Drama in drei Akten
Zuerst erschienen:
1912
Aus:
Schauspiele
Claassen Verlag GmbH
Düsseldorf
1986
1. Auflage
Herrenzimmer im Hause Löwen. Bibliothek. Moderne Zeichnungen an den Wänden. Türen links, rechts und im Hintergrund, in der Täfelung. Volle Beleuchtung.
Die Hofrätin Löwen. Franz Löwen.
Die Hofrätin: am Arm Löwens, von rechts: Lieber hier. Dies Zimmer ist weniger parfümiert als Lianes Salon.
Löwen: Aber Liane hält sich mehr hier auf als drinnen.
Die Hofrätin: Ja, bei den Büchern.
Löwen: Du wirst nicht leugnen, Mama, daß sie eine vollkommene Hausfrau ist. Hat es dir geschmeckt?
Die Hofrätin: Euer Souper war gut. Da es aus dem Continental kommt, hattest du nur zu bezahlen. Was mir, offengestanden, nicht gefällt, ist, daß wir hier alle zu Ehren dieses Musikers aufgeboten sind.
Löwen: Herr Christoph Gaßner ist unser Freund.
Die Hofrätin: Seit acht Tagen.
Löwen: Schon voriges Jahr in Dresden haben wir ihn kennengelernt.
Die Hofrätin: Man macht in unseren Kreisen zu viel Wesens von solchen Leuten.
Die Vorigen. Frau Huller. Philipp Mandl.
Frau Huller mit Philipp, von rechts: Aber Frau Hofrätin! Ein weltberühmter Komponist! Man muß doch für ihn schwärmen. Was würden Sie übrigens sagen, wenn Lisl ihn heiratet?
Philipp: Ja, was würden Sie sagen, Frau Hofrätin? Ich erkläre, daß ich mich auf alles gefaßt mache. Wir jungen Leute haben nur noch zu verschwinden, wenn so eine Berühmtheit sich zeigt. S-s-ßt! Schon haben sie sich.
Die Hofrätin: Erstens ist er zu alt für Lisl. Und dann, der Ruhm: ist das eine Position?
Löwen: Man sagt.
Philipp zu Frau Huller: Wenigstens sollten die anderen Damen uns entschädigen. Sie zum Beispiel, Frau Jenny, fühlen Sie sich mir gar nicht verpflichtet? Leiser: Bin ich diskret, wie?
Frau Huller: Dieser Philipp! Schon wieder Witze?
Philipp leise: Witze? Es war eine bedeutende Quetschung am Fuß, wissen Sie? Heut gehe ich das erstemal wieder aus. Seien Sie froh, daß ich lebe.
Frau Huller ängstlich: Ich glaube, man braucht Sie, um den Kaffee zu servieren.
Die Vorigen. Lisl. Gaßner. Liane. Frau Benedikt. Dr. Josefsthal. Das Zimmermädchen.
Philipp nimmt dem Zimmermädchen das Tablett ab: Kaffee, die Damen?
Lisl von rechts, zu Gaßner: Die wirkliche Hausfrau hier ist nämlich der Philipp.
Philipp: Ich belege den Posten bei Ihnen, Lisl.
Liane mit Frau Benedikt und Dr. Josefsthal von rechts. Nimmt Tassen vom Tablett: Danke, Philipp, Sie sind sehr lieb.
Frau Benedikt: Herr Mandl, Sie müssen warten, bis ich auch Zucker habe.
Philipp: Sie bekommen Zucker, wenn Sie Philipp zu mir sagen. Sie sind bei der Oper, gut. Aber ist das ein Grund, so steif zu sein?
Lisl: Genieren wird man sich wegen der gnädigen Frau. Wo sind die Zigaretten, Philipp? Zu Frau Benedikt: Sie werden einmal rauchen, gnädige Frau. Ich möchte Ihnen Ihre kostbare Stimme ruinieren.
Das Zimmermädchen ab.
Gassner zu Liane: Herr Mandl ist ein Verwandter?
Liane: Nein. Aber er fühlt sich nur wohl, wenn er so behandelt wird. Wir sind eine Clique, wissen Sie. Alle kennen sich von jeher, es ist schrecklich. Würden Sie sich da hineinfinden?
Gassner: Erstens kenne ich ja Frau Benedikt.
Liane zurückhaltend: Ja – von früher her, als Sie beide noch unbekannt waren. Sie hat mir manches von Ihnen erzählt.
Gassner: Gutes?
Liane lächelt: Nicht immer.
Gassner: Das ist begreiflich ... Ich wollte sagen, daß auch Ihre Leute, selbst die, die ich noch nie gesehen hatte, mir schon vertraut scheinen, so viel beschäftige ich mich seit acht Tagen mit Ihnen.
Liane: Und vielleicht werden Sie sogar meine Schwägerin Lisl heiraten.
Gassner: Es könnte geschehen – da sie Ihre Schwägerin ist. Wie der Wert unserer Wünsche schwankend ist! Hergekommen war ich, brennend vom Ehrgeiz für meine Oper. Jetzt aber betrachte ich als das Ziel meiner Reise dies Haus.
Liane: Sie sind der gütigste Mensch, der mir begegnet ist.
Gassner: Warum gütig?
Liane: Es sieht manchmal aus, als wüßten Sie gar nicht, was für eine außerordentliche Musik Sie schreiben. Ihre Musik war mein größtes Erlebnis. Sie war mein einziges großes Erlebnis.
Gassner: Darum kann man doch gute Freunde sein.
Liane: Ich weiß nicht.
Gassner: Ich weiß es. Schon als ich Ihnen meinen ersten Besuch machte und noch bevor Sie eintraten, fühlte ich mich hier allem befreundet: Ihrem Porträt, diesen Möbeln, Ihren Büchern.
Liane: Sie stehen zwischen denen meines Mannes. Dies ist sein Zimmer.
Gassner: Ja. Sie haben ein reizendes Kind und einen Mann, der Sie, glaube ich, anbetet.
Liane: Er verehrt mich sehr. Ich darf nicht klagen.
Gassner: Und er macht Ihnen keinen Kummer.
Liane: O nein! Wenigstens nicht durch seine Schuld ... Er verehrt auch Sie, wissen Sie, weil ich es tue.
Gassner: Unsereiner lebt mehr oder weniger von der Gunst solcher ungewöhnlichen Frauen, wie Sie eine sind.
Löwen tritt hinzu: Verzeihen Sie die Frage, Herr Gaßner: es bleibt, für Ihre Premiere, beim nächsten Dienstag?
Gassner: Ich denke.
Liane: Mein Mann fiebert schon. Sooft ich hereinkomme, sitzt er am Klavier und liest Ihre Partitur.
Löwen: Man hat hier allgemein große Vorliebe für Ihre Musik. Ich hoffe, Sie werden am Dienstag mit uns zufrieden sein.
Gassner: Es ist an mir, Sie zufriedenzustellen.
Löwen: Die arme Frau Huller wird nicht dabeisein dürfen. Liane, willst du dir den Auftrag ihres Mannes vielleicht ausrichten?
Liane: Muß ich? Zu Gaßner: Es ist immerhin peinlich, einer Frau zu sagen, daß sie abreisen möge, weil ihr Mann ankommt.
Gassner: Frau Huller ist unglücklich verheiratet?
Liane: Ihre ganze Ehe besteht aus Auftritten.
Löwen: Ich begreife nicht, wie es zu Auftritten kommen kann.
Liane sieht zu Boden: Du begreifst das freilich nicht.
Lisl ruft: Das ist ein Gedanke. Eine Schönheitskonkurrenz!
Philipp: Die Hausfrau ist hors concours!
Frau Benedikt: Es wäre nicht edel, mich mitkonkurrieren zu lassen. Ich weiß wohl, man sieht meinem Teint die vielen Masken an, die ich habe machen müssen.
Dr. Josefsthal: Sie, verehrte Frau, haben uns so viele Gestalten der Schönheit vor Augen geführt, daß wir Sie niemals werden anders sehen können als schön.
Frau Huller: Philipp, meine Tasche. Sie nimmt Puderpapier heraus und benutzt es.
Lisl zu Gaßner: Wem geben Sie Ihre Stimme?
Gassner: Wenn Sie mich beeinflussen wollen, Fräulein Lisl, darf ich sie Ihnen nicht mehr geben.
Lisl: Um mich nicht zu verwöhnen? Wie Sie vorausschauend sind! Sie haben wirklich Ehemannstalente.
Die Hofrätin: Lisl, schwatze nicht! Das Kind redet daher und versteht nicht die Hälfte.
Lisl: Gott, daß ich ihn vielleicht heiraten werde, ist hier doch bekannt. Und wenn nichts daraus wird, wundert sich auch kein Mensch. Wer wird daraus heute noch eine Affäre machen!
Frau Benedikt zu Liane: Ich freue mich immer aufs neue, liebe Frau Löwen, wie gut Sie Ihre Krankheit überstanden haben! Sie sind schöner und jünger geworden. Wissen Sie, daß die Leute mich immer fragen, wer dies junge Mädchen ist?
Liane: Loben Sie nicht mich, sondern den Doktor Josefsthal.
Dr. Josefsthal: Mein Verdienst ist in diesem Fall noch geringer als sonst. Meinen andern Kranken bin ich wenigstens notwendig, um ihnen Hoffnung zu geben. Aber wenn eine darauf verzichtet?
Frau Huller: Wie kann man so geduldig sein! Ich bin in Verzweiflung, wenn ich nur den Schnupfen habe.
Liane: Wenn Leute kamen, war ich wohl nicht sehr ruhig?
Dr. Josefsthal: Visitenkarten schon regten Sie auf. Sonst aber –: nun, wir hatten uns darüber geeinigt, daß die medizinische Wissenschaft wohl erkennen, aber leider nicht heilen kann. Ich habe mich nie so gut mit einer Patientin verstanden. Ganz so ergeben in Ihr Schicksal brauchten Sie trotzdem nicht zu sein.
Liane: Ich war es gar nicht. Lieber Doktor, ich wußte ganz genau, daß ich nicht sterben würde. Sie sieht Gaßner an. Ich konnte es noch gar nicht.
Gassner: So krank waren Sie?
Liane mit ihm nach vorn: Ich erzählte es Ihnen schon.
Gassner: Ich habe darüber hingehört wie über den vergeblichen Versuch des Unglücks, etwas zu verhindern, was doch kommen mußte.
Liane: Auch ich wußte, daß es kommen mußte und daß ich leben würde. Sie hatten uns geschrieben, daß Sie kommen würden.
Pause.
Gassner: Habe ich mich heute abend genug um Lisl bekümmert?
Liane: Sie hat sich mehr um Sie bekümmert.
Gassner: Sie sind unzufrieden?
Liane: O nein!
Gassner: Wollen Sie mich denn nicht mehr verheiraten?
Liane: Ich habe Sie bei Tisch neben Lisl gesetzt. Was sollte ich weiter tun?
Gassner: Sich selbst nicht an meine andere Seite setzen! Wenn Sie mich verheiraten wollen, hätten wir seit acht Tagen nicht so viel beisammen sein dürfen.
Liane: Ich werde der Anlaß sein, daß Sie Ihr Glück versäumen.
Gassner: Ich will lieber durch Sie unglücklich werden, als glücklich durch eine andere.
Liane: Sie sind nicht banal genug, um das zu sagen.
Gassner: Aber um es zu empfinden.
Liane beschwörend: Schweigen Sie noch! Sagen Sie kein Wort mehr, als Sie bis zu dieser Minute wissen. Es wäre schade um uns.
Gassner: Ich sagte es Ihnen schon: vom ersten Betreten dieses Hauses an war ich mir bewußt, hier werde ich viel erleben.
Liane: Mein Freund, es ist möglich, daß wir etwas zusammen erleben sollen. Aber wir dürfen nicht an die Unüberwindlichkeit des Schicksals glauben; denn erinnern Sie sich bitte: das erstemal, als wir uns begegneten, voriges Jahr in Dresden, haben Sie mich gar nicht beachtet.
Gassner: Wie können Sie glauben! Jenen einzigen Abend im Trubel einer Hotelhall, bei der Feier meines Erfolges, und ich war Erfolge noch nicht gewohnt: was Wunder, wenn ich nicht die Geistesgegenwart und Geschicklichkeit hatte, mich Ihnen zu nähern. Trotzdem, Sie dürfen mir glauben, trug ich aus alledem nur ein wirklich befreundetes Bild davon. Und als jetzt Ihr Brief kam –
Liane: Mein Brief?
Gassner: Sie haben mir doch geschrieben. Wie hätte ich mir sonst, bei unsern flüchtigen Beziehungen, erlaubt, Sie aufzusuchen.
Liane: Es wäre schlimm gewesen, wenn Sie mich nicht aufgesucht hätten. Aber geschrieben habe ich Ihnen nicht.
Gassner: Dann begreife ich nicht ... Und Sie wollen das Schicksal leugnen.
Liane: Das Schicksal heißt vielleicht Lisl.
Lisl tritt hinzu: Was ist mit Lisl?
Liane: Herr Gaßner spricht von dem Brief, den du ihm geschrieben hast, bevor er herkam.
Lisl: Einen Brief, ich? Ausgeschlossen. Das könnte höchstens eine Ansichtskarte gewesen sein.
Liane zu Gaßner: Also war es eine Ansichtskarte?
Gassner: Es war ein Brief, auf goldgelbem Papier, mit den Buchstaben L. L.
Lisl: So ist mein Papier – aber deins auch, Liane. Zu Gaßner: Und was stand darunter: Lisl – oder vielleicht etwas anderes?
Liane: Ich glaube kaum.
Lisl: Das wäre auch gar nicht schön!
Gassner: Jetzt wage ich nichts mehr zu behaupten.
Lisl: Ah! Sie wagen nicht. Sie holt Löwen herbei. Franz! Jetzt schreiben die Geister Briefe für mich. Oder auch für Liane, man weiß nicht. Der Herr Christoph Gaßner hat einen Brief bekommen, den keine von uns geschrieben hat.
Gassner: Vor vier Wochen.
Löwen: Damals warst du, Liane, schwer krank.
Lisl: Und ich war mit Mama im Gebirge.
Löwen: Man hat sich einen Scherz erlaubt.
Gassner: Ich muß dem Spaßmacher dankbar sein. Zu denken, daß ich ohne ihn nicht hier wäre!
Lisl: Herr Christoph Gaßner! Mit ihm auf die andere Seite. Was stand darunter?
Gassner schweigt.
Lisl: War es vielleicht undeutlich?
Gassner: Es war sehr deutlich.
Lisl: Dann brauchen Sie nichts mehr zu sagen. Meine Unterschrift kann niemand lesen ... Dann sind Sie also wegen Liane gekommen.
Gassner: Und dann habe ich Sie, Fräulein Lisl, kennengelernt.
Lisl: Wollen Sie das für ein erschütterndes Ereignis ausgeben?
Gassner: Für ein sehr willkommenes.
Lisl: Meinetwegen. Aber eine andere Frage: habe ich Ihnen eigentlich schon mein Jawort gegeben?
Gassner: Das ist es, was ich mich auch frage. Wenn Sie glauben, daß man bei Ihnen weiß, woran man ist.
Lisl: Trösten Sie sich, bei Ihnen weiß man es auch nicht. Falls ich Ihnen übrigens mein Jawort gegeben haben sollte, nehme ich es hiermit zurück.
Gassner: Sie sind hart.
Lisl: Aber gerecht ... Sind Sie nun froh?
Gassner wehrt ab.
Lisl: Machen Sie keine Geschichten! Ich habe ja auch gedacht, es würde gehen. Wir lieben uns nicht, aber das hätte nichts gemacht. Sie hätten durch mich ziemlich viel Geld bekommen, und ich Ihren Namen. Zusammen hätten wir Sensation erregt.
Gassner: Und warum muß das alles ein Traum bleiben?
Lisl: Von den Hindernissen, die auf Ihrer Seite bestehen, wollen wir nicht reden. Ich aber werde niemals Ihre Musik zu Ende hören können.
Lisl: Auch nicht, was Sie sagen. Überhaupt nichts, was einer sagt oder spielt, oder singt. Kein Buch kann ich fertig lesen und kein Bild ansehen. Es gibt nämlich von alle dem so schrecklich viel, und man muß alles mitmachen. Das dauert schon ewig, obwohl ich eigentlich noch nicht lange dabei bin, und es soll immer weitergehn. Da kann man wirklich von allem im Leben gerade nur kosten.
Gassner: Lisls Schicksal!
Lisl: Es ist auch nicht dümmer als ein anderes. Sehen Sie, ich habe immer Flirts, und niemals wird es ernst. Natürlich würde ich auch nach unserer Verheiratung weitergeflirtet haben, aber ich glaube, Sie hätten ganz ruhig sein dürfen, bei mir kommt nichts zu Ende.
Gassner: Sie spielen.
Lisl: Und Sie waren wohl immer sehr ernst?
Gassner: Im Gegenteil, ich habe viel gespielt. Jetzt ist es an Ihnen.
Lisl: Ja, es wechselt. Schade, daß es bei uns nicht zusammentrifft; dann hätte ich die Frau des berühmten Christoph Gaßner sein können. So geht es nicht. Denn Ihre Musik ist doch viel zu schön, als daß man mitten drin fortlaufen darf.
Gassner: Sie sind ein entzückendes Mädel.
Lisl: Das sagen Sie aufrichtig. Aber dafür habe ich mich anstrengen müssen.
Philipp hinten: Aber wenn ich mein Ehrenwort gebe!
Frau Huller: Liane, hör das an!
Liane: Sie jammern schon wieder über Ihren Fuß, Philipp? Soll Doktor Josefsthal ihn anschauen? Was ist denn damit?
Philipp: Was damit ist? Ein Auto ist mir drüber gegangen. Jawohl. Vor acht Tagen.
Frau Huller: Dieser Schwindler!
Liane: Das würden Sie mir seit acht Tagen jeden Morgen am Telefon erzählen.
Philipp: Durfte ich denn? Es ist doch eine diskrete Sache. In dem Auto saß eine Dame mit einem Herrn, – wenn Sie mich denn zwingen, zu reden.
Philipp: Renommieren werde ich damit, wenn ein Liebespaar mir über den Fuß fährt und mich auf der Landstraße liegen läßt, soviel ich auch schreie!
Frau Huller zu Frau Benedikt: Das tut doch keine Frau! Zu Philipp: Man hätte Ihnen geholfen!
Philipp: Sie werden mir helfen! Ihr Herz ist bekannt!
Liane: Könnte es nicht auch so gewesen sein, lieber Philipp, daß Sie selbst im Auto saßen, auf einer Ihrer kleinen Hochzeitsreisen, und dabei verunglückt sind?
Philipp: Nein, ich saß nicht in dem Auto. Sieht Frau Huller an. Aber ich werde auch noch drin sitzen!
Frau Huller lacht angestrengt.
Allgemeine Heiterkeit.
Dr. Josefsthal vorn, zu Löwen: Sie sind geschäftlich überanstrengt.
Löwen: Ich bin überreizt durch ein Unternehmen, dessen Ausgang ich nicht voraussehe.
Dr. Josefsthal: Als Ihr Arzt kenne ich so gut Ihre zuverlässige Natur, daß ich überzeugt bin, lieber Freund, auch geschäftlich brechen Sie sich nicht den Hals.
Löwen: Die Idee ist so schlimm wie die Tatsache. Lieber Doktor, Sie kennen hier von jeher jedes Elend. Ich sehe nicht ein, warum ich Ihnen nicht auch dieses eingestehen sollte. Unsereiner täte gut, seine Geschäfte mit seinem Arzt zu besprechen. Ich habe die entsetzliche Vorstellung, daß es im Fall eines geschäftlichen Zusammenbruchs auch mit meiner Häuslichkeit aus ist. Leise, den Kopf gesenkt: Alle meine Anstrengungen sind darauf gerichtet, meine Frau zu behalten.
Dr. Josefsthal leise, eindringlich: Das Kind ist da.
Löwen: Habe ich das Recht, es ihr zu nehmen, falls sie gehen will?
Dr. Josefsthal: Sie werfen Ihre Waffen fort.
Löwen: Meine beste Waffe wird es immer sein, daß ich Liane das Leben erleichtere.
Dr. Josefsthal: Ich werde Ihre Nerven stärken müssen. Die wirksamste Stärkung aber haben Sie zweifellos von Ihrem Freunde Viktor Türk zu erwarten.
Löwen: Von dem Freunde meiner Frau.
Dr. Josefsthal: Er kennt die Einzelheiten Ihres Unternehmens? Natürlich. Welcher große geschäftliche Vorgang wäre ihm unbekannt. Sein Einfluß hat Leuten geholfen, die gefährdeter waren.
Löwen: Ich erwarte ihn täglich. Ruft: Liane!
Liane: Mein Freund!
Löwen: Verzeih einen Augenblick. Dr. Josefsthal möchte wissen, wann Viktor Türk zurückkommt. Er hat dich vielleicht benachrichtigt?
Liane: Aber – weißt du denn nicht, daß er schon da ist? Ich hatte ihn für heute abend gebeten, leider konnte er nicht.
Dr. Josefsthal: Ihr Freund Türk sagt Ihnen ab? Das muß ihn einen schweren Kampf gekostet haben.
Liane: Im letzten Augenblick mußte ich sein Gedeck fortnehmen lassen. Es war keine Zeit mehr, einen fünften Herrn herbeizutelefonieren.
Löwen: Er hat dir nicht gesagt, was ihn abhält?
Liane: Ich habe keine Ahnung.
Gassner mit Liane beiseite: Ihr Freund –?
Liane: Viktor Türk, der Financier: Sie wissen schon. Wir sind sehr befreundet. Das heißt, er hat viel Freundschaft für mich. Wenn er in der Stadt ist, vergeht kaum ein Nachmittag, ohne daß ich ihn bei mir sehe.
Gassner: Da habe ich eigentlich Glück gehabt, daß er in diesen Tagen nicht da war.
Liane: Sie brauchen nicht eifersüchtig zu sein. Er spielt hier gar keine Rolle. Höchstens, daß seine – Gefühle mich bedrücken. Aus Mitleid dulde ich sie. Erraten Sie nicht, warum er heute abend abgesagt hat? ... Weil Sie da sind.
Sie sprechen leise weiter.
Lisl hinten: Ich finde seine Musik ganz herrlich, obwohl ich nie bis zum Schluß bleibe.
Philipp: Ich bleibe, aber ich kriege alle Zustände.
Frau Huller: Sie ist doch so riesig modern.
Die Hofrätin: Es ist keine Musik mehr. Singen Sie denn das wirklich gern, Frau Benedikt?
