Drama in drei Akten
Aus:
Schauspiele
Claassen Verlag GmbH
Düsseldorf
1986
1. Auflage
Die Bühne ist dunkel. Dora tritt ein und dreht das Licht auf. Dann Leonie und Fork.
Leonie zu Dora: Haben Sie noch alles bekommen?
Dora nimmt Leonie den Mantel ab: Jawohl, gnädiges Fräulein, nur keine Hummern; ich habe überall angerufen, aber niemand antwortete mehr.
Leonie: Beeilen Sie sich, die Herrschaften werden gleich dasein.
Dora ab.
Leonie und Fork.
Fork: Früher hätten wir einen solchen Triumph im Pariser Hof gefeiert.
Leonie: Ja, die Zeiten haben sich geändert.
Fork: Ihr Verlobter hat zu ernste Absichten und zu wenig Phantasie.
Leonie: Die Phantasie, die dazu gehört, fünfhundert Mark im Pariser Hof auszugeben. Die Sache ist, daß ich selbst dies dumme Leben satt habe.
Fork: Nein! Die Frau, die so spielt, wie Sie heute abend gespielt haben, ist noch dieselbe, die ich die mich geliebt hat. Ihr in die Augen: Du hast nichts vergessen, Leonie: so wenig wie ich.
Leonie: Würde ich dann mit Ihnen verkehren, Herr Doktor Fork?
Fork: Und Ihr Verlobter erlaubt es Ihnen! Als ob er von nichts wüßte.
Leonie schnell: Er weiß es durch mich. Aber unsere Beziehungen, Harrys und meine, werden durch das Vergangene so wenig berührt, daß wir uns schämen würden, besondere Vorkehrungen zu treffen. Lachend: Da Sie einmal da sind, sollen Sie so guten Champagner bekommen, wie im Pariser Hof.
Fork: Du glaubst wirklich, ich werde dich den Menschen heiraten lassen? Du gehörst mir. Ich war toll, als ich dich gehen ließ. Ich fordere dich zurück.
Leonie: Ich verbiete Ihnen, mich zu duzen ... Sie drohen mir? Was können Sie denn machen gegen uns.
Fork: Das wirst du sehen.
Leonie: Ich habe alles gegen mich: Harrys Mutter, seine Leute, den Intendanten, die Stadt. Wer hetzt sie auf? Von wem kam gestern die Notiz im Morgenblatt? ... Sie schweigen? Wozu auch reden. Wenn Sie uns trennen könnten, Sie hätten doch nichts erreicht. Es wäre nur aus mit mir.
Die Vorigen. Merson. Habenschaden. Lizzi.
Habenschaden: Da ist die göttliche Künstlerin.
Merson: Wer ist hier göttlich.
Habenschaden küßt Leonie die Hand: Das Hoftheater hat solchen Abend nie gesehen. Daß die Bühne unter den Blumen nicht einbrach, ist alles. Wo sind sie denn? Ich habe mir erlaubt
Leonie: Es war nicht so schlimm, Herr Kommerzienrat.
Dora trägt zwei Blumenkörbe herein.
Leonie: Sehen Sie, das ist alles. Dieser kommt von Ihnen und Ihrer Gemahlin; vielen Dank. Wie schade, daß Ihre Gemahlin nicht gekommen ist.
Habenschaden: Meine Frau bleibt nie so lange auf, wissen Sie.
Leonie: Und dieser Korb?
Fork: Von Bella und mir.
Leonie: Sie sind sehr aufmerksam.
Lizzi: Leonie, ich wünsch dir so viel Glück. Mehr als ich gehabt habe. Sie schluchzt, geht zum Diwan.
Leonie: Armes Mädel.
Habenschaden: Man muß sie trösten.
Leonie hält ihn zurück: Nicht den Schmerz reizen! Lassen Sie den Anfall vorübergehen ... War es denn nun eigentlich ein richtiger Erfolg?
Habenschaden: Wie können Sie zweifeln!
Leonie zu Merson: Was sagt Teckerl?
Merson: Daß du beliebt bist, weiß jeder. Für die Rolle der Clarissa muß man freilich enorme Mittel mitbringen und obendrein intelligent sein.
Leonie: Und das bin ich nicht?
Habenschaden: Wie können Sie glauben!
Merson: Ich hätte es anders aufgefaßt.
Leonie: Was?
Merson: Das Ganze. Bei dir hat die Schneiderin zu viel mitgespielt.
Leonie verlegen: Nun ja.
Fork: Leonie will sagen, daß sie sich Talent genug zutraut, um die Konkurrenz ihrer Schneiderin nicht fürchten zu müssen.
Leonie: Eine richtige Frau, wie ich sie spiele, zieht sich wohl auch gut an?
Merson: Wenn ich die Rolle bekommen hätte, in der Rendezvous -Szene im zweiten Akt hätte ich jedenfalls ganz anders losgelegt.
Leonie: Ich kann das vielleicht nicht.
Habenschaden: Sie können alles. Fräulein Merson kann auch alles.
Merson: Du bist einfach bequem geworden. Allmählich merkt man dir an, daß du schon ein Jahr lang in gar zu geordneten Verhältnissen lebst.
Leonie: Du meinst meine Verlobung?
Merson: Allerdings.
Leonie: Wir werden sehen, was die Kritik sagt. Die Notiz über mein Wiederengagement verspricht freilich nicht viel Gutes.
Habenschaden: Ich kann nur feststellen, in der Stadt ist man begeistert, daß unsere Hallmann uns noch eine Saison erhalten bleibt.
Leonie: Eigentlich hätte ich unsere Heirat lieber auf dem Lande abgewartet.
Habenschaden: Sie waren auf dem Lande?
Leonie: Bei meiner Mutter, die ganzen Ferien. Harry hat mich besucht.
Habenschaden: Ich kann Sie mir in Wald und Wiese nicht recht vorstellen.
Leonie: Ich habe wieder die alten Blumen gepflückt, dieselben, die ich als Kind nach Hause brachte. Mir war manchmal, als sei inzwischen nichts geschehen. Aber nun bin ich doch schon lieber hier. Mir sind Ihre Mitbürger sehr sympathisch, da es Harrys Landsleute sind. Ich möchte dazugehören.
Merson: Tust du schon. Voriges Jahr das Duell, vor zwei Jahren die Ehescheidung; und, Herr Kommerzienrat, soll nicht jetzt die Verlobung des Fräuleins von Eckart auseinandergehen?
Leonie: Wie du lieb bist. Sie geht Bella entgegen.
Habenschaden zu Merson: Und es würde Ihnen gar kein Vergnügen machen, sich auch Ihre Toiletten in Paris zu bestellen? Ihr Talent verdiente es, weiß Gott. Sie wissen, liebes Kind, welche Gefühle
Merson: Wenn Sie Leonie groß finden, liegt mir weder an Ihrem Beifall noch an Ihren Gefühlen.
Die Vorigen. Bella. Rotau.
Bella: Entschuldige, liebe Leonie, ich mußte noch nach Hause, nach den Kindern sehen.
Leonie: Aber natürlich. Wir warten ohnedies auf Harry.
Rotau: Und ich mit meinem Hunger. Nach einer solchen Rolle!
Merson: Zweieinhalb Sätze.
Bella leise zu Fork: Ich war nämlich zu Hause, weil ich hoffte, Seiler habe endlich das Geld für das Auto geschickt.
Fork: In der Nacht?
Bella: Es drängt doch. Morgen will uns der Weinhändler pfänden.
Fork: Wennschon.
Bella: Ist dir auch das schon gleich? Ich will nicht, daß es dahin kommt. Wir sind ja verloren.
Fork: Wegen des Weines? Ich habe andere Sorgen.
Bella: Um des Himmels willen!
Fork: Laß dir das Geld von Rüssel geben.
Bella: Der!
Rotau umarmt Leonie: Kind, dein Lehrer dankt dir bewegten Herzens. Ich bin stolz auf dich.
Leonie: Ich bin's, die dir alles dankt. Zu Bella: Wie geht es den Kindern?
Bella: Gut. Sie schlafen. Ich bin, offen gestanden, nur aus Pflichtgefühl nachsehen gegangen. An einem Abend wie heute fällt mir alles wieder ein. Solch Triumph! Leonie!
Leonie: Dafür hast du jetzt Mann und Kinder.
Merson zu Habenschaden: Sogar zwei Männer.
Leonie: Gott sei Dank habe auch ich bald ausgegaukelt.
Fork zu Bella, ironisch: Man sollte für Liebe dankbarer sein. Sieh dir die Lizzi an.
Bella zu Lizzi: Du armes Haserl wirst dich blind weinen, und es gibt doch sicher noch andere Leute außer dem Sainthal, die deine Augen schön finden.
Lizzi: Laß mich.
Merson: Liebe Lizzi, wenn er nicht gestorben wäre, früher oder später wärest du ihn doch losgeworden.
Lizzi weinend: Den Krüppel? Den hätte keine liebgehabt als nur ich.
Rotau: Sieh mir ins treue Auge, Kind. Dein Schmerz ist auch der meine. Aber bleibt uns nicht die Kunst?
Fork: Schließlich war es das einzig Richtige, was Herr von Sainthal tun konnte.
Lizzi: Nein! Ich hätte ihn gepflegt.
Fork: Ich frage die Herrschaften.
Rotau: Ich meine, daß Gott uns immer noch früh genug abruft. Das hätte auch der Herr Baron von Sainthal bedenken sollen. Das Leben verdient es, zu Ende gelebt zu werden.
Leonie: Schön, daß du das noch heute findest.
Rotau: Nächsten Monat gastiere ich in acht Städten.
Merson: Darunter Insterburg.
Leonie: Kinder, geht ein wenig beiseite, ja? Zu Lizzi: Weine nicht mehr, Kleine, willst du? Oder doch, weine nur.
Lizzi: Verzeih, Leonie. Ich hätte nicht herkommen dürfen, ich habe euch nachgegeben. Jetzt störe ich euch. Ich bin zu unglücklich.
Leonie: Darum eben. Wir sind alle nur da, damit du dich ausweinst. Nimm gar keine Rücksicht, denke ausschließlich an deinen Kummer. Alles geht vorbei, wenn wir ein Publikum haben.
Lizzi: Es soll aber nicht vorbeigehn.
Leonie: Nein, du hast recht, es darf nicht vorbeigehn. Wenn eine Liebe stirbt, das ist noch schlimmer als der Tod eines Menschen.
Habenschaden: Einerseits, da er jahrelanges Siechtum vor sich hatte, war es gewiß eine männliche Handlungsweise. Andererseits darf man nicht vergessen, wen man zurückläßt. Woher hatte er übrigens das Gift?
Lizzi: Wenn ich das wüßte. Den Menschen brächte ich aufs Schafott.
Fork zu Leonie: Kommt Ihr Verlobter denn nicht? Er ist wohl auch sehr niedergeschlagen? Er war so eng befreundet mit dem Sainthal. Die letzte Zeit sahen sie sich täglich. Leise: Sie wissen, in einer chemischen Fabrik gibt es auch Zyankali.
Leonie sieht ihn an. Ausbrechend: Sainthal war tapfer. Der war noch tapferer, der ihm das Gift gab. Es ist das erste der Rechte, jeden Augenblick sterben zu dürfen.
Bella: Das ist ja furchtbar.
Lizzi: Wie kannst du das sagen.
Habenschaden: Auch ich empfinde modern. Aber der Betreffende wird doch gut tun, sich nicht fangen zu lassen.
Leonie erregt: Wir können unmöglich noch länger auf Harry warten. Zu Tisch, Herrschaften. Ihr bekommt ohnehin nur kalt zu essen. Teckerl findet freilich, daß ich in zu geordneten Verhältnissen lebe.
Lizzi: Hätte er noch ein Testament gemacht! Aber mit nichts als Schulden hat er mich sitzengelassen. Seine Verwandten verweigern mir jede Entschädigung.
Habenschaden: Ein verdammt schlechtes Geschäft.
Bella seufzend: Dir bleiben doch wenigstens die Villa und das Auto.
Rotau: Das Künstlerleben geht auf und nieder. Diese Perle ist vom Fürsten Dolgorucki.
Lizzi: Sie ist ja falsch.
Rotau: Dann war sie vom Fürsten Dolgorucki.
Alle ab, außer Leonie und Bella.
Bella. Leonie.
Bella an der Tür zum Speisezimmer: Leonie, bitte, einen Augenblick.
Leonie: Fangt an, Kinder, ich bin gleich bei euch ... Nun, Bella, du machst schon die ganze Zeit ein verhängnisvolles Gesicht. Was ist? Vertragen deine beiden Männer sich nicht mehr?
Bella: Mein Mann und der Oberleutnant von Rüssel? Oh, keine Gefahr.
Leonie: Also?
Bella: Leonie, es ist mit schrecklich peinlich. Wir können den Weinhändler nicht bezahlen, und er drängt. Es sind zweihundertachtzig Mark.
Leonie: Ich werde einfach Harry bitten.
Bella: Du weißt, er schuldet uns noch das Auto.
Leonie: Ja; aber er will es deinem Mann zurückgeben. Es soll nämlich unbrauchbar sein.
Bella: Mein Gott! Das wußte ich nicht. Du glaubst mir doch, daß ich's nicht wußte.
Leonie: Natürlich.
Bella: Das wenigstens durfte er nicht tun. Deinem Verlobten! Aber ich weiß nicht, was mit ihm vorgeht. Er ist außer sich. Gestern sagte er: wenn es mit ihm aus sei, dann sollten noch andere dran glauben; und er nannte deinen Verlobten. Was heißt das?
Leonie: Tollheit.
Bella: Unsere Verhältnisse sind schlecht, aber was hat Harry damit zu tun.
Leonie: Offenbar nichts.
Bella: Leonie! Wie du aussiehst! Du weißt etwas?
Leonie: Was soll ich wissen.
Bella: Ich fühle irgendwie du bist in grade solchem verzweifelten Zustand wie Robert.
Leonie: Was geht dein Mann mich an ... Wir waren alle mit dem armen Sainthal bekannt. Kann einem solch grauenvolles Ende nicht die Stimmung verderben?
Bella: Warum hast du gesagt, jeder müsse das Recht haben, zu sterben?
Leonie: Weil es meine Meinung ist. Wozu habe ich meine Familie verlassen. Was ist Freiheit, wenn man nicht gegebenenfalls auch sterben kann.
Bella: Leonie, wenn auch du den Mut verlierst, was soll dann aus mir werden. Sie weint.
Leonie: Gute Bella, ich denke doch nicht daran, mich umzubringen. Ich will ja heiraten ... Aber das will ich.
Bella: Trotz all den Schwierigkeiten?
Leonie: Trotzdem. Die Hauptsache ist, Harry liebt mich.
Bella: Wie du noch jung bist!
Leonie: Im Gegenteil: es hat lange gedauert, bis ich es einem geglaubt habe. Aber an diesem hänge ich, denn er kennt mich, er nimmt mich wie ich bin, und wird mich sein Leben lang lieben.
Bella: Wenn er aber den Mut verliert.
Leonie: Ich halte ihn.
Bella: Welch schreckliche Entschlossenheit. Aber so warst du immer. Weißt du vor acht Jahren, in unserm Atelier unterm Dach? Als Rotau dir gesagt hatte, es werde nichts aus dir werden, er gebe den Unterricht auf: du weintest, daß ich Angst bekam, und dann sagtest du, jetzt sei dir alles eins. Du wolltest dich wegwerfen weißt du noch? an irgend jemand. Dabei konntest du den Assessor Campe heiraten.
Leonie: Und du rietest mir dazu.
Bella: Ich glaube, was man hat, soll man behalten. Es kommt doch nichts Besseres. Ich konnte gewiß weniger als du, aber ich hätte doch bei der Bühne bleiben sollen. Das Heiraten ist mir nur noch schlechter bekommen.
Leonie: Arme Bella. Durch mich.
Bella: Nein! Davon dürfen wir nicht reden. Du bist meine einzige Freundin. Du bist ja so stark. Darum wird mir's bange, wenn ich dich in solche Sache verrannt sehe. Du, die berühmte Leonie Hartmann, möchtest deine ganze glänzende Laufbahn dem Dünkel einer Spießerfamilie opfern, die dich trotzdem nicht will. Dich heiratet doch ebensogut ein Prinz und läßt dich ruhig weiter Komödie spielen.
Leonie: Wenn ich's aber satt habe, zum Sterben satt. Das Ganze. Die Gefühle, die man nur hat, um damit zu spielen. Nicht zu leben, nur zu spielen. Die Leidenschaften, von denen man im vorhinein weiß, daß sie nur so lange dauern, bis man was daraus gemacht hat. In solch ein Glück, wie ich's kenne, bricht man ein wie in einen Kassenschrank. Dann wird verschwendet, vierzehn Tage lang und man ist wieder fertig.
Bella: Dabei bist du groß geworden.
Leonie: Ich will Frieden. Wärme will ich endlich und Sicherheit oder nichts.
Bella: Du drohst wieder, wie damals, als du nicht zur Bühne solltest. Du drohst dem Leben. Du hast es niemals sehr ernst genommen: sonst wärest du bescheidener.
Leonie: Du merkst nicht, daß ich es jetzt ernst nehmen will?
Die Vorigen. Habenschaden. Harry.
Habenschaden aus dem Speisezimmer: Eine erbitterte Versammlung ordnet mich ab.
Harry von der Eingangstür: Guten Abend.
Leonie ihm entgegen: Ah! Wie lieb von dir, daß du noch kommst. Du bist nach dem zweiten Akt fortgegangen?
Harry: Ich hatte noch zu arbeiten.
Leonie: Armer Kleiner! Wie geht's mit deinem Schnupfen? Leise: Neue Unannehmlichkeiten?
Harry: Immer neue. Werden die Leute noch lange bleiben?
Leonie: Sofort schick ich sie weg.
Harry: Guten Abend, Herr Kommerzienrat. Gnädige Frau.
Habenschaden: Mein lieber Seiler! Ich habe wieder Gutes über Sie gehört. Einer Ihrer Geschäftsfreunde war bei mir.
Leonie: Dann würden Sie sich also entschließen ?
Habenschaden: Ich sage nicht nein.
Bella: Leonie, ich vertrete dich solange dort drinnen, ja?
Leonie: Ich wäre dir sehr dankbar.
Bella ab.
Leonie. Harry. Habenschaden.
Harry: Aber der Herr Kommerzienrat hat noch nicht gegessen?
Habenschaden: Ich bin fertig.
Leonie: Und du, Lieber?
Harry: Ich mag nichts.
Leonie: Sie sehen, die Aufregungen haben lange genug gewährt. Er wird krank werden.
Habenschaden: Wie ist's mit Ihrer Frau Mutter.
Harry: Nichts zu machen. Wenn wir heiraten, nimmt sie ihr Kapital aus der Fabrik.
Leonie: Und ich lege meins hinein. Aber das wird mir einfach nicht geglaubt. Man kann sich nicht vorstellen, daß eine Schauspielerin eine Familie hat und sogar eine Mitgift.
Harry: Du müßtest Millionärin sein. Dann würde kein Mensch nach etwas anderem fragen.
Leonie: Man meint, ich kann mich nicht einfach anziehen. Zu dumm. Ich werde doch froh sein, wenn ich mich nicht mehr öffentlich auszustellen brauche. Außerdem erzieht Harry mich zur Sparsamkeit. Wissen Sie, daß ich jetzt meine Sachen selbst ausbessere?
Harry: Aber das verlange ich nicht.
Habenschaden: Dabei möchte ich Sie sehen.
Leonie: Sie halten mich wohl auch für eine Theaterprinzessin?
Habenschaden: Gott behüte. Wir leben, wie so vielfach, auch hier unter Anschauungen, die für modern kultivierte Menschen keine Gültigkeit mehr haben. Ich tue da nicht mit. Ich habe freilich meine soziale Stellung gleich in der Wiege gefunden, ich habe nicht kämpfen müssen. Darum eben ist es mir so sympathisch, wie Sie, mein Lieber, sich jetzt abrackern. Ihr Vater, mein alter Freund, hat sich das niemals angetan. Ich bewundere Sie geradezu.
Leonie: Wie Sie mich glücklich machen, Herr Kommerzienrat! Siehst du, Harry, das ist Anerkennung. Und nicht wahr? Dann helfen Sie ihm auch. Sie sind unsere Hoffnung. Da Sie Harry so gut kennen, wissen Sie ja, wie sicher Ihr Geld gestellt wäre.
Harry: Leonie, so stürmisch ist man nicht in Geschäften.
Habenschaden: Es ist so schmeichelhaft, Ihre Hoffnung zu sein, verehrtes Fräulein.
Leonie: Sie haben mir oft gesagt, wie sehr Sie meine Kunst verehren.
Harry: Leonie! Das gehört nicht hierher.
Habenschaden: Daß Harry um eine solche Künstlerin kämpft, das nimmt mich noch mehr für ihn ein. Meine Frau war gewiß keine Künstlerin; aber ich bin weit entfernt von Vorurteilen.
Leonie: Nicht wahr? Und wir dürfen auf Sie rechnen?
Habenschaden: Wir sprechen darüber.
Leonie: Also sprecht, bitte. Und entschuldigt mich, ich muß nach den Leuten schauen. Ab.
Harry. Habenschaden.
Habenschaden: Eine Zigarette? ... Wie Leonie heute abend gut aussieht, nicht? Sie hat das Spielen nötig. Die Ferien hatten lange genug gedauert.
Harry: Sie glauben? Aber wir waren zusammen.
Habenschaden: Vergebung. So meinte ich's nicht. Das Mädchen liebt Sie unerhört.
Harry: Sie haben den Eindruck?
Habenschaden: Sie hat es eilig mit der Heirat.
Harry: Es wird wirklich Zeit.
Habenschaden: Wie lange kennen Sie sich?
Harry: Ein Jahr.
Habenschaden: Und noch immer dieselbe Leidenschaft?
Harry: Vielleicht größer. Überreizt, wissen Sie. Man hat gar zuviel zu kämpfen. Manchmal ist man doch müde.
Habenschaden: Sie bringen Ihrer Liebe tatsächlich Opfer.
Harry: Das darf ich sagen.
Habenschaden: Aber Sie wissen auch warum. Welch ein Weib! Ein Bild des reifen, bewußten Lebens. Ah, sie weiß bei jedem Wort, wie sie aussieht, und bei jedem Schritt, wie ihre Figur wirkt. Dabei: Leidenschaft im Zustand der Ruhe, immer auf dem Sprunge, den Salon in eine Bühne zu verwandeln. Man mag sagen, was man will, das vollkommene Weib ist erst die Schauspielerin.
Harry: Sie finden wirklich?
Habenschaden: Nun und Sie? Sonst würden Sie doch wohl die halbe Million des Fräuleins Görres heiraten, die nur darauf wartet.
Harry: Leonie hat mein Wort.
Habenschaden: Sehen Sie, eine Frau, die es im Ausdruck des weiblichen Herzens zu solcher Meisterschaft gebracht hat wie Ihr Fräulein Braut, kann natürlich nicht unerfahren sein, als ob sie eins unserer jungen Mädchen wäre. Ich möchte wissen, was die Leute sich eigentlich denken.
Harry: Freilich.
Habenschaden: Wäre ich nur so herrlich jung wie Sie: ich könnte Ihnen gefährlich werden. Ich begreife alles, verstellen Sie sich doch nicht. Wollen wir wetten? Wenn Ihnen jetzt, anstatt Ihres väterlichen Freundes, irgendein Halsabschneider gegenübersäße: Sie ließen, um dieses Weibes willen, alles mit sich geschehen.
Harry: Wären Sie denn, Herr Kommerzienrat, zu dem Geschäft bereit?
Habenschaden: Ich müßte eben persönlich Einblick gewinnen.
Harry: Gewiß.
Habenschaden: Morgen zum Beispiel.
Harry: Es hat vielleicht noch Zeit? ... Sehen Sie, Herr Kommerzienrat, ich liebe Leonie gewiß sehr. Ich möchte nicht ohne sie leben und beweise ihr's täglich durch alles, was ich ihretwegen auf mich nehme. Aber ich habe doch den Wunsch, meine Mutter für unsere Heirat zu gewinnen. Ich würde vorziehen, daß sie mir das Kapital läßt.
Habenschaden: Der Familienfriede ist freilich immer vorzuziehen.
Harry: Dann wäre uns wohl auch die Gesellschaft weniger feindlich.
Habenschaden: Oh, was das betrifft: die Leute beneiden Sie doch nur.
Harry: Nicht wahr?
Habenschaden: Sie Glückspilz.
Die Vorigen. Merson. Bella. Lizzi. Rotau.
Harry: Was tut Leonie?
Merson: Mit dem Doktor Fork? Ich weiß nicht.
Harry ab ins Speisezimmer.
Habenschaden: Warum hassen Sie Leonie?
Merson: Weil sie sich wegwirft. Das beleidigt mich in allem, was mir heilig ist. Es muß außer mir noch eine dasein, die was ist und was kann. Sonst freut's mich nicht.
Habenschaden: Sie können soviel mehr als Leonie.
Merson: Wissen Sie, daß solch ein Wort Ihnen bei mir jede Aussicht nimmt? ... Außerdem weiß ich, daß Sie Leonie helfen wollen, zu heiraten. Sie ist dumm genug, es zu erzählen. An zuviel Geist geht sie nicht zugrunde.
Habenschaden: Wenn ich Leonie wirklich hülfe, würde das doch nicht hindern, daß ich auch Sie
Merson: O ja, das würde hindern. Ich verlange nämlich viel. Ich bin an einer Fabrik beteiligt.
Habenschaden: Sie auch?
Merson: Ein Freund hat mir einmal Aktien geschenkt. Sie haben mir immer zweihundert Mark im Monat getragen; aber jetzt geht das Geschäft schlecht.
Habenschaden: Und wegen Ihrer zweihundert Mark soll ich eine ganze Fabrik sanieren? Das ist Künstlerinnen-Idealismus, liebes Kind.
Merson: Wie Sie meinen.
Habenschaden tritt zu Lizzi.
Die Vorigen. Leonie. Harry. Fork. Dann Dora.
Leonie zu Harry: Keine Möglichkeit, allein zu sprechen. Ich habe dir schon den ganzen Abend etwas zu sagen. Bleib nachher da, ja?
Harry: Wie du befiehlst.
Fork mit Habenschaden nach vorn: Herr Kommerzienrat, wie gefällt Ihnen das Milieu?
Habenschaden: Es ist das wahre. Ich fühle hier, daß auch ich zum Künstler geboren war.
Fork: Man merkt es. Sie gehen auf jeden Schwindel dieser Leutchen ein, als ob Sie ihn ernst nähmen.
Habenschaden: Wieso?
Fork: Nun, zum Beispiel Leonies ländliches Ferienidyll.
Habenschaden: War sie denn nicht bei ihrer Mutter?
Fork: Denkt nicht daran. In Paris war sie.
Habenschaden: Ihr Verlobter hat sie nicht in ihrer Familie besucht?
Fork: Nein, in Paris. Das war passender. Denn, offen gestanden, Verlobter ist wohl ein bißchen viel gesagt.
Habenschaden: Er will sie doch heiraten.
Fork: Ich bin nicht sehr überzeugt davon. Durch meine Frau kenne ich nämlich Leonies Schulden.
Habenschaden: Alte, nicht wahr?
Fork: Die größten von der jüngsten Reise. Wer heiraten will, läßt eine Frau schwerlich so wirtschaften. Leonie hat Ihnen das wohl anders erzählt?
Habenschaden: Allerdings.
Fork: Nehmen Sie's ihr nicht übel. Sie hat alle Vorzüge einer Komödiantin. Sie können nicht verlangen, daß sie von heute auf morgen auch noch die einer Familienmutter annimmt.
Habenschaden: Vielleicht habe ich die Dinge etwas zu optimistisch beurteilt?
Leonie tritt hinzu: Sie sprechen über mich?
Habenschaden: Es ist das Angenehmste.
Fork: Wie Sie Ihrem Gatten im Geschäft helfen werden. Mit schwarzen Schreibärmeln angetan, wissen Sie.
Lizzi hinten: Laßt endlich den Sainthal in Ruh. Feiern wir eigentlich Leonies Erfolg oder wollen wir Trübsal blasen?
Bella: Aber Lizzi.
Rotau: Gott sei gelobt. Der Kommerzienrat versteht Witwen zu trösten.
Lizzi: Nun ja, soll ich ewig weinen, wenn Sainthal sich doch nicht geniert hat, mich im Stich zu lassen.
Merson: Noch dazu, ohne dich in seinem Testament zu bedenken.
Harry: Ein Vorwurf kann unbedingt nur den treffen, der ihm das Gift gegeben hat.
Leonie: Warum denn? Einem Menschen, der nicht mehr leben will, würde auch ich helfen.
Harry erregt: Den verbrecherischen Arzt würde ich unbedenklich anzeigen.
Fork: Muß es denn ein Arzt sein?
Leonie: Ich sehe darin eine der edelsten und mutigsten Handlungen, die jemand begehen kann.
Bella: Jetzt sag noch, daß du dich in den Betreffenden verlieben würdest.
Leonie: Warum nicht.
Fork leise, zu Leonie: Vorsicht. Sie lenken den Verdacht auf ihn.
Rotau: Da in dieser verantwortungsvollen Frage alle uneinig sind, sogar die vom zärtlichsten Band Umschlungenen, wie wär's, wenn wir schlafen gingen?
Leonie: Ach ja, Kinder, ich habe eine große Rolle gehabt, jetzt spüre ich's. Sie klingelt. Zu Dora: Die Garderobe der Herrschaften. Leise zu Fork: Ich muß Sie bald sehen.
Fork: Sie sollen mich sehr bald sehen.
Fork ab.
Die Vorigen, ohne Fork.
Lizzi: Also gute Nacht, Leonie, und nichts für ungut. Mir ist schon besser.
Leonie: Ich sage nicht, daß es zu rasch gegangen ist.
Lizzi: Aber du denkst es?
Leonie: Du willst leben.
Merson: Und der Kommerzienrat mit.
Rotau zu Leonie: Gott mit dir, meine Tochter.
Habenschaden zu Leonie: Morgen abend wiederholen Sie die Clarissa? Wir werden nicht verfehlen, Sie noch einmal zu bewundern.
Alle ab, außer Bella und Harry.
Bella. Harry.
Bella: Ein Wort, Harry.
Harry: Bitte.
Bella: Ich bin in Unruhe wegen Leonie. Finden Sie sie nicht sehr aufgeregt?
Harry: Ich bin es gewiß nicht weniger. Man kann es werden, in unserer Lage.
Bella: Sie spricht mit zuviel Sympathie von Sainthal und seiner Tat. Klingt es nicht, als wüßte sie, von wem er das Gift hatte?
Harry: Wie meinen Sie das?
Bella: Als ob sie es wüßte. Vielleicht Harry, ich habe Angst vielleicht hat sie schon selbst welches.
Harry: Nein! Woher denn?
Bella: Sie müssen sie beruhigen. Wenn sie es hat, müssen Sie es ihr wegnehmen. Hören Sie?
Harry: Das ist aber peinlich von so etwas zu sprechen.
Bella: Peinlich? Hören Sie denn nicht? Leonie ist in Gefahr.
Harry: So etwas denkt man, und dabei bleibt es. Glauben Sie denn, daß mir selbst der Gedanke so fern liegt?
Bella: Das ist etwas anderes. Ich kenne Leonie länger, als Sie sie kennen. Sie hat immer ihren Willen durchsetzen wollen, gegen alle und alles.
Harry: Und wenn's nicht geht, dann fügt man sich eben.
Bella: Sie sagen das? Sie, Harry?
Harry: Haben denn Sie sich nicht gefügt?
Bella: Schlimm genug, wenn Sie schon jetzt so weit sind. Aber Leonie, oh, die ist keine Frau, die sich über das Unglück, das sie mit dem einen Mann gehabt hat, bei einem andern tröstet. Wir haben auch Kraft, daß Sie's wissen. Wenn ich keine gehabt habe, Leonie hat sie.
Die Vorigen. Leonie. Dann Dora.
Leonie: Was gibt's? Was macht ihr für Gesichter? ... Bella, dein Mann ist nicht zu finden.
Bella: Seine gewohnte Liebenswürdigkeit. Ich kann die paar Schritte auch allein gehen.
Harry: Ich bringe Bella heim.
Dora: Herr Rotau und Fräulein Merson warten noch drunten.
Leonie: Dann begleiten Sie die gnädige Frau hinunter. Auf morgen, Bella, ja?
Bella: Auf morgen. Gute Nacht, Harry.
Bella und Dora ab.
Leonie. Harry.
Leonie: Endlich! Laß dich ansehen. Komm in unsern Winkel. Bist du nicht froh, daß sie fort sind?
Harry: Sehr. Aber die Rolle hat dich wohl wirklich müde gemacht.
Leonie: Müde - wenn ich dich habe?
Harry: Du warst wieder so schön, so schön.
Leonie: Da ich dich liebe, muß ich wohl schön sein.
Harry: Du hattest mir etwas zu sagen?
Leonie: Ich weiß nicht mehr. Du bist da, ich habe dich da. Kannst du jetzt an etwas anderes denken?
Harry: Ich weiß wohl.
Leonie: Du hast Migräne, ich sehe es dir an.
Harry: Ich weiß wohl, wovon.
Leonie: Die Zigarette ist doch nikotinfrei? Hast du noch welche? Ich besorg sie dir wieder.
Harry: Wenn das helfen könnte.
Leonie: Ach ja. Du hast Sorgen. Wir haben wohl Sorgen.
Harry: Ich möchte es ja auch manchmal vergessen. Süße, arme Leonie. Mit mir wirst du immer Sorgen haben.
Leonie: Es ist doch nicht deine Schuld. Was nur die Leute für ein Vergnügen daran finden, uns zu quälen und zu hindern. Wenn sie uns jetzt sehen könnten! Vielleicht würden sie dann selbst sagen: zwei Wesen, die sich so liebhaben, muß man den Willen lassen.
Harry: Leider sind sie weit entfernt davon. Weißt du, daß gestern das ganze Familienessen wieder nur veranstaltet war, damit mein Vetter auf mich einreden konnte?
Leonie: Er soll lieber auf seine eigene Frau achtgeben. Was für Menschen! Merkst du nicht, was dahintersteckt, hinter dieser Angst vor einer Schauspielerin? Sie können es nicht ertragen, daß deine Frau weniger häßlich und unbedeutend ist als ihre.
Harry: Das sage ich mir auch. Aber was hilft es. Meine Mutter nun gar: mit ihr wird's täglich ärger. Sie beschimpft mich, sie beschimpft sogar dich; ich muß an mich halten. Ach, meine arme Leonie, diese Bourgeoisie ist wohl das Schlimmste, woran du geraten konntest.
Leonie: Nein! Deine Mutter ist sicher anders als die andern. Sie ist doch deine Mutter. Verzeih ihr! Sie leidet darunter, daß alle ihr zusetzen. Ich habe sie gesehen: sie sieht gelb aus, alle Haare verliert sie. Sie ist krank, die Arme. Wenn ich einmal mit ihr sprechen könnte!
Harry: Um Gottes willen. Es würde eine Katastrophe geben. Sie ist wahnsinnig, verstehst du nicht? Sie sagt, du richtest uns alle zugrunde, sie, meine Schwester, meinen kleinen Bruder. Ich zeige ihr meine Geschäftsbücher: dann behauptet sie plötzlich, du hältst mich aus. Was willst du da reden. Wenn ich sie für zurechnungsfähig hielte, ich weiß nicht, was ich täte. Denn sie geht weiter, als du glaubst. Sie vergißt, daß ich kein Kind mehr bin. Sie hebt die Hand.
Leonie: Wie? Was tut sie? Das ist zuviel. Das ist gemein. Mein armer Harry! Du siehst, mit was für Leuten du es zu tun hast. Sollen wir noch Rücksichten nehmen? Die Frau ist gemein.
Harry: Leonie! Du sprichst von meiner Mutter.
Leonie: Gemein, sage ich dir.
Harry: Ich darf das nicht hören.
Leonie: Aber du darfst anhören, daß sie mich beschimpft ... Ach, verzeih mir. Das ist das wenigste. Aber sie hat sich an dir vergriffen. Sie ist krank, wir müssen wohl Nachsicht haben. Laß sie nur die Stadt gegen mich aufhetzen und ihre Freunde zum Intendanten schicken. Nur weil ich so beliebt bin, hat er mich noch wieder engagiert; und man wird dafür sorgen, daß ich nichts zu spielen bekomme, verlaß dich darauf. Aber das alles geschieht mir um deinetwillen, und ich bin glücklich.
Harry: Du opferst mir viel zuviel. Ich dürfte es nicht annehmen.
Leonie: Was sagst du da? Sag das nie wieder! Was haben wir denn zu fürchten. Das Geld gibt uns Habenschaden.
Harry: Ich fürchte, nein.
Leonie: Wie kommst du darauf? Ich habe doch sein Versprechen.
Harry: Höflichkeiten zählen nicht.
Leonie: Ach, ich weiß wohl, nicht nur deine Mutter, noch andere arbeiten gegen uns, und vielleicht wirksamer.
Harry: Von wem sprichst du?
Leonie: Von . Ich weiß nicht.
Harry: Sag es! Du denkst an einen Bestimmten.
Leonie: Man wird schließlich verfolgungswahnsinnig. Auch du. Denn warum sollte Habenschaden uns nicht doch noch helfen.
Harry: Ich will dir die Wahrheit sagen. Ich habe, weil er mir nicht entgegenkommend genug schien, freiwillig abgebrochen.
Leonie: Wie viel Würde du hast! Du bist stark, ich liebe dich.
Harry: Ich dich auch. Aber so stark, wie du glaubst, bin ich nicht. Die Last kann zu groß werden. Wundere dich nicht, wenn ich eines Tages dem armen Sainthal folge.
Leonie: Harry! Wie kannst du mir das sagen. Das ist eine furchtbare Beleidigung für mich.
Harry: So meinte ich's nicht.
Leonie: Laß mich! Es ist Verrat. Du willst mich allein lassen.
Harry: Aber nein. Es heißt, daß ich lieber sterben will, als auf dich verzichten.
Leonie: Ist das die Wahrheit? ... Ach ja, sie ist es. Denn mir geht es grade so. Lieber sterben. Viel lieber sterben.
Harry: Nicht wahr, Leonie?
Leonie: Aber das ist Unsinn, daran darf man nicht denken. Du glaubst doch nicht, daß ich dich allein kämpfen lasse. Jetzt werde ich das Geld beschaffen, ich.
Harry: Wie willst du das wohl machen.
Leonie: Und meine Familie? Meine Mitgift kann verdreifacht werden, wenn alle sich zusammentun, um mir mein Erbteil vorauszuzahlen. Warum lächelst du?
Harry: Dich von Familiendingen reden zu hören.
Leonie: Warum nicht?
Harry: Meine Mutter sagt, von deiner Mitgift wirst du dir Toiletten kaufen.
Leonie: Immer deine Mutter. Harry! Was wissen denn die andern. Es gibt zu vieles, was wir ganz allein erlebt haben.
Harry sentimental: Du hast recht, wir haben so viel zusammen erlebt. Meine Leonie!
Leonie: Erricuccio.
Harry: So hast du mich lange nicht genannt.
Leonie: Weißt du noch? In Capua, voriges Jahr, in dem Orangengarten mit dem verfallenen Pavillon. Es war wahnsinnig heiß.
Harry: So hielt ich dich, so.
Leonie: Drunten durch die öde Gasse mit all den geschlossenen Fensterläden ging eine Frau und zog ihr Kind hinter sich her. Erricuccio, sagte sie, wenn es nicht mehr mochte: Erricuccio. Sie sagte das mit einer Zärtlichkeit .
Harry: Wie du.
Leonie: Nein. Viel süßer, viel schöner. Ich beneidete sie.
Harry: Die arme Frau? Du, die große Leonie, die alles kann?
Leonie: Habe ich dich nicht mindestens so lieb wie sie ihr Kind? Aber heute will ich es dir gestehen: ich habe damals, sooft ich allein war, ihren Ton geübt: Erricuccio. Immerfort: Erricuccio.
Harry: Sag es wieder. Sag es immer. Das war die gute Zeit. Wir hatten noch keine Sorgen.
Leonie: Jetzt haben auch wir es so schwer wie die Frau und das Kind in der heißen Straße. Erricuccio! Die Sonne drückt dich, ich muß dich hinter mir herziehen.
Harry: Küsse mich, dann ist alles gut.
Leonie: Daß ich dich einmal nicht gekannt haben soll! Braucht man nicht das ganze Leben, um so viel zu fühlen? Wirklich nur ein Jahr? Ich möchte dich als Knaben gekannt haben. Ich hätte dich immer geliebt. Wie warst du damals?
Harry: Oh, nicht viel anders als jetzt. Du aber mußt dich sehr verändert haben. Ich bin froh, daß ich dich nicht früher gekannt habe. Vielleicht hätte ich dich nicht geliebt.
Leonie: Was du sagst, ist schrecklich.
Harry: Warum. Ich liebe dich doch für alles, was du heute bist: für deine Kunst, deine Überlegenheit, deine reife und gepflegte Schönheit. Habenschaden sagte vorhin, die wahre Frau ist doch erst die Schauspielerin.
Leonie: Du machst mich traurig. Und wenn ich nun häßlich würde oder vor Kummer trübsinnig? Du: ach! dir könnte das Gesicht entstellt werden; du könntest arm und krank sein: du bleibst der Mann, den ich lieben will.
Harry: Kann es dich kränken, daß ich dich noch heute anstaune wie ein unverdientes Geschenk? Noch heute wundere ich mich, daß ich am ersten Abend, wie ich im Parkett zufällig neben dir saß, gewagt habe, dich anzusprechen.
Leonie: Armer Kerl. Und zu denken, daß mir nicht ahnte, was uns bevorstand. Es konnte doch gar nicht anders kommen. Du hättest keine Umstände zu machen brauchen wochenlang.
Harry: Hätte ich dich gleich erobern können? Im Sturm?
Leonie: Doch nicht. Dafür bist du nicht der Typus: glücklicherweise. Das wäre nicht für lange gewesen.
Harry: Lange oder kurz: ich hätte nur der Typus sein müssen. Das ist doch furchtbar.
Harry: Ich kann nicht verhindern, daß es manchmal vor mir steht, wie so einer sich bei dir benommen hat. Und du hast das geliebt.
Leonie: Nein! Niemals!
Harry: Du hast das geliebt. Du hast Leidenschaften gekannt, die du bei mir vielleicht vergessen willst.
Leonie: Harry!
Harry: Warum liebst du mich eigentlich?
Leonie: Kind! Weil ich im ganzen Leben nur dich geliebt habe.
Harry: Ich begreife es nicht. Du, eine große Künstlerin: was hast du an mir?
Leonie: Daß ich aufhören darf, die große Künstlerin zu sein: das hab ich an dir. Daß ich dich liebe und dennoch nicht deine Feindin bin. Daß ich ohne Ehrgeiz sein darf und ohne Eigensucht. Weißt du, was ich früher Erfolge nannte? Einmal erschoß sich einer für mich. Am Abend spielte ich glänzend. Aber das ist lange her, und er bleibt tot. Du wenn du stürbest, ich würde dir folgen.
Harry: Vielleicht wär's das beste.
Leonie: Abdanken. Mich hingeben und ausruhen in deiner Liebe von diesen acht Jahren, die ich allein und angespannt in meiner harten Welt gelebt habe. Ich will mich den Deinen anschließen, weil es die Deinen sind, hörst du? Ach! deine Mutter, die mich so sehr haßt, sag ihr doch, daß ich bereit bin, sie zu lieben.
Harry: Kannst du denn wirklich lieben?
Leonie: Wie du grausam bist.
Pause.
Leonie: Nein. Verzeih mir. Du bist nicht grausam. Niemand hat mit dem armen Sainthal wahres Mitleid gehabt: nur du.
Harry: Ich war sein Freund.
Leonie: Du hast es ihm bewiesen, als jeder andere versagt hätte.
Harry: Was meinst du?
Leonie: Ich bewundere dich.
Harry: Weshalb?
Leonie: Versteh mich doch. Wir sind allein.
Harry: Ich verstehe dich nicht.
Leonie: Er kannte dich, das rechne ich ihm hoch an. Er wußte: nur dich konnte er um den Liebesdienst bitten, für den alle andern zu feige sind.
Harry: Ist es möglich? Du glaubst ?
Leonie: Lieber! Ich verstelle mich nicht. Der Tod, der von unfruchtbaren Leiden erlöst, scheint mir ein ebenso gutes Geschenk wie dir. Ich billige es.
Harry: Du billigst ein Verbrechen? Ich nicht. Da läuft eine scharfe Grenze zwischen uns.
Leonie: Warum vertraust du mir nicht. Mir!
Harry: Ich habe dir nichts zu vertrauen. Ich weiß von nichts.
Leonie: Du gingst bei ihm ein und aus.
Harry: Nicht mehr in den letzten Tagen.
Leonie: Du hattest, was er brauchte.
Harry: Er hat mir nie davon gesprochen.
Leonie: Du hast ihm also kein Gift gegeben?
Harry: Bei jedem andern als dir würde ich diese Frage als Beleidigung auffassen. Ich gebe selbstverständlich Gifte nur dort ab, wo das Gesetz es mir erlaubt.
Leonie: Du hast nichts gewußt? Nichts geahnt? ... Du schweigst?
Harry: Nur, was jeder ahnen konnte.
Leonie: Du, sein nächster Freund. Seltsam.
Pause.
Harry: Wer hat es dir gesagt?
Leonie: Ich konnte es mir selbst sagen.
Harry: Aber du hast es von einem andern.
Leonie: Von Fork. Ich bin aufrichtiger als du.
Harry: Von ihm: ich wußte es. Nur er ist imstande, dir einen Verdacht gegen mich beizubringen.
Leonie: Was soll das heißen?
Harry: Daß es, wenigstens moralisch, nicht aus ist zwischen euch.
Leonie: Harry! Bedenke, was du sagst.
Harry: Hundertmal hast du mir versprochen, nicht mehr mit den Leuten zu verkehren.
Leonie: Und jedesmal hast du selbst mich gebeten, doch wieder hinzugehn.
Harry: Sollte ich dir Mißtrauen zeigen? Er schickte dir immer abwechselnd seine Frau, sein Mädchen und den Messenger-Boy. Sollte ich verlangen, daß du dich langweilst da die andern Häuser dir alle verschlossen sind?
Leonie: Oh! Oh!
Harry: Sollte ich schuld sein, daß du die Blumen verlierst, die er dir auf die Bühne schickt? An dir war es, fest zu bleiben.
Leonie: Warum denn. Auf mich konnte ich mich verlassen, und ich glaubte, auch auf dich. Ich sehe, das war ein Irrtum.
Harry: Moralisch ist es nicht aus zwischen euch. Darf ich da noch glauben, daß es überhaupt aus ist?
Leonie: Das sagst du? Wirklich du?
Harry: Ah! Der hat nicht nötig, erst lange mit seiner ganzen Seele um dich zu werben, wie ich. Das ist der Typus, dem du immer wieder an den Hals fliegen wirst.
Leonie: Wie furchtbar!
Harry: Was soll ich denn tun. Ich leide entsetzlich. So viele Sorgen, so viele Kämpfe, und dabei bin ich deiner nicht sicher. Verzeih mir!
Leonie: Laß!
Harry: Verzeih mir doch. Es kommt alles, weil ich dich so unsinnig liebe.
Leonie: Ja, ja.
Harry: Ich möchte dich so gern behalten. Wäre es nur nicht so schrecklich schwer.
Leonie: Ich bedaure dich.
Harry: Du bist mir nicht mehr böse?
Leonie: Nein. Wir sind beide überreizt und müde. Es ist meine Schuld, ich nehme dir den Schlaf. Geh nur heim.
Harry: Kann ich nichts mehr für dich tun? Sei wie sonst. Zeig mir, daß du mir nichts nachträgst.
Leonie: Bring die beiden Blumenkörbe ins Schlafzimmer, willst du?
Harry: Aber so viele Blumen im Schlafzimmer? Das wäre unvorsichtig.
Leonie: Ich mag nicht immer vorsichtig sein. Ich schlafe gern bei Blumengeruch ein.
Harry: Laß es, mir zu Liebe. Ich bin so besorgt um dich.
Leonie: Oh, mir geschieht nur, was ich will. Aber damit du ruhig schlafen kannst, sollen die Blumen hierbleiben.
Harry: Danke. Du hast mich lieb?
Leonie: Ja. Gute Nacht, Lieber.
Harry: Gute Nacht. Harry ab.
Leonie. Dann Fork. Leonie geht umher, bleibt stehen, geht weiter. Endlich zur Tür hinten rechts. Bevor sie sie erreicht, wird der Vorhang auseinandergerissen: Fork steht darin.
Leonie: Sie Sie wagen? Sie haben sich eingeschlichen.
Fork: Sie wünschten mich zu sehen.
Leonie: Ich wollte, mein Verlobter hätte Sie überrascht in Ihrer sauberen Rolle.
Fork: Glücklicherweise war er um Ihre Gesundheit besorgt.
Leonie: Sie haben gehorcht. Sie haben sich versteckt, bis Sie mich allein und hilflos fänden. Sie sind noch gemeiner, als ich dachte. Und darum hoffen Sie nur nicht, daß ich Furcht vor Ihnen habe.
Fork: Jedenfalls ist es gut, daß ich da war.
Leonie: Ja. Denn nun haben Sie gesehen, daß für Sie nichts mehr zu machen ist.
Fork: Denn jetzt bin ich in der Lage, sofort Ihre Neugier zu befriedigen.
Leonie: Welche Neugier?
Fork: Sie wollen wissen, wer dem Sainthal das Gift gegeben hat? Ich.
Leonie: Sie glauben, mir zu imponieren?
Fork: Und ich hatte es von Ihrem Verlobten. Freilich brauchte er nicht zu wissen, wer es bekam. Er hat bekanntlich fertiggebracht, es nicht zu erraten.
Leonie: Ich glaube Ihnen nicht!
Fork: Sie glauben ihm. Er hat sich so tapfer gezeigt, so ehrlich, so vertrauensvoll.
Leonie: Wie sollte er seinen Freund getötet haben, wenn es gegen seine Überzeugung war.
Fork: Seine Überzeugung? Wo sitzt die bei solchem schwachblütigen Wesen. Ich möchte wissen, wozu er nicht imstande wäre, wenn man ein wenig nachhilft.
Leonie: Sie haben ihm gedroht! Sie haben gedroht, sich zwischen ihn und mich zu stellen!
Fork: Wie nahe Ihnen der Gedanke liegt!
Leonie: Er kennt Sie nicht, wie ich Sie kenne. Er weiß nicht, wie klein Sie hinter Ihrer prahlerischen Brutalität sind. Sie sind käuflich: ah! das ist es. Wenn Sie einem Unglücklichen zu sterben helfen, ist es nicht Mut. Wieviel haben Sie von ihm erpreßt?
Fork: Ganz recht. Ich muß reich sein. Denn eines Tages sehr bald, werde ich dein Mann sein.
Leonie: Lächerlich. Lassen sie mich! ... Oh nein, ich werde nicht um Hilfe rufen. Bilden Sie sich nicht ein, Sie können einen Skandal erzwingen. Was habe ich mit Ihnen zu tun.
Fork: Du kennst mich besser als irgendeinen und wirst mich nie vergessen. Du zweifelst noch, daß du jenen seelenvollen Feigling nicht heiraten wirst?
Leonie: Ich verbiete Ihnen, meinen Verlobten zu beleidigen. Ich verbiete Ihnen, ihn nur zu erwähnen. Was drängen Sie sich in unsere Angelegenheiten. Sie sind ein Fremder.
Fork: Und du selbst glaubst keine Fremde zu sein für diese Leute? Für ihn, für deinen Verlobten? Laß ihn also noch einmal zwischen dir und seiner Mutter entscheiden.
Leonie: Ich will, daß er seine Mutter verteidigt!
Fork: Laß ihn noch einmal lächeln, wenn du von Familie und Mitgift sprichst. Laß dir noch einmal von ihm sagen, daß er dich nur als Schauspielerin liebt, aus Eitelkeit.
Leonie: Sie lügen!
Fork: Aus der exotischen Sehnsucht des Spießbürgers. Weil du eine Fremde bist.
Leonie: Nein!
Fork: Die er genossen hat, soweit seine Kraft es ihm erlaubt, und die jetzt zu unbequem wird. Unglückliche! Siehst du nicht, daß er dich los sein will?
Leonie: Darüber lache ich. Hören Sie? Ich lache. Er, der lieber sterben will, als mich verlieren.
Fork: Damit du ihn freigibst! Oh, er braucht von seiner Absicht nichts zu wissen wie er von Sainthal und dem Gift nichts gewußt hat. Diese Leute machen einen so ausgiebigen Gebrauch von ihrem Unterbewußtsein.
Leonie: Sie fälschen alles. Ich will die Dinge nicht sehen wie Sie. Ich habe sie lange genug so gesehen, und ich war unglücklich. Und wenn alles so wäre: was tut's, da ich ihn liebe, ich!
Fork: Da du ihn lieben möchtest. Denn du liebst ihn nicht, und er fühlt es: die Schwachen haben Sinn dafür. Du? Du liebst nur mich. Gestehe es dir!
Leonie: Gut. Ich leugne nichts, was gewesen ist. Ich habe dich geliebt. Nein, nicht geliebt. Du warst die letzte und größte meiner Leidenschaften. Was weiter. Du hast gehört, daß es aus ist.
Fork: Du hast kein Blut mehr? Nur Seele?
Leonie: Ich will nicht untergehen. Leidenschaft führt den Weg, den du gehst. Du hast Schande und Elend. Jetzt kommt das Verbrechen.
Fork: Mit dir: was kümmert's mich.
Leonie: Hab doch den Mut, allein zu enden. Du bist feige. Du klammerst dich an mich. Du willst mich hindern, mich zu retten, Mensch zu werden, teilzuhaben am Leben. Überall arbeitest du gegen mich!
Fork: Ja. Ich bin es, der verhindert, daß dein Verlobter Geld bekommt. Ich bin's, der die Stadt gegen dich aufhetzt. Mit welcher Wollust! Ich bin dein Feind weil du mir gehörst und mich verraten möchtest. Ich bin dein Feind, und du liebst mich dafür. Das sind Freuden, von denen niemand weiß als ich und du.
Leonie: Aus dir schreit die Verzweiflung.
Fork: Aus dir nicht? Deine Verlobung ist ein Verzweiflungsstreich. Du, in Güte und Lauheit leben! Wir haben alle Laster in uns, wir beide. Du bist nur darum du, weil du durch alle Not des Blutes geschritten bist. Was weiß der andere. Ich weiß es. Wir gleichen uns, du wirst mich nicht verleugnen.
Leonie: Gib mir das Gift! Wenn ich Harry nicht heirate, sterbe ich.
Fork: Da ist es. Ich fürchte deine Drohung nicht. Soll ich dich nicht mehr haben, dann magst du sterben.
Leonie: Du bist stark. Ich fühle wieder, wer ich bin. Das Gift!
Fork: Deinen Mund!
Vorhang.
Leonie. Dora.
Leonie aus dem Schlafzimmer: Sie können fortgehen, die Einkäufe machen.
Dora von links: Gnädiges Fräulein braucht mich nicht?
Leonie: Nein.
Dora: Das Frühstück, gnädiges Fräulein?
Leonie: Ich will keines.
Draußen läutet es.
Leonie: Ich bin nicht zu sprechen.
Dora ab.
Leonie. Dann Bella.
Bellas Stimme draußen: Leonie ist doch da?
Leonie am Vorhang des Schlafzimmers: Deine Frau!
Fork von drinnen: Regt dich das auf?
Bella dringt ein: Was ist denn? Ich muß dich doch sprechen, Leonie.
Leonie zieht schnell Tür und Vorhang zu: Wie siehst du denn aus? Was gibt's?
Bella: Leonie, hast du meinen Mann gesehen?
Leonie: Seit wann beunruhigst du dich um deinen Mann?
Bella: Er war nachts nicht zu Hause.
Leonie: Darum kommst du zu mir? Du glaubst wohl, er ist hier?
Bella wehrt erschreckt ab.
Leonie: Sieh nach, wenn du willst.
Bella: Lächerlich. Da er schon vor uns fortging. Und Harry war bei dir.
Leonie: Also?
Bella: Ich habe doch nur Angst um dich, Leonie.
Leonie: Das ist nichts Neues, und es ist unnötig.
Bella: Aber ich habe dir nicht alles gesagt. Ich weiß, was dir droht. Mein Mann wird dich töten.
Leonie: Geh.
Bella: Es ist wahr. Schon lange weiß ich's.
Leonie: Er spricht davon mit dir? Mit dir?
Bella: Auf eine Frau wie mich nehme man keine Rücksicht, sagt er.
Leonie: Das zeigt dir doch, wie wenig er ernst zu nehmen ist.
Bella: Er ist zu allem fähig, sage ich dir.
Leonie: Wir kennen ihn nicht auf dieselbe Art, du und ich.
Bella: Leonie, in seinem Schreibtisch lag ein Brief an dich.
Leonie: Laß. Ich brauche ihn nicht erst zu sehen.
Bella: Er spricht darin von einem Fläschchen, das er dir schicken will. Ich weiß auch, wo es stand. Es steht nicht mehr dort.
Leonie: Daher deine Angst?
Bella: Mein Gott, wo ist es?
Leonie öffnet die Hand: Da.
Bella: Wie entsetzlich! Und du zeigst es mir! Du hast nicht das Recht
Leonie einfallend: Worauf?
Bella: Auf soviel Rücksichtslosigkeit. Wir sind auch Menschen. Was würde ich für ein Leben haben.
Leonie: Dasselbe wie immer. Du würdest weiter Angst haben, dulden und den Ereignissen im Wege sein.
Bella: Ich? Du kannst nicht sagen, daß ich dich gehindert habe. Suche dir eine Freundin, die deine Freundin bleibt, nach dem, was du mir getan hast.
Leonie: Das werfe ich dir vor. Man muß abbrechen können, weitergehn, handeln. Du schleppst dich hin, und du schleppst uns hin. Du hast den Leutnant von Rüssel über dich ergehen lassen, nicht wahr?, weil dein Mann es wollte. Du läßt dich verkaufen.
Bella: Ist das nicht Opfermut genug?
Leonie: Opfermut hält auf und schadet. Er ist nicht Mut. Es hat einen Augenblick gegeben, wo ich mit Fork in die Welt hinausgegangen wäre. Du warst da, deine Freundschaft, deine Angst. Du hast mich gelähmt.
Bella: Ich habe dich gerettet. Alles wäre für dich zu Ende, und du wärest dort, wo ich bin.
Leonie: Wer sagt dir, daß ich's nicht bin. Daß ich jetzt nicht auch lügen muß, die Dinge hinnehmen, mich härmen und sie hinnehmen. Wo dein Mann ist, willst du wissen? Sie stürzt zum Vorhang.
Bella fällt ihr in den Arm: Nein! ... Was wolltest du tun. Oh, ich hasse dich!
Leonie: Endlich!
Bella: Du bist herzlos. Lieben willst du? Du kannst ja nicht leiden. Komödiantin. Oh! Du hast ein höfliches Herz. Du tröstest, von oben herab, die arme Lizzi. Mich schonst du, was kostet's dich. Und du siehst uns zu, um etwas zu lernen. Fühlen wirst du nie etwas, das ist meine Rache. Vergifte dich nur: ich glaube, du kannst nicht einmal sterben. Sie weint.
Leonie: Du haßt mich. Das tut wohl ... Aber warum weinst du jetzt da du mich haßt und nach dem Vorhang jenen nicht liebst?
Bella: Wie wenig du das Leben verstehst.
Leonie: Bella, du irrst. Arme Bella, ich möchte mit dir weinen. Ich kann nicht. Wer solch hartes Leben führt, verachtet das der andern. Verzeih mir.
Bella: Warum bist so hart? Ich, ich habe geliebt; sieh zu, ob ich nicht zuletzt stärker bin als du. Ich habe Robert geliebt, und habe das Verhältnis angefangen, damit er weniger im Unrecht war, und weil sich's nur so zu Hause noch leben ließ. Und ich habe ihn dir gelassen, damit ich ihn halten konnte. Denn, mag's auch bergab gehn mit uns beiden, wir sind dennoch füreinander der einzige Halt.
Leonie: Du tust mir leid. Das alles ist falsch und schmutzig.
Bella: Schmutzig ist, nach dem Vorhang was du soeben tun wolltest. Es war schamlos. Deine Wahrheitsliebe ist schamlos. Man muß Lügen ertragen können, aus Menschlichkeit, aus Demut. Dir ist niemand der Mühe wert, zu lügen, denn du liebst niemand. Bewahre dein Gift gut auf, es kann lange währen, bis du es brauchst. Dir kann niemand recht weh tun als du selbst. Leb wohl!
Leonie: Bleib! Das ist jetzt alles anders. Ich bin nicht mehr allein. Ich will lieben. Harry . Warte doch, ich sage dir alles.
Bella: Sage mir nichts. Wir haben uns zuviel gesagt, wie soll man noch voreinander leben. Ab.
Leonie: Hör mich an! Allein, leise: Wenn sie doch recht hätte! Noch wahr sein dürfen, wie beim Spielen. Aber das Spielen hat aufgehört, ich hatte es vergessen. Wie furchtbar! Was sonst nichts gewesen wäre, jetzt macht es also todeswürdig?
Leonie. Fork.
Fork aus dem Schlafzimmer: Nun?
Leonie: Sie ist fort. Sie war außer sich. Ich habe ihr gesagt, du seist dort. Ich wußte nicht, daß sie dich liebt.
Fork: Ich wußte es ... Du hast erwartet, ich werde zurückschrecken? Ich kenne keine Trümmer, über die hinweg ich nicht nach dir greifen würde.
Er will sie umarmen, sie befreit sich.
Leonie: Sieh doch die Dinge, wie sie sind. Zweifelst du an meinem Willen? Ich werde Harry heiraten.
Fork: Auch jetzt noch?
Leonie: Was ist denn geschehen?
Fork: Nichts. Du hast ihn mit mir betrogen. Heute abend wirst du glänzend spielen.
Leonie: Ich war noch einmal die Komödiantin ... Du hast mich nicht besessen, an dich verliere ich mich nicht. Ich bin nicht ernst mit dir, du kennst mich nicht. Er aber kennt mich.
Fork: Ich habe euch gesehen und sehne mich nicht an seine Stelle. Du wirst immer wieder zu mir flüchten. Wir werden jeder unsere Kette schleppen und uns verzweifelt trösten.
Leonie: Nein! Nein!
Fork: Nein. Denn das alles wird nicht sein. Ich lasse mich scheiden und heirate dich. Wir sind beide tief genug im Schmutz gegangen.
Leonie: Es wird noch tiefer hineingehn.
Fork: Mit dir werde ich ein anderer Mensch. Diese Kraft, die mich solange nur zerstören konnte, wird durch dich fruchtbar werden. Ich werde arbeiten, kämpfen. Ich werde aufleben.
Leonie: Ich bin keine barmherzige Schwester. Harry verlangt nicht, daß ich ihn heile. Er ist einfach und gütig. Ich will leben: leben wie die andern, ohne Probleme, ohne Wissen und Haß in der Begierde.
Fork: Du meinst, ich bin der Mann, mir meine rechtmäßige Gefährtin nehmen zu lassen? Lieber sollst du nicht mehr leben.
Leonie: Du willst, daß ich sterbe? Ich hätte Lust.
Sie gibt sich in seinen Arm.
Fork: Siehst du, daß du mir nicht entkommst?
Leonie: Du würdest mich töten? Ich glaube dir nicht.
Fork: Ich habe dir das Gift gegeben.
Leonie: Aber nachher: Was wird aus dir?
Fork: Ich frage nicht danach.
Leonie: Du fragst nie, was kommt: darum bist du stark. Zeige mir, daß du mich mehr liebst als er, der mich nur quält: töte mich.
Fork: Damit ich dich lieben kann, mußt du leben.
Leonie: Sieh, du verstehst mich nicht. Ich bin am Ende. Ich wollte aufhören zu spielen und leben, im Ernst leben. Ich wußte nicht, daß man, um zu leben, lügen muß. Sei du der einzige, dem ich mich im Ernst gebe, und der mich ernst nimmt. Töte mich.
Fork: Unnütz, dich mir zu geben; ich habe dich.
Leonie: Wenn ich sterbe: in der letzten Minute wirst du in meinen Augen sehen, auf meinen Lippen schmecken, daß du der einzige bist, den ich je geliebt habe.
Fork: Wozu. Du liegst mir im Arm; nach andern Schauern sehn ich mich nicht.
Leonie gießt Wasser in ein Glas. Sie hält das Fläschchen darüber. Sie schiebt ihm das Glas hin: Flöß es mir ein, zwing mich, es zu trinken. Ich bin feige; ich bin so schrecklich allein, das macht feige. Sei bei mir, laß mich dich fühlen, bis ins Nichts.
Fork: Du bist krank. Du mochtest sterben, wenn ich dich verloren hatte. Die Dinge haben sich geändert.
Leonie: Ich schwöre dir, daß du mich verloren hast, wenn ich nicht dies Glas leere.
Fork: Leere es, wenn du kannst.
Leonie: Nie mehr, solange ich lebe, wirst du mich besitzen. Nur sterbend bin ich dein ... Du willst nicht? Du läßt mich allein? Ich muß es selbst tun? Nimmt das Glas, stellt es wieder hin. Ich kann nicht. Tu's für mich; ich bettele, hörst du nicht? So übermenschlich wird kein Mann je geliebt worden sein.
Fork: Du wirst mich nicht um dich betrügen.
Leonie: Also ich. Sie trinkt schnell.
Fork greift nach ihr: Um des Himmels willen! Er entreißt ihr das leere Glas, sieht ihr ins Gesicht: Wie ist dir?
Leonie: Gut. Es war nur Wasser. Kein Tropfen Gift war darin. Du hattest also Angst, wie jeder andere. Du verlierst mich lieber, als daß du mich rettest und mit mir untergehst. Das ist der Desperado ... Aber ich schwöre dir, du hast viel versäumt. Wenn du mir dies Wasser gereicht hättest, ich wäre dein gewesen.
Fork: Komödiantin!
Leonie: Wie du mich verstehst... Geh da hinein nach dem Schlafzimmer. Halte dich still, ich rufe mein Mädchen. Ich will ausgehen.
Fork: Wohin?
Leonie: Meine Rolle der Merson bringen.
Fork: Die Clarissa?
Leonie: Ich werde nicht mehr auftreten. Von heute ab bin ich nur mehr Harry Seilers Frau. Du sollst sehen, ob ich dich fürchte. Wenn ich fort bin, wirst du geräuschlos das Haus verlassen. Sie läutet.
Leonie. Dora.
Leonie: Ich will ausgehen, ich ziehe mich nicht um. Den Mantel, bitte.
Dora: Einen großen Hut, gnädiges Fräulein?
Leonie: Einen Beguin da ich nicht frisiert bin.
Dora ab ins Schlafzimmer.
Leonie: Wenn Herr Seiler kommt, bitten Sie ihn, mich zu erwarten. Ab.
Fork. Dann Harry.
Fork im Mantel aus dem Speisezimmer, irrt unruhig umher, öffnet Schiebladen, geht ins Schlafzimmer, man hört ihn poltern. Wie er zurückkehrt, tritt Harry ein.
Fork: Sie wundern sich, mich hier zu sehen?
Harry: Allerdings.
Fork: Auch ich erwarte die Rückkehr des gnädigen Fräuleins.
Pause. Sie bewegen sich, einer links, der andere rechts, hin und her.
Fork stehenbleibend: Ich bin nämlich gekommen, um Leonie zu warnen. Ich habe von Intrigen erfahren, die bezwecken, ihr die Rolle wegzunehmen.
Harry: Die Rolle der Clarissa? Nach dem Erfolg von gestern?
Fork: Es ist rätselhaft, von wem die Machinationen ausgehn. Den Nutzen würde die Merson haben.
Harry: Aber das ist unmöglich! Sie würde sofort ihre Entlassung nehmen. Es wäre das Ende von allem.
Fork: Sie sprechen wie ein wahrer Theaterfreund, der den Verlust der Hallmann nicht verschmerzen könnte.
Fork: Ich wollte Sie daran erinnern.
Harry: Sie wird den Antrag nach Wien annehmen. Ich bin hier gebunden ... Ich finde es sonderbar, daß Sie mich veranlassen, Ihnen meine Motive zu geben.
Fork: Sie wissen vielleicht, ich bin ein alter Bekannter Leonies.
Harry: Ich weiß es.
Pause. Sie messen sich.
Harry: Es gibt nichts, was sie mir nicht gesagt hätte.
Fork: Sehr achtbar von beiden Seiten. Aber würde diese Sachlage Sie nicht verpflichten, die Heirat, wie soll ich sagen, mit mehr Überzeugung zu betreiben?
Harry: Was erlauben Sie sich?
Fork: Ich habe Grund zu der Befürchtung, daß Leonie die Dinge zu ernst, gefährlich ernst nimmt. Sie sahen vorhin, daß ich suchte.
Harry: Es hat mich befremdet.
Fork: Sie werden es sogleich erklärlich finden. Ich weiß seit einiger Zeit, daß Leonie über Gift verfügt.
Harry: Unmöglich.
Fork: Sie hatten davon keine Ahnung.
Harry: Natürlich nicht.
Fork: Natürlich nicht ... Aber sie kann sogleich zurück sein. Nützen wir die Zeit. Er kramt.
Harry stürzt umher: Woher hat sie's? Welcher Verbrecher
Fork: Vielleicht derselbe, der es dem armen Sainthal gegeben hat. Auch da, nicht wahr? sind wir beide ohne die geringste Vermutung.
Harry zuckt auf: Mein Gott, was tun ... Ich suche im Schlafzimmer.
Fork: Unnütz, ich habe nachgesehen. Sie wird es bei sich tragen.
Harry: Ich bin töricht, mich erschrecken zu lassen. Ich kenne Leonie besser als Sie. Nie wird sie mir das antun.
Fork: Eine schöne Zuversicht.
Harry: Man nimmt doch nicht Gift ... Sie gefällt sich in tragischen Situationen. Sie spielt. Sie ist eine Komödiantin.
Fork: Sie haben den Scharfblick des Liebenden.
Harry: Sie wollen sagen, daß Sie sie besser geliebt haben?
Fork: Unglücklicher! Ich sage, daß sie mich liebt, nur mich. Wollen Sie sehen? Da sind Karten, die sie mir aus Paris geschrieben hat, in derselben Stunde, da Sie sie zu haben glaubten.
Harry: Das ist nicht wahr!
Fork: Wenn sie stirbt, tut sie es aus Leidenschaft für mich. Sie wird nicht einmal fragen, ob es für Sie ein Schmerz ist oder eine Erleichterung.
Harry: Verleumder!
Fork: Und sie wird es Ihnen sagen, wenn Sie den Mut haben, zu fragen. Wollen Sie es wissen? Ich habe nicht erst heute früh dies Haus betreten. Ich bin hier, weil ich es gestern nacht nicht verlassen habe.
Harry krümmt sich, wirft die Arme, stürzt vor: Elender Mensch!
Fork stößt ihn fort: Sehen Sie nicht, daß ich danach lechze, Sie vor meiner Pistole zu haben? Außer sich: Was kann ich Ihnen denn noch sagen?
Harry plötzlich beruhigt: Nichts, was die Gefühle ändern könnte, die ich schon vor dieser Stunde für Sie hatte. Ich verachte Sie: Sie und die übeltäterische Leidenschaft, die Sie erregen.
Fork: Sie sind's, Sie, der sie tötet!
Harry: Wovon reden Sie. Was wissen Sie von unserer Liebe. Sie haben nie ein Herz geöffnet gesehen.
Fork: O ja! Ihres. Denn gestern abend stand ich hinter dem Vorhang dort. Ich habe zugesehen, wie Sie sie mordeten.
Harry: Und ob Sie sich hundertmal einschleichen, Sie werden nie erfahren, was Zärtlichkeit ist, die versteht und wohltut.
Fork: Ich habe Besseres zu tun. Ich habe die Frau zu retten, die Ihre Zärtlichkeit umbringt.
Harry: Ich bemitleide Sie.
Fork: Sie beneiden mich. Und Sie sind zu feige, sich mir zu stellen.
Harry: Vielleicht wird es im Gegenteil Feigheit sein, wenn ich mich Ihnen stelle. Aber ich will es tun.
Fork: Endlich.
Die Vorigen. Leonie.
Leonie: Was gibt's? Harry! Du willst dich schlagen. Ich erlaube es nicht. Rasch auf ihn zu: Versprich mir -
Harry: Laß, bitte. Zu Fork: Ich veranlasse das Weitere.
Fork verbeugt sich vor Leonie. Ab.
Leonie. Harry.
Leonie: Du darfst nicht! Ich will nicht!
Harry: Beruhige dich, Leonie.
Leonie: Wie darfst du dein Leben wagen: gehört es denn nicht mir? Und in solchem Augenblick!
Harry: In welchem Augenblick?
Leonie: Was hat er dir gesagt?
Harry: Nichts. Haltlose Verleumdungen.
Leonie: Was ... Schweige doch nicht! Mein Gott! ... Sag mir die Wahrheit, sei aufrichtig dies eine Mal. Warum stehen hier die Kästen offen. Was habt ihr getan. Was weißt du. Nimmt seine Hände. Ich soll dich getötet haben? Ich?
Harry: Liebe Leonie.
Leonie: Sprich! So sprich doch!
Harry: Liebe Leonie ... Mir ist, als hätte ich dich noch niemals recht geliebt. Jetzt erst liebe ich dich.
Leonie: Darum willst du mich allein lassen?
Harry: Ich habe viele Fehler begangen; ich war schwach, vielleicht, ja sicher würdest du unglücklich sein. Dennoch mag ich ohne dich nicht leben ... Es kann ja sein, daß ich ihn forträume und dich befreie.
Leonie: Ja! Befreie mich!
Harry: Siehst du? Du hast es zu sehr nötig. Du würdest bereuen, wenn es geschähe ... Es ist auch wahrscheinlicher, daß ich selbst verschwinde; und damit wäre dir besser geholfen. Ich werde dir für immer das Zeichen meiner Liebe eingedrückt haben, indem ich sterbe.
Leonie: Du sprichst im Fieber. Wir schlagen uns beide gegen Phantome, wir schließen uns ein mit dem Tod und lassen uns von ihm anstarren. Aber draußen die Welt lebt doch weiter, die ganze Welt. Können wir nicht hinaus? Das Leben ist einfach; man kommt über alles hinweg. Wer sind wir? Dürfen wir denn nur unter den Augen des Todes lieben und eine Minute glücklich sein?
Harry: Nicht wahr? Wir sind glücklich? Leonie, es ist wunderschön, ich kann dir plötzlich alles sagen. Alles ist leicht und gut. Ich bin besser als sonst. Ich bin nicht tapfer, ich hätte mich wohl nie getötet. Jetzt ist die Not mir abgenommen; ich lasse es geschehen; es ist das einzige, was ich tun kann für dich.
Leonie: Nein!
Harry: Leonie, in dieser Stunde. Wiederhole doch dein Nein ... Nicht wahr? Du schweigst.
Leonie abseits: Mein Gott, will ich denn, daß er stirbt?
Harry sieht sich nach ihr um. Langsam ab.
Leonie aufschreckend: Harry! Ihm nach: Harry, ich bin verloren. Wir wollen leben. Das alles ist Komödie. Wir wollen leben.
Leonie. Dora.
Dora: Gnädiges Fräulein, ich habe nochmals angerufen; der Herr Doktor ist nicht zu Hause.
Leonie: Hier ist ein Brief für ihn. Diesen andern aber bringen Sie zuerst an seine Adresse.
Dora: Jawohl, gnädiges Fräulein. Liest die Adresse, kehrt zurück. Verzeihung, gnädiges Fräulein, aber es geht, glaube ich, schneller, wenn Sie einfach dem Kommissär schreiben.
Leonie: Ja, wissen Sie denn ?
Dora: Verzeihen gnädiges Fräulein.
Leonie ändert die Adresse: Ich habe keine Erfahrung darin.
Dora: Ich schon. Freilich, die andern Duelle konnten dem gnädigen Fräulein gleich sein.
Es läutet.
Leonie: Schnell, sehen Sie nach, ob es Doktor Fork ist.
Dora ab.
Leonie. Merson. Rotau.
Rotau schiebt Dora fort: Keine Umstände, liebe Kleine. Unserer Leonie wird es niemals so schlecht gehen, daß sie ihre Kollegen nicht vorlassen könnte.
Leonie: Natürlich dürft ihr herein. Da sind Zigaretten. Wollt ihr sonst etwas?
Merson: Guten Tag, Leonie. Da ist deine Rolle zurück. Soeben wird sie mir geschickt; es ist doch wohl sicher ein Irrtum.
Leonie: Aber nein. Ich spiele sie nicht mehr.
Merson: Nach deinem Erfolg beim Publikum?
Leonie: Ich habe genug davon. Ich habe von allem genug.
Rotau: Wie kann man. Das ist Lästerung.
Merson: Ich weiß nicht, Leonie, was du vorhast; aber für so dumm, daß ich jetzt noch die Rolle nehme, darfst du mich nicht halten. Das ist kränkend.
Leonie: Du hast doch alles getan, um sie zu bekommen.
Merson: Willst du sagen, daß ich gegen dich arbeite? Du irrst, dazu genügen andere. Was die Kritik gegen dich sagt, darauf kann sie schließlich und endlich auch einmal von selbst verfallen.
Leonie: Du kennst es schon, bevor es erschienen ist?
Rotau: Aber meine Damen! Die Welt hat Ruhm genug für euch beide.
Leonie: Ach, lassen wir das. Ich schwöre euch, daß ich keine Hintergedanken habe. Noch heute bitte ich den Intendanten um meine Entlassung.
Merson: Gerade jetzt?
Rotau: Warum denn?
Leonie: Aus Familiengründen.
Rotau: Ach so.
Merson: Daran glaubt man nicht mehr.
Leonie: Wenn ich von der Bühne gehe, muß es wohl ernst sein. Ich heirate.
Merson: Vielleicht heiratest du auch einmal; man wird schließlich schwach. Aber daß aus dieser Heirat nichts wird, liegt doch auf der Hand.
Rotau: Es wäre eine Degradation! Eine Infamie! Unsere Leonie! Man spannt das Genie nicht vor einen Karren.
Leonie: Ihr redet.
Rotau: Mach dir die Erfahrungen eines Kollegen zunutz, der ein paar Jahre länger dabei ist. Auch ich war einmal schlecht verheiratet. Meine Frau bekam sofort Zwillinge. Sie war eifersüchtig, sie reiste mir nach auf meinen Gastspielen und zog mein Idealbild herab ins Gemeine.
Rotau: Mein Heim war eine übervölkerte Kinderbewahranstalt. Meine Lorbeerkränze wurden zerpflückt, bildlich und wirklich.
Leonie: Nun, du hast sie noch gerettet.
Rotau: Mit Gottes Hilfe. Ich habe mich befreit. Die Kunst braucht Flügelfreiheit, um sich zu erheben, und die Menschheit mit.
Leonie: Die Menschheit. Deine Frau zu erheben, genügte dir nicht. Ich bin nicht so groß wie du.
Merson: Raoul, das ist Ironie.
Leonie: Nein ... Nur meine ich, die Flügel werden am Ende müde. Ich für meine Person fühle mich schon nicht mehr jung genug.
Merson: Verstehst du, Raoul?
Leonie: Wäre dir deine Frau jetzt nicht schon weniger unerwünscht?
Rotau: Ich glaube, du willst andeuten, daß ich alt werde? So wisse denn, Kind, daß Kunst dasselbe ist wie ewige Jugend und daß Ruhm kein Alter kennt. Sooft ich irgendwo auftrete, fliegen mir noch heute die Frauenherzen zu. Willst du sehen? Greift an die Brusttasche.
Merson: Wir wissen sie ja auswendig.
Rotau: Die Schufte geben mir hier keine großen Rollen mehr. Aber ich appelliere an das Land. Mein Name macht überall volle Häuser.
Merson: Volle Scheunen sogar.
Leonie: Leiser! Es ist schrecklich.
Merson: So weit hört er nicht. Er hört doch kein Stichwort mehr.
Leonie: Er macht mich krank vor Mitleid. Das ist die Zukunft.
Rotau: Ja, auch deiner, geliebtes Kind, wartet solch große Zukunft.
Leonie: Es scheint so. Es gibt wohl keinen Ausweg. Ich wollte mir ein wirkliches Leben schaffen, aber es ist fehlgeschlagen. Ich werde nicht mehr heiraten.
Merson: Nun also.
Rotau: Das Leben, meine Tochter? Unsereiner erspielt es sich.
Leonie: Mit Rollen, wo man inmitten der entsetzlichsten Herzensqualen noch immer die erste bleibt, die eine neue Mode trägt ... Nein, nicht diese Rollen. Eine andere. Ich weiß eine andere.
Merson: Was für eine?
Leonie: Da ihr mich nicht ernst nehmen wollt, oh! ich kann euch mit Komödie dienen. Auf Rotau zu: Ah! mein Freund, du weißt noch nicht, ich habe die Polizei benachrichtigt, aus dem Duell wird nichts.
Rotau: Aus welchem Duell?
Leonie: Du glaubst doch nicht, daß ich dich von ihm töten lasse. Ich brauche dich, deine Brutalität, die Gefahr in deinen Armen.
Rotau: Zu wem spricht sie?
Merson: Ich weiß nicht; es ist eine Rolle.
Rotau: Ach so. Geliebte, du kannst auf mich zählen.
Leonie: Ihn liebe ich nicht, sowenig wie dich. Ich bin eine Lügnerin.
Rotau: Ha!
Leonie: Wozu wolltest du ihn töten? Wir werden weniger genießen, du und ich, wenn er tot ist. Ich brauche euch beide, ihr sollt euch nicht schlagen.
Rotau: Und meine Ehre?
Leonie: Er war zu schwach, mit mir zu leben, du hast nicht den Mut gehabt, mich zu töten. Ihr seid feige alle beide.
Rotau: Ein Mann wie ich?
Leonie: Rette mich doch! Gib mir den Frieden! Reise ab, verschwinde! Ich will noch einmal versuchen, zu lieben und wahr zu sein. Soll ich denn hinfallen vor dir?
Rotau: Dich freigeben? Niemals. Ich bete dich an, und will dich zu meinen Füßen haben.
Leonie: Ich vergaß, dich bewegen keine Worte, kein Schrei. Nicht einmal ihn, der so schwach ist, bewegen sie. Denn was ich verlange, ist wohl gegen die Natur. Wer wahr sein will, überhebt sich. Nur im Spiel und mit uns selbst allein dürfen wir alles wagen und alles gestehn. Das Leben verlangt Demut; man hat es mir gesagt, es verlangt Lüge. Ich werde seine Frau sein, und wir werden uns einreden, wir gehörten uns ganz. Du aber wirst mich manchmal so küssen, daß wir beide glauben, wir seien bereit zu morden und zu fliehn.
Rotau: Ich bin bereit!
Leonie: Wir werden Mitleid haben, einer mit des andern Illusionen, mit seinen Lügen selbst. So werden wir einander abnutzen, werden ruhig werden; und was anfangs tödlich aussah, wird zum Schluß nichts gewesen sein als ein gewöhnliches Menschenleben.
Rotau: Wir Armen.
Pause.
Merson: Was ist das? Wie heißt das Stück?
Leonie: Ich weiß nicht.
Rotau: Bravo! Das war gut. Es war warm. Man merkt meine Schule. Du weinst sogar.
Leonie: Man tut, was man kann.
Merson: Dies liegt dir besser als die Clarissa, das ist zuzugeben. Die Kritik wird dir wieder sagen, daß du strahlst, vielmehr gleißt. Das ist man schon gewohnt zu sagen. Ich will aber ehrlich sein. In dieser Rolle hast du sogar Herz.
Leonie: Ich danke dir.
Merson: Nun sei aber auch du ehrlich. Was ist das, wie kommst du dazu.
Leonie: Wenn ich das selbst wüßte.
Rotau: Ganz glänzend. Du siehst mich ehrlich ergriffen. Damit kannst du reisen, Kind.
Merson: Mit wem intrigierst du? Was geht vor?
Leonie: Beruhige dich, Teckerl. Du irrst.
Merson: Ich kriege Herzkrämpfe. Die Clarissa soll ich dir nachspielen; du hast eine Bombenrolle; und du machst dich noch lustig.
Leonie: Ich versichere, daß ich dir nicht schaden will.
Merson: Aber du sollst mich kennenlernen.
Die Vorigen. Dora.
Dora bringt eine Karte: Ich habe die Dame ins Speisezimmer geführt.
Leonie: Oh! ... Plötzlich erregt: Entschuldigt mich, Kinder, etwas Wichtiges. Um Gottes willen, Teckerl, ich habe Spaß gemacht! Eine Rolle ist das nicht. Ich werde das niemals spielen, du darfst mir glauben. Dora!
Merson: Da ist deine Clarissa, ich nehme sie nicht.
Leonie: Dora! Rasch! Ein einfaches Hauskleid.
Mit Dora ins Schlafzimmer.
Rotau: Lebt wohl, verehrte Diva.
Merson: Pfui Teufel, kann man so falsch sein.
Rotau: So wird's gemacht, mein Kind.
Merson: Was glaubst du nun?
Rotau: Sache!
Merson: Auf der Stelle gehe ich zum Intendanten.
Rotau: Höher hinauf, mein Kind.
Merson: Du meinst? Bei ihr freilich weiß man nie. Gegen eine Kokotte ist mit ernster Kunst nichts zu machen.
Rotau: Wem sagst du das, mein Liebling. Das Theater: ich will dir etwas gestehen, es kann niemand geben, der es mehr verachtet als ich.
Merson und Rotau ab.
Leonie mit Dora aus dem Schlafzimmer: Wie seh ich aus?
Dora: Es ist schon richtig für die Dame, gnädiges Fräulein.
Leonie vor dem Spiegel: Ich habe zu viel Puder. Warum sagen Sie mir's nicht. Nimmt ihn weg. Führ die Dame herein.
Dora ab ins Speisezimmer. Leonie atmet tief, steht und blickt auf die Tür.
Leonie. Frau Seiler.
Frau Seiler in Schwarz, tritt scheu ein. Plötzlich stürzt sie vor Leonie auf die Knie: Geben Sie mir mein Kind zurück! Haben Sie Mitleid mit uns. Wir sind eine unglückliche Familie. Harry ist unser Ernährer.
Leonie: Gnädige Frau, ich bitte Sie, beruhigen Sie sich.
Frau Seiler: Sie machen ihn ehrlos! Denn er hat seinem Vater auf dem Sterbebett geschworen, daß er sich nicht früher verheiraten will, als bis seine kleinen Geschwister versorgt sind.
Leonie: Er hat mir nie davon gesprochen. Was bedeutet auch solch Schwur.
Frau Seiler springt auf: Ihnen ist wohl nichts heilig. Mit Ihnen muß ich anders reden. Außer sich: Es ist am Äußersten. Wieviel wollen Sie haben, wenn Sie ihn freigeben.
Leonie weicht zurück: Mein Gott ... Ich wollte für Harrys Mutter, sie hätte das nicht gesagt.
Frau Seiler schmollt: Was soll ich denn sagen. Ich will doch mein Kind retten.
Leonie: Vor mir? Sie wissen freilich nicht, daß ich ihn grad eben gerettet habe.
Frau Seiler: Sie?
Leonie: Er wollte sich schlagen, und ich habe es verhindert.
Frau Seiler sinkt in einen Sessel: Oh!
Leonie: Eine Frau, die nur an sich denkt, tut das nicht.
Frau Seiler: Was war geschehen? Das ist, um den Verstand verlieren.
Leonie: Ich habe erfahren, daß Harry sich schlagen wollte.
Frau Seiler: Für Sie!
Leonie: Nein, nein ... Jemand hatte mich verleumdet.
Frau Seiler: Einer Ihrer Liebhaber!
Leonie: Jemand, den ich nie gesehen habe ... Eine hochgestellte Persönlichkeit.
Frau Seiler: Harry hat ihn gefordert?
Leonie: Ersparen Sie mir doch das übrige. Ich bin noch zu krank von alledem. Ich habe mich gedemütigt, habe eingestanden, was ich nie beging. Harry ist so stark, so ehrlich. Er liebt mich so rückhaltlos, ich bin ihm die ganze Welt wert. Wie konnte ich ihn sterben lassen. Jetzt verachtet er mich wohl. Ja, er haßt mich. Aber lieber das schwerste, lieber auf ihn verzichten, als daß er stirbt.
Frau Seiler: Sie verzichten? Ist das denn wahr?
Leonie: Ich tue, was Sie wollen. Ich gebe Ihnen Ihr Kind zurück.
Frau Seiler: Ich kann es nicht glauben. Sie lieben Harry wohl nicht mehr?
Leonie: Haben Sie mich nicht für eine Spekulantin gehalten?
Frau Seiler: Nun ja. Aber Sie retten ihn? Sie sind unsere Wohltäterin? Wie soll ich das fassen?
Leonie: Ich habe ihn sehr geliebt. Das können Sie wohl fassen, Sie, seine Mutter.
Frau Seiler: Habe ich Sie so falsch beurteilt? Aber Sie sind es doch, die ihn mir entfremdet hat.
Leonie: Nicht ich. Sie waren es selbst.
Frau Seiler: Ich habe uns verteidigt. Sollte ich dulden, daß Sie die Einkünfte unserer Fabrik verschlangen?
Leonie: Ich schwöre Ihnen
Frau Seiler: Schwören Sie nicht! Reisen nach Paris, Feste, Toiletten. Die zukünftige Frau eines simplen Fabrikanten trägt nicht solch ein Hauskleid ... Und Sie betrügen Harry.
Leonie: Nein! Sie beleidigen mich.
Frau Seiler: Wie kann Sie das beleidigen? Böse: Sie werden doch nicht leugnen, daß Sie vor Harry schon Liebhaber hatten. Es mag wohl nicht leicht sein, mit allen rechtzeitig zu brechen. Harry ist blind, und er läßt sich die Augen nicht öffnen. Warum aber sollen Sie auch noch seine Mutter belügen.
Leonie: Ich belüge nicht einmal ihn. Ich habe nur einmal gelogen: eben heute, da ich zugegeben habe, daß ich schuldig sei. Und mit dieser Lüge habe ich ihm vielleicht das Leben gerettet.
Frau Seiler: Es ist wahr, Sie haben ihm das Leben gerettet. Mein armer Harry!
Leonie: Er ist nicht zu bedauern, gnädige Frau, weil ich ihn liebe. Verstehn Sie doch, wie's gekommen ist. Sie sind eine Frau, und sind seine Mutter. Er ist anders als die meisten Männer.
Frau Seiler: Ich weiß das nicht. Ich hab ihn richtig erzogen.
Leonie setzt sich, niedriger als Frau Seiler: Ich wußte auch nicht, daß ich ihn so ganz anders würde lieben müssen. Er ist feiner und weicher. Er hat mich nicht überwältigt: er hat mich tausendfach umklammert. Jetzt bin ich wehrlos, bin viel schwächer geworden durch ihn, als ich war ... Ich verzichte. Sie haben Ihren Sohn zurück. Aber es wird wohl mein Ende sein.
Frau Seiler: Das sagt man immer. Erregt mein Sohn wirklich solche Leidenschaft? Und bei Ihnen, die so viel verehrt wird! die so berühmt ist!
Leonie: Glauben Sie, daß man davon lebt? Manchmal stirbt man daran ... Ich war doch, als ich damals von Hause fortging, ein junges Mädchen wie alle. Sehen Sie, wie ganz allein ich nun bin. Die andern wissen das nicht; sie denken, man ist so geschaffen, ganz für sich. Ich habe in diesen acht Jahren vieles durchgemacht, wovon niemand etwas ahnt. Es war wenig Gutes und sehr, sehr viel Schlimmes. Ich bin noch immer allein damit fertig geworden. Sie sind die erste, der ich klage.
Frau Seiler über Leonie gebeugt: Kind, Sie sprechen, als ob es wirklich ernst wäre.
Leonie gleitet auf die Knie: Glauben Sie mir nun? Ich bin nicht die Theaterprinzessin, die Ihr Kind verdirbt. Ich bin eine arme Frau, die leben will, und habe zum Leben nur ihn.
Frau Seiler: Wollen Sie ihn wirklich so liebhaben? Meine Tochter? Wenn Sie nicht als Schauspielerin gesprochen haben, dann sind Sie meine Tochter.
Leonie küßt Frau Seiler die Hand: Ich spreche doch nur so zu Ihnen, weil ich weiß, Sie werden meine Mutter sein. Müßte ich sonst nicht sterben vor Scham?
Umarmung. Pause.
Frau Seiler steht auf: Seien Sie heute abend bei uns, wollen Sie? ... Sie sind aber sehr schön eingerichtet.
Leonie: Was mir daran noch liegt. Sie sollen sehen, ich werde geizig werden.
Frau Seiler: Sie sind ein sonderbares Mädchen. Wie nur Harry an Sie geraten ist.
Leonie langsam: Er hat mich zuerst, wie Sie, für eine Prinzessin gehalten. Stürmisch: Wie glücklich bin ich, daß Sie mich jetzt kennen.
Frau Seiler: Aber Sie entzücken mich ja, ich weiß nicht wie. Jetzt muß ich Harry sprechen. Auf heute abend.
Leonie begleitet Frau Seiler hinaus: Auf heute abend.
Leonie. Dann Harry.
Leonie kehrt zurück, geht umher, bleibt stehen, hebt selig den Kopf, breitet die Arme aus: Welch Triumph! Sie setzt sich, sinnt und lächelt. Ich bin müde und glücklich, wie nach einer großen Rolle. Erschrickt. Um Gottes willen ... Wie ich mich verachte!
Pause. Es klopft. Harry tritt ein.
Leonie ihm rasch entgegen: Mein Liebling! Wir sind glücklich, wie? An seinem Hals: Es kommt nicht zu früh; aber genug, es kommt.
Harry: Was kommt denn?
Leonie: Du hast deine Mutter gesehen?
Harry: Heute früh, sie war noch schlimmer als sonst. Sie hat mir mit furchtbaren Enthüllungen gedroht, für später, nach der Hochzeit.
Leonie: Was für Enthüllungen? Jetzt eben bist du ihr nicht begegnet?
Harry: Ich war auf der Polizeidirektion. Man ist von dem Duell unterrichtet, es kann nicht mehr stattfinden. Ich möchte wissen, wer uns angezeigt hat.
Leonie: Ich, Lieber.
Harry: Du? Also du entehrst mich.
Leonie: Ich lasse dich nicht sterben.
Harry: Fork wird glauben, wir haben uns verabredet. Die ganze Stadt wird es glauben, ich selbst würde es. Das ist wohl deine Liebe?
Leonie: Laß doch, ich bitte dich.
Harry: Damit du deinen Willen bekommst, trittst du mein wichtigstes Interesse mit Füßen.
Leonie: Ist nicht unser wichtigstes Interesse, daß wir uns lieben? Laß das Duell, das sind alte Geschichten. Deine Mutter war hier.
Harry: Bei dir?
Leonie: Ja; und sie ist gewonnen. Sie billigt unsere Heirat. Du siehst, daß du leben mußt.
Harry: Ach was. Und du glaubst ihr's.
Leonie: Wer so miteinander gesprochen hat wie deine Mutter und ich.
Harry: Glaube ihr doch nur nicht. Sie ist verrückt. Heute abend ist wieder alles anders.
Leonie: Heute abend soll ich bei euch sein.
Harry: Du hast sie um ihren Willen geredet, du hast ihr imponiert oder sie gerührt, was weiß ich. Nicht umsonst bist du eine Schauspielerin, eine große Schauspielerin.
Leonie: Ich bin eine Frau, die liebt.
Harry: Aber wenn du meinst, daß deine Wirkung dauert
Leonie weich, eindringlich: Du sagst das, du?
Harry kläglich: Verzeih, Leonie.
Leonie: Wo ist euer Ernst, die ihr keine Komödianten seid? Ich habe deiner Mutter meine ganze Seele hingegeben; und für euch dauert das nicht bis zum Abend?
Harry: Verzeih! Verzeih! Aber du kennst sie doch. Bis abends erfährt sie wieder irgend etwas. Für wen ist die Lage schwerer zu ertragen als für mich.
Leonie: Es ist aber keine Gefahr; denn, Harry, ich habe deiner Mutter alles gesagt.
Harry schnell: Mehr als ich selbst weiß?
Leonie: Nein. Es gibt doch nichts. Oder hast du einen Verdacht? Bist du nicht ganz aufrichtig?
Harry: Und du?
Leonie: Sei aufrichtig! Halte zu mir! Die Hände auf seinen Schultern: Du!
Harry: Ich habe es getan, soviel ich konnte.
Leonie: Wir, die wir das ganze Leben zusammenbleiben wollen!
Harry: Mir scheint es fast leichter, zusammen zu sterben.
Leonie: Weil du den Kampf scheust? Ich aber will kämpfen ... Was hast du? Sieh mich an!
Harry: Ich bin endlich müde.
Leonie schreit: Du willst nicht mehr!
Harry: Ich sage nicht
Leonie über der Lehne eines Sessels zusammengebrochen: Ach! du entgleitest. Nie das letzte Wort, nie der tiefste Gedanke. Wie ihr schwankend seid, weich und kalt. Wer grad hindurch will, mattet sich ab an euch.
Pause.
Leonie richtet sich auf: Warum hast du Fork gefordert?
Harry: Weil er dich verleumdete.
Leonie: Du weißt, daß es keine Verleumdung war.
Harry: Leonie!
Leonie: Du weißt es.
Harry: Wie magst du mir das sagen.
Leonie: Hast du's nicht gewollt? Du sinnst schon längst auf nichts anderes, als wie du mich los wirst.
Harry: Ich bin krank, mit der ganzen Welt liege ich im Kampf, deinetwegen: und du verrätst mich, du machst mich zum Gespött. Dirne!
Leonie: Danke Gott, daß ich eine bin. Du darfst mich verlassen ohne Bedenken. Du bist zu anständig, mein Lieber, zu gütig, zu fein. Da du mich lange genug besessen hast, warum noch so viele Anstrengungen, nicht wahr? Was schuldest du mir, du hast mich doch nicht verführt. Daß ich dir mehr gegeben habe, als ein Mädchen gegeben hätte, oh, das zählt nicht: daß ich zum erstenmal mich selbst gegeben, mich aufgegeben habe, und daß ich mich nie mehr zurückbekomme.
Harry: Leonie, an allem ist wohl das Schicksal schuld. Ich habe Mitleid mit dir.
Leonie: Mir fehlt nur noch dein Mitleid. Ein schönes Schicksal, das gelenkt wird durch deine Schwäche und Heuchelei. Was sprichst du immer von Sterben und von Gift? Hast du letzthin mit Gift zu tun gehabt? Der Sainthal ist daran gestorben. Es gibt noch mehr Dinge, die du dir selbst nicht gestehst.
Harry: Was heißt das?
Leonie: Dem Sainthal gab es Fork, und wer gab es dem?
Harry zuckt zusammen.
Leonie: Da! Lügner!
Harry: Ich weiß nichts. Muß ich's denn wissen? Ich gebe täglich Gift fort, an Apotheker, an Ärzte.
Leonie: Und du glaubst das selbst... Daß du lügst: gut. Daß du sogar mir lügst: gut. Aber daß du auch dich vor eigenen Gedanken durch eine Wand schützest, durch Schloß und Riegel! Du weißt nicht, was es bedeutet, wenn du immer von Gift sprichst? Nein, du weißt es wirklich nicht. Ich, ich weiß es längst; aber ich lerne von dir, mich selbst zu betrügen. Es heißt: ich soll es nehmen.
Harry: Mein Gott! Welch ein Wahnsinn!
Leonie: Ich soll dich befreien. Ich soll dir helfen, anständig, fein und gütig zu bleiben und mich dennoch los zu werden.
Harry: Hör auf! Du lästerst. Ich, der ich so namenlos um dich gelitten habe.
Leonie: Das leugne ich nicht. Leise und sanft quälst du mich zu Tode, und deine Entschuldigung ist eben, daß auch du leidest.
Harry: Ich selbst wollte sterben: das vergißt du. Ich wollte mich schlagen für dich und wünschte mir zu sterben für dich.
Leonie: Nicht für mich, nur aus Feigheit, um der Wahrheit endgültig ledig zu sein und nie zu erfahren, daß du mich verlassen wolltest, und daß ich dich betrogen habe.
Harry: Ich wollte sterben, nachdem du mich betrogen hattest. Das sind die Tatsachen.
Leonie: Oh! die Tatsachen habt ihr immer für euch. Die Wirklichkeit ist nur der Körper eurer Lügen. Ich habe es gelernt durch dich. Du glaubst, ich liebte dich noch? Ich wollte zur Ruhe kommen durch diese Heirat, und auf Fork würde ich darum nicht verzichtet haben.
Harry: Schweig!
Leonie: Was für eine Komödie ich deiner Mutter vorgespielt habe! Die arme Frau!
Harry: Ich bin an einem Abgrund hingegangen.
Leonie: Und ich? Ich kannte nur die Kunst, ich war bei mir und war wahr. Ihr wolltet mich zur Lügnerin machen. Wie der Ernst des Lebens schmutzig ist. Ich bin ihm noch entronnen. Es ist aus.
Harry: Es ist aus. Leb wohl. Geht zur Tür.
Leonie: Leb wohl. Ich werde wieder Komödie spielen. Ein schlechter Künstler, wer an ein Glück glaubt, das nicht Spiel wäre ... Harry! Du gehst wirklich? Was soll ich tun.
Harry: Du wirst Komödie spielen.
Leonie: Kann ich's denn noch? Durch dich hab ich's verlernt. Alles ist anders geworden: ich kann nicht mehr allein sein. Ich will mich nicht mehr spielen sehen. Ich liebe mich nicht mehr. Auf ihn zu: Dich lieb ich, dich!
Harry: Das ist nicht wahr. Es war niemals wahr.
Leonie: Ich schwöre es. Ich wollte mich rächen, als ich es leugnete. Aus Verzweiflung hab ich dich betrogen. Ich liebe dich.
Harry: Nein. Sondern du bist einsam und leidest Angst. Lieben kannst du nicht.
Leonie prallt zurück: Ist das das Letzte? Nun geh! Ah! ich kann nicht lieben. Aber bei wem ist die Schuld? Wäret ihr denn stark genug, dies schwere Herz zu tragen? Geh! ... Harry!
Harry wendet sich um.
Leonie: Nein, geh!
Harry ab.
Leonie. Dann ein junges Mädchen.
Leonie ruft nach der Tür hin: Ja, ja, was mir geschieht, ist gerecht. Ihr seid gerecht. Sie stößt die Tür auf. Kein Mensch! Schläft denn alles um mich her? Ich bin wie begraben. Luft!
Sie öffnet das Fenster, der Vorhang flattert auf. Sie geht keuchend umher. Dämmerung.
Ein junges Mädchen erscheint in der Tür.
Leonie aufschreiend: Wer ist da? Was tun Sie hier?
Das junge Mädchen: Verzeihung. Die Türen standen offen. Da bin ich hereingekommen. Ich habe auch geklopft, aber Fräulein hörten nicht.
Leonie: Ich arbeitete an einer Rolle.
Das junge Mädchen: Wie schön!
Leonie: Ich glaube, Sie bringen mir Blumen?
Das junge Mädchen: Aber wenn ich Sie störe
Leonie: O nein! Das eilt nicht. Ich habe das nicht so bald wieder zu spielen ... Schöne Blumen.
Das junge Mädchen: Für die Clarissa. Ich danke Ihnen so heiß. Wenn ich es schon gestern abend gewagt hätte
Leonie: Warum denn nicht? Zu einer Schauspielerin kommt jeder, der mag. Darauf ist sie stolz.
Das junge Mädchen: Ach, Fräulein Hallmann, doch nicht, weil ich komme. Freilich bring ich Ihnen meine ganze Seele.
Leonie: Gewiß macht mich das stolz und vieles andere auch. Denken Sie: heute sollte meinetwegen schon wieder ein Duell sein. Lacht auf, bricht ab. Aber Sie sind sehr jung: warum gefällt Ihnen gerade die Clarissa. Es ist doch eine Frau, die viel durchmacht.
Das junge Mädchen: Ja, aber durch Sie, Fräulein, wird alles edel. Unser Literaturprofessor sagt, Sie werfen über alles den Schleier des Ideals.
Leonie: Der auch? Merkwürdig, wie viel man verehrt wird. Man müßte eigentlich glücklich sein.
Das junge Mädchen: Sind Sie es denn nicht? O Gott, das wollte ich nicht sagen.
Leonie: Man wird anspruchsvoll bei einem Dasein wie meins. Ja, man verlangt vom Leben zuviel.
Pause.
Das junge Mädchen: Ich wollte auch zum Theater.
Leonie: Natürlich.
Das junge Mädchen: Aber seit gestern abend will ich nicht mehr. So schön wie Sie werd ich niemals sein, und soviel leiden werd ich auch nicht können.
Leonie: Liebes kleines Mädel! ... Denken Sie an mich, wenn Sie einmal sehr glücklich sind ... Da, nehmen Sie mein Bild. Auch das. So war ich, als ich ganz jung war.
Das junge Mädchen: Aber Sie geben mir zuviel. Was bleibt dann Ihnen?
Leonie: Ich brauche keine Bilder. Ich sehe das alles mit geschlossenen Augen und bin froh, daß es vorüber ist.
Das junge Mädchen: Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen. Nicht nur für die Bilder: für alles. Für Ihr ganzes Leben. Ab.
Leonie blickt nach der Tür: So war ich nie. Wenn ich verehrt hätte, mich gebeugt hätte, dann war ich nicht hier. Dann wär es jetzt nicht ernst, nicht todernst. Aufschreckend: Es ist aus. Schrecklich! Ich habe mich verraten. Harry! ... Nie wieder? ...
Doch! Ich weiß einen Beweis. Du sollst staunen, wie sehr ich dich geliebt habe. Das ist kein Spiel, was so endet.
Ab ins Schlafzimmer. Man hört von innen die Tür verriegeln.
Harry. Dann Dora.
Harry: Leonie! Er sieht umher, blickt ins Speisezimmer, drückt den Türgriff des Schlafzimmers nieder: Leonie! öffne, ich bitte dich ... Ich bin da, Leonie. Du hast doch nicht geglaubt, wir könnten uns so trennen ... Antworte mir! Was tust du? Leonie! Mein Gott! Ist denn etwas . Zur Tür: Dora, Dora! Es muß etwas geschehen sein. Das gnädige Fräulein öffnet nicht. Wie lange ist sie schon drinnen?
Dora: Noch vor zehn Minuten war eine Dame hier. Horcht. Das gnädige Fräulein ist auf.
Harry horcht: Was tut sie? Sie gurgelt.
Dora: Das gnädige Fräulein war sehr erhitzt.
Harry: Heute abend soll sie spielen. Es ist nichts Besonderes geschehen. Sie öffnet nicht, weil sie nervös ist. Leonie, öffne! ... Um Gottes willen, rasch einen Schlosser. Ruft Dora nach: Bringen Sie den Doktor Fork mit! Laufen Sie!
Dora ab.
Harry: Leonie! Vertrau mir doch. Du begreifst: im ersten Augenblick . Du hattest mir Dinge gesagt, die kein Mann leicht hinnimmt. Aber du siehst, ich bin zurückgekehrt, ich glaube dir, ich vertraue dir. Pause. Er horcht, er rüttelt. Leonie! Es ist doch nicht zu spät? Mitleid! Leonie!
Harry. Fork. Bella.
Fork: Was stehn Sie da und jammern. Tritt die Tür ein. Leonie liegt hinter der Tür auf einem Diwan.
Bella schreit auf.
Harry bricht vor dem Diwan in die Knie: Leonie! Hör mich an!
Fork: Sie braucht Sie nicht mehr anzuhören. Er richtet Leonie auf, sie fällt zurück.
Harry: Sie ist nicht tot!
Bella: Wie furchtbar! Sie hat keine Zunge mehr. Was ist aus ihren schönen Händen geworden.
Harry: Sie hat mich geliebt. Sie war ein Kind, ein unschuldiges Kind.
Fork: Ich bürge dafür ... Seien wir ehrlich. Wir dürfen sagen, daß wir sie getötet haben.
Bella: Ihr? Sie kannte nur sich. An uns hat sie nicht gedacht. Bei verriegelter Tür hat sie sich zum Sterben hingelegt und nicht daran gedacht, daß wir fühlende Menschen sind. Sie hat gespielt. Sie hat sich ihren Tod gespielt. Ich beneide sie.
Vorhang.