Heinrich Mann

Madame Legros

Drama in drei Akten

Zuerst erschienen:
1913

 

Aus:
Schauspiele

Claassen Verlag GmbH
Düsseldorf

1986

1. Auflage

Personen

Madame Legros
Die Königin Marie Antoinette
Die Comtesse d'Orchat
Die alte Marquise de Sarclé
Eine Verwandte des Ehepaares Legros
Madame Touche
Fanchon
Madame Crozet
Legros
Der junge Chevalier d'Angelot
Der Abbé de Zorane
Der Baron de Clairvaux
Vignon
Ein Akademiker
Ein Offizier
Ein Türhüter

Nachbarn und Nachbarinnen des Ehepaares Legros
Volk
Soldaten

Paris 1789

Erster Akt

Die größere Hälfte der Bühne wird von dem Laden des Ehepaares Legros eingenommen. Er ist nach der Seite offen und hat Auslagen von Weißwaren, auch auf der engen Gasse, die zwischen hohen alten Häusern (das schönste ist der Gasthof zum »Weißen Pferd«) nach dem Hintergrund verläuft. Dort öffnet sich der Platz der Bastille, einer ihrer Türme bildet den Abschluß.

 

Erste Szene

Madame Legros. Die Verwandte.

Verwandte: Das Häubchen ist hübsch. Der Graf von Coutras hat richtig gewählt: es wird dem Fräulein Palmyre gut stehen. Finden Sie nicht, Madame Legros?

Madame Legros an der Kasse, schreibend: Der Herr Graf hat gewählt, was ihm passend schien.

Verwandte: O nein, sondern ich selbst habe es ausgesucht und es dem Herrn Grafen aufgenötigt. Der Herr Graf würde dieses andere hier genommen haben, aber es ist nicht schön genug für Fräulein Palmyre. Ich bin ihre gute Freundin.

Madame Legros: Ich denke, du bist bei uns im Dienst und wirst schon darum einem Kunden die bessere Ware empfehlen.

Verwandte: Nun ja ... Ich könnte das Häubchen gleich hintragen.

Madame Legros: Du weißt, daß ich noch die Schleifen daranzunähen habe.

Verwandte: Das kann auch ich tun.

Madame Legros: Bildest du dir ein, man würde den Unterschied nicht sehen?

Verwandte: Ich habe doch auch schon Geschmack erlernt, seit ich in Paris bin. Ich bin keine Bäuerin. Herr Legros ist mein Vetter, er wird mir erlauben, was ich will.

Madame Legros: Die Schachtel mit den Strümpfen ist nicht fortgeräumt, und ein so teures Jabot treibt sich am Boden umher: das Fräulein aber hat keinen andern Gedanken, als zu einem Ballettmädchen zu laufen und wieder den ganzen Abend hinter den Kulissen nach galanten Herren auszuschauen.

Verwandte: Ich brauche nicht erst auszuschauen. Sie, Madame Legros, gönnen niemandem ein Vergnügen. Sie denken nur an sich.

Madame Legros: Ich denke an das Interesse des Herrn Legros. Dafür bin ich seine Frau.

 

Zweite Szene

Die Vorigen. Legros.

Legros: Guten Tag.

Madame Legros: Guten Tag, lieber Mann. Wie geht es in der Werkstätte? Bist du zufrieden mit deinem neuen Gesellen?

Legros: Er ist ein tüchtiger Mensch.

Madame Legros: Ich sehe dir an, daß du Ärger gehabt hast.

Legros: Meister Ambroise war da wegen der Bezahlung der Wolle.

Madame Legros: Es ist noch nicht der Zahltag.

Legros: Meister Ambroise brauchte das Geld. Seine Frau ist schon lange krank. Er hat Schwierigkeiten.

Madame Legros: Du hast es ihm gegeben?

Legros: Freilich haben auch wir es schwer – wie alle Welt jetzt. Aber ich sagte mir, man muß einander helfen.

Madame Legros: Was du tust, ist recht, lieber Mann.

Legros: Obwohl – wer wird eines Tages uns helfen?

Madame Legros: Oh! Dahin wird es nicht kommen. Der Herr Graf von Coutras hat unser schönstes Spitzenhäubchen gekauft, das für vierhundert Pfund.

Verwandte: Ich habe es ihm aufgeschwatzt!

Legros: Vielleicht hast du es ihm aufgeschwatzt. Madame Legros aber hat es angefertigt.

Madame Legros: Aber Lob verdient doch nur sie: ich nicht, denn du bist mein Mann.

Legros: Das ist wahr.

Madame Legros: Nun haben wir bald keine Spitzen mehr. Wann werden endlich die aus Alençon kommen?

Legros befangen: Das frage auch ich mich. Kann sein, daß sie schon da sind und beim Stadtzoll liegen. Dabei fällt mir ein, daß dein Vetter, der Zollbeamte, uns lange nicht besucht hat ... Was tust du da?

Madame Legros: Ich muß an das Häubchen des Fräuleins Palmyre noch die Schleifen nähen.

Legros: Tue das später. Jetzt solltest du zu deinem Vetter auf das Zollamt gehen und ihn für Sonntag zum Mittagessen laden.

Madame Legros: Gleich jetzt?

Legros: Ich schulde ihm die Höflichkeit.

Madame Legros: Kann nicht Lisette gehen?

Legros: Das wäre nicht höflich genug.

Madame Legros: Ich tue, was du befiehlst, lieber Mann. Sie macht sich zum Ausgehen fertig.

Legros: Und sage deinem Vetter, daß wir eine fette Gans haben werden! ... und sei zurück zum Essen!

Madame Legros: Es ist weit, aber ich werde eilen. Ab.

 

Dritte Szene

Legros. Die Verwandte.

Legros: Bring mir die Leiter her! ... Nun? ich glaube gar, man weint?

Verwandte: Es wäre nicht zu verwundern. Ich habe das teuerste Häubchen verkauft – und wie werde ich belohnt? Ich darf nicht einmal meine Freundin besuchen.

Legros tröstend: Madame Legros ist sonst nicht hart. Warum verbietet sie dir ein harmloses Vergnügen?

Verwandte: Und sie verbietet es mir in Ihrem Namen!

Legros: Sie glaubt wohl recht zu tun.

Verwandte: Aber wollen denn auch Sie, Herr Legros, ein Mädchen nur langweilige Pflichten lehren?

Legros näher bei ihr: Was soll ich dich sonst lehren?

Verwandte: Wenn Sie es nicht wissen ... Ich hätte gewünscht, daß ein ernsthafter Mann sich meiner annimmt. Aber auch bei meiner Freundin kann ich manches lernen. Es ist Fräulein Palmyre vom Opernballett.

Legros: Das ist eine Freundschaft, die ich nicht billige.

Verwandte: Warum denn nicht? Fräulein Palmyre ist aus unserem Dorf. Sie mag mich leiden, ich kann Zofe bei ihr werden.

Legros: Zofe bei einem Mädchen ohne Herkunft?

Verwandte: Der Herr Graf von Coutras schützt sie. Schon jetzt ist sie reich.

Legros: Und auch du möchtest es wohl auf diesem Wege werden? Man kennt das. Man wird achtgeben müssen auf dich. Madame Legros hatte recht, als sie dich nicht fortließ.

Verwandte: Statt dessen ist sie selbst fort: zu dem Zollbeamten, ihrem Vetter.

Legros: Was soll das! Hüte dich!

Verwandte: Oh! Wie Sie jetzt böse sind. Noch soeben waren Sie so lieb mit mir, daß Madame Legros es nicht hätte sehen dürfen.

Legros: Ich weiß, was ich Madame Legros schulde: einer Frau, so treu und unschuldig.

Verwandte: Weniger unschuldig als Sie.

Legros: Und von einer Geradheit, an der du dir ein Beispiel nehmen solltest.

Verwandte: Aus Geradheit tut sie wohl, als wüßte sie gar nicht, warum sie auf das Zollamt geht.

Legros: Sie geht, weil ich es ihr befehle. Du aber bring mir die Leiter her.

Verwandte: Einen Augenblick. Madame Legros versteht so gut wie wir beide, daß sie die Spitzen zollfrei in die Stadt schaffen soll. Ihrem Vetter wird sie dafür eine fette Gans anbieten; und wer weiß, ob nicht noch etwas.

Legros: Was sagst du da? Ich werfe dich hinaus!

Verwandte: Dann gehe ich geradewegs zu Fräulein Palmyre.

Legros: Ah! Dort lernst du solche Dinge. Madame Legros denkt an Arges so wenig wie ich selbst. Ihr Vetter sieht sie gern; er ist ihr Pate, und wer beim Zoll keinen Freund hat, zahlt, bis er ruiniert ist.

Verwandte: Ich habe es nicht böse gemein. Aber glauben Sie mir, Herr Legros, die Frauen sind einander wert. Nahe bei ihm: Kein Mann braucht sich ihretwegen Bedenken zu machen.

Legros: Spitzbübinnen wie du gibt es gleichwohl nicht viele.

Verwandte: Fort! Madame Legros kommt.

 

Vierte Szene

Die Vorigen. Madame Legros.

Madame Legros kehrt zurück, nachdem sie, Nachbarn begrüßend, die Gasse entlang bis unter den Turm gegangen ist und dort etwas vom Boden gehoben hat. Das letzte Stück bis zur Schwelle läuft sie, ist entsetzt, da die andern sie sehen, und versteckt ein Papier.

Legros: Man hat wohl Geheimnisse?

Madame Legros: Ich kann nichts dafür. Plötzlich hielt ich es in der Hand. Ach ...

Legros entreißt ihr das Papier.

Verwandte neugierig herbei.

Madame Legros verbirgt ihr Gesicht.

Legros: Was ist das? Wer hat es dir gegeben?

Madame Legros: Es fiel vom Turm.

Legros: Von welchem Turm?

Madame Legros: Von der Bastille.

Legros: Vorhin sagtest du, jemand habe es dir zugesteckt.

Madame Legros: Es ist so ungeheuerlich, daß ich mich mitschuldig fühlte, als ich es las.

Legros: Du?

Madame Legros: Alle Menschen sind mitschuldig.

Legros: Ein Narr hat es geschrieben. Und du verlierst deine Zeit daran.

Madame Legros: Ein Narr? Ein Mensch, der seit dreiundvierzig Jahren unschuldig im Turm sitzt.

Legros: Ein Spaßvogel. Vielleicht Ärgeres. Es gibt Leute, die Unzufriedenheit mit dem König und seiner Regierung säen möchten. So einer hat den Wisch in die Luft geworfen.

Madame Legros: Ich sah ihn herabflattern. Ich erhob den Blick: auf dem Turm, ganz droben auf der Plattform, war ein Mensch, der winkte. Eine Sekunde – und bevor ich recht gesehen hatte, riß ein Soldat ihn zurück.

Verwandte liest stotternd den Brief: »O Vorübergehender! Wer du auch seiest, ein Unschuldiger ruft dich an. Unter der vorigen Herrschaft, zur Zeit Seiner Majestät unseres gnädigsten Königs Ludwig, ward ich in die Bastille geworfen wegen eines unzarten Versuches, die Aufmerksamkeit der Frau Marquise von Pompadour auf mich zu lenken, und seit dreiundvierzig Jahren hat man mich hier vergessen. Nicht einmal meine Wächter wissen mehr, wer ich bin. O Freund, dem der Wind oder Gottes Atem dieses Blatt vor die Füße weht, sag du es den Menschen! Sag ihnen, was keiner mehr weiß, so viele geboren werden und sterben: ich heiße Latude und bin ein Unschuldiger, der leidet!«

Ergriffenes Schweigen.

Madame Legros hat sich abgewandt, seufzt schwer.

Verwandte: Das ist grauenvoll ... Und so wunderbar, als ob es der Herr Pfarrer erzählt hätte.

Legros peinlich berührt: Es ist ein armer Mensch. Aber mit solchen Dingen befaßt man sich nicht. Es wäre unklug. Wir werden zu niemandem davon reden.

Madame Legros: Es ist wahr: wie soll man es den Leuten sagen. Niemand wird uns glauben. Man wird uns für schlecht ansehen.

Legros: Man wird uns vor allem für dumm ansehen.

Madame Legros: Was also tun?

Legros: Bei Gott! Es für uns behalten!

Madame Legros: Wie?

Verwandte: Ich sage es allen! Wird man neugierig sein! Ich gehe in die Bastille und frage den Soldaten Colas, den ich kenne, ob er von dem Gefangenen weiß.

Legros: Du wirst deine Zunge hüten, oder du lernst mich kennen.

Madame Legros: Was heißt das?

Legros: Es heißt, daß du den Wisch da verbrennen wirst. Und ohne Federlesen! Wir sind anständige Leute, mit den Angelegenheiten von Staatsverbrechern haben wir nichts zu tun.

Madame Legros: Aber es ist ein Unschuldiger!

Legros: Das sagt er. Der selige König wird gewußt haben, warum er ihn in den Turm gesetzt hat.

Madame Legros: Der König ist tot. Das alles ist so lange her. Wo sind sie, denen Latude geschadet hat, wenn er denn jemandem geschadet hat ... Ach! was soll das. Ihr habt gehört, was er sagt, dieser Mensch. Ihr habt die Wahrheit gehört wie ich. Ihr habt keine anderen Ohren als ich. Alle Menschen verstehen das.

Legros: Da du Ohren hast, so höre gefälligst. Ich bin dein Mann, und ich befehle dir, den Mund zu halten.

Madame Legros beugt sich: Du bist mein Mann ... Aber du bist gut. Willst du mich etwa prüfen? Als wir kürzlich verheiratet waren und du mich noch nicht kanntest, da unterließest du einst mit Absicht, den Verkauf einer Haube ins Buch einzuschreiben, und gingst fort, um zu sehen, ob ich das Geld nehmen würde. Aber hast du es denn heute noch nötig, dich zu überzeugen, daß ich ehrlich bin? Sie schmiegt sich an ihn.

Legros: Du bist eine brave Frau. Du hast immer für den Nutzen deines Mannes gearbeitet. Daher weißt du auch ganz gut, wie wir jetzt uns verhalten müssen.

Madame Legros schmeichelnd: Ehrlich bleiben! Nicht mitschuldig werden im Unrecht, das geschieht. Was sage ich: schuldiger als alle, die nicht darum wissen. Überredend: Man wird dich rühmen, lieber Mann. Man wird dich hoch ehren. Denn jeder ehrliche Mann hätte es auch getan.

Legros: Man könnte wirklich glauben, daß den Frauen der Verstand nie fertig wächst. Wir sollen denen, die die Macht haben, uns selbst einzusperren, mit der Behauptung kommen, sie hielten einen falschen Gefangenen fest. Wer dich hört, hält uns für toll.

Madame Legros beschwörend: Mann! Es handelt sich um einen Menschen!

Legros: Ganz abgesehen davon, daß niemand mehr sich in unseren Laden getrauen wird, aus Furcht vor der Bastille, der wir uns so leichtfertig aussetzen. Läßt man uns auch ungeschoren, so sind wir dennoch ruiniert.

Madame Legros: Und wenn wir schweigen, wird das Brot, das wir essen, ein unehrliches Brot sein.

Legros: Hüte dich, Frau! Ich bin ein Bürger von Paris. Ich esse mein Brot in Ehren.

Madame Legros: Du hast es immer getan. Künftig aber wirst du es nicht mehr tun. Sieh dort hinten den Turm: ein Mensch sitzt darin, der schuldlos leidet – seit so langer Zeit schon, daß niemand mehr sich daran erinnert. Dort ist der Platz mit den vielen Menschen! Die Eltern all dieser sind auch schon über den Platz geeilt, und auch damals schon lag jener eine an seiner Kette. Wenn nun ihre Kinder groß sein und dort lustwandeln werden: wie? Soll er dann noch immer liegen und leiden? Währt das Unrecht in der Welt ewig? Jetzt verstehe ich, was man meint, wenn man den Kleinen von der Erbsünde spricht.

Legros seufzt: Es ist wahr, die Welt ist böse, und wird es wohl immer bleiben. Den Mächtigen geht es gut, denn sie denken nicht daran, wie wir andern bedrückt sind. Was dem Nachbarn geschieht, darf uns nicht kümmern. Wir müssen die Augen schließen, sonst kommt es auch an uns.

Madame Legros: Und wenn es käme! Denkst du denn, ich kann mir es wohlsein lassen, wenn gleich nebenan jemand um Hilfe schreit? Hier in der schattigen Gasse geborgen, auf Kunden warten; die Leute abwehren, die unser Geld wollen; essen, schwatzen und endlich die Tür schließen, um mit meinem Mann schlafen zu gehen? Am Ende meiner guten, behaglichen Gasse aber klirren Ketten, und jemand schleppt sich, ein Skelett und ewig weinend, durch feuchte Keller. Du willst mich glauben machen, es sei nichts? Ich höre es doch: er schreit! Sie hält sich die Ohren zu.