Frau Benedikt: Von uns Sängern verlangt seine Musik freilich Selbstverleugnung. Wenn wir recht im Vordergrund zu stehen meinen, zieht vielleicht ein Hirtenbub vorüber, singt und ist genauso wichtig. Oder die Sonne geht auf und ist noch wichtiger. Das Orchester aber deckt unsere Stimmen nie. Und alles ist schön, das Schönste, glaube ich doch, was sich heute machen läßt.
Löwen: Eben weil alles gleichmäßig behandelt ist. Ein klingendes Weltbild sozusagen, der Zusammenklang von unser aller Leben, in dem es ja keine Helden und keine Knechte mehr gibt. Bescheiden und groß.
Dr. Josefsthal: Bescheiden, weil es so geistreich ist. Haben Sie nicht bemerkt? Man ist nicht versucht, den Christoph Gaßner mit dieser im Grunde herablassenden Ehrerbietung zu behandeln, die wir für die weniger klarsichtigen, daher größenwahnsinnigen Künstler übrig haben. Er überschätzt die Bedeutung seiner Tätigkeit nicht, drückt aber manchmal äußerst feine Dinge aus, von denen wir voraussehen, daß eines Tages alle Menschen sie fühlen werden. Er sagt uns gleichsam schon etwas über unsere Enkel. Das ist immerhin merkwürdig.
Liane vorn, zu Gaßner: Man spricht über Sie? Dann läßt sich voraussehen, daß man sogleich an mich herantreten wird mit dem Verlangen, ich solle für eine musikalische Unterhaltung sorgen. Was kann ich als Hausfrau dagegen tun.
Gassner: Sie sollen gar nichts dagegen tun. Ich stehe Ihren Gästen zur Verfügung.
Liane: Sie sind noch edler als ich dachte. Dann verständige ich also Frau Benedikt. So sehr sie sonst die Salons verachtet, in denen sie singen muß: wenn Sie spielen, wäre sie natürlich gekränkt, daß man nicht auch sie bittet. Einen Augenblick. Sie geht zu Frau Benedikt und flüstert mit ihr.
Frau Benedikt nach vorn, zu Gaßner: Es wird gewünscht, daß wir musizieren. Ich möchte es nicht und bitte Sie, es mir für heute abend zu untersagen.
Gassner: Die Proben haben Sie freilich grade genug angestrengt. Aber sollten wir der Hausfrau nicht den Gefallen tun?
Frau Benedikt: Ich bin befreundet genug mit ihr, daß ich einmal nein sagen darf.
Gassner: Aber ich?
Frau Benedikt: Oh, Sie, glaube ich – auch schon.
Gassner: Liebe Clara, es sieht aus, als wären Sie mir mit Absicht ungefällig.
Frau Benedikt: Keineswegs, Meister. Haben Sie sich etwa bei den Proben über mich zu beklagen?
Gassner: Wahrhaftig nicht. Sie singen, daß ich Herzklopfen bekomme.
Frau Benedikt: Und das will etwas heißen.
Gassner: Aber wenn wir hier in einem geschlossenen Zimmer miteinander Musik machten, das würde Sie vielleicht peinlich an alte Zeiten erinnern?
Frau Benedikt ausweichend: Damals hörte ja niemand uns zu. Obwohl sich's gerade damals verlohnt hätte.
Gassner: Wissen Sie denn nicht, wieviel voller und gefesteter heute Ihre Kunst ist?
Frau Benedikt: Kunst. Aber dieses gewisse Äußerste, Fessellose, das die Leute nie zu hören bekommen, weil sie uns noch nicht kennen wollen, so lange wir es haben?
Gassner: Es ist nicht schön, jung zu sein. Man war wirr und beladen.
Frau Benedikt: Sie? Sie nahmen die Dinge leicht, außer dem einen, ein Meister zu werden.
Gassner: Ich sollte Sie mir in Ihrem Heim ansehen, mit Ihrem Mann und Ihrem Buben. Sie sind glücklich, das fehlt mir.
Frau Benedikt: Warum? ... Vorhin habe ich den Herrschaften über Ihre Musik alles Gute gesagt, das sich irgend sagen ließ, und ich glaube es auch. Sie verstehen alles. Sie umfassen das ganze Leben und erhöhen es. Sie lieben, in Ihren Werken, die Menschen, wie vielleicht niemand sie liebt. Sie haben ein großes Herz: zu groß für uns Arme. Niemals haben Sie ein Wesen geliebt, eins vor allen andern, niemals eine Frau.
Gassner: Sie irren sich, Clara.
Frau Benedikt: Darum empfinden die einfachen Leute Ihre Musik als etwas zu Fernes, Hohes, Übermenschliches. Sie sind vielleicht ein Heiland, aber der verweilt nicht.
Gassner: Sie sind noch bitter von jener alten Zeit her. Ich kann lieben.
Frau Benedikt: Niemals werden Sie eine Frau wirklich lieben.
Gassner bestürzt, leise: Sie sagen –?
Frau Benedikt sanft und bestimmt: Niemals.
Liane zu ihnen hin: Nun?
Gassner: Gnädige Frau, ich habe eine große Ungezogenheit begangen, ich habe Frau Benedikt das Singen verboten. Können Sie sich in die maniakalische Geistesverfassung eines Komponisten hineindenken, der in drei Tagen eine Premiere hat? Dann verzeihen Sie mir.
Liane: Warum reden Sie so viel? Nach der Gesellschaft: Meine Lieben, es ist wirklich besser, wir schonen unsern berühmten Gast und auch seine Darstellerin bis zum Dienstag.
Die Hofrätin: Ich habe gleich gesagt, daß eine Partie Bridge es auch tut.
Lisl: Man hat nicht acht gegeben, Mama, weil du das immer sagst.
Philipp: Bridge ersetzt uns den Genuß nicht. Mindestens muß gepokert werden.
Löwen: Ich richte den Tisch her. Links ab.
Frau Huller zu Gaßner: Führen Sie mich hinein? Ich bin die am schwersten Enttäuschte, wissen Sie, weil Sie nichts vorspielen.
Gassner mit Frau Huller links ab.
Liane: Viel Vergnügen! Frau Benedikt und ich verstehen nun einmal nichts davon. Zu der Hofrätin: Mama, schone unsere Gäste!
Die Hofrätin, Philipp, Lisl, Dr. Josefsthal links ab.
Liane. Frau Benedikt.
Liane: Ich bin glücklich, daß wir inzwischen plaudern dürfen. Ist es sonderbar, wie? wenn man von den Freuden der andern nichts versteht. Sonst ist es freilich mein Ehrgeiz, jeden Sport gleich mitzumachen, jede dumme Mode.
Frau Benedikt: Oh! ich habe für das Pokern sogar eine Leidenschaft. Eben darum lasse ich es.
Liane: So stark?
Frau Benedikt: Übrigens ist mein Mann unzufrieden, wenn ich ermüdet heimkomme.
Liane: Und auch singen wollten Sie wohl nicht aus Rücksicht auf Ihren Mann?
Frau Benedikt: Wie kommen Sie darauf, daß ich nicht wollte?
Liane: Ich weiß selbst nicht. Sagten Sie uns nicht, daß Sie und Christoph Gaßner sich gut gekannt haben, als Sie beide sehr jung waren?
Frau Benedikt: Ja. Wir waren bei demselben Theater, er als zweiter Kapellmeister, ich in meinem ersten Engagement.
Liane: War es schön damals? Waren Sie glücklich?
Frau Benedikt: Man war jung.
Liane: Und – sonst nichts? Verzeihen Sie.
Frau Benedikt einfach: Und verliebt. Sie dürfen schon davon mit mir reden. Ich habe den Christoph Gaßner, der jetzt so groß geworden ist, einmal sehr liebgehabt.
Liane ohne sie anzusehen: Und er Sie.
Frau Benedikt an Liane vorbei: Nicht so sehr.
Liane: Wie? Sie irren sich! Eine Frau, die ihm gewiß – gefiel, die seine Interessen hatte, die ihn verstand ...
Frau Benedikt: Trotzdem nicht. Auf seine Art liebte er mich wohl. Ich hätte irgendein süßes Mädel sein dürfen, und für ihn wäre es dasselbe gewesen.
Liane erschrocken: Er hat nicht gefühlt, wer Sie seien?
Frau Benedikt: Nein, das hat jeder andere besser gefühlt. Ich gestehe, daß ich damals glaubte, er wolle nicht, und es sei Eifersucht. Ich haßte ihn dafür, und er mich für meine Vorwürfe, für die Unruhe, die ich in sein Leben brachte. Denn er war natürlich, jetzt sehe ich es ja ein, viel zu sehr beschäftigt mit sich selbst, um auch noch auf ein zweites Wesen einzugehn, das genauso wichtig genommen werden wollte.
Liane: Das war damals, als er alles noch zu werden hatte, was er jetzt ist. Wenn Sie ihn jetzt lieben würden –
Frau Benedikt einfallend: Wären es dieselben Kämpfe, das gleiche Elend. Sie steht auf. Glauben Sie denn, daß ein Mann wie Christoph Gaßner je etwas nachlassen kann von seinem Anspruch, der einzige zu sein? Was er braucht, der allzu bedeutende Mann, ist eine Durchschnittsehe mit einem gehorsamen Bürgerkind, das ihn hinterrücks betrügt.
Liane steht auf: Aber nicht er hat sich bürgerlich verheiratet, sondern Sie.
Frau Benedikt: Er zieht es vor, noch andere unglücklich zu machen.
Die Vorigen. Frau Huller.
Frau Huller flatternd von links: Das ist nicht auszuhalten, dieser Philipp agaciert mich.
Philipp von draußen: Nicht fortlaufen! Wo ich im schönsten Gewinnen bin.
Frau Huller: Liebste Frau Benedikt, seien Sie lieb und nehmen meinen Platz!
Liane zu Frau Benedikt: Sie brauchen nicht lange zu sündigen. Ich werde das Spielernest bald ausheben.
Frau Benedikt: Mein armer Mann! Ab.
Liane. Frau Huller.
Frau Huller: Liane! Du mußt mich retten.
Liane: Was ist geschehen? Hast du dort drinnen dein Vermögen verloren?
Frau Huller: Die Sache ist ernster als du glaubst. Tragisch gradezu.
Liane: Da bin ich neugierig.
Frau Huller: Ich wage es sogar dir kaum zu sagen. Es ist wirklich, als ob dunkle Mächte mit uns spielen, wie es neulich in dem Stück hieß. Das Auto, das den Philipp überfahren hat, war nämlich – meins.
Liane: Schauderhaft. Aber ich will dir auch ein Geständnis machen: ich dachte es mir schon. Es war nämlich an eurem Benehmen nicht schwer zu merken.
Frau Huller erschrickt.
Liane: Fürchte nichts, den andern ist es nicht aufgefallen. Man muß wohl Sinn für solche Sachen haben.
Frau Huller: Ja, nicht wahr? Wir verstehen uns. Du kannst dir meinen Zustand denken, als ich Philipp liegen lassen mußte, rechts Wald, links Wald, und weiter, mit – dem Herrn, der bei mir war.
Liane: Ich weiß schon. Da du diesen Herrn liebst, kam das andere natürlich nicht in Frage.
Frau Huller: Freilich habe ich ihn geliebt. Aber es war damals schon ziemlich aus. Da hatte ich doch erst recht keinen Grund mehr, mich vor Philipp zu kompromittieren. Ich hoffte, unter dem dichten Schleier habe er mich nicht erkannt.
Liane: Ich würde es dir sehr übelgenommen haben, liebe Jenny, wenn du aus Sentimentalität eine solche Dummheit begangen hättest. Unsere Leidenschaften haben anerkanntermaßen das Vorrecht, über alles hinwegzusausen. Mag ein gleichgültiger Herr ruhig auf der Landstraße enden.
Frau Huller: Ein gleichgültiger Herr! Du ahnst also noch immer nicht meine ganze Tragik? Liane! Ich liebe doch Philipp.
Liane: Oh!
Frau Huller stolz: Nicht wahr? Wenn so etwas in der Zeitung stände, würdest du es nicht glauben.
Liane: So etwas steht auch nicht darin. Also in Begleitung eines Mannes, von dem du dich innerlich schon losgesagt hast, überfährst du den, den du liebst, und kannst dich ihm unter diesen Umständen natürlich erst recht nicht zu erkennen geben. Ich verstehe, Jenny, daß dein Herz mehr geblutet hat als Philipps Fuß.
Frau Huller: Ob es geblutet hat! Ich kann dir versichern, der andere hat einen schlechten Tag gehabt.
Liane: So sehen unsere Tragödien aus.
Frau Huller weint: Und das schlimmste ist: jetzt haßt Philipp mich. Aus Rachsucht will er mich haben. Wenn ich ihm nun zeige, wie sehr er mir gefällt, hält er es für Schwindel, weil ich Angst vor ihm habe.
Liane umarmt sie: Arme Jenny! Das ist nun wirklich traurig. Du mußt ihn erpressen lassen, was du gern freiwillig gegeben hättest. Aber siehst du, der Ehebruch legt uns Verpflichtungen auf. Alles geht seine Wege.
Frau Huller: Ich will nicht mehr.
Liane: Dann gibt es etwas anderes. Verzichte auf Philipp und den Rest, und versöhne dich mit deinem Mann.
Frau Huller: Das halte ich nicht aus. Man braucht doch Sensationen.
Liane: Nun, die hast du.
Frau Huller: Ich werde also wieder dort hineingehen und mir von Philipp Unverschämtheiten sagen lassen ... Du kommst nicht mit?
Liane: Gleich. Ich sorge nur für Erfrischungen.
Liane. Gaßner.
Liane geht durch das Zimmer, setzt sich und blickt nach der Tür.
Gassner von links: Was tun Sie dort?
Liane: Ich – habe Sie erwartet.
Gassner: Und ich bin gekommen. Er setzt sich zu ihr. Den ganzen Abend schon bin ich gespannt auf dies Alleinsein mit Ihnen.
Liane: Auch ich habe die Reden der andern nur wie aus der Ferne gehört und ihnen geantwortet wie ins Leere.
Gassner: Mir drängt sich schon alle diese Tage lang das Leben zusammen in die kurzen Stunden, die ich Ihnen hier gegenübersitze. Ich habe keinen anderen Gedanken. Wenn ich mit Ihnen in derselben Stadt lebte, mir scheint, ich würde niemals mehr arbeiten können.
Liane: Das dürfen Sie nicht sagen. Es ist auch nicht wahr.
Gassner: Es wäre eine Wollust, zu verstummen vor Ihnen.
Liane: Es wäre ein Verbrechen. Das verlange ich nicht.
Gassner: Doch. Sie verlangen es.
Pause.
Gassner: Und seien Sie versichert, daß ich dies keiner Frau je gesagt habe.
Liane: Ich weiß es.
Gassner: Was habe ich Ihnen nicht alles verraten, vom ersten Tage an.
Liane: Und ich Ihnen!
Gassner: Mögen Sie von Ihrer Ehe enttäuscht sein –
Liane: Ich bin nicht einmal enttäuscht. Ich hatte nichts erwartet.
Gassner: Sie haben doch Ruhe. Und Sie haben Ihr Kind zu lieben.
Liane: Ja, ohne Alice hätte ich es wohl nicht ertragen.
Gassner: Was hätten Sie getan?
Liane: Weiß ich's? Eine Abenteurerin steckt in jeder von uns.
Gassner: Sie haben widerstanden.
Gassner steht auf, tut einige Schritte, kehrt zurück. Angstvoll: Worauf? Können Sie denn noch glauben, daß es für Wesen wie uns, in der Welt, die wir kennen, ein unbedingtes Glück gibt?
Liane in den Sessel gelehnt, reglos, sieht plötzlich zu ihm auf: Sie haben also niemals geliebt?
Gassner: Ich habe Ihnen gesagt, mit welchen Frauen ich gelebt habe.
Liane: Mit Kokotten und kleinen Schauspielerinnen. Das zählt nicht.
Gassner: Warum weniger als anderes? Wir lieben Illusionen. Alles Schöne dieser Erde ist trügerisch, warum nicht auch die Frau? Diese Spitzen, diese Stoffe, die für Lichtgestalten einer anderen Sphäre gewebt scheinen, – über sie gebeugt – diese Haut, zu kostbar und makellos, um über irgend etwas Animalisches gespannt zu sein, dies Haar, das ich einatme, wie den Himmel selbst –
Liane reglos: Das alles gefällt Ihnen und Sie sehen darauf hinab.
Gassner: Die Wesen, die sich unter so viel Schimmer verbergen, haben mich zu oft schon enttäuscht.
Liane: Sie möchten in den Spitzen auch noch Seele.
Gassner tritt zurück: Ich hatte es immer nur mit Frauen zu tun, die mir gefielen, oder aber mit Frauen, die ich hätte lieben wollen. Niemals war, bis heute, alles in einer.
Liane: Liegt der Fehler nicht in Ihnen? Ihre Träume sind zu groß. Sie schaffen das Ideal; eine arme Sterbliche kann nicht Ihrer Musik gleichen.
Gassner: Kunst ist doch nur die vollkommene Wirklichkeit. Eine von euch muß sie erreichen. Wo ist sie. An einer gewissen Altersgrenze erwartet man sie brennender und angstvoller als vordem. Jede Stunde scheint ein Versäumnis. Ich bin allein, und hinter mir liegen Trümmer. Alles, was man mit Menschen zu tun gehabt, war Blamage, denn man hat keinen halten können. Wie hart waren alle, wie hart wir selbst! Das ist der Augenblick, wo alles in uns bebend aufhorcht. Das Tor wird zugeschlagen! Du hast nicht gelebt!
Liane: Ist das nicht Überreiztheit und Verkennung des wirklichen Lebens?
Gassner: Ich behaupte ja nicht, daß dies das Lebensgefühl von Leuten sei, die auf den nächsten Orden warten oder zu der ersten Million die zweite legen. Mein Dasein war bürgerlicher Müßiggang und eine unablässige Vervollkommnung jener inneren Kraft, durch die wir leiden und lieben.
Liane: Sie sind stark, da Sie tausend andere Herzen aufzurütteln vermochten!
Gassner: Und nicht eins!
Liane: Was wollen Sie? Ein Glück wie alle? Ich habe eine Frau für Sie gesucht. Ich bin eine gute Freundin.
Gassner: Sie wissen genau, wie die Frau aussehen müßte, der ich mich hingeben könnte!
Liane: Ja. Denn ich weiß, seit ich Ihre Werke kenne, wie wir sein sollten.
Gassner: Mir ist es, als hätte ich sie alle nach Ihrem Bilde gemacht! Ich habe Sie von jeher gekannt!
Liane: Und ich Sie!
Gassner zurückweichend: Trauen Sie mir nicht zu sehr! Was Sie von mir wissen, haben mein Verstand und meine Sehnsucht erdichtet. Mein Herz ist nicht rein genug für Ihres!
Liane: Sie haben mich alle anderen Herzen verachten gelehrt! Sie sind der einzige, der mir gewachsen ist.
Gassner: Sie sagen es? Von allen Worten, die ich im Leben gehört habe, versprechen diese mir am meisten Glück und am meisten Schmerz. Da ich antworten soll, schaudere ich zurück. Ich habe Ihnen gegenüber die Keuschheit eines Jünglings. Ich fürchte Sie und mich und was wir jetzt aussprechen sollen.
Liane heftig, mit Schmerz: So überlassen Sie es mir und verlangen, daß ich Ihnen gestehe, wie sehr ich Sie liebe!
Gassner steht regungslos. Plötzlich schnell auf sie zu. Ein langer Kuß.
Pause.
Gassner nimmt eine Zigarette: Es ist geschehen. Was nun.
Liane: Ja, was. Eine Zigarette rauchen. Sie steht auf.
Gassner entschlossen: Liane, dies alles bleibt ohne Folgen, – oder Sie lassen sich scheiden und werden mein.
Liane: Wenn Sie es verlangen, werde ich es wohl tun müssen.
Gassner: Sie haben den Gedanken nicht selbst gehabt? Was hält Sie zurück?
Liane: Nichts. Oder, vielleicht, die Wehrlosigkeit meines Mannes. Daß er gar nicht begreifen würde. Daß er mir keinen Vorwand gibt. Sie haben es gehört, er begreift nicht, wie man es in einer Ehe zu Szenen kommen lassen kann. Wir haben nie eine gehabt, wie soll ich sie nun herbeiführen.
Gassner: Wenn es nötig ist, befreie ich Sie, und gleich jetzt!
Liane: Wäre ich nur nicht so frei! Er läßt mich gehen und kommen, wie es mir beliebt. Ich reise viel, ich verkehre mit wem ich will, und er vertraut mir. Eine Frau, die nicht brutal sein kann, hat es schwer, loszukommen von einem so modernen Gatten.
Gassner: Von einem so gleichgültigen! Er liebt Sie nicht!
Liane: Doch, er liebt mich. Oh! nicht stürmisch. Aber es ist ihm ein tiefes Bedürfnis, zu wissen, daß am dritten Tage wieder ein Brief von mir da sein wird, und daß ich zum Frühjahr dann selbst wieder einmal herschaue. Und er liebt das Kind; vielleicht würde er es mir nicht lassen. Und das sage ich Ihnen: ohne mein Kind gehe ich nicht fort!
Gassner nimmt sie in die Arme: Süße Frau! Ich möchte dich nicht anders als so, voll Hochherzigkeit und Liebe. Glaube nicht, daß ich es weniger schwer nehme!
Liane küßt ihn auf die Haare: Ich weiß. Denn du liebst mich ja. Du verstehst alles, noch bevor ich es ausspreche. Ich darf die Augen schließen, du wirst mich führen.
Gassner: Ich würde mich verachten, nähme ich dich leichthin zur Geliebten. Es ist Feigheit, von einer Frau nur die Freuden zu nehmen und die Last ihres Lebens einem andern zu lassen. Der Betrug würde uns kleiner machen als wir sind, er würde uns Mißtrauen gegeneinander eingeben, er würde uns trennen.
Liane: Soll ich denn seine Existenz zerbrechen?
Liane: Haben wir so viel Rechte?
Gassner: Wir haben sie wohl erworben durch lebenslange Entbehrung. Mögen nun andere leiden. Welches Gefühl will denn aufstehn gegen unseres! Sprechen Sie ein Wort, und – Bewegung nach der Tür links – ich mache allem ein Ende.
Liane flehende Gebärde.
Gassner ergreift ihre Hände: Liane! Welche kalten Hände! Verzeihen Sie mir! Ich habe nie das Unglück eines Menschen gewollt.
Liane: Und jetzt wollen Sie einem gleich Frau und Kind nehmen.
Gassner: Lieben Sie mich denn nicht?
Liane: Ach! ob ich Sie liebe.
