an seinem Lager niederknieete, bete, bete zu Deinem Heiland! –
Da öffnete er noch einmal die Lippen und versuchte zu singen; aber was er sang, war das Siegeslied von der Prager Schlacht. Als er die erste Zeile hervorgestoßen hatte, fiel er zurück und war todt.
Ich lag zitternd neben meiner Mutter, die mich in ihren Armen hielt. Doch wie erschrocken und entsetzt, voll Trauer und Thränen auch mein kleines Herz war, mitten durch alles Weh brach der Gedanke wie Sonnenlicht: »Jetzt brauchst Du kein Schneider zu werden!«
Und so war es auch. Als mein Vater begraben lag, kam der Herr von Daher und sprach mit meiner Mutter.
Höre Sie, sagte er mit seiner rauhen harten Stimme, jetzt ist Sie zu alt, um noch einmal den neuen Schulmeister zu heirathen, das kann ich keinem Christenmenschen mehr zumuthen. Obenein will ich die Stelle jetzt meinem alten Johann geben. Der kommt im Stalle nicht mehr recht fort und ein Weib hat er schon am Halse. Für Sie will ich also weiter sorgen, um Ihr durchzuhelfen, da Sie einmal in der Welt ist; aber den Jungen da bringt Sie morgen zum Schneider, da kann er sich loslernen.
Ach, gnädigster Herr Baron, sagte meine arme Mutter zitternd, es ist mein einziges Kind; ich habe sonst keine Freude auf Erden, und Schneider möchte er nicht werden, und ich möchte es auch nicht.
Der starkknochige große Herr sah noch grimmiger aus, wie sonst.
Sie ist ein albernes Weib, herrschte er meine Mutter an; doch meinetwegen, so will ich an meinen Vetter, den General schreiben, der kann ihn als Trommelschläger in's Regiment stecken.
O, gnädigster gütigster Baron! rief meine Mutter, die ihre Arme um meinen Kopf legte, ich möchte ihn nicht von mir lassen.
Will Sie ihn sich einsalzen, lachte er auf. Was will Sie denn aus ihm machen?
Meine Mutter faltete ihre Hände auf meinem Kopfe zusammen und sagte mit leiser Stimme:
Einen Prediger.
Die Minute, welche dieser Antwort folgte, ist mir deutlich erinnerlich und oft in meinem Leben hat sie sich mir dargestellt. Der Baron war ein riesig großer Mann, noch im besten Mannesalter. Er trug, wie es bei Herren seiner Art Sitte war, hohe Stulpstiefel mit Sporen, gelbe, kurze Beinkleider von Leder und einen grünen, mit Goldtressen besetzten Rock, der einen hohen Stehkragen hatte. Auf seinem weißgepuderten Kopfe saß ein dreieckiger Hut, die langen Spitzen nach seinen beiden Schultern gerichtet, die Agraffe von Goldlitzen mitten auf der Stirn. In der Hand hielt er eine dicke Reitpeitsche, an deren Ende sich ein starker Metallknopf befand.
Als er die Antwort meiner Mutter hörte, beugte er sich vorn über und sah ihr in's Gesicht. Er war ein stattlicher Herr, aber er sah aus, als wolle er etwas Uebles thun. Seine Augen funkelten voll Verachtung und in seinen rohen, unbeweglichen Zügen lag der gewaltthätige Zorn, vor dem sich Alle fürchteten, die in seine Nähe kamen.
Einen Prediger? fragte er. Den Jungen da? Wer hat Ihr das in den Kopf gesetzt, altes Weib? Sie ist toll!
Meine Mutter schwieg.
Wer hat Ihr die Dummheit in den Kopf gesetzt? schrie er noch einmal mit seiner Donnerstimme, und zugleich richtete er sich auf; er hatte Augen wie Feuer und ich sah, wie er die Peitsche in seiner Hand aufhob.
Es ist Gottes Wille, flüsterte meine Mutter.
Aber mein Wille ist es, daß der Junge Schneider wird, fiel er ein, und mein Wille soll geschehen. Gleich auf der Stelle führt Sie ihn zu dem Meister hin.
Ach, mein gnädiger Herr Baron, sagte die alte Frau weinend, erbarmen Sie Sich doch, ich habe es gelobt.
Was hat Sie gelobt? Wem hat Sie es gelobt? rief er. Dem Schwarzrock etwa, dem alten Heuchler? Will Sie ihm den Jungen verkaufen?
Ich habe es Gott dem Herrn gelobt, sagte meine arme Mutter zitternd.
Der Teufel soll Sie dafür holen! schrie er auf. Marsch mit dem Schlingel, ein nützlicher Mensch soll aus ihm werden, kein Betbruder, kein Pfaffe! Marsch, sage ich! Will Sie gehorchen?
Es geht nicht an, gnädigster Herr, nein, es geht nicht an! antwortete meine Mutter mit mehr Muth, als ich erwartet hatte, denn ich war halb todt vor Angst und hielt mich krampfhaft an ihrem Arme fest. Der Herr Prediger ist sein Vormund geworden, ich kann es nicht thun.
Sie will nicht gehorchen? fragte er in einer Wuth, daß ich seine Augen wie bei einem Raubthiere funkeln sah.
Meine Mutter hob ihre Hände zu ihm auf. In dem Augenblicke faßte er seine schwere Peitsche verkehrt und schlug nach ihr. Ich sah, wie er ausholte und hielt meinen Arm vor ihr in die Höhe. So kam es, daß der Schlag mich traf und der Metallknopf über meinen Ellenbogen fort hart auf meinen Kopf fiel. Mit einem Jammergeschrei stürzte ich nieder.
Allmächtiger Gott, o Gott! schrie meine Mutter. Mord! Mord! Mein Kind ist todt!
Sie beugte sich nieder; das Blut lief unter meinem Haar hervor. Mit einem neuen Angstschrei hob sie mich auf.
Der Baron stand bestürzt und er hätte vielleicht Reue gezeigt; aber die Angst meiner Mutter verwandelte sich in Verzweiflung. Ein Reisbesen stand an ihrem Bette, den ergriff sie, und ohne ihre Haube, die ihr abfiel, mit herunterhängendem Haar, unter dem Geschrei: mein Kind, mein Kind! Mörder! Mörder! drang sie auf den großen starken Mann ein, der sie sogleich entwaffnete und von sich schleuderte.
Bettelgesindel! sagte er dann, halb wüthend halb erstaunt über den unerhörten Angriff, aus dem Hause mit Euch! Ich will es Ihr gedenken.
Er ging sogleich fort und die Folgen blieben nicht aus. Wir wurden von dem Amtsvoigt noch an demselben Tage aus dem Hause geworfen. Zu einer Klage aber kam es nicht, denn der stolze Herr hätte eingestehen müssen, daß des Schulmeisters Weib ihm einen Besenhieb versetzt hatte; sein ganzes Verfahren war dabei von der Art, daß er sich schämen mußte, die Wahrheit zu gestehen, und lügen mochte er nicht, das lag nicht in seinem Wesen.
Der alte Pastor Stangenberg war nun unser einziger Helfer und Freund. Meine Mutter führte mich zu ihm, er hörte Alles an, besichtigte meine Wunde, welche nicht bedeutend war, tröstete uns und verschaffte uns eine Dachkammerwohnung in einem Nachbarhause. Ich sehe es noch, wie er meinen Kopf zwischen seine Hände nahm und sein ehrwürdiges Gesicht mir zulächelte.
Mein Kind, sagte er, Du lernst früh erkennen, wohin Gewalt und Unrecht die Menschen bringen. Präge Dir diesen Tag fest in Dein junges Herz und nimm Dir vor, besser und gerechter zu sein.
In die Flucht habe ich den bösen Feind aber doch geschlagen! rief meine Mutter triumphirend und Prediger soll mein Friedrich nun ganz gewiß werden, wenn Sie ihn nicht verlassen.
Sie sprachen weiter zusammen, und ich erfuhr dabei, wie fest meine Mutter in ihren Vorsätzen und in ihrem Glauben war. Zu damaliger Zeit war es das höchste Glück einer kleinbürgerlichen Familie, wenn eines ihrer Kinder die Kanzel besteigen konnte. Je weniger reiche Leute und Vornehme daran dachten, ihre Söhne der Kirche zuzuführen, je trübseliger es um Ansehen und Achtung für die armen Candidaten und kläglich besoldeten Pfarrer stand, je mehr man sie und die Schulmeister zu Gegenständen des Spottes und Gelächters machte, um so sehnsüchtiger dachten die Armen daran, daß es ihr Privilegium sei, Schule und Kanzel zu versorgen.
Die Kinder des Adels nahmen die Offizierstellen und die höchsten Aemter und Würden in Beschlag, sie lernten selten Etwas und studirten fast niemals, daher verachteten sie die Gelehrsamkeit. Die Kinder der Beamten und des höheren Bürgerstandes wurden Juristen, Cameralisten oder Mediziner; die Schulmeister und Prediger aber bildeten auch eine Kaste, die mit ihrer Nachkommenschaft sich in die vorhandenen Schulen und Pfarren theilten und diese von Geschlecht zu Geschlecht forterbten. In diese Kaste einzudringen, war für die Söhne der Kleinbürger am leichtesten. War es nur möglich, einen befähigten jungen Mann durch die Universitätsjahre zu bringen, hieß er nur erst Magister und hatte sein Candidaten-Examen abgelegt, so fand sich auch für ihn eine Stelle als Hauslehrer, und von dort aus war nur noch ein Sprung bis in das Pfarrhaus zu machen.
Die Gutsbesitzer waren damals überall auch die Kirchenpatrone, in ihrer Hand lag die Wahl des Geistlichen, die Gemeinden hatten gar keine Stimme, oder doch nur ein scheinbares Recht; denn wer hätte es gewagt, sich dem Willen der gnädigen Herrschaft zu widersetzen! Der demüthige Candidat konnte daher darauf rechnen, daß er nach mehr oder minder langjährigem Wohlverhalten, je nach seinem Glück und seiner Schmiegsamkeit, auch eine Pfarre erhalten werde, und dann war er versorgt, dann war er ein bestallter Diener des Herrn, dann brauchte er doch nicht wie ein Handwerker zu arbeiten und hatte jedenfalls ein besseres Loos, als dieser.
In den Mittelständen und in dem Landvolke lebte auch allein noch ein religiöses Gefühl der Achtung vor dem Priester. Aus den Palästen und Häusern der Großen und Reichen war dies entflohen, die Schwarzröcke wurden dort belacht und bewitzelt, nur in den Lehmhütten und unter niedern Dächern fand sich noch ein Theil jener frühern Verehrung, obwohl unter dem Drucke der Zustände jener Zeit sehr viele Pfarrer dafür sorgen halfen, daß es auch dort verschwände.
Bei alledem gab es jedoch manchen edlen, trefflichen Diener Gottes und der Menschen, manchen trostreichen Helfer in der Noth des Lebens und manch frommes Gemüth, das in dem geistlichen Freund einen Erwählten des Herrn sah. Die Frauen besonders blickten auf das schwarze Gewand mit Ehrfurcht und Liebe, und wenn sie Mütter waren und ihr Hauswesen zum Wohlstand sich neigte, gab es keinen schöneren Traum ihres Hochmuthes, als den, daß ihr Sohn es einst mit Ehren tragen möchte. Waren sie arm, so flehten sie mit Inbrunst um die Gnade, daß der Herr ihnen den Weg zeige, um ihr Kind so gesegnet zu sehen. Viele Familien, die Etwas erwarben und denen doch ihr liebster Wunsch versagt blieb, machten Stiftungen, damit einst ihre Enkel und Urenkel studiren könnten, und noch jetzt finden wir in den meisten derselben, daß wenn einer der Nachkommen sich der Theologie widmen will, ihm die größten Vortheile gewährt werden.
Meiner armen Mutter ging es eben so. Der heißeste Wunsch ihres Herzens war, mich in dem schwarzen Talar zu erblicken; ein Vorfall, der sich kurze Zeit vor meines Vaters zeitlichem Ende ereignete, hatte sie darin bestärkt. Sie suchte mich einstmals, ärgerlich über mein langes Ausbleiben, und fand mich in den Trümmern des Schlosses, an dem Platze, wo die Burgkapelle gestanden haben sollte, wo jetzt aber zwei mächtige Linden standen. Zwischen diesen hatte ich aus dem umherliegenden Gestein einen Altar gebaut und stand dort predigend vor einer Schaar halbnackter Buben und kleiner Mädchen, die meine andächtigen Zuhörer waren. Statt mich zu schelten, weinte die gute Frau Freudenthränen, bis sie mich endlich voll stolzer Zuversicht an ihre Brust drückte und mit stillem Triumph nach Hause führte.
Von diesem Tage an stand ihr Glaube fest, und auch jetzt machte sich dieser geltend, als unser Freund, der würdige Pastor, alle die Schwierigkeiten erwog, welche sich der Ausführung ihres Planes entgegenstellten.
Gott wird ihm helfen! Der Himmel wird für ihn sorgen! Der Herr, welcher die Lilien kleidet und dem jungen Raben sein Futter reicht, wird auch ihn nicht verlassen!
Das waren ihre Antworten, bis der Greis, ergriffen von ihrem inbrünstigen Vertrauen, seine Hände auf mein Haupt legte und mit edler Begeisterung ausrief:
Dein Glaube, Weib, wird Berge versetzen! – Segen, Segen über Dich, Du großmüthiges, tugendhaftes Herz!
Nun half er aus allen seinen Kräften, um meiner Mutter Wort zur Wahrheit zu machen; ja, er that für mich, was ein Vater nur vermag. Er nährte mich und kleidete mich, er unterrichtete mich, bat für mich bei den Rathsherren und bei den Wohlhabenden, bis es durch wirksame Vermittelungen gelang, daß ich eine Freistelle auf der gelehrten Schule in Stettin erhielt, wo ich, von meinen Lehrern belobt und begünstigt, rasch durch die oberen Klassen ging und endlich als Primus quisque der Selecta, zwanzig Jahre alt, das Zeugniß cum laudo zur Universität erhielt.
Bis hierher hatte ich einige Tage lang geschrieben, als gestern Abend, da es noch hell war, denn wir sind nun in der Johannisnähe, der junge Verwalter Heinrich vom Gute kam, sich zu uns setzte, den Schweiß von seiner Stirn trocknete, seine Pfeife anzündete und mit mir und Marien plauderte, die mit ihrem Nähzeug bei mir war.
Er mußte schon Etwas von dem wissen, was ich that, denn nach einiger Zeit brachte er wieder das Gespräch auf die geistige Hinterlassenschaft der Todten für die Lebendigen, und meinte, auch er wolle es einst so machen, wenn auch die Nachkommen nichts weiter daraus erführen, als wie die Getreidepreise zu seiner Zeit gestanden, und wie man Menschen und Vieh behandelt habe.
Dann lachte er und meinte, darauf käme ja überhaupt Alles an, und das hätte der Baron, da drüben im Schlosse, auch nur mit seinen Memoiren erreichen können, obwohl der eigentlich zeigen wollte, wie man ihn selbst behandelt habe. Die Commissarien hätten wenig gefunden, trotz allem Suchen. Ein geheimes Schubfach hätten sie freilich entdeckt, es sei jedoch Nichts darin gewesen, als eine Weste von gestreiftem Zeuge und ein schwarzer Halstuch, beide zerrissen und voller Flecke, die wie Blutflecken ausgesehen. Niemand wisse, was das zu bedeuten habe, und was der Baron damit gethan; auch die gnädige Frau wisse es nicht, die ganz erschrocken darüber sei.
Die Betrübniß sei überhaupt groß im Schlosse. Die Schulden seien groß, die Pension des Verstorbenen höre nun auf, und bekommen werde die Wittwe schwerlich noch Etwas, da der Baron so übel angeschrieben gewesen. Der hochmüthigen Frau aber könne es nicht schaden, Jedermann gönne es ihr, wenn sie gedemüthigt werde, denn nichts habe sie für gut genug gehalten und Niemand möge sie leiden.
Ich sagte nichts dazu, als Marie kräftig einfiel und einzelne Züge vom Stolze dieser armen, geschlagenen Dame erzählte, die auch mit dem umwohnenden Landadel wenig Gemeinschaft hielt, bürgerliche Familien aber gar nicht beachtete, und niemals mich der Ehre gewürdigt hatte, mich zu sehen oder zu sprechen. Sie ist aus hoher, reichsgräflicher Familie und hat stets nur mit den Stolzesten gelebt.
Das sagte ich endlich zu den Widersachern und bat sie, nicht so hart zu urtheilen.
Jetzt hat sie herben Kummer zu tragen, fügte ich hinzu, den herbsten, den Gott ihr schicken konnte. Schon als sie ihrem Manne hierher in diese Einsamkeit folgen mußte, war ihre Seele gewiß mit Bitterkeit über ihr Loos erfüllt. Der Glanz war von ihr abgefallen, die sie verehrten, kehrten sich von ihr, und ihre Tage mußten wohl dunkel genug sein, denn wie man sagt, liebte sie ihren Gatten nicht und ihre Ehe war keine glückliche. Sollten wir ihr nun noch größeren Kummer wünschen, oder uns über ihre Trübsal freuen? Beten wollen wir für sie, meine lieben Kinder, daß Trost über sie komme, und die Hand, welche auf ihr liegt, von ihr genommen werde.
Mein junger Freund lächelte Marien zu, die sich ein wenig zu schämen schien, dann strich er durch sein Haar und sprach mit seiner wackern Aufrichtigkeit:
Sie haben immer Recht, Herr Prediger, man soll nicht richten, und da am wenigsten, wo man nicht ehren und nicht gutheißen kann. Aber jetzt, fuhr er dann fort, jetzt, würdiger Herr, bitten wir Sie, Ihr Versprechen zu erfüllen und uns den Anfang Ihres Manuscriptes vorzulesen.
Ich weigerte mich nicht, sondern las ihnen vor, und sie hörten beifällig zu.
Soll ich es fortsetzen? fragte ich dann.
O, gewiß! riefen sie Beide, und ich sah es wohl, daß sie es herzlich meinten. So habe ich mich denn wieder unter den Birnbaum gesetzt, wohin Marie, ohne daß ich ein Wort gesagt, alles Nöthige gestellt hat, und werde weiter schreiben.
Ich studirte in Halle, wohin mich ein kleines Stipendium begleitete, das ich so glücklich war auf Fürsprache meines liebevollen Wohlthäters und unter Beihilfe seines Freundes, des Rectors, aus städtischen Mitteln zu erhalten. Es bestand aus fünfzig Thalern jährlich, die mir auf drei Jahre gesichert wurden.
Ich will nichts von dem Entzücken meiner armen Mutter sagen, nichts von ihren Thränen und Verheißungen, nichts von dem Abschiede, als ich sie und den edlen Greis verließ, dessen Segen mich begleitete. Als ich an der Thüre war, drückte er mir ein kleines Papier in die Hand, und schob dann rasch den Riegel vor. In dem Papiere lagen drei Goldstücke und dabei enthielt es die Verheißung, daß ich jährlich von ihm dasselbe zu erwarten habe. Ich küßte schweigend die verschlossene Pforte, hob noch einmal meine verdunkelten Augen und meine Hände zu seinem Fenster auf und entfernte mich.
In Halle ging es mir besser, als ich erwartet hatte. Der berühmte Eberhard Johann August Eberhard (1739–1809), protestantischer Theologe und Philosophieprofessor, gilt als der letzte Vertreter der Schulphilosophie Leibniz' und Wolffs. begünstigte mich so, daß ich Freitisch und einige Unterstützungen erhielt; Friedrich August Wolf Friedrich August Wolf (1759-1824), bedeutender deutscher Altphilologe und Altertumswissenschaftler. nahm mich in sein pädagogisches Institut auf, ich lernte und lebte still und bescheiden, gab auch einigen Unterricht in Familien und an Studenten, half mir ehrbar weiter, blieb jedoch ein wenig bekannter Schüler, denn es lag nicht in mir, hervorzutreten und um Ruhm und Ansehen zu ringen. Meine Wünsche erstreckten sich nur darauf, einst ein geringer Hirte zu sein, meine Gaben waren keine, um damit zu glänzen.
Ich war verlegen und furchtsam, meine Stimme war schwach, mein Körper wuchs mehr in die Breite, als in die Höhe, und mein Gesicht war kein von Gott so gesegnetes, daß es leicht Wohlgefallen bei den Menschen erweckte. Zur Stille und Zurückgezogenheit geneigt, arm, wie ich es war, an Demuth gewöhnt und in Unterwürfigkeit erzogen, blieb ich den Studentenkreisen eben so fern, wie allen anderen Bekanntschaften; namentlich mit dem weiblichen Geschlecht, dem ich mich schon aus Scheu nicht zu nähern wußte, dabei linkisch und unbeholfen erschien, konnte ich niemals in eine freundschaftliche Beziehung gerathen, was manchen Spott über mich brachte.
Meine innigste Freude und Erholung blieb es, wenn ich Briefe an meine Mutter und an ihn, dem ich Alles dankte, schreiben, diesen beiden geliebten Menschen meine ganze Seele ausschütten, ihnen von Allem, was ich that, Rechenschaft geben konnte. Dem verehrten Lehrer schrieb ich über die streitenden Parteien und über die Lehrbegriffe auf der Universität, über den Rationalismus und den Supernaturalismus, welche sich in ihren Richtungen auf das Bitterste bekämpften, über die Pietisten, welche damals, durch Wöllner's Johann Christoph Wöllner (1732-1800), preuß. Staatsmann. Er wurde 1788 zum Staats- und Justizminister und Chef des geistlichen Departements ernannt; in dieser Funktion versuchte er die lutherische Orthodoxie zur Herrschaft zu bringen und der Aufklärung durch Zwangsmaßregeln Einhalt zu thun, zu welchem Zweck das berüchtigte sogen. »Wöllnersche« Religionsedikt vom 9. Juli 1788 jede Abweichung von den Lehren der symbolischen Bücher mit bürgerlichen Strafen und Amtsentsetzung bedrohte. Regiment begünstigt, mit verdammender Macht auftraten und über meinen eigenen Standpunkt, der so weit ab von jeder Verfolgung lag.
Ach, mit welchem Entzücken empfing ich die Antworten des vortrefflichen Mannes; wie wohl that mir seine Liebe, wie begeisterte mich sein Lob! Und dann dachte ich mit verdoppelter Zärtlichkeit an meine arme Mutter, die nicht antworten konnte, denn sie verstand das Schreiben nicht; doch sie ließ meine Hoffnung, meine Zukunftsbilder von Glück und Frieden, meine Verheißungen für ihr Alter, meinen Trost, daß ich bald im Stande sein würde, für sie zu arbeiten und zu sorgen, mit ihren heißen Gebeten für mich und mit ihrem Segen belohnen.
So sah ich das Ende des dritten Jahres nahen und ich legte mein Magister-Examen und mein theologisches Candidaten-Examen ab, bestand mit Lob, und schrieb einen stolzen Brief. Es war verabredet worden, daß ich heimkehren sollte, um meinem greisen Freunde in seinem Amte beizustehen. Er hegte die Hoffnung, aus mir seinen Nachfolger zu machen, und ich zweifelte nicht daran. Endlich sollte der sehnsüchtige Wunsch meiner Mutter erfüllt werden, endlich sollte sie mich auf der Kanzel sehen. Dafür hatte sie gelebt, dafür gedacht und gelitten; aber nach Gottes allmächtigem Willen sollte ihre irdische Prüfung enden, als die Saaten ihrer Hoffnungen zu reifen begannen.
Als Antwort auf meinen Brief empfing ich aus der Rathsstube ein Schreiben, welches mir anzeigte, daß meine Mutter vor zehn Tagen gestorben sei, in Folge eines Nervenfiebers, daß sie sich bei der Pflege oder bei dem Begräbniß des Predigers Stangenberg zugezogen, der nach einem kurzen Krankenlager unerwartet am Schlagflusse sein Ende gefunden habe.
So stand ich denn plötzlich allein in der weiten Welt, vereinsamt und verlassen, zerstört alle meine Lebenshoffnungen, vernichtet alle meine Saaten. Mein Schmerz war so groß, mein Weh so voller Qual, daß ich meinte, es sei nicht zu tragen; aber der Herr in seiner Huld hat es so gefügt; daß, wer sich an ihm aufrichtet, dem reicht er die Hand, und giebt ihm Kraft und Stärke.
Ich ging hinaus an die Ufer der Saale, setzte mich einsam unter die Felsen, und blickte in meinem tiefen Jammer hinunter in den Strom und aufwärts in die Abendröthe. Eine Stimme rief in mir, dort unten löscht aller Schmerz aus; eine andere flüsterte in mein Ohr, bei ihm in seiner Höhe ist Hülfe! – Eine glühende Wolke beleuchtete meine Augen; es war mir, als sähe ich in ein strahlendes, göttliches Gesicht, und plötzlich füllte sich meine Seele mit Demuth und Vertrauen. Ich konnte meine Arme ausstrecken und niederknien, ich konnte inbrünstig weinend rufen: Herr, verlaß Dein Kind nicht!
Gestärkt kehrte ich zurück. Doch mein weicherer Schmerz führte mich bald zu Gewissenszweifeln, welche dann am leichtesten den Menschen anfallen, wenn seine Seele umhersucht, was sie verbrochen, daß Gottes Zorn gegen sie erwacht sei. In der Nacht sah ich im Traume meinen Vater, von dem ich niemals geträumt hatte. Ich sah ihn so, wie er auf seinem Todtenbette lag, in der Uniform mit den breiten, gelben Rabatten. Die Grenadiermütze hatte er auf seinem Kopfe, so stand er vor meinem Bette, sah mich an und hob den Finger gegen mich auf, gerade wie damals, wo er nicht mehr sprechen konnte. Jetzt aber konnte er sprechen, denn er beugte sich über mich hin, und wie er mich mit dem finstern Blicke betrachtete, den ich immer so sehr gefürchtet, sprach er:
»Fritz! Fritz Wenzel! Hast Du gehalten, was Du mir gelobt?«
Bei dem Namen flog ich im Bette auf, Grausen zog meine Haut zusammen und machte mich kalt. Es war seine Stimme gewesen, die mich geweckt hatte, so hart, so drohend, wie ich sie tausend Mal gehört, und als ich wild um mich schaute in die finstere Nacht, schlug die Kirchenuhr Eins.
Gott, mein Gott! schrie ich, strafst Du mich, weil ich mein Wort nicht gehalten? Entsetzlich, entsetzlich!
Ich schlief in dieser Nacht nicht mehr, ich brachte sie wachend und betend zu; doch als der Morgen kam, verscheuchte sein Licht den Gedanken nicht, daß der Allmächtige mich strafen wolle, weil ich meines Vaters Gebot nicht gehorcht habe. Ein eisiger Schauer schüttelte mich, als tief in mir mein Gewissen sprach:
Du mußt noch jetzt diesen Willen erfüllen, mußt thun, was Dein sterbender Erzeuger befahl, was Du in seine Hand gelobtest!
Den ganzen Tag über quälte ich mich damit, und in der folgenden Nacht wurde mein Zustand noch schrecklicher; denn als ich endlich eingeschlummert war, wurde ich wieder von der Stimme meines Vaters aufgeweckt, und wieder stand er an meinem Bette mit dem drohenden, stieren Gesicht und dem aufgehobenen Finger.
Ich will! schrie ich laut auf. Vater, ich will!
Und ich legte meine eiskalten Hände auf meine Brust und saß die langen Stunden über verzweifelnde Vorsätze brütend und in meiner Herzensangst sie von mir schleudernd.
Es war längst hell geworden, als meine Wirthin zu mir hereintrat. Zugleich hörte ich Trommelwirbel und Janitscharen-Musik vom Markt her.
Was ist das? fragte ich, denn die Musik bebte mir durch alle Nerven.
Das ist eine Soldatenparade, sagte sie. Wissen Sie denn nicht, daß ein neues Regiment vorgestern hier eingezogen ist? Der General Winning ist damit angekommen, und läßt es jetzt vorbeimarschiren.
Winning?! rief ich.
Ein Gottesurtheil war über mich ausgesprochen. Der General Winning war ja der Hauptmann meines Vaters gewesen, sein General, den er über Alles verehrte, dem er mich überliefern wollte. Todesblässe deckte sich auf mein Gesicht, ich fühlte den Schweiß von meiner Stirn tropfen und wie ich nach Athem rang. Gott hatte diesen Mann gesandt, damit sich an mir sein Gebot erfülle; Gott wollte mein Opfer haben, diese furchtbare Gewißheit ergriff mich mit ihrer Klarheit.
Sie sind wohl krank? fragte, mich die gute Frau besorgt.
Nein, nein! schrie ich aufspringend, ich bin nicht krank, und ich eilte, mich anzukleiden, um den General aufzusuchen. Plötzlich kam ein Trost über mich, ein tiefer, göttlicher Trost. Hat Abraham nicht seinen Sohn opfern wollen und der Herr ihm nicht den rettenden Widder gesandt? sprach eine Stimme in mir.
Ich will den General aufsuchen, ich will ihm Alles sagen; er soll entscheiden, Gottes Mund wird aus ihm sprechen.
So ging ich auf den Markt, wo die Parade inzwischen ein Ende genommen und die Menschen, welche zugeschaut, sich verliefen. Eine Menge Offiziere und Unteroffiziere stand aber dort noch beisammen und in ihrer Mitte ein alter kleiner dicker Herr, Goldschnüre auf den Schultern und ein breites rothes Gesicht darüber mit borstigen, weißen Augenbrauen.
Es wurde ein Rekrut vorgeführt, ein schmucker Bursch mit kecken Mienen. Er hatte sich anwerben lassen, der General stand vor ihm, nickte ihm zu und lachte. Plötzlich aber schrie er mit seiner krähenden Stimme:
Unteroffizier, hierher! Zähle er dem Rekruten ein halbes Dutzend auf.
Der stämmige Unteroffizier stellte sich neben den Rekruten, der nicht wußte, ob es Spaß oder Ernst sei, denn er sah verlegen umher und lächelte.
Stock los! schrie der General. Mach er fort!
Ach, gnädiger Herr General, jammerte nun der Bursche; aber die Hiebe fielen schon. Er wand sich bittend, während die Offiziere lachten.
Ach, lieber Gott! wimmerte der arme Mensch in seinen Schmerzen, ich habe ja nichts gethan.
Siehst Du, Du Schelm! schrie der General von Winning, Du hast nichts gethan und kriegst Hiebe, jetzt stelle Dir vor, wie es Dir ergehen wird, wenn Du Etwas thust, und nimm Dich in Acht. Marsch mit Dir!
Ich kann das Entsetzen nicht beschreiben, das mich bei diesem Anblicke ergriff; es fiel erstarrend auf mich.
Ich sah den geschwungenen Stock auch auf mich niederfallen und hörte mein Jammergeheul. Von Jugend auf war ich äußerst empfindlich gegen jeden körperlichen Schmerz, dabei besaß ich den tiefsten moralischen Abscheu gegen Mißhandlungen. Ich wollte davonlaufen, Alles ertragen, nur das nicht; in dem Augenblick aber kam der General dicht bei mir vorüber und ich zog meinen Hut ab und grüßte ihn demüthig.
Der Herr sah mich mit seinen runden, lebhaften Augen scharf an, plötzlich hemmte er seinen Schritt, trat heran und fragte:
Wie heißt Er?
Friedrich Wenzel, sagte ich.
Was? schrie er. Wo ist Er her?
Aus Daber.
Schwerenoth! Ist Er der Sohn von meinem Sponton-Unteroffizier?
Ja, gnädiger Herr, sein einziger Sohn.
Ich dachte es beinahe, fuhr der General freundlich fort. Was macht Sein Vater?
Er ist todt, antwortete ich. Auch meine Mutter ist todt.
So, sagte der General nachdenkend. Was ist Er denn?
Theologe, Candidat, antwortete ich.
Das ist Schade, sagte der alte Herr. Theologen dürfen wir nicht nehmen, es ist ein strenger Befehl unsers allergnädigsten Königs.
O, mein Gott! sagte ich unwillkürlich, indem ein jähes Entzücken in mein Herz drang.
Das ist nichts, fuhr der General fort; aber beruhige Er sich, Er wäre auch zu schwach für meine Grenadiere. Warum ist Er nicht größer gewachsen?
Es muß wohl Gottes Wille so gewesen sein, sagte ich schüchtern.
Der General lachte.
Sein Gott soll an Allem Schuld sein! rief er. Er ist so blaß und mager, wie ein pommerscher Häring. Ist Er fromm oder ist Er hungrig?
Ich bin arm und habe Niemanden, der sich meiner annimmt.
Was will Er denn von mir? fragte der General weiter.
Ich habe meinem Vater sterbend gelobt, Seiner Majestät dem Könige zu dienen, sagte ich, das möchte ich erfüllen.
Aber Er sieht ja, Er kann nicht, fiel er ein.
Mir kam ein Gedanke, wie von oben eingegeben, denn ich hatte bisher daran noch nicht gedacht.
Ich bin ein Candidat, sagte ich, Se. Majestät braucht auch Geistliche.
Bataillonsprediger und Regimentspfaffen, rief der Herr in lustiger Laune, Feldpröbste und wie das schwarze Gezeug sonst heißt, ja, da hat Er Recht. Komm Er einmal heut Abend um acht Uhr zu mir, da wollen wir weiter darüber sprechen. Ich wohne da drüben an der Ecke.
Damit ging er fort und ich wanderte den ganzen Tag unter Furcht und Zweifeln, Schrecken und Sorgen umher. Ich war erlöst von der Angst, Soldat oder Trommelschläger zu werden; aber die Vorstellung peinigte mich beinahe eben so sehr, daß ich ein Soldatenprediger werden sollte. Ich hatte eine so große Abneigung dagegen, alle meine Empfindungen zogen mich in die friedliche Stille einer kleinen Gemeinde, zogen mich zu Kindern und zu den Schwachen, daß ich mir vergebens die Vortheile ausmalte, welche mir die Gunst des Generals verschaffen könnte.
Die Feldprediger bei den Bataillonen und Regimentern konnten gewiß sein, einmal einträgliche Pfarren zu erhalten. Mir grauste davor, denn wenn ich mir vorstellte, daß Krieg werden könnte, was zu Ende des vorigen Jahrhunderts gewiß schien, wenn ich an's Marschiren dachte, an Verwundete und Sterbende, an Verurtheilte, die ich zur Richtstätte begleiten, an alle die wilden, gewaltsamen Auftritte und an die rauhen, glaubenslosen Männer, denen ich ein Prediger sein sollte, so sank mir das Herz.
Am Abend ging ich zagend zu dem General. Schildwachen standen vor seinem Hause, Soldaten führten mich zu ihm. Er saß mit mehreren anderen Offizieren an einem großen Tische, Alle rauchten aus weißen, langen Pfeifen von Thon, hatten ihre Uniformen geöffnet, lachten und waren froh. Ich mußte mich zu ihnen setzen, mußte eine Pfeife anbrennen, obwohl ich damals das Rauchen noch nicht verstand, dann mußte ich kochendheißen Punsch trinken, und mußte erzählen, sollte lachen, sollte, wie ich glaube, die Gesellschaft erheitern, welche jedoch bald mich selbst zum Gegenstand ihrer Späße machte, und ich habe sicherlich kläglich genug ausgesehen, und mich so verschüchtert und unbeholfen benommen, daß es ihnen leicht war mich zu verspotten.
Es war ihre Absicht mich betrunken zu machen, allein ich weigerte mich bald zu trinken. Es ging genugsam schon alles mir im Kopfe rundum; der Tabak machte mich übel, das starke Getränk war mir auf's Aeußerste zuwider, die Pfeife zerbrach mir in der Hand. So ging es einige Stunden lang fort, bis Einer aus der Gesellschaft rief:
Der Candidat soll uns eine Rede halten und wenn sie uns gefällt, soll er unser Pastor werden.
Die Uebrigen stimmten ein, ich wurde gewaltsam auf einen Stuhl gehoben und nach vielen vergeblichen Bitten begann ich wirklich eine Rede und sprach in meiner Angst über die Pflichten des Starken gegen den Schwachen. Ich hatte jedoch noch nicht fünf Minuten gesprochen, so schrie der General:
Schwerenoth und Kreuzdonnerwetter! er piept ja wie ein Sperling. Schreie er lauter; wie will man ihn hören, wenn er auf freiem Felde predigt!
Nun, riefen die Herren im Chor: Schreie Er lauter, immer lauter! doch vergebens strengte ich mich an, ihr wildes Gelächter und Getobe wurde nur ärger. Endlich stieß Einer den Stuhl um und ich fiel, daß ich blutete und weinte und nun erscholl das Geschrei:
Fort mit dem Stümper! Fort mit dem Schlucker! Dann wurde die Thür aufgemacht, ein Paar Soldaten ergriffen mich bei den Armen, meinen Hut warfen sie hinterher, so kam ich zum Hause hinaus.
Welche Nacht der Scham und Schande und der bittersten Schmerzen erwartete mich! Sie hatten mich verhöhnt, geschlagen, getreten, was hatte ich ihnen gethan? Ach, ich war noch nicht so weit, geduldig mein Haupt zu beugen. Ich war jung, ich hatte den Stolz der Jugend gegen Schmach, ich hatte ein Gefühl der Rache, die meine Fäuste ballte und meine Zähne zusammenknirschte, aber sie war zu ohnmächtig, um etwas weiter, thun zu können. Ich drückte meine blutige geschwollene Stirn in die Kissen meines Bettes und weinte endlich bitterlich.
Gott, mein Gott! rief ich erschöpft, sind die Gequälten nicht auch Deine Kinder und bist Du nicht der Herr und Richter, der sich der Gedrückten erbarmt und die Gewaltthätigen und Uebermüthigen züchtigt!
Am Morgen war ich stiller geworden, der Trost der Schuldlosen hatte mich beruhigt; der versöhnende Stolz, ein unschuldig Gemißhandelter zu sein, hatte mich mit neuem Muthe erfüllt. Ich schämte mich nicht mehr, ich warf die Scham und Schande auf meine Peiniger zurück. Als es kaum Tag geworden war, ließ mich der General rufen, oder vielmehr er schickte zwei bewaffnete Soldaten, die mir befahlen, sogleich mitzugehen, denn es mochte ihm wohl deuchten, daß ich gutwillig nicht folgen würde.
Als ich in sein Zimmer trat, war er schon angezogen in voller Uniform.
Nun, sagte er mich angrinsend, wie ist Ihm die Gesellschaft bekommen? Hat Er noch Lust Feldprediger zu werden?
Herr General, antwortete ich erröthend, es ist keine Heldenthat einen Schwachen und Verlassenen zu martern.
Halt Er sein Maul! schrie er mir zu. Ich wollte ihm blos zeigen, daß Er nicht zu uns paßt, daß Er mit seiner pieperigen Stimme und seiner Figur, die keinem Querpfeifer Respect beibringt, höchstens ein Dorfpfaffe werden kann; das wird Er jetzt begriffen haben.
Ich senkte den Kopf und sagte leise:
Das wäre mir auch das Liebste.
Wenn Er das will, fuhr der General fort, so mache Er, daß Er nach Hause kommt und melde Er sich bei dem Baron von Daber. Der hat ein halbes Dutzend Pfarren unter seinem Commando und wird Ihn schon anbringen.
Sie wissen ja, Herr General, flüsterte ich seufzend, daß der Baron uns gänzlich verlassen hat.
Dummes Zeug! rief der alte Herr. Da müßte er ein schlechter Kerl sein und das ist er nicht, sondern ein guter Edelmann. Geh Er zu ihm und sage Er ihm, der General Winning ließe ihn grüßen und er sollte an Torgau denken, wo er dem Corporal Wenzel um den Hals fiel und schwur, er wolle für ihn sorgen und für jeden der Wenzel hieße, so lange er selbst ein Stück Brot hätte.
Das war neues Leben für mich.
Wenn der Herr General vielleicht ein Briefchen an den Herrn Baron schreiben wollten, bat ich demüthig.
Schwerenoth! schrie er aufstampfend, denkt Er, daß ich ein Tintenklexer bin? Schreiben ist meine Sache nicht, es ist aber auch nicht nöthig. Thue Er was ich gesagt habe; wenn Er das nicht will, so schere Er sich zum Teufel!
Erschrocken ging ich nach der Thüre, er kam mir nach und machte sie rasch auf. Ich meinte schon, er wolle eine neue Gewaltthat verüben, als er nach meiner Hand griff, aber er drückte mir etwas hinein und sagte dabei:
Da hat Er ein Pflaster für Seine Stirn und nun reise Er so schnell Er kann, und laß Er mich zufrieden.
Es waren sechs neue Friedrichsd'ore in dem Papier, so hatte ich denn Reisegeld und ich zögerte nicht es zu benutzen, denn in die Heimath mußte ich doch. Dahin trieb mich mein Verlangen.
Auch diesen Theil meiner Lebensgeschichte habe ich meinen beiden Zuhörern gestern Abend vorgelesen und er erweckte ihren Antheil in verschiedener Weise. Marie trocknete sich einige Male die Augen, ihr junger Freund aber rief erhitzt:
Gott sei Dank, daß so etwas nicht mehr vorkommen kann. Wir meinen oft, daß wir rückwärts gingen, allein es ist doch besser geworden. Mir hätte das aber nicht geschehen sollen, mir nicht! fuhr er dann fort und ließ seine Augen rollen, die anklagend und zornig auf mir ruhten. Sind Sie denn wirklich zu dem Baron gegangen? Ich hätte es nimmermehr gethan.
Ich bin dahin gegangen und Sie sollen hören, was die Folge war, sagte ich.
O, erwiederte er milder, vergeben Sie meine Heftigkeit; ich dachte eben daran, wie undankbar die Vornehmen doch meist sind. Die Excellenz da drüben im Schlosse hat sogar den alten Jakob, das Inventarienstück im Hause, der das Gnadenbrod dort aß, fortjagen wollen, das hat der alte Narr nicht ertragen können, heute morgen fanden sie ihn todt an der Kammerthüre hängen.
Der also auch, sagte ich meine Hände faltend und seufzend. Das war der Letzte.
Welcher Letzte? fragte er.
Sie werden es schon erfahren, antwortete ich ihm. Mein Gott und Herr, Deine Wege sind wunderbar!
Marie stieß den jungen Mann an und nahm ihn mit sich fort, daß er nicht weiter mich befragen sollte.
Ich blieb gedankenvoll sitzen und sah den Mond über den Schloßthurm steigen; die schwarze Fahne unter ihm warf einen langen Schatten, wie es mir vorkam, bis auf den See. Wie an jenem Abend, jenem unvergeßlichen Abend, kreuzten sich mit diesem hellen Himmelslichte lange falbe Blitze und aus dem dunklen Walle, welcher westwärts sich ausbreitete, grollte es dann und wann dumpf herüber. In der Nacht kam das Gewitter herauf, es war ein schweres Wetter; mein armes kleines Haus zitterte und krachte unter den Schlägen. Früher habe ich oft jener wilden Nacht gedacht und mein Lebensgeschick damit verglichen. Es ist Alles vorüber gegangen, Alles! Trost und Freude und Versöhnung sind mir geworden und heute ist wieder ein guter milder Tag, mild wie mein Lebensabend – ich kann in Zuversicht weiter schreiben.
Als ich nach Daher gelangte, ging ich in die Wohnung meiner Mutter, ich mußte zunächst jedoch den Gerichtsdiener holen, denn das Gericht hatte die Kammer schließen und einen Siegel auf die Thür drücken lassen, bis der Erbe sich melden würde. Ach, das war eine herbe Stunde. Man hatte alles so stehen und liegen lassen, wie es stand und lag, als die arme Frau gestorben war, Niemand hatte sich darum kümmern mögen. Das Bette mit dem blauen Ueberzuge stand mit verworrenen Kissen und Decken in der Ecke, auf dem Tische an der Seite erblickte ich eine halb geleerte Medizinflasche, der silberne Löffel lag daneben, der einzige, den sie besessen, das werthvollste hochgehaltenste Stück der ärmlichen Wirthschaft, noch gefärbt von dem unnützen Tranke.
Meine Augen hingen voll dichter Thränen, zitternd warf ich mich auf den Schemel an dieser Lagerstatt des Todes und drückte meinen Kopf auf die Stelle, wo, wie ich mir einbildete, sie ihren Geist ausgehaucht hatte. Ich war eben vier und zwanzig Jahr alt geworden, war also mündig und konnte meine Erbschaft antreten.
Alles was ich fand hatte geringen Werth, ich trat es für eine kleine Summe den übrigen Hausbewohnern ab und behielt nichts als den silbernen Löffel und das Gebetbuch, das sie täglich gebraucht hatte.
Als ich zum ersten Male an der Thüre des Pfarrhauses vorüber ging, wo mein theurer väterlicher Freund lebte und litt, fühlte ich die, ganze Schwere meines Kummers über seinen Verlust. Ich mußte hinein, mußte die Stätte noch einmal sehen, wo ein guter frommer Mensch gewandelt und ich that es unter den Schauern der Ehrfurcht und Liebe, die mein ganzes Herz erfüllten.
Ein fremdes kaltes Gesicht kam mir entgegen. Der neue Prediger war ein engherziger, pedantischer, kriechender und hochmüthiger Mann, der mich behandelte wie Einer seines Schlages einen armen Candidaten zu behandeln pflegt, dem er fürchtet einen Zehrpfennig geben zu müssen. Mein theurer Wohlthäter war zu rasch und unerwartet in eine bessere Welt gefordert worden, er hatte nicht Zeit an ein Testament zu denken, so waren denn ganz entfernte Verwandte seine Erben geworden, die sich gierig um die geringe Hinterlassenschaft gestritten.
Nach zwei Tagen kam ich mit meinen Angelegenheiten in Ordnung und was sollte ich nun beginnen? Ich bedachte den Plan nach Stettin zurückzukehren, dort meine alten Lehrer und Gönner aufzusuchen und mit ihrem Beistande durch Unterricht mir die Mittel zum Leben zu erwerben. Es war ein Gedanke, der mich wenig erfreute, aber es blieb mir nichts anderes übrig, vorher jedoch war ich entschlossen der Weisung des alten Generals nachzukommen und den ehemaligen Herrn meines Vaters aufzusuchen, mochte daraus auch Uebles für mich entstehen.
Der wüste Freiherr stand vor meinem Gedächtniß wie ein Dämon und ein Schauer überlief mich, wenn ich mir vorstellte, wie er mich empfangen würde. Doch es half nichts, es mußte geschehen. Es kam mir vor, als könnte ich nicht anders, als gehöre es zu dem Versprechen, das ich meinem Vater geleistet; eine unsichtbare Gewalt trieb mich zu dem grimmigen alten Edelmann.
Er wohnte etwa zwei Stunden von dem Orte entfernt und eines Morgens brach ich in der Frühe auf und gelangte nach einem ziemlich ermüdenden Marsche in seine Nähe. Am Ende eines großen Dorfes lag der Edelhof, entfernt von diesem auf dem Rücken einer kleinen Anhöhe, zu welcher ein Weg von ungeheuren Linden und Kastanien führte.
Damals waren die wenigsten Häuser des Landadels groß und stattlich, die meisten von Holz und Fachwerk gebaut, viele sogar mit Strohdächern bedeckt, dies jedoch war ein Gebäude von Stein, ein altes hohes Haus mit vorspringenden Giebeln und breiten Fenstern. Am Fuße des Hügels oder Abhanges befanden sich die Wirthschaftsgebäude, Scheunen und Ställe, das Herrenhaus aber lag frei und hatte einen grünen Vorplatz, der von einem hohen Gitterzaune mit gemauerten Pfeilern eingeschlossen war, in deren Mitte das Thor sich befand. Zu beiden Seiten lagen kleinere Höfe mit Wohnungen für Dienstleute, Ställe für die Reit- und Wagenpferde der Herrschaft, Remisen und Einbuchte für die Hunde.
Als ich durch das Thor trat, fand ich vor der Freitreppe des Hauses ein lustiges Getümmel. Es war im Herbst und die Blätter wollten fallen, aber es war ein schöner frischer Tag, so durchsichtig klar und sonnig stärkend und belebend, wie die Herbsttage in unserem Norden sind, wenn der Himmel tief blau und die Luft so scharf und rein ist, daß nirgend ein Dunst aufsteigen kann. Pferde standen gesattelt vor dem Hause und wurden von Dienern gehalten, Menschen in grünen Röcken und grün aufgeschlagenen Hüten eilten hin und her, schrieen einander zu und ordneten einen Haufen Bauern, die sie in verschiedene Trupps theilten. Andere hielten Hunde an den Leinen und koppelten sie zusammen, dann erhob sich ein wildes Geschrei und Geheul, als ein Jagdhorn aus dem Hause seine kurzen, weitschallenden Töne hören ließ.
Der Herr ist fertig! schrie einer der Förster, welcher mir zunächst stand, und der ganze Troß, die Bauern, die Hunde, die Jäger und was sonst zu ihm gehörte, brach auf und zog lärmend an mir vorüber, ohne mich sonderlich zu beachten. Nur die Diener mit den Pferden blieben wartend vor dem Hause, aus dem jetzt ein halbes Dutzend junger Männer hervorbrach unter Geschrei und Gelächter, lange Gewehre in ihren Händen, oder mit Peitschen knallend, oder Hussah, Hussah! schreiend und sich gegenseitig neckend. Sie trugen Alle grüne, mit Gold besetzte Röcke, aufgeschlagene Hüte mit Federn, und um die Schultern Jagdhörner und Kugeltaschen. Es waren schöne, schlanke Jünglinge, unter denen der älteste in meinem Alter sein mochte, der jüngste aber kaum sein fünfzehntes Jahr vollendet hatte.
Als dieser Knabe mich erblickte, der ich zögernd auf dem Platze an einem Baume stand, überlegend, was ich thun solle, wies er auf mich hin und schrie:
Was ist das für ein Geschöpf? Ein schwarzes Thier! Ein borstiger Keiler! Nieder mit ihm! Und er hob sein Gewehr auf und legte auf mich an.
Es war natürlich, daß ich bei dieser Bewegung erschrocken hinter den Baum sprang; ein schallendes Gelächter erhob sich. – Ich sah ein wenig hervor und fuhr wieder zurück, denn alle ihre Waffen richteten sich auf mich; dazu wiederholte sich ihr wildes, grausames Lachen.
Nieder mit ihm! Schießt ihn lahm! Da ist sein schwarzes Fell! schrien sie, und mein Herz krampfte sich zusammen.
Was habt Ihr vor? hörte ich eine feine, klangvolle Stimme fragen, und in demselben Augenblick überkam mich ein verzweiflungsvoller Muth. Ich verließ meinen Versteck und trat auf den Platz.
Eine Jagd! Eine Jagd! Ein borstiges Thier! schrien die übermüthigen Jünglinge noch einmal. – Willst Du laufen?
Aber ich lief nicht und fürchtete nicht mehr ihre auf mich gerichteten Büchsen. Indem ich dicht herantrat, beantwortete ich die Frage des Herrn, der unter der Thür stand, und welchen ich vorher nicht bemerkt hatte.
Dieser mochte wohl einige und dreißig Jahre alt sein, und trug weder Jagdkleid, noch Federhut. Er war vielmehr kostbar nach damaliger Zeit in einen Rock von violettem Sammet mit großen Knöpfen von Perlmutter gekleidet, die mit Gold ausgelegt waren. Seine Unterkleider bestanden aus schwarzer Seide; auf seine feinen schmalen Hände fielen lange Spitzenmanschetten, und unter dem Gilet von Silberstoff trug er ein großes feinfaltiges, mit einer blitzenden Nadel bestecktes Jabot. Sein Haar war gepudert und getollt, sein Gesicht scharf und klug, sein Mund lächelte angenehm, und seine Augen schienen mich mit Antheil zu betrachten.
Diese jungen Herren, sagte ich, scheinen keinen Unterschied zwischen einer Jagd auf Menschen oder auf wilde Thiere zu machen, obwohl wir uns nicht in Indien, sondern in einem civilisirten Lande Europa's befinden.
Was zum Teufel! schrie einer der trotzigen Jäger. Der Kerl raisonnirt!
Taisez vous, George! antwortete der feingekleidete Herr. Was wollen Sie hier?
Ich wünsche den Herrn Baron zu sprechen.
Da ist er! sagte er zurückblickend, denn eben trat der Freiherr von Daher in die Vorflur. Ich erkannte ihn sogleich, und mochte wohl noch bleicher werden.
Er stand ganz so vor mir, wie damals, wo er mir den Hieb versetzte und hielt in seiner Hand dieselbe Peitsche, wenigstens sah sie so aus. Seit jenem Tage waren zwölf Jahre vergangen, der Baron nun an sechszig Jahre alt, allein er hatte sich wenig verändert. Sein hartes Gesicht war noch eben so roth und voll, sein riesiger Körper ungebeugt, seine Augen so grimmig stier wie damals. Ich war unvermögend, ihn anzureden und stotterte einige Worte, die er unterbrach.
Was will Er von mir? fragte er rauh.
Gnädigster Herr Baron, sagte ich, mich sammelnd, ich komme zu Ihnen mit einer unterthänigsten Bitte, aber wie ich sehe, zur ungelegenen Zeit, erlauben Sie mir daher –
Er ließ mich nicht enden, denn er faßte mich an die Schulter, sah mich an und rief: So wahr ich lebe! Er ist der Junge, der Friedrich!
Friedrich Wenzel, erwiederte ich, mich tief verbeugend.
Sein Gesicht war freundlicher geworden. Seine Mutter ist todt, sagte er.
Sie ist meinem Vater in die Ewigkeit nachgefolgt, antwortete ich demüthig.
Und gewachsen ist Er auch nicht sonderlich, fuhr er, mich betrachtend, fort.
Als ein Diener der Kirche, gnädigster Herr Baron, ist mir Leibesgröße nicht nöthig, erwiederte ich schüchtern.
Meine Worte rüttelten alte Erinnerungen auf. Die unversöhnliche Gemüthsart dieses Mannes trat plötzlich wieder in ihre Rechte. Er zog seine borstigen Augenbrauen zusammen und seine Peitsche so am Stiel fassend, wie es bei ihm Gewohnheit war, wenn er in Zorn gerieth, schrie er mir zu:
Er ist also Candidat geworden?! Was will der Herr Candidat?
Mich dem hochgeborenen Herrn Baron unterthänigst empfehlen, und gehorsamst bitten, sich meiner zu erinnern, wenn ein Pfarramt, welches der hohe Gönner –
Ich erinnere mich Seiner gut genug, unterbrach er mich, aber ich bin sein Gönner nicht. Wie kann Er sich überhaupt unterstehen, mich in meinem Hause zu molestiren?
Ich sah, daß er sich in Wuth versetzte und begriff, daß ich das Aergste zu fürchten hatte, wenn ich einen solchen gewaltigen und jähzornigen Mann durch Furchtsamkeit in seiner brutalen Leidenschaft unterstützte. Ich stand daher aufgerichtet und ruhig vor ihm und antwortete mit fester Stimme:
Niemals würde ich dies gewagt haben, gnädiger Herr Baron, wenn Se. Excellenz der General von Winning mir nicht befohlen hätte vor Ihnen zu erscheinen.
Winning? fragte er, mich finster anblickend. Wie kommt Er zu dem General? Warum schickt Winning Ihn zu mir?
Der General erinnerte sich meines Vaters, als ich ihn bat sich meiner anzunehmen und mir zu einem Amte zu helfen. Er sagte jedoch, es thue ihm leid, er besitze keine Güter, wohl aber der Freiherr von Daber, welcher über sechs Pfarrdörfer das Patronat habe. Zu ihm solle ich gehen und ihn an die Schlacht bei Torgau erinnern.
Das traf den rauhen Herrn sichtlich. Sein Kopf wurde röther, er schwieg und preßte die Lippen zusammen. Die Jäger standen umher und sahen neugierig zu, der feingekleidete Herr aber ergriff den Baron bei der Hand und sagte halblaut:
Auf ein Wort, wenn ich bitten darf.
Er führte ihn abseits und nach einigen Minuten kehrten beide zurück.
Versteht Er Französisch? fragte der Baron.
Es war ein Zufall, daß ich ja antworten konnte, denn zu jener Zeit lernten die Theologen selten eine neue Sprache. Aber ich hatte in Halle länger als zwei Jahre einen Stubengenossen gehabt, der aus einer Emigrantenfamilie stammte, die Ludwigs des Vierzehnten Fanatismus zur Auswanderung getrieben. Von ihm hatte ich die Sprache gelernt, sie grammatisch studirt und gute Fortschritte gemacht.
Auf meine Antwort redete mich jener Herr französisch an und ich antwortete ihm, indem ich ihm diese Mittheilung machte. Er that noch einige Fragen, dann wandte er sich an den Baron und sagte deutsch:
Das ist mehr als ich erwartete. Der Herr Candidat hat eine gute Aussprache und scheint mir ganz geeignet zu sein.
Wahrscheinlich erwartete der alte Herr ein anderes Urtheil. Er machte ein verdrossenes Gesicht und gewiß kostete es ihn Ueberwindung von seiner Unerbittlichkeit abzustehen.
So kann Er hier bleiben, begann er endlich, Er soll meiner Tochter Unterricht geben. Nun Hartenstein, Sie wollen also nicht mit? Zum Henker! Die Treiber sind weit voraus. Nehmen Sie den Burschen, den Candidaten, und geben Sie ihm Instruction was er zu thun hat. Wenn ich heute Abend wiederkomme, will ich weiter mit ihm reden.
Die Jagdgesellschaft schwang sich auf die Rosse und unter Abschiedsgeschrei und Hornstößen sprengten sie dem Baron nach zum Thore hinaus. Mein neuer Beschützer blieb neben mir stehen und sagte lächelnd, indem er ihnen nachblickte:
Das sind wilde Vergnügungen, die nicht in meinem Geschmacke liegen. Die Jagd ist eine Zwillingsschwester des Krieges, ehe die Menschen sich selbst mordeten, haben sie mit den Thieren den Anfang gemacht. Jäger sind immer etwas roh und übermüthig, man muß es entschuldigen; Sie haben Ihnen jedoch eine gute Lehre gegeben, Herr Candidat. – Ich für meinen Theil freue mich Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, fuhr er dann verbindlich fort, und da Sie hier wahrscheinlich ganz fremd sind, so erlaube ich mir Ihnen einige Nachrichten zu ertheilen. Der Baron ist seit drei Jahren Wittwer und von seinen vier Söhnen, die mit ihm zum Jagen reiten, sind drei Offiziere in verschiedenen Regimentern. Der jüngste, Kuno, der sich zuerst den Spaß machte, Sie erschießen zu wollen, ist noch zu Hause bei ihm, eben so seine Tochter, Fräulein Mathilde, welche vorgestern vierzehn Jahr alt wurde und zu deren Geburtstagsfeier ich mich einfand.
Die andern beiden Herren, welche Sie dort hinsprengen sehen, sind Vettern des Barons und seiner Söhne, ebenfalls junge Offiziere, welche hier jagen, schmausen und tanzen helfen, bis sie in ihre Garnison zurückkehren müssen. Es steht, fuhr er dann fort, indem er mich in einen großen Saal führte, der der Familienaufenthalt des Hauses war, mit der Erziehung und Bildung in unserm Lande noch immer nicht besonders. Mit wenigen Ausnahmen ist dies aber überall sich so ziemlich gleich. Wer nicht in großen Städten lebt oder die seltene Neigung besitzt seine Kinder dorthin zu schicken und ihnen besondere Opfer zu bringen, hält es für genug, wenn sie das Allernothwendigste lernen. Die Söhne werden ja meist Offiziere, sagte er lächelnd und vertraulich leiser, indem um seine schmalen Lippen ein unverkennbarer verächtlicher Spott schwebte, und die Töchter bekommen Männer ohne ihre Köpfe anzustrengen. Ob sie richtig sprechen oder schreiben, wer fragt nach solchen Kleinigkeiten?
Er schwieg einen Augenblick still und sah in den Garten hinein. Die Fenster des Saales gingen dorthin und durch eine Thüre gelangte man einige Stufen abwärts in den grünen Raum, der vom hohen Bäumen eingefaßt war. Der Wind schüttelte die gelben Blätter ab und trieb sie durch die Luft, welche so goldig hell war. –
Wer ich bin? begann er dann, als beantwortete er eine Frage, die ich nicht gethan hatte. Ich bin so ziemlich das letzte Blatt eines alten Baumes, meinem Namen nach der Freiherr von Hartenstein, Legationsrath und gegenwärtig zum Besuch auf meinem Gute, nicht weit von hier. Ich werde das Fräulein Mathilde von Daher heirathen, wenn sie sechszehn Jahre alt ist, aber ich wünsche, daß sie bis dahin noch einige Kenntnisse erwirbt, namentlich richtig deutsch und gut französisch sprechen lernt, das nöthig ist in den Kreisen, wohin ich sie führe. Sie, Herr Candidat, sollen mir und ihr diesen Dienst erweisen; ich bitte Sie darum und werde meinerseits dafür sorgen, daß es Ihnen wohlgeht in diesem Hause, auch die Verpflichtungen, welche wir Ihnen schulden, durch Erfüllung Ihrer Wünsche vergütigt werden. Verlassen Sie sich darauf, daß Sie die beste Pfarre haben sollen, die der Baron oder ich Ihnen anzubieten vermögen.
So war ich denn kurz und bündig unterrichtet, wie es in diesem Hause stand und was ich zu erwarten hatte. Wie mit einem Zauberschlage hatte sich mein Schicksal umgewandelt; ich war angestellt als Lehrer, als Erzieher, ich hatte Schutz und Beistand, eine gute Behandlung und einen Gehalt zu hoffen, endlich war mir eine Pfarrstelle versprochen, die ich vielleicht niemals sonst erreicht haben würde und ich zweifelte nicht daran, daß es wahr und gewiß sei. Mein Herz war voll inbrünstiger Freude, meine Augen voll Dankbarkeit. Ich sagte meinem Beschützer, was mir der Himmel eingab, um seine Großmuth zu preisen.
Er hörte mich zufrieden lächelnd an und beobachtete mich, wie es mir schien, mit seinen scharfen klugen Augen prüfend und überlegend.
Hängen Sie mir nur an, sagte er dann, mir zunickend, und vertrauen Sie mir. Ich achte Leute, die etwas gelernt haben und belohne die, von denen ich Dienste erwarte. Wir werden gute Freunde sein und ich werde Sie brauchen. Sie sind fromm, wie ich denke.
Gnädiger Herr, antwortete ich verlegen, denn ich wußte nicht was er meinte.
Frömmigkeit ist eine Tugend, fuhr er fort, die jeden Menschen ziert, vor allen aber den Priester. Wahre Frömmigkeit schließt die Klugheit nicht aus; seien Sie klug, mein lieber Wenzel. Fräulein Mathilde, Ihre Schülerin, ist ein reizendes, unschuldiges Kind, Sie werden gewiß ihr ganzes Vertrauen gewinnen. Jetzt folgen Sie mir. Da ist sie im Garten, ich werde Sie bei ihr einführen.
Er ging voran, ich folgte ihm nach. Als er vor mir herging, sah ich, daß seine Gestalt mit den breiten Schultern und der einen etwas gebogenen Hüfte mangelhaft war. Auch sein Gesicht war nicht eben schön zu nennen und uns entgegen kam ein junges Mädchen, so reizend wie dieser Tag, wenn er in den wonnigen Athem des Frühlings getaucht worden wäre. Ihre Locken waren lang und dunkelblond, sie hingen frei auf ihre Schultern nieder, ein Schoßjäckchen mit zwei Reihen Knöpfen umschloß ihren Leib, und während sie den Gang heraufkam, nachsinnend wie es schien, spielte sie mit einem Rädchen von buntem Holz und Elfenbein, das an rothen Schnüren hing, ein sogenanntes Joujou-Spiel, das damals eine Lieblingsunterhaltung junger Damen war.
Als sie uns erblickte, stand sie erröthend still und einen Augenblick glaubte ich, sie wolle entfliehen. Mein Begleiter war jedoch, wenn sie wirklich daran dachte, zu schnell.
Nun, liebe Mathilde, hörte ich ihn sagen, die Jagd ist fort und wir sind allein; aber ich habe einen Herrn mitgebracht, der uns Gesellschaft leisten will.
Sie hob die Augen zu mir auf, erwiederte meinen Gruß und hörte still zu als er ihr berichtete, daß ich ihr Lehrer sein solle. An ihrem Lächeln und dem Ausdrucke ihres Gesichts sah ich, daß sie damit einverstanden war und während der ersten Stunde, die ich mit ihr verlebte, erkannte ich wie Recht der glückliche Freiherr hatte, wenn er sie ein reizendes und unschuldiges Kind nannte. Ein unbeschreiblicher Ausdruck von Güte und Milde war ihrem Gesichte aufgeprägt, ihre großen blauen Augen hatten einen feuchten Glanz, in dem sich alles Gute abzuspiegeln schien, und ihre Stimme klang so biegsam und sanft wie ein schöner Gesang. Der Gedanke, dies liebliche Kind zu »unterrichten, bei ihm und mit ihm zu sein, erwärmte und erfreute mich aufs Innigste.
Herr von Hartenstein ging mit uns lange Zeit in den Gängen auf und ab, indem er dem Fräulein den Arm bot und sehr vertraut mit ihr scherzte, dabei aber auch mich ins Gespräch zog, meine Gelehrsamkeit und meine Kenntnisse rühmte und es so zu veranstalten wußte, daß ich allerlei aus meinem Leben erzählte und endlich, auf den Tod meines edlen Wohlthäters gebracht, mit Rührung seine seltenen Tugenden pries.
Ich hatte wohl bemerkt, mit welchem Antheil sie mich mehrmals anblickte und wie endlich ihre Augen sich mit Thränen füllten.
Der vortreffliches Mann, sagte sie endlich mit ihrer süßen Stimme, hat alle Armen und Leidenden getröstet.
Kannten Sie ihn? fragte ich.
Ich habe ihn öfter gesehen, noch öfter von ihm gehört, antwortete sie erröthend, gekannt –, sie hielt inne und fuhr dann fort: Als meine gute Mutter starb, hatte sie nach ihm verlangt, aber er kam zu spät.
Man hatte ihn vielleicht zu spät benachrichtigt, fiel der Freiherr sanft lächelnd ein, Ihr Vater, liebe Mathilde, ist nie sein Gönner gewesen. Aber lassen wir diese traurigen Erinnerungen. Kommen Sie, meine Schöne, ich glaube, es wird Zeit sein uns umzusehen, was wir zum Mittag erhalten. Ich erblicke meinen getreuen Jakob und sehe es seiner Nase an, daß sie die Wohlgerüche eines Rehzimmers genossen hat.
Der Diener meldete uns wirklich, daß der Tisch bereit sei und wir verfügten uns dorthin. Ich aß zum ersten Male an einer reich besetzten Tafel, wurde zum ersten Male von einem Diener in Livrée bedient und hatte in meinem Leben noch nie silberne Gabeln und so schwere Löffel in Händen gehabt, wie sie hier in Fülle vorhanden waren. Von so viel Neuem und Ungewohntem umringt, war ich still, furchtsam und ungläubig; beinahe zweifelnd ob alles was ich erblickte Wahrheit, ob was ich erlebte nicht ein Traum sei.
Der Legationsrath führte das Gespräch fast allein und ich bewunderte, mit welcher Leichtigkeit und Sicherheit er dies that. Bald erzählte er von dem Leben in der Hauptstadt, bald wieder von Paris, wo er während der ersten Revolutionszeit gewesen war, dann wieder von Italien, von Neapel und von Wien. Er kannte alles, seine Schilderungen waren verlockend, dazwischen machte er scharfe und lustige Bemerkungen über Zustände und Personen, über Feste, denen er beigewohnt, über Moden und Sitten und wenn er sich mit mir über Sophokles und Euripides, über Plutarch und Livius unterhalten hatte, sprach er plötzlich mit seiner Nachbarin über die Winterbälle in der Umgegend, über die Hofbälle oder Redouten in Berlin, über die reizende junge Königin und ihre Hofdamen und über die neuen goldstreifigen und lackirten Möbel, mit denen er seine Wohnung ausstatten würde.
Mathilde hörte schweigsam zu, sie schien mit Scheu zu antworten und dagegen zu ringen, selbst die drolligsten Einfälle und Anekdoten ihres vornehmen Anbeters konnten sie zu keinem herzlichen Lachen bringen.
Ich beobachtete sie, weil ich Zeit dazu hatte; zuweilen auch sah sie mich an und es kam mir vor, als läge etwas Bittendes in ihren Augen, als sollte ich ihr beistehen, aber ich wußte nicht wie. Alles was ich that, war, daß ich ein wenig gesprächiger wurde, bis ich bemerkte, daß dem Freiherrn meine störenden Einmischungen nicht behagten.
Nun war ich wieder still und setzte meine Betrachtungen fort. Sie war sehr groß für ihr Alter und an Verstand fehlte es ihr nicht, denn wenn sie wollte, gab sie sehr richtige und anregende Antworten, die ihr Bewunderer dann benutzte, um irgend eine Schmeichelei daran zu knüpfen, über welche sie erröthete oder lächelte.
Diese frohe Unterhaltung währte lange fort und belustigte selbst den gewandten Bedienten des Legationsraths, dessen unterthäniges Grinsen mich heimlich ergötzte. Er war in eine reiche Livrée gekleidet und ohne Zweifel ein sehr anhänglicher und vertrauter Diener. Sein Herr rief ihn nicht Jakob, sondern gewöhnlich französisch Jacques; ein Wink oder ein Wort genügten, um auf der Stelle den angedeuteten Befehl zu vollziehen.
Mit dem Tellertuch über dem Arme stand er hinter uns sauber und fein, in perlgrauen Seidenstrümpfen, Schnallenschuhen und blauen Kniehosen, gepudert und bezopft wie ein Junker, und mit der feinsten Manier bediente er auch mich, obwohl ich in meinem groben schwarzen Rocke besorgen mußte, daß er es mit geheimem Aerger that.
Nach Tische machte mir der Freiherr den Vorschlag nach der Stadt zu fahren, wo verschiedene Sachen für ihn angekommen seien, diese vom Postamte zu erheben und dabei zugleich meine eigenen Effecten mit mir zurück in mein jetziges Domicil zu bringen. Mit Freuden ging ich darauf ein, richtete meine Aufträge zur Zufriedenheit aus und kam eben zurück als die Jäger in den Hof sprengten und hinter ihnen, auf Stangen getragen mit Kränzen bedeckt und von Waldhornklang und Jauchzen begleitet, ein sechszehnendiger Hirsch folgte.
In dem Getümmel wäre ich vergessen worden, wenn Mathilde mich nicht bemerkt hätte, die dem Hausmeister einen Befehl gab, der mich alsbald in ein für mich bestimmtes Giebelzimmer versetzte, wo Bett und Schrank für mich bereit standen. Ich lehnte mich an das Fenster, sah in den rothen Himmel und in das weite Land und dankte Gott für die Gnade, welche er an mir gethan.
Du, sagte ich, meine Hände faltend, während meine Augen sich dunkel und naß auf die Gegend richteten, wo die begraben lagen, die mich geliebt hatten, Du, o Herr, hast mir genommen was mein war, Du giebst mir wieder was ich bedarf. Ich zage nicht, nein, ich vertraue Dir und will Dir folgen, denn Du wirst mich leiten.
Als ich hinuntergerufen wurde, erhielt ich meinen Platz am untern Ende des Tisches. Fräulein Mathilde saß zwischen ihrem Vater und dem Freiherrn, sie stand jedoch bald auf und entfernte sich, denn es war ein lärmendes langes Mahl. Die Jagdgeschichten nahmen kein Ende. Die jungen Herren erzählten, schwuren und fluchten, stritten sich über die besten Schüsse und die besten Hunde, lachten, spotteten und tranken eine ungeheure Menge starker Getränke, welche sie noch mehr erhitzten.
Ein halbes Dutzend Lieblingshunde lag und stand dabei unter und neben dem Tische, wo sie zuweilen Fußtritte oder Knochen erhielten, endlich aber sich wüthend anfielen und beinahe den Tisch umstürzten, bis sie sämmtlich mit Peitschenhieben hinausgejagt wurden. Nun wurden Pfeifen gebracht und angezündet. Ich erhielt auch eine angeboten, aber ich dachte an jenen schrecklichen Abend bei dem General, dachte auch an die Folgen des Punsches und machte mich ganz in der Stille davon, als Lärm und Gelächter überhand nahmen und man mich nicht beachtete.
Am nächsten Morgen sprach der Baron mit mir. Freundlich war er eben nicht, allein er hatte sich in alle Anordnungen gefunden, die sein zukünftiger Schwiegersohn getroffen.
Er bleibt also hier, Candidat, sagte er, und ich gebe Ihm jährlich fünfzig Thaler und Weihnachten einen neuen schwarzen Rock sammt Hosen. Bin ich mit Ihm zufrieden, so werde ich auch weiter für Ihn sorgen. Mache Er aber, daß mein Mädchen etwas lernt, auch meinen jüngsten Sohn kann Er dabei unter seine Fuchtel bringen. Aber nehme Er sich zusammen, sonst sind wir geschiedene Leute.
Somit war der Contract geschlossen und ich begann meine Wirksamkeit. Es begannen für mich jene Tage, jene Jahre, die das beste Glück meines Lebens einschließen, jenes reine und ungetrübte Glück, welches Gott seinen Geschöpfen giebt, wenn er ihnen ein gütiger und liebender Vater sein will, der seinen Himmel in ihre Herzen senkt.
Der Legationsrath verweilte noch einen Monat bei uns, ab und zu nach seinem Gute reisend, doch größtentheils in unserm Hause. Er besaß große Kenntnisse, dabei durchdringenden Verstand und übte ein geistiges Uebergewicht aus, vor dem sich alle beugten, selbst der alte Baron. Sie fürchteten ihn, fürchteten seine Spöttereien, seine kalte Ruhe, seinen kalten Blick, seine Bildung und selbst seine prächtige Außenseite. Er war ein anderes Wesen, vor dem sie Scheu empfanden, das sie heimlich verhöhnten, weil er nicht ritt und jagte, nicht spielte, trank und fluchte, dem sie aber dennoch sich beugten und stolz auf seine Nähe und seine Freundschaft waren.
Der Minister Haugwitz Christian von Haugwitz (1752-1832), seit 1792 als Kabinettsminister in preußischen Diensten und dabei vor allem mit Aufgaben in der Außenpolitik betraut. Seine pro-französische Politik scheiterte mit dem Aufstieg Napoleons und führte Preußen 1806 in die vollständige Isolation und schließlich in den weitgehenden Zusammenbruch, so dass Haugwitz sich ins Privatleben zurückzog. war sein Gönner, der allmächtige Graf bevorzugte ihn vor vielen Andern. Der Legationsrath war häufig in seinem Hause, arbeitete in seinem Cabinet und wurde zu verschiedenen wichtigen Sendungen und Geschäften gebraucht.
Ein Diplomat erschien damals noch weit mehr, als es jetzt der Fall ist, wie ein Oberpriester aller Weisheit und Hoheit auf Erden. In seinen Händen ruhte das Schicksal der Menschheit, seine Brust verwahrte die furchtbarsten Geheimnisse, seinen Augen war alles klar und die Familie, aus welcher dieser Freiherr sproßte, hatte von jeher unter dem Baume der Erkenntniß gesessen, d. h. sie hatte dem Herrscherhause manchen Rath, manchen Gesandten und mehr als einen Minister geliefert, während sie nur im geringen Maße durch kriegerisch gesinnte Sprößlinge sich auszeichnete.
Die Freiherren von Hartenstein waren nicht besonders reich, aber sie besaßen ein altes Erbe und das stolzeste alte Ritterhaus in der ganzen Gegend. Sie hatten daran viel Geld gewendet; der Vater des Legationsrathes war besonders eifrig im Bauen und Ausbauen gewesen, doch verschwenderisch, wie er überhaupt sich erwiesen, hatte er nicht wenige Schulden hinterlassen.
Nach einem Monate und eben als wir eines Tages in dem Schlosse Hartenstein tafelten, wohin ich die Familie begleitet hatte, weil der Legationsrath mich dazu einlud, kam ein Courier, der meinen Gönner ein großbesiegeltes Schreiben brachte. Der Graf von Haugwitz rief ihn eilig zu sich und er theilte uns diese Nachricht unter dem graziösen Lächeln mit, das er bei dem übelsten Anlasse und den ärgerlichsten Vorfällen zu bewahren wußte. Während er auf der Stelle seine Reiseanstalten traf, scherzte er mit seinen Gästen und beschäftigte sich um Mathilden mit verdoppelter feiner und zärtlicher Aufmerksamkeit, welche deutlich bewies, wie sehr er sie auszuzeichnen suchte.
Ich konnte wohl bemerken, wie zufrieden der Baron damit zu sein schien, und wie alle seine Söhne sich darüber freuten, lachten und sich Zeichen machten, als Richard von Hartenstein mit ihrer schönen Schwester durch die Reihe der Zimmer und Säle ging, mit ihr dann an einem Bogenfenster stehen blieb und eine Zeitlang leise mit ihr sprach, bis wir ein Geräusch hörten und Mathilde, von dunkler Röthe übergossen, zu uns zurückkehrte.
Auf meine Ehre, schrie der Junker Georg, der Dragoneroffizier war, ich glaube, er hat Dich geküßt!
Und sie hat sich losgerissen! fiel sein Bruder, der Grenadierlieutenant ein.
Sie ist eine Heilige! rief der Dritte, der Fähnrich.
Unter dem allgemeinen Gelächter legte Mathilde den heißen Kopf an ihres Vaters Brust, der so laut lachte wie seine Söhne, aber beide Arme um sie schloß und sie beschützte.
Der Legationsrath hatte sich entfernt, nach einigen Minuten kam sein Diener Jacques und flüsterte mir ins Ohr, daß der gnädige Herr mich zu sprechen wünsche. Ich folgte ihm, neugierig angeblickt von den Zurückbleibenden, deren Achtung sich sicher dadurch vermehrte und er brachte mich in den andern Flügel des Schlosses, wo der Freiherr wohnte.
Indem ich ihm folgte und er eine Thüre öffnete, die mir einen großen Vorsaal zeigte, sah ich durch eine andere Thüre eine Dame hereintreten, deren Anblick mich bestürzt machte. Sie war schön und jung, ihr Haar nach hinten gekämmt und in Locken, ein Schleier war daran befestigt und fiel seitwärts nieder. Ihr Anzug erschien mir überaus prächtig. Ein blumiges Seidenkleid vom allerschwersten Stoffe bildete über ihren Reifröcken einen weiten Kreis und war in Festons aufgenommen, das geöffnete Mieder glaubte ich mit Kanten besetzt, eine schimmernde Kette warf sich um ihren weißen Hals.
Sie trat mit schnellen Schritten herein oder vielmehr sie tanzte auf den Fußspitzen und rief im lauten frohen Tone:
Also fort von hier, fort aus diesem alten Rattennest! Herrlich herrlich! Ich langweile mich darin zum Sterben.
Mehr hörte ich nicht, denn mitten in meinem starrenden Staunen drängte mich Jakob zurück, flüsterte mir zu: Warten Sie! und sperrte die Thüre. Ich stand verwirrt nachsinnend und horchte, aber ich hörte nur ein unterdrücktes Lachen, hierauf war Alles still, bis Jakob leise öffnete und mir sein höchst klägliches ängstliches Gesicht zeigte.
Bester, edelster Herr, flüsterte er meine Hand ergreifend, machen Sie mich nicht unglücklich, ich bitte Sie um Gottes Willen!
Ich – ich? sagte ich bestürzt; wie könnte ich das?
Sie haben das Frauenzimmer gesehen, fuhr er fort; erbarmen Sie sich und sagen Sie meinem Herrn nichts davon.
Ich will nichts sagen, antwortete ich ihm.
Keinem Menschen, nicht einer lebendigen Seele, bat er zitternd. Wenn mein Herr es jemals erfährt, werde ich fortgejagt.
Ich will es Niemandem sagen, betheuerte ich ihm.
Sie geloben es mir, fiel er ein, Sie schwören es mir? Sie sind ein geistlicher Herr, Sie werden Ihr Wort halten. Das Frauenzimmer ist meine Braut, meine Geliebte, verbesserte er sich, ich habe sie mitgebracht, mein gnädiger Herr weiß nichts davon.
Das ist sehr unrecht, sagte ich strafend.
Freilich, ja freilich! erwiederte er demüthig, und mein Herr, so großmüthig und edel er ist, ist darin unmäßig streng. Er duldet nicht die geringste Unordnung, haßt die Frauenzimmer förmlich; eben deswegen, weil er gar zu tugendhaft ist, mußte ich sie verbergen.
Man kann nicht tugendhaft genug sein, antwortete ich ihm. Sie müssen sich diesen edlen Herrn zum Beispiele nehmen.
Als ob ich es nicht thäte! rief er seufzend, indem er die Hände faltete und seine verschmitzten Augen zu mir aufhob, die er abscheulich verdrehte. Aber das Fleisch ist schwach, das Fleisch ist schwach, bester Herr Candidat.
Ich sagte nichts darauf, denn ich merkte wohl, daß er heuchelte ohne zu bereuen, doch ich versicherte ihm nochmals, daß ich schweigen würde und nun führte er mich zu dem Legationsrath, der mich an seinem Schreibtisch erwartete.
Er schrieb etwas auf einen Papierstreifen, den er mir hinreichte als er aufstand.
Hier, sagte er mit seiner gewinnenden Anmuth, haben Sie meine Adresse. Daß ich so rasch zurückkehren muß, betrübt mich zumeist deswegen, weil ich nicht mehr das Vergnügen haben kann, mich Ihres belehrenden Umganges zu erfreuen.
Nur um deswegen? antwortete ich mich verbeugend und lächelnd.
O! fuhr er fort, Sie sind aufrichtig und grausam. Ich muß von Mathilden scheiden, aber ich lasse Sie zurück. Schreiben Sie mir, mein lieber Freund, schreiben Sie mir wo möglich in jeder Woche was hier geschieht, wie es meiner süßen Freundin geht, was sie thut, welche Fortschritte sie macht, was überhaupt in dem Hause geschieht – von Allem, von Allem! Wer zu ihr kommt, wer sie verläßt, es hat das Geringste Werth für mich. Versprechen Sie mir das, lieber Wenzel, und seien Sie meiner innigsten, dauerndsten Dankbarkeit gewiß.
Ich versprach es und er ergriff meine Hand und sah mich so durchdringend an, als wollte er bis in die tiefsten Falten meines Herzens schauen.
Hier haben Sie meine Adresse, wiederholte er dann, vergessen Sie nicht jedes Mal »Geheimes Cabinet im Ministerium des Auswärtigen« darauf zu setzen. Briefe damit versehen, werden mit größter Sorgfalt behandelt und ich erhalte sie gewiß, wo ich auch sein mag. Antworten werde ich selten und dann französisch, aber Sie begreifen, daß unsere Correspondenz überhaupt so still als möglich bewirkt werden muß. Meine, zärtliche Liebe für dies theure Kind und Ihre Freundschaft für mich könnten Gespött und Gerede machen. Der Jäger des Barons ist ein genauer Bekannter meines Jacques, geben Sie ihm Ihre Briefe, er wird sie befördern, auch sollen Sie durch diesen Mann, wenn es nöthig ist, von mir Nachrichten erhalten.
Ich versprach ihm Alles und er dankte mit feurigen Worten.
Ich gehöre zu den Naturen, sagte er lächelnd, die was sie ergreifen, mit ausdauernder Energie festhalten. Ich bin in meinen Neigungen so beständig, wie in meinen Abneigungen, ich liebe mit derselben Heftigkeit, wie ich hasse und verfolge. Wer mir Gutes erzeigt, mir treue Dienste leistet, kann sicher sein, daß ich es nie vergesse; wer mich täuscht und mein Vertrauen mißbraucht, kann aber eben so gewiß sein, daß ich es nicht dulde.
Sein Auge ruhte auf mir und während er lächelte, schossen Blitze über mich hin, die Furcht erregen konnten.
Ich werde Sie niemals täuschen, gnädiger Herr, sagte ich.
Nein, erwiederte er, das werden Sie nicht, ich verstehe mich auf die Menschen, Sie werden mein Freund bleiben bis zu Ende. Sie haben ein einfaches frommes Gemüth, das ist kein Deckmantel bei Ihnen, sondern Wahrheit, und eben deswegen – hier, unterbrach er sich und sagte: nehmen Sie.
Gnädiger Herr, antwortete ich bestürzt und erröthend, indem ich meine Hand auf den Rücken zog.
Nehmen Sie, wiederholte er freundlich, aber befehlend, und machen sie keine Umstände. Ich will Sie weder kaufen, noch belohnen, dazu wäre mehr nöthig, als dies kleine Röllchen, in welchem Sie fünf und zwanzig Friedrichsd'ore finden werden. Diese sind nichts, als was Sie verdienen. Man hat Ihnen ein elendes Honorar geboten, ich will nichts thun als zulegen, was paßlich und schicklich ist, sowohl für den Baron, wie für mich, der Sie meine zukünftige Frau unterrichten. Keine falsche Schaam, lieber Wenzel, oder wollen Sie, daß ich mich schämen, ich mich demüthigen soll?
So gezwungen, mußte ich sein Geld nehmen und kehrte dann mit ihm zu der wartenden Gesellschaft zurück. Nach einer Stunde hielt sein großer Reisewagen im Hofe, ein prächtiger englischer Wagen, vor welchen sechs Pferde gespannt werden mußten. Kunststraßen gab es damals noch nicht, die Landstraßen aber waren ungleich besser, als sie jetzt sind, denn man vernachlässigte sie nicht, wie es nun geschieht, sie waren das einzige Beförderungsmittel.
Er nahm Abschied und wir begleiteten ihn alle ein Stück hinaus, obwohl der Abend mit seinen Schatten kam. Jacques saß oben auf dem Bocke, der Wagen fuhr vorauf, der Freiherr ging mit uns bis dort drüben, wo die Straße am See vorüberführt. Hier nahm er Abschied.
Ich komme, sobald ich kann, sagte er, Mathildens Hand drückend, und wenn wir wieder hier stehen, theure Mathilde, wollen wir dieses Augenblickes gedenken.
Er riß sich los, winkte mit der Hand, daß Keiner ihm folgen möchte, und eilte seinem Wagen nach. Wir fuhren nach dem Gute zurück.
Es war natürlich viel von dem Geschiedenen die Rede und der Baron fragte mich, was er zuletzt noch von mir gewollt habe. Ich hielt es für angemessen, wenigstens einen Theil der Wahrheit zu sagen.
Der gnädige Herr, antwortete ich, hat mich der Ehre gewürdigt, mir seine Achtung zu versichern, auch habe ich die schmeichelhafte Einladung erhalten, ihm dann und wann ein Briefchen zusenden zu dürfen.
Nun, antwortete der Baron, das kann Er thun, und da Er überhaupt eine gute Hand schreibt, kann Er auch für mich Briefe schreiben, wo ich welche nöthig habe.
Ich dankte unterthänigst für dies neue Vertrauen, das mir von dieser Zeit ab zu Theil wurde, so daß ich nicht allein der Hauslehrer und der Candidat war, welcher zuweilen die Prediger in der Nähe Sonntags vertritt und den Gottesdienst auch wohl in der Stadt hält, sondern dabei zugleich den Geheimschreiber des Barons vorstellte, welchem er alle seine Correspondenzen übertrug.
Aber ich war glücklich, glücklich und zufrieden! Der Junker Kuno, welcher an meinen Stunden Theil nahm, hörte sehr bald auf, mir Mühen zu bereiten, denn da er nichts lernte und nichts begriff, fand er es weit nützlicher, mit dem Gewehre umherzustreifen, und seine Tage mit der Kunst, Hunde zu dressiren und Vogelschlingen zu drehen, angenehm zu verbringen. Als er dann zur Osterzeit eingesegnet ward, hielt es der Baron für die höchste Zeit, ihn seines Namens würdig in das Leben zu schicken. Er brachte ihn als Junker in ein Scharfschützenregiment, wo er sich vortrefflich befand; wir aber blieben nun allein, und nie hat eine Schülerin ihrem Lehrer dankbarer gelohnt.
Mathilde lernte mit wunderbarer Leichtigkeit. Ich dehnte meine Lehrstunden daher nach und nach weiter aus, als es nöthig war, las mit ihr die Geschichtsbücher der Alten, und lernte dabei von ihr, denn sie beobachtete feiner, schärfer, als ich es konnte. O welcher Genuß, diesen edlen Geist sich entwickeln zu sehen, welche Freude, für sie zu leben! Sie wuchs heran unter meinen Augen, Jahre vergingen, ich bemerkte es kaum. Ich wußte, daß sie mich ehrte, daß ich eine vertrauende Freundin besaß, und ich – ich hätte für sie leben und sterben mögen.
Mein Freund Heinrich, der junge Verwalter, blickte sehr ernst und nachdenkend, als er diesen Theil meiner Geschichte gehört hatte, während Marie lächelte und ihren Antheil sowohl durch ihre freundlichen glänzenden Blicke, wie durch die kleinen Liebkosungen kundgab, welche sie mir erzeigte.
O! ich freue mich doch gar zu sehr, rief sie, wie sich nun Alles zum Guten wendet, und ich begreife nicht, fuhr sie mit einem vorwurfsvollen Seitwärtsschauen fort, wie man dabei stumm und kalt wie ein Fisch bleiben kann.
Heinrich schüttelte den Kopf und that ein Paar lange Züge aus seiner Pfeife.
Es hört sich ganz behaglich an, sagte er, aber was wird daraus werden? Es ist mir bei alle Dem zu Muthe, wie wenn Himmel und Erde voll Sonnenschein sind, nur oben an den Bergen streift der weiße Dunst und es zittert darin hin und her, bis plötzlich die schwarze Nacht über den Wald gefahren kommt. Oho! fuhr er dann fort, jetzt weiß ich auch, was es zu bedeuten hat, daß die Frau Baronin mich heute hat zu sich bitten lassen, als ich drüben im Schlosse war, um mit dem Inspector wegen Hülfe bei der Ernte zu sprechen.
Ei seht doch! fiel Marie ein. Sie hat ihn rufen lassen!
Und sehr leutselig ist sie gewesen und hat sich mit mir ganz allein unterhalten, fuhr Heinrich lachend fort.
Wenn Du wüßtest, was sie mich fragte, mein liebes Mariechen!
Ich will es gar nicht wissen, sagte Marie. Aber was war es denn?
Von Ihnen, Herr Pastor, hat sie gesprochen, antwortete mein junger Freund. Erst fragte sie mich, ob ich Sie kenne. Dann, ob ich wüßte, wie lange Sie in dieser Gegend wären. Endlich, ob ich vielleicht gehört habe, daß Sie mit dem Freiherrn genau bekannt gewesen. Ich antwortete, ich wüßte es nicht, indeß könnte ich es wohl erfahren, und da meinte sie, es würde ihr lieb sein, und dann sah sie mich ein Weilchen an, und wie ich ganz etwas Anderes dachte, sagte sie plötzlich: Sie wollen, wie man mir berichtet hat, die Pflegetochter des Pfarrers heirathen?
Hier fing er an, laut zu lachen, denn Marie sprang auf und lief davon, er aber sprang auch auf, drückte mir die Hand und sagte leise:
Ich habe ihr geantwortet, bester Herr Prediger, daß es an meinem Willen nicht liegt, und sie hat mir zu verstehen gegeben, es würde ihr lieb sein, wenn sie Sie einmal sprechen könnte. Das heißt, sie sollen zu ihr kommen, das würde ich jedoch an Ihrer Stelle nicht thun. Dort wohnt der ehrwürdige alte Herr, habe ich zu ihr gesagt, allen Menschen, die zu ihm kommen, giebt er seinen guten Rath gern. Ich thäte es nicht, Herr Prediger, ich ginge nicht hin.
Nein, sagte ich, ich werde nicht hingehen, obwohl ich andere Gründe habe.
Recht so! rief er, wer mich sprechen will, mag zu mir kommen. Jetzt muß ich Mariechen suchen.
Fröhlich ging er fort, und bald sah ich sie Beide durch den dunkelnden Baumweg auf und ab wandeln in vertrauter Glückseligkeit. Welche Erinnerungen erfüllten mich dabei.
So suchte ich meine ewig theure Mathilde auch, wenn der Abend seine rothen Wolken ausschüttete, oder wenn der Mond das Land überglänzte und geheimnißvolle Schatten unter die alten Linden und Kastanien ausstreute. So wandelte ich mit ihr oft stundenlang umher und Niemand störte uns, Niemand beargwöhnte dies Beisammensein, dessen reines Glück Niemand verstand.
Der Baron hatte nichts dagegen, denn er sah diese Spaziergänge für nützliche Lehrstunden an, weil wir häufig französisch sprachen, und ihn erfreute nichts mehr, als daß Mathilde so rasche Fortschritte darin machte. Im Uebrigen dachte er nicht weiter darüber nach, denn daß ich ein junger Mann sei, der ein Herz in der Brust und Empfindungen, die Gott als die edelsten und herrlichsten dem Menschen gegeben, darin haben könne, das fiel ihm nicht ein.
Aber wie lange währte es, ehe es mir selbst einfiel! Ich, der arme Hauslehrer, ich, das abhängige, hoffende Geschöpf, das mit einem Fußstoß vernichtet werden konnte, wie hätte ich wagen mögen, mein Auge bis zu dem lieblichen Wesen zu erheben, das obenein die erklärte Braut meines Wohlthäters und Beschützers war? Hatten sich selbst verbotene Gefühle in mir geregt, sie hätte sicherlich mein Entsetzen aufgeweckt, Entsetzen, Schaam und Schmach vor mir selbst, und mit Entschlossenheit würde ich der Sünde Meister geworden sein.
Aber das war es nicht, ich hegte keine frevelhaften Wünsche, ich wußte von keiner Leidenschaft, welche ihr Verderben über mich ausschütten mußte. Ich betrachtete das schöne, unschuldvolle Kind so unschuldig, wie ich selbst war, und mit ehrfurchtsvoller Scheu sah ich in ihr ein anvertrautes Pfand, einen Baum, den ich pflegte und der zu meiner unendlichen Freude seine Krone und Blüthe immer reicher entwickelte. Nur wenn ich daran dachte, daß dies Glück enden werde, enden müsse, faßte mich der Kummer an; wenn ich vor meinem inneren Schauen den Tag erblickte, wo Richard von Hartenstein sie nehmen und in seinen Reisewagen heben würde, kam es mir vor, als starre ich in eine trostlose Wildniß.
Es war gewiß, daß meine angebetete Mathilde der Mittelpunkt und die Sonne meines Lebens geworden war, daß ich mit unendlicher Liebe an ihr hing, aber diese Liebe war, wie ich mir selbst sagte, die Liebe eines Vaters, eines Erziehers und Priesters. Meine Aufmerksamkeit, meine ängstliche Sorgfalt, wenn sie kleine Reisen machte und meine innige Freude, wenn sie zurückkehrte, erregten oft die Spöttereien des Barons, doch er sah diese Zeichen der treuesten Anhänglichkeit gern, und meine unverdrossenen Dienste, meine Demuth, meine pünktliche Befolgung seiner Befehle hatten mir sein Wohlwollen erworben, so weit dies überhaupt zu erwerben möglich war.
Er war und blieb ein gefürchteter Tyrann, für Alle, selbst für seine Familie und seine nächste Umgebung. Heute mild gesinnt, wohlthätig, zur Großmuth geneigt, erschien er morgen hartherzig, ungerecht, gewaltthätig. Mit der Peitsche in der Hand, schonte er nichts in übler Laune, weder seine Pferde und Hunde, noch seine Bauern, seine Diener und seine Kinder. Gegen Mathilden allein war er ein zärtlicher Vater, sie nur konnte es wagen, ihm in seinem heftigsten Zorne entgegenzutreten, nur ihre Bitten fanden Gehör, und sie war der Schutzengel aller Mißhandelten und Verfolgten.
Schwerlich würde meine Stellung von der Art gewesen sein, daß Friede und Stille mich umgaben, wenn Mathilde nicht so offen gezeigt hätte, wie sehr sie meine Verehrung durch ihre Achtung erwiederte. Ich war ihr Vertrauter, ihr Freund, ihr Berather. Es gab nichts, was sie mir nicht mittheilte, keinen Gedanken, den ich nicht erfuhr, keine Regung ihrer Seele, die sie mir nicht offenbart hätte. Sie sagte mir oft, daß es ihr unmöglich sei, Etwas zu verschweigen, und nichts in der Welt hätte mich stolzer machen können.
Dagegen war ich nicht ganz so offen gegen sie, oder vielmehr, es gab doch einen Gegenstand, über welchen wir beide so viel als möglich schwiegen, das war der Legationsrath von Hartenstein. Ich erfüllte was ich ihm versprochen, schrieb sehr pünktlich, anfangs wöchentlich, dann wenigstens alle zwei oder drei Wochen einen Bericht, setzte die mir anbefohlene Adresse darauf, und gab ihn jedes Mal dem Förster, der mir die nöthige Gelegenheit bot, es unbemerkt zu thun. Es war mir peinlich genug, der Vertraute dieses Mannes zu sein, den ich nicht leiden mochte, entweder weil er ein Günstling des Barons oder weil er ein roher, tückischer Mensch war, oder weil Beides zusammentraf und er mich mit besonderer Vertraulichkeit behandelte. Gleich beim ersten Male, wo ich mit ihm zusammentraf, suchte er mir begreiflich zu machen, daß wir Verbündete seien, die verschwiegen zusammenhalten müßten.
He, sagte er, ich denke, wir wollen den Legationsrath gut bedienen. Es soll nichts hier geschehen, was ich nicht erfahre, und ich will es Ihnen schon zustecken, damit Sie es auf's Papier bringen können. Passen Sie nur auch gut auf, je eifriger wir sind, um so besser wird er bezahlen. Aus Geld macht er sich nichts, wir aber können es Beide brauchen, arme Schlucker, wie wir sind.
Daß nur kein Brief verloren geht, antwortete ich, meinen Unmuth so gut es ging verbergend.
Seien Sie ohne Sorgen, fuhr er fort, Jakob und ich, wir verstehen die Sache. Ich gebe Ihre Briefe dem alten Bremer, dem Schloßverwalter in Hartenstein, der ist verschwiegen wie das Grab. Von ihm bekommt sie der Posthalter, und dieser war Kammerdiener bei dem alten Freiherrn, zieht noch jetzt sein Decem Bezeichnung für die Abgabe des »Zehnt«. In Deutschland hatte sich der Zehnte noch bis ins 19. Jh. erhalten., und besorgt pünktlich, was ihm aufgetragen wird. Wenn's der Baron wüßte, fügte er lachend hinzu, ein Donnerwetter würde auf unsre Köpfe fahren, denn das Spioniren kann er nicht ausstehen. Na, erschrecken Sie nur nicht so, erfahren kann er nichts, dafür sind wir zu klug, viel zu klug.
Ich bin der Ueberzeugung, erwiederte ich stammelnd und dunkelroth, daß ich nichts Unrechtes thue, da der Herr Legationsrath so nah befreundet ist und die Heirath – die Heirath.
Pst! flüsterte er pfiffig, das ist es ja eben. Unser Fräulein ist ein fetter Bissen und der Legationsrath versteht sich darauf. Wenn Alles so wäre, wie es sein sollte, brauchte er uns nicht; aber er ist mehr als noch einmal so alt wie das junge Ding; schön ist er auch nicht, einen gehörigen Buckel hat er, was haben wir hier dagegen für schmucke Herren, die zu Pferde sitzen wie die Puppen und einen Hirsch im Galopp schießen. Der da, sagte er verächtlich, kann weder einen Jagdstiefel anziehen, noch eine Büchse spannen; er riecht wie eine Zibethkatze und braucht mehr Geld für Pommade, wie unser Baron für Alles in Allem das ganze Jahr. Wenn unseren Herrn nicht der Hochmuthsteufel am Seile hätte, rief er dann sich zu mir beugend, und es nicht ein altes Versprechen wäre mit dem seligen Freiherrn, so wüßte ich wohl, was er thäte. So recht leiden können sie ihn Alle nicht, und das Fräulein am wenigsten. Sie gehen mit ihm um, als wäre er von Glas und könnte zerbrechen, und er weiß Alles besser. Aber vornehm ist er und klug ist er wie der leidige Satan. Er ist auch eine Art Satan und dann hat er den Jakob, der kennt alle seine Schliche. Na, was geht es uns an? Wir thun ihm den Willen und er bezahlt uns. Immer frisch die Ohren auf, denn wenn Etwas geschieht, was nicht in seinen Kram paßt, so wird er da sein und es uns danken. Funfzig goldene Füchse, Herr Candidat, ziehen noch besser als fünf und zwanzig.
Ich machte mich schaamerfüllt von ihm los und vermied es von dieser Zeit an, je wieder ein längeres Gespräch mit ihm zu halten. Meine Meinung über Richard von Hartenstein war durch diesen gemein denkenden Mann nicht geändert worden. Was konnte der Legationsrath dafür, daß er so schimpflich beurtheilt wurde? Ich bedauerte ihn und suchte mich durch ihn zu rechtfertigen, denn wenn ich daran dachte, daß dieser Elende mich als einen Spion betrachtete, und wenn ich überlegte, was geschehen konnte, wenn der Baron, wenn Mathilde meine geheimen Briefe entdeckten, überkam mich ein entsetzliches Bangen.
Aber der Legationsrath war ein feiner, ein edler und hochgebildeter Mann, er war mein Freund, mein Beschützer und er liebte Mathilden. Er liebte sie, war das ein Verbrechen? Fern von ihr, gezwungen, sie zu verlassen, war es sein Trost, von ihr Alles zu hören, was sie und ihre Umgebung betraf, mochte es noch so unbedeutend sein.
Ich versetzte mich in seine Lage und fragte mich, ob es nicht mein höchstes, denkbares Glück sein würde, wenn ich getrennt von diesem lieblichen Wesen, einen Freund besäße, der mir von jedem Tage, von jeder Stunde, wo er sie gesehen und gehört, Nachricht gäbe, voll der Bewunderung und Genugthuung, die er selbst dabei empfunden. So beruhigte ich mich und nur das Geld, welches er mir zugewandt, machte mir Bedenken. Er hatte es zwar ausdrücklich eine Vervollständigung meines Honorars genannt, allein dafür war es zu viel, denn für gewöhnlich erhielt ein Hauslehrer damals nicht mehr, als was der Baron mir bewilligte. Ich beschloß demnach, jene Goldstücke nicht anzurühren, sie nicht als mein Eigenthum zu betrachten, sondern als fremdes Gut, das ich verwahre. –
Getröstet in meinem Gewissen, fuhr ich fort, Briefe zu schreiben, und diese wurden oft sehr lang, denn ich schrieb ganze Gespräche ab, welche Mathilde mit mir hielt, und in welchen sich ihr Edelmuth, ihre Seelenreinheit, ihr klares, schönes Denken und ihr unschuldsvolles Empfinden offenbarte. Antworten darauf erhielt ich zwar sehr selten, doch kamen von Zeit zu Zeit Briefe an den Baron und an das Fräulein, zuweilen begleitet von prächtigen Geschenken, und einige Male lag auch ein Blatt für mich darin, mit huldvollen Zusicherungen des fortgesetzten guten Andenkens, das er mir bewahre, und anderen ähnlichen Redensarten. Auf diese Briefe mußten dann Antworten erfolgen, wie sie mir der Baron dictirte.
Mathilde schrieb nur in französischer Sprache, diese Briefe blieben aber stets kurz und bewegten sich in den hergebrachten höflichen Formen. Der Baron ließ sie sich übersetzen und war zufrieden damit, so auch mit denen des Legationsraths an seine Tochter, welche keinesweges zärtlich oder feurig lauteten, sondern meist ernsthaft, belehrend und ermahnend klangen, über viele Arbeit und angestrengte Thätigkeit klagten und mit moralischen Betrachtungen über Welt, Leben, Leichtsinn, Zeitverlust und Verwilderung der Sitten schlossen.
Die französische Revolution war damals durch den General Bonaparte zum Abschluß gebracht worden. Das neue Jahrhundert brach herein und zeigte der staunenden Menschheit bald einen ersten Consul, vor welchem die mächtigsten und ältesten Fürstenhäuser sich beugten. Damals gab es selbst in der Hauptstadt nur einige kleine Zeitungen, welche zwei Mal wöchentlich erschienen, allein bis zu uns verirrten sich auch diese höchst selten, und nur den Gerüchten und vereinzelten Mittheilungen blieb es überlassen, uns von dem zu unterrichten, was in der Welt vorging.
Der Baron war mit der tiefsten Verachtung gegen Alles, was Franzose hieß, erfüllt. Er kannte sie von Roßbach Schlacht bei Roßbach im heutigen Sachsen-Anhalt am 5. November 1757; Sieg des preußischen Königs Friedrich II. über die französische Armee. her und sah nichts in ihnen, als eine Rotte Gesindel, das beim ersten Kanonenschuß ans Ausreißen dachte. Dazu kam die Revolution und die Hinrichtung Ludwigs XVI., an welche er nicht denken konnte, ohne in Wuth zu gerathen. Es war auch selten Jemand in unserer Gegend zu finden, der anders urtheilte. Die Landleute lebten in tiefster Abhängigkeit, der Adel aber auf seinen Gütern – denn ein Bürgerlicher konnte und durfte kein Rittergut besitzen – war voller Haß über die Anmaßungen des Pöbels und über die neuen Ideen, obwohl er keine Ahnung hatte, daß die Frechheit derselben auch einmal seine Vorrechte antasten könnte.
Die Briefe des Legationsrathes enthielten nun zuweilen auch Bemerkungen über die politischen Verhältnisse, aus denen hervorging, mit welchem spottenden Ingrimm die Diplomaten sich in das Unabänderliche fügten, allein sie fügten sich doch, und sprachen von Bonaparte wie von einer außerordentlichen Erscheinung. Mehr als einmal mußte ich auf Befehl des Barons schreiben, daß es Schmach und Schande sei, einem solchen Cujon, wie diesem Bonaparte, nicht die Bajonette in die Rippen zu setzen. Vor dem Krückstock des alten Fritzen wäre er mit allen seinen Kiskedies (Franzosen) längst über den Rhein gelaufen und wenn erst einmal die Preußen kämen, sei es aus mit der Faxenmacherei des corsicanischen Windbeutels.
So urtheilten sie mit wenigen Ausnahmen Alle, und eben dieser übermüthige Glauben hat später das Unheil noch mehr erleichtert. Der Legationsrath antwortete darauf mit allerlei sarkastischen Bemerkungen, daß der Hammer nicht fehlschlagen würde, wenn er seinen Schlag thäte, den man abwarten müsse, daß der König friedliebender Natur sei, die sich schwer besiegen lasse, daß man einen Bären finge, wenn man ihm Honig zu lecken gäbe, und daß dieser Bonaparte auch seinen Strick finden werde, der vielleicht schon für ihn gesponnen sei.
Nach einem Jahre ungefähr wurde dieser Briefwechsel unterbrochen, denn der Legationsrath hatte eine weite Reise angetreten, doch ehe der Baron diese Nachricht erhielt, war ich davon in Kenntniß gesetzt. Durch den Förster Heinz empfing ich eines Tages ein Schreiben von Richard von Hartenstein, mit der Anzeige, daß er an den spanischen Hof geschickt werde. Voller Dank für meine Freundschaft, bat er mich, nicht darin zu ermüden, und ersuchte mich, meine Briefe ganz wie bisher abgeben zu lassen, da er sie mit den Depeschen nach Madrid erhalten würde. Zugleich wiederholte er seine Versicherungen ewiger Dankbarkeit, und was ich davon erwarten dürfe.
Als ich nach einigen Stunden zu meiner Schülerin kam, stand sie vor einer Landkarte, die an der Wand hing, und suchte darin umher. Ihr Gesicht schien besonders freundlich und belebt, und als sie mich ansah, winkte sie mir lächelnd zu. Wenn man nach Spanien reist, fragte sie, welcher würde dann der nächste Weg sein?
Ich glaube, daß ich bei dieser Frage erblaßte, denn ich bildete mir ein, es sei im Werke, daß sie dem Freiherrn nachfolgen solle.
O mein Gott, sagte ich, das ist eine lange und gefährliche Reise durch Deutschland und Frankreich und über das wilde Gebirge der Pyrenäen.
Herr von Hartenstein, antwortete sie lächelnd, ist schon auf dem Wege, allein er geht zuerst nach London und dann zur See.
Und Sie? fragte ich.
Ich? Nun ich, lieber Magister, ich bleibe bei Ihnen und meine, daß dies das Beste ist, was ich thun kann.
Ihre Augen sahen so hell in die meinigen, daß ich vor seliger Freude kein Wort erwiederte. Sie wurde auch verlegen über ihre Worte, und wandte sich wieder zu der Landkarte, die wir nun beide studirten und über den Weg sprachen, welchen der Legationsrath nehmen mußte. Dabei erzählte sie mir, daß der Baron so eben einen Brief erhalten habe, in welchem aber nichts stehe, als daß ihr Vetter am nächsten Morgen fort müsse und nicht durch Frankreich reisen werde.
Und auch Sie haben keine umständlichere Nachricht? fragte ich.
Er wird sobald nicht wiederkommen, erwiederte sie leise lächelnd vor sich hin.
Der Ton, in welchem sie diese Worte sprach, erregte mir ein sonderbares Zittern. Sie klangen so, als wäre, was sie mir mittheilte, etwas recht Glückliches. Ich wagte keine Bemerkung darüber, doch plötzlich erinnerte ich mich, was der Förster gesagt hatte, sie können ihn Alle nicht recht leiden und das Fräulein am wenigsten. Zum ersten Male glaubte ich daran, nachdem ich dies gesehen und gehört hatte.
Aber im Stillen war ich darüber betrübt, und doch kamen auch Stunden, wo es mich freute. Warum mochte sie ihn nicht leiden, ihn, der sie so sehr liebte? Der vornehme stolze Herr, der sie zu seiner Gemahlin machen und sie in ein prächtiges, geräuschvolles Leben führen wollte, schien mir so liebenswürdig und so reich an Vorzügen und Tugenden, daß ich ihre Abneigung nicht begriff und nach kurzer Zeit es wieder bezweifelte. So viel war jedoch gewiß, daß, nachdem sie wußte, der Freiherr sei durch weite Länder und Meere von ihr getrennt und könne sobald nicht zurückkehren, ihre Heiterkeit und ihr Frohsinn sich vermehrten.
Im Herbst kamen ihre Brüder und deren Freunde und Vettern. Die Jagden begannen und Feste wurden gefeiert; der Adel in der Umgegend war vergnügungslustig, bei schwelgerischen Mahlen und Bällen versammelten sich die Damen, bald dort, bald da, und überall wurde jetzt Mathilde von dem Baron mitgenommen. Sie zählte noch nicht sechszehn Jahre, aber man konnte sie für achtzehn halten. Hartenstein hatte ihr mancherlei schönen Putz geschickt, und der Baron, so geizig er war, sparte keine Kosten, um seine schöne Tochter zu schmücken, die überall Aufsehen zu erregen begann.
Es befanden sich einige Herren aus der Hauptstadt bei diesen Festen, Offiziere von der Garde und ein Kammerherr, die auf ihre Ehre schwuren, daß dies schöne Kind selbst bei Hofe Neid erregen würde. Ich hatte Gelegenheit ein solches Gespräch einst anzuhören, während ich hinter einem Vorhange am Fenster stand und im Saale vor mir getanzt wurde. Es gab mir viel zu denken.
Hartenstein, sagte der Eine, will also wirklich diese Partie machen?
So wie er aus Spanien zurückkehrt, war die Antwort.
Und sich nicht etwa eine schwarzäugige Donna mitbringt, fiel der Erste ein.
Bah, erwiederte sein Freund, er hat rasch gelebt, doch wenn Einer versteht, seine Zeit anzuwenden, so ist er es.
Das muß wahr sein, fiel der Andere ein, und er hat Geschmack, das sieht man selbst an diesem Blümchen vom Lande, das den Beschluß machen soll.
Den Beschluß? lachte sein Freund. Bei meiner Ehre! das ist eine kühne Behauptung. Allein die Partie ist gut, das kleine blonde Mädchen hat Geld.
Das Vermögen ihrer Großmutter fällt ihr allein zu, überdies ist der Alte auch im guten Stande und wenn sie ordentlich zugestutzt wird, braucht er sich ihrer nicht zu schämen.
Warum bringt man sie denn nicht in eine Pension?
Weil der Alte ein Knicker ist und weil ich glaube, Hartenstein versteckt sein Schätzchen so gut er kann.
Die beiden Herren lachten boshaft. –
Wie wär's, wenn Sie einen Sturm wagten, Graf? fragte der Eine dann.
Danke! antwortete der Graf. Ich liebe die rohe Natur nicht, die mich anstarrt ohne mich zu begreifen, dazu dieser Schwiegervater – ein köstlicher alter Bursche!
Und nicht zu vergessen den verhungerten Candidaten, der hinter dieser Dulcinea herschleicht wie der Schatten Sancho Pansas, fiel sein Freund ein. Ich glaube das süße Kind hat sich in ihn verliebt.
Verliebt? in den schwarzen Affen?
Sie sieht ihn so zärtlich an wie ein Säugling seine Wickelfrau und läßt uns stehen, um mit ihm zu kosen. Wo ist das holdselige Ungeheuer? Bemerken Sie, wie sie ihn sucht!
Das Gelächter erneute sich, die beiden Herren standen auf. Ich schlüpfte aus meinem Versteck und eilte fort in die Nacht hinaus, drückte meine Hände auf mein hochschlagendes Herz und wiederholte mit zitternden Lippen:
Sie liebt mich, mich, das Ungeheuer, den Elenden, den Knecht? – Wahnsinn! – O nein, nein! theure, angebetete Mathilde, sie lügen, sie spotten, aber ich, ich liebe Dich, weil Du schön, weil Du gut, weil Du fromm wie Gottes Engel bist.
Nach diesem Bekenntniß wurde ich ruhiger, und als ich meine Thorheit zwanzig Mal überlegt hatte, kehrte ich in den glänzend erleuchteten Saal zurück, um mein Haupt vor dem Spotte der Menschen zu beugen, die mich weniger beachteten denn einen Fleck auf ihrem Handschuh.
In einem der Vorzimmer kam sie mir entgegen und ich weiß nicht ob mein Gesicht verstört oder bleich aussah, sie legte ihre Hand auf meinen Arm, sah mich besorgt an und fragte leise:
Wo waren Sie?
Ich entschuldigte mich, es sei mir zu heiß gewesen.
O, werden Sie nicht krank! bat sie. Sie sehen so aus, ich ängstige mich.
Gewiß nicht, antwortete ich, ich fühle mich wohl.
Wenn wir nur erst wieder allein sind, fuhr sie fort. Ich hasse dies Getobe und diesen bunten Menschenhaufen.
Der Graf erschien an der Thüre, um sie zum Tanz zu holen, er warf mir einen hohnvollen verächtlichen Blick zu. Ich verneigte mich und trat zurück, aber ihre Worte und ihr letztes freundliches Zunicken hatten einen Strom von neuem Glück über mich ausgegossen.
Von diesem Tage an verging wiederum ein Jahr meines Lebens, für welches ich dem allgütigen Gott noch immer dankbar bin. Nichts störte meine Zufriedenheit; keine sündige Anfechtung warf ihre schwarzen Schatten auf mich; jeder neue Morgen brachte mir neue Freuden. Mathilden war mein ganzes Dasein gewidmet, alles was ich that, alles was ich dachte, war für sie gethan und gedacht. Was ich lernte war darauf berechnet, es sie zu lehren, was ich erforschte, sollte ihr Freude machen; ich sann unaufhörlich darauf, was ich beginnen könne, um ihr zu beweisen, wie lieb und theuer sie mir sei.
Und in dies reine edle Beisammensein mischte sich kein ungestümer Wunsch. Ich wußte ja, wie hoch und fern sie mir stand, ich wußte ja, was ihr Vater, ihre Familie von ihr erwarteten, was der entfernte vornehme Herr wollte, der inzwischen von Spanien nach Konstantinopel und von dort nach Petersburg geschickt worden war und noch immer nicht zurückkehrte.
Unsere Correspondenz hatte aufgehört; es war mir nicht möglich mehr an ihn zu schreiben. Theils schämte ich mich es Mathilden zu verbergen, theils beherrschte mich eine unbestimmte Furcht meine Gedanken und Empfindungen dem Legationsrathe so mitzutheilen, wie es jedenfalls geschehen wäre. Ich fürchtete ihm etwas zu verrathen und doch sagte ich mir, daß meine Liebe zu Mathilden ihn nicht erschrecken könne. Er wollte ihren Körper, ihren Besitz, ihr Geld, ich wollte ihre Seele und diese gehörte mir. Ich war zufrieden mit ihrer Nähe, mit ihrem Lächeln, mit einem Blick aus ihren Augen, mit dem Klange ihrer Stimme, die in meinem Herzen eine selige Lust aufweckte – ich wußte nicht, daß ich mich in eine Schwärmerei verloren, die eines Tages zerbrechen mußte und daß ein Abgrund darunter lag, den wir beide künstlich zugedeckt hatten.
Um diese Zeit war es auch, wo ich zuerst dies Haus und diesen Garten betrat, in welchem ich jetzt sitze und meine Erinnerungen niederschreibe. Der Pastor Lerche, der diese Pfarre verwaltete, war ein frohsinniger Greis, einer der alten derben Rundköpfe, welche Lebensgenuß zu schätzen wissen, mit Denken und Studiren sich nichts zu schaffen machen, aber dafür die guten Schüssel, den vollen Bierkrug und die dampfende Pfeife lieben. Seine Stelle war eine der besten und seine Gastfreundschaft eben so bekannt, wie seine Genußsucht und seine Garten- und Bienenzucht.
Ich fühlte mich wenig zu ihm hingezogen und da dieser Ort mehrere Stunden von meinem Aufenthalte entfernt lag, kam ich nicht eher zu ihm, bis ich dazu ganz besonders aufgefordert wurde. Die Ursache war, daß der Greis von einem Schlaganfalle heimgesucht ward, als er bei einer Hochzeit des Guten zu viel gethan. Er blieb gelähmt und ich vertrat ihn nun öfter in seinem Amte. Das Patronatrecht der Stelle war getheilt, es gehörte theils dem Freiherrn von Hartenstein, theils dem Baron von Daber; an die Folgerungen, welche sich daraus ziehen ließen, dachte ich nicht im Entferntesten, auch war das Befinden des Pfarrers nicht von der Art, daß sein baldiges Ende vorausgesehen werden konnte.
Während des Sommers und Herbstes hatte ich mehrere Male hier gepredigt und in üblicher Weise dann den Tag im Pfarrhause verlebt, wo ich bewirthet wurde. Der Pfarrer war gut eingerichtet und seine Tochter sorgte mit Freundlichkeit für mich, wogegen ich mich bemühte, ihr Trost zuzusprechen und Hoffnungen für die Wiederherstellung ihres Vaters zu erwecken. Es war ein gutherziges Mädchen, nicht mehr jung und noch weniger schön. Der Vater bei seinen Bienen, seinen Blumen und mit Kartenspielen und Tabakrauchen beschäftigt, hatte niemals Zeit gehabt sich um ihre Erziehung zu kümmern, dafür lehrte die Mutter sie spinnen, nähen, weben und stricken, den Braten vortrefflich bereiten und den besten Kuchen backen. Als die Mutter starb, war Jungfer Dorothea eine verständige Haushälterin geworden, die keine faule und schlechte Magd, keine Unordnung und keinen dick gesponnenen Faden duldete, selbst arbeitete von früh bis spät und von ihren Untergebenen Arbeit verlangte. –
Mit diesem ländlich kräftigen Mädchen brachte ich verschiedene Sonntage zu, hatte manche Gelegenheit ihren praktischen Sinn und ihre Sorgsamkeit für den kranken Vater zu erkennen, kehrte aber dann mit verstärkter Sehnsucht zu meiner geliebten Schülerin zurück, die in so vielen Dingen der Gegensatz zu Dorothea war.
Heute brachte mir mein junger Freund Heinrich ein Billet von der Baronin von Hartenstein, in welchem sie mich einlud sie zu besuchen, da sie mir verschiedene Fragen vorzulegen habe, welche ihren verstorbenen Gemahl und dessen Familie beträfen.
Der Spaziergang ist für mich zu weit, erwiederte ich, und bei dieser großen Sonnenhitze kann ich ihn kaum wagen.
Ganz recht, fiel der junge Mann lebhaft ein, aber wenn es auch nicht so wäre, sie müßte dennoch kommen. Ich will es ihr mit dürren Worten sagen und habe es halb und halb auch schon gethan. Sie hat keine Ursache hochmüthig zu sein, denn jetzt weiß man gewiß, daß nicht ein Ziegel auf dem Dache ihr gehört.
Mein lieber Heinrich, antwortete ich ihm, eben weil es so ist, müssen wir um so milder mit ihr sein. Ich will ihr einige Worte schreiben, und sie bitten meine Schwäche zu entschuldigen.
O, Sie, rief er unmuthig, Sie haben in Ihrem ganzen Leben zu nachgiebig und – nehmen Sie es mir nicht übel – zu schwach gehandelt. Wären Sie entschlossen gewesen kein Unrecht zu dulden, so wäre es anders gekommen. Hätte ich diese Mathilde geliebt – bei Gott! keiner hätte sie mir nehmen sollen und wenn es zum Aeußersten gekommen wäre.
Marie hielt ihm erschrocken den Mund zu.
Laß ihn nur, sagte ich traurig lächelnd, vielleicht hat er nur zu sehr Recht. Weil ich mehr Ergebung als Muth besaß, ist mir geschehen, was er vielleicht gehindert hätte. Aber Gott hat in die eine Menschenbrust die Stärke des Löwen gelegt, in die andere die List der Schlange. Mir hatte er den Muth zugetheilt zu tragen, was ich tragen mußte, um die Seele vor Verzweiflung zu retten, welche gläubig an meinen Lippen hing.
Sie verließen mich beide still und in sich gekehrt und ich habe diese Nacht recht unruhig zugebracht, theils der Hitze wegen, theils aber wohl weil ich sehr bewegt von mancherlei Gedanken und Vorstellungen war, die aus dem dunkeln Gefängniß meiner Erinnerungen, wo sie vergessen lagen, hervorkamen und sich lebendig um mich bewegten. Ich bereue beinahe, daß ich mich damit eingelassen, meine an sich so geringen Begebnisse niederzuschreiben; denn wer sein Leben beschreibt, muß seine Feder in die Wunden tauchen, die er aufreißt und ich begreife, wie der verstorbene Freiherr nicht dazu kommen konnte Memoiren zu verfassen, da so viel aufgestachelte Leidenschaft es ihm unerträglich machen mußte.
Dennoch habe ich den Drang dazu, nachdem ich von meinem Glücke gesprochen, auch mein tiefes Leid nicht zu verschweigen; allein ich fühle die Kraft nicht mich darin zu versenken und muß mich begnügen ein flüchtiges Bild davon zu entwerfen.
Als der dritte Herbst gekommen war, hatte Mathilde ihr siebenzehntes Jahr erreicht und eine schöne aber zarte Jungfrau hatte sich entfaltet. Am Tage nach diesem Geburtsfeste war es, wo ich mit ihr von einem Spaziergange zurückkehrte und wir beisammen auf dem Hügel am Ende des Gartens standen, von dem aus man das weite Feld überblickte. Landleute waren in der Ferne beschäftigt die Wintersaat zu bestellen. Sie trieben ihre Thiere an und nicht weit von uns bemerkten wir einen jungen Mann, der fröhlich jauchzend und singend sein Gespann lenkte und dabei Scherze mit einem Mädchen trieb, das eben so froh und lustig war wie er selbst.
Die Sonne fiel roth und schön hinter weißem Gewölk und färbte es bald mit jenem wunderbaren feurigen Purpur, den so leicht kein Menschenauge anblicken kann, ohne ein göttliches Empfinden zu spüren. Der arme Bauer auf der Höhe vor uns wurde von diesem Lichte verschönt, die Bäume und Felder von einer süßen zauberischen Ruhe bedeckt und als ich aufblickte zu Mathilden, stand sie wie in Verklärung vor mir, ihre Hände gefaltet, ihre Augen voll Thränen.
O theuerste Freundin, sagte ich, warum weinen Sie?
Ich möchte sterben, antwortete sie leise.
Sterben! rief ich erschüttert. Sie so jung, so hoffnungsvoll! Sterben, fügte ich hinzu, welch furchtbares Wort!
Hat der Tod denn so viel Schreckliches für Sie? fragte sie mich. Ist er nicht ein Erlöser von Leiden? Führt er uns nicht aus diesem dunklen Leben zu dem Quell alles Lichtes?
Wenn wir unser Leben auf Erden vollbracht haben, wie es Gottes Wille ist, sagte ich.
Was ist Gottes Wille?! flüsterte sie. Und plötzlich hob sie die Hand auf und deutete auf den Bauer, indem sie mit ungewöhnlicher Heftigkeit ausrief: Er ist glücklich, warum bin ich es nicht?!
Erschrocken sah ich sie an. Sie sind nicht glücklich? fragte ich von Schmerz ergriffen. Was, o mein Gott, was kann ich thun?
Wie sie sich an mich lehnte, wie sie ihre Augen mit beiden Händen bedeckte und wie ich diese faßte und. fortzog, ergriff mich eine namenlose Angst. Dann sah ich ihre Blicke auf mir ruhen, ein glühend Feuer brannte darin, war es der Abglanz der Himmelsglut, die jetzt in ihrer ganzen Majestät aufloderte, war es die stumme Sprache ihrer Seele – die Flamme schlug über mich zusammen, ich wußte nicht mehr was ich that.
Mathilde! schrie ich auf, und küßte sie. Ich zog ihre Hände an mein Herz, ich kniete zu ihren Füßen, ich sah, wie sie sich niederbeugte, wie ihre Lippen sich zu mir neigten, ich hörte wonnevoll zitternd, wie sie mich Friedrich nannte.
An Frieden reich! Wer hatte mir diesen Namen gegeben? – O meine arme Mutter, Segen, Segen in Deinem Grabe! Deine Stimme hallt noch jetzt in meinem Ohr, als Du bei Deinem letzten Abschiede zu mir sprachst: Bringe Frieden wohin Du gehst und sei dem Herrn treu, er wird Dir seine Krone reichen.
Wie ich vor Mathilden auf meinen Knieen lag, das war die schönste, die süßeste Minute meines Lebens. Geliebt von ihr, trunken in Seligkeit, alle Erdennoth vergessen, befreit von aller Niedrigkeit, Gott gleich in seiner göttlichen Freiheit und Stärke! Solche Minute wiegt langen Kummer auf, sie ist ein langes Menschenleben werth.
Plötzlich schrie eine Stimme unten zwischen den Bäumen:
Da steht sie. Dort oben. Halloh! und wo ist der Magister? Was sucht er da unten auf dem Boden? –
Es war als ob die Trompeten von Jericho klangen, vor denen alle Mauern stürzten.
Ja, die Mauern vom Tempel meines Glücks stürzten ein, sie fielen prasselnd auf mich. Ich blickte mit verzerrtem Munde, mit rollenden Augen zu dem Wege hin und sah dort den Baron, dem Richard von Hartenstein nachfolgte.
Der Freiherr hatte einen weiten dunkeln Reisemantel um seine Schultern geschlagen, der ihn ganz einhüllte, sein Hut mit breiten Spitzen war tief in seine Stirn gedrückt. Der Wind, der sich erhob, schlug das rothe Futter des Mantels um und die brennende Gluth des Himmels verwandelte sich in ein gewitterhaft drohendes Dunkel. Er sah mich stier und fest an, ein Grauen ergriff mich, denn es kam mir vor, als ob der böse Feind mich betrachte, um mich zu verschlingen. Seine Hand hielt den Griff des Degens gefaßt, den er trug; ich war unfähig mich zu rühren, so hatten Ueberraschung und Schrecken mich ergriffen. Auf meinen Knieen lag ich wie festgebannt und erwartete, daß er mich durchbohren würde. Aber dies Alles war nur ein Augenblick, denn im nächsten lachte er laut auf, kam auf mich zu, faßte meinen Arm und zog mich in die Höhe.
Ich bin es wirklich, rief er, bin keine Erscheinung, lieber theurer Magister. Ich bin da, meine kleine Braut, meine süße Mathilde, zurückgekehrt zur guten Stunde, wie ich denke, und schwöre es Sie nun nicht wieder zu verlassen.
Er öffnete seine Arme, doch sogleich besann er sich, küßte Mathildens Fingerspitzen und lüftete mit der andern Hand seinen Hut. Wie es damals üblich war, wo in den höhern Ständen wenigstens, Mann und Frau sich nicht Du nannten, sondern Sie und die äußere höfliche Förmlichkeit festgehalten wurde, mochten auch alle sittlichen Schranken längst gefallen sein, so behandelte auch der Legationsrath seine Verlobte mit aller Galanterie dieser Zeit. Er that, als bemerkte er nicht ihre Blässe, ihr Zittern, ihren entsetzlichen Zustand; er überschüttete sie mit Schmeicheleien über ihre körperliche Entwickelung, über ihre Schönheit und ihr gutes Aussehen, und ließ den Baron nicht dazu kommen, irgend eine Bemerkung zu machen.
Eine solche machte dieser aber dennoch zuletzt. Er betrachtete mich mit einem grimmigen Blick und sagte, indem er auf meine Beine wies:
Wie sieht Er denn aus und was hat Er denn da in der Hand?
Es war Mathildens Ring, ein Erbtheil ihrer seligen Mutter, den sie in meinen Fingern zurückgelassen hatte.
Mathilde hat den Ring verloren, und der gute Magister hat ihn im Schweiße seines Angesichts gesucht, rief Hartenstein lachend statt meiner. Er soll ihn auch behalten zum ewigen Andenken an diese Stunde.
Damit wandte er sich zu Mathilden und bat sie um ihre Einwilligung zu diesem Präsente für seinen werthen Freund, der sich so viel um sie und ihn verdient gemacht habe. Ich sah einen teuflischen Hohn um seine Lippen, während er in graziöser Weise ihre Fingerspitzen küßte.
Wir gingen dann gemeinsam in das Haus zurück. Der große Reisewagen stand an der Thüre, derselbe Wagen, in welchem er uns verlassen hatte. Monsieur Jacques war mit Abpacken beschäftigt und nickte mir einen heimlichen Gruß zu, indem er die Koffer hereinbrachte. Der Freiherr war von Petersburg gekommen und hatte seine Ernennung zum Geheimen-Legationsrath als Belohnung vom Grafen Haugwitz in Empfang genommen; mit ihr in der Tasche war er zu uns geeilt, um, wie er sagte, jetzt in den Armen der Liebe auszuruhen. –
Mit dem Eintritt dieses Mannes in dies stille Haus veränderte sich dessen ganzes Aussehen. Er hatte außer Jakob noch einen Bedienten mitgebracht, welche beide auf seinen Wink ganze Packe und Kisten mit den kostbarsten Geschenken herbeitrugen. Reiche Stoffe, Geschmeide, Luxusgegenstände aller Art, breiteten sich auf den Tischen aus, vor denen Mathilde furchtsam und bildsäulenartig stand.
Der Baron stolzirte mit türkischen Pfeifen umher, deren ungeheure Bernsteinknöpfe ihm besonderes Vergnügen machten. Stiefeln von russischen Juchten erhöhten seine Begeisterung, und ein halbmondförmiger Säbel in rother Scheide, mit welchem er Nägel aus den Wänden hieb, brachte ihn dahin, den Freiherrn so stürmisch an die Brust zu drücken, daß dieser beinahe erstickte. Er fluchte und schwor, daß er sich revanchiren wolle, und Hartenstein fordern möge, was ihm beliebe, er würde bei Tod und Ehre niemals nein sagen.
Der Diplomat lächelte, indem er seine Augen über Mathilden fliegen ließ, die er alle diese schönen Sachen als sein verspätetes Geburtstagsgeschenk anzunehmen bat. Dann wandte er sich an mich und sagte in seiner feinen gewinnenden Weise:
Glauben Sie nicht, bester Magister, daß ich Sie vergessen habe. Ich weiß, wie sehr Sie mein Freund sind, und wie vielen Dank ich Ihnen schulde. Einem so gelehrten und bescheidenen Herrn kann ich keine gewöhnlichen Geschenke machen. Nehmen Sie aber inzwischen als Zeichen der Erinnerung dies von mir an, Besseres habe ich morgen für Sie.
Er überreichte mir dabei seine goldene Uhr, die er aus der Tasche zog, vor welcher ich schüchtern und bestürzt meine Hand zurückzog. –
Gnädigster Herr, sagte ich, es bedarf keines so kostbaren Zeichens Ihrer Gunst.
O, meine Gunst, fiel er ein, die wird in anderer Weise Ihnen vergelten; aber damit Sie künftig immer wissen, was es an der Zeit ist, so nehmen Sie.
Nehme Er, was Ihm geboten wird! schrie der Baron, als ich noch immer zögerte. Laß Er den Geheimenrath nicht da vor sich stehen, wie mit einem Präsentirteller in der Hand.
Ich mußte nehmen, ich mußte danken und mußte den ganzen Abend über Zeuge sein, wie Hartenstein Mathilden und ihren Vater mit seinen Reisen und deren glänzenden Erfolgen unterhielt. Bald beschrieb er die Höfe und die Fürsten, bei denen er gewesen, bald die Länder und die Feste. Es war unmöglich, ihm theilnahmlos zuzuhören, denn er erzählte vortrefflich und verstand es, alle Farben zu mischen. Dabei war er voller Liebenswürdigkeit, voller Witz und voll guter Laune, und ach, was war ich gegen diesen heitern, vornehmen, von Königen und Kaisern begnadigten Mann, ich, der arme, gebückte, demüthige verlassene Magister!
Wenn ich ihn ansah, so fein und gewandt, so beredt und erfahren, so glänzend und so hoch geboren, überfiel mich ein grausamer Schmerz. Gott weiß es, ich hatte nie mein Auge anklagend zu dem Schöpfer erhoben im bittern Schmerze, daß er mich nicht ein Hoher und Gewaltiger auf Erden sein ließ, aber in dieser Nacht, wo ich wie auf glühenden Stacheln mich auf meinem Lager wälzte, ergriff mich der Neid, und ich zürnte in meinen Qualen mit dem Herrn alles Lebens, ich ballte meine Hände, schlug sie verzweiflungsvoll an meine Brust und streckte sie gegen den düstern Himmel aus.
Warum?! rief ich in Angst und Wuth, warum bin ich verdammt? Warum zertreten? Warum der Wurm, der sich im Staube windet?! Was habe ich gethan? Was hat er voraus? Wo ist sein Recht, gerechter Richter? Bist Du es?! Bist Du es?!
Und ich brach in ein halb wahnsinniges Lachen aus.
Ich konnte es endlich nicht mehr ertragen, lange vor Tagesanbruch sprang ich auf, kleidete mich an, und verließ das Haus. – Als ich durch den öden Vorsaal ging, glaubte ich Schritte hinter mir zu hören. Wenn ich still stand, vernahm ich nichts, wenn ich weiter ging, rauschte es mir nach. Als ich an meinem Fenster vorüberkam, sah ich den Schatten einer Gestalt oder glaubte ihn zu sehen, auf meine leise Frage aber erhielt ich keine Antwort, und ich ging weiter, ich hatte mich getäuscht.
Die Bäume rauschten mir entgegen, die Sterne funkelten, ich sah in ihr kaltes Licht, das keinen Trost für mich hatte. Ich weiß nicht, was mich antrieb, daß ich zu dem Hügel eilte; aber als ich in seiner Nähe war, glaubte ich durch das Rauschen der Zweige ihre Stimme zu hören; ich glaubte, den unvergeßlichen Ton zu hören, mit dem sie »Friedrich!« rief. Ich streckte meine Hände aus und meine Lippen antworteten ihr.
Ich komme, schrie ich, ich komme, Mathilde!
Und suchend irrte ich über den kleinen Raum, suchend und vor Hoffnung bebend. – Sie war nicht da; getäuscht, entsetzt, im Fieber warf ich mich an der Stelle nieder, wo ich vor ihr gekniet, und küßte den Rasen, den ihre Füße berührt hatten.
Ich weiß nicht, wie lange ich hier lag in Thau und Dunkelheit, ohne Kühlung, ohne eine milde Hand auf meinem Herzen. Ich war allein mit meinen Seufzern, meinen wilden, verworrenen Reden, meinem Gelächter und meiner Angst. Zuweilen schrak ich auf, als müßte sie kommen, als hörte ich sie schon, doch alle diese jähen Uebergänge von Entzücken zu neuen Leiden waren umsonst.
Ich sammelte die Erde und das Gras an der Stelle, wo sie gestanden, dann blieb ich lange Zeit bewegungslos, und ich glaubte zu sterben. Ein Gefühl von Ohnmacht und Vernichtung kam über mich, das mich lähmte und meine Glieder, wie meine Gedanken erstarrte. Ich streckte mich an der jungen Eiche aus, und erwartete mit dankbarer Ergebung den Tod.
Allein was ich dafür hielt, war nichts als körperliche Abspannung, die nach einiger Zeit den stürmischen Einbildungen meines heißen Gehirns wich. Ich sah Mathilden, wie sie in Hartenstein's Armen lag und von ihm fortgetragen wurde. Ich sah, wie sie ihre Hände zu mir erhob, wie ihre Augen mich flehend anblickten, ihr Gesicht sich bleich und abgezehrt auf mich richtete, und ich stieß einen Schrei aus, einen Schrei der Rache und des Entsetzens, der mich aufrüttelte.
Wohin sollte ich, wohin?! Ich lief über die Felder fort, über sumpfige Strecken, durch Gehege und Hecken, und bei dem ersten Grauen des Tages stand ich vor einer niederen Mauer, die ein schwarzes Thor durchbrach. Hierher war ich gekommen. War es Zufall, war es eine unsichtbare Hand, die mich leitete, ich stand vor dem Kirchhofe der kleinen Stadt. –
Langsam ging ich unter den Bäumen und Büschen fort, welche liebende Hände gepflanzt hatten, um die Schauer der Vernichtung sich selbst vergessen zu machen. Die Hängebirken und Linden streuten ihre falben Blätter auf mich, als ich durch die Reihen der Gräber ging und bei den zwei Hügeln stehen blieb, die den Staub bedeckten, der einst Gestalt und Namen hatte, Namen der höchsten und köstlichsten Art, die eine Menschenzunge je ausgesprochen: Mutter und Freund! Da schliefen sie neben einander den ewigen süßen Schlaf und da stand ich zitternd und lebendig mit dem heißen Wunsche, bei ihnen zu sein, ausgestrichen aus der Reihe der fühlenden, leidenden Wesen, aufgenommen von Gott, um auszuruhen von allem Kummer.
Und plötzlich empfand ich die Nähe des Herrn. Plötzlich kam die milde Hand und deckte sich auf meine, vom Feuer der Schmerzen ausgetrockneten Augen. Es war mir, als stiegen die beiden geliebten Wesen aus ihren stillen Kammern, und ich konnte sehen, wie sie ihre Arme nach mir ausstreckten, wie sie mich liebevoll, unendlich trostvoll anblickten, und ihre Stimme, o! die theure Stimme meiner armen Mutter zu mir sprach:
Frieden sollst Du haben; sei dem Herrn getreu, und er wird Dir seine Krone reichen!
Mutter, rief ich, o meine gute Mutter! O mein Freund, mein Vater! und mit einem Strom von Thränen warf ich mich auf diese beiden Gräber und umklammerte sie laut schluchzend. Mein Herz wollte brechen unter seiner Last, doch ich weinte sanfter und sanfter, und wie ich meine Augen aufhob, blickten sie in den ersten Sonnenstrahl, der aus dem Himmel auf mich und diese Stätte des Todes fiel.
Ich setzte mich nieder und faltete meine Hände. Ruhe kam über mich, ich konnte denken und erkennen und erkannte meine Schuld. Welcher Frevel trieb mich, gegen Schranken anzustürmen, die Sitte und Gesetz gezogen hatten? Was wollte ich thun, um verwegenen und unstatthaften Wünschen mich zu überlassen? –
Ich liebte dies unschuldige, liebenswürdige Mädchen, das in seinen Empfindungen so schwer gefehlt, wie ich selbst; allein war ich nicht ein Mann und ein Priester, mußte ich nicht wissen, daß ich sie in einen Abgrund riß, in welchem Unglück und Elend lauerten? Nirgends war eine Möglichkeit des Heils zu erkennen, überall jähes Verderben. Wenn der Baron, ihr Vater, nur ahnte, was sich mit uns begeben, was hatten wir beide dann zu erwarten? Ich Mißhandlungen jeder Art, sie seinen Zorn, seinen Fluch, seine rohe Gewalt, die nicht zögern würde, um sie zu seinem Willen zu zwingen.
Und ahnte er nicht vielleicht schon die Wahrheit? Ahnte sie Hartenstein nicht? Hatten nicht beide mich zu Mathildens Füßen gefunden? Wollten sie nicht mit Bedacht, was sie gesehen, unterdrücken, oder fanden sie es allzu lächerlich und abgeschmackt, daß ein Mensch wie ich auf solche Schmach für sie sinnen könnte?
Ich dachte weiter darüber nach, daß diese beiden Männer mir Gutes gethan, daß der Baron mich in sein Haus aufgenommen, mir Vertrauen bewiesen und mir gütig gewesen sei; ich dachte darüber nach, was ich dem Freiherrn schuldete, und wie er noch gestern mich mit Gnade überhäuft und seine fortgesetzte Zuneigung mir verheißen habe. Mathilde liebte ihn nicht, allein welcher Grund lag für mich darin, sie ihm zu entreißen? War er nicht ein hochgeborener, hochgestellter Freiherr und Rath? Führte er sie nicht in ein Leben voll Freuden und Genüsse? War es nicht eine Ehre für sie, an seiner Seite so hoch zu steigen, und achtete ich ihn nicht als klug, gebildet, geistvoll, welterfahren und dabei tugendhaft und redlich? O mein Gott! mußte das ihr Glück nicht sichern? Mußte sie ihn nicht lieben lernen? Mußte sie nicht im Leben mit ihm reichen Ersatz dafür finden, daß er ihren ersten Neigungen nicht entsprach?
Und ich, was war ich gegen ihn?! Ja, ich liebte sie auch, ich liebte sie mit inbrünstiger Zärtlichkeit. Ich liebte sie mit heiliger, reiner Liebe, doch was konnte ihr diese Liebe geben? Nichts als Niedrigkeit und Verachtung, nichts als Hohn und Schmach. Ich wußte, daß sie mir folgen würde, wenn sie die Wahl gehabt, daß keine Hütte, keine Stille sie erschrecken könnte, allein, wenn dies geschehen konnte, würde die Reue niemals erwachen?
Nein, nein! rief ich aus, denn was ich dachte, erschien mir als eine Beleidigung des geliebten Wesens, aber es darf nicht sein, nur Dornen und Nesseln würde ich über ihr theures Haupt bringen. Hier, an Deinem Grabe, meine Mutter, an Deinem Grabe, mein edler Freund, hier schwöre ich Euch Beiden, daß ich dieser Leidenschaft widerstehen, dies geliebte Mädchen nicht in mein Elend reißen, ihre Ruhe, ihren Frieden, das Glück ihres Lebens und ihrer Zukunft nicht stören will. Die Menschen, welche mir vertrauten, sollen nicht getäuscht sein und mir niemals fluchen. Dies thörichte Herz soll auf Gottes Wegen wandeln und nimmer wieder in schnöder Vermessenheit mit seinem göttlichen Willen rechten. Bittet für mich, ihr Seligen, und Du, mein Herr und Meister, gieb mir Demuth, gieb mir Liebe, daß ich gehorsam thue, was ich muß!
Da war es, als ob eine Stimme zu mir sagte:
Mein Weg ist Dein Weg, was Dir befohlen wird, sollst Du vollbringen, und wer Dich ruft, mir zu dienen, dem sollst Du folgen!
Ich trocknete meine Augen; die heilige Freude der Entsagung und der Ueberwindung füllte meine Brust; ich sah zu den glänzenden Wolken auf und war bereit. Wie die Märtyrer freudig zum Opfertode gingen, so stand ich auf, und mit einem letzten Neigen zu den geliebten Todten, denen ich Treue gelobt, entfernte ich mich.
Als ich das Haus erreichte, schlich ich mich durch den Garten in mein Zimmer und kleidete mich dort sorgsam an. Die Frühstückzeit war vorüber, ich mußte besorgen, daß man meine Abwesenheit bemerkt hatte, allein Niemand fragte nach mir, und erst nach geraumer Zeit wurde an meine Thür geklopft und Jakob steckte den Kopf herein.
Ich soll den Herrn Magister bitten, sagte er mit seiner spitzbübischen Unterthänigkeit, sich herunter zu bemühen, der Herr Geheimerath hat Ihnen eine freudige Nachricht mitzutheilen.
Es regte sich bei mir der alte Widerwille gegen diesen Menschen, dessen falsches Grinsen mir Böses weissagte; allein im Augenblick bedachte ich, daß, was auch kommen möge, mich gerüstet treffen müsse. Ergeben folgte ich ihm, als er voranging und die Thür des Familienzimmers öffnete.
Mathilde saß zwischen ihrem Vater und Hartenstein, der zärtlich den einen Arm um sie geschlungen hatte, während seine andere Hand die ihre festhielt. Als sie mich erblickte, übergoß sich ihr Gesicht mit flammender Röthe, und sie stand auf, als wollte sie mir entgegengehen. Der Freiherr aber hielt sie fest, und indem er ebenfalls aufstand, betrachtete er mich mit Blicken, die mich zu durchbohren schienen, während er einnehmend freundlich zu mir sprach:
Mein lieber Magister, wir haben Sie bitten lassen und ich zunächst, um Ihnen nochmals zu danken. Meine Braut, Fräulein Mathilde – Hier wurde er von dem Fräulein unterbrochen, das auf mich zueilte und mit Erregtheit zu mir sagte:
Sie haben mich erzogen, Sie kennen mich besser, als ein Mensch auf Erden. Reden Sie, sagen Sie mir, was ich thun muß – o, reden Sie, verlassen Sie mich nicht!
Diese letzten Worte sprach sie mit erlöschender Stimme und zitternd lehnte sie sich an mich. Bleich wie der Tod stand ich einen Augenblick kämpfend gegen mich selbst wie ein Ertrinkender gegen die Wellen, die ihn verschlingen wollen. Der Baron war aufgesprungen, stützte sich mit beiden Fäusten auf den Tisch, und sah wie ein Tiger aus, der seinen Sprung thun will. Der Freiherr schlug die Arme über seine Brust zusammen und betrachtete mich und sie mit hohnvoller Gewißheit.
Gnädigstes Fräulein, sagte ich tief athmend in Mitten der Stille, Gottes Segen auf Ihr theures Haupt und ewigen Dank für so vieles Vertrauen, das Sie Ihrem Diener erwiesen. Ein edler und hochgeehrter Herr wirbt um Ihre Hand, und des Vaters Segen, der dem Kinde Häuser baut, begleitet diese Werbung. Sie werden glücklich sein, weil Sie fromm und gut sind, Sie werden glücklich machen, weil es nicht anders sein kann. –
Dies sagte ich mit leiser Stimme, dann aber erhob ich diese mit größrer Kraft.
Folgen Sie dem Gebote Gottes, rief ich aus, welcher den Kindern Gehorsam befiehlt, gewähren Sie es diesem edlen Freiherrn, Ihnen ein liebender Gatte und Ihres Lebens Schirm und Stab zu sein. Ach, wenn mein Wort und meine Bitte Etwas dazu beizutragen vermögen, Ihren Entschluß zu befestigen, dann beschwöre ich Sie, Ihr Herz dem hochgeborenen Bräutigam ganz zu weihen, denn ich erkenne darin den Frieden, das Glück und das Heil Ihrer Zukunft. O mein Gott und Herr, bis zu meiner letzten Stunde will ich dafür beten!
Erschüttert und erschöpft schwieg ich und sie ließ ihre Hände sinken. Ein anklagender, starrer, thränenloser Blick traf mich, wie das Eisen der Lanze den Gekreuzigten; willenlos folgte sie mir dann, als ich sie Hartenstein entgegenführte und ihre Hand in die seine legte. Es war ein sonderbarer Auftritt, dessen Bedeutung nicht zu verkennen war. Ich, der untergeordnete unbedeutende Magister, wurde öffentlich aufgerufen zur Entscheidung und führte die Braut dem vornehmen Herrn zu; ein Wort von mir, und sie hätte sich an meine Brust geworfen und Allem entsagt, Allem getrotzt, was über uns kommen mochte.
Ohne Zweifel wußten die beiden Herren dies, und vielleicht hatten sie einen anderen Ausgang erwartet. Was ich sagte und that, war ihnen jedenfalls überraschend, denn der Baron hellte sein zorniges Gesicht auf, nickte mir zu und schrie:
Er ist vernünftiger, als ich dachte, Magister!
Hartenstein aber lächelte noch süßer wie vorher, doch noch arglistiger, und als er mich mit einer Umarmung beglückte, und einen Strom von Dank über mich ausgoß, zitterte ich vor ihm, wie vor einer Klapperschlange.
Mein theurer Freund, sagte er, Sie haben wie ein echter Diener Gottes gesprochen. Wahr, warm und treu haben Sie sich bewährt, ich will es niemals vergessen. Ja, meine theuerste Mathilde, lieben Sie mich, wie Ihr edelmüthiger Freund es Ihnen befiehlt, und ich werde bedacht sein, diese Liebe zu vergelten. Ihr Vater segnet unseren Bund, Ihre Mutter blickt auf uns herab. Willigen Sie ein, daß ich in vier Wochen meine geliebte, schönste Frau mit mir in die Hauptstadt führe. Sie dürfen es mir nicht abschlagen, wir bitten Alle und der gute Magister hilft uns auch dies Mal.
Mathilde lehnte sich an ihren Vater und sagte mit gebrochener matter Stimme:
Ich bin bereit, bestimmen Sie, was geschehen soll.
Ach, wie traurig, wie gleichgültig klangen ihre Worte! Thränen füllten meine Augen. Ich wollte mich entfernen, aber der Geheime-Rath hielt mich fest. –
Hören Sie nun auch, mein lieber Wenzel, sagte er, welche große Güte und Gnade der Baron für Sie hat. Der Pastor Lerche ist gestern gestorben, ich brachte diese Nachricht mit, wollte Ihnen jedoch nichts eher davon mittheilen, bis ich Weiteres verabredet hatte. Die Stelle ist eine der besten im Kreise, und wir wollen sie noch mehr verbessern. Es werden sich Viele dazu melden, heute schon sind drei Anträge von Pastoren eingegangen, die gar gern in den guten Platz rückten. Niemand aber soll diesen einnehmen wie Sie, der Baron hat es mir zugesagt; sind Sie mit dieser Einrichtung zufrieden?
Ob ich zufrieden bin?! antwortete ich tief bewegt. Es ist zuviel des Guten, das mir geschieht.
So fasse Er zu und rücke Er noch heute in sein Standquartier, fiel der Baron ein. Die Pfarre muß verwaltet werden, und wer in dem Neste sitzt, der hält es fest. Wir werden sogleich an das Consistorium schreiben und unsre Erklärung abgeben, melde Er sich auch und schreibe Er hin, damit die Sache in Ordnung kommt. Und halt, höre Er, noch Eins. Es ist eine Tochter da, die Dorothee, Er kennt sie ja wohl?
Ja, mein Herr Baron.
Die heirathet Er, wie es Sitte und Gebrauch ist, das versteht sich von selbst.
Ich hatte mich aufgerichtet und stand erstarrt.
Mein erstes Gefühl war mit fester Stimme: Nein! zu sagen, ehe ich jedoch dazu kommen konnte, legte Hartenstein den Finger auf meine Brust und sagte lächelnd:
Ein so verständiger, zur weisen Ueberlegung geneigter Mann wird wissen, daß auch dies Gebot nur zu seinem Besten geschieht. Die Jungfer Dorothee ist eine süperbe Acquisition für einen unvermögenden Candidaten. Derselbe findet ein wohleingerichtetes Haus, auch einen schönen Sparpfennig darin, dazu ist die Jungfer selbst eine wirthschaftliche mit allen Zuständen der Pfarre wohlbekannte Gefährtin, endlich aber – wie es Gottes Wille ist, daß ich eine beglückte Ehe mit meiner geliebten Braut schließe, so ist es auch desselben Gottes Wille, daß ich Ihnen, mein bester Magister, zur Belohnung für Alles was Sie mir gethan eine Frau zuführe, tugendhaft, ehrbar und häuslich, wie Sie diese verdienen. Es ist des Herrn Fügung, daß er diese Lerche zu sich nahm, um wie der Baron sagt, Sie in das warme Nest zu setzen, und das zwitschernde Vögelchen in Bereitschaft hielt, um sie unter seine Flügel zu nehmen.
O wie viel Hohn, wie viel Schmach lag in dieser Rede und doch beugte ich mein Haupt und sagte demüthig: Amen! – Ja, der Spötter hatte Recht, Gott wollte es so und ich mußte mich ergeben. Er führte mich zu seinem Dienste, sollte ich, wie ein wirbelndes Blatt, mich hinausstoßen lassen, um in Trübsal zu enden? Ich beugte mich und sagte gefaßt:
Ihr Wille geschehe denn, meine gütigen gnädigen Herren. Ich vertraue auf Gott, er wird wissen was mir frommt.
Und die da dachten es böse mit mir zu machen, siehe, sie hatten es gut gemacht. Dorothea war als zanksüchtig und von ärgerlicher Gemüthsart verrufen, allein sie wurde mir eine liebevolle, wackere Gefährtin und wir haben ausgehalten manches Jahr und sind in Frieden so glücklich gewesen wie wir es sein konnten.
Noch an demselben Tage verließ ich das Haus des Barons und begab mich hierher in dies Haus der Trauer. Ich konnte von Mathilden keinen Abschied nehmen, sie war krank, wie man mir sagte. Ich sah die Schadenfreude und das böse Lachen befriedigter Rache in den Gesichtern der Menschen, welche ich als meine Wohlthäter betrachten und mich vor ihnen tief beugen mußte und ich wankte unter der Last meiner Qualen.
In den ersten Wochen, wo ich in diesem kleinen Hause lebte, verbrachte ich Tage und Nächte in Weh und Schmerzen, die kein Mensch schildern und beschreiben kann; aber wie gut war Dorothea zu mir, wie verständig war ihr Trost, der sich nicht durch unnütze Worte, sondern durch ihr hülfreiches Streben mir wohl zu thun und für mich zu sorgen, kund gab. Ach, ich war hülflos wie ein Kind, ich bedurfte einer kräftigen Hand, die mich hielt, ich bedurfte dieser einfachen klaren Verständigkeit, welche sich bemühte mir zu dienen.
Wie soll ich weiter schildern, was mit einigen Worten nur gesagt sein kann? In vier Wochen war Alles geschehen. Ich war Dorotheas Gatte und wurde als Pfarrer gewählt und bestätigt. An demselben Tage, wo der Geheime-Rath von Hartenstein Mathilden heirathete, wurde ich mit Dorothea an demselben Altare, an der Seite des ewig theuren Mädchens getraut. Ein Hochzeitsfest wurde von den beiden Paaren gefeiert. Ich – ich durfte ihre Hände küssen, ich durfte ihr Glück wünschen, Segen über sie sprechen, während er den zertretenen Sklaven verhöhnte.
O mein Gott, mein Gott! Du hast mir Kraft gegeben, dies Alles zu ertragen; Du hast mir Kraft gegeben, daß ich dennoch glauben, dennoch nicht verzweifeln durfte und als er sie in seinen Reisewagen hob und mit ihr unter Fackelschein und in Begleitung der ritterlichen jauchzenden Hochzeitscavalcade die große Allee hinabfuhr, um sie nach der Hauptstadt zu führen, stieg ich mit Dorotheen in das ärmliche Fuhrwerk, das uns durch die Nacht in unser stilles Häuschen brachte. Ich legte meinen müden schweren Kopf auf die Schulter der treuen Frau, die nicht wußte, was in mir bebte und rang; ihre Arme hielten mich umschlungen und sie sagte mir leise:
Gott hat mir gegeben, was ich von ihm erbeten, er gab Dich mir. Der Candidat, der muß mein Mann werden, den gieb mir, mein Vater im Himmel, betete ich am Abend, dem will ich gehorsam und ihm gut sein. Und nun ist es erfüllt worden, nun Friedrich sollst Du sehen, wie ich Alles thun will, um Dich glücklich und froh zu machen.
Da hob ich meine Augen auf und oben strahlten alle Sterne.
Habe Dank! rief ich aus; ja, meine Dorothea, sei mild mit mir. Ein höherer Wille hat Dich mir gegeben, er wird mich lehren, wie ich Dich lieben und ehren soll.
So ist es geschehen und ich habe sie geehrt und geliebt und sie hat mir das Leben leicht gemacht und ist acht und vierzig Jahre lang meine Gefährtin gewesen, voller Fleiß, voller Sorgfalt und mit großer Treue. Viele haben mich glücklich gepriesen, die sie kannten und als sie von mir genommen wurde, haben viele mit mir geweint: die Trauer der Armen wie der Reichen folgte ihr nach.
Was mir im Hause des Barons geschehen, habe ich ihr niemals erzählt, denn sie fragte mich nicht danach, weil sie es wußte. Es kamen Verhältnisse, an denen sie die Wahrheit erkannte und meinen Kummer mochte sie nicht vermehren.
An dem Hochzeitsabende hatte ich ein Zusammentreffen mit Jakob, dem verschmitzten Diener, der mir allein, halb trunken und ärgerlicher Laune begegnete.
Er hatte von seinem Herrn kein so gutes Geschenk erhalten, als er erwarten mochte und machte seinem Ingrimme darüber in einer Art Luft, die mich tief bekümmerte.
Hätte ich das gewußt, rief er aus, daß er ein solcher Filz und Lump sein würde, so hätte ich ihm eine Suppe eingebrockt, die er sein Lebelang nicht vergessen haben würde.
Mein lieber Monsieur Jakob, sagte ich, Ihr Herr ist großmüthig und edel gesinnt. Vielleicht haben Sie ihn gekränkt durch Ihre Sitten und heimlichen Sünden.
Er lachte boshaft auf. Aha! schrie er, Sie denken noch an die Geschichte im Schlosse mit der jungen Dame von damals. Wenn Sie Ihren Verstand ein Bischen zusammengenommen hätten, würden Sie gleich damals gemerkt haben, wie es damit stand. Wie sollte ich denn wohl zu solcher hübschen geputzten Jungfer kommen? Und wie sollte ich die wohl in's Schloß einlogiren können, ohne daß der Herr etwas davon wüßte?
Ich war so erschrocken über diese Enthüllung, daß ich sprachlos meine Hände zusammenschlug.
Der Herr selbst? flüsterte ich.
Nun freilich, fuhr er fort. Es war eine Schauspielerin, die er mitgenommen hatte. Nachher wie er davon fuhr und die ganze Sippschaft den Wagen begleitete, lag sie drinnen ausgestreckt unter den Pelzen und Decken. Wir haben lange nachher noch darüber gelacht, es war ein Hauptspaß; aber dergleichen hat er viele gemacht, so leicht thut es ihm darin keiner gleich.
O Mathilde! seufzte ich.
Dann aber fiel mir tröstend ein, daß seine Vergangenheit nun abgeschlossen sei und diese junge schöne Frau von ihm geliebt werde.
Vornehme Herren, sagte ich, verleben ihre Jugend nur zu häufig in Saus und Braus, der Herr Geheime-Rath wird jetzt sicherlich umkehren.
Dessentwegen, weil er geheirathet hat? lachte Monsieur Jakob. Ja es ist möglich, bei Gott ist kein Ding unmöglich. Sie hat fünfzigtausend Thaler von ihrer Großmutter, die bekommt er baar, denn der Baron hat eingewilligt, daß sie sogleich für mündig erklärt wird und er das Geld heben und anlegen kann. Er wird es schon anlegen, haha! er wird es schon unterbringen, das versteht er, aber gegen einen treuen Diener ist er filzig. Als wir damals von Rußland wiederkamen und ich die ganze Nacht vor Ihrem Zimmer Wache halten mußte, damit Sie nicht etwa mit dem Fräulein eine Besprechung versuchen thäten, hat er mir einen Schlag an den Kopf versetzt, daß ich Ihnen nicht weiter nachgeschlichen war, wie bis an den Hügel da, wo Sie lagen und stöhnten als wäre es zu Ende. – O, den werden Sie noch kennen lernen, aber –, hier that er einen schrecklichen Fluch – wenn er mich so zu treten denkt wie Andere, so mag er sich in Acht nehmen.
Als ich zwei Jahre verheirathet war und eines Tages mich in meinem Garten beschäftigte, brachte Dorothea einen Mann herein, der mich zu sprechen wünschte. Es war Jakob, der jedoch nicht mehr in dem feinen Tressenrocke steckte, sondern in einem grüngrauen Wamms, wie ihn Feldhüter trugen. Der Geheime-Rath hatte ihn fortgejagt, jetzt lebte er bei seinem Verwandten, dem Förster des Barons, der ihm aus Mitleid einen Heideläuferposten verschafft hatte.
Hartenstein hatte ihn als Dieb und Betrüger bestrafen lassen, er hatte ein halbes Jahr im Zuchthause gesessen, aber er schwur, daß er unschuldig gewesen, daß absichtlich sein Verderben von dem Geheimen-Rathe bewirkt worden sei, weil er aus Mitleid einen Brief der armen jungen Frau an den Vater besorgt habe, in welchem sie ihm ihre Noth und ihr Elend geschildert. Der Baron sei auch in die Hauptstadt gereist und habe seinem Schwiegersohne harte Vorwürfe gemacht, doch wie der könne keiner heucheln und lügen. Es sei zu einer Versöhnung gekommen, nach welcher Hartenstein vorsichtiger geworden wäre. Er habe wenigstens nicht mehr in seinem eigenen Hause Tänzerinnen und liederlichen Frauen Feste gegeben, zu denen eine Anzahl der leichtsinnigsten Herren geladen wurden. Auf ihn jedoch habe er seine Rache geworfen, weil er gemuthmaßt, daß er der Verräther sei.
Was Jakob von der sittenlosen Völlerei und Ueppigkeit der Bacchanalien seines Herrn erzählte, überstieg allen Glauben, damals waren jedoch die Banden der Gesellschaft gelockert, Zucht und Ehrbarkeit zum Spott geworden, wüste Thorheit und Tollheit übertönte die Stimme der Moral, es war Alles innerlich zerfressen und zernagt. Schmerzerfüllt hörte ich ihm zu und suchte seinen wüthenden Haß gegen den Freiherrn zu besänftigen, indem ich ihm vorhielt, daß der unschuldig Leidende durch die Kraft seiner Unschuld gestärkt werde. Ich beschenkte ihn, denn er war arm; gespart hatte er wenig, er war an Vergeuden gewöhnt, und was er besessen, hatte der Prozeß ihn gekostet. Der Baron duldete ihn als Heideläufer, weiter jedoch that er nichts, obwohl Jakob sich seiner Verdienste rühmte und seine Leiden als Folge seiner Anhänglichkeit an Mathilden darstellte. So gab ich ihm um dessentwegen und gab ihm oft, da er bald einsah, daß meine Theilnahme so bald nicht zu erschöpfen sei und da er den Trunk liebte und allerlei Bedürfnisse hatte.
Nachdem abermals ein Jahr hingegangen, brachte er mir eine Botschaft, die mich mit tiefem Weh heimsuchte. Mathilde war todt, gestorben in Folge eines unglücklichen Wochenbettes; das Kind hatte die Mutter wenige Stunden überlebt, aber diese reichten hin, um Hartenstein große Vortheile zu sichern. Er hatte nicht nöthig das Vermögen seiner Frau, dies von ihm vergeudete Vermögen, zurückzugeben, denn er war der Erbe des Kindes. Der Baron reiste darauf abermals nach Berlin; es kam zu den heftigsten Auftritten und zu einem gänzlichen Bruche zwischen ihnen, doch was fragte der vornehme Herr danach, daß der alte jähzornige Mann sich und ihn verwünschte und mit dem Tod im Herzen in sein verlassenes Haus zurückkehrte, wo er nun menschenfeindlich allein in seinem Zimmer unter dicken Tabakswolken saß und noch viel ärger gegen Jeden wüthete und tobte als er es je gethan.
Er hat Glück, rief Jakob seine Fäuste ballend, viel Glück hat er, es kann aber doch einmal noch kommen, daß ihn Gott findet oder – ich, ich! daß er in meine Hände geräth. –
Er verzerrte sein Gesicht in ohnmächtiger Wuth und sah aus als könnte er einen Mord begehen, daß ich vor seinem Ansehen schauderte und ihn eindringlich ermahnte an seine eigene Besserung zu denken.
In dieser Zeit tiefen Kummers war Dorothea mir eine liebevolle Trösterin. Sie hatte von Jakob erfahren, was dieser wußte und sie merkte nun wohl, daß ich nicht allein meine theure Schülerin beweinte, ach, daß mein Leid noch immer Wurzeln hatte, aus denen die melancholischen Blätter und Blüthen geknickter Liebesblumen aufsproßten und ihre bleichen welken Kränze auf mein Haupt drückten. Nie hatte ich sie so gut, so weich und so barmherzig gesehen. Sie schmiegte sich an mich mit ihren treuen Augen, in denen ich ihr edles Verständniß meiner Schmerzen las, brachte mir ihr Kind, meinen Sohn, den sie in meine Vaterarme legte, brachte sich selbst und fiel mir um den Hals, stumm und dennoch beredt mir sagend, daß ich zwei Wesen besaß, die der allgütige Gott mir gegeben, damit sie mir ganz gehörten, zwei Seelen, o zwei Seelen! die mein waren, die er mir niemals genommen hat.
Die gnädige Frau, die Wittwe, ist bei mir gewesen. Heute früh kam sie, doch nicht in ihrem großen Wagen mit vier Pferden bespannt und einem Vorreiter voran wie sonst, wo sie in Mitten einer Staubwolke dann und wann hier vorüberflog, sondern in einer kleinen Halbchaise, denn alles Werthvolle ist von Wechselgläubigern mit Beschlag belegt. Sie hatte den Nebenweg, der um das Dorf führt, einschlagen lassen, weil sie sich den Blicken derer nicht aussetzen mochte, die gewöhnt waren, sie in Pracht und Herrlichkeit zu schauen. Ach! die unglückliche Frau empfindet nur die bittere Qual der Demüthigung, nicht den Trost, der in der Ergebung im Unglück liegt.
Als die große ganz schwarze Gestalt in den Garten trat, wo ich hier unter dem Birnbaume saß, stand ich auf und nahm mein Käppchen ab, um sie zu empfangen. Sie schlug den schwarzen Schleier von ihrem Krepphut und ich sah in ein gelbblasses, langes Gesicht, das gebieterisch ernst mich anblickte. Die schmalen Lippen lagen auf bläulichen Zähnen, die große Nase war sehr stolz und edel geformt, ihre Augen hatten etwas erstarrendes Kaltes.
Sie haben meinen Wunsch nicht erfüllt, begann sie, so bin ich denn selbst zu Ihnen gekommen, um Ihnen einige Fragen zu thun.
Gnädigste Frau, antwortete ich, gern hätte ich Ihren Befehl erfüllt, allein ich bin ein schwacher Greis, dessen Fleisch dem Willen nicht mehr gehorcht.
Meine Demuth schien ihren Unwillen zu besänftigen. Sie setzte sich neben mich, zog das schwarze Kantentuch dichter zusammen und sagte dann:
Man hat mir berichtet, daß Sie in dieser ganzen Gegend der älteste Mann sind und daß Sie über mancherlei Vorgänge, an welche Niemand mehr denkt, den besten Aufschluß geben können.
Es sind jetzt beinahe sechszig Jahre, erwiederte ich, daß ich hier und in der Nähe gewohnt habe, man hat Ihnen somit wahr berichtet.
Die Sache ist die, war ihre Antwort, die sie stockend und abgebrochen gab, daß ich mich wenigstens für jetzt in einer Lage befinde, die mich nöthigt Aufklärung über Verhältnisse zu suchen, welche mir völlig fremd sind. Ich bin niemals früher hier gewesen und hoffe auch nimmer, fügte sie mit einem finstern Blicke hinzu, hier zu leben. Um die Familie meines Gemahls habe ich keine Gelegenheit gehabt mich speciell zu bekümmern; ich weiß nur, daß der Freiherr einen bedeutend älteren Bruder hatte, der aus der ersten Ehe seines Vaters stammte. Dieser Bruder war der Geheime-Legationsrath Freiherr von Hartenstein, welcher ohne Erben starb und meinem Gemahl dies Schloß und was dazu gehört hinterließ. Ich hatte keine Kenntniß davon, daß die Vermögensverhältnisse des Freiherrn so zerrüttet waren, wie sich dies jetzt zeigt. Seine Stellung machte viele Ausgaben nöthig, aber erst jetzt erfahre ich, wie groß seine Verlegenheiten gewesen sein müssen. Mein Gemahl war zu stolz, um sich zu entdecken und Hülfe zu suchen, er besaß viele Feinde und Neider, die ihn verläumdeten, so daß auch jetzt, wo die Erziehung meiner Kinder mir Sorgen und Pflichten auferlegt, wenige Aussicht ist, Ansprüche geltend zu machen, wenn diese nicht durch besondere Gründe unterstützt werden.
Hier hielt sie inne, da ich aber nichts antwortete, so fuhr sie fort:
Ich vermuthe, daß solche Ansprüche vorhanden sind, denn unter den Papieren meines Gemahls finden sich Andeutungen, daß der verewigte Freiherr oder Geheimerath dem Staate besonders große Dienste geleistet und dafür selbst sein Leben gelassen, die Familie jedoch niemals durch Gnadenbezeugungen belohnt worden ist. In einem verborgenen Fache befanden sich einige Kleidungsstücke von sonderbarem Aussehen sorgfältig zusammengewickelt und auf dem Umschlag steckte dieser Zettel.
Sie reichte mir ein vergilbtes Blatt, auf welchem geschrieben stand:
»Andenken an den sechsten December, erhalten von dem Pr. F. W.«
Und hier, fügte sie hinzu, indem sie ein anderes Papier hervorzog, hier ist von der Handschrift meines seligen Gemahls noch ein Blatt, auf welchem sich die Worte finden:
»W. weiß allein, welche Bewandtniß es mit dem unglücklichen Ende meines Bruders hat, das verschwiegen und vergessen bleiben muß, obwohl es benutzt werden könnte, um mir oder meinen Kindern besondere Gnadenbezeugungen zu verschaffen.«
Ich weiß nun nicht, sagte sie, als ich noch immer schwieg, ob Sie dieser F. W. sind; allein Sie heißen Friedrich Wenzel, und aus einigen Aeußerungen meines Gemahls erinnere ich mich, daß Sie, von dem hochseligen Geheimenrath besonders begünstigt, ihm Vieles zu danken haben.
Ja, das habe ich allerdings, war meine Antwort. Er war es, der mich in mein Amt wählte, und meine gute Dorothea mir zugeführt hat. Ich habe diesen unglücklichen Herrn Jahre lang gekannt, und ich war zugegen, als sein Leben vorzeitig und jammervoll endete.
Erklären Sie sich deutlicher, sagte sie, mich anblickend. Wo starb er?
Dort, antwortete ich, indem ich nach der großen Linde zeigte, die an der Kirchhofmauer steht.
Dort? fragte sie, ihre düstern Augen weit öffnend.
Wie starb er dort?
Ich beugte mein Haupt zu ihr und antwortete leise:
Er starb den Tod eines Verbrechers. Er wurde erschossen.
Sie antwortete nicht, als ich sie aber ansah, da glaubte ich, sie sei nicht mehr am Leben. Geisterbleich und regungslos saß sie da; ihre Hände hielt sie krampfhaft zusammengepreßt, ihre blutlosen Lippen waren von den Zähnen zurückgezogen, und ihre Augen stier und glanzlos in die Weite gerichtet. Entsetzen war über sie gekommen, ich ahnte, was in ihr vorging. Ihr Stolz hatte einen neuen, schrecklichen Schlag erhalten, sie hatte statt der Erwartungen, mit denen sie gekommen, die fürchterliche Entdeckung gemacht, daß sie die Gattin eines Mannes gewesen sei, dessen Bruder als ein Verbrecher schimpflich endete, und diese Entdeckung erfüllte sie mit den grausamsten Qualen.
Er wurde als ein Spion und Verräther erschossen, fuhr ich fort, und diese Worte brachten Bewegung in sie. Sie sah mit wilden, scheuen Blicken umher und winkte mir heftig zu.
Schweigen Sie, flüsterte sie, daß es Niemand höre, daß ich es nicht höre und den nicht im Grabe verfluche, der mich so erniedrigt hat. Und dies hier, fuhr sie fort, indem sie in die Tasche griff, und mit allen Zeichen des Abscheus auf den Tisch ein Päckchen schleuderte, von dem der Umschlag aufsprang – dies hier gehörte dem – dem Elenden!
Die streifige Weste lag vor mir, welche von drei Kugeln durchbohrt war, und jenes schwarze Seidentuch, mit dem sie seine Augen verbunden hatten. Die Erinnerungen überkamen mich, ich faltete meine Hände und sagte bebend:
Welches seine Schuld auch war, er hat dafür gelitten und in tiefer Noth geendet. Ich habe seine letzten irdischen Stunden bei ihm zugebracht und was er mir damals vertraute, ist von mir dem Freiherrn, seinem Bruder, später mitgetheilt worden. Ich war es auch, der seinem letzten und nächsten Verwandten diese Weste und dieses Tuch als Andenken übergab, und das Versprechen leistete, Stillschweigen über diese Vorgänge zu beobachten, welche in der blutigen Verwirrung des Krieges, der damals wüthete, leicht vergessen wurden.
Mein Gemahl hatte Ursache, zu wünschen, daß der Tod des Verbrechers ein Geheimniß bliebe, murmelte sie erbittert.
Sie mißverstehen mich, gnädige Frau, antwortete ich. Der Geheimerath starb den Tod eines Verbrechers, aber die ihn tödteten, waren grausame zuchtlose Männer, welche jedenfalls ein noch weit schwereres Verbrechen begingen.
Sie blickte mich fragend an.
Wenn dies der Fall ist, sagte sie, warum wurden die Mörder nicht bestraft, und was bedeuten die Worte meines Gemahls, daß ihm oder seinen Kindern daraus besondere Gnadenbezeugungen erwachsen könnten?
Ich dachte einige Minuten nach, dann erwiederte ich:
Es ist möglich, daß der verewigte Herr Recht hatte, so zu glauben, er mußte das besser verstehen, als ich es vermag. Vielleicht schrieb er auch diese Worte nieder, damit die Hinterlassenen einmal versuchen möchten, Nutzen durch Etwas zu ziehen, was er selbst nicht berühren mochte. Denn seine Scheu vor der Handlungsweise und dem Ende seines Bruders war so groß, daß er niemals wieder eine Frage darüber that, und während der wenigen Male, wo er in langen Zwischenräumen sein Schloß besuchte, mich zu sehen vermied, um nicht an diese unglückliche Geschichte gemahnt zu werden. Damals sagte er zu mir:
»Jede Erinnerung an das Leben und Sterben meines Bruders ist mir fatal, eben so fatal würde es meiner Familie sein, wenn diese jemals etwas davon erführe; endlich aber könnte man diesen Schatten aus seinem blutigen Grabe holen, um ihn mir in den Weg zu legen. – Sie wissen nicht, lieber Herr Pastor, was man Alles zu einer Intrigue benutzen kann, und wie sorgfältig man das vermeiden muß, was dazu dienen möchte. Vielleicht kommt einmal die Zeit, wo ich Richards tragisches Ende brauchen kann. Bis dahin lassen Sie uns nie wieder davon sprechen.« –
Als der gnädige Freiherr vor zwei Jahren endlich hierher kam, hat er mich nur selten, wenn er hier vorüberritt, begrüßt, ohne je des Verewigten zu gedenken, und so ist denn bis auf diese Stunde kein Wort jemals auch von mir davon erwähnt worden.
Seltsam, sagte sie. Aber wollen Sie auch jetzt noch gegen mich schweigen?
Nein, antwortete ich, auf Ihren Wunsch will ich Ihnen Alles mittheilen, was ich weiß, denn vielleicht wäre es so, daß es Ihnen Vortheile bringen könnte, und unter den Lebendigen ist Niemand mehr, von dem Sie die volle Wahrheit erführen.
Der ältere Bruder Ihres Gemahls, begann ich darauf, als sie mich auffordernd anblickte, war, was ich Ihnen nicht verhehlen darf, ein gewissenloser und leichtsinniger Mann, der mancherlei schweres Unrecht begangen hat. Seine Heirath mit einer liebenswürdigen und reichen Dame war unglücklich, ihm wurde sogar Schuld gegeben daß er deren Tod durch absichtliche Vernachlässigung bei Behandlung in ihrer Krankheit herbeigeführt habe, wenigstens behaupteten dies sein Schwiegervater und seine Schwäger, deren Zuneigung für ihn sich in Haß verwandelt hatte. – Gerüchte davon verbreiteten sich überall, und nicht leicht gab es einen Herrn, dem so viel Böses nachgesagt wurde, wie ihm, wozu auch sein ehemaliger Diener Jakob beitrug, den er als Dieb strafen ließ und schimpflich fortjagte.
Ist das derselbe Jakob, fiel sie ein, der Mensch, der –
Der von Ihrem seligen Gemahl das Gnadenbrod empfing und sein Leben vor wenigen Tagen selbstmörderisch endete, sagte ich.
O er war von schlechtem und heimtückischem Charakter. Niemand mochte ihn leiden, versetzte sie, um sich zu entschuldigen.
Jakob war eben so sündig, wie sein Herr, fuhr ich fort, allein ein Dieb war er nicht. Es war ihm Gewalt und Unrecht geschehen, was er mit dem glühendsten Hasse vergalt. Er kehrte, als man ihn zuletzt noch im Zuchthause wund gepeitscht und aus der Hauptstadt verwiesen hatte, als ein geachteter Bettler hierher zurück, lebte bei seinem Verwandten, dem Förster, der im Dienste des Schwiegervaters seines ehemaligen Herrn war, wurde als Heideläufer gebraucht und erzählte so viele entsetzliche Geschichten von dem Leben des Freiherrn, daß jeder, der sie hörte, diesen als einen grausamen Missethäter verdammte. Da der Baron selbst und seine Familie auf's Tiefste gekränkt waren, so geschah dem kein Einhalt, man konnte im Gegentheil von dem alten Edelmanne selbst die fürchterlichsten Namen hören, welche er seinem ehemaligen Eidam gab.
Dieser kümmerte sich wenig darum, denn er lebte weit davon, und wenn er jemals Etwas davon erfuhr, so beachtete er es nicht. Er war im Cabinet des Grafen Haugwitz dessen Vertrauter, wurde zu geheimen Sendungen gebraucht und galt als ein tief eingeweihter Unterhändler mit dem Kaiser der Franzosen. Als Haugwitz zurücktreten und Hardenberg Platz machen mußte, wurde er mit seinem Beschützer beseitigt, allein er war ein viel zu ehrgeiziger und intriguanter Mann, um nicht der gegnerischen nun zur Regierung gelangten Partei als ihr gefährlichster Feind zu gelten. Man beschuldigte ihn, mit französischen Staatsmännern in heimlicher Verbindung zu stehen, wollte wissen, daß er um dessentwegen sich in Paris aufgehalten, und als der Kaiser Napoleon nach seinen Siegen in Oesterreich mit Niemand anders unterhandeln wollte, als mit dem Grafen Haugwitz, glaubte man, daß dies die Folgen der geheimen Machinationen seines Vertrauten wären. Der Graf übernahm noch einmal die Leitung des Staates, der Geheimerath von Hartenstein erhielt jedoch keine neue Anstellung. Der aufgeregte Verdacht wegen seines Aufenthalts in Paris war so groß, und er hatte so mächtige Widersacher, das Graf Haugwitz es nicht wagte, ihn sogleich zu begünstigen; nach weniger als einem Jahre aber fiel der Minister selbst zum zweiten Male, denn der Krieg gegen Napoleon ließ sich nicht länger zurückhalten. Die Erbitterung war groß und allgemein, die Kriegspartei gewann das Uebergewicht, die unglückliche Schlacht bei Jena zeigte, daß Friedrich's des Großen Reich ein Schutthaufen geworden war.
Als ich dies sagte, blickte mich die stolze Dame mißbilligend an, doch unterbrach sie mich nicht, ich konnte fortfahren.
In unserer Gegend, begann ich, hatten wir von Dem, was die Welt bewegte, wenig vernommen, wir erfuhren nur, daß der Geheimerath entlassen worden sei, und daß er als ein Franzosenfreund und Verräther mit Schimpf und Schmach verfolgt werde. Die Regierungskunst des Grafen von Haugwitz fand wenige Freunde im Lande, der Adel besonders war voll Zorn über ihn, denn die jungen adligen Herren dienten im Heere und brannten vor Begier, den Franzosen das Garaus zu machen. Der Baron von Daber, der alte Offizier Friedrichs des Großen, hatte vier Söhne in der Armee; hätte er deren aber auch hundert besessen, er würde sie alle in den Krieg geschickt haben.
Am Tage, wo er die Nachricht erhielt, daß es nun endlich losgehen würde, kam er zu mir und ich hatte ihn lange nicht gesehen. Er war sehr hinfällig und sein Kopf zitterte. Doch die Freude hatte ihn verjüngt.
He, schrie er, wenn Er jetzt ein richtiger Sohn seines Vaters wäre, Pastor, würde er den schwarzen Kragen zum Teufel schmeißen und nach der Muskete greifen! Korporal Wenzel! Himmel Element! Könnten wir beide noch einmal Roßbach sehen. Aber es geht nicht, fügte er grimmig lachend hinzu, doch Gott sei Dank, daß ich vier Söhne habe, die ich schicken kann, und keinen Federfuchser darunter, wie Er und wie – er dachte an seinen Schwiegersohn, allein er sprach dessen Namen nie aus, sondern nur eine lange Verwünschung und einen rachsüchtigen Schwur, daß der infame Spion endlich doch noch an den Galgen kommen werde.
Sie wissen vielleicht, gnädige Frau, daß der unglücklichen Schlacht bei Jena Gerüchte über einen großen Sieg des preußischen Heeres vorangingen, die einen unermeßlichen Jubel erregten. Die Nachricht davon verbreitete sich aus der Hauptstadt in die Provinzen, und die Rittersitze wiederhallten von festlichen Gelagen, Reden und Gesängen; die Trauerkunde dagegen, welche nur zu schnell nachfolgte, wurde anfangs als unmöglich verlacht, dann geringschätzig als Uebertreibung und Erfindung der Vaterlandsverräther behandelt und von den starren Bekennern der preußischen Unbesiegbarkeit auch dann noch nicht geglaubt, als die Flucht allgemein, die Hauptstadt verloren war, und der jähe Fall der stärksten Festungen den panischen Schrecken kundgab, welcher alle Begriffe von militairischer Ehre und standhafter Tapferkeit und Treue vernichtet hatte.
Unter Denen, welche gar nichts glaubten, und einen Jeden lästerten, der sie irre machen wollte, befand sich auch der Baron, mein Patron und Schirmherr. Am ersten Novembertage ließ er mich zu sich rufen. Er lag auf seinem harten Feldbette, mit einem großen grauen Mantel zugedeckt und sah fieberhaft erhitzt und krank aus.
Komm Er her, Pastor, rief er mir entgegen, die Halunken haben mich mit ihren Lügereien marode gemacht. Sage Er mir die Wahrheit. Glaubt Er an das nichtswürdige Gerede, daß das Gesindel, die Franzosen, uns geschlagen haben?
Er klopfte sich dabei mit der Faust auf die Brust und lachte hohl auf.
Mein gnädigster Herr, antwortete ich, wir Alle müssen uns beugen unter den Willen Gottes.
Unter den Willen Gottes, Pastor! schrie er, aber nicht unter den Willen der Spitzbuben, der Landesverräther. Es ist nicht wahr, sage ich Ihm, die Cujone haben Hiebe gekriegt!
Ich schwieg und sah ihn, traurig seufzend, an; er schwieg ebenfalls. Nach einiger Zeit aber begann er ruhiger:
Er ist ein ehrlicher Mann, Wenzel, Ihm glaube ich. Weiß Er es gewiß, daß die Franzosen gesiegt haben?
Ich sagte leise Ja und er antwortete mit einem tiefen Stöhnen.
Aber in Berlin sind sie nicht? rief er dann mit neuem Muthe, und als ich auch dies Mal ein Ja sprach, richtete er sich auf und schrie: Nein! mit solcher Gewalt, daß ich glaubte, er würde sich die Brust zersprengen.
Ich bat ihn, ruhig zu sein, und tröstete ihn so gut ich konnte.
Lieber, theurer Herr, bat ich, nachdem sich seine Heftigkeit gelegt hatte, wir können das große Unglück nicht länger bezweifeln; wenige Meilen von hier sind schon Feinde gesehen worden, und heute hat sich die Nachricht verbreitet, daß vor drei Tagen das ganze Corps des Prinzen Hohenlohe bei Prenzlau geschlagen und gefangen wurde. Retten Sie, theuerster Herr, was Sie Werthvolles besitzen, bei Zeiten, vergraben Sie es und begeben Sie sich selbst lieber an einen sichern Ort, in eine Stadt, wo es immer besser hergeht in Kriegszeiten, als auf dem Lande, da hier so leicht kein Schutz zu finden ist.
Er hörte mich anscheinend ruhig an, dann schüttelte er den Kopf und sagte verächtlich:
Pastor, Er ist auch ein Hans Hasenfuß, wie alle Anderen. Die Franzosen hier? Der Prinz von Hohenlohe geschlagen? Ein preußisches Heer gefangen?! Er ist kein verfluchter Schelm wie der – aber Er ist ein Narr, der sich den Kopf dick machen läßt. Mach Er, daß Er fortkommt.
Während er dieses sagte, entstand ein Lärm und wildes Geschrei. Ein Paar Reiter jagten in den Hof, verfolgt von mehreren anderen; das Gesinde stürzte in das Haus, draußen klirrten Säbel und fielen einige Schüsse, gleich darauf wurde die Thür aufgestoßen, und ein Verwundeter taumelte herein, dem ein Blutstrom vom Kopfe lief und dessen Hand sich auf seine Brust drückte.
Leopold! schrie der alte Herr bestürzt.
Es war sein zweiter Sohn, welchen er immer mit besonderer Zärtlichkeit geliebt hatte. Der arme, junge Mann sank zu seinen Füßen nieder, drückte seine Hände, und sah ihn mit brechenden Augen an.
Alles verloren, Vater, Alles verloren! flüsterte er. Hohenlohe hat capitulirt, ich wollte mich retten, sie verfolgen mich, gleich werden sie hier sein. Rette Dich, Vater, rette mich!
Er machte eine verzweifelnde Anstrengung, sich aufzurichten, denn wohl an dreißig französische Chasseurs zu Pferde rasselten vor dem Hause und in der nächsten Minute waren sie drinnen, Säbel und Pistolen in ihren Händen. Der alte Baron hatte seinen Sohn umschlungen, sein graues Haupt lag auf dessen blutigem Haupte; die Franzosen mit ihren Waffen sprangen fluchend auf beide los.
Ich aber stellte mich schützend vor sie hin, und rief in französischer Sprache:
Im Namen Gottes, im Namen des Himmels! Schonen Sie diesen Sterbenden, der in den Armen seines Vaters liegt!
Meine Worte waren nicht umsonst. Die Franzosen, erstaunt, einen Mann zu finden, der ihre Sprache verstand, ließen die Säbel sinken, und bald waren sie von einer großmüthigen Rührung ergriffen, denn Leopold war nicht allein eine Leiche, sein Vater war mit ihm vereint in das Land des Friedens gegangen.
Der Lieutenant dieser Soldaten schien ein edelherziger, junger Mann zu sein. Er sprach gütig mit mir, bedauerte den Krieg und die Todten, und Niemandem geschah ein Leid; kaum aber hatte er mit seinen Jägern das Haus verlassen, als andere schlimmere Gäste einzogen, und leider muß ich sagen, daß dies keine Franzosen, sondern Deutsche von den Rheinbunds-Truppen waren. Eine wilde Scene der Plünderung begann. Sie durchsuchten das ganze Haus, um verborgene Preußen, mehr aber noch, um verborgene Kostbarkeiten zu finden. Alle Schränke und Behälter wurden erbrochen, Alles zertrümmert, was sich zertrümmern ließ, sogar die Betten zerschnitten und ihr Inhalt zerstreut, gemißhandelt, wer ihnen im Wege war, die beiden Todten sogar ihrer Kleider beraubt, und mein Leben in große Gefahr gebracht. Ich weiß nicht, ob es Zufall war, daß zuletzt das Haus in Brand gerieth und unter seinen rauchenden Trümmern die Leichname begrub; aber auch ein Theil des Dorfes brannte nieder, und mit derselben Wuth, wie im Herrenhause, wurden die unglücklichen Bewohner von diesem Streifcorps behandelt.
Ich erzähle Ihnen dies Alles, gnädige Frau, sagte ich, als ich sah, daß sie ungeduldig wurde, weil es Ihnen erklären soll, wie durch diese grausame Behandlung, die sich an vielen anderen Orten wiederholte, ein blutdürstiger Haß in den Gemißhandelten aufgeweckt wurde. Viele flohen in die Wälder, verbargen sich in einsamen Häusern und vereinigten sich mit Förstern und Wildhütern, um Rache zu nehmen.
Dazu kamen Soldaten, welche der Gefangenschaft bei Prenzlau und Lübeck entlaufen waren. Sie flohen in Bauerntracht und allerlei andern Verkleidungen, besaßen aber häufig zu ihrer Vertheidigung eine Pistole oder eine andere Waffe, und suchten Kolberg zu erreichen, oder nach Preußen zu entkommen. Wenn sie von den Franzosen ertappt wurden, erschoß man sie gnadenlos als Räuber, dagegen waren sie jedes möglichen Beistandes von Seiten der Landleute gewiß. Manche von ihnen vereinigten sich auch mit den kräftigsten und kühnsten Bauern und Jägern und wurden die Anführer streifender Haufen, welche oft genug einzelne Franzosen und kleine Transporte überfielen und jeden Feind, den sie erreichen konnten ohne Erbarmen todtschlugen.
Manche entsetzliche That ist damals geschehen und Niemand konnte sie hindern. Die Erbitterung tödtete die Herzen, der Krieg verwilderte die Gemüther, Leichen lagen an den Straßen, wo sie still eingescharrt wurden; Mancher verschwand ohne Spur und man sah ihn nie wieder. – Ich komme zu dem traurigen Ereignisse, das Ihren verewigten Gemahl und sein Haus so nahe anging.
Es war in der Abenddämmerung am sechsten December, als ich einen Wagen an diesem Hause vorüberfahren hörte. Am Fenster stehend sah ich, daß es ein verdeckter Wagen war, der rasch über den schlechten Damm polterte. Als ich hinausging, dem Geräusch nachhorchte, das vom Wege kam, der am See hinläuft, dachte ich vergebens darüber nach, wer das sein könne? Wenige Tage vorher war ein ganzes Regiment Franzosen bei uns gewesen, die alle Dörfer und Wälder durchsuchten und mehrere aufgefangene Ranzionirte Ein »Ranzionierter« war ein durch Loskauf, Austausch oder Flucht aus der Kriegsgefangenschaft freigekommener einzelner Soldat. und Bauern erschossen hatten.
Jetzt war Alles ruhig. Der Commandeur hatte bekannt machen lassen, daß jedes Dorf geplündert und niedergebrannt, die angesehensten Leute aber füsilirt werden sollten, wo noch ein Franzose ermordet würde, und er hatte mir gesagt, daß dies unfehlbar geschehen müßte. So eingeschüchtert glaubte man die gepeinigten Menschen, daß meine Frau und ich der Meinung waren, der Wagen gehöre einem der französischen Commissaire, die überall umherstreiften, um Lebensmittel wegzunehmen, wo sie diese fanden, und der so sicher gemacht sei, daß er keine Bedeckung mitgenommen habe.
Wir legten uns schlafen und schliefen fest, als ich mit einem Male heftig und gewaltsam an meine Thüre schlagen hörte. Es war noch Nacht und der Mond schien schwach, vorher war ein wenig Schnee gefallen und ein eisiger Wind fegte darüber hin. Ich schlief nach dem Garten hinaus, von der Hinterthüre dort kam auch der Lärm. Als ich aufstand, bat mich meine Frau um Gotteswillen keinen Schritt zu thun, doch ich ließ mich nicht abhalten durch den Laden zu sehen, und entdeckte eine menschliche Gestalt, die sich dicht an das Haus drängte, zweifelhaft schien, was sie beginnen sollte, horchend um sich schaute und dann von neuem heftig klopfte. Da es ein einzelner Mann war, so fragte ich durch den Laden, wer er sei und was er wolle?
Machen Sie auf, antwortete der Fremde leise und im heiseren Tone, aber schnell, schnell, oder es ist zu spät.
Die Stimme kam mir bekannt vor, doch wußte ich nicht, wer er sei. Als ich zögerte, weil Dorothea mir laut zuschrie, ich sollte mich nicht von der Stelle rühren, wiederholte er seine Worte und wie in großer Angst rüttelte er an den Fensterladen und sagte flehend:
Wollen Sie einen Mord auf sich laden? Wollen Sie einen Menschen umkommen lassen?
Davon erschüttert lief ich hinaus, schob den Riegel an der Thüre zurück und er drang herein und schloß sogleich wieder zu.
Wer sind Sie? Wer verfolgt Sie? fragte ich.
Er gab keine Antwort; ich hörte ihn heftig athmen.
Da kam Dorothea mit einem Lichte und nun erkannte ich ihn, es war der Freiherr von Hartenstein. Wie er mich starr und bleich werden sah, legte er seine Hand auf meinen Arm und preßte diesen zusammen.
Sie erkennen mich? fragte er.
Ja, Herr Geheimerath, antwortete ich ihm.
Still, flüsterte er, daß uns Niemand hört. Verbergen Sie mich, ich kann nicht weiter. Ich habe mir den Fuß verstaucht, weiß auch nicht wohin ich soll.
Gerechter Gott! rief ich aus, was ist geschehen?
Eine Rotte Bösewichte hat mich überfallen, sagte er, ich konnte ihr nur durch einen Sprung aus dem Fenster entgehen. Es müssen Canaillen darunter sein, die genau Bescheid wissen, denn ich hatte mich in einem Zimmer verborgen, das hinter einer Tapetenwand versteckt liegt, wo es schwer zu entdecken ist. Als sie das Thor einbrachen, hatte ich kaum Zeit Weste und Rock meines Bedienten zu nehmen, aber das kann nichts helfen. Sie müssen mir andere Kleider geben, einen von Ihren Röcken, er wird mir passen. Helfen Sie mir den Stiefel ausziehen, ich leide große Schmerzen und verschaffen Sie mir ein Pferd. Ich will es den Schurken bezahlen, bei Gott das will ich! Hätte ich gewußt, daß es so mörderisch noch hergeht, ich würde keinen Schritt hierher gethan haben, aber man sagte mir die Ordnung sei hergestellt.
Ich wollte um Ihrer willen, erwiederte ich, daß Sie nicht gekommen wären.
Man hat den rohen Haufen gegen mich aufgehetzt, hat mich verläumdet, fuhr er mich anblickend fort und um seine Lippen zuckte der verächtliche Hohn, den ich kannte. Der Pöbel glaubt Alles was man ihm aufbindet! Befreien Sie mich von dem vermaledeiten Stiefel, er macht mir Höllenqualen. Verflucht sei der Stein, auf den ich sprang! Wären meine Füße gesund, so wäre ich weit. Aber rasch eine Binde oder ein Tuch um die Geschwulst und dann einen Rock und ein Pferd, Ihr Pferd; ich will Ihnen reichlich vergelten.
Ach, mein gnädiger Herr, erwiederte ich betrübt, man hat uns alle Pferde und Kühe längst genommen, allein sobald es Tag wird, will ich Hülfe zu schaffen suchen.
Er stieß eine Verwünschung aus, in demselben Augenblicke wurde diese durch eine rauhe Stimme vor dem Fenster beantwortet.
Wir haben ihn! schrie diese Stimme, hier im Hause sitzt er! Aufgemacht! Schlagt ein, wenn der Pfaffe sich nicht rührt.
Ein Geschrei vieler anderer Stimmen und harte Drohungen folgten dieser Aufforderung, die von den Schlägen einer Axt begleitet wurden, unter welchen der schwache Fensterladen zersplitterte.
Als ich den unglücklichen Mann in meiner Angst anblickte, sah ich, wie in seinem Gesicht Entsetzen und Verzweiflung arbeiteten. Er suchte irgend einen Ausweg zu entdecken, den er nicht fand. Seine Stirn hatte sich hoch und faltig zusammengezogen, seine Augen rollten umher, seine Lippen zitterten. In dem Augenblicke, wo der Laden aufgerissen wurde und das wilde Triumphgeschrei sich verdoppelte, schlug er das Licht vom Tische auf den Boden, daß es auslöschte und sprang durch die Nebenthüre, welche in mein Arbeitszimmer führte.
Jetzt konnte ich erkennen was draußen vorging. Ein Haufen Menschen umringte mein Haus, es mochten deren wohl zwanzig und mehr sein. Einige trugen Laternen, alle waren mit Schafpelzen bekleidet, die gewöhnliche Tracht der Landleute damaliger Zeit. Die meisten hatten auch schwarze flockige Pelzmützen, sogenannte Pudelmützen, über ihre Köpfe gezogen, andere weiße Zipfelmützen, die mit Tüchern festgebunden waren. Ihre Gesichter waren geschwärzt und steckten in Binden und Lappen, bis über Mund und Nase; sie hatten somit alle Vorbereitungen getroffen, um bei dem was sie vorhatten unkenntlich zu bleiben und ich schauderte zusammen, weil ich begriff, zu welcher grausamen That sie entschlossen waren.
Als sie ihre Laternen an die Fensterscheiben hielten, sahen sie mich stehen und Dorotheen, die in großer Furcht war.
Da steht der Pfaffe, schrieen mehrere. Schlagt ein! Schießt ihn nieder!
Ruhig! antwortete eine gebietende Stimme. Der Pfarrer ist ein ehrlicher Mann und ein Vaterlandsfreund, ihm soll kein Haar gekrümmt werden. Machen Sie auf, Herr Prediger, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist.
Dorothea lief und öffnete die Thüre. Es blieb nichts anderes übrig, denn wie wäre Widerstand möglich gewesen? –
Wie ein Strom drang der ganze Haufen ein. Ein gewaltiger Mann, mehr als sechs Fuß hoch und mit herkulischen Schultern schien der Anführer. Ich kannte ihn nicht, hatte ihn nie gesehen. Der Kragen seines Pelzes war um seinen Kopf gezogen, die Pudelmütze tief in die Stirn gedrückt. Er war geschwärzt wie Alle, ein langer Bart bedeckte seine Lippen und Backen. Ich vermuthe, daß es einer der flüchtigen Soldaten war, vielleicht ein Unteroffizier oder Feldwebel und wie er mochten noch mehrere Soldaten zu dem Haufen gehören, der eine gewisse Disciplin beobachtete. Wohl ein Dutzend waren mit Gewehren und Büchsen bewaffnet, einige trugen auch Hirschfänger über ihre Pelze geschnallt wie Jäger und Förster, die übrigen führten. Aexte, Senseneisen oder schwere Eichenknittel mit Eisenringen.
Ich sage Ihnen nichts von meinen Bitten und Beschwörungen, um das Erbarmen dieser erbitterten, wohl auch halb trunkenen Männer zu erregen, nichts, wie wir Beiden zuletzt, ich und Dorothea, uns vor die Thüre warfen, und die Mörder abzuwehren suchten. Wir wurden zur Seite gestoßen; sie drangen ein und fanden den Geheimenrath hinter dem Ofen an der Wand stehend. Er hatte den Rock abgeworfen, wahrscheinlich um ein anderes Kleidungsstück zu suchen, das er nicht fand; so wurde er hervorgezogen unter wüthendem Gebrüll und Jauchzen, unter Schmähungen, Hohn und Mißhandlungen, denn einer der bethörten Rasenden schlug ihm mit der Faust ins Gesicht, daß Blut danach floß.
Elender! schrie der Getroffene auf, ich kenne Dich, Du Schelm!
Diese Worte würden ihm wahrscheinlich auf der Stelle das Leben gekostet haben, denn sie dürsteten danach, und warfen sich auf ihn, aber Dorotheas Geschrei, meine erhobene Stimme und der donnernde Befehl des Anführers hinderten für den Augenblick die schreckliche That.
Halt! schrie der riesenhafte Kerl. Wer ihn anrührt, dem haue ich die Hand vom Leibe. Bindet ihn, sterben soll er, aber wie es sich gehört und nicht hier im Hause des Pastors.
Die Hände wurden dem Geheimenrathe auf dem Rücken zusammengeschnürt, was derselbe Mensch that, der ihm in's Gesicht geschlagen hatte, dennoch aber schien dem unglücklichen Manne ein Hoffnungsgedanke zu kommen.
Wer Ihr auch sein möget, begann er, Ihr ermordet einen Unschuldigen. Laßt mich frei und ich will Alles vergessen, keinerlei Anklage erheben, keinerlei Nachforschung anstellen; ja ich will geben was Ihr haben wollt. Ihr sollt Geld haben, ich habe viel Geld mitgebracht; fordert was Euch beliebt, ich will thun was ich thun.
Sie hatten einen Kreis um ihn gebildet, in dessen Mitte er sich befand, von ihren Laternen beleuchtet, die sie in sein uriges Gesicht hielten. Ringsumher wurde es düster, keiner weiter im Hause als wir und die alte Magd, welche sich nicht aus ihrer Kammer traute. Es begann nun eine Art Verhör.
Sie sind der Geheimerath von Hartenstein? fragte der Anführer.
Ich bin es, antwortete der Freiherr.
Dann sind Sie ein Landesverräther, der die Franzosen hierher gebracht hat.
Ich bin kein Verräther, antwortete der Freiherr, ich habe niemals etwas gethan, was mich in Unehre brächte.
Er lügt! schrie eine Stimme.
Sie haben es mit den Franzosen gehalten, fuhr der große Mensch fort. Geld haben Sie genommen von dem Bonaparte, dafür haben Sie das Vaterland verrathen.
Wie habe ich es verrathen können? erwiederte Hartenstein ruhig. Ich werde mich keiner Untersuchung entziehen. Sagen Sie mir, wie ich es verrathen konnte?
Der Ankläger schien verlegen zu sein.
Die ganze Welt sagt es, schrie er, alle Patrioten sagen es. Verflucht! Sind Sie nicht bis jetzt bei den Franzosen gewesen, während alle braven Männer bei ihrem Könige sind? Haben Sie da nicht wieder mit dem Bonaparte zusammengesessen und Rathschläge gegeben?
Ich habe keine Rathschläge gegeben und kam hierher, um womöglich Gelegenheit zu finden, nach Preußen zu gelangen, antwortete er.
Er lügt! Er lügt! schrie die scharfe Stimme wieder. Fragt wen Ihr wollt, sie werden es Euch sagen, was es für ein schlechter Kerl ist.
Neben den Anführer trat jetzt ein anderer Mann und als er zu sprechen anfing, glaubte ich ihn zu erkennen.
Ich selbst, sagte dieser Zeuge, habe von dem verstorbenen Baron gehört, daß er diesen Vogel hier einen niederträchtigen Landesverräther und Schelm nannte, den er wie einen Hund todt schießen würde, wo er ihn fände. Dazu hat er viele andere grausame schlechte Thaten begangen sein Lebenlang. Seine Frau hat er um ihr Geld gebracht und hat sie elend umkommen lassen, seinen treuen Diener Jakob hat er wie einen Dieb tractirt, falsch angeklagt und unglücklich gemacht. Nichts als Ränke, List und Schlechtigkeit sind von je an in ihm gewesen; betrogen hat er Jeden, der mit ihm zu thun hatte.
Das entschied das Loos des unglücklichen Freiherrn. Rache- und Wuthgeschrei übertönte dessen Stimme, als er sich verantworten wollte –
Fünf Minuten wollen wir ihm Zeit lassen, wenn er noch etwas abzumachen hat, sagte der Anführer, dann soll er sterben!
Erlassen Sie es mir, Ihnen diese letzten Minuten zu beschreiben, sagte ich seufzend. Vergebens war Alles was ich that, sie rissen ihn hinaus, schleppten ihn über den Weg fort bis an die Kirchhofsmauer, erstickten sein Geschrei um Hülfe und seine Bitten und Versprechungen. Als ich die Schüsse fallen hörte, sprang ich von meinen Knieen auf. Mondlicht und Tagesgrauen vermischten sich. Ich sah den ganzen Trupp rasch über die Felder und den gefrornen Bach fortlaufen und lautlos dem Walde zueilen. Die Schattengestalten schienen mir Wesen ohne Leib, das Ganze ein wüster Traum zu sein, aber es war nur zu gewiß und wahr.
Als ich zu dem traurigen Platze kam, lag er in seinem Blute todt. Drei Kugeln waren durch seine Brust, eine vierte durch den Kopf gegangen. Wir trugen ihn in das Haus, ich rief die Nachbarn herbei und machte Anzeige beim Gerichte über die That. Am Abend brachten wir die Leiche auf das Schloß, wo es wüste aussah und wo sie begraben wurde und nun begann eine Untersuchung, die jedoch ohne alles Resultat blieb.
Niemand hatte die Mörder gekannt und wer vielleicht etwas von ihnen wußte, hütete sich eine Aussage zu machen. Es gab damals auch Viele, selbst unter den höher Gestellten, die in ihrem Hasse so weit gingen sich über den Tod eines Verräthers von solchem Range heimlich zu freuen. Sie nannten es einen Akt der Volksjustiz gegen einen Verbrecher, der in anderer Weise nicht zu erreichen sei und die Gerichte waren, wie Alles damals, aufgelöst, alle Ordnung und Gesetzlichkeit vernichtet, die französische Militairgewalt aber machte nicht allzu viel aus einem Vorfalle, der keinen Franzosen betroffen hatte.
Allein Sie selbst, fiel die Dame ein, hatten einen oder einige der Bande erkannt. Sie werden diese Elenden doch genannt haben?
Ich sprach nur meine Vermuthungen aus, erwiederte ich, Gewißheit hatte ich nicht zu geben. Ich glaubte, daß der, welcher neben dem Anführer stand, der Förster Heinz gewesen sei, der andere aber, welcher den Freiherrn schlug und band, war, wie ich meinte …
Nun; fragte sie, als ich schwieg.
Jakob, sagte ich.
Der Dame düstere Augen belebten sich. Ich dachte es wohl, rief sie. O gewiß, der abscheuliche Mensch sah aus wie ein Verbrecher. Er konnte Niemand ansehen, vermied jede Begegnung mit meinem Gemahl oder mit meinen Kindern und mir. Aber wie war es möglich, daß ein solches Ungeheuer auf unsre Kosten leben durfte?
Madame, antwortete ich, die letzten Worte, welche der unglückliche Mann zu mir sagte, bekannten sein großes Unrecht gegen seine verewigte Frau, gegen Jakob und gegen – Alle, die er beleidigt hatte und deren Vergebung er forderte. Von dieser Mörderbande, rief er dann, habe ich keine Gnade zu hoffen, aber ich bin kein Verräther. Sagen Sie das meinem Bruder, er soll unsern Namen vor Schande bewahren.
Ich schrieb dies Alles dem jungen Herrn, Ihrem Gemahl, der jedoch erst im Frühjahr hierherkam und, nach reiflicher Ueberlegung, es für das Beste erachtete, die Unthat auf sich beruhen zu lassen. Von dem Förster Heinz hat man nie wieder gehört, auch Jakob war lange Zeit verschwunden, bis er nach den Freiheitskriegen zerschossen und siech zurückkehrte. Ihr Herr Gemahl war damals im Staatsdienste in England. Ich benachrichtigte ihn von Jakobs Erscheinen, der standhaft läugnete, einen Antheil an jener grausamen Nacht gehabt zu haben, wohl aber über das schwere Unrecht klagte, das an ihm begangen ward, und welches sein ganzes Leben mit Elend und Schmach erfüllt habe.
Darauf befahl der gnädige Herr, daß Jakob in sein Haus genommen und dort verpflegt werden sollte, unter der Bedingung, auf immer über Alles, was geschehen, zu schweigen.
Als ich zu sprechen aufhörte, sagte sie:
Mein Gemahl hat also niemals versucht, den Ruf seines Bruders zu retten? Er hat keine Untersuchung verlangt, hat nichts gethan, um sein Haus von solcher Schmach zu reinigen?
Es gingen wohl viele Jahre hin, erwiederte ich ihr, wo dies kaum möglich schien, denn die Meinung war vielfach verbreitet, daß der Geheimerath in seinem Eifer, den Frieden zu erhalten, zu weit gegangen sei; und daß er in Paris geheim verhandelt, den Abschied bekommen und der erklärte Anhänger der französischen Partei gewesen, konnte Niemand leugnen. Erst vor zwei Jahren, als Ihr Herr Gemahl den Staatsdienst aufgegeben hatte und hierherkam, sagte er mir, daß man jetzt davon überzeugt sei, sein Bruder habe niemals seine Pflicht übertreten. Als ihn sein unglückliches Ende erreichte, sei er im Begriff gewesen, sich zu rechtfertigen. Es hatten sich Papiere nach Haugwitz's Tode aufgefunden, welche Alles bestätigten, und wenn dies geltend gemacht würde, müßte man wenigstens der Familie dankbar sein.
Sie stand auf, und ich sah die Freude in ihrem Gesichte.
Darauf bezieht sich also jene Notiz? fragte sie, und weiter wissen Sie nichts?
Nein, antwortete ich, das ist Alles.
So leben Sie wohl. Wenn es nöthig ist, werde ich mich auf Ihr Zeugniß berufen können. Aber, fuhr sie zurückkehrend fort, ist kein anderer Zeuge noch am Leben? Was ist aus den Söhnen des Barons geworden?
Sie sind sämmtlich todt, Madame. Der Aelteste starb bei Jena, der Zweite in den Armen seines Vaters. Der Dritte fiel in der Schlacht bei Eilau Die Schlacht bei Preußisch Eylau (7.-9.2.1807) zwischen der russischen Armee und der französischen Grande Armée unter dem Kommando von Napoléon Bonaparte brachte bei schweren Verlusten auf beiden Seiten kein eindeutiges Ergebnis. und von dem Jüngsten weiß man nicht, wie er endete. Die Güter sind jetzt auf Lehnsvettern übergegangen. Wollen Sie, fügte ich hinzu, indem ich auf das Päckchen mit den traurigen Reliquien deutete, dies nicht mitnehmen?
Werfen Sie es fort, erwiederte sie, indem sie sich entfernte, es kann nichts nutzen.
Es kann nichts nützen! Ja, das ist es – das ist die Weisheit der Kinder dieser Welt, und nun ich den letzten Abschnitt meiner Lebensgeschichte niedergeschrieben habe, fragen mich meine müden Augen, was kannst Du noch nützen? Wie es dunkel um mich wird, wie ich diese Buchstaben nur noch mühsam erkennen kann, muß ich doch lächeln über die Thorheit dieser Frage. Ich habe gelebt, ich habe als Mensch gelebt und gelitten; mein Wandel ist vollbracht. Was ich nützte, weiß Gott allein!
Unter dies Manuscript war von einer andern Hand geschrieben:
Dies waren die letzten Worte des frommen edlen Greises. Die Feder war ihm aus der Hand gefallen und die Buchstaben noch nicht trocken, als wir ihn fanden, den müden Kopf auf das Papier gelegt, wie im tiefen Schlaf. Er ist hinübergegangen ohne Leiden, und heute in der Frühe haben wir ihn begraben unter dem Rosenbusche, wie er es angeordnet, neben seinen Lieben. Marie ist noch in tiefsten Schmerze, denn er ist ihr ein Vater gewesen und hat väterlich ihr auch sein irdisches Gut hinterlassen. Wir werden bis zum Herbst warten müssen, ehe sie meine Frau wird. Gott aber weiß nicht allein, was unsers lieben alten Freundes Leben nützte, ich weiß es, Marie weiß es, die ihm Alles dankt, und so viele Arme und Geplagte mit ihr, deren Trost und Stab er war. Nützten alle Menschen, wie er in seinem stillen Wirken und Wesen, es würde wahrlich besser sein, wie es ist!
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