Legros gibt der Verwandten ein Zeichen, die Tür zu schließen.

Madame Legros: Auch durch die Tür höre ich es.

Legros: Du selbst schreist, die Leute werden aufmerksam.

Madame Legros: Sie sollen kommen! Sie sollen hören! Ich kann nicht die einzige sein, die so viel weiß!

Legros: Ein Kind brauchst du, und du wirst an die Geschichten der andern nicht mehr denken.

Madame Legros stiller: Ein Kind. Ich hatte eins. Es ist gestorben, bevor ich es gebar.

Legros: Du sollst wieder eins haben.

Madame Legros aufleuchtend: Ja! Es kann wieder eins kommen. Auch der Turm dort kann sich öffnen und der Mensch, der drinnen begraben ist, wieder leben.

Legros: Davon will ich nichts hören.

Madame Legros: Dann bist du verstockt: du Armer ganz allein. Die Menschen aber wollen das Gute, oh, das weiß ich. Ich brauche sie nur zu rufen, zu ihnen zu sprechen, und gleich, noch in dieser Stunde, werden sie mit mir gehen und den Unschuldigen herausfordern.

Legros: Sie hat den Verstand verloren!

Madame Legros: Verzeih! Ich habe dir immer gehorcht, ohne zu fragen. Jetzt gehorche ich dir nicht mehr. Stößt die Tür auf. Liebe Nachbarn! Herr Vignon! Madame Touche!

Legros: Um Gott!

Verwandte: Das ist spaßhaft!

 

Fünfte Szene

Die Vorigen. Vignon. Madame Touche. Fanchon. Nachbarn und Nachbarinnen.

Madame Legros: Ein Unrecht ist geschehen.

Vignon: Sie wünschen, Madame Legros?

Madame Legros: In der Bastille sitzt ein Unschuldiger.

Ein Nachbar: Nur einer?

Madame Touche: Was hat er getan?

Madame Legros: Niemand weiß es mehr, so lange ist es her. Er hat mir geschrieben; wir müssen ihm helfen.

Ein Junger Mann: Ich hole meine Axt.

Zwei Ältere: Komm, Nachbar! Man darf das nicht hören. Sie entfernen sich.

Madame Legros: Gute Herren, Sie sind Christen.

Vignon: Ich habe Philosophie, Madame.

Madame Legros: Herr Vignon, Sie wissen, als jener Räuber Sie anfiel dort an der Ecke: Sie stießen Hilferufe aus, und die ganze Gasse stürzte herbei, Sie zu retten.

Vignon: Es ist wahr. Aber der König ist kein Räuber.

Ein Nachbar: Der König setzt oft aus großer Güte die Schlingel in den Turm, damit die Familie von ihnen befreit ist.

Eine Frau: Der Herr von Talmont hatte nichts verbrochen, und dennoch mußte er hinein.

Eine andere: Er hatte dir den Hof gemacht. Seinem Herrn Vater gefiel das nicht.

Madame Touche auf Madame Legros zeigend: Der Gefangene ist ihr Liebhaber. Wozu regt sie sich sonst auf.

Die Frauen lachen.

Verwandte: Hören Sie das, Herr Legros?

Madame Legros: Sie irren sich, mein Herr! Sie alle irren sich! Die Frau Marquise von Pompadour war es, die ihn gefangen setzen ließ; und da sie gestorben ist, hat man ihn vergessen.

Vignon: Die Marquise von Pompadour? Man sollte alles vergessen, was sie getan hat.

Madame Legros: Man muß es doch gutmachen! Nach dreiundvierzig Jahren!

Fanchon: Mein Vater starb mit dreiundvierzig Jahren.

Madame Legros: Und als er geboren ward: sieh, Fanchon, da verschwand ein Mensch namens Latude – und blieb verschwunden. Das erstemal heute spricht wieder jemand seinen Namen aus. Dein Vater ging dreiundvierzig Jahre umher. Denke daran, wie oft er lachte, und wie oft er dich küßte. Jedesmal hat ein anderer dort unten im Turm gestöhnt. Sehen nun alle diese Jahre nicht anders aus?

Fanchon schluchzt.

Betretenes Schweigen.

Vignon: Wenn man jederzeit daran denken wollte, wie es den andern geht, es gäbe kein Vergnügen mehr.

Eine Frau: Es muß doch Vergnügen geben.

Madame Touche: Mein Mann ist von einem Dachziegel erschlagen worden, obwohl er nichts verbrochen hatte.

Eine Alte: Wer weiß. Gott tut nichts umsonst.

Madame Touche: Was sagt sie? Will die alte Kupplerin meinen Mann beleidigen? Sie drängt auf die Alte ein.

Die Männer trennen die beiden.

Der Junge Mann, der die Axt holen wollte zu der Alten: Großmutter, hier sind schlechte Leute, komm fort!

Madame Legros: Warum tut ihr einander unrecht? Wir sind schon so schuldig. Wir haben ein so großes Unrecht zugelassen. Kommt doch mit! Ihr seht ja, man muß es gutmachen.

Vignon: Madame Legros, es sei mir erlaubt, Ihnen in nachbarlicher Freundschaft zu sagen: Sie fangen an, uns zu langweilen. Sie, eine anständige, ruhige Bürgersfrau, hetzen hier die Leute aufeinander, und warum? Wegen irgendeines Lumpen, der sein Leben lang nicht aus dem Loch herausgekommen ist.

Ein Nachbar: Was hat Madame Legros: Wir kennen sie doch. Sie ist eine ernsthafte Geschäftsfrau.

Madame Touche: Ich sage, dahinter steckt eine Liebesgeschichte, das andere sind Erfindungen.

Frauen: Seht den Legros! Der dicke Legros! Er steht dabei und läßt sie sich aus der Stirn wachsen!

Verwandte: Sind Sie ein Mann, Herr Legros? Ich werde Ihnen auch nicht mehr schön tun.

Legros macht sich gewaltsam Platz: Madame Legros! Hast du mir jetzt Schande genug gemacht? Augenblicklich komm ins Haus!

Fanchon: Es tut ihr weh! Sehen Sie nicht, Herr Legros, daß Ihre Frau krank ist? Eine so gute Frau. Hält Madame Legros, die schwankt.

Legros: Tatsächlich, sie muß noch krank sein. Es ist das Kind, das tot zur Welt kam. Verzeihen Sie, meine Herren!

 

Sechste Szene

Die Vorigen. Volk. Später Soldaten, ein Offizier.

Madame Legros macht sich los: Laß mich, Legros! Sieh, was dies für Menschen sind! Sie wissen nun, daß es einen Unschuldigen gibt, der leidet, und wollen dennoch weiterleben, wie bisher: ihren Kram verkaufen und Wein trinken. Ich verachte euch! Die Welt dürfte untergehen, wenn nur eure Gasse stehen bleibt! Aber man soll sie euch zuschanden treten. Herbei, Leute, herbei!

Volk ist vom Platz her in die Gasse gedrungen.

Die Nachbarn werden auseinandergedrängt, sie flüchten sich in die Häuser und sperren die Tore.

Madame Legros unter dem Volk: Helft mir, ich bitte euch!

Stimmen: Was gibt es? Wer schreit da!

Madame Legros: Ihr wißt nicht, es geschehen ungeheure Dinge. Eure Kinder werden euch nicht mehr lieben, wenn sie davon erfahren.

Stimmen: Was will die Frau? Sie soll auf den Prellstein steigen, damit man sie hört!

Madame Legros geschoben, ersteigt drüben am Hause den Stein: Leute vom Volk! Aus dem Turm der Bastille ist ein Brief gefallen, von einem Menschen, der unschuldig gefangen sitzt. Ihr sollt ihn befreien!

Stimmen: Los! Das ist mal ein Spaß! ... Du hast wohl Lust, Mütterchen, dich hängen zu lassen? ... Wo ist der Brief? Lies ihn vor!

Madame Legros: Ich weiß nicht mehr, wo er ist. Aber seht ihr es nicht in meinen Augen, die ihn gelesen haben, wie schrecklich er war? Da: meine armen Hände, sie haben ihn gehalten und noch zittern sie!

Stimmen: Man sollte einmal nach dem Rechten sehen.

Eine dumpfe Stimme: Ich war dabei, als damals ein wenig Lärm gemacht wurde, weil alle hungerten. Ich habe von einem Soldaten Blei in den Arm bekommen, aber kein Brot.

Madame Legros: Einige Tage hattet ihr nichts zu essen und begeht schon Gewalttaten. Dort im Turm aber sitzt ein Mensch, der nicht nur hungert. Ihn friert im Dunkeln, und länger, als die meisten von euch auf der Welt sind, hat er die menschliche Sprache nicht mehr gehört. Welche Gewalttaten sind groß genug, um das zu rächen!

Stimmen: Sie hat recht: es gibt Verbrechen, die das Volk nicht erfährt. Die Herren dort oben begehen nichts als Verbrechen! Es sind Mörder!

Eine Frau: Meiner Tochter haben die Häscher das Haar abgeschnitten und sie nach Amerika geschickt.

Eine andere höhnisch: So eine ist deine Tochter? Nun treibt sie eben ihr Gewerbe bei den Wilden!

Ein Individuum das von der Auslage der Legros etwas wegstiehlt: Und wer ist das Weibsbild, das sich da auf dem Prellstein zur Schau stellt? Schneidet ihr die Haare ab!

Legros von der Menge im Laden eingeschlossen, stürzt vor: Schlingel, du hast mich bestohlen, und sie ist meine Frau!

Das Individuum macht sich davon.

Stimmen: Sie ist seine Frau! Was will sie denn?

Legros: Siehst du es, Madame Legros, wofür man dich hält!

Madame Legros: Und wenn ich es wäre, eine Dirne: die Schande wäre geringer als jetzt! Mag für eine Dirne jemand selbst sterben, – aber schließt sie denn einen schuldlosen Menschen lebend ins Grab ein? Das tue ich, das tust du – und du –: ihr alle tut es! Befreit ihn! – oder ihr seid seine Grabwächter und seine Hyänen. Ehrloser seid ihr als die, die am Galgen hängen! Eine stinkende Pest seid ihr!

Stimmen: Das ist zu arg! Sie beschimpft das Volk! Reißt sie herunter! Schneidet ihr die Haare ab! Herunter mit ihr!

Madame Legros hält sich an einem eisernen Ring in der Mauer: Zerrt an mir, ich stehe fest! Ich habe Kraft für euch alle! Ihr werdet sehen, wie ich den Turm des Unschuldigen öffne! Dann wird die Welt schön sein! Jetzt ist sie verdüstert von dem Turm. Seht ihr etwa den Himmel? Könnt ihr jemals lachen? Ich muß den Turm aufbrechen, damit ihr wieder lachen könnt. Ich tue es für euch, weil ich euch liebe. Sagte ich euch das noch nicht?

Eine Frau: Sie ist schön! Und sie spricht wie ein Engel!

Ein Mann: Was wird dann viel anders sein? Wir werden immer leiden.

Madame Legros: Er wird euch so glücklich machen, der Unschuldige! Er wird euch belohnen! Glaubt ihr denn, daß er nicht reich ist? Und schön? Ein Unschuldiger ist so schön! Du wirst ihn lieben, du da. Beugt sich zu einer Frau nieder: Ich sehe dich schon ihn herzen, mit deinen frechen Lippen. Nicht du!

Legros: Sie hat den Verstand verloren! Sie sehen es doch, meine Herren!

Stimmen: Ist denn Geld in dem Turm? ... Sie hat recht, wir wollen die Gefangenen befreien! Freiheit für alle!

Eine gellende Stimme: Die Soldaten!

Madame Legros schreit: Die Häscher! Laßt sie nicht herein! Sie haben auch ihn in den Turm geworfen. Verjagt sie!

Handgemenge im Hintergrund.

Madame Legros: Verjagt sie! Tötet sie! Sie springt hinunter in das Gedränge. Macht Platz, wir marschieren gegen die Bastille! Der Unschuldige wird befreit! Mögen alle sterben, die Soldaten, die frechen Reiter dort auf dem Platz, die herzlosen Damen in ihren Sänften, die Mörder!

Die Menge: Nieder die Mörder! Zur Bastille!

Madame Legros: Der Turm wird Blut speien! Das Blut des Unschuldigen soll alle ersäufen! Sie ringt mit einem Soldaten.

Die Soldaten sind vorgedrungen, das Volk weicht und flüchtet.

Der Soldat: Dies ist die Megäre. Herr Leutnant, ich halte sie.

Der Offizier: Gib acht, es scheint, sie wird ohnmächtig. Nehmt die Gefangenen zwischen euch, und los, zur Wache!

Die Verwandte der Legros kommt aus einem Versteck hervor: Herr Legros! Da haben Sie es, was Madame Legros anrichtet. Ich habe schön gelacht.

Legros: Herr Offizier, ich bitte Sie um Verzeihung. Die arme Kranke hier ist meine Frau.

Der Offizier: Dann kommen auch Sie mit zur Wache!

Legros: Ich bin ein geachteter Bürger, mein Herr, der Besitzer des Ladens »Zur Eiche des Königs René«.

Der Offizier: Ein geachteter Bürger, dessen Frau die Menge zu Gewalttaten aufreizt? Das möchte ich sehen.

Vignon aus dem Gasthof gegenüber: Ich bezeuge es, Herr Leutnant. Sie kennen mein Haus, es ist der Gasthof »Zum weißen Pferd«. Madame Legros war immer eine der ernsthaftesten Geschäftsfrauen des Viertels. So sehr man entrüstet sein muß, das Geschehene ist unbegreiflich.

Frauen aus den Häusern: Unsere Nachbarin auf der Wache! Es wäre eine Schande für uns alle.

Legros: Wenn sie doch krank ist, mein Herr! Ich sage Ihnen, daß sie ein totes Kind hatte, es sind kaum vierzehn Tage. Ihr ist eine Schwäche im Kopf zurückgeblieben.

Fanchon: Haben Sie Mitleid mit ihr, mein Herr!

Der Offizier: Und die anderen Gefangenen? Ich kann nicht die eine begünstigen.

 

Siebente Szene

Die Vorigen. Chevalier.

Chevalier: Herr Leutnant, ich habe die Ehre, Sie zu begrüßen. Ich bin der Chevalier d'Angelot.

Der Offizier: Die Ehre ist bei mir, mein Herr. Ich heiße Ramon.

Frauen: Ein Herr vom Hof!

Vignon: Er ist ein Freund der Königin.

Chevalier: Die Frau Gräfin d'Orchat und einige Herren haben dort hinten vom Platz her den Auftritt mit angesehen, den diese Person veranlaßt hat. Die Frau Gräfin ist lebhaft interessiert. Auch der Herr Marquis von Launay war mit uns. Sie kennen ihn, Herr Ramon?

Der Offizier: Ich habe die Ehre, den Herrn Gouverneur der Bastille zu kennen. Alle diese Herrschaften und auch Ihre Person, Herr Chevalier, sind mir bekannt.

Chevalier: Dann werden Sie nicht zögern, meinem Ersuchen zu willfahren und die Frau sogleich in Freiheit zu setzen. Es liegen Staatsgründe vor, die sich ihrer Verhaftung widersetzen.

Der Offizier: Ich gehorche, mein Herr. Zu den Soldaten: Formiert euch! Marsch! Ab.

Die Gasse leert sich.

Legros: Wie soll ich Ihnen danken, mein Herr!

Chevalier: Indem Sie mir erlauben, meine Freunde in Ihr Haus zu führen. Die Frau Gräfin d'Orchat hat den Wunsch, Ihre Frau kennenzulernen.

Legros: Zuviel Ehre! Madame Legros, bedanke dich bei dem Herrn.

Chevalier führt Madame Legros bei der Hand in den Laden; halblaut: Muß ich Ihnen sagen, daß es vor allem mein eigener Wunsch war, Sie zu sehen, Madame?

Madame Legros erwacht aus ihrer Ermattung: Das Volk hat mich nicht verstanden, und es ist schwach. Nun leidet der Unschuldige noch immer.

Legros: Der Unschuldige! Ist sie nicht ein kleines Kind, das nach einem verbotenen Spielzeug jammert? ... Verzeihen Sie, mein Herr, ich sehe Kunden eintreten.

Chevalier: Man muß zugeben, Madame, daß Ihr Gatte Sie noch weniger versteht als das Volk. Und es ist doch nicht schwer.

Madame Legros: Nicht wahr, mein Herr?

Chevalier: Es genügt, Sie anzusehen. Die Revolte steht Ihnen gut zu Gesicht, Madame Legros.

 

Achte Szene

Die Vorigen. Comtesse. Abbé.

Abbé vor der Schwelle des Ladens: Mut, Madame!

Comtesse: Der Plan war doch kühn, in die Höhle des Ungeheuers einzudringen. Aber alles ist besser als die Langeweile.

Legros: Die Herrschaften wollen sich meine bescheidenen Dienste gefallen lassen?

Comtesse: Danke, mein Herr. Sie sind der Gatte der interessanten Frau?

Legros: Ich bin der Strumpfwirker Legros, der Dame zu dienen.

Abbé: Die Frau Gräfin erlaubt Ihnen, ihr einen Stuhl anzubieten.

Legros nimmt der Verwandten den Stuhl aus der Hand: Stelle das Essen zum Feuer.

Verwandte ab.

Abbé zu Madame Legros: Die Frau Gräfin und wir haben dem interessanten Schauspiel beigewohnt, Madame.

Legros: Ich spreche der Frau Gräfin und den Herren mein Bedauern aus.

Abbé: Bringen Sie vielmehr Ihren Dank dar. Die Frau Gräfin hat sich unterhalten.

Comtesse: Mehr als das: ich war hingerissen, entzückt. Endlich habe ich eine Revolte gesehen.

Madame Legros: Dann werden Sie den Unschuldigen zu befreien helfen, Madame! Ich wußte es!

Comtesse weicht zurück: Wie Sie darauf losgehen!

Abbé zu Madame Legros: Mäßigen Sie sich, Madame. Sie haben gesehen, wohin Gewaltsamkeiten führen.

Madame Legros: Es handelt sich um einen Unschuldigen!

Chevalier: Das sagen Sie.

Madame Legros: Niemand kennt seine Geschichte, nach dreiundvierzig Jahren!

Comtesse: Bitte! Ich weiß sie von Herrn de Launay selbst.

Chevalier: Der junge Latude hatte sich herausgenommen, eine Dame zu lieben, die zu mächtig war.

Abbé: Sein Beispiel warnt Sie, Chevalier.

Chevalier: Wovor? Ich bin kein Latude.

Abbé: Die Königin könnte einen machen aus Ihnen.

Chevalier: Sie Glücklichen schützt Ihr Kleid.

Abbé: Mein Kleid! Wissen Sie wohl, daß ich mein Brevier von meinem Lakaien beten lasse?

Comtesse: Trotzdem würde keiner von Ihnen der Dame, die er liebt, eine Höllenmaschine schicken, wie Latude es tat.

Abbé seufzt: Aus Liebe.

Chevalier: Und um die Dame erretten zu können aus einer Gefahr, in die er selbst sie versetzt hatte.

Comtesse: Die Marquise von Pompadour widerstand der Werbung. Sie setzte den Werber sogar in die Bastille.

Madame Legros: Sie hätten ihn nicht gestraft, Madame, weil er liebte!

Abbé seufzt: Wer sagt Ihnen das?

Madame Legros: Sie hätten nicht eine Jugend abgebrochen! Hätten nicht in einem Augenblick des Zornes verfügt über ein ganzes Leben!

Comtesse: Ich bin nicht grausam. Sie rühren mich, Madame. Zu den Herren: Zu denken, daß ich Furcht hatte. Sie hat nichts Schreckliches, sie ist sogar wohlerzogen.

Abbé: In den Zeiten des Aberglaubens würde man gleichwohl einen Teufel aus ihr vertrieben haben.

Madame Legros: Es ist wider die Natur und als ob Gott gestorben wäre!

Chevalier mit Ironie: Wir alle, Madame, sind wider die Natur.

Abbé: Und als ob Gott gestorben wäre.

Chevalier wie vorher: Sie vergessen, Madame, daß wir in einer alten Ordnung leben, mit Rechten, Vorrechten und mit Opfern.

Abbé: Sie vergißt alles.

Madame Legros: Ich denke an den Unschuldigen, und alle sollen an ihn denken!

Legros: Madame Legros, du fällst den Herren lästig. Danke ihnen für ihre gütigen Aufklärungen.

Abbé: Herr Legros, Sie haben eine merkwürdige Frau.

Chevalier wie vorher: Wenn wir auf einer noch jungfräulichen Erde am ersten Tage die Augen aufschlügen, dann vielleicht würden wir die Dinge so sehen, wie Madame Legros sie sieht.

Comtesse seufzt: Es wäre reizend ... Meine Herren, ich werde mich nie mehr langweilen. Wir haben einen Fund gemacht. Wir haben ein schönes Beispiel von Tugend gefunden. Chevalier, davon müssen Sie die Königin verständigen.

Abbé: Da Sie sich über die Tugend mit der Königin stets verständigen.

Comtesse: Madame Legros, ich verstehe Sie, denn ich bin empfindsam wie Sie. Sagen Sie mir alles! Sie kennen den Herrn Latude?

Madame Legros: Ich habe erst heute von ihm erfahren. Hätte ich sonst bis heute leben können?

Comtesse: Er schreibt Ihnen. Wo ist sein Brief?

Madame Legros: Er ist mir im Gedränge abhanden gekommen.

Comtesse: Sie sind eifersüchtig. Gleichviel, ich möchte Ihnen helfen. Sie gefallen mir. Ich begreife die Verirrungen, die aus Empfindsamkeit geschehen.

Madame Legros: Bedenken Sie, Madame, ein so langes Leben des Jammers! Die furchtbare Tiefe der feuchten Wände, aus denen er nach einem menschlichen Herzen geschmachtet hat!

Comtesse: Sie sind dies Herz! Sie müssen zu mir kommen, Madame Legros. Sie müssen einer empfindsamen Gesellschaft Ihre Angelegenheit vortragen! Versprechen Sie mir, daß Sie kommen!

Madame Legros: Ich fühle mich nicht würdig, Madame. Es wäre eine Aufgabe, die mir Furcht macht.

Comtesse: Ich bürge Ihnen für ein Ihrer würdiges Publikum und für einen Empfang, der Ihren Verdiensten entspricht.

Madame Legros: Was erwarten Sie von mir, Madame? Wenn Sie die Last von mir nehmen und den Unschuldigen befreien wollen: ich wünsche mir nur, in die Stille zurückzukehren.

Abbé: Im Gegenteil! Sie müssen sich zeigen, oder man wird aufhören, sich für Sie zu interessieren.

Comtesse: Sie müssen die Sitten der schönen Welt erlernen. Nichts erreicht man ohne Kunst und Galanterie. Herr Legros, predigen Sie Ihrer Frau Vernunft!

Legros: Die Frau Gräfin ist sehr gnädig gegen dich, Madame Legros.

Madame Legros: Ich war bereit, ins Gefängnis zu gehen für den Unschuldigen. Ja, ich wäre für ihn gestorben. Dies aber: ich kann nicht.

Comtesse führt das Lorgnon an die Augen: Man sehe mir diese kleine Wilde an ... Wird sie wenigstens geruhen, mir zu versprechen, daß sie keiner anderen Einladung folgen will, bevor sie bei mir war?

Legros: Verzeihen Frau Gräfin, wir sind einfache Leute ... Aber da Sie Madame Legros in Ihrem Hause zu sehen wünschen, will ich Sie bitten, daß Sie zuerst versuchen, was das unsere Ihnen bieten kann.

Comtesse: Ich bin nicht so stolz wie Madame Legros.

Legros: So werde ich es wagen, Ihnen einen Wein vorzusetzen, der mir von einem Vetter kommt. Einen Bauernwein; – denn die Bauern, Madame, sind unsere Vettern.

Comtesse zu den Herren: Die Einladung ist bezaubernd naiv.

Chevalier: Ich weiß nicht, ob sie so naiv gemeint ist, wie sie klingt.

Comtesse: Wir werden ein Bürgerheim sehen, meine Herren. Längst habe ich solch eine Idylle erträumt.

Comtesse, Abbé ab mit Legros.

Madame Legros folgt langsam.

Chevalier schließt vor ihr die Tür.

 

Neunte Szene

Madame Legros. Chevalier.

Chevalier: Madame, ich verspreche diskret zu sein, wenn Sie mir schon jetzt verraten wollen, wann Sie im Hause der Frau Gräfin d'Orchat zu finden sein werden.

Madame Legros: Ich habe nicht gesagt, daß ich hingehen werde, mein Herr.

Chevalier: Ich weiß: Sie sind zu klug, sogleich zuzusagen, aber Sie sind erst recht zu klug, nicht hinzugehen.

Madame Legros: Warum zweifeln Sie an meinen Worten?

Chevalier: Ich sehe Ihre Handlungen: sie sind nicht wählerisch – und werden es schwerlich sein.

Madame Legros: Es ist wahr: so Ungeheures ist geschehen, daß man wohl nicht wählen darf.

Chevalier: Sehen Sie.

Madame Legros: Andere vermögen mehr als ich. Sie, mein Herr, vermögen so viel mehr.

Chevalier: Sie haben nichts überhört. Ich soll die Königin interessieren für Sie?

Madame Legros: Für einen Unschuldigen! Mein Herr, ich flehe Sie an. Sie sind jung, wie sollten Sie nicht großherzig sein.

Chevalier: Madame Legros. Sie sind nicht glücklich.

Madame Legros: Ich war es immer. Jetzt bin ich es nicht mehr.

Chevalier: Ich begreife, daß in der Enge hier der Ehrgeiz einer solchen Frau nicht lange seine Nahrung findet. Und man haßt, was unerreichbar scheint.

Madame Legros: Ich hasse niemand; ich liebe nur den Unschuldigen.

Chevalier: Sie sind bewundernswert, Madame Legros. Ich halte Sie fähig, Ihren Haß zu verleugnen, vor sich selbst sogar, um uns bei unserem Gewissen zu packen und wehrlos zu machen durch unsere eigene Tugend. Ihre Tränen sollen den Boden lockern, den Ihre Wut nicht sprengen konnte. Sie sind der geschickteste unserer Feinde. Ich wäre geneigt, Ihnen zu helfen. Ihren Aufstieg zu erleichtern, um Sie eines Tages, entlarvt vor aller Welt, zu besiegen!

Madame Legros: Sie würden nur die Unschuld besiegen.

Chevalier: Sagte ich besiegen? Das meine ich nicht. Sie am Werk sehen. Sie heraufwachsen sehen, wie die Gefahr, die ich liebe, wie die Leidenschaft, die in mir selbst ist. Ich gehe durch diese Stadt, die nach noch unvergossenem Blut riecht. Ich sauge den Dampf der Begierden ein und das Gift der Geister. Gerechtigkeit, Vernunft und Tugend: ich glaube nicht an sie und trage sie dennoch, ich, den sie niederwerfen sollen, im eigenen Herzen! Täglich züngelt eine Revolte auf: ich genieße den feindlichen Augenblick, in dem ich atme. Denke, wie ich jung und verloren in diesen Augenblick hineingeboren bin, worin alles, und sogar ich selbst, auf meinen Untergang drängt, – und will in keinem andern leben. Ich liebe meine Zeit, dies Fest des Hasses. Nie wußte ich es so gut wie heute, in der Gasse hier, als eine Frau nach Blut schrie. War es nicht meins, wonach sie schrie? Sie soll es haben! Du bist wild und gefährlich: ich liebe dich, und ich will dich! Packt sie an.

Madame Legros ringt sich los: Rühren Sie mich nicht an! Wer darf mich anrühren, solange der Unschuldige im Turm sitzt! ... Ruhiger: Sie verdienen Mitleid, mein Herr. Es ist wohl sehr schwer, das Gute zu glauben und zu wollen, wenn man so klug ist wie Sie. Tun Sie es dennoch! Aus Ihrer Sprache höre ich, daß Ihr Herz sich danach sehnt.

Chevalier: Heuchlerin!

Madame Legros: Sie irren. Ich bin nur demütig. Helfen Sie mir.

Chevalier: Sie bezwingen sich, denn Sie denken an die Königin.

Madame Legros: Sagen Sie es ihr, mein Herr, daß ein Unschuldiger leidet!

Chevalier: Und daß Madame Legros seine Retterin ist.

Madame Legros: Nicht meinetwegen: – sagen Sie es um der Königin selbst willen. Nehmen Sie ihr die furchtbare Last ab, daß in ihrer Nähe ein Unschuldiger leidet.

Chevalier: Es ist nicht leicht, Sie zu überführen. Wenn ich nun für das, was Sie wollen, meinen Preis stellte?

Madame Legros senkt den Kopf.

Chevalier: Den Preis müssen Sie zahlen, und eines Tages werden Sie es tun. Ihr Haß wird solange anwachsen, bis Sie mir Ihre Liebe versprechen werden.

Madame Legros sieht ihn an: So verspreche ich sie Ihnen denn gleich jetzt.

Chevalier: Ist das Ernst?

Madame Legros: Helfen Sie mir, und ich gehöre Ihnen, – wenn Sie dann noch wollen werden ... Denn bis dahin werden Sie erkannt haben, daß ich, auch in den Armen eines anderen, nur dem Unschuldigen gehören würde.

 

Zehnte Szene

Die Vorigen. Comtesse. Abbé. Legros. Die Verwandte.

Comtesse: Ich habe ein Bürgerheim gesehen! Die Leute schlafen in richtigen Betten!

Abbé: Die Strohsäcke verschwinden und mit ihnen, gottlob, die Religion.

Comtesse: Und am Feuer haben sie einen Kalbsbraten! Leute, die einen Kalbsbraten am Feuer haben, wozu machen die noch Revolten?

Abbé: Aus Philosophie, Madame: so wie Sie Schäferin spielen, obwohl Sie Trüffeln essen.

Chevalier zu Madame Legros: Wir aber machen aus der Revolte ein Schäferstündchen.

Comtesse zum Chevalier: Sie haben ihr zugeredet?

Chevalier: Madame Legros sieht ein, daß der Triumph der Unschuld einige Zugeständnisse wert ist.

Comtesse: Jetzt eile ich, um unsere kuriose Entdeckung überall anzukünden. Alles bei Ihnen, liebe Legros, hat mich interessiert: Ihr Unschuldiger –

Abbé: Ihr Kalbsbraten.

Comtesse: Alles.

Legros: Die Frau Gräfin verzeihe, daß es nicht noch mehr ist. Der Ehre solches Besuches waren wir nicht gewärtig.

Comtesse: Adieu. Zum Chevalier: War nun das so gemeint, wie er es sagte? Ab.

Chevalier, Abbé ab.

 

Elfte Szene

Madame Legros. Legros. Die Verwandte.

Verwandte: Wie liebenswürdig! So betragen sich doch nur die Herrschaften vom Hof!

Legros: Es sind Liebenswürdigkeiten, auf die man gern noch eine draufsetzte! Schlägt mit der Faust auf den Tisch.

Verwandte: Man sieht, Herr Legros, daß Sie niemals hinter den Kulissen der Oper waren.

Legros: Trag lieber die Suppe auf den Tisch!

Verwandte: Man wird doch die schöne Welt bewundern dürfen. Ab.

Legros: Was denkst du, Madame Legros?

Madame Legros: Es ist gut, daß sie da waren; ich habe viel gelernt.

Legros: Du hast gesehen, daß du dich nicht weiter bemühen darfst; bei den Vornehmen noch weniger als beim Volk.

Madame Legros: Es ist wohl wahr: auch sie haben mich nicht verstanden. Sie haben nicht verstanden, was geschehen ist.

Legros: Du hättest deinem Mann glauben sollen.

Madame Legros: Wir alle tragen eine so große Schuld: sie aber sinnen nur, welches Vergnügen sie aus ihr gewinnen können.

Legros: Du hast dich genug gequält: komm essen!

Madame Legros: Dazu hab ich nicht Zeit. Werde ich je wieder Zeit haben? Begreife doch, lieber Mann: ich habe nun erfahren, wieviel zu tun und wie weit der Weg ist. Zu allen muß ich nun gehen, durch die Stadt, so groß sie ist, und noch weiter, – muß ihnen erklären, worauf es ankommt, muß ihre Köpfe, alle voll unnützer Dinge, die ihnen wichtig erscheinen, rein und hell machen mit meinen Worten, bis sie es wissen, worauf es ankommt: bis sie es wissen!

Legros: Sie hält sich kaum aufrecht! Du sprichst von einem weiten Weg? Nicht drei Schritte kannst du gehen. Ich lasse dich nicht fort!

Madame Legros auf der Schwelle: Du wirst mich lassen, denn du siehst wohl, daß es mir auferlegt ist. Ich bin nicht schwach. Ich weiß trotz allem, daß die Menschen sich sehnen nach dem Unschuldigen! Alle haben dasselbe Herz, und ich brauche nur ihre Laster und ihren Hohn davon wegzuziehen wie einen Vorhang, dann werden sie ihn erkennen, den Unschuldigen, und in ihm sich selbst! Ab.

Vorhang.

Zweiter Akt

Garten der Comtesse d'Orchat. Hohe Bosketts. Davor ein Tisch mit Sesseln. Ein Gittertor mit vergoldeten Lanzen und Wappenschildern schließt hinten den Garten. Draußen eine Wiese und Volk, das während bestimmter Szenen durch das Gitter späht, die Hände um die Gitterstäbe. Ein großer goldstrotzender Türhüter ist immer beschäftigt, die Leute zu verjagen.

 

Erste Szene

Marquise im Rollstuhl, vor einem Boskett. Ein Lakai hinter ihr. Comtesse sitzt am Tisch. Abbé, Baron stehen. Zwei Lakaien servieren Limonade.

Comtesse zum Baron: Nur ein Glas Limonade, mein Lieber, eine Minute Schatten, und ich gebe Ihnen Revanche ... Madame de Sarclé, einen Ballspieler wie Herrn de Clairvaux gibt es nicht wieder. Freilich, mit ernsten Dingen darf man ihn nicht bemühen. Die Angelegenheit dieses Unschuldigen läßt ihn durchaus gleichgültig. Dafür ist mein kleiner d'Angelot zu brauchen. Er hat mir Eintritt in die Bastille verschafft, zu dem Unschuldigen.

Abbé: Madame d'Orchat ist die erste und einzige Dame in Paris, die ihn gesehen hat.

Marquise: Und was haben Sie gesehen?

Comtesse: Es roch bei dem Unschuldigen wie in einem Kaninchenstall.

Marquise: Da Sie zuweilen auch Schäferin sind, ist dieser Geruch Ihnen nicht unbekannt.

Abbé: Madame d'Orchat hat mit bewundernswerter Beredsamkeit dem Unschuldigen ihre schönen Empfindungen gezeigt.

Baron: Was ein Unschuldiger nicht alles zu sehen bekommt! Man möchte ihn beneiden ... Und wie sah er aus?

Comtesse: Fragen Sie nicht danach!

Baron: Was sagte er?

Abbé: Sie verstehen, Clairvaux, er empfängt nicht alle Tage Gräfinnen.

Comtesse: Man müßte ihn herrichten, man müßte ihn zähmen. Es wäre ein Traum, ihn hier einer Gesellschaft vorzuführen. Bedenken Sie, ein Unschuldiger.

Abbé: Es wäre ein Triumph.

Comtesse: Herr de Launay, der Gouverneur der Bastille, ist nicht galant. Er will ihn mir nicht leihen.

Marquise: So unschuldig ist niemand, daß man ihn dafür feiern müßte.

Abbé: Und die dreiundvierzig Jahre des Leidens, Marquise?

Marquise: Die gehören Gott. Sie haben nicht das Recht, daran zu rühren.

Comtesse: Sie sind streng, Madame, – und wenn ich es sagen darf, Sie verstehen nicht mehr alles, was wir fühlen.

Marquise: Zu meiner Zeit verstanden wir, daß das Leiden eine Gnade ist, die uns zu Auserwählten macht.

Comtesse: Man soll es lindern! Man soll es abschaffen! Sie sprechen nach der alten Mode, Madame.

Abbé leise: Man würde nicht glauben, daß auch sie einmal sich ganz gut amüsiert hat.

Marquise: Ich bin alt, aber das hat den Vorzug, daß ich gerade so lange gelebt habe wie der, den Sie den Unschuldigen nennen, und daher ihn kenne, besser, glauben Sie mir, als Sie, die Sie ihn gesehen haben.

Abbé wie vorher: Sie verliert den Zusammenhang.

Baron: Wenn wir Ball spielen gingen?

Comtesse: Madame, die Herren zwingen mich, weiterzuspielen.

Marquise: Lassen Sie mich ruhig allein.

Comtesse: Aber man soll mich rufen, – zu den Lakaien – sobald Madame Legros kommt. Zur Marquise: Das ist die Frau aus dem Volk, der der Unschuldige geschrieben hat. Sie geht umher und spricht von nichts anderem.

Abbé: Wer nicht zufrieden ist, ist ihr Mann.

Baron: Ich wäre es auch nicht.

Comtesse: Sie ist sehr rührend. Sie spricht Unbekannte auf der Straße an, um Sympathien für den Unschuldigen anzuwerben. Sie wartet unermüdlich in Vorzimmern. Hat sie nicht neulich den Wagen des Prinzen von Conti angehalten?

Baron: Das tun auch die Opernmädchen, und wahrscheinlich mit mehr Erfolg.

Comtesse: Hier wird sie Erfolg haben! Eine Sensation! Der Chevalier d'Angelot wird sie uns herbringen. Den Unschuldigen kann ich nicht haben. Aber ich habe Madame Legros.

Abbé: Seine Prophetin.

Marquise: Auch wir ließen uns Komödianten kommen.

Abbé leise: Nicht sehr liebenswürdig. Aber so waren die alten, frommen Zeiten.

Comtesse: Auf Wiedersehen, Madame. Meine Herren ...

Comtesse, Abbé, Baron links ab.

 

Zweite Szene

Marquise. Dann Madame Legros. Chevalier.

Marquise: Baptiste, lege mir das Kissen zurecht. Schiebe mich tiefer in das Boskett. Zu meiner Zeit richtete man seinen Garten nicht so ein, daß man dem Volk ein Schauspiel bot.

Madame Legros: Ich bin müde. Ich habe zu so vielen Menschen gesprochen, daß ich keine Gesichter mehr sehe und meine Stimme kaum höre. Sobald sie den Türhüter sieht: Mein Herr, ich komme nicht aus nichtigen Gründen. Es handelt sich um ein ungeheures Unrecht.

Chevalier: Madame, ich bitte Sie, Sie verlieren Ihre Zeit.

Der Türhüter: Madame ... Herr Chevalier, die Frau Gräfin erscheint sofort.

Madame Legros: Jeder Mensch muß es erfahren. Denn jeder Mensch ist mitschuldig, daß es geschehen konnte. Ein Unschuldiger, mein Herr, der dreiundvierzig Jahre im Kerker verbringt!

Der Türhüter: Ich höre mit Bedauern davon.

Madame Legros: Seine Qual in all der Zeit war so groß, daß wir uns schämen müssen, mein Herr, gelacht und geatmet zu haben.

Chevalier gibt dem Türhüter ein Trinkgeld.

Der Türhüter: Ich schäme mich, Madame.

Madame Legros auf die beiden Lakaien zu: Und Sie, meine Herren, Sie werden sich nicht weigern, ein Unrecht gutzumachen, das Ihre Kinder Ihnen vorwerfen würden! Es handelt sich um etwas Ungeheures, das Verbrechen von Generationen, die Erbsünde ...

Ein Lakai: Madame, das ist für die Frau Gräfin bestimmt. Ich werde die Frau Gräfin rufen. Ab.

Madame Legros zu dem Chevalier: Aber Sie, mein Herr! Sie wenigstens können es nicht ertragen, daß ein so schmachvolles Leiden die Welt entehrt. Unter unsern Füßen hier, wenn wir uns regen, stöhnt ein lebendig Begrabener, dem wir wehe tun. Er ist immer mit uns, überall ...

Chevalier: Madame Legros, ich bin der Chevalier d'Angelot.

Madame Legros: Ach ja, ich vergaß ...

Chevalier: Sie vergaßen, daß auch ich das alles schon auswendig weiß. Seit Wochen höre ich Ihnen zu, wie Sie es hersagen, in den Salons und auf den öffentlichen Plätzen. Ich habe mich schon gefragt, ob Sie es nicht allmählich glauben: ja, ich selbst hätte Ihnen fast geglaubt.

Madame Legros: Hören Sie auf Ihr Herz! Helfen Sie mir!

Chevalier: Dann sage ich mir, daß Sie mit einer Ausdauer, die ich bewundern muß, Zwecke verfolgen, so weittragend, daß ich sie nur ahnen kann.

Madame Legros: Einen Unschuldigen zu retten!

Chevalier: Wo werden Sie enden? Sie wären, wenn wir einen anderen Monarchen hätten, geschaffen für eine jener Mätressen, die den Haß und die Gier des Volkes bis in das königliche Bett wälzen, zusammen mit ihrem hübschen Fleisch.

Madame Legros: Sie beschimpfen mich – und sich selbst.

Chevalier: Ich gebe Ihnen zu, daß Sie viel wagen. Bei Ihnen zu Hause geht es drunter und drüber. Geschäft und Ehe, Sie haben alles hinter sich gelassen.

Madame Legros: Mich verließ alles, seit ich erkannt habe, was das Wichtigste ist.

Chevalier: Und täglich kann eine der Aufruhrszenen, die Sie veranstalten, Sie an den Galgen bringen. Das ist viel für ein Wesen von so zarten Reizen.

Madame Legros: Ich fürchte nichts mehr!

Chevalier: Und natürlich auch nicht die Bedingung, unter der ich Ihr Verbündeter geworden bin.

Madame Legros: Nichts.

Chevalier: Wenn ich Sie ansehe: diese gefährliche Feindin mit dem rosigen Schimmer unter den gesenkten Wimpern – Engel und Henker –: ich weiß nicht, ob ich ihr die Knie küssen möchte oder den Profoß rufen!

Madame Legros: Sie werden noch erfahren, daß dieses geheimnisvolle Geschöpf nichts war, nichts, als die Stimme eines Unschuldigen.

Chevalier: Ihr Unschuldiger, bei meinem Glück, er soll aus dem Turm, – ob ich damit dem Himmel einen Gefallen tue oder der Hölle. Sie wissen noch nicht, was heute geschehen wird. Für die Person, die hierher kommen wird, müssen Sie Ihre ganze Kraft aufbieten.

Madame Legros: So mächtig ist sie?

Chevalier: Daß ich diese Person herbringe, ist so viel, als küßte ich Ihnen die Knie.

Madame Legros: Sie helfen zu einem Werk, mein Herr, das allen Menschen die verlorene Unschuld wiedergeben wird. Ja, der Unschuldige wird unter uns sein, und mit ihm der Himmel selbst!

Marquise: Auch wir ließen uns Schauspieler kommen.

Chevalier hin zu ihr: Madame, verzeihen Sie, ich bemerkte Sie nicht.

Marquise: Es stört Sie doch nicht, daß ich Ihnen zusah? Ich sah das so oft.

Chevalier: Schwerlich sahen Sie schon einmal eine Madame Legros. Links ab.

 

Dritte Szene

Madame Legros. Marquise.

Madame Legros: Madame, ich bin gekommen, Sie an einen Unschuldigen zu erinnern. Sie haben ihn vergessen, alle haben ihn vergessen, und doch ist die Bastille so groß, man sieht sie von überall.

Marquise: Früher bestimmten wir, was gespielt werden sollte.

Madame Legros: Madame ...

Marquise: Schweigen Sie, schamlose Komödiantin! Sie tragen Ihre Gefühle zur Schau, wie andre ihren entblößten Busen. Sie haben Ihre Seele abgerichtet und können die Stimme davon überfließen lassen, sobald ein Boskett nicht ganz leer ist, sondern eine alte Frau darin sitzt. Ein Unschuldiger und dreiundvierzig Jahre einsamer Qual: haben Sie es einmal empfunden? Um so schlimmer, denn nun haben Sie es mißbraucht, und es ist eine Rolle geworden, die Sie können.

Madame Legros bedeckt das Gesicht: Das ist furchtbar. Ich bin ganz leer, ganz schlecht. Man soll mich fortschaffen ... Einmal war ich doch erfüllt und wahr. Es war ein großer Augenblick, ich sah ihn, im offenen Himmel, er sprach mit mir, und ich teilte es allem Volk mit. Aber sie verstanden mich nicht. Wie wenige haben mich seitdem verstanden, und es sind doch Tausende, die es wissen müssen ... Aber auch ich kann nicht in jeder Stunde fühlen, was so ungeheuer ist; – und so heißt es denn schwindeln und schwatzen. Ich muß doch handeln, damit der Unschuldige gerettet wird. Und vom Handeln bin ich nun wohl schlecht geworden.

Marquise milder: Haben Sie denn bedacht, was das sagen will, einen Menschen retten? Der, den Sie den Unschuldigen nennen, ist alt geworden, ohne daß Sie von ihm wußten, und nun wollen Sie ihn retten.

Madame Legros: Nun weiß ich, wie schrecklich sein Leben war, und daß er es nicht verdient hat!

Marquise: Verdienen ist ein hochmütiges Wort. Sehen Sie mich an! Sie wissen von mir nicht mehr als von jenem. Wollen Sie sagen, daß ich es nicht verdient hätte, mein Leben hinter Mauern zu verbringen? Es hätte mir geschehen können, – denn eine von uns Zwillingsschwestern mußte ins Kloster, weil wir nicht reich genug waren für unseren großen Namen. Es traf nicht mich, es traf meine Schwester, die besser war als ich. Wenn ich jetzt zurückdenke, weiß ich warum: Gott wollte sie belohnen und bewahren.

Madame Legros: Haben Sie denn nicht geliebt?

Marquise: Lieben Sie Gott!

Madame Legros: Gott braucht mich nicht. Wen braucht er, er hat den Unschuldigen vergessen, wie alle andern ihn vergessen haben. Ich aber bin da, mein Herz schlägt: es schlägt so stark, daß Mauern davon stürzen sollen!

 

Vierte Szene

Die Vorigen. Comtesse. Chevalier. Abbé. Baron.

Comtesse: Die Herren ließen mich nicht früher los vom Ballspiel.

Abbé: Der Unschuldige wartet schon so lange.

Comtesse: Mit diesen Dingen scherzt man nicht.

Chevalier: Wenigstens nicht in Gegenwart einer Frau aus dem Volk.

Baron: Der Chevalier hat Furcht.

Chevalier: Nein, aber Respekt vor der Leidenschaft.

Comtesse umarmt und küßt Madame Legros: Liebe Legros, wir wollen Freundinnen sein. Ihr Unschuldiger gefällt mir zum Entzücken. Wäre nur der Gouverneur galanter –

Madame Legros: Ich verstehe Sie nicht, Madame.

Comtesse: Ich erwarte Gäste. Sie werden nett sein, nicht wahr? Sie werden allen Ihre Geschichte erzählen? ... Ich weiß, Sie tun alles aus wahrer Begeisterung für die Tugend. Und auch ich, als ich nun dem Unschuldigen gegenüberstand, ich mußte mir die Augen bedecken.

Abbé: Und die Nase zuhalten.

Madame Legros: Sie können ihn doch nicht gesehen haben. Der Turm ist unermeßlich dick, und der Unschuldige wartet nur auf mich.

Comtesse: Weiß er denn von Ihnen?

Madame Legros: Ich arbeite seit Wochen. Ich wühle, erschöpfe mich, ich lüge, ja, ich treibe ein Spiel ... Ach, was sage ich! Ich leide, leide. Ich bin nicht zu ihm gedrungen. Menschen sind davor, tausend und aber tausend Menschen, die ich alle gewinnen muß, alle rühren und besiegen muß, bis ich zu ihm dringen kann, der auf mich wartet ... Und Sie, sagen Sie, haben ihn gesehen. Will lachen.

Comtesse: So ist es. Sie vergessen, meine kleine Legros, daß es Unterschiede gibt. Ein Wort an den Gouverneur – und ich ward zu ihm geführt. Er fiel mir zu Füßen, er küßte sie mir. Es war schrecklich und reizend, wie seine Kette dabei rasselte. Und der Unschuldige schwor mir, daß er bis an sein Lebensende niemanden lieben und verehren werde als mich.

Madame Legros: Sie lügen!

Comtesse: Sie vergessen sich.

Madame Legros: Sie lügen und sind voll Tücke. Sie haben ihn nicht gesehen und wissen nicht, daß sein Gesicht glänzt wie die Sonne. Wenn Sie seine Stimme je gehört hätten, könnten Sie nicht mehr kleinlich und tückisch sein! Aber nur ich habe sie vernommen. Nur mich ruft er. Nur mich liebt er. Nur ich, verstehen Sie, nur ich habe ein Recht auf ihn!

Comtesse: Wie diese naive Eifersucht mich amüsiert!

Abbé: Man sollte es nicht zu weit kommen lassen mit solchen Leuten.

Bewegung im Volk, draußen am Gitter.

Madame Legros: Er ist mein! Ich habe alles für ihn hingegeben: Mann. Haus. Frieden. Er wärmt mich, er nährt mich, und das ganze Leben, ihr sogar, die ihr so schlecht seid, scheint mir wieder gut. wenn er mich ansieht. Hüten Sie sich, zu sagen, daß Sie bei ihm waren!

Comtesse: Es tut mir leid für Sie, meine Kleine, ich war bei ihm.

Madame Legros: Schmutzfetzen! Will auf sie los.

Chevalier: Abbé, Baron dazwischen.

Comtesse: Oh. liebe Freunde, was für eine Emotion!

Abbé: Sie waren tapfer, Madame. Jetzt aber sollte man die Frau entfernen.

Chevalier zur Comtesse: Es liegt etwas vor, ich muß Ihnen später etwas mitteilen.

Baron: Ich, der ich von solchen Staatssachen nichts verstehe, möchte wissen, wann man weiterspielt.

Chevalier: Staatssachen?

Abbé: Das ist sein Wort für alles, was nicht Ballspiel ist.

Marquise: Sie haben unrecht, Sylvaine! Auch ich hatte unrecht. Wir haben uns keine Schauspielerin eingeladen. Zu Madame Legros: Geben Sie mir Ihre Hand, Kind. Das bebt und drängt. So war die Hand meiner Schwester an dem Tage, als sie den Schleier nahm ... Sie irren sich, Kind. Sie lieben nicht einen Menschen, der leidet: Sie lieben Gott.

Madame Legros: Ich liebe den Menschen!

Marquise: Unsere stürmischen Herzen, Sylvaine, es scheint, ihr habt sie nicht geerbt; es scheint, sie sind auf das Volk übergegangen. Zu Madame Legros: Laß dich ansehen, meine Schwester.

Madame Legros kniet hin.

Comtesse: Was hat sie?

Abbé: Sie verliert schon wieder den Kopf.

Marquise: Ich möchte allein sein.

Comtesse: Im Hause würden Sie später unsere Gäste treffen.

Marquise: So lassen Sie mich in Ihre Kapelle fahren.

Comtesse geleitet die Marquise.

Chevalier, Abbé gehen hinterher.

Das Volk ab.

 

Fünfte Szene

Madame Legros. Baron.

Baron verläßt leise die anderen, kehrt zu Madame Legros zurück: Madame.

Madame Legros schrickt auf, erhebt sich: Mein Herr.

Baron ernst: Ich bin der fanatische Ballspieler, ebenso wie Sie die unermüdliche Menschenfreundin sind. Ist es Ihnen recht, so nehmen wir jetzt einmal beide die Maske ab.

Madame Legros: Ich habe keine abzunehmen, mein Herr.

Baron: Behalten Sie sie also auf. Es kommt einzig darauf an, daß Sie mich genau verstehen. Ich sage Ihnen zuerst etwas Freudiges. Sie werden hier der Königin begegnen ... Sie haben nicht verstanden.

Madame Legros: Es freut mich, mein Herr.

Baron: Sie erschrecken nicht?

Madame Legros: Früher wäre ich sehr erschrocken, mein Herr. Verzeihen Sie, daß eine Königin mich jetzt nicht mehr erschreckt.

Baron: Sie begreifen, welche Vorteile Sie aus diesem Zusammentreffen ziehen können.

Madame Legros: Ah! Der Chevalier. Das war es, was er vorhatte! Er ist gut, ich wußte es. Alle sind nur aus Irrtum böse.

Baron: Der Chevalier mag Gründe haben, Ihnen gefällig zu sein. Aber seine eigentliche Absicht, wenn er die Königin heute hierherbringt, liegt doch auf einem andern Gebiet. Er hat hier mit der Königin eine politische Zusammenkunft, die er anderswo nicht haben könnte, weil wir ihn überwachen.

Madame Legros: Wer sind Sie?

Baron: Der Beauftragte jemandes, der der Königin mißtraut.

Madame Legros: Aber sie kommt her! Sie will mich sehen! Sie wird mir helfen!

Baron: Sie werden wohl nie begreifen, daß die Welt sich nicht um Sie und Ihren Unschuldigen dreht. Auf diesem Rasen hier wird nichts anderes gesonnen und getrachtet, denken Sie. Es ist gerade so, als wollte ich mir einbilden, daß hier nur Ball gespielt wird.

Madame Legros: Machen Sie, daß es so ist! Ich mache, daß alle, in den Gassen, Palästen, Dachkammern und bis in die Gosse und bis zum Thron, nur das eine noch sehen, nur von dem einen noch beklommen sind, nur das eine noch wollen und ersehnen! Hindern Sie mich, wenn Sie können!

Baron: Ich habe kein Interesse, Sie zu hindern, wenn Sie mir in einer unbedeutenden Sache ein wenig entgegenkommen ... Oh, es ist nicht das, was der Chevalier von Ihnen verlangt ... Ich wünsche einen Namen zu wissen. Nichts weiter als einen Namen, der im Gespräch zwischen der Königin und dem Chevalier fallen wird.

Madame Legros: Wer sind Sie!

Baron: Nur ein Neugieriger. Zwischen der Königin und dem Chevalier wird ein Name fallen, der Name eines österreichischen Agenten, den die Königin noch nicht kennt, der in der Menge der distinguierten Fremden ankommen soll, und dem sie unauffällig sich zu nähern denkt. Wir wünschen es zu verhindern; – und von Ihnen, Madame Legros, die Sie allein zugegen sein werden, erwarten wir den Namen, um dessentwillen die Königin herkommt.

Madame Legros: Sie kommt doch, weil es sogar schon zu ihr gedrungen ist, daß ein Unschuldiger leidet! Mein Herr, auch Sie werden mir helfen. Sie sind wie der Chevalier und die andern. Jeder glaubt, er wolle nur seine Begierden stillen, und zuletzt merkt er, daß ihm einzig am Herzen liegt, das große Unrecht von sich abzuladen.

Baron: Sie verstehen, es einen glauben zu machen. Man muß zugeben, daß Sie kein Mittel verschmähen. Wer Ihnen zusieht, ist versucht zu glauben, daß Sie sich gut, allzugut auf die Laster und die Chimären der Menschen verstehen.

Madame Legros: Ich war noch nicht so, als meine große Aufgabe begann. Aber ich habe die Menschen seitdem ein wenig kennengelernt. Man kann ihre Schlechtigkeiten nicht abschaffen, man kann sie nur liebkosen, bis es Tugenden werden. Das Gute in ihnen schämt sich, man muß sie zur Zügellosigkeit der Güte verführen.

Baron: Madame Legros, Sie sind sehr gefährlich. Sie sind eine Kurtisane der Tugend.

Madame Legros: Ich weiß wohl, ich bin unwürdig, daß so Großes durch mich geschehe.

Comtesse und Chevalier kommen von links.

Chevalier spricht leise, legt den Finger auf die Lippen.

Comtesse erschrickt, verneigt sich unwillkürlich.

Baron: Jetzt sagt er es ihr. Sie sehen, wir haben keine Zeit zu verlieren. Zum Chevalier: Sie hatten recht, d'Angelot, die Person verdient Respekt. Sie ist nicht nur interessant, ich hoffe, sie ist sogar brauchbar.

Chevalier: Zum Ballspiel?

Comtesse und Chevalier ab.

Baron: Sie werden den Namen erlauschen, Madame Legros, und ihn mir sagen.

Madame Legros: Welchen Namen? Verlangen Sie doch, bitte, nicht, mein Herr, ich solle dem Chevalier schaden. Er ist so gut.

Baron: Machen wir es kurz! Man kommt. Ihr Unschuldiger ist verloren, wenn Sie mir nicht gehorchen. Ich bin überzeugt, daß Sie an der Königin alle Ihre Verführungskunst, alle Reize der Unschuld erproben werden. Aber es wird vergebens sein. Wir haben Wege, um auch die edelsten Wünsche der Königin unwirksam zu machen.

Madame Legros: Sie werden es nicht tun, mein Herr! Sie werden nicht ein Verbrechen verlängern! Was könnten Sie denn bezwecken, das wichtiger wäre als die Rettung eines Unschuldigen!

Baron: Keine Deklamationen! Sie werden mir den Namen sagen?

Madame Legros: Ich soll verraten! Ich soll den Chevalier verraten, der mir hilft, mein Werk zu tun und meiner großen Schuld ledig zu werden!

Baron: Er wird es nie erfahren; er ahnt nicht, wer ich bin. Ich werde den Namen bekommen?

Madame Legros: Ich kann nicht. Man wird sich an ihm rächen?

Baron: Ich will Ihnen nicht verhehlen, daß seine Freiheit gefährdet ist. Aber dafür haben Sie den Unschuldigen.

Madame Legros: Ich kann nicht.

Baron: Dann ist Ihre Sache verloren.

Madame Legros: Ich lüge schon. Ich spiele schon Komödie. Ich habe schon meinen Leib als Preis versprochen. Ich werde auch noch verraten.

Baron: Ihr Wort!

Madame Legros: Ja.

 

Sechste Szene

Die Vorigen. Comtesse. Chevalier. Abbé.

Comtesse: Niemand soll es sehen? Sie machen mich krank vor Ärger, Chevalier.

Chevalier: Ich bin untröstlich, aber es ist der Wille der Königin. Sie will unerkannt bleiben und nur mit Madame Legros reden. Ich werde zugegen sein. Ihre Gäste, Madame, müssen den Garten meiden.

Baron zur Comtesse: Diese Madame Legros ist von einer Weltfremdheit! Stellen Sie sich vor, daß sie allen Ernstes glaubt, hier seien nur schlechte und listige Menschen.

Chevalier zu Madame Legros: Die Person, die ich Ihnen ankündigte, wird sogleich erscheinen. Es ist eine Fremde, und dennoch hat sie großen Einfluß.

Madame Legros: Ich bin – stockt – zu allem bereit, um ihn für mich zu gewinnen.

Chevalier: Sie wird von niemandem hier begrüßt werden und wird verschwinden, ohne daß man ihr folgen darf. Sie dürfen niemals versuchen, sie wiederzuerkennen. Gehen Sie auf diese Bedingung ein?

Madame Legros: Auf alle.

Chevalier gibt leise dem Türhüter eine Weisung, zieht sich nach links zurück.

Madame Legros steht allein in der Mitte.

 

Siebente Szene

Madame Legros. Die Königin. Chevalier. Madame Crozet. Baron. Später Legros. Die Verwandte.

Königin, dunkler Seidenmantel mit Kapuze, tritt aus einem Boskett rasch auf. Madame Crozet bleibt vor dem Boskett stehen. Comtesse, Abbé, Baron machen tiefe Verbeugungen, verschwinden lautlos.

Königin mustert unzufrieden Madame Legros, sieht von ihr weg: Sind Sie da, Chevalier?

Chevalier tritt vor, verbeugt sich leicht: Madame, ich erwarte Ihre Befehle.

Königin: Die Person, in deren Interesse Sie mit mir gesprochen haben?

Chevalier: Hier steht sie, Madame.

Königin erhebt das Lorgnon: Wirklich, ich hätte sie sehen sollen, sie steht gerade in der Sonne. Madame Crozet, hat man mir vielleicht zeigen wollen, daß diese Person jung ist? Sie zieht ihre Kapuze tiefer herunter.

Chevalier leise zu Madame Legros: Schnell, treten Sie in den Schatten!

Volk sammelt sich an.

Königin: Übrigens hat sie die eingedrückte Nase, die bei dem gemeinen Volk hier üblich ist. Natürlich, auch mit solcher Nase ist man einmal jung. Zum Chevalier, leise: Sagen Sie mir zuerst die Hauptsache. Sie wissen den Namen?

Chevalier flüstert.

Baron erscheint hinter dem Boskett, gibt Madame Legros ein Zeichen.

Madame Legros lauscht, erschrickt, als der Chevalier den Namen nennt, und wirft ihn, um die Ecke des Bosketts, dem Baron zu.

Baron ab.

Königin ängstlich nach vorn: Man vertreibe doch das Volk dort draußen. Was will dieses Volk von mir! Auch die Person, die Sie mir zuführen, Chevalier, wird nur wieder irgendeine Unverschämtheit planen ... Sie sind ganz sicher, daß sie mich nicht kennt?

Chevalier: Durchaus sicher. Es ist eine naive Frau, die Sie, Madame, sehr rühren wird durch ihre vom Leben noch unbelehrte Tugend. Es ist, als begegne man einem Geschöpf aus den ersten Zeiten. Man sieht, wie die Menschen ursprünglich tugendhaft waren.

Königin: Das glaube auch ich. Erst eine lange geschichtliche Korruption hat sie fähig gemacht, geistig auszuschweifen und unsere Rechte zu leugnen. Zu Madame Legros: Ich bin eine Freundin der Tugend. Es heißt, daß auch Sie sie lieben. Daher bin ich gekommen.

Madame Legros steht mit gesenktem Kopf, schrickt auf: Madame, ich bin sehr schuldig, ich habe verraten.

Königin: Verraten?

Chevalier: Sie zeiht sich aller Verbrechen, weil nach ihrer Meinung ein Unschuldiger leidet, woran sie und wir alle Schuld haben sollen. Es ist sehr merkwürdig.

Madame Legros: Ja, wir müssen uns mit allen Verbrechen beladen, bis nicht der Turm gesprengt ist und die Unschuld unter uns zurückkehrt ... Madame, in diesem Lande geschieht Furchtbares.

Königin: In diesem Lande? Warum sagen Sie es mir?

Madame Legros: In der Welt, so weit sie ist. Aber die Bastille steht doch hier. Hier ist es geschehen, daß ein Unschuldiger dreiundvierzig Jahre lang ungehört seine Klagen ausstößt. Solch ein dicker Turm steht hier, Madame!

Königin zum Chevalier: Weiter ist es nichts? Nur wieder die gewohnten aufrührerischen Beschwerden über die sogenannte Willkür der Bastille. Läßt sich denn ohne Bastille regieren? Man verlange doch gleich das Ende der Welt! ... Dies also ist das Vergnügen, das Sie mir versprachen, Chevalier?

Chevalier: Ich bin in Verzweiflung, Madame, daß Sie es so schlecht treffen. Die Person benimmt sich ungeschickt. Sie war sonst amüsanter. Möglich, daß ihr Talent schon nachläßt. Auch hat man sie hier verstimmt, denn der Frau Gräfin d'Orchat hat es gefallen, ein vielleicht zu lebhaftes Interesse für den Unschuldigen zu zeigen. Man begreift es, er hat die Mode für sich.

Königin: Man soll nicht sagen, daß ich die Mode nicht verstehe! Zu Madame Legros: Sie heißen also Madame –

Chevalier flüstert der Königin ein: Legros.

Königin: Legros, und bemühen sich im Interesse des Gefangenen –

Chevalier wie vorher: Latude.

Königin: Latude. Er scheint ein gefährlicher Mensch zu sein, Sie tun da etwas Verbotenes. Aber Ihre Empfindsamkeit teile ich, wie alle andern sie teilen. Madame Crozet, mein Schnupftuch! Sie führt es an die Augen. Es rührt mich sehr, daß es Personen gibt, denen es nicht gut geht, – obwohl, wenn sie ihre Pflicht getan hätten –

Madame Legros: Madame, solcher Tränen habe ich nun allzu viele gesehen. Nasse Augen, trocknes Herz.

Chevalier leise zu Madame Legros: Was fällt Ihnen ein!

Madame Legros: Lassen Sie mich! Man hat mich eingeladen, um Leute, die sich langweilen, zum Weinen zu bringen. Ich habe es endlich satt, das große Leid unter so kleine Herzen zu tragen. Dieses da schien mir anders. Als diese Dame eintrat, fühlte ich, nun trete eine große Hoheit und Güte ein. Neue Hoffnung erwachte in mir. Ach, sie war trügerisch. Gehen Sie nur, Madame. Ihnen kann der Unschuldige nicht helfen, und Sie ihm nicht.

Chevalier leise: Das ist erstaunlich! Sie hat die Gegenwart der Majestät gefühlt!

Königin: Was finden Sie daran erstaunlich? Das Gegenteil wäre es. Im übrigen spricht sie dreist – viel zu dreist.

Chevalier: So meinte ich es. Ich bin trostlos, Madame, Ihnen zu mißfallen. Zieht sich zurück. Im Vorübergehen leise zu Madame Legros: Hüten Sie sich!

Madame Legros ausbrechend: Ich habe mich genug gehütet. Man soll endlich die Wahrheit hören! Wie sehr habe ich den Menschen geschmeichelt, damit die Pflicht des Herzens ihnen zum Vergnügen werde. Ich habe Marktweibern Gefühle beigebracht wie Heiligen. In Häuser drang ich ein und würzte den Bürgersleuten ihre Verdauung mit schönen Empfindungen. Und Karossen bestieg ich, in denen bunte Damen mich mitnahmen, um seufzen zu können, da sie schon ein Äffchen mithatten, um zu lachen! Wie ich mich geschämt habe, vor ihm, dem Unschuldigen, der aus seinem Kerker mir nachsah! Wie ich euch gehaßt habe: in euren Palästen die Konzerte, bei denen zuerst leichtfertige Sänger auftraten, und dann ich! Gehaßt – euer Girren und Tändeln, eure Liebenswürdigkeit ohne Liebe, euer untätiges Wohlwollen, eure Schönheit und euren Glanz, die nicht wissen, wie arm und nüchtern sie wären, wenn unter euch der Unschuldige, einmal nur der Unschuldige träte!

Königin: Ah! Sie geben es zu ... Sie gibt es zu, Chevalier, daß sie uns haßt! Das war es, was ich voraussah. Dieses Volk ist treulos und aufrührerisch, ich hasse es auch! Ich habe es gleich gehaßt!

Madame Legros: Aber ich habe euch verführt, habe euch dahin gebracht, das Gute zu wollen, es herbeizuseufzen. Die Ketten, die ihr geschmiedet habt, – ihr haltet euch nun die Ohren zu, wenn sie klirren. Ihr selbst drängt euch nun gegen den Turm, bis er birst ... Ja: ich habe mich hindurchgebohrt, hinaufgewühlt bis zu euch, bis zu den größten Herren, bis unter den Thron. Ich war in Versailles.

Königin: Sie waren in Versailles?

Madame Legros: Ich hatte alle Schranken eurer Gesellschaft überwunden, alle Mauern eurer Herzen. Wie nun die Königin vorüberfuhr –

Königin: Sie haben sie gesehen?

Madame Legros: Ich habe nichts von ihr empfangen als den Schmutz ihrer Räder, die sie von einem nichtigen Vergnügen zum andern trugen. Aber wie sie nun vorüberfuhr – ich hatte so viel auf mich genommen, so sehr mich abgemattet: – ah! ich würde sie herausgerissen und zu ihr gesprochen haben, wie dreiundvierzig Jahre schuldlosen Leidens sprechen. Tritt drohend vor.

Königin schreit: Chevalier! Ihr Mantel gleitet herab, sie steht in einem sehr bunten Kostüm da.

Chevalier springt herzu, packt Madame Legros an.

Madame Legros sinkt zusammen: Aber man riß mich zurück, ich fiel hin, eine Ohnmacht kam mich an.

Königin: Sie waren ohnmächtig, – und die Königin lachte wohl? Sie lacht. Chevalier, geben Sie sie frei. Sie soll weitersprechen. Diese Kleine interessiert mich, sie hat mir Herzklopfen gemacht. Prüft Madame Legros durch das Lorgnon. Sie soll mir sagen, wie sie zu alledem kam. Was geht dieser Unschuldige sie an? Woher der unverschämte Eifer für eine Staatsangelegenheit, die die Untertanen nicht zu kümmern hat?

Legros, die Verwandte erscheinen im Volk, draußen am Gitter.

Madame Legros wankend, berührt ihre Stirn: Was war's? Ein Brief fiel vom Turm. Ich habe sehr geliebt, Madame. Der ihn schrieb, ist so schön. Auch Sie würden ihn lieben. Alle, alle Menschen sind doch der Liebe fähig. Ich habe mich nicht in ihnen geirrt. Aufgerichtet: Alle zusammen haben ein Herz, ein großes, heißes Herz. Meins ist nur ein Teil davon, – und doch hat nun die Liebe zu dem Unschuldigen es so mächtig gemacht. Machtvoll: Liebt ihn, ihr Menschen, ihr werdet unbesiegbar sein!

Königin tänzelt vor Madame Legros umher: Jetzt langweilt sie mich. Zum Chevalier: Kann sie sonst nichts? Ich denke mir übrigens das meine über ihre Beziehungen zu dem Herrn Unschuldigen. Sie lacht und flüstert mit dem Chevalier.

Legros: Ich mache ein Ende!

Verwandte: Das sind hohe Herrschaften.

Legros: Und ich bin ihr Mann! Soll es mich denn nicht erbarmen, wie diese Leute sie zurichten? Kein gutes Wort mehr im Hause, und die Nächte verbringt sie auf einem Stuhl.

Verwandte: Die Dirne aller Herren vom Adel, die sie haben wollen! Der Spott und Abscheu des ganzen Stadtviertels! Und mit dem ekelhaften Unschuldigen, der in seinem Kot liegt, hat sie eine unnatürliche Liebe. Alle wissen es, auch Colas, der Soldat in der Bastille ist, und den ich heiraten werde, wenn Sie die Person zurückholen.

Legros: Es ist zuviel! Ich schaffe Ordnung! Will durch das Tor.

Der Torhüter: Niemand tritt ein!

Legros: Mach keine Geschichten! Die da ist meine Frau.

Er wirft den Türhüter beiseite. Volk sammelt sich an.

Königin: Was gibt es? Das Volk!

Chevalier zu Legros: Was suchen Sie hier?

Legros: Etwas, das Ihnen nicht gehört! Ich will meine Frau haben! Es ist mein Recht! Packt Madame Legros an. Hure! Schier dich nach Haus!

Chevalier befreit Madame Legros: Ich bitte mir Achtung aus vor den anwesenden Damen! Zur Königin: Fürchten Sie nichts, Madame. Es ist nur ihr Mann. Sie begreifen, daß die Ehe ein wenig gestört ist.

Königin: Das ist amüsant. Was wird er tun?

Legros entblößt den Kopf: Mit Verlaub. Ich war immer ein höflicher Mann, man soll nicht sagen, ich verkenne meine Pflicht gegen die Damen. Diese hier aber ist meine Frau, und sie benimmt sich, ich darf nicht sagen, wie. Zu Madame Legros: Schämst du dich nicht, Madame Legros? Die Leute reden von dir, und auf mich zeigen sie mit Fingern. Du vernachlässigst das Geschäft und das Haus. Hast du dich über deinen Mann zu beklagen? Warum läufst du mir also davon?

Chevalier zeigt auf die Verwandte: Sie, Herr Legros, haben sich getröstet. Meinen Glückwunsch, Sie haben Geschmack.

Verwandte ist eingetreten: Mir kann niemand etwas Schlechtes nachsagen.

Königin: Eine hübsche Familie! So dachte ich mir das Volk.

Legros: Wenn auch ich gefehlt habe, so geht das nur uns an, mich und Madame Legros: aber nicht die Herrschaften, denn sie haben meine Frau verrückt gemacht, um ihren Spaß an ihr zu haben. Es gibt Leute, die sagen, daß man einmal abrechnen wird! Ein Bürger von Paris läßt sich nicht auslachen von einer lächerlichen, aufgezäumten Alten, wie die da!

Chevalier zieht den Degen: Hinaus mit dir!

Legros: Und noch weniger von dem frechen Schlingel, den sie sich aushält! Schlägt ihm den Degen aus der Hand.

Das Volk hinter dem Tor lärmt, will den Türhüter fortdrängen.

Madame Crozet: Flüchten Sie, Madame!

Königin tritt vor: Tölpel, auf die Knie! Siehst du nicht, wer ich bin!

Legros erschrickt, fällt nieder: Ich bin verloren!

Stimmen im Volk: Es ist die Königin! Nieder mit ihr!

Soldaten vertreiben das Volk.

Königin: Steh auf, ich will kein Aufsehen!

Legros: Madame, wenn Eure Majestät die Bedrängnis eines armen Mannes kennten ... Meine Frau macht mir Kummer, und man kann kaum leben. Die Abgaben verteuern die Waren so sehr, daß niemand sie kauft. Die Zeiten sind schwer.

Königin: Nur das Volk von Paris ist gierig und aufrührerisch. Warum lebt ihr nicht auf dem Lande? Alle Schäfer sind sorglos und zufrieden.

Chevalier: Ihre Majestät entläßt euch.

Legros, Verwandte beugen die Knie. Ab.

Chevalier: Wenn Eure Majestät die Gelegenheit benützten und unter dem Schutz der Soldaten den Platz verließen?

Königin: Noch nicht. Erst jetzt wird eure Heldin interessant. Die Heldin, von der ihr alle mir in den Ohren liegt: jetzt stellen sich höchst pikante Sitten bei ihr heraus.

Chevalier: Suchen wir wenigstens das Boskett auf.

Madame Crozet zieht sich zurück.

Königin: Ja, hier ist es heimlicher, hier soll die Heldin mir über ihren Unschuldigen einiges verraten, das ich ahne. Flüstert, kichert.

Chevalier: Madame Legros.

Madame Legros abgewandt und starr, schrickt auf.

Chevalier: Sie waren abwesend? Haben Sie bemerkt, was vorging? Es war Lärm genug.

Madame Legros: Ich bin betroffen über die hohe Ehre, mich in Gegenwart der Königin von Frankreich zu befinden. Verneigt sich. Madame, ein großes Unrecht ist geschehen, und Ihr ganzes Land seufzt darunter. Sie können alle Ihre Untertanen glücklich machen –

Königin: Ich möchte vor allem mich selbst amüsieren. Verdenken Sie mir das?

Chevalier nicht ohne Ironie: Ihre Untertanen lieben Sie dafür.

Madame Legros: Madame, ein Unschuldiger –

Königin: Das meine ich eben. Treten Sie ruhig näher. Kleine. Sagen Sie mir ganz aufrichtig, was es mit ihm ist. In diesem Fall wäre ich geneigt, Ihnen zu helfen. Sie wissen, daß ich es kann ... Nun? Ihrer Königin dürfen Sie vertrauen. Bitte, bitte.

Chevalier: Können Sie die Königin bitten hören, Madame Legros?

Madame Legros: Ich weiß nicht, was die Königin will. Ein Brief fiel vom Turm –

Königin: Und gab Ihnen ein Stelldichein.

Madame Legros zurückfahrend: Sie können glauben? Das sagen die Unwürdigsten.

Königin: Ich bin darauf gekommen, ohne daß jemand es mir gesagt hat!

Madame Legros: Das sagen die Neidischen, die schmutzigen Seelen! Die Gosse sagt es!

Königin: Gestehen Sie! Wie sind Sie in die Bastille gelangt? Sie mußten einem Wächter Ihre Gunst schenken, nicht wahr? Oder waren es mehrere? ... Viele?

Madame Legros beugt sich, stöhnt.

Königin reicht ihre Hand rückwärts dem Chevalier: Sehen Sie? Es ist, wie ich annahm.

Chevalier: Um so schlimmer für den guten Mann, der sich vorhin herausnahm, mich zu entwaffnen.

Königin: Und wie war es bei dem Gefangenen? Sehr grausig? Man hört von seltsamen Vergnügungen. Die Comtesse d'Argilles hat eine Nacht im Grabgewölbe ihres Hauses verbracht, man sagt, mit einer Leiche.

Chevalier aufgerichtet: Wir kennen alles bis zum Überdruß, nur den Tod nicht. Er allein hat noch Reize.

Madame Legros: Ich habe ihn geliebt! Versprechen Sie mir seine Freiheit, und ich sage alles.

Königin: Ich verspreche.

Madame Legros: Ich habe das Wort der Königin.

Chevalier über die Königin geneigt: Sie sind zu beneiden.

Königin: Nun? War es wie im Grab? War er brutal?

Madame Legros: Er nahm mich wie eine Sterbende. Ich fühlte, daß er mager war wie der Tod. Ich roch Verwesung, da wir uns küßten, und das war süßer als aller Blumenduft hier oben. Die Blumen lügen, hier oben ist nur Qual und Gemeinheit. Ich will wieder hinab zu ihm. Tot sein! Tot sein! Sie taumelt, drückt den Kopf in die Arme und schluchzt.

Königin streckt sich, vergeht.

Chevalier küßt sie auf den Mund.

Pause.

Königin seufzt, steht auf.

Chevalier zu Madame Legros: Das nenne ich den Profoß rufen.

Madame Legros richtet sich auf, sieht die Königin an.

Königin schlägt die Augen nieder.

Chevalier: Eure Majestät befiehlt, daß Ihr Wagen vorfahre?

Königin: Ich gehe schon. Konventionell: Sie haben recht getan, Chevalier, mir diese Person vorzustellen, sie verdient Interesse. Zu Madame Legros: Sie haben mir gefallen, Sie dürfen sich eine Gnade ausbitten.

Madame Legros: Eure Majestät haben versprochen, den Unschuldigen aus der Bastille zu entlassen.

Königin: Ach ja, ich vergaß ... Aber Sie selbst, was wünschen Sie sich?

Madame Legros sieht sich um, hebt die Schultern: Hier?

Chevalier: Die Königin will sagen, bei Hofe. Eine Pension, ein Amt für Ihren Gatten.

Königin: Ich warte.

Madame Legros: Ich habe keinen Wunsch mehr.

Chevalier: Das ist nicht möglich!

Königin: Sie sind ungezogen!

Chevalier: Sie ist noch nicht wieder bei sich. Ich will nicht glauben, daß sie weiß, was sie spricht!

Königin: Dann wäre es Tugend? Das ist sehr rührend. Madame Crozet!

Chevalier: Es wäre zuviel. Es wäre peinlich, daran zu glauben.

Madame Crozet reicht der Königin das Schnupftuch.

Königin: Man soll nicht sagen, die Königin von Frankreich verstehe die Tugend nicht zu belohnen. Wir befehlen, jenem Gefangenen ist der Rest seiner Strafe zu erlassen. Er soll zusammen mit der Person, die sich für ihn so sehr interessiert hat, unserer Akademie vorgeführt werden. Die Akademie soll dieser Person den Tugendpreis erteilen, so befehlen wir. Sie geht. – Wendet sich nochmals um. Hastig: Aber man soll nicht sagen, wofür! Chevalier, ich verbiete dem Redner der Akademie zu sagen, wofür! Ab.

Chevalier, Madame Crozet ab.

 

Achte Szene

Madame Legros. Comtesse. Abbé. Baron. Dann Chevalier.

Comtesse, Abbé, Baron von links, verbeugen sich hinter dem Rücken der Königin.

Comtesse: Das ist unerhört. Die Königin hat sich länger als eine Stunde mit der Frau unterhalten. Was bedeutet das?

Chevalier kehrt zurück, macht vor Madame Legros eine tiefe Verbeugung.

Abbé: Wie er sie behandelt! Man wird sehr vorsichtig sein müssen.

Comtesse: Mein Gott, wozu ist sie ernannt worden? Zum Chevalier: Die Königin war zufrieden?

Chevalier: Die Empfindsamkeit Ihrer Majestät hat einer so großen Tugend nicht widerstanden. Die Königin hat die Entlassung des Unschuldigen befohlen.

Comtesse: Ich bin außer mir vor Rührung. Kann man der Dame seine Aufwartung machen?

Baron auf Madame Legros zu: Madame, ich höre, daß Sie Ihr edles Ziel erreicht haben, ich beglückwünsche Sie und empfehle mich Ihrer mächtigen Gunst.

Madame Legros sieht ihn entsetzt an, flieht nach vorn.

Comtesse, Abbé: Was hat sie?

Chevalier: Ich verstehe es nicht mehr.

Comtesse: Welchen Rang wird sie künftig einnehmen?

Chevalier: Keinen, – ob Sie es nun glauben oder mich für einen Intriganten halten.

Comtesse: Eine Stunde ganz allein mit der Königin und keine Gnade? Solche Einfalt gibt es nicht. Es muß wohl Tugend sein.

Chevalier: Ich hoffe es nicht. Das Leben würde zu schwierig sein, wenn es so schön wäre.

Comtesse: Aber warum sieht sie nicht glücklich aus?

Abbé: Es ist der geistige Hochmut, den nichts befriedigt.

Madame Legros vorn, allein: Es hat zu viel gekostet.

Vorhang.

Dritter Akt

Zimmer neben dem Laden der Legros, mit Fenster und Tür im Hintergrund auf eine Seitengasse. Links in das Innere des Hauses.

 

Erste Szene

Legros. Die Verwandte. Vignon. Madame Touche. Fanchon.

Madame Touche: Ich will Ihnen sagen, Herr Legros, was sie ist. Sogleich wird sie zurück sein von ihrem Triumph, dann sage ich es ihr selbst. Eine Heilige ist sie!

Legros: Ich muß es wohl glauben.

Madame Touche: Wenn man sie gesehen hat, wie sie den Kuppelsaal betrat, wo alle diese Herren von der Akademie sie erwarteten –! Ich hatte Zutritt. Sie, Herr Vignon, hatten keinen. Aber Ihr Vetter ist auch nicht königlicher Lakai.

Vignon: Freilich nicht. Aber da ein Herr von den französischen Garden mich mit seiner Freundschaft beehrt, habe ich Madame Legros gesehen, wie sie vor der Akademie aus dem Wagen stieg. Es war, als ob ich sie nicht gekannt hätte. Eine vornehme Dame.

Madame Touche: Ich weiß es besser: eine Heilige. Und der Tugendpreis soll tausend Pfund betragen.

Vignon: Auch der Unschuldige war feierlich anzusehen. Er hatte einen gestickten Rock, einen Bart, lang und weiß, und er war bekränzt.

Verwandte: Man sagt, daß er trotzdem nur ein alter Tunichtgut sei.

Legros: Hüte deine Zunge!

Fanchon: Wie Madame Legros glücklich sein muß! Ich habe es ihr immer gewünscht.

Madame Touche: Wir alle waren immer für Madame Legros. Ganz Paris war draußen, man sprach nur von Madame Legros.

Vignon: Und in den vorteilhaftesten Ausdrücken.

Legros: Viel Ehre für mich.

Madame Touche: Und daß die Tugend Ihrer Frau Ihnen so viel Geld einträgt.

Vignon: Es scheint, daß wirklich etwas Großes geschehen ist, und daß Madame Legros, die wir alle kannten, es vollbracht hat. Das ist wunderbar, man versteht nicht immer, wer und was um einen herum ist.

Legros: Und wenn es die eigene Frau ist, durch die das alles geschieht, dann weiß man nicht mehr, was man denken soll.

Madame Touche: Früher konnte man manches denken. Aber jetzt hat sie Erfolg gehabt.

Fanchon: Sie hat den Unschuldigen befreit. Wie ich sie liebhabe!

Vignon: Freilich hörte man in der Menge auch gefährliche Äußerungen. Es gäbe mehr Unschuldige zu befreien: in der Bastille und draußen. Dies sei nur ein Anfang.

Madame Touche: Es waren übelaussehende Leute unterwegs. Wer weiß, was noch geschieht. Man zeigte sich sehr respektlos beim Erscheinen gewisser hoher Herren.

Legros: Ich und Madame Legros sind voll Respekt.

Vignon: Madame Legros hat nur das Gute gewollt. Das hindert nicht, daß mein Freund von der Garde die ernstesten Besorgnisse hegte. Paris war nie weniger sicher.

 

Zweite Szene

Die Vorigen. Volk. Madame Legros. Eine Volksmenge vor dem Fenster. Die Tür wird geöffnet.

Madame Legros tritt durch die Reihen des Volkes langsam ein, in einem weißen Schleier, das Gesicht nach oben gerichtet, mit verklärtem Lächeln.

Stimmen: Es lebe Madame Legros! ... Sie hat den Unschuldigen befreit. Die Herren und die Reichen lachten nicht mehr heute früh. Sie haben einen befreiten Unschuldigen gesehen ... Wir werden ihnen noch mehr zeigen! Man wird glücklicher leben! Alles wird billiger werden! ... Madame Legros ist eine Heilige. Seht ihr Gesicht, wie es glänzt! In unserer Gasse scheint keine solche Sonne. Madame Legros ist aus unserer Gasse, und sie ist eine Heilige. Es lebe die Heilige! Viele knien hin.

Vignon: Madame Legros, wir haben uns versammelt, um Ihnen unsere Bewunderung auszusprechen.

Ein Mann: Was will der? Hinknien!

Ein anderer: Früher haben Sie sie nicht bewundert, sondern hinter ihr hergeschimpft. Hinknien!

Vignon: Wir alle waren schwach.

Madame Touche kniet eilig hin: Ich war die erste, die Bescheid wußte.

Legros sieht sich verblüfft um, bekommt eine fromme Miene, kniet hin.

Madame Legros will vorwärts gehen und berührt den Scheitel der Fanchon, die vor ihr kniet: Wer ist das? Fanchon! Steh doch auf, liebes Kind! Wendet sich: Und ihr alle? Warum kniet ihr? Weil nun der Unschuldige frei ist? Das habt ihr selbst getan. Gebt nicht mir die Ehre, die ich nur eure unwürdige Sprecherin war, sondern euch selbst. Ihr alle habt es gewollt. Ihr wollt das Gute. Ihr seid jetzt erlöst von dem großen Unrecht.

Jemand, der aufsteht: Mir ist, als sei ich selbst aus der Bastille entronnen.

Ein anderer: Ich habe nichts getrunken heute, aber ich möchte laut singen.

Madame Touche: Wer heute singen wird, das ist Legros. Wie, Legros? Eine solche Frau!

Legros umringt: Es ist viel Ehre für mich. Er verneigt sich linkisch vor Madame Legros.

Madame Legros gibt ihm die Hand: Mein lieber Mann ...

Verlegenes Schweigen.

Die Menge applaudiert.

Vignon zu Madame Touche: Wenn man mir die ganze Akademie zum Geschenk macht, ich möchte nicht an Legros' Stelle sein.

Madame Touche: Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie keine Heilige zur Frau möchten?

Stimmen: Herbei, ihr Kinder! Kommt sie holen, die Heilige! Es soll ein schönes Fest werden!

Kinder in weißen Kleidern durch die Menge, die ihnen Platz macht, auf Madame Legros zu. Sie gehen um sie her und winden ihr dabei einen langen Blumenkranz um die Hüften.

Ein Lehrer gibt jedem der Kinder das Zeichen zu sprechen.

Das erste Kind: Wir danken Ihnen, Madame Legros, für den schönen Tag.

Das zweite Kind: Und dafür, daß Sie uns die Tugend gelehrt haben.

Das dritte Kind: Wir wollen es nie vergessen.

Das vierte Kind: Und wenn wir groß sind, Ihnen nachahmen.

Madame Legros: Ihr lieben Kinder! Über sie hinweg: Ich hätte euch die Tugend gelehrt? Das kann ich nicht. Ihr werdet sie vielleicht einmal erfahren wie ein schreckliches Geheimnis, das euch nicht mehr ruhen läßt. Und dann werdet ihr zweifeln lernen, ob es wirklich die Tugend ist. Aber ihr müßt an sie glauben, hört ihr? Wie könnte sonst der Unschuldige befreit werden ... Ach! Es ist schon geschehen, – und ich bin so müde.

Fanchon stützt Madame Legros: Sie sollen nun ausruhen, Madame Legros. Alle haben Sie lieb.

Stimmen: Kommt sie nicht?

Madame Touche: Man hat ein Fest für Sie veranstaltet, Madame Legros. Sie müssen den Nachbarn den Gefallen tun, sonst ist man unzufrieden mit Ihnen.

Stimmen: Auf zu Vignon! Madame Legros in unsere Mitte!

Vignon: Tatsächlich, Madame Legros, erwartet Sie in meinem Hause ein bescheidenes Mahl. Ich bitte um die Ehre.

Madame Legros: Ich bin erschöpft, Herr Vignon, verzeihen Sie. Es war zuviel für mich, Sie würden eine Kranke im Hause haben.

Madame Touche: Es scheint, wir sind ihr schon zu schlecht.

Fanchon: Quälen Sie sie nicht!

Vignon: Meine Herren, wir werden vorausgehen. Madame Legros braucht Ruhe, Sie verstehen es. Sie hat viel für uns alle getan.

Stimmen: Wir sind doch keine Barbaren. Die Heilige hat Ruhe verdient. Man zieht ab: Es lebe die Heilige!

 

Dritte Szene

Madame Legros. Legros. Die Verwandte.

Legros zur Verwandten: Schließ die Tür.

Verwandte flüstert: Was soll man nun tun?

Madame Legros in einem Sessel, sieht starr vor sich hin. Erwachend: Ist jemand hier?

Legros: Nur wir sind es: ich und Lisette ... Die Leute sind alle zu Vignon gegangen ... Schüchtern: Man sollte vielleicht auch etwas essen.

Madame Legros: Ach ja, das Essen ... Und der Laden! Die Kunden warten. Will aufstehen.

Legros: Niemand wartet. Schon längst wartet niemand mehr.

Verwandte: Und zu essen habe ich auch nichts.

Legros: Warum denn nicht! Faules Geschöpf!

Verwandte frech: Wenn den ganzen Morgen das Haus voller Gaffer ist –. Auf einem Jahrmarkt arbeitet man nicht.

Legros: Marsch! In die Küche!

Verwandte: Geben Sie mir Geld, sonst gibt es nichts zu essen.

Legros: Du hast schon wieder das Wirtschaftsgeld für deinen Putz ausgegeben. Warte! Schlägt nach ihr.

Verwandte: Einen Augenblick! Ich bin nicht Madame Legros. Jetzt haben Sie Madame Legros zurück. Ich trete alles an sie ab, auch die Schläge.

Legros: Hinaus mit dir!

Verwandte: Unterhalten Sie sich gut mit Ihrer Heiligen. Ab.

Madame Legros: Warum willst du ihr das Geld für das Essen nicht geben?

Legros zögert; stößt hervor: Weil keins da ist.

Madame Legros: Keins da?

Legros: Wenn nichts mehr eingeht, ist es eines Tages zu Ende. Und in einem Haus ohne Hausfrau geht das schnell.

Madame Legros betroffen, steht auf: Ich habe nichts gesehn, wie lang schon nicht mehr. Die Spitzen von Alençon?

Legros: Sie sind verschleudert.

Madame Legros: Dein Geselle kommt nicht zum Essen?

Legros: Ich habe ihn fortgeschickt. Es gab keine Arbeit mehr.

Madame Legros: So sind wir denn verarmt, lieber Mann?

Legros: Du nicht, Madame Legros, du gewiß nicht. Nur ich. Du hast gut verdient in dieser Zeit. Nimmt einen Beutel aus der Kommode und stellt ihn auf den Tisch.

Madame Legros: Was ist das?

Legros: Dein Tugendpreis.

Madame Legros schlägt die Augen nieder. Nimm doch das Geld!

Legros: Das Geld der andern hab ich noch nie genommen.

Madame Legros zu ihm an den Tisch: Was mein ist, ist auch dein.

Legros: Sonst wohl, aber nicht diesmal.

Madame Legros: Du bist mein Herr und Gebieter.

Legros: Hierbei war nicht ich es, sondern der Unschuldige. Mit ihm teile das Geld. Legt den Beutel in die Kommode zurück.

Madame Legros: Ich wollte ihm alles geben, aber seine Verwandten haben es abgelehnt.

Legros: Auf einmal hat er Verwandte?

Madame Legros: Seit kurzem haben sich reiche Leute gefunden, Adelige sogar, die sagen, er sei ihr Verwandter.

Legros lacht auf: Man soll nicht behaupten, daß es ihm schlecht geht.

Madame Legros: Es ging ihm so lange schlecht!

Legros: Dafür wird er jetzt ernährt und gehätschelt. Jeder kann das von sich nicht sagen.

Madame Legros: Ich habe ihn reich gemacht und dich arm. Du wirfst es mir vor und hast recht. Verzeih mir!

Legros: Einer Heiligen habe ich nichts zu verzeihen.

Madame Legros: Ich habe getan, was mir auferlegt war!

Legros: Alle rühmen dich dafür. Ich war im Unrecht, als ich dich zurückhielt.

Madame Legros: Aber nun ist es getan. Ich muß denken, daß es getan und ganz vorüber ist.

Legros: Ich glaube nicht. Von dem, was du getan hast, bleibt doch wohl etwas übrig. Sie werden wohl noch Rechte haben an dich, dort draußen.

Madame Legros: Ich bin zu dir zurückgekehrt.

Legros: Du warst zu weit fort. Was du getan hast, ist zu außerordentlich. Nach solcher Tat wird man nicht wieder die Frau des Strumpfwirkers Legros.

Madame Legros: Ich bin es doch!

Legros: Ich muß dich verehren, sagen die Leute, und ich verehre dich auch.

Madame Legros: Sei mein Mann wie früher!

Legros: Ich habe vor dir gekniet.

Madame Legros: So soll nun ich mich hinknien? Sie versucht es. Sieh, ich bin so schwach. Nun scheint mir, was ich getan habe, ganz umsonst. Ich wollte, du hättest wieder deine laute Stimme, wenn du zu mir sprichst, und faßtest mich hart an. Verzeih mir, lieber Mann, verzeih, daß ich einen Unschuldigen aus dem Turm befreit habe.

Legros wendet sich zur Tür.

Madame Legros: Du willst nicht? Du liebst mich wohl nicht mehr? Ach! Im Grunde war es dir wohl ganz recht, daß ich soviel vom Hause fort war? Mein Platz ist wohl besetzt?

Legros: Soll ich mir von einer Heiligen die Suppe kochen lassen? Strümpfe verkaufen ist kein Geschäft für eine Heilige.

Madame Legros vor der geschlossenen Tür: Hüte dich, Legros, daß ich nicht wirklich fortgehe!

 

Vierte Szene

Madame Legros. Die Verwandte.

Verwandte: Wenn Sie essen wollen, Madame Legros, können Sie in die Küche kommen. Aber es gibt nur Kartoffeln.

Madame Legros: So? Ich kann in die Küche kommen? Und kann ich mich auch in mein Bett legen, – wenn ich nicht finde, daß man es mir inzwischen beschmutzt hat?

Verwandte: Ich bin nicht schmutziger als Sie.

Madame Legros: Ein Ungeziefer bist du! Hast dich eingeschlichen und willst mich fortbeißen! Aus dem Hause mit dir!

Verwandte: Fortschicken kann mich nur Herr Legros, und der wird sich hüten, denn er braucht mich.

Madame Legros: Wozu? Wage, es zu sagen!

Verwandte: Und wenn ich es sage? Zu allem, wozu eine Frau im Hause dient. Sie hatten Herrn Legros verlassen, da habe ich mich seiner angenommen.

Madame Legros: Hast du ihn auch geliebt?

Verwandte: Was macht Ihnen das?

Madame Legros: Denn ich – ich habe ihn geliebt!

Verwandte: Bis Sie sich in den Unschuldigen verliebten.

Madame Legros: Viper! Stürzt auf die Verwandte los.

Verwandte flüchtet hinter den Tisch: Es ist doch wahr! Dafür sind Sie eine Heilige geworden. Und ich, die ich mich des Herrn Legros annahm, soll beschimpft werden?

Madame Legros: Ich dreh dir den Hals um!

Verwandte: Eine schöne Heilige! Das erzähl ich dem Herrn Legros. Wenn er Sie nur schon los wäre, hat er gesagt. Ab.

 

Fünfte Szene

Madame Legros. Chevalier. Dann Volk.

Madame Legros sinkt gegen die Wand: Wenn er mich nur schon los wäre! Wohin mit mir ... Eine schöne Heilige. Ist durch so viel Schande gegangen. Kein Mittel war ihr zu schlecht. Nicht einmal – o Gott – das Versprechen ihres Leibes ... Es ist nicht aus, Legros spricht wahr. Jemand dort draußen hat Rechte an mich. Richtet sich auf: Was fürchte ich? Wen hab ich denn noch ... Er soll kommen!

Chevalier steht in der Tür.

Madame Legros schreit auf, streckt die Hände vor.

Chevalier: Nicht erschrecken, bitte! Ich weiß wohl, daß ich nicht in dieses Fest hineinpasse. Doch konnte ich es mir nicht versagen, Ihren Triumph mit anzusehen: den Triumph einer Heiligen. Man erlebt das nicht alle Tage. Sieht sich um. Aber ich glaubte, hier würden mehr Leute sein.

Madame Legros: Sie sehen, man hat mich allein gelassen. Das Fest ist nicht für mich. Die andern feiern ohne mich.

Chevalier: Ihnen aber schulden sie es, daß sie feiern dürfen.

Madame Legros: Der Unschuldige ist frei, so ist für mich nun alles aus.

Chevalier: Das klingt, als bereuten Sie.

Madame Legros stark: O nein!

Chevalier: Sie haben einen Erfolg erlebt, den niemand für möglich hielt. Was Sie für Ihre Zukunft und die der Ihren an Vorteil daraus ziehen konnten, haben Sie verschmäht, – leicht ironisch – und ich bewundere Sie dafür. Jedenfalls aber haben Sie die angenehmsten Emotionen genossen, und ganz Paris spricht von Ihnen. Sie sind berühmt, man hat sich vor Ihnen beugen müssen. Er verbeugt sich.

Madame Legros wendet den Kopf weg.

Chevalier unsicher: Sie wollen das nicht hören? Sie erwarten von mir andere Worte? ... Ja, ich bin gekommen, um Ihnen etwas anderes zu sagen.

Madame Legros zuckt zusammen.

Chevalier: Der Mißverständnisse hat es zwischen uns genug gegeben. Sie haben mich genug verachtet. Sie hören mir zu mit der Miene eines Opfers. Ich kann das nicht länger ansehn. Ich muß Ihnen sagen –. Es ist so schwer. Hören Sie denn! Sie sind, Madame Legros, das erste menschliche Wesen, vor dem ich in Beschämung stehe. In den andern, so jung ich bin, habe ich mich nie getäuscht, wenn ich sie verachtete. Ich habe geliebt und dabei verachtet. Ich habe sogar getötet und dabei verachtet ... Ich war stolz, ohne Illusionen zu sein. Im Grunde meines Herzens habe ich längst gewußt, wer Sie seien: aber ich wollte nicht glauben. Das Laster der Erkenntnis in mir sträubte sich gegen Sie. Ich hätte Sie gern entlarvt, um nicht gestehen zu müssen, daß es etwas gäbe, das alle nur erheuchelten, das ich so sehr ersehnte und doch nur mit Hohn nennen mochte, die Tugend – und um diese ungeheure Zärtlichkeit zu ersticken! Stürzt vor sie hin, legt die Stirn in ihre Hand.

Madame Legros über ihn gebeugt: Sie, in diesem Augenblick, haben mehr Tugend als ich.

Chevalier: Ich glaubte Sie einst im Haß zu lieben, als Feindin, die man unterwirft und schändet. Und Sie waren vielmehr die, die mich erhob und mich wider meinen Willen mit den Menschen befreundete. Soll ich das Geheimste sagen? Ich wünschte mir, Ihnen zu folgen, mit Ihnen unterzugehen in allen den Unbekannten, denen Sie einen Unschuldigen befreit und die Unschuld zurückgegeben haben. Steht auf. Sie dürfen lächeln. Ich mache schon selbst den Vorbehalt, daß mich das alles nicht angekommen wäre, wenn Sie nicht schön wären, und wenn ich Sie nicht liebte.

Madame Legros: Solche Liebe habe ich erfahren. Sie ergriff mich, als vom Turm der Brief fiel.

Chevalier: Sei meine Schwärmerei nun kindisch oder erhaben, ich will mich nicht schämen. Nehmen Sie mich hin. An ihre Brust.

Madame Legros: Kind! Was soll ich mit Ihnen noch beginnen? Ich habe vollendet, was zu tun war.

Chevalier: Ja: hinter Ihnen liegt als getanes Werk, wovon ich nur träume. Was geht es Sie an, daß einer durch Sie erschüttert und außer sich gebracht wird. Sie haben Ihr Werk vollendet und sind nun heimgekehrt.

Madame Legros: Das ist das Schwerste: heimzukehren.

Chevalier: Das ist das Unsägliche. Sie stehen hier, und diese Hände hängen herab, als sei nichts geschehen. Wenn einer, den Sie bezwangen, in dieses Zimmer tritt, findet er darin die Frau, die vormals hier war. Was bleibt danach zu erleben? Ich gehe.

Madame Legros: Nicht dieselbe Frau. Auch Sie müssen hören. Ich bin nicht so stark, wie Sie sagen. Was ich tat, hat mich wohl schwächer gemacht. Vorhin dachte ich mich fort, mit einem, der mich nehmen will, nur fort und unter einen Willen. Ich bin so müde.

Chevalier: Ihre Müdigkeit ist heilig.

Madame Legros: Auch ich will nicht, daß Sie mir danken. Denn ich habe Sie verraten.

Chevalier: Sie – mich? Lacht auf. Das wäre das letzte, was ich zu lernen hätte. Besinnt sich. Ich will nicht wissen, wann und wie. Beichten Sie einem Würdigeren! Schonen Sie mich! Mein Glaube an das Gute soll ein Leben lang sich auf diese eine Stunde berufen. Ich weiß, er wird es schwer haben. Auch Sie wird das Leben zu anderem entführen, als es die Rettung eines Unschuldigen war.

Volk zieht am Fenster vorbei, mit Getrommel und gellenden Pfiffen. Dann Rufe: Madame Legros! Zur Bastille!

Chevalier: Es kommt schon, Sie zu holen. Aber nicht jene, die Sie in Not und Zweifeln sehen werden: nur ich habe Sie gekannt, in meiner höchsten Stunde. Leben Sie wohl, Madame Legros! Er will hinaus. Männer mit Piken und Äxten vertreten ihm die Tür.

Ein Mann: Da ist Madame Legros! Sie sollen mit uns kommen. Sie sind die Freundin des Volkes.

Ein anderer: Sie haben einen Unschuldigen befreit.

Alle: Ehre der Freundin des Volkes!

Der Erste: Aber es sind noch andere Unschuldige in der Bastille.

Der Zweite: Und draußen. Kommen Sie mit uns, an unserer Spitze!

Rufe: Zur Bastille!

Madame Legros: Meine Herren, haben Sie Nachsicht; was soll ich tun?

Der Erste: Uns führen!

Madame Legros: Ich weiß nicht, wohin. Ich habe getan, was zu tun war. Der Unschuldige ist frei.

Der Zweite: Jetzt ist es an uns. Wenn Sie dabei sind, Madame Legros, werden wir siegen.

Madame Legros: Über wen? Der Unschuldige ist frei.

Der Erste: Begreifen Sie doch, daß es mehr zu tun gibt. Wir alle leiden.

Madame Legros: Ich habe es getan. Der Unschuldige ist frei.

Der Erste: Sie will nicht!

Der Zweite: Sie verrät uns!

Rufe: Zur Bastille! Schleppt sie mit!

Madame Legros wird umringt und angefaßt: Verschont mich, liebe Herren!

Chevalier: Fort da! Zieht den Degen.

Rufe: Ein Adeliger! An die Laterne mit ihm! Hündin! Du verrätst uns mit den Adeligen!

Chevalier: Packt euch!

Ein Mann: Pack dich selbst! Sticht nach ihm.

Andere stechen nach ihm: Macht ihn tot!

Chevalier sinkt auf der Schwelle zusammen.

Madame Legros schreit: Mörder! Ihr seid Mörder!

Rufe von Frauen: Sie auch! Tötet sie auch!

Madame Legros breitet die Arme aus: Wagt es!

Gemurmel: Sie hat den Unschuldigen befreit. Man weicht zurück.

Madame Legros: Ein menschliches Herz habt ihr durchbohrt in dem Augenblick, da es am höchsten schlug, höher als eures, höher als meins ... Ach! wozu schlug es, wozu befreite ich den Unschuldigen! Sie kniet bei der Leiche hin.

Die Menge zieht ab: Zur Bastille!

Es dunkelt.

 

Sechste Szene

Madame Legros. Legros.

Legros: Deine Freunde waren wieder da. Sie sind ein wenig zu lärmend, muß man sagen ... Um Gottes willen, was liegt da?

Madame Legros: Hilf mir, Legros! Ist er tot? Das ist furchtbar.

Legros: Ich glaube, es ist aus. Ein Toter auf unserer Schwelle! Man wird mich fragen, wie das zugeht, – und wenn ich's nicht sagen kann –. Greift sich um den Hals. Das hast du davon, Madame Legros. So enden deine Geschäfte. Mich und dich bringen sie an den Galgen.

Madame Legros: Ich weiß nicht mehr, wie das alles kommt. Habe Mitleid mit mir, lieber Mann!

Legros: Nun siehst du wohl, daß dein Mann für alles sorgen muß. Horcht, stürzt nach links, ruft durch einen Türspalt: Schier dich in die Küche! Daß du dich nicht rührst! Kehrt zurück. Die Gasse ist leer. Ich trage den da vor die Tür des Wundarztes, klopfe an und mache mich um die Ecke. Was geht das alles uns an. Wasche die Schwelle! Und schweige! Schweig still! Die Tür schließend, ab mir der Leiche des Chevalier.

 

Siebente Szene

Madame Legros. Ein Akademiker.

Madame Legros läuft durch das Zimmer, hält sich den Kopf und stöhnt. Sie sieht sich angstvoll nach der Schwelle um. Es klopft. Sie schreit auf. Als es nochmals klopft: Herein!

Akademiker: Es wird Nacht, Madame, ich sehe nicht deutlich, ob ich die große Ehre habe, vor Madame Legros zu stehen.

Madame Legros: Ich bin die Frau des Strumpfwirkers Legros, mein Herr.

Akademiker: So sind Sie die Heldin, die wir heute in der Akademie krönen durften. Vielmehr, Ihre Anwesenheit bei uns war unsere Krönung, die Krönung unseres Werkes. Madame, erlauben Sie, daß ich in Ehrfurcht diese Hände berühre, die den Kerker der Vernunft geöffnet haben.

Madame Legros zieht die Hand zurück.

Akademiker: Mein Besuch scheint Ihnen unwillkommen. Ich verstehe, daß große Taten viel Überdruß hinterlassen an den Menschen, denen sie doch galten.

Madame Legros: Ich bin krank, mein Herr, verzeihen Sie mir.

Akademiker: Ihre Hand ist zu heiß. Aber auch Ihre Miene, Madame, sieht verstört aus und läßt nichts mehr von der erhabenen Freude merken, mit der Sie heute den Ruhmesworten unseres Redners zuhörten. Ich gestehe, daß ich die Befreierin des Gefangenen Latude nicht wiedererkannt haben würde.

Madame Legros: Wundert Sie das, mein Herr? Für die Frau des Strumpfwirkers Legros war das alles zuviel: die lange Arbeit der Seele, der Kampf gegen alle, und dann die Verbrechen.

Akademiker: Die Verbrechen?

Madame Legros: Glauben Sie denn, daß Hände, die eine Bastille aufmachen, rein bleiben können?

Akademiker: Mein Kind, Sie fiebern. Die Vernunft sagt uns, daß wir durch das Gute siegen werden, und daß das Ziel das Glück aller ist.

Madame Legros läuft umher: Und meine Angst und mein Herzklopfen sagen mir, daß ich nun eine Verbrecherin bin. Ein Mensch, hören Sie, ein Mensch, der mir glaubte, war es: und eben ihn verriet ich und ließ ihn sterben! Habe ich nicht alle verraten? Bin ich nicht schuldig, daß alle sterben?

Akademiker: Der Unschuldige lebt, und er ist frei!

Madame Legros bleibt stehen, atmet auf: Ja, er ist frei.

Akademiker: Und wenn er nochmals zu befreien wäre?

Madame Legros: Ich nicht! Ich tue es nicht mehr! Sie sinkt hin, schluchzt: Ich bin nun verbraucht und verdorben.

Akademiker: Armes Geschöpf, das eine Heldin war! So werden andere nach dir zur Tat machen, was die Vernunft beschließt.

Entferntes Trommeln. Rufe: Zur Bastille!

Madame Legros: Ich will nicht hören.

Akademiker: Das ist der Gesang, Madame Legros, den Sie angestimmt haben. Ich ehre Sie, aber ich gehe nun weiter. Er öffnet die Tür, er gleitet aus. Was ist das?

Madame Legros: Auf solcher Schwelle, mein Herr, färben sich die Sohlen. Sie ist schlüpfrig. Hüten Sie sich!

Akademiker: Wir steigen hinüber und gehen weiter. Ab.

 

Achte Szene

Madame Legros. Legros.

Legros tritt durch die offene Tür ein.

Madame Legros läuft ihm entgegen: Rette mich!

Legros: Was gibt es? Wer war da?

Madame Legros: Ein Feind! Sie lassen mir keine Ruhe.

Legros: Das darfst du sagen. Aber jetzt ist dein Mann da. Wir wollen einmal sehen, ob die Leute hier noch lange ein und aus gehen werden wie bei sich zu Hause. Mach Licht, ich schließe die Läden. Er geht auf die Straße hinaus, legt die Fensterläden vor.

Madame Legros zündet die Kerzen an: Komm schnell zurück! Ich ängstige mich. Draußen geht jetzt so viel vor.

Legros: Auch noch die Tür. Nun werden sie uns in Ruhe lassen. Flüstert: Ich glaube wohl, daß niemand mich gesehen hat. Der Tote sitzt vor der Tür des Wundarztes. Es war ein wenig gefährlich, ihn bis dorthin zu tragen. Aber ich habe ihn aus menschlicher Achtung nicht in die Gosse werfen wollen.

Madame Legros weint laut.

Legros: Du hörst das nicht gern. Ich sage es auch nur, damit du weißt, daß wir wenig zu fürchten haben, – und man kann sagen: nichts. Denn heute abend sind in Paris noch einige andere vornehme Herren ums Leben gekommen. Wer will da den unsern herausfinden.

Madame Legros: Du sprichst, als seien wir selbst die Mörder. Ich bin nicht schuldig an diesem Blut! Ich nicht!

Legros: Nein, du nicht. Und auch sonst läßt sich nicht sagen, daß einer schuldig ist, außer den Herren selbst.

Madame Legros: Er war der Beste von allen!

Legros: Danach fragt man jetzt nicht mehr. Man sagt sich in Paris, daß ein Unschuldiger dreiundvierzig Jahre in der Bastille verbracht hat, und daß es daher gleich ist, ob die, die sterben, schuldig sind oder unschuldig. Man sagt, die Bastille müsse fallen. Heute oder morgen soll es Ernst werden. Und das Zeichen zu alledem, sagt man, hat Madame Legros gegeben.

Madame Legros: Es ist nicht wahr! Ich war bei dir, lieber Mann, du kannst es bezeugen. Den ganzen Tag bin ich nicht mehr ausgegangen.

Legros: Aber die vorigen Tage? Da warst du wenig daheim, Madame Legros.

Madame Legros: Verzeih mir! Verzeih doch endlich! Es war wie ein hartes Geschick, das mich befiel. Ich mußte folgen. Ich habe dich nicht gern gekränkt, lieber Mann.

Legros: Weißt du denn, Madame Legros, ob du mich eigentlich gekränkt hast? Wenn hier Unrecht geschehen ist, so habe wohl auch ich das meine begangen und brauche deine Verzeihung, wie du meine.

Madame Legros: Schick sie fort, Legros!

Legros: Hier hab ich schon den Platz in der Post für morgen früh. Ehe der Tag graut, setze ich selbst sie hinein und gute Reise! In ihrem Dorf mag sie immerhin ausplaudern, was sie heute doch vielleicht gesehen hat.

Madame Legros: Du bist gut! Du liebst mich noch immer?

Legros: Das fühlst du wohl ... Es ist nicht recht, wenn die Frau dem Mann über den Kopf wächst.

Madame Legros: Du bist stark! Nur dir will ich gehorchen und dienen.

Legros: Aber was du getan hast: wenn es mir auch Kopfzerbrechen gemacht hat, so verstehe ich doch, daß es etwas Gutes war.

Madame Legros: War es etwas Gutes?

Legros: Ich bin ein Bürger von Paris und weiß so gut wie einer, daß wir nach Vernunft und Tugend handeln sollen. Nur denkt man immer, ein Fremder und Weitentfernter mag damit anfangen. Und nun war es meine eigene Frau. Dahinein habe ich mich nicht leichter gefunden, als jeder andere getan hätte.

Madame Legros: Nun ist es wieder, wie es immer war. Du bist mein Mann und Herr.

Legros: Es ist so, und ist auch wieder nicht so. Denn dazwischen liegt, was du getan hast, und das werde ich nicht vergessen. Die andern, daran zweifle nur nicht, werden es vergessen. Vielleicht auch werden sie es dir vorwerfen und uns verfolgen. Man weiß nicht, was für Zeiten kommen.

Madame Legros: Dann habe ich dich und du mich.

Legros: Ich werde dich ehren, liebe Frau, auch wenn ich dir befehle.

Umarmung.

Legros: So viel habe ich dir seit unserem Hochzeitstage nicht mehr gesagt.

Madame Legros: Jetzt will ich an die Arbeit gehen.

Legros: In der Nacht?

Madame Legros: Hier auf der Kommode, die sehr verstaubt ist, liegt noch immer das Häubchen des Fräuleins Palmyre. Endlich befestige ich daran die Schleifen.

Legros: Das war ein schwerer Tag. Sie haben dich zuerst gekrönt und gefeiert. Dann kam wohl noch Schwereres.

Madame Legros: Und nun befestige ich die Schleifen.

Vorhang.