Gassner: Verzeihen Sie mir! Ich habe es leicht, mich mit meiner Entschlossenheit zu brüsten. Was hält, in meiner bisherigen Existenz, mich denn zurück. Ich bin, trotz Erfolg und Ehren, ein alter Zigeuner. Habe ich auch nur das Recht, zu verlangen, daß Sie um meinetwillen Familie und Haus verlassen, Ihren Kreis, Ihr gewohntes Leben, Vergnügungen und Pflichten? Sie fesselt so vieles.
Liane mit Leidenschaft: Mich fesselt gar nichts!
Gassner: Wie schön solch ein Wort Sie macht! Wie ich Sie anbete! Sie setzen sich einander gegenüber, ganz nahe.
Gassner: Daß ich es bin, der diese Brust stärker atmen macht! Seit wann lieben Sie mich?
Liane: Von jeher! Solange ich Ihre Werke kenne.
Gassner: Dann lieben Sie den, der das geschrieben hat, – gleichgültig, was für ein Mann er ist?
Liane lächelnd: O nein! Es ist sogar ein rechtes Glück, daß Sie mir auch gefallen. Sonst wäre nichts daraus geworden.
Gassner: Ich gefalle Ihnen? Wirklich? Springt auf, wirft die Arme empor, jubelt: Ich bin wieder jung! Alles beginnt erst! Liane! Wir werden unerhört glücklich sein!
Liane: Wissen Sie das so genau? Grade weil wir beide so unendlich lieben könnten, werden wir einander vielleicht unglücklich machen. Wir wissen zu viel. Können Menschen wie wir denn noch glauben? fragten vorhin Sie selbst.
Gassner: Da hatten wir noch nicht gesprochen!
Liane: Warum sollte gerade ich Sie nicht enttäuschen, – da noch jede es getan hat. Wie war es mit Frau Benedikt? Sie scheint sehr gelitten zu haben durch Sie.
Gassner: Die? Sie hat Ihnen wohl kaum gesagt, warum wir uns trennten? Weil sie mich betrog.
Liane: Bis sie es tat, werden Sie sie sehr gequält haben.
Gassner setzt sich wieder, nimmt ihre Hände, küßt sie langsam: Liane, geliebte Frau, seien wir gütig miteinander. Diese Hände spenden mehr Seele, als alle andern Frauen mit ihren hingebendsten Blicken.
Liane: Täuschen Sie sich nicht! Mir kommt alles nur von Ihnen. Sie sehen sich bei mir im Spiegel. Und ich habe Zeiten, wo ich ganz geistlos dahinlebe und beinahe frivol.
Gassner: Andere haben Ihnen gefallen wie ich?
Liane starr: Vorhin hat meine Freundin, Frau Huller, mir von ihren Abenteuern erzählt, die so dumm sind und so unwiderlegbar. Ich bin erschrocken, wie gut ich sie, trotz unserer großen Liebe, verstehen kann. Das sind die Dinge, die jede von uns versteht. Erwacht, läßt sich gegen seine Schulter gleiten. Ist es nicht, als sei man einer Gefahr entronnen, da wir uns gefunden haben?
Gassner: So ist es.
Liane: Alles in meinem Leben war ein Umweg zu Ihnen. Als ich dies zu fühlen begann: wissen Sie, welche Probe ich gemacht habe?
Gassner: Sie haben mich geprüft? Sie sind eine richtige Frau.
Liane: Ich habe Alice entscheiden lassen.
Gassner: Ihr Kind und ich waren Freunde, sobald Sie uns bekannt machten.
Liane: Ja; und ohne daß ich ihr sagte, wer Sie seien. Ich, die Ihre Musik kannte, hatte ein Vorurteil zu Ihren Gunsten. Alice hatte keins. Sie gleicht mir. Wen sie liebt, darf auch ich lieben.
Gassner: Jetzt werde ich Ihr Kind noch lieber haben müssen. Wir drei werden eins werden. Sie werden ganz mir gehören ... Sprechen Sie!
Liane: Mein lieber Freund, ich liebe Sie. Alles andere ist ungewiß, dies aber erfüllt mich mit Sieg und Sicherheit. Sie löst sich von ihm. Ich möchte, daß Sie durch mich glücklich werden.
Sie stehen auf. Ermüdete Bewegungen. Pause.
Liane: Man hat uns hier vergessen. Wir werden die Spieler in die Wirklichkeit zurückrufen müssen, – angenommen, daß wir selbst noch darin sind.
Gassner nervös: Liane, was ist's mit diesem Herrn Viktor Türk, der für Ihren Freund gilt?
Liane: Sind Sie eifersüchtig?
Gassner: Ich muß die Hindernisse kennen, um sie fortzuräumen.
Liane: Es ist keins fortzuräumen. Er liebt mich und hat sich scheiden lassen, um mich heiraten zu können. Ich habe ihm keinen Zweifel darüber gelassen, daß er sich gar keine Hoffnungen zu machen hat. Ich habe harte Worte gebraucht. Aber Frau und Kinder verlassen: um so vieler Opfer willen habe ich ihn wenigstens um mich dulden müssen. Und daraus leitet ein Mann dann wieder Rechte her.
Gassner: Jetzt werden Sie ihn verabschieden?
Liane: Ich warte längst auf die Gelegenheit, ein endgültiges Wort zu sprechen. Wenn Sie wüßten, wie das schwer ist.
Gassner: Sie schleppen zu vieles mit sich, das Sie hindert, Ihren Weg zu gehen.
Die Vorigen. Die Hofrätin. Frau Huller. Frau Benedikt. Lisl. Löwen. Philipp. Dr. Josefsthal.
Lisl: Mama ist großartig!
Philipp: Die Partie wird fortgesetzt. So geht das nicht.
Die Hofrätin: Liebe Liane, es war ein reizender Abend. Du bist eine Hausfrau wie wenige.
Liane: Ich bin glücklich, Mama, wenn du dich gut unterhalten hast. Zu Löwen: Sie hat wohl gewonnen?
Löwen nickt.
Lisl: Mama hat alle ausgeplündert.
Frau Huller: Ich habe von der Aufregung einen Heißhunger!
Philipp: Ich, der ich im schönsten Gewinnen war!
Frau Huller: Zum Schreien!
Liane: Sofort kommt der Imbiß.
Die Hofrätin: Ach ja. Es ist so gemütlich. Wir bleiben noch. Sie setzt sich.
Philipp redet leise auf Frau Huller ein.
Frau Huller: In den Stadtpark?
Philipp: Ich verlange es. Das Kasino ist noch offen. Sie haben nur ja oder nein zu sagen.
Frau Huller flehend: Können Sie denn nicht ein bissel lieb sein mit mir?
Philipp: Sie ahnen nicht, wie lieb.
Sie verhandeln leise weiter.
Liane zu Frau Benedikt: Um Gottes willen, Sie haben doch nicht verloren?
Frau Benedikt: Das Geld Ihres Mannes. Er ist so rücksichtsvoll.
Frau Huller zu Liane: Also es ist geschehen.
Liane: Was ist geschehen?
Frau Huller: Philipp und ich sind einig.
Liane: Ich gratuliere.
Frau Huller: Er will ins Kasino fahren. Du mußt mitkommen.
Liane: Ins Kasino, um die Zeit?
Lisl hat gehorcht: Ins Kasino! Zu Löwen: Hörst du, Franz? Zu Dr. Josefsthal: Wer nicht mitkommt, ist mein Feind.
Dr. Josefsthal: Noch Sekt? Ich habe morgen früh eine Operation, da muß die Hand sicher sein.
Lisl: Ach was, ein Meter Eingeweide mehr oder weniger.
Löwen hat draußen einen Auftrag erteilt: Zwei Autos werden sogleich da sein. Liane, willst du dich fertig machen?
Dr. Josefsthal: Ich verlange, daß die gnädige Frau ihren Pelzmantel umnimmt.
Liane: Ich will das Fest nicht stören, aber ich fühle mich wirklich ziemlich ermüdet.
Philipp: Was soll das heißen.
Liane: Ihr werdet zuerst Mama nach Hause fahren.
Die Hofrätin: Aber ich geh doch mit. Es ist so reizend heute abend.
Lisl zu Liane: Und du weigerst dich! Wie du dich benimmst!
Gassner: Wenn ich die gnädige Frau inständig bitten darf.
Liane: Umsonst, lieber Herr Gaßner.
Lisl: Nicht einmal dem berühmten Gast zuliebe?
Dr. Josefsthal: Es wäre übrigens eine Tollkühnheit gewesen, für eine Rekonvaleszentin.
Löwen: Also wenn ich bitten darf. Gute Nacht, Liane.
Verabschiedung.
Gassner zu Liane: Frau Benedikt muß heim. Ich werde sie begleiten.
Liane leise: Sie dürfen sich nicht ausschließen, weil ich nicht dabei bin. Zu Frau Benedikt: Auf Dienstag. Sie werden seine Rolle singen – und ihn glücklich machen.
Alle nach hinten ab, außer Liane.
Liane. Löwen.
Liane geht, den Kopf gesenkt, durch das Zimmer.
Löwen zurückkehrend: Liane!
Liane schrickt auf: Du?
Löwen: Verzeih! Ich muß dich doch fragen, ob der Abend nicht zu anstrengend war.
Liane: Aber – ich habe euch einfach spielen lassen, und Herr Gaßner hat mir Gesellschaft geleistet.
Löwen: Dein Befinden ist nicht schlechter?
Liane: Ich habe Migräne, sonst nichts ... Damit du dir keine Sorgen machst, will ich dir sogar sagen, warum ich eigentlich nicht mitgehe. Es ist dieser Brief.
Löwen: Ich dachte es mir.
Liane: Siehst du, wenn sich schon ein Unbekannter findet, der dem Christoph Gaßner für mich einen Brief schreibt, dann tue ich wohl gut, mich nicht gerade des Nachts mit ihm in einem Vergnügungsetablissement zu zeigen.
Löwen: Ja. Aber es ist kein Unbekannter.
Liane: Du weißt?
Löwen: Ich möchte dich beruhigen. Stockend: Du warst so krank, und du wartetest mit solcher Ungeduld auf die Premiere seiner Oper, auch wohl auf seinen Besuch.
Liane aufhorchend: Ja. Weiter?
Löwen: Du sprachst im Fieber davon. Du warst in Angst, nicht rechtzeitig gesund zu werden. Ich hatte nur den Wunsch, dir eine Freude zu machen.
Liane wendet sich ab: Oh! Du? Du warst es?
Löwen: Du nimmst es mir übel?
Liane: Das hättest du nicht tun dürfen. Du nicht.
Löwen: Du selbst konntest es ja nicht. Vielleicht hättest du den Besuch Gaßners nicht bekommen.
Liane heftig: Und wenn nicht. Es ging auch so. Es ging vielleicht besser so.
Löwen: Du darfst dich nicht aufregen. Verzeih meine Eigenmächtigkeit. Sie war gut gemeint.
Liane niedergeschlagen: Ich weiß es. Auch liegt nichts daran, ich weiß nicht, warum ich mich aufrege. Vielleicht, weil es gerade mit Gaßner passiert ist, der ein so feinfühlender Mensch ist. Aber die Aufklärung, die du mir gibst, ist immerhin beruhigend.
Löwen: Du wirst jetzt schlafen können?
Liane: Ich hoffe es. Gute Nacht.
Löwen: Gute Nacht, Liane. Ab.
Liane. Das Zimmermädchen.
Liane geht erregt umher, dreht das Licht ab, bis auf einzelne Lampen, setzt sich in einen Winkel und stützt den Kopf.
Das Zimmermädchen von hinten, anmeldend: Gnädige Frau, Herr Christoph Gaßner.
Liane aufschreckend: Wer?
Das Zimmermädchen: Der Herr ist zurückgekommen.
Liane: Sagen Sie, ich sei zur Ruhe gegangen.
Das Zimmermädchen ab.
Liane. Gaßner.
Gassner an dem Mädchen vorbei: Gnädige Frau, Verzeihung, ich fürchtete, nicht mehr rechtzeitig zu kommen. Es handelt sich um die Loge für Dienstag. Soeben begegne ich jemandem vom Theater –. Er sieht sich um, ob die Tür geschlossen ist. Liane!
Liane: Was tun Sie? Das ist unvorsichtig.
Gassner: Ich sollte für Frau Benedikt noch ein Auto holen. Statt dessen bin ich auf einem Umweg ins Haus zurückgekehrt.
Liane: Sie hätten besser getan, einfach das Auto zu holen.
Gassner: Sogleich. Aber ich werde nicht mit Frau Benedikt darin fortfahren.
Liane: Sondern?
Gassner: Mit Ihnen, Liane.
Liane: Das ist ein Scherz. Darum riskieren Sie, daß man kommt und Sie hier findet?
Gassner: Liane, ich weiß nicht wohin, wenn ich Sie verlassen muß. Ich weiß nicht, wie leben. Wissen denn Sie es?
Liane: Ich habe mich nach Ihnen gesehnt. Aber Sie durften nicht kommen.
Gassner: Dürfen! Er fällt vor ihr hin, er umklammert sie. Komm mit mir! Hol dein Kind, und fort, ganz fort, aus der Stadt, aus dem Lande! Ich hab nur dich, du bist mein Atem, mein Herz, ich sterbe, wenn du nein sagst!
Liane erschrocken, mütterlich: Christoph, Lieber, nicht den Kopf verlieren! Ich bin eine verheiratete Frau. Du hast am Dienstag deine Oper zu dirigieren.
Gassner: Man soll ohne mich auskommen, man soll die Vorstellung absagen. Mögen sie dich suchen, wir werden verschwunden sein. Das andere geht die andern an, wir haben genug an unsrer Liebe!
Liane liebkost sein Gesicht: Ich muß dir viel verzeihen: du bist ein Künstler. Du Kind!
Gassner: Komm!
Liane: Still! Leicht und entschieden: Herr Christoph Gaßner, Sie werden jetzt artig aufstehen und dort hinausgehen. Sie horcht. Also! Zu spät, mein Mann ist zurück.
Gassner steht auf: Was soll ich tun.
Liane: Jetzt fragen Sie. Ich werde Sie keineswegs in meinem Schlafzimmer verstecken, Herr Künstler. Zum Glück habe ich mich geirrt, es war nichts. Wer mich liebhat, erspart mir solche Aufregungen. Was für Abenteuer sind Ihnen plötzlich eingefallen? Ein offener Skandal, Entführung, Lärm in den Zeitungen! Wir sind doch zivilisierte Menschen.
Gassner: Sie haben es mich vergessen lassen!
Liane: Das wollte ich nicht. Sie müssen durchaus wieder alle gegebenen Tatsachen beisammen haben, wenn Sie mich morgen zum Tee besuchen. Steht auf. Adieu, gehen Sie! Schließen Sie Flurtür fest, man muß es hören.
Gassner: Ich werde morgen nicht kommen. Ich kann dies Haus nicht mehr betreten. Auf sie zu: Merken Sie denn nicht, wie ich leide? Ihr Blut bleibt ruhig?
Liane sieht zu Boden, ihre Brust hebt und senkt sich.
Gassner: Endlich! Sie werden mein sein. Morgen! Sie kommen zu mir! Er greift nach ihr.
Liane entzieht sich ihm. Unsicher: In Ihr Hotel? Wie ginge das?
Gassner: In ein anderes, – das ich Ihnen nennen werde!
Liane: Auch das muß ich Ihnen abschlagen. Wenn ich schon wollte: mit Ihnen in solch ein Vorstadthotel, – ich wäre sicher eine sehr schlechte Liebhaberin dort. Den technischen Bedingungen des Ehebruchs fühle ich mich nicht gewachsen.
Gassner: Nicht diese Ausflüchte! Sie werden kommen!
Liane: Mein Freund, Ihr Ungestüm könnte mich zweifeln lassen, ob Sie wirklich der sind, den ich liebe. Bestehen Sie auf Ihrer Forderung, dann war alles Irrtum, und ich habe Sie verloren.
Gassner: Dann muß ich gehen? Ja, dann gehe ich. Dann spielen Sie mit mir.
Liane: Sie wollten mich befreien. Haben Sie schon vergessen, daß niemand betrogen werden sollte?
Gassner: Sie sind geduldig. Fragen Sie sich selbst, ob Leidenschaft so geduldig ist.
Liane gibt sich plötzlich in seine Arme: Ich liebe Sie, daran ist nicht zu zweifeln. Aber Sie dürfen mich nicht quälen.
Gassner: Was würden Sie von meiner Liebe halten, wenn ich nichts forderte.
Liane: Sie haben recht. Aber jetzt ist es genug. Eine andere Frau wäre schneller mit sich fertig. Haben Sie Nachsicht mit mir! Seien Sie gütig wie bisher: Sie, der alles von mir ahnt. Die Ehe, in der weder meine Sinne noch mein Herz beteiligt waren, die Kämpfe, um mich nicht zu verlieren, und die Einsamkeit, das alles hat mich unfähig gemacht, zu handeln wie eine Frau, die liebt und über sich verfügt. Verlangen Sie nicht das Unmögliche.
Gassner: Ich weiß, Sie sind, als seien Sie unberührt. Ich werde lange um Sie werben müssen. Sie wollen einen zärtlichen Freund. Einen Geliebten wollen Sie vielleicht gar nicht.
Liane: Doch, du bist mein Geliebter. Schmiegt sich fester an ihn. Macht sich los. Ich verspreche Ihnen, daß alles normal verlaufen wird, – falls wir uns wiedersehen.
Gassner: Falls wir uns wiedersehen?
Liane: Ja. Denn am Tage nach Ihrer Premiere werden Sie abreisen, und dann werden wir einige Wochen, ja, bis zum Frühjahr wohl, jeder für sich uns prüfen. Diese Liebe muß ganz unvermeidlich sein, oder sie darf nicht sein.
Gassner: Ich habe mich geprüft!
Liane: Denn es wäre schrecklich, wenn wir uns irrten. Dann käme die Hoffnungslosigkeit. Auch für Sie.
Gassner: Ich fürchte nichts mehr, als daß Sie sterben, als daß Sie verschwinden!
Liane: Nun gehen Sie, mein Freund.
Gassner: Geben Sie mir wenigstens ein Versprechen! Setzen sie einen Zeitpunkt!
Liane: Das kann ich nicht. Alles entscheidet sich da – sie berührt sein Herz, dann ihres – und hier. Wir können nichts.
Gassner: Sagen Sie, daß Sie es hoffen!
Liane: Ich hoffe es. Leben Sie wohl, lieber, lieber Christoph. Sie reicht ihm die Hand.
Gassner küßt ihr die Hand: Ich komme morgen.
Liane: Aber hiervon sprechen wir nicht mehr.
Gassner geht. Von der Tür her: Ein Wort, Liane!
Liane: Ich weiß nicht.
Hotel-Terrasse am Meer. Links Glastür in den Salon.
Mehrere Tische. Blühende Büsche unter dem Geländer. Blauer Himmel und blaues Meer.
Liane. Gaßner.
Gassner sitzt und zeichnet.
Liane in weißem Kleid, an das Geländer gestützt: Und wenn ich nicht dennoch ja gesagt hätte?
Gassner: Es war nicht anders möglich! Sie mußten mich rufen, Sie mußten kommen!
Liane: Ich wußte wohl. Je länger unsere Trennung währte, desto unumstößlicher ward es, daß Sie in meinem Leben das einzig Notwendige sind. Ohne Sie wäre ja alles sinnlos. Ich habe im Grunde immer gewußt, ich würde Ihre Geliebte sein: schon bevor Sie kamen. Es hat nur so lange gedauert, bis Sie kamen.
Gassner: Ihre Briefe in dieser Wartezeit! Sie wollten vernünftig sein und waren ungeduldig. Sie rieten mir Ruhe und Zweifel an, und ich hörte nur Sehnsucht, Überdruß an allem, was uns hemmte, den Kampf um das Glück!
Liane: Es war wundervoll, wenn ein Brief von Ihnen da war. Alles erhielt Tiefe und Würde. Ich glaube an das Wunder, das mich bezwungen hat.
Gassner: Es kam immer näher, das Wunder, jeden Morgen, mit jedem Blatt von Ihrer Hand! Es war wie das Anschwellen einer heißen, starken Musik –
Liane einfallend: – die Sie selbst geschrieben hätten.
Gassner: Ich? Ich arbeitete nur noch mit halber Kraft. Ich konnte nichts mehr, als die Morgenstunde erwarten, in der Ihr Brief kam.
Liane lächelnd: Und jetzt? Werde ich Sie denn immer hindern, Ihren Beruf zu erfüllen und den Leuten schöne Werke zu geben?
Gassner: Mein Beruf ist, Sie zu lieben. Wir sollen ein Wesen lieben und bei ihm lernen, den Herzen aller Menschen ein wenig weiter zu helfen, aus Torheit, Brutalität und Einsamkeit heraus. Kunst ist ein Mittel dazu. Sonst wäre sie eitles Spiel.
Pause.
Gassner: Freilich, gelernt muß man einiges haben. Und das da – er hält seine Zeichnung empor – habe ich niemals gelernt. Aber mir scheint, es wird sogar ähnlich.
Liane: Ähnlicher, als wenn Sie irgendein Maler wären.
Gassner: Falls die Kraft der Vision es macht –. Denn, Liane, ich weiß Sie auswendig. Tritt zu ihr. Innig: Dies ist das Gesicht, in das ich länger geblickt habe als in alle andern Menschengesichter. Meer und Himmel in unvergänglicher Bläue, und umflossen davon dies geliebte Gesicht. Das ist nun das Leben, so ist das Glück.
Liane: Sieh mich an! Sieh mich immer an! Unter deinem Blick wird mir leicht. Ich fühle, daß ich nicht mehr allein bin. Alles ist gut, ich habe nie gelitten, ich war nie einsam.
Gassner: Du wirst es nie mehr sein.
Liane plötzlich traurig: Nie mehr? Bleibt dieser Himmel denn immer wolkenlos?
Gassner: Süße Frau! Ich weiß wohl, du hast Furcht, es könne enden. Meinst du, ich sehe dich nicht zweifeln? Durch deine Augen streichen Schatten, dann zweifelst du.
Liane das Gesicht an seiner Schulter: Du siehst alles, für dich braucht es keine Worte, bei dir bin ich geborgen ... Nein, ich zweifle nicht, daß wir uns immer lieben werden ...
Gassner: Siehst du.
Liane suchend: Wie soll ich es sagen. Du verstehst mich doch, bevor ich selbst mich verstanden habe. Gibt es nicht für unsereinen Stunden, wo die tiefste Zusammengehörigkeit vergessen ist? Man fühlt die Liebe nicht immer. Man sieht sich an und erstaunt, wie fremd man ist. Plötzlich aber, wie wunderbar schön, erkennt man sich.
Gassner: Ich liebe dich immer.
Liane: Immer? So sehr wie ich, kann niemand zu allen Stunden lieben.
Gassner: Kaum hab ich dich verlassen, sehne ich mich schon nach dir.
Liane: Ich sehne mich am meisten nach dir, während du da bist. Sie gibt sich in seine Arme.
Pause.
Gassner: Hat dein Mann endlich geschrieben?
Liane trennt sich von ihm: Ja, warum?
Gassner: Ich merke es wohl, wenn du mich weniger liebst. Dann hast du Gedanken, die nicht mich angehen.
Liane: Was meinen Sie? Die Dinge daheim? Dort ist alles in Ordnung. Ich war töricht, mir einen Augenblick Sorgen zu machen wegen meines Mannes. Sein Schweigen hatte nur geschäftliche Gründe.
Gassner: Daß ich wochenlang mit dir an einer einsamen Küste bin, das scheint ihm natürlich?
Liane: Meine Freunde besuchen mich, wo immer ich hingehe.
Gassner: Ich weiß, zehn Tage noch und dein Freund Viktor Türk besucht dich hier. Warum nicht? Die Gesellschaft gibt ihm dieselben Rechte an dich wie mir.
Liane: Mein Mann schreibt mir, daß die Freundschaft des Herrn Türk ihm in diesem Augenblick besonders wertvoll ist. Es handelt sich, wie mir scheint, um ein wichtiges Geschäft. Sie aber, oh, sogar die Gesellschaft gibt Ihnen größere Rechte als anderen. Denn Sie sind berühmt. Man darf sich anstandslos Ihr Bild auf den Tisch stellen.
Gassner: Sage »Du« zu dem berühmten Mann.
Liane: Wozu einander immer daran erinnern, daß wir intime Stunden haben. Sie sollen ganz geheim bleiben, – leidenschaftlich – bis sie wieder da sind.
Gassner: Oh! du verstehst zu lieben. Wenn ich je etwas geleistet habe, du bist mein Lohn.
Liane: Fassen Sie mich lieber nicht als Lohn auf. Es kann sein, daß Sie es mit mir schwerer haben werden als mit Ihren Arbeiten.
Gassner: Das Schwere ist, daß Sie einen Mann haben und ihn mir nicht haben opfern wollen.
Liane: Kind!
Gassner: Ich denke seiner mit Beschämung. Die Frau, die durch die tiefsten menschlichen Rechte mein ist, gehört vor der Welt einem andern.
Liane: Ich hätte mich der Gefahr ausgesetzt, mein Kind zu verlieren. Sie tun unrecht, daß Sie darauf zurückkommen.
Gassner: Nicht offen und ehrlich handeln zu dürfen! Sie mögen mir glauben, es mußte schon um das Glück meines ganzen Lebens gehen –
Liane: Damit Sie ihn betrogen? Nachdenklich: Ich habe nicht das Gefühl, ihn zu betrügen. Was ich Ihnen gebe, hat er nie von mir bekommen. Er würde es mir wohl nicht einmal danken. Er verliert nichts, vielleicht gewinnt er sogar. Ich werde ihm eine angenehmere Frau sein, möglichenfalls. So sind wir ja.
Gassner: Das Wunderbare ist, daß ich sein Kind liebe. Da es Ihres ist, liebe ich es mehr, als wenn es mein eigen und das einer andern Frau wäre.
Liane: Das ist ein Wort von dir!
Die Vorigen. Martin. Martin klopft an der Tür. Liane und Gaßner entfernen sich voneinander.
Martin: Befehlen die Herrschaften, daß ich den Tee hier draußen serviere?
Liane: Freilich. Wie immer. Es bleibt doch immer schönes Wetter bei euch?
Martin: So viel an mir liegt, gnädige Frau.
Gassner: Wir bitten um Ihre Protektion. Und sorgen Sie um Gottes willen auch dafür, daß die alte Französin sich nicht wieder hier herauf verirrt.
Liane zu Gaßner: Was haben Sie? Die alte Dame ist sehr angenehm.
Martin: Sie wird nicht kommen. Ich habe ihr eine wunderbare Laube gezeigt. Madame war entzückt.
Gassner: Den langen Herrn mit der Mütze habe ich seit heute früh nicht gesehen.
Martin: Er hat sich ein Boot genommen. Er langweilt sich. Wir sind ja noch in der Vorsaison; alle langweilen sich: besonders wenn sie hier vorüberkommen.
Liane: Warum denn?
Martin harmlos: Weil die gnädige Frau und der Herr Doktor sich nicht langweilen.
Gassner zu Liane: Sie fürchten sich vor uns. Ich kenne das.
Liane: Die Armen. Das große blonde Fräulein, mit der alten Dame, hat es denn noch keine Bekanntschaft?
Martin: Das ist eine Komtesse Törreck. Im Hotel schaut sie niemand an. Aber es ist ein Auto mit Herren gekommen. Die Komtesse ist mit ihnen am Tennisplatz.
Liane sieht hinab: Wirklich, sie spielen ... Die Komtesse spielt elegant.
Gassner: Sie interessiert das?
Liane: Sie nicht?
Gassner: Wenn Sie es wären, statt der Komtesse.
Liane: Die Komtesse gefällt mir.
Gassner: Eine blonde Stange.
Liane enttäuscht: Warum sagen Sie das?
Martin: Der Tee ist serviert. Darf ich das kleine Fräulein und die Miß rufen?
Liane: Bitte.
Drinnen im Salon entsteht Lärm und Kindergeschrei.
Liane: Um Gottes willen, die beiden werden sich doch nicht umbringen.
Martin: Nur eine Meinungsverschiedenheit, gnädige Frau.
Liane: Alice!
Die Vorigen. Alice. Miß Tornton.
Liane: Miß Tornton, was ist Furchtbares geschehen?
Alice: Miß will, daß ich den Ball wiederfinde. Ich kann ihn doch nicht finden.
Liane: Miß Tornton hat ganz recht. Wenn du ihn verloren hast, such ihn.
Alice wirft sich gegen die Wand und weint laut.
Liane: Du blamierst mich, jetzt, da du weißt, daß ich nichts tun kann. Das ist nicht fair.
Alice ist plötzlich still.
Gassner: Du armes Kind. Der böse Ball ist weggelaufen. Aber komm, wir werden ihn zurückholen, und dann wirst du ihn bestrafen.
Miss Tornton: Alice folgt nicht. Es ist sehr schwer mit Alice.
Liane: Hörst du, was Miß Tornton sagt?
Alice: Mutti, Herr Christoph wird in den Garten gehen und ihn holen.
Liane: Herr Christoph wird einem so schlimmen Kind nicht beistehen. Du wirst dich still niedersetzen und deine Milch trinken.
Miss Tornton: Alice folgt nicht. Sie muß den Ball suchen.
Liane: Später. Jetzt wünsche ich, daß sie die Milch trinkt. Wie wär's, Alice, wenn du den Martin bätest.
Alice: Bitte, lieber Martin.
Martin: Das Fräulein Alice kann immer auf mich zählen. Ab.
Gassner: Sehen Sie, gnädige Frau, daß nicht ich allein diese Schwäche habe?
Sie setzen sich um den Teetisch.
Alice: Mutti, bekomm ich heute zwei Stück Kuchen?
Liane: Eins wird genügen.
Gassner: Möchtest du meins?
Alice: Mutti erlaubt es nicht.
Gassner: Wir werden sehen. Gnädige Frau?
Liane: Nehmen Sie nicht Partei gegen mich, ich bitte Sie.
Gassner: Verzeihen Sie mir. Es ist so natürlich, daß ich dem Kind ein Vergnügen machen möchte. Was kann ich weiter tun für Ihr Kind?
Liane: Sie schmeicheln sich bei Alice ein, auf meine Kosten. Das ist nicht recht.
Gassner: Eifersüchtig?
Liane: Sie haben nicht die Verantwortung zu tragen für Alices Erziehung.
Gassner: Leider nicht. Aber wenn es nur darauf ankäme, wie lieb man ein Kind hat ...
Alice schmiegt sich an Liane: Liebe, liebe Mutti.
Liane zu Alice: Schau, die Leute kommen vom Tennisplatz. Siehst du die schöne Dame? Auch du wirst einmal Tennis spielen. Meine Tochter wird außerordentlich schick sein und mir Ehre machen.
Gassner: Eine blonde Stange wird sie zum Glück nicht werden. Sie wird so klug sein, ihrer Mutti zu gleichen.
Liane: Das war kein glückliches Kompliment, lieber Herr Christoph. Sie wissen, solche Frauen gefallen mir.
Gassner: Weil sie der Gegensatz zu Ihnen selbst sind, und weil Sie, gnädige Frau, zu fein sind, um sich nicht nach Ihrem Gegensatz zu sehnen. Freilich, diese gut gehaltenen Rassefrauen, die Sie beneiden, kennen solche Sehnsucht nicht. Sie sind stärker.
Liane: Grund genug, sie zu beneiden.
Sie sind vom Tisch aufgestanden und stehen vorn an der Balustrade. Miß Tornton ist damit beschäftigt, Alice die Tasse leeren zu lassen, sieht aber mehrmals, sich steif aufrichtend, nach Liane und Gaßner hinüber.
Gassner: Um ihre Grenzen und Scheuklappen? Weil es Frauen sind, die eigentlich hundert Jahre vor Ihnen gelebt haben? Von allen Feinheiten eines Herzens wie des Ihren nie erfahren können und Ihnen nichts zu bieten haben als die Vervollkommnung der äußeren Zucht?
Liane: Das ist genug. Es gibt Zeiten, wo es für mich alles ist, Sie kennen mich nicht, wie ich bin, wenn ich unter solchen Leuten lebe, in Biarritz oder Rimini. Ich denke an nichts als den neuesten Sport und den gerade aktiven Flirt.
Gassner: Aber an den Flirt denken Sie nur. Von den schönen Männern in Rimini ist keiner Ihnen nahegekommen.
Liane: Wer weiß? Einer dieser herrlichen Conti war zu schön, ich glaube nicht, daß es viele Frauen gibt, die ihm widerstanden hätten.
Gassner gezwungen: Jetzt also fangen die Geständnisse an?
Liane: Oh, so unbedeutende. Es waren nur acht Tage, in denen er mir – Eindruck machte. Als er mich dann zu Hause besuchte, war der Zauber schon verbraucht.
Gassner: Acht Tage ...
Liane: Während derer ich nicht auf Sie gewartet habe, mein Prinz.
Gassner aufatmend: Versucherin! Sie wollen mich schwach sehen? Es wird Ihnen nicht gelingen. In der Stunde, wo diese Leute sich Ihnen am nächsten glauben, sehen Sie über alle hin und denken: Ihr Armen. Auch über den Conte, der zu schön war, sehen Sie dabei hin.
Liane leise: Vielleicht haben Sie recht?
Gassner: Sie glauben, in einer Gesellschaft würden wir uns nicht wiedererkennen? Ein Zeichen der Augen, ein Pulsschlag nur, und wir beide wären entrückt um tausend Meilen! Ich wäre nicht eifersüchtig, mitten in der buntesten Welt nicht, auf niemand. Nahe bei ihr, leise und leidenschaftlich: Ich halte dich, denn dir ist keiner gewachsen als nur ich.
Liane leise aufjubelnd: Wie stark! Ja, wie stark müssen Sie sein, um mich so in Ihre Welt hinüberzuziehen!
Alice: Mutti, kommt der Martin denn nicht?
Liane: Warum, mein Kind?
Alice: Er soll mir doch den Ball zurückbringen. Miß will schon wieder, daß ich ihn suchen geh.
Miss Tornton: Alice folgt nicht. Es ist sehr schwer mit Alice.
Liane: Also tu Miß Tornton schon den Gefallen. Geh!
Alice macht sich los von Miß Tornton, klammert sich an Liane: Mutti, du hast mich nicht mehr lieb. Den Herrn Christoph hast du lieber.
Liane vorwurfsvoll zu Gaßner: Hören Sie? In Alices Haar geschmiegt: Dummes, süßes Mäderl, du bleibst mir immer das Allerliebste.
Alice: Dann komm mit mir, Mutti.
Liane: Das ist nicht möglich. Ich komme dir nach.
Alice: Wirklich wahr?
Liane: Habe ich dich schon belogen?
Alice: Nein. Also ich gehe?
Liane: Ja, geh.
Liane. Gaßner. Dann ein Boy.
Liane: Sind Sie zufrieden? Mache ich's wieder gut, daß ich mich gegen meinen Herrn und Meister aufzulehnen gewagt habe?
Gassner: Kleine Liane.
Liane: Du lächelst über mich? Nur du darfst es. Ich war schlimm, wie die Alice.
Gassner: Manchmal möchtest du dich mir entziehen, schlaues Kind du. Tust wie eine fremde Frau. Und ich habe doch kein Geheimnis, o Sphinx, am kleinen Finger.
Liane: Du sollst immer so stark und überlegen sein: dann mag die Miß ihr Gesicht machen.
Gassner: Was für ein Gesicht?
Liane: Nun, es ist klar, daß sie mich mißbilligt.
Gassner: Sie sollte etwas gemerkt haben?
Liane: Gerade so viel, vermutlich, wie der Kellner Martin, die alte Französin und der lange Herr mit der Mütze. Was die Miß betrifft: immerhin möglich, daß sie mir eines Morgens erklärt, in einem solchen Hause zu bleiben, erlaube ihre Nationalität ihr nicht.
Gassner macht eine rasche Bewegung.
Liane: Oh, laß. Ich habe ohnehin die Absicht, mich zum Herbst von ihr zu trennen. Alice leidet unter ihr. Ich bin zu gut befreundet mit Alice, ich kann ihr weniger zumuten als andere Mütter ihren Kindern.
Gassner: Warte also nicht bis zum Herbst.
Liane: Du fürchtest, daß die Tornton mir zu Hause Unannehmlichkeiten machen könnte? Ich bin darauf vorbereitet, daß sie meinem Mann einen anonymen Brief schreibt. Er hat schon mehrere zur unrechten Zeit bekommen, wenn nichts vorgefallen war. Da wird ihm einer, der zufällig zur rechten Zeit kommt, wohl gar nicht auffallen.
Gassner: Du bist kühn. Ihr seid erstaunlich kühn, wenn ihr liebt.
Liane: Es ist wohl nur die innere Gewißheit, daß uns beide niemand sehen und erkennen kann. Hast du nicht bemerkt, in der Gesellschaft bei uns, als wir uns fanden: alle machten uns Platz, als ob sie das nichts anginge; wirklich, als seien wir unsichtbar. Behielten harmlose Gesichter und verschwanden aus dem Zimmer, mein Mann mit den übrigen.
Gassner: Zauberin du!
Liane: Nein, sondern ich weiß, daß zwei Leuten, die sich so unvorsichtig benehmen wie wir, weniger mißtraut wird als andern.
Gassner: Dennoch war's an jenem Abend wie ein Zauber. Auch hier ist es so. Man ist miteinander allein gelassen, entfernt von allem, wie auf einem anderen Stern. Den Arm um ihre Schulter: Ich liebe eine Frau, deren weltliche Beziehungen und Interessen ich nicht kenne. Unser einziger Zusammenhang ist das Herz, und das ist stärker als die Welt. Sie hat alles vergessen, die fremde Frau, um meine Geliebte zu sein.
Es klopft. Sie schrecken aus der Umarmung.
Ein Boy bringt Liane eine Karte.
Liane: Die weltlichen Beziehungen melden sich, früher als ich dachte. Da!
Gassner: Viktor Türk? Ich dachte, erst in zehn Tagen?
Liane: Sie sehen, er ist da.
Das Folgende halblaut und schnell.
Gassner: Sie werden ihn empfangen?
Liane: Ich muß.
Gassner: Ich bitte Sie, weisen Sie ihn ab.
Liane: Wie kann ich. Ich befinde mich auf einer öffentlichen Hotelterrasse und in Ihrer Gesellschaft.
Gassner: Ich bitte Sie um die Gunst.
Liane: Sie sind unvernünftig. Sie wissen, daß viel auf dem Spiel steht.
Gassner: Für Ihren Mann. Gilt er mehr als ich?
Liane: Wenn Sie erst die Probe machen müssen.
Liane zum Boy: Ich lasse bitten. Der Boy ab.
Gassner: Verzeihen Sie! Ich war nicht vorbereitet.
Liane: Wir müssen es immer sein.
Gassner: Bestimmen Sie, daß ich mich zurückziehe?
Liane: Es würde auffallen. Ich hoffe, Sie werden sich Ihre Unzufriedenheit nicht anmerken lassen.
Gassner: Sie trauen mir auf einmal gar nichts mehr zu?
Liane: Armer, Lieber! Weil es mir selbst nicht leicht werden wird.
Gassner: So plötzlich! Nie mehr allein mit dir!
Liane: Still!
Die Vorigen. Türk.
Türk tritt elastisch auf. Angestrengte Ruhe und Heiterkeit: Gnädige Frau! Ich habe Glück, daß ich Sie zu Hause finde. Er begrüßt Gaßner.
Liane: Wirklich. Denn meistens bin ich um diese Zeit draußen auf dem Meer. Aber Ihnen wäre es natürlich ein kleines gewesen, mir nachzusetzen. Wissen Sie, wie Herr Gaßner Sie nennt? Den rasenden Roland des Weltverkehrs.
Türk zu Gaßner: Sie haben sich diese stille Küste zum Arbeiten gewählt?
Liane: Ich bitte sehr. Hierher kommt man meinetwegen. Ich hoffe, Herr Türk, daß auch Sie keinen anderen Zweck haben.
Türk: Leider doch. Ich soll morgen früh in Brüssel sein, zu einer Generalversammlung.
Liane: Schon morgen? Aber dann müssen Sie heute abend weiterfahren.
Türk: Ich habe zwei Stunden. Zieht die Uhr. Nein, eine Stunde vierzig Minuten.
Liane und Gassner tauschen einen Blick.
Liane: Was für eine Hetzjagd! Setzen Sie sich wenigstens. Formell: Es ist sehr, sehr lieb von Ihnen, daß Sie nach mir schauen. Bei einem so vielbeschäftigten Mann kann man das nicht genug anerkennen.
Türk: Mein Gott, die Beschäftigungen.
Gassner: Die gnädige Frau hat Sie mit Ungeduld erwartet, Herr Türk. Es wäre zum Verwundern, wenn dieses Heranstürmen durch halb Europa auf eine Frau ohne Eindruck bliebe.
Türk: Ich versichere Ihnen, daß ich lieber so dasäße wie Sie.
Gassner: Im Gegenteil. Ich beneide Sie um Ihre bewegliche Tätigkeit. Sie muß frisch erhalten.
Liane zu Gaßner: Trotzdem sehen Sie jünger aus.
Sie betrachtet ihn lächelnd. Pause.
Liane besinnt sich. Zu Türk: Ah! Gut, daß Sie da sind. Jetzt werden Sie mich aufklären über etwas, das ich nicht verstehe.
Türk: Verfügen Sie über meine gesamte Lebenserfahrung.
Liane: Auch Herr Gaßner versteht es nicht. Herr Gaßner ist für die seelischen Angelegenheiten da. Dies aber sind gewisse Maschinen, die ich zwischen hier und der vorigen Station auf einem Kartoffelacker gesehen habe.
Türk: Freilich. Für die praktischen Dinge bin ich da.
Liane: Sie sind vorübergefahren: erinnern Sie sich nicht? Es waren Gerüste mit Löchern, viele Gerüste nebeneinander.
Türk: Vielleicht Mausfallen? ... Zu denken, daß solche Antwort einen in langen Jahren mühsam erworbenen Ruf zugrunde richten kann. Aber ich mache Ihnen ein beschämendes Geständnis. Ich habe unterwegs geschlafen.
Liane: Bei Tage?
Türk: Nachdem ich schon zwei Nächte in der Bahn verbracht hatte. Ich mußte nämlich in Mailand einen Kongreß leiten und in Berlin eine Bank mit gründen.
Liane: Ärmster Freund! Und anstatt sich auszuschlafen heute nacht –
Türk: Fahre ich mit schlechten Zügen noch eine halbe Nacht, um mit Ihnen, gnädige Frau, eine Stunde vierzig Minuten lang plaudern zu können. Zieht die Uhr. Es sind nur noch eine Stunde zwanzig Minuten.
Liane herzlich: Niemand würde das tun als nur Sie. Auf Sie kann ich mich wirklich verlassen. Wenn Sie in Brüssel fertig sind, kehren Sie doch zu mir zurück?
Türk: Es wäre mein liebster Wunsch. Aber ich habe zu Hause einen Vortrag zu halten, vor Vertretern der Presse. Ich könnte ihn von einem andern halten lassen, aber er würde vielleicht nicht dieselbe Wirkung tun.
Liane: Sicher nicht. Sie gelten für so klug und energisch. Ich weiß wohl, auf welche von meinen Freunden ich am meisten stolz zu sein habe. Sie sieht Gaßner nach, der sich weggewendet hat.
Die Vorigen. Alice.
Alice: Mutti! Du bist nicht gekommen! ... Ah! der Onkel Türk.
Türk: Grüß Gott, du liebes Kind.
Alice küßt Türk auf die Wange: Grüß Gott, Onkel Türk; bleibst du lange bei uns?
Türk: Du wünschest mich, scheint es, schon wieder fort?
Liane: Aber nein.
Alice: Aber nein. Ich freue mich so sehr.
Türk: Sie wird der Mama immer ähnlicher ... Ich komme von deinem Papa, er schickt dir diesen Kuß. Er küßt Alice. Alice macht sich los, geht hinüber zu Gaßner: Warum sagen denn Sie nichts, Herr Christoph?
Liane zu Türk: Ich nehme an, daß Sie an mich wenigstens einen Gruß haben.
Türk lachend: Leider nur einen Gruß.
Liane: Es geht ihm gut, nicht wahr? Grad schreibt er mir. Zu Alice: Wo hast du die Miß Tornton gelassen?
Alice: Im Lesezimmer. Aber mit dir, Mutti, sprech ich nicht mehr. Du bist nicht gekommen, du hast mir dein Versprechen gebrochen, das ist nicht fair.
Liane rasch auf Alice zu: Zum erstenmal. Daran sind die beiden Herren schuld. Sieht Gaßner an. Ich komme mir vor wie eine Verbrecherin.
Türk bitter lächelnd: Sie holen als Mutter alle die Sentimentalität nach, die Sie in andern Fällen versäumen.
Liane kehrt zu Tisch zurück: Ich habe doch keinen Vertrag mit meinem Kind gemacht wie diese Miß Tornton, die von halb sechs bis halb sieben das Recht hat, die englischen Zeitungen zu lesen, und wenn Alice in Flammen stände.
Gassner von drüben: Sie sind erschütternd als Mutter, gnädige Frau. Der Fremdeste muß ein Kind lieben, das er so geliebt sieht.
Türk sucht in den Taschen: Wo hab ich nur die Schachtel für die Alice? ... In der Reisetasche wird sie sein. Er will aufstehen.
Liane: Nicht fortlaufen! Alice wird warten können. Sie müssen mir sagen, wie es mit meinem Mann steht, in Wirklichkeit, meine ich.
Türk: Eine wichtige Entscheidung steht bevor. Natürlich ist man da nervös.
Liane: Mein Gott, der Ärmste. Niemand kann helfen? Die Sache beschleunigen?
Türk sieht sie an; leise, mit Nachdruck: Wenn jemand helfen wollte, würden Sie seine Absicht nicht mißverstehen?
Liane senkt den Kopf.
Türk: Was täte man nicht, um in Ihren Augen ein Gentleman zu bleiben? Man ließe seine besten Freunde im Stich.
Liane: Oder man hülfe ihnen um ihrer selbst willen ... Leichter: Wissen Sie nichts Neues von Frau Huller?
Türk lachend: Nicht einmal das hat Ihr Gatte Ihnen geschrieben? Das ist sträflich.
Liane: Ich bin ganz Ohr.
Alice drüben, zu Gaßner: Herr Christoph, wird der Onkel Türk es nicht vergessen? Was er mir mitgebracht hat?
Gassner: Nun, dann bekommst du's von mir.
Alice: Das ist gar nicht nötig. Ich hab Sie so schon lieber als den Onkel Türk.
Gassner: Warum denn?
Alice: Weil auch die Mutti Sie lieber hat.
Gassner: Ja, du bist ganz wie deine Mutti. Eine richtige Frau bist du schon. Später gehst du gewiß zum Onkel Türk und sagst ihm dasselbe, was du mir jetzt gesagt hast?
Alice: O nein! Die Mutti spricht doch auch nur mit ihm allein, damit er nicht gekränkt ist.
Gassner küßt sie: Du glaubst?
Alice: Ich muß Ihnen etwas sagen. Sie dürfen aber nicht böse sein.
Gassner: Was gibt's denn?
Alice: Ich mag nicht, daß hier alle Leute Sie für meinen Papa halten. Sie sind es doch nicht.
Gassner: Die Leute sind dumm. Ist es nicht gleich, was sie denken?
Alice: Nein, denn Sie sind doch nicht mein Papa.
Liane ruft hinüber: Es scheint, man verschwört sich dort? Alice, was hast du jetzt gesagt?
Alice: Nichts, Mutti. Läuft hin. Liane ins Ohr: Ich sag dir's später.
Liane: Du bist sicher neugierig auf die Schachtel vom Onkel Türk.
Türk: Also ich geh sie holen.
Liane: Es ist wohl sehr unhöflich, Herr Gaßner, daß wir hier über Leute sprechen, die Sie nicht kennen? Sie müssen verzeihen. Herr Türk ist mein ältester Freund.
Türk: Zuweilen bringt das dennoch Vorteile. Ab.
Alice: Onkel Türk! Ich geh mit dir! Ab.
Liane. Gaßner.
Liane: Sie sind sonderbar. Kein Wort haben Sie gesprochen. Was soll er denken.
Gassner: Ich habe es versucht. Aber ich werde bedrückt durch diesen Menschen, der sich mit seinem Leiden, seinem unnützen Gefühl in die reine Luft unseres Glücks drängt.
Liane: Es quält mich nicht weniger. Machen Sie es mir nicht noch schwerer. Sie sehen doch, welche Mühe es mich kostet, damit die Unterhaltung harmlos bleibt. Immer wieder versucht er, ihr eine peinliche Wendung zu geben.
Gassner: Ein Glück, daß die Minuten dieses peinlichen Herrn gezählt sind.
Liane: Um so mehr sollten Sie mir helfen. Sie legt die Hand auf seinen Arm. Sanft eindringlich: Sie müssen mich jetzt mit ihm allein lassen.
Gassner: Auch das noch?
Liane: Es ist nötig. Ich darf ihn nicht ohne Aussprache fortschicken.
Gassner: Ich will nicht, daß er dich quält. Es ist nicht Eifersucht.
Liane: Das wäre auch sehr töricht.
Gassner: Liane! Ergreift ihren Arm und küßt ihn.
Liane: Also gut. Man hat uns gesehen.
Die Vorigen. Türk. Alice.
Alice läuft herbei: Mutti! Schau her! Der gute Onkel Türk!
Türk zögert an der Tür. Vortretend: So danken einem wirklich nur die Kinder.
Liane mit einem Blick: Sie irren sich. Auch wir andern können danken ... Alice, willst du nicht auch dem Herrn Christoph anbieten aus deiner Schachtel?
Alice: Da, Herr Christoph.
Liane: Miß Tornton könnte wirklich ihre Lektüre unterbrechen, um dich zum Nachtmahl zu begleiten.
Gassner: Ich bitte um die Erlaubnis, statt ihrer mit Alice zu gehen.
Liane: Sie sind sehr lieb.
Alice: Herr Christoph ist immer so lieb. Sie nimmt Gaßners Hand.
Gaßner und Alice ab.
Liane. Türk.
Türk sieht umher: Ach ja. Sie haben es schön hier, und Sie sind mit Ihrem Kinde.
Liane: Vielleicht ist es nicht gut für ein Kind, wenn es so viel reist. Aber ich kann nicht ohne Alice sein. Voriges Jahr, als ich in Davos krank lag: mein Mann schrieb mir, daß es Alice nicht gut gehe, und von dem Augenblick wußten die Ärzte nichts mehr anzufangen mit mir. Ich reiste nach Hause mit allem Fieber, das ich hatte ... Daß Sie monatelang Ihre Kinder entbehren mögen!
Türk: Sie sind bei ihrer Mutter – die ich nicht sehen will.
Liane: Die Frau hat ihr Unglück nicht verdient.
Türk: Habe ich meins verdient?
Liane: Mein Freund, Sie sollten aufhören, mir vorzuwerfen, was Sie freiwillig getan haben.
Türk: Es war nicht freiwillig.
Liane: Welchen Anlaß hatte ich Ihnen gegeben?
Türk: Sie waren da.
Liane: Auf diese Tatsache könnte sich jeder meiner Mitmenschen berufen. Zu Alice würde ich sagen: das ist nicht fair.
Türk: Sie können scherzen. Vermögen Sie einen Blick in mein inneres Leben zu tun, der Scherz würde Ihnen wohl doch vergehen. War ich nicht immer kühl und klar? Haben die Frauen ihre Macht jemals eine Spanne weiter über mich ausgedehnt, als ich selbst es ihnen erlaubte? Jetzt aber ist mir, was ich nie geglaubt hätte, die Arbeit nur noch Zeitverderb. Der Gedanke an Sie hetzt mich durch die Welt. Auf Reisen führen die Wege, wenn es ganz unerträglich wird, doch manchmal zu Ihnen. Zu Hause ist nur der Tod.
Liane: Ärmster! Wenn ich über Sie bestimmen dürfte, ich würde besser als Sie für Ihre Gesundheit sorgen.
Türk: Ihr Mitleid trifft mich noch grausamer als Ihre Gefühllosigkeit. Mein Trost ist, daß ich in den Dingen des Herzens an eine Vergeltung glaube.
Liane teilnehmend: Sie erschrecken mich.
Türk schwer: Sie werden mir einmal gestehen, daß Sie noch unglücklicher sind als ich.
Liane sieht ihn an, schüttelt den Kopf: Ich kann nicht. Eine andere würde mich lächerlich finden, vielleicht verderbt. Ich nehme Ihre Freundschaftsdienste entgegen. Es wäre so einfach, Sie zu heilen. Aber ich kann nicht. Ich muß lieben.
Türk: Dann lieben Sie also den Herrn Gaßner, der Ihnen den Arm küssen darf.
Liane: Seien Sie kein Kind! Ich dachte mir, daß das kommen würde. Man muß so sehr den Kopf verloren haben wie Sie, um die Huldigungen eines berühmten Mannes ernst zu nehmen.
Türk: Aus dem, was Sie mich in der kurzen Stunde meines Besuches haben sehen lassen, schließe ich auf das, was sogar Ihre Mitleidslosigkeit mir vorenthält.
Liane: Ich gebe mein Unrecht zu. Ich fühle mich wohl zu sicher. Grade meine Kälte ist wohl schuld, daß ich immer Flirts habe. Ich habe nichts davon, und man kompromittiert mich. Sie, mein Freund, am meisten.
Türk: Ich!
Liane: Sie haben sich meinetwegen scheiden lassen. Aller Welt zeigen Sie offen, daß Sie mich lieben. Man muß mich schon so gut kennen, wie mein Mann mich kennt, um unsere Beziehungen für harmlos zu halten. Und Sie kommen und machen mir eine Szene.
Türk: Mir war nur bewußt, daß ich mich selbst bloßstellte; und das wollte ich. Es gibt einen Grad des Leidens, wo es nur noch erträglich bleibt, wenn man vor aller Welt darauf trumpft. Liane! Er schluchzt auf.
Liane mütterlich: Nun also. Soll ich einen weinenden Mann lieben?
Türk: Sie nehmen Rücksicht auf Ihren Mann – den Sie doch auch nicht lieben, und der Sie noch dazu mit Sorgen belästigt.
Liane: Ich müßte Ihnen antworten, daß seine Art, mich zu lieben, mir sympathischer ist. Wenn ich Ihnen erst Rechte auf mich gegeben hätte, welch Leben würde ich haben ... Und Sie selbst: Sie glauben, dann hielten Sie das Glück? Bei unseren Charakteren? Mein armer Freund, dann würden Sie erst lernen, was Unglück heißt.
Pause. Es beginnt zu dunkeln.
Türk richtet sich auf: Wenn Sie mich denn nicht lieben: eine Heirat mit mir würde Ihnen gesellschaftliche Vorteile bringen und die Zukunft Ihrer Tochter sichern.
Liane: Die Zukunft meiner Tochter wird am besten gesichert sein, wenn ich ihr den Vater lasse, den sie liebhat.
Türk hart: Dann muß ich Ihnen etwas sagen, was ich lieber verschwiegen hätte. Ihr Mann ist verloren. Wenn ich nicht eingreife, ist er verloren.
Liane stockend: Was sagen Sie da? Ich weiß, er ist in ein kritisches Unternehmen verwickelt.
Türk: In eins, das den Kopf kostet. Es ist nicht seine Schuld. Er ist so ruhig als Kaufmann wie als – Gatte. Aber es ist nun so. Bleiben Sie bei ihm, sind Sie verloren.
Liane: Ah! Sie erfinden das? Sie wollen mich zwingen?
Türk wehrt ab.
Liane: Ach nein. Lassen Sie. Sie sind ein ehrlicher Mann. Erklären Sie mir nichts. Auch er hat mir diese Dinge niemals erklärt. Wir waren niemals intim genug. Eine Frau wie ich, sehen Sie, steht einigermaßen in der Luft. Ich weiß kaum, ob ich das Recht hätte, als große Dame zu leben, oder ob ich morgen nicht das Geld zur Heimreise bekommen werde.
Türk: Aber diese nicht gesicherte Existenz ist Ihrer unwürdig. Brechen Sie damit! Lassen Sie sich von mir führen!
Liane: In solchem Augenblick? Wie können Sie das fordern. Ein anständiger Mann wie Sie! Wollen Sie eine so gemeine Frau aus mir machen?
Türk hebt die Arme: Wenn einer untergehen soll – auch ich bin ein Mensch! Er läuft hin und her, während sie spricht.
Liane: Ihm den Todesstoß geben? Denn so wenig ich ihm sein kann: ich weiß, daß er mich nötig hat, und daß erst mein Verlust sein Ende wäre. Ihn verlassen? Nicht einmal, wenn ich Sie liebte. Hören Sie? Nicht einmal dann. Nehmen Sie an, ich hätte einen Geliebten –
Türk drohend: Sie haben einen!
Liane: Nein! Aber nicht einmal für ihn täte ich's. Ich frage mich selbst, was mich zurückhält. Die Pflicht wohl.
Türk: Pflicht! Was heißt das, für eine Frau wie Sie!
Liane: Unser Instinkt, zu erhalten, was um uns ist. Unser Mitleid. Beklagen Sie mich, weil ich so schwach bin, oder so fein. Die große Liebe? Ich kann wohl nur von ihr träumen. Sie kann nur neben meinem Leben hergehen. Ihr das Leben opfern? Einen Mann verlassen, der zusammenbricht? Das Glück ist mir unzugänglich, wenn Leichen davor liegen.
Türk: Aber mir nicht. Soll hier einer untergehen: ich will's nicht sein. Ich bin der Mann, meine Macht auszunützen. Verlassen Sie sich nicht länger auf die Furcht, in der Sie mich halten!
Liane: Ich würde mich höchstens auf Ihre Einsicht und Menschlichkeit verlassen.
Türk: Wo ist die Ihre, gegenüber meinem Elend? Der Augenblick ist gekommen, wo ich der Stärkere bin.
Liane sieht ihn starr an: Drohen Sie mir nur! Machen Sie Gebrauch von Ihrer Macht! Fast wünsche ich es mir.
Türk erschrickt, sinkt zusammen: Liane! Sie trauen es mir nicht zu. Ich weiß, dann wäre alle Hoffnung verloren für mich.
Liane: Vielleicht nicht. Vielleicht brauche ich Brutalität. Sie wissen, ich bin schwach.
Türk: Versuchen Sie mich nicht! Fügen Sie meinen Qualen nicht auch noch diese unnütze hinzu. Sie wissen zu gut, ich muß ihrem Mann helfen und werde nichts dafür haben.
Liane warm: Meine Achtung. Den Stolz auf Ihre Freundschaft.
Türk: Nichts ... Die Stunde, die mir gegönnt war, ist herum, die arme Stunde. Sie haben gesiegt – wie Sie wohl immer siegen werden. Ich reise nun weiter, als der rasende Roland des Weltverkehrs, wie Ihr Freund Gaßner sagt.
Liane senkt den Kopf und schweigt.
Türk leise und zitternd: Sie werden mich nicht zurückrufen?
Liane: Ich weiß nicht. Haben wir diese Stunde voraussehen können? Ich weiß gar nichts mehr.
Türk: Niemals werden Sie mich lieben können?
Liane: Ich weiß gar nichts. Vielleicht rufe ich Sie einmal.
Türk: Wie oft werde ich inzwischen noch so herbeistürzen müssen und so fortschleichen?
Liane: Ich weiß nicht. Auf Wiedersehen, mein Freund.
Türk küßt ihr die Hand. Ab.
Liane geht, indes es tiefer dunkelt, langsam bis zum Ende der Terrasse, kehrt zurück, lehnt sich an das Geländer. Pause. Dann winkt sie hinab: Gute Reise! Sie wissen doch, wir haben Rendezvous, mein Mann und ich, für den Anfang des nächsten Monats ... Wo? Das ist noch unbestimmt. Er wird es Ihnen sagen. Wir rechnen auf Sie. Sicher, ja? Auf Wiedersehen! Sie neigt sich weiter hinab. Auf Wiedersehen!
Liane. Dann Gaßner. Später ein Boy.
Liane bleibt stehen, sieht ins Dunkel hinaus.
Gassner: Sie sind allein?
Liane: Für diesmal ist er fort.
Gassner: Sie sind traurig? Arme Liane, er hat Sie gequält wegen meines Kusses.
Liane: Das ist wieder in Ordnung. Er hatte es zu nötig, mir zu glauben. Seine Hoffnungen beruhen darauf, daß ich weder meinen Mann noch sonst jemand liebe, und daß mein unentwickeltes Temperament doch einmal heranreifen muß für ihn, den Herrn Viktor Türk. Dann soll ich ihn rufen.
Gassner: Sie werden ihn niemals rufen!
Ein Boy überreicht Liane einen Blumenstrauß: Eine Empfehlung von dem Herrn, der abgereist ist. Ab.
Liane: Tuberosen! Er weiß, was ich liebe, und erinnert mich täglich daran, daß er's weiß. Täglich, so lange ich hier bin, wird so ein Strauß kommen.
Gassner dringlich: Werden Sie ihn jemals rufen?
Liane: Weiß ich's? Werd ich diesen Jammer immer weiter ertragen können? Wir sind doch schwächer als er. Aber die eigentlich Schwachen sind diese Starken. Sie verstehen uns nicht und verstehen nicht ihre Ohnmacht.
Gassner: Brechen Sie ab.
Liane: Sie glauben, das ginge? Mein Mann ist ruiniert, ohne die Dazwischenkunft meines Freundes Türk. Begreifen Sie?
Gassner: Diese erbärmlichen Fesseln! Sie müssen heraus aus alledem!
Liane: Das sagt auch er – und übersieht, daß ich, bei solcher Gewissenlosigkeit, auch mit ihm leichter fertig wäre. Nun aber komm ich mir vor wie eine Betrügerin, die verspricht und nie bezahlt.
Gassner: Sie haben ihm etwas versprochen?
Liane: Ich kann nichts dafür, daß mein Wesen, mein Lächeln, was weiß ich, meine harmlosesten Worte ihnen allen wie Versprechungen aussehen. Dann geben sie: ihre Freundschaft, ihre Liebe, alles was sie haben, ihre Existenz, und bringen mich in ihre Schuld.
Gassner: Was geht das alles Sie an. Mein Gott, denken Sie zurück, wie es war, bevor dieser Mensch hier eintrat. Wir fürchteten niemand. Wir waren in der Welt allein.
Liane: So recht allein waren wir nie.
Gassner: Ich war einmal das einzig Notwendige in Ihrem Leben. Aber sobald die Erfüllung da ist –
Liane: Sie sind schon enttäuscht?
Gassner: Um Gottes willen! Es ist natürlich, daß unsere Rollen sich umkehren. Einst hatte ich Ihnen viel zu geben. Jetzt handelt es sich nicht mehr darum, ob ich mehr vorstelle als andere. Meine Leistungen liegen dahinten. Jetzt lieben wir – und in der Liebe seid immer ihr die Meister. Ihr prüft uns, ihr treibt vorwärts, schafft Verwicklungen, verzeiht, belohnt. Was bin ich noch? Dein Geliebter.
Liane mit Leidenschaft: Ich aber bin nur durch dich! Habe Nachsicht mit meiner Schwachheit. Auch du sagtest noch heute, du betrügst nicht gern.
Gassner: Es müßte nicht sein.
Liane: Doch. Ich brauche die Welt. Dich aber liebe ich. Sie will ihn umarmen.
Gassner zieht sich zurück.
Liane: Hörst du nicht? Ich liebe dich.
Gassner reißt sie an sich. Umarmung.
Liane: Jetzt betrügst du gleich zwei.
Gassner küßt sie.
Liane: So hast du mich noch nie geküßt. Warum küßt du mich so heiß? Weil dies kein ferner Stern mehr ist? Weil deine Geliebte ein Wesen von dieser Welt ist?
Gassner trennt sich von ihr. Bleibt drüben stehen.
Liane: Jetzt fängst du wohl an zu merken, daß es nicht so einfach ist, eine verheiratete Frau zu lieben?
Gassner: Versprich mir, daß du ihm, so lange der Sommer dauert, keine Zusammenkunft mehr gewährst.
Liane: Im Gegenteil. Er wird kommen, wahrscheinlich gleich mit meinem Mann, dorthin, wo wir uns treffen werden. Du aber wirst erst später kommen; vielleicht viel später. Vielleicht sehen wir uns erst im Herbst wieder, wenn ich zu Hause bin.
Gassner: Du sprichst das aus, als ob es nichts wäre.
Liane tritt zu ihm hin: Lieber! Wir werden oft lange Zeit getrennt bleiben, und andere werden um mich sein: auch Männer, die auf mich hoffen, die vielleicht um mich leiden, wie der arme Türk. Sind wir darum einander weniger nah?
Gassner faßt ihre Hände: Gestehe, daß es schrecklich wäre!
Liane umarmt ihn: Verzeih! Ich bin schwach, ich muß mich in Gedanken auf das Unglück vorbereiten, weil ich es sonst nicht überleben würde. Du darfst mich nie quälen. Von allen würde ich alles ertragen, von dir nichts. Nur wolkenloses Glück.
Gassner: Ich liebe dich, um dich glücklich zu machen.
Schattiger Hotelgarten an einem oberitalienischen See. Das Gebäude des Hotels bildet einen stumpfen Winkel. Hinten ist der Eingang in die Bar, mit großem offenen Fenster, durch das die Konsumenten zu sehen sind; rechts läßt ein weit geöffnetes Portal das Treiben der Hall erkennen. In der Mitte vorn ein Beet mit Palmen. Links neben der Bar geht es in die Tiefe des Parkes.
An Teetischen, die von den Kellnern abserviert werden: Vorn links: Liane. Gaßner. Herr v. Molli. Frau v. Molli. Philipp Mandl. Vorn rechts: Mistreß Paine. Conte Ronda. Hinten links, an einem Tisch: Ein junger Mann mit einer Kokotte; an einem anderen: Eine ältere Dame mit zwei jungen Männern. Hinten rechts, im Winkel des Hauses: Die dicke Dame mit ihrer Tochter. Der Barmann vor der Bar.
Herr v. Molli zu Liane: Gnä' Frau dürfen mir schon nicht abschlagen, mit uns zum Baden hinauszufahren. Meine Frau ist sonst wirklich beleidigt.
Liane: Frau v. Molli badet doch gar nicht?
Molli: Nein, aber dem durch uns verschönten Spiel der Wellen möcht sie zuschauen. Hermine langweilt sich mit mir allein. Gelt, Minerl?
Frau v. Molli: Aber ist ja nicht wahr. Ich will doch gar nicht aufs Wasser, bei dieser Hitze.
Molli: Wenn du lieber hier schwitzt, statt daß du dich draußen anwehen läßt.
Frau v. Molli: Vielleicht gibt's draußen Wind?
Liane: Vielleicht. Aber ich kann mich leider nicht anschließen. Mein Kind hat etwas Fieber.
Philipp: Gehns, Gnädige. Fieber kann man doch das nicht nennen.
Molli: Sind Sie denn gar nicht neugierig, wie sich Philipps Reize im Wasser ausnehmen?
Philipp: Ich hab ein Badekostüm von einem Schick: schwarze Seide mit lila Tupferln. Mit dem Kostüm hab ich in Ostende einen Flirt so verrückt gemacht, daß das arme Mädel fast ertrunken wäre.
Liane: Sie haben sie natürlich gerettet.
Molli: Und sie sitzengelassen.
Philipp: Ja, sie ist ins Kloster gegangen.
Liane: Ihr Kostüm scheint wirklich betörend zu sein. Aber Alice muß nun einmal das Bett hüten. Und dann erwarte ich jemand.
Philipp: Den Berton? Der ist sehr unpünktlich. Irgendwo in der Schweiz wird er hängengeblieben sein.
Gassner: Ich rechne bestimmt auf ihn.
Molli: Sie kennen ihn?
Gassner: Nein. Aber ich kenne die Wirkung, die die Ansichtskarten der gnädigen Frau üben. Jede hat nämlich ein Telegramm zur Folge, worin der Empfänger seine sofortige Ankunft anzeigt.
Liane: Und der Empfänger waren kürzlich Sie selbst.
Gassner: Ich vergesse es nicht.
Liane: Dann seien Sie nicht undankbar.
Die beiden jungen Leute: Fritz! Zwei Gin-Fizz!
Der Barman bedient sie. Geht zu der dicken Dame, mit der er plaudert.
Die Vorigen. Frau Huller.
Frau Huller aus der Hall, erhitzt, unsicher: Grüß Gott. Ist es denn so spät?
Molli: Wir dachten schon, gnä' Frau würden gleich bis zum Diner durchschlafen.
Philipp: Ich werde noch Tee bringen lassen? Fritz! Leise zu Frau Huller: Das kommt davon. Wenn wir noch beisammen wären, würde ich Sie geweckt haben – und wie!
Der Barman: Die gnädige Frau braucht eine Erfrischung. Etwas Kräftiges? Menthe glacée?
Frau Huller starrt ihn an: Mir fehlt doch gar nichts.
Frau v. Molli: Ich hätte auch gern so lang geschlafen, bei der Hitze. Aber man darf ja nicht.
Liane leise, zu Frau Huller: Wie schaust denn du aus, Jenny?
Frau Huller leise: War der Ataxine da?
Liane: Ich habe ihn nicht gesehn seit Mittag.
Frau Huller: Du weißt nicht, ob er abgereist ist? Wenn er nur abgereist wäre!
Liane: Was gibt's denn? Wird er unverschämt?
Frau Huller mit entsetztem Lachen: Unverschämt? Ich wäre froh.
Liane: Mich würde er nicht verlocken, ich bin nicht für das Slawische. Aber dir gefiel er.
Frau Huller schreit unterdrückt auf: Dort kommt er! Eine solche – Kaltblütigkeit! Liane, um Gottes willen, laß mich keine Sekunde mit ihm allein. Später erzähl ich dir alles.
Die Vorigen. Fürst Ataxine.
Ataxine kommt aus der Hall, grüßt nach allen Tischen, außer dem der dicken Dame, setzt sich neben Frau Huller: Gnädige Frau sehen wunderbar frisch und ausgeruht aus. Ich hoffe, man geht bald zum Skating?
Frau Huller weicht zurück: Ich werde nie mehr Skating laufen.
Ataxine: Schade. Denn Sie waren entzückend heute früh. Sie haben mich wahnsinnig gemacht.
Frau Huller weicht noch weiter: Sie? Sie haben einen schauerlich klaren Kopf.
Liane horcht: Ist das schon das Auto? Jemand wird nachsehen müssen, ob Berton dabei ist.
Philipp steht auf: Es ist noch wenigstens eine halbe Stunde. Immerhin, man kann nachsehen. Zu Liane: Obwohl ich mir nicht gern noch mehr Konkurrenz bei Ihnen gefallen lasse. Ab in die Hall.
Molli: Freilich. Dieser Leutnant wird auch wieder nur auf die Eroberung unserer Damen ausgehen.
Liane zu Frau v. Molli: Ihr Mann, denke ich mir, hat ihn kaum zu fürchten. Das heißt, wenn er nicht ein so guter Gatte wäre.
Molli: Ich werde immer überschätzt.
Frau v. Molli: Marineleutnant ist der Herr?
Liane: Und kommt direkt von Toulon.
Molli: Ich begreif's. Auch meine Frau und ich wären heute ganz woanders, wenn nicht die gnädige Frau wäre. Es gibt eben Personen, die um sich her eine Gesellschaft bilden, man weiß nicht wie.
Liane: Für mich, Herr v. Molli, ist das Ihre Frau.
Molli: Gnädige Frau sind unendlich liebenswürdig.
Frau v. Molli: Von mir ist doch nicht die Rede. Ich wär ja lieber schon zu Haus. Nur die Wohnung ist noch nicht imstand.
Molli: Was glauben Sie, die Amerikanerin – deutet mit einer Kopfbewegung nach Mrs. Paine –, die sich dahinten mit ihrem Conte langweilt, wie die froh wär, wenn sie in unsern Kreis hineinkönnte.
Gassner: Der Conte wäre sicher froh.
Liane: Trösten Sie sich, ich kenne ihn schon. Sieht Gaßner an. Aus Rimini. Sie sehen sich an.
Pause.
Gassner zu Molli: Was Mistreß Paine betrifft, irren Sie, glaube ich. Sie liebt den Mann wirklich.
Molli: Immer denselben? Das geht hier doch gar nicht.
Liane zu Gaßner: Lassen Sie sich von Herrn v. Molli belehren. Er nimmt uns, wie wir sind.
Gassner: Einen nehmen wie er ist, das heißt immer: es ihm leicht machen, nichts Gutes zu sein.
Liane befangen: Wenigstens schön ist Ihre Mistreß Paine.
Gassner: Ich finde sie gar nicht schön.
Liane: Die auch nicht?
Gassner: Nicht einmal Ihnen zu Gefallen, gnädige Frau.
Liane: Ich möchte wissen, welchen Geschmack Sie eigentlich haben. Vielleicht die Kleine dort? Nach der Kokotte: Sie soll von einem Pariser Vorstadttheater sein.
Gassner: Das kleine Ungeziefer?
Liane leise: Sie verleugnen Ihre Vergangenheit. Darin sind Sie also wie alle Männer.
Ataxine zu Frau Huller: Die Melodie Ihrer Hüften, beim Skating! Ihre Füße sind auf den Rollschuhen noch kleiner!
Frau Huller zu Liane: Ich bitte dich, wollten wir denn nicht diese Ausfahrt machen? Fahren wir vorher noch hinauf ins Zimmer?
Molli zu Liane: Ich bin überzeugt, daß die gnädige Frau sich schon wieder nach der Rollschuhbahn sehnt.
Liane: Man kann tatsächlich kaum noch anders leben als im Rollen. Es ist furchtbar.
Gassner: Herr v. Molli würde jetzt sagen: Es kommt darauf an, wohin man rollt.
Molli: So viel Geist hab ich ja gar nicht.
Liane zu Gaßner: Sie eigentlich auch nicht. Sie zwingen sich, ich weiß nicht, warum. Steht rasch auf, geht einige Schritte nach links.
Gassner folgt ihr sofort: Sie verlassen uns?
Liane: Sie sind schlechter Laune.
Gassner: Was käme darauf an, unter so vielen. Aber ich bin weder schlechter noch guter Laune. Man hat in dieser ewigen Geselligkeit die Empfindung, als sei man für einander gar nicht mehr vorhanden. Ihr Gesicht, Liane, wird schließlich noch aussehen wie die andern, so fremd möchten Sie es machen; und Ihre Stimme, ich meine die, die ich kenne, höre ich schon wer weiß wie lange nicht mehr.
Liane befangen: Es ist am Ende besser, wenn man einander nicht immer hört und sieht.
Gassner: Mir scheint, wir haben es im Gegenteil außerordentlich nötig, uns auszusprechen. Ich bitte Sie, gehen Sie durch das Haus in den Park, ich komme Ihnen von dieser Seite entgegen.
Liane: Auf den Gedanken könnten noch andere kommen. Nein, mein Freund, nichts Auffallendes. Wir sind nicht mehr allein, Sie müssen sich daran gewöhnen. Zurück zu den anderen: Also, wer geht mit zum Skating? Leise zu Gaßner: Bitte, bleiben Sie bei Frau v. Molli. Laut: Freilich hab ich Halbschuhe an, damit geht es schlecht. Aber wenigstens zuschauen kann man. Sie kommen doch auch, Frau v. Molli?
Frau v. Molli: Ich bin ja so müd von der Hitze.
Frau Huller springt auf. Zu Liane: Ich geh mit dir.
Ataxine die Hand auf dem Herzen: Also unerbittlich? Sie treffen mich tödlich.
Frau Huller: Ich – Sie! Sie hängt sich an Liane.
Liane, Frau Huller, Molli links in den Park ab.
Die Vorigen ohne Liane, Frau Huller, Molli, Philipp.
Ataxine begibt sich zu Mrs. Paine und dem Conte Ronda: Meine Verehrung, schönste Frau.
Mrs. Paine: Man sieht Sie nicht mehr, Fürst. Sie haben noch andere Klienten?
Ataxine: Klienten – ist ein gewagtes Wort.
Mrs. Paine: Ich erlaube es mir. Ich erlaube mir noch mehr, Sie werden sich wundern. Setzen Sie sich doch!
Die Kokotte zu dem jungen Mann: Ich wette fünf Louis, daß dem Italiener noch heute Hörner wachsen.
Der junge Mann: Du verlierst dein Geld, mein Engel. Das ist nur der Ton, in dem man hier spricht.
Die Kokotte: Ich kenne einen bessern.
Die beiden jungen Leute am Tisch der älteren Dame wenden sich, ohne die kurzen Pfeifen aus den Zähnen zu nehmen, halb die Köpfe zu: Die Alte schläft, wir können ausreißen ... Hallo, sie rührt sich. Zu dem Barman: Fritz! Noch zwei Gin-Fizz. Sie stoßen große Rauchwolken aus.
Gassner nach gelangweiltem Schweigen, zu Frau v. Molli: Gnädige Frau haben einen so schönen Teint bei der Hitze.
Frau v. Molli: Ich bekomme rote Flecke: wenn Sie das schön finden.
Gassner: Ich will Ihnen, aus wirklicher Verehrung, gestehen, daß ich gerade an nichts dachte.
Frau v. Molli: Jedenfalls nicht an mich. Ich denke mich ja auch schon fort von hier. So dumm, wie man immer glaubt, bin ich doch gar nicht.
Gassner: Ich fühle wohl, gnädige Frau, daß das Fragwürdige dieser Umgebung Ihnen grade so peinlich zum Bewußtsein kommt wie mir.
Frau v. Molli: Mir schon. Aber ich glaubte, Ihnen als Künstler müsse das zusagen.
Gassner: Manchmal, gewiß. Aber es kommen ernstere Zeiten, wie soll ich sagen, ernstere – Gefühle.
Frau v. Molli lenkt ab: Diese Männer hier gefallen mir nicht. Der schöne Italiener dort drüben ist um die Mistreß Paine her wie ein Tiger. Bei all ihrem amerikanischen Selbstbewußtsein glaub ich doch, daß sie es gar nicht gut hat mit ihm.
Gassner: Der schmalzige Russe dient vielleicht als Erlöser? Ach! wenn es niemals wertvollere Frauen wären, um deren Seele solche Männer spielen.
Frau v. Molli: Jene dicke Dame langweilt sich sehr.
Gassner: Ja. Um die spielt wieder niemand.
Frau v. Molli: Sie hat schöne Augen, wenn sie sie auch zu stark malt.
Gassner: Und dann der Hut! Und die Farben! Und das siebzehnjährige Kind, mit dem kurzen Kleid und den dicken Beinen! Da darf natürlich kein Herr sich heranmachen, trotz den verlockendsten Blicken. Sonst spricht ja keine Dame mehr mit ihm.
Frau v. Molli: Dabei halte ich sie für eine anständige Frau: grade sie.
Gassner: Sie soll die Frau eines Mailänder Geschäftsmannes sein. Wenn der Barman grade nicht Zeit hat, sie zu unterhalten, spielt sie Ecarté mit ihrer Tochter.
Frau v. Molli: Warum führt man solch ein Leben?
Gassner: Mich dürfen Sie nicht fragen.
Frau v. Molli: Soll ich Frau Löwen fragen?
Die Vorigen. Frau Huller. Philipp.
Frau Huller aus dem Park. Läßt sich auf einen Stuhl fallen: Ich kann nicht mehr.
Philipp aus der Hall: Wir bekommen eine Überraschung.
Frau Huller: Um Gottes willen, schweigen Sie.
Gassner: Der Leutnant Berton ist doch keine Überraschung.
Philipp: Berton ist noch gar nicht da. Aber –
Frau Huller fällt ein: Ich wollte Sie schon immer fragen, Philipp. Sie sind doch so gut orientiert. Warum müssen die beiden jungen Leute dort den ganzen Tag bei ihrer Mutter sitzen?
Philipp: Mutter ist gut. Der eine, der Magere, ist ihr Mann.
Frau Huller, Frau v. Molli: Oh! ... Man erfährt doch immer Neues.
Philipp: Das Neueste erraten Sie alle nicht. In der Hall steht die Polizei.
Frau Huller: O mein Gott!
Frau v. Molli: Mir scheint, Herr Mandl übertreibt schon wieder ein wenig.
Philipp: Bei Gott, Gnädige, es sieht aus, als hätten sie den Park umzingelt.
Frau Huller will davonlaufen.
Philipp: Gnädige laufen ihnen in die Arme. Angenommen, daß Sie es sind, die man sucht.
Frau Huller sinkt auf ihren Stuhl zurück.
Die Vorigen. Liane. Molli. Duca di Folino.
Liane und Molli kommen von hinten aus dem Park. Sie bleiben stehen und blicken zurück.
Molli: Warum mußten Sie wieder umkehren? Hier sind Leute, die uns beobachten.
Liane: Was tut es.
Molli: Gestehen Sie nur, daß es Sie auch langweilt.
Liane: Nun ja.
Duca di Folino uralt, hager, in grader Haltung, hochelegant, kommt aus der Hall, bleibt davor stehen.
Frau v. Molli: Der Duca.
Philipp: Der älteste Lebemann des Kontinents.
Gassner: Er besieht sich seine Herde.
Molli zu Liane: Sie kennen den Christoph Gaßner schon lange?
Liane: Näher erst seit dem Frühjahr.
Molli: Er ist wohl Ihr Flirt?
Liane: Wozu denn Flirt. Er ist doch ein so ernster Mensch. Wir sind befreundet.
Molli: Freundschaft! Nicht einmal zwischen Männern glaub ich dran. Bei denen steckt hinter der Freundschaft ein Geschäft.
Liane: Gaßner wird klug genug sein, sich nicht mit Ihnen zu befreunden. Sie sind ein Egoist.
Molli: Freilich glaube ich, daß die einzige uneigennützige Freundschaft zwischen einem Mann und einer Frau möglich ist. Aber zuerst müssen sie gebrannt haben und ausgekohlt sein.
Liane: Sie sehen den Zustand der Erloschenheit immer schon voraus? Welche Frau soll Ihnen das verzeihen.
Molli: Die andern nicht; aber Sie. Sie sind so klug. Ich tausche so gern mit Ihnen meine Ideen aus.
Liane: Mir scheint, Sie plädieren für sich, und bei mir?
Molli: Sie sagten es schon: ich bin ein Egoist.
Duca Di Folino begrüßt Mrs. Paine, Ataxine und den Conte Ronda.
Mrs. Paine: Sie sehen heute wieder verführerisch aus, Duca. Werden Sie denn niemals heiraten?
Duca di Folino: Ich war einmal einen Augenblick verheiratet, zehn Jahre lang, und fünfzig ist es her. Ja, ja, ich bin vierundachtzig.
Philipp: Er wirft mit Zahlen umher, wie an der Börse.
Mrs. Paine: Was tut man, Duca, um so lange zu leben? Regime? Ruhe? Dann, Fürst Ataxine, werden Sie sehr alt werden; denn ich sehe voraus, daß Ihnen Jahre der strengsten Zurückgezogenheit bevorstehen.
Ataxine: Mit Ihnen, Madame, bis unter die Erde!
Mrs. Paine: Bis unter die Erde, kann sein. Aber nicht mit mir.
Conte Ronda: Ich begreife diese Scherze nicht, und ich gestehe, daß ich es vorziehe, die Scherze, die um mich her fallen, zu begreifen.
Mrs. Paine: Einen Augenblick Geduld, mein Freund. Sie sollen alles begreifen.
Liane zu Molli: Ich verlange, daß Sie Ihre Frau in meiner Gegenwart besser behandeln.
Molli: Ist das eine Bedingung?
Liane: Freilich. Ich könnte sonst unmöglich noch mit Ihnen verkehren.
Molli: Ich kann mich nicht für zwei Frauen auf einmal interessieren.
Liane: Interessieren Sie sich also für Ihre Frau! Wozu haben Sie sie sonst geheiratet?
Molli: Weil ich nicht betrogen werden wollte.
Liane: Da haben Sie freilich richtig gewählt.
Molli: Ich habe es in meinem Leben zu oft mit betrogenen Gatten zu tun gehabt – wenn es keine betrogenen Liebhaber waren.
Liane: Ist das ein anregender Verkehr?
Molli: Ich rieche es auf zwei Kilometer, wenn sich einer heranpürscht.
Molli: An Sie!
Liane: Schon eifersüchtig? Auf wen?
Molli: Mir verdirbt nur die Geschmacklosigkeit dieses Philipp Mandl die Laune. Darunter hat dann meine Frau zu leiden.
Liane: Herr Mandl ist lustig. Mir gefällt er.
Molli: Soll er sich schon mit seinem Eisenblech hundertfünfzigtausend Francs jedes Jahr verdienen. Ist das ein Grund, daß er seine Seidenstrümpfe bis zum Knie hinauf sehen läßt? Mit so einer Figur?
Liane: Wie Sie sich aufregen! Wirklich wegen des armen Philipp?
Molli: Ich gebe zu, daß ich auch den Gaßner reichlich geschmacklos finde.
Liane: Ah?
Molli: Er hat eine großartige Musik geschrieben, gut. Aber er ist nicht recht gesellschaftsfähig, wie alle diese Leute, die zu viel können.
Liane: Sie geben der Gesellschaft ein schlechtes Zeugnis.
Molli: Die Gesellschaft ist, was sie ist. Niemand hat das Recht, mit fremden Ansprüchen zu kommen.
Liane: Mit Bezug auf die Frauen?
Molli: Er ist ja kindlich. Einer wirklichen Dame, die ihn zum Liebhaber nähme, müßte er sehr bald auf die Nerven fallen.
Liane: Wenn ich an den Walzer denke, den Sie komponiert haben, könnte ich eigentlich zu Ihnen als Liebhaber Vertrauen fassen.
Molli: So schlecht ist mein Walzer auch wieder nicht.
Die Vorigen. Der Geschäftsführer des Hotels.
Der Geschäftsführer zu Ataxine: Fürst Ataxine, wenn's beliebt.
Ataxine: Was wünschen Sie?
Der Geschäftsführer: Ich bitte Eure Hoheit, mir zu folgen.
Ataxine: Ich habe keine Geheimnisse mit Ihnen.
Der Geschäftsführer: Doch. Leise: Wollen Sie kein Aufsehen machen.
Ataxine: Was heißt das.
Der Geschäftsführer leise: Zwingen Sie mich nicht, die Beamten herauskommen zu lassen.
Mrs. Paine laut: Es ist wohl Besuch da für Seine Hoheit? Vielleicht Bekannte von ihm, die zu erfahren wünschen, wie mein Perlenkollier in seinen Koffer gelangt ist?
Frau Huller: Philipp, um Gottes willen, führen Sie mich fort. Ich kann kein Glied rühren.
Ataxine schreit: Ich bin der Fürst Ataxine!
Der Geschäftsführer besänftigend: Wir wissen, daß Sie tatsächlich der Fürst Ataxine sind.
Ataxine schreit: Und ich werde der Polizei erzählen, daß diese Dame – den Finger gegen Mrs. Paine – mich in ihrem Zimmer empfangen hat, heute nicht zum erstenmal!
Conte Ronda springt auf: Sie sind ein Schuft! Ich will ihn züchtigen, den Schuft!
Mrs. Paine sieht Ronda an: Er spricht die Wahrheit. Was tun Sie jetzt?
Conte Ronda steht starr; entfernt sich in den Park.
Der Geschäftsführer: Jetzt haben wir den Skandal! Werden Sie es mir ersetzen, Madame, wenn meine besten Gäste abreisen?
Mrs. Paine: Formulieren Sie Ihre Ansprüche!
Ataxine: Wenn ich rede, fliegt dies Hotel in die Luft! Rasch ab in die Hall.
Der Geschäftsführer: Hier ist alles möglich. Nur reden darf man nicht. Folgt Ataxine.
Die Gäste haben im Lauf dieser Szene ihre Plätze verlassen. Die beiden jungen Leute, die zu der älteren Dame gehören, sind auf die Stühle gestiegen, ebenso die Kokotte. Jetzt drängen alle, aufgeregt durcheinandersprechend, in die Hall. Hinter ihnen macht einer der Kellner ein beleidigtes Gesicht, zwei andere lachen einander zu und schlagen sich auf die Knie. Gaßner ist nach links in den Park gegangen, Liane vor allen andern ins Haus.
Philipp im Gedränge, zu der dicken Dame: Sind Sie froh, Madame, daß das nicht Ihnen passiert ist?
Die dicke Dame glückstrahlend, weil man sie anredet: Ich würde niemals einen Skandal hervorgerufen haben, mein Herr. Diese Amerikanerinnen haben keine Lebensart.
Die ältere Dame: Shocking! Shocking!
Die beiden jungen Leute tanzen Cake walk. Zum Barman: Fritz! Tanzen!
Der Barman: Wegen so einer Kleinigkeit? Der Fürst Ataxine schuldet mir fünfhundert Francs. Aber ich bin ganz ruhig. Solche Leute bezahlen uns immer.
Die Kokotte auf dem Stuhl: Oh mes aïeux! Que c'est rigolo!
Die beiden jungen Leute kneifen sie.
Der Begleiter der Kokotte drohend: Die Dame ist meine Frau!
Die beiden jungen Leute: Jetzt auch noch?
Molli zu Philipp: Sie sollten sich bei der Gelegenheit erkundigen, ob die dicke Dame ihre Tochter nicht endlich verheiraten will. Lange ist es mit den Beinen und dem kurzen Kleid nicht mehr zu machen.
Philipp zu der dicken Dame: Madame, ich verdiene hundertfünfzigtausend Francs jährlich.
Die dicke Dame: Ich höre es mit Vergnügen, mein Herr.
Frau v. Molli: Ferdinand, ich will abreisen. Wenn nur die Wohnung schon fertig wäre!
Die beiden jungen Leute vorn, in der Tür der Hall: Da ist die Polizei! Cheers!
Mrs. Paine hinten, zum Duca di Folino: Was sagen Sie, Duca? Hatten Sie das schon erlebt?
Duca di Folino: Ein wirklicher Fürst? ... Doch. Es war im Jahre –
Mrs. Paine: Finden Sie, daß ich mich kompromittiert habe?
Duca di Folino: Eine so schöne Frau kompromittiert sich nie.
Mrs. Paine: Sie wollen sagen, eine so reiche Frau?
Sie verschwinden, hinter den anderen, in der Hall. Man sieht drinnen das erregte Hin und Her.
Frau Huller. Liane.
Frau Huller ist während der vorigen Szene wie gescheucht umhergelaufen. Von ferne beobachtet sie bebend die Vorgänge, entflieht wieder, sinkt endlich auf einen Stuhl.
Liane aus dem Hause, nähert sich Frau Huller: Jenny!
Frau Huller schreit auf.
Liane: Ich bin's. Was hast du nur?
Frau Huller: Oh! Liane! Das ist doch entsetzlich.
Liane: Was? Die Verhaftung des Fürsten Ataxine? Man hatte von so etwas doch schon gehört. Ob es nun zufällig auch einmal in der Wirklichkeit vorkommt –. Freilich, dir hatte er Eindruck gemacht.
Frau Huller entsetzt: Eindruck gemacht?
Liane: Ist das zuviel gesagt? Entschuldige.
Frau Huller: Bedenke doch: ein Dieb ist er!
Liane: Davon hat schließlich nur Mistreß Paine etwas bemerkt.
Frau Huller: Nein!
Liane: Wie denn?
Frau Huller: Nicht nur Mistreß Paine. O Liane, ich schäme mich tot.
Liane: Du auch? Heute? Daher deine Aufregung? Deine Verspätung beim Tee? Jenny, was für Sachen!
Frau Huller greift nach Lianes Hand: Jetzt läßt du mich fallen!
Liane: Aber nein. Übrigens weiß es niemand von dir.
Frau Huller: Das denkst du. Aber er wird reden! Er hat gesagt, das Hotel soll in die Luft fliegen. Sie klammert sich, heftig schluchzend, an Liane.
Liane: Beruhige dich, du Ärmste. Die Polizei wird, im Verein mit der Verwaltung des Hotels, dafür sorgen, daß es durchaus nicht in die Luft fliegt.
Frau Huller schluchzend: Wenn die Perlen der Mistreß Paine in seinem Koffer waren, hat man auch meine Brillanten darin gefunden!
Liane: Und man wird sie dir schweigend zurückgeben. Schau in deinem Zimmer nach, sicher liegen sie schon droben.
Frau Huller hört auf zu weinen. Wütend: Diese Mistreß Paine ist eine gemeine Person! Sie mußte sich doch sagen, daß ein Skandal auch noch andere mitreißen kann.
Liane lächelnd: Sie glaubte wohl, er liebe nur sie.
Frau Huller: Nur ihre Perlen, meinst du! Warum nicht auch meine Brillanten? Ein Dieb! Aber Rücksichten kennt so eine Amerikanerin nicht. Wegen ihres lumpigen Geldes kompromittiert sie alle Welt und sich selbst.
Liane: Ihr ist's gleich. Eine so reiche Frau steht über jedem Skandal.
Frau Huller: Du meinst, dem Conte Ronda wird die Sache recht sein?
Liane: Ach der! Der wiegt leicht. Ich kenne ihn.
Frau Huller rachsüchtig: Ja. Man sagt, daß ihr euch gekannt habt. Obwohl ihr beide ganz fremd tut.
Liane: Du wirst sehen, daß wir so harmlos verkehren, wie wir es immer getan haben.
Frau Huller: Ja du: du verstehst es. Aber sage mir, bitte, was du in meiner Lage getan haben würdest. Wenn der Ataxine nicht mir, sondern dir gefallen hätte.
Liane: Jetzt gefällt er mir fast. Ich bewundere ihn. Am selben Nachmittag! Zwei Frauen und zwei Kolliers!
Frau Huller: Im Ernst: hättest du nicht auch geschwiegen und deinen Schmuck verloren gegeben?
Liane: Ich begleite dich zum Lift. Du brauchst Ruhe vor dem Diner ... Du verlangst zu viel, wenn du willst, daß ich mich in deine Lage denke. Solche Dinge sind mir, glaube ich, zu fremd. Alles hier ist mir im Grunde fremd.
Frau Huller: Du läßt dir grade genug den Hof machen.
Liane: Gewiß. Es ist so unser Leben. Das hindert aber nicht, daß ich, mit meinem eigentlichen Ich, oft ganz woanders bin, auf einer wenig besuchten Hotelterrasse am Meer, zum Beispiel.
Frau Huller: Mit wem?
Sie betreten die Hall.
Gaßner. Der Barman.
Gassner kommt von hinten, aus dem Park, geht auf das Haus zu.
Der Barman tritt aus der Bar: Herr Doktor! Wenn ich mir erlauben dürfte –. Eine Minute nur.
Gassner: Bitte. Ist noch etwas zu bezahlen?
Der Barman: O nein ... Herr Doktor sind vorhin dem peinlichen Vorfall aus dem Wege gegangen?
Gassner: Im Park war es kühler.
Der Barman: Ohne Zweifel. Die Hitze ist dieses Jahr außerordentlich, sogar des Nachts. Sie bringt gewisse Nachteile mit sich, besonders des Nachts.
Gassner: Bei offenem Fenster schläft es sich recht gut.
Der Barman: Das ist es eben, das offene Fenster, – wenn gegenüber eine nackte Mauer liegt.
Gassner: Was wollen Sie sagen?
Der Barman: Wenn ich den Herrn Doktor nicht als einen wirklich feinen Herrn kennen würde –. Ihre Kompositionen haben ja Weltruf. Im Vertrauen gesagt, – hält die Hand vor – unter den anderen Herren ist mancher, bei dem ich mich gerade so wenig über gewisse Dinge wundern würde, wie ich mich bei dem Fürsten Ataxine darüber gewundert habe. In meinem Beruf lernt man die Leute unterscheiden.
Gassner: Ich bin etwas nervös. Beeilen wir uns, bitte.
Der Barman: Sogleich, Herr Doktor. Ich wollte nur sagen, daß ich von den Angestellten des Hotels jede Nacht der letzte bin, der ins Bett kommt. Die Bar hat den längsten Betrieb, ich bin sehr angestrengt. Mein Zimmer liegt übrigens weit von dem des Herrn Doktors, in dem Pavillon rechts von der alten Garage. Sie wissen?
Gassner: Ich weiß.
Der Barman: Gestern nacht nun, wie ich über den Hof ging, sah ich auf der Mauer der Garage zwei Schatten, gerade gegenüber Ihrem Fenster, das offen stand.
Gassner sieht ihn an. Greift in die Tasche.
Der Barman wehrt ab: Oh! So meine ich es nicht. Ich habe natürlich nur Ihren Schatten erkannt, Herr Doktor. Lächelt diskret: Der andere schien freilich der einer Dame zu sein.
Gassner: Eben darum. Er reicht eine Banknote hin, die der Barman unbesehen in die Tasche schiebt. Überzeugen Sie sich doch, ob die Sache damit erledigt ist.
Der Barman: Oh, nicht nötig. Ich fühle den Unterschied im Papier, wenn ich es zwischen den Fingern reibe. Der Herr Doktor ist sehr generös. Ich bin sicher, daß zum Beispiel der Conte Ronda für meine wohlgemeinte Warnung höchstens die Hälfte gegeben haben würde.
Gassner: Ihre gute Meinung verpflichtet mich zum Dank.
Der Barman: Freilich hat der Conte Ronda auf seine Dame nicht die gleichen Rücksichten zu nehmen –
Gassner: Wie ich auf die Dame, die Sie – nicht erkannt haben.
Der Barman: So ein Hotel wie dieses scheint überaus bequem, und dabei ist es voller Gefahren. Wenn Sie wüßten, was ich weiß –
Gassner: Ohne Ihr Wohlwollen, lieber Fritz, wäre es allerdings fast unmöglich, hier ohne Anstoß durchzukommen. Erhalten sie mir nur Ihre Freundschaft. Vielleicht nehmen wir zusammen einen Vermouth vor dem Essen?
Der Barman: Herr Doktor schmeicheln mir.
Sie treten in die Bar.
Conte Ronda. Liane.
Conte Ronda geht von links her über die Bühne. In der Tür der Hall trifft er mit Liane zusammen: Gnädige Frau.
Liane erwidert seinen Gruß: Conte Ronda. Gut, daß wir uns begegnen. Ich wollte Sie bitten, sich mir möglichst wenig zu nähern. Es sind Leute hier, die darauf achten.
Conte Ronda: Ich bedaure es tief, gnädige Frau. Die Erinnerung an gewisse, so kurze Stunden des vorigen Sommers ist frisch in mir wie je.
Liane: Ich vergesse so rasch.
Conte Ronda: Nicht dies! Leugnen Sie nicht, daß es das Schicksal war, das uns damals führte.
Liane: Und wohin hat es Sie jetzt geführt?
Conte Ronda: Das war ein Irrtum. Es ist aus damit.
Liane: Und mit uns hatte es eigentlich noch gar nicht angefangen.
Conte Ronda mit Feuer: Wir hätten fortfahren sollen.
Liane: An mir würden Sie vielleicht noch schlimmere Enttäuschungen erlebt haben als an –
Conte Ronda: Sprechen Sie den Namen nicht aus! Er ist Ihres schönen Mundes unwürdig.
Liane: Im Gegenteil. Die Frau interessiert mich.
Conte Ronda rasch: Ich mache Sie mit ihr bekannt!
Liane: Wie wäre das möglich, – da Sie mich nicht kennen dürfen.
Conte Ronda: Gnädige Frau, Sie begehen eine Unklugheit. Soeben erst sprach mir der Duca di Folino von unserer Intimität in Rimini. Noch anderen Personen würde es auffallen, daß wir uns vermeiden.
Liane zweifelnd: Sie haben vielleicht recht?
Conte Ronda: Ich werde so bescheiden sein! Verschwindend in der Menge Ihrer Anbeter!
Liane: Es reizt mich, Sie so zu sehen. Auf Wiedersehen also, Conte Ronda.
Conte Ronda verneigt sich tief. Ab in die Hall.
Liane. Gaßner.
Liane kommt aus der Hall, geht an der Bar vorüber.
Gassner aus der Bar, folgt ihr: Gnädige Frau! Sie suchen jemand?
Liane: Es wäre wohl an der Zeit, sich zum Diner umzukleiden? Niemand ist mehr hier.
Gassner: Niemand, – da ich nicht mitzähle.
Liane: Sie sind bitter? Lieber Freund, es ist durchaus nötig, daß ich die einzige bleibe, die es merkt.
Gassner: Sie machen es mir schwer. Liane! Was haben Sie?
Liane: Nichts. Sie sehen, ich bin gekommen, weil ich Sie hier zu finden hoffte ... Ach, es ist schrecklich, wenn man einander fremd wird. Alles versinkt.
Gassner: Nicht wahr? Auch Sie leiden. Aber warum muß es sein? Habe ich mich verändert?
Liane ratlos: Nein.
Gassner: Nur Sie! Sie sind anders seit vier Tagen: genau seit der Abreise Ihres Mannes.
Liane: Vielleicht ja. Verstehen Sie das nicht?
Gassner: Ich würde Ihre Vorsicht verstehen, wenn Sie allen andern dieselbe Zurückhaltung auferlegten wie mir. Aber Sie ziehen mir öffentlich jeden vor. Ich sehe Sie kaum; kein Wort, kein Blick des Einverständnisses; – und mit diesem Herrn von Molli verschwinden Sie im Park.
Liane: Was wollen Sie. Ich fühle mich der Lage nicht ganz gewachsen. Sie sind kurz vor der Abreise meines Mannes eingetroffen, nur meinetwegen, wie jeder sehen konnte. Und Sie bleiben mit mir zurück.
Gassner: In Gesellschaft Ihrer Freunde.
Liane: Die ich erst durch Frau Huller kennengelernt habe. Die Leute wissen nichts von meinem Mann. Vielleicht glauben sie ebenso wenig an meinen Mann, wie an den der dicken Dame.
Gassner: Sie vergleichen sich –. Das übersteigt meine Fassungskraft.
Liane: Genau besehen: was unterscheidet uns. Daß man sie nur unbestimmt im Verdacht hat, mich aber bestimmt.
Gassner: Welche Frau ist hier nicht verdächtig?
Liane: Ich bin nicht unabhängig. Wissen Sie, mit wem ich grad eben gesprochen habe? Mit Ronda, dem zu schönen Conte aus Rimini. Die Beziehungen waren zu regeln; ich hatte Diplomatie nötig. Vergangenheit und Gegenwart, alles hat Zeugen. Mein Freund, wir hätten uns hier wohl nicht treffen sollen.
Gassner: Und ich, für den alle diese Leute Nebelgestalten sind. Mit meiner ganzen Seele lebe ich noch immer dort hinten, in unserm Garten an Meer.
Liane: Auch ich denke mich oft zurück. Es war schön. Es war wohl zu schön.
Gassner: Liane! Was heißt das?
Liane: Habe ich Ihnen nicht gesagt, daß ich Sie nicht zu allen Stunden gleich lieben würde?
Gassner: Aber diese vielen Stunden? Diese Tage?
Liane: Eine sonderbare, prophetische Angst befiel mich, als ich hierher kam. Die Wagenfahrt mit meinem Mann und dem Kind, aus den Bergen herab, war glücklich. Ich dachte an Sie. Am Abend dann, bestaubt und müde, wie ich in der drückenden Schwüle diesen Ort daliegen sah, fühlte ich plötzlich ganz sicher, daß ich hier alles verlieren und arm und einsam werden solle wie je.
Gassner: Aber ich bin da, und ich liebe Sie!
Liane: Ich Sie – vielleicht nicht mehr. Sie senkt den Kopf.
Gassner: Liane! Bedenken Sie, was Sie sagen!
Liane: Nicht so laut! Man geht in den Speisesaal. Bewegung in der Hall. Sie ziehen sich nach links zurück.
Gassner: Ist das die Wahrheit? Es sollte aus sein?
Liane: Ich weiß nicht.
Gassner: Sie wissen nicht. Man liebt, man hält den Sinn des Lebens und ist von ihm erfüllt. Eines Morgens wacht man auf: alles ist vergessen.
Liane: Ich habe nichts vergessen. Ich habe mich nur erinnert an das, was schon früher da war, bevor Sie kamen: das gewöhnliche Leben, die Menschen, die Pflichten.
Gassner: Sie lieben mich nicht mehr!
Liane: Doch. Nur anders.
Gassner: Weil der Ort ein anderer ist? Weil die Luft heiß ist? Weil hier Leute sind?
Liane: Quälen Sie mich nicht. Sie verstanden sonst alles. Schuld hat am Ende die große Spannung des Gefühls. Man wird so müde, daß man die Liebe verschlafen möchte.
Gassner: Liane, wir schliefen nicht heut nacht. Du willst zweifeln, willst dich mir entziehen: und deine Haut, die die Fremden nicht sehen können, trägt noch die Spuren meiner Küsse! Er greift nach ihrem Arm.
Liane macht sich los. Heftig: Lassen Sie! Sie haben kein Recht, mich an eine Nacht zu mahnen, die vorbei ist. Am Morgen schließe ich die Tür und bin frei.
Gassner: Frei? Sie sind abhängig von Ihrem Mann, Ihrer Gesellschaft, von jedem, der hier vorübergeht. Und gegen mich, gerade gegen mich behaupten Sie Ihre Freiheit!
Liane: Ich habe nichts, worüber ich verfügen kann: nur meine Liebe. Was wäre sie noch wert, wenn ich sie Ihnen verpfändet hätte. Ihre Sache ist es, sie sich täglich zu verdienen.
Gassner: Dadurch, daß ich aller Welt erlaube, Sie mir zu entfremden? Der schlechtesten Umgebung liefern Sie sich aus, ich aber bin Ihr Geliebter nur in den Viertelstunden, wenn Ihnen das Gedächtnis zurückkehrt. Ich bin Ihnen nicht gewachsen. Mir fehlt die Gabe, täglich neu und ohne Vergangenheit aufzustehn. Kein Vertrauen, keine Gewißheit – und Sie täglich sinken und sich verlieren sehen. Es ist besser, ich reise ab, bevor das letzte kommt.
Liane bestürzt: Abreisen?
Gassner: Bevor alles vom Ekel erstickt wird. Sie ahnen wohl nicht, wie ich diese vier Tage verbracht habe. Ich habe mehr erfahren, mehr verloren, als im ganzen Leben zuvor. Ich will schweigen und gehen. Er wendet sich fort.
Liane: Was ist geschehen, sprechen Sie!
Gassner: Verschonen wir uns!
Liane: Was liegt daran jetzt noch. Sie dürfen alles sagen.
Gassner: Sind Sie denn so verblendet, daß Sie es nicht wissen? Sie liebten mich noch, als Sie herkamen, und haben sich nie gesagt, daß Sie durch das Leben hier, durch Ihre Zugeständnisse an diese Menschen sich in meinen Augen erniedrigen mußten? Daß Sie auch vor sich selbst kleiner werden mußten und unfähig, unsere große Liebe zu tragen?
Liane: Eine Liebe, die nur darum groß bleibt, weil man sie nicht auf die Probe stellt? Der Aufenthalt hier war die Probe.
Gassner: Wer leben will, nimmt nicht Gift. Eine Frau, die sich ihrem wahren Dasein erhalten will, ruft nicht sogenannte Verehrer von allen Seiten herbei, spielt nicht, flirtet nicht, läßt sich nicht ruchlos abnutzen und ins Leere zerfließen ... Ich bin nicht eifersüchtig.
Liane: Ich weiß es wohl.
Gassner: Auf keinen. Denn von keinem werden Sie je empfangen, was wir erlebt haben. Aber ich kann nicht hindern, daß ich die Männer, die herandrängen, die eine schlechte Ehe wittern und ihren Vorteil dabei suchen, immer um Sie her fühle, wie eine unsaubere Atmosphäre, die Sie entweiht.
Liane: Wenn Sie wüßten, wie wenig mir das sogar ehedem war. Aber weiter.
Gassner: Ein Hotel, wo ein verhafteter Hochstapler kompromittierte Frauen zurückläßt, erachten Sie als würdigen Aufenthalt? Es beschämt Sie nicht, daß Sie die Diskretion eines früheren Liebhabers erschmeicheln müssen?
Liane empört sich: Er war nicht mein Liebhaber!
Gassner: Und ich selbst war noch soeben genötigt, einen Angestellten des Hotels zum Schweigen zu verpflichten. Sie wären vielleicht verloren gewesen.
Liane: Mein Gott!
Gassner: Sie, die Frau, die mir über allem stand, angewiesen auf die Gnade von Mitwissern, Abenteurern, schlechtem, billigem Menschenpack! Merken Sie es denn nicht? Den Dunst all der kleinen, widrigen Sinnlichkeit um uns her? Er dringt, sooft wir uns in den Korridoren zueinander stehlen, durch alle Türspalten. Auch zu uns dringt er ein. Das Verbotene, Unanständige und Seichte aller dieser Umarmungen mischt sich auch in unsere.
Liane: Hätten Sie recht? Wie furchtbar!
Gassner: Ich will es nicht. Ich habe Sie zu sehr geliebt. Ich reise ab, jetzt, da ich noch stark genug dazu bin.
Liane: Nicht im Zorn! Wir würden zu sehr bereuen. Lassen Sie mir doch Zeit! Ich kann nicht von heut auf morgen meine ganze Existenz umstürzen.
Gassner: Ich verlange, daß Sie mit allem brechen. Keine brieflichen Freundschaften mehr, kein Spiel mit Begierden. Ich bin nicht wie Ihr Gatte, der sich mit den Pausen begnügt, in denen Sie sich langweilen.
Liane erkennend: Wie Sie hart sind! Sie waren sonst gütig. Ich habe es wohl nicht verdient. Ich bin Ihre Liebe nicht wert. Sie werden mich vergessen.
Gassner ergreift ihre Hände: Ich will dich nicht verlieren!
Die Vorigen. Die beiden jungen Leute.
Die beiden jungen Leute kommen aus der Hall. Sie sind im Abendanzug und rauchen kurze Pfeifen. Sie beginnen freundschaftlich zu boxen und drängen sich in die Bar.
Liane und Gassner haben sich in den Schutz der Palmen zurückgezogen.
Liane: Was soll jetzt werden?
Gassner: Du wirst mein sein, in Wahrheit mein: das wird werden. Ich bin hart, aber es ist zu deinem Besten. Du sollst dich wiederfinden. Dein besseres Ich ist bei mir.
Liane: Man kommt vom Diner zurück. Laß mich hinaufgehen. Ich werde heute abend nicht mehr erscheinen.
Gassner: Ich soll dich nicht mehr sehen? Dann werde ich glauben, daß du dich gegen mich entschieden hast.
Liane weich, traurig: Nein, nein.
Gassner: Dann laß mich nicht allein!
Liane: Es wäre klüger von dir, wenn du mir erlaubtest, droben zu bleiben.
Gassner: Du liebst mich noch?
Liane: Ja.
Gassner: Wie früher?
Liane: Ich weiß nicht. Schmerzlich: Ich werde dich wohl immer lieben ... Leb wohl. Ich gehe von der anderen Seite ins Haus. Folge mir nicht. Ab nach hinten in den Park, der jetzt ganz dunkel ist. Vorne Dämmerung.
Gassner sieht Liane nach. Langsam ab in die Hall.
Pause.
Vor der Hall entzündet sich eine Bogenlampe, im Palmenbeet bunte Lämpchen. Hall und Bar erhellen sich stärker.
Die beiden jungen Leute. Die ältere Dame. Dann der Barman – aus der Bar. Die dicke Dame, ihre Tochter, Philipp, die Kokotte, ihr Begleiter aus der Hall. Alle in Abendtoilette.
Die ältere Dame aus der Hall: Hierher, boys! Daß ihr mir nicht mit den Leuten sprecht. Alle sind shocking.
Die beiden jungen Leute: Fritz! Zwei Gin-Fizz. Sie nehmen mit der älteren Dame an einem der Tische Platz.
Der Barman bedient sie.
Philipp: eine sehr dicke Zigarre im stark geröteten Gesicht, eingehängt zwischen der dicken Dame und der Kokotte: Heil dem Fürsten Ataxine, der unsere Bekanntschaft vermittelt hat! So etwas bringt die Menschen einander näher. Zur Kokotte: Geh, Schatzerl, jetzt trinken wir einen Schampus.
Der Begleiter der Kokotte zu Philipp: Mein Herr, Sie irren sich.
Die Kokotte zu Philipp: Ja, mein Herr, Sie irren sich. Denn bei mir gibt es keine Perlenkolliers. Wenn Sie es machen möchten wie der Fürst Ataxine, wenden Sie sich an die anständigen Frauen.
Philipp zur dicken Dame: Also Sie, Madame. Sie haben hier die schönsten Kolliers, täglich ein anderes. Außerdem haben Sie eine Tochter, sie wird einmal so üppig werden wie Sie. Es ist herrlich.
Die dicke Dame: Sie ist zu verheiraten, mein Herr.
Philipp: Ich sollte einmal ein Mädel heiraten und habe zur Bedingung gemacht, daß ich zuerst die Mutter bekam.
Die dicke Dame: Jolanda, hol mir meinen Fächer aus der Hall!
Die Tochter ab.
Die Kokotte zu Philipp: Sie haben Mut, mein Herr. Aber werden Sie die Konsequenzen tragen können?
Philipp: Sie, Madame, wiegen leichter. Übrigens verdiene ich hundertfünfzigtausend Francs im Jahr. Nun?
Die Kokotte flüstert ihm etwas zu.
Philipp: Abgemacht.
Der Begleiter der Kokotte zu ihr: Du führst dich auf!
Die Kokotte faßt ihn unter das Kinn: Abscheulich. Denn ich bleibe meinem kleinen Dummkopf treu. Ich muß mich hier doch auszeichnen.
Die Vorigen. Frau Huller. Frau v. Molli. Molli. Duca di Folino. Später Gaßner. Alle in Abendtoilette. Während dieser Szene wird von den Kellnern Kaffee serviert.
Frau Huller zu Frau v. Molli: Um Gottes willen, der Duca hat ja vergessen, seinen Smoking anzuziehen. Er hat ein Lüsterjäckchen an, das geht doch nicht, es wird einen Skandal geben.
Frau v. Molli: Einen Skandal, weil der alte Mann bei seiner Toilette nicht mehr an alles denkt? Ich glaube, wir haben einen andern Skandal im Hotel.
Frau Huller bestürzt: Ach ja.
Molli zum Duca di Folino: Also Ihre Meinung, Duca! Wer ist die zweite Dame?
Frau v. Molli: Das ist doch nur Klatsch, Ferdinand.
Frau Huller eifrig: O nein, man sagt es, auch unter den Angestellten. Bei der zweiten Dame soll es sich um ein Brillantenkollier handeln.
Duca di Folino: Von einem Fürsten Ataxine möchte ich glauben, daß er sich zuerst in die Damen verliebt hat und erst dann in die Kolliers.
Die dicke Dame, ihre Tochter, die Kokotte, Frau v. Molli um den Duca di Folino her: Welche Dame, Duca?
Frau Huller angstvoll: Oh! Duca!
Die Kokotte zu Philipp: Was für Angst sie haben! Ich werde erklären, daß ich es war, – wenn man mir dafür das Kollier gibt.
Gaßner ist aus der Hall gekommen, bleibt davor stehen.
Die Vorigen. Liane.
Liane erscheint, nur von Gaßner bemerkt, in der Tür der Hall. Gassner ihr entgegen, küßt ihr die Hand: Wie geht es Alice?
Liane: Sie schläft nicht. Sie rief nach mir, aber ich bin davongelaufen.
Gassner: Wie danke ich Ihnen!
Liane: Denn es ist etwas geschehen. Ich habe in meinem Zimmer ein Kollier gefunden, das Frau Huller gehört.
Gassner: Woher kommt es?
Liane: Aus dem Koffer des Fürsten Ataxine.
Gassner: Ich begreife nicht.
Liane: Er hat sie bestohlen, gerade wie die Mrs. Paine.
Gassner: Und unter denselben Umständen?
Liane: Ich glaube ... Sie hat wohl nicht den Mut gehabt, sich der Direktion als Eigentümerin des Kolliers vorzustellen und hat lieber meinen Namen genannt.
Gassner: Aber das ist niederträchtig!
Liane: Sagen wir leichtfertig. Sie ist schwach. Sie ist ja nicht so reich wie Mrs. Paine, die darf sich freilich Unanständigkeiten bis zu jedem Betrag erlauben.
Gassner: Sie werden den Umgang mit dieser gefährlichen Person sofort abbrechen, nicht wahr?
Liane: Im Gegenteil, ich muß mich enger mit ihr befreunden, und Sie auch.
Gassner: Welche unerträgliche Abhängigkeit! Liane! Sie tun mir leid. Sehen Sie nicht, wohin dies alles Sie führt?
Liane: Wir leben unter Menschen.
Gassner: Ich will Sie nicht plötzlich herausreißen. Sie sollen in keine Einöde mit mir. Ich bin nicht so hart, wie Sie glauben. Ich verstehe Sie.
Liane: Sie verstehen mich?
Gassner: Haben Sie denn kein Vertrauen mehr?
Liane: Ich hoffe, Sie geben es mir zurück.
Gassner: Ich kämpfe um Sie! Ich werde Sie retten!
Liane: Retten? Verwechseln Sie mich denn mit Frau Huller? Schüttelt den Kopf. Als sei ich eine Fremde.
Tanzmusik aus dem Innern des Hotels.
Die Kokotte läuft ins Haus.
Ihr Begleiter folgt ihr.
Die dicke Dame und ihre Tochter brechen auf.
Die beiden jungen Leute aus der Bar, hinterher.
Duca di Folino hastet ihnen nach.
Die Vorigen ohne die Kokotte, ihren Begleiter, die dicke Dame, ihre Tochter, die beiden jungen Leute. Dann Mrs. Paine. Conte Ronda.
Molli zu Liane hinüber: Gnädige Frau, die Valse brune!
Liane: Schon tanzen?
Vorstellung.
Mrs. Paine und Conte Ronda kommen aus der Hall.
Mrs. Paine begrüßt Liane: Madame Löwen, Ronda hat mir gesagt, daß Sie mich kennen möchten. Ich habe es mir auch gewünscht.
Liane: Ich bin entzückt. Dies sind meine Freunde, Herr und Frau v. Molli, Frau Huller, Herr Christoph Gaßner, Herr Philipp Mandl. Die Herren kennen den Conte Ronda?
Begrüßung.
Conte Ronda zu Liane: Wir haben uns nämlich ausgesöhnt. Das mit Ataxine war nur eine blague.
Liane: Das behauptete schon jemand.
Frau Huller: Ich! Ich habe gleich gesagt, einem Fürsten Ataxine seien solche Sachen nicht zuzutrauen.
Mrs. Paine sieht Ronda zärtlich an: Manchmal muß man zu gewaltsamen Mitteln greifen.
Liane: Aber den armen Ataxine haben Sie also unschuldig verhaften lassen.
Conte Ronda: Er ist schon wieder in Freiheit.
Mrs. Paine: Und er mag seine Forderung formulieren.
Philipp: Das muß gefeiert werden. Fritz! Er bestellt beim Barman. Es wird Sekt gebracht.
Molli: Auf unsern abwesenden Freund Ataxine! Man stößt an.
Liane zu Mrs. Paine: Ich wüßte so gern, warum der Conte Ronda Ihnen gefällt, und warum der Fürst Ataxine.
Mrs. Paine: Ihnen gefallen niemals zwei gleichzeitig?
Liane: Es ist vorgekommen. Aber den einen liebte ich; – und grade dann umgibt man sich mit andern, die uns nur gefallen. Am Ende ist es Selbsterhaltung. Wir müssen uns teilen können. Zu Gaßner: Nicht wahr, Herr Gaßner?
Gassner hart: Ich sage, ganz oder gar nicht.
Liane bestürzt: Wenn das ginge.
Philipp: Ich wäre bescheidener als Herr Gaßner.
Liane leise, geringschätzig: Das glaube ich.
Pause.
Mrs. Paine: Der, den Sie lieben, ist sicher der Herr v. Molli.
Liane: Warum glauben Sie das? Er gefällt mir, besser als anfangs. Obwohl er ein kleines wenig mauvais genre ist.
Mrs. Paine: Der Vater seiner Frau hat sechzig Millionen.
Liane: Um Gottes willen!
Mrs. Paine: Es ist doch einer der Gerings von Minneapolis.
Liane: Und Herr v. Molli sagt niemandem ein Wort davon. Ich hätte ihm soviel Diskretion nicht zugetraut.
Mrs. Paine: Es war vielleicht Absicht? Denn jetzt wird er Ihnen immer besser gefallen.
Liane: Aber nicht, weil er Geld hat, bitte.
Mrs. Paine: Doch. Er wird Ihnen ja nichts davon geben. Aber auch von den adligen Namen unserer Liebhaber haben wir nichts; und doch ist es so angenehm.
Liane: Ja, das macht auch mir etwas aus. Ronda und Ataxine parfümieren sich beide die Augenbrauen, reiten Polo und schmeicheln in jeder Weise unseren snobistischen Instinkten.
Mrs. Paine: Oh! Bin ich ein Snob?
Liane: Jedenfalls ich.
Philipp: Jetzt sollte man auf den See hinausfahren.
Frau v. Molli: Das ist freilich das einzige Mittel, sich wenigstens einmal auszukühlen.
Philipp: Für morgen habe ich ein Motorboot reservieren lassen. Die Damen werden mir die Ehre geben?
Mrs. Paine: Ich reise morgen ab.
Frau Huller zögernd: Ich – vielleicht auch.
Liane: Darüber reden wir noch. Zu Philipp: Dann bleiben Ihnen nur Frau v. Molli und ich. Wer begleitet uns?
Molli: Wenn die Damen mich mitnehmen.
Philipp: Sehr gut. Das Boot hat vier Plätze. Wir werden die berühmten Villen besichtigen. Wir können draußen frühstücken und zum Diner zurück sein.
Liane plötzlich ernst und suchend: Die Villen? Sind wir nicht alle zusammen zu profan für ihre mysteriösen Lorbeergänge und Marmorhallen? Allein wäre jeder von uns besser geeignet.
Molli leise: Man kann das Recht, sie zu zweien zu besuchen, erwerben, gnädige Frau.
Liane: Mit Ihrer Hilfe? Kaum. Sie würden das satt bekommen. Sieht Gaßner an. Denn ich wäre imstande, mich ein Jahr oder noch länger in solch einen menschensicheren Park zurückzuziehen.
Frau Huller: Freilich. Du warst doch erst kürzlich einen Monat lang verschollen.
Liane: Gerade so möchte ich es wieder haben. Zu der Gesellschaft: Hier sagen wir uns doch immer dasselbe, das ist so anstrengend. Frau v. Molli und Herr Gaßner erleichtern es sich und sagen gar nichts. Sie steht auf.
Molli: Verzeihen Sie, wenn es uns nicht gelungen ist, Sie zu amüsieren. Mir fallen schon noch neue Witze ein.
Liane: Also, gehen wir tanzen!
Alle in die Hall ab, außer Liane und Gaßner.
Liane. Gaßner.
Gassner vor der Hall, zu Liane: Gnädige Frau, eine Botschaft für Sie. Reicht ihr ein Papier: Es betrifft Alice.
Liane: Was denn? Zu Herrn v. Molli: Gehen Sie voraus, ich komme.
Gassner: Lassen Sie, es war ein Vorwand. Mit verhaltener Erregung: Hüten Sie sich, Sie gehen zu weit!
Liane: Beherrschen Sie sich, ich bitte Sie! Was haben Sie schon wieder?
Gassner: Um so schlimmer, wenn Sie es nicht wissen. Ihre Vorsicht wird allmählich zur beleidigenden Nichtachtung. Sie lassen sich zu einer Bootfahrt einladen, die den ganzen Tag dauern soll, und mich schließen Sie aus.
Liane: Ich schließe Sie aus? Das Boot hat nur vier Plätze. Sollte ich Herrn v. Molli verbieten, seine Frau zu begleiten?
Gassner: Sie hätten ablehnen können.
Liane: Meine Zusage zurücknehmen, im Augenblick da ich erfuhr, daß Sie nicht dabei sein würden? Seien Sie doch vernünftig!
Gassner: Nicht einmal von einer Frau, die ich hier nur als Freund besucht hätte, würde ich das hingenommen haben. Ich wäre ohne Erklärung sofort abgereist.
Liane: Wieder eine Szene. Sie selbst mit Ihrem Benehmen, das jedem auffällt, treiben mich immer tiefer hinein unter diese Leute.
Gassner: Wenn Sie nicht für den Vorfall selbst verantwortlich sind, bleiben Sie es doch für die Taktlosigkeit Ihrer Freunde.
Liane: Ich sehe keine Taktlosigkeit.
Gassner: Der Herr sollte sie schon sehen. Ich würde ihm die Augen öffnen.
Liane: Ein Skandal?
Gassner: Wenn es sich um irgendeine andere Frau handelte. Bei Ihnen bin ich wehrlos, und Sie mißbrauchen die Lage.
Liane: Sie reden manchmal, als seien Sie verwirrt.
Gassner: An Sie bin ich gefesselt. Seien Sie ganz sicher, daß ich sonst abreisen würde.
Liane: Ich glaube es Ihnen. Sie sagen es nicht das erstemal. Drohen Sie mir lieber nicht zu oft damit.
Die Vorigen. Die dicke Dame. Ihre Tochter. Die beiden jungen Leute.
Die dicke Dame und ihre Tochter kommen aus der Hall, gehen in die Bar.
Die beiden jungen Leute hinter ihnen: Sie ist jünger als die Alte. Sogar die Mutter ist jünger. Sie sehen sich um: Die Alte schläft in der Hall! Zu der dicken Dame: Madame, sollen wir Ihnen etwas anbieten?
Die dicke Dame: Sie sind sehr liebenswürdig, meine Herren.
Die beiden jungen Leute: Fritz! Vier Gin-Fizz!
Die Vorigen. Nacheinander Frau Huller, Mrs. Paine, Molli, Philipp, Conte Ronda, Frau v. Molli.
Molli mit Lianes Mantel: Gnädige Frau sind nicht zum Tanzen gekommen.
Liane: Ich bin nicht dazu aufgelegt.
Frau Huller: Seit wann?
Liane: Vielleicht seit du beschlossen hast, abzureisen.
Philipp aus der Hall. Zu Liane: Gnädige Frau schuldeten mir noch einen Walzer. Das ist nicht recht.
Liane: Immer dies Schuldeneintreiben! Was würden Sie erst sagen, wenn ich morgen Ihre Bootfahrt nun doch nicht mitmachte?
Philipp: Ich wäre in Verzweiflung. Soll ich denn mit Herrn und Frau v. Molli allein fahren?
Liane: Ich bitte Sie darum. Ich muß durchaus einmal einen Tag für mich haben.
Molli: Gnädige Frau haben Ihren Mantel nötig.
Liane: Daß Sie das wissen! Und woher haben Sie ihn überhaupt?
Molli: Sie hatten ihn heute nachmittag in der Garderobe abgegeben.
Liane: Das wußten Sie noch? Sie sind wirklich sehr brauchbar.
Molli: Ich bin für Damen ein bequemer Freund.
Liane: Ja. Aber ich bin leider so unpraktisch, daß ich mir das Leben immer möglichst unbequem einrichte. Plötzlich habe ich dann keinen andern Gedanken mehr, als alles loszuwerden. Wissen Sie, meine Freunde behalte ich niemals lange.
Conte Ronda ist mit Mrs. Paine und Frau v. Molli aus der Hall gekommen: Aber Ihre Freunde verstehen zu warten.
Frau v. Molli: Mit solchen Neigungen muß man unglücklich sein.
Frau Huller zu Gaßner: Und unglücklich machen.
Liane: Man kommt darüber hinweg. Ich bin so egoistisch.
Gassner leise, zu Liane: Ich lasse mich nicht länger mißhandeln. Wollen Sie, daß ich gehe?
Molli zu Gaßner: Sie haben der Frau Löwen wohl die Laune verdorben! Erlauben Sie mir die Bemerkung, daß Sie bei Frauen eine ganz falsche Methode haben.
Gassner mit erhobener Stimme: Ich erlaube Ihnen keine Bemerkung, die Frau Löwen angeht.
Molli: Sie meinen?
Gassner: Das, was ich sage. Ich verbiete Ihnen Ihre Taktlosigkeiten, von denen dies nicht die erste ist.
Molli: Aber Sie sind ja plump!
Die dicke Dame, ihre Tochter, der Barman neugierig aus der Bar.
Die beiden jungen Leute aus der Bar: Es wird schon wieder lustig. Sie stoßen die Damen vorwärts.
Gassner: Plump oder nicht, ich wiederhole meine Züchtigung, bis Sie sie empfinden.
Molli: Herr Gaßner!
Liane zwischen sie: Friede, meine Herren! Wegen solcher Albernheit! Sie machen sich und mich lächerlich. Zu Gaßner: Kommen Sie! Geht mit ihm nach links.
Philipp, Conte Ronda reden auf Molli ein: Ein Mißverständnis. Ohne Gaßners Aufregung hätte niemand darauf geachtet.
Die ältere Dame aus der Hall: Come here, boys! Oh! shocking! Sie treibt die beiden jungen Leute vor sich her in die Hall.
Die dicke Dame, ihre Tochter, der Barman ziehen sich in die Bar zurück.
Gassner: Ich war am Ende meiner Kraft. Geschehe jetzt, was will.
Liane: Es wird nichts weiter geschehen, als daß Sie hier auf mich warten werden. Dies muß offenbar ein Ende nehmen.
Gassner: Ich wünsche nichts weiter mehr. Nach links in den Park ab.
Liane zu der Gesellschaft zurück: Ich bin müde. Man hat heute zu viel Interessantes erlebt, es wird Zeit, auszuruhen.
Die Vorigen ohne Gaßner.
Philipp: Schlafen gehen? Und ich bin noch immer nicht verlobt. Ich hatte es mir heute fest vorgenommen.
Frau Huller: Die dicke Dame?
Frau v. Molli: Dann schon lieber ihre Tochter.
Molli: Aber ins Haus kommt sie mir nicht. Zu Liane: Und Sie? Ich hatte doch recht mit dem Gaßner. Sie brauchen einen Mann, der Sie richtig behandelt.
Liane: Den habe ich schon.
Molli: Noch nicht.
Liane: Doch. Meinen Mann.
Molli: Ach so. Der ist nie da.
Liane: Das ist wohl die richtige Art, mich zu behandeln.
Molli: Hören Sie: ich bin nicht der Mann, der sich verrückt machen läßt, wie der arme naive Gaßner.
Liane: Es fällt mir nicht ein, Sie mit ihm zu vergleichen.
Molli: Ich denke in der Liebe so klar wie Sie. Ich weiß, daß ich Ihnen gefalle.
Liane: Schlechthin gefallen, nein. Aber schon besser als anfangs.
Molli: Dann ziehen Sie die Konsequenzen.
Liane: Warum. Ich bevorzuge das Ergebnislose.
Molli: Sie begehen schweres Unrecht – an meiner Frau. Ich würde sie schlecht behandeln.
Liane: Das ist wohl die sonderbarste Drohung, die ich noch zu hören bekommen habe.
Molli: Aber Sie werden sie beherzigen.
Liane: Sie sind komisch. Jetzt sind Sie glücklicherweise nur noch komisch.
Philipp zu Liane: Wir haben einen Beschluß gefaßt.
Frau Huller zu Liane: Ja, du läßt dich scheiden und heiratest den Herrn Mandl. Ihr seid doch geschaffen für einander.
Liane: Darüber ließe sich reden.
Mrs. Paine: Bravo!
Philipp: Also zunächst Brüderschaft trinken! Er reicht Liane das Glas. Lianerl!
Liane ausgelassen: Wenn wir schon einen Flirt gehabt hätten, würdest du meinen richtigen Kosenamen kennen.
Frau Huller: Jetzt ein Hochzeitszug durch den Park! Herr Gaßner ist uns schon voraus.
Liane hält plötzlich an, macht sich los: Ich kann nicht mehr. Ich bin todmüde. Gute Nacht.
Philipp hält sie zurück: Oho! Und wenn ich es befehle?
Liane: Sind Sie ein so unbequemer Gatte? Dann kann ich Sie nicht brauchen.
Frau Huller: Hierbleiben! Weiterspielen!
Liane: Mein krankes Kind schläft vielleicht noch immer nicht. Das ist der Ernst.
Mrs. Paine: Es ist doch zu spät, um noch ernst zu werden?
Frau v. Molli: Wir sollten wohl wirklich schlafen gehen.
Molli: Ich begleite die Damen zum Lift.
Philipp: Ich verlasse meine Gemahlin nicht.
Liane: Am Lift enden Ihre Gattenrechte. Adieu, meine Herren.
Verabschiedung. Liane, Frau Huller, Frau v. Molli, Mrs. Paine, Molli, Philipp, Ronda ab in die Hall.
Die dicke Dame. Ihre Tochter. Der Barman. Dann der Duca di Folino.
Die dicke Dame in der Bar: Endlich sind die betrunkenen Leute fort. Das will die gute Gesellschaft sein.
Der Barman: Man muß sie zu behandeln wissen, dann läßt sich mit ihnen leben.
Die dicke Dame: Sie haben wohl sehr viel Welterfahrung?
Der Barman: Im Winter bin ich in Nizza, im Sommer hier. Da trifft man immer dieselben Typen. Die Welt ist klein, und die Halbwelt auch.
Die dicke Dame: Jolanda, meine Handschuhe sind draußen liegen geblieben, hole sie.
Die Tochter nach vorn.
Duca di Folino kommt aus der Hall, setzt sich an einen Tisch links.
Die dicke Dame fächelt sich, girrt: Sie, Fritz, sind hier eigentlich der schönste Mann.
Der Barman mit Überzeugung: Sie, Madame, sind unbedingt die schönste Frau.
Die dicke Dame: Schlafen Sie nicht in dem Pavillon hinter der Garage?
Der Barman: Ja. Aber ich schlafe schlecht, denn die Wände sind dort nur aus Holz, man hört jedes Geräusch.
Die dicke Dame seufzt: Mich stört meine kleine Jolanda, die im Schlaf spricht und immer will, daß die Tür zwischen unseren Zimmern offen bleibt.
Der Barman: So geht manches nicht, was man sich wünschte.
Die Tochter der dicken Dame kehrt zurück, kommt fächelnd und äugelnd an dem Tisch vorüber, wo der Duca di Folino sitzt.
Duca di Folino: Signorina, guten Abend. Waren Sie es nicht, die heute die Arie der Musetta sang?
Die Tochter: Oh! Haben Sie mich gehört? Ich kann ja nicht singen.
Duca di Folino: Gerade darum. Es klang so jung. Er steht auf, betastet ihren Arm. Sie gefallen mir. Mit ihr in die Bar. Madame, Sie haben eine reizende Tochter, sie gefällt mir.
Der Barman diskret nach vorn, serviert einen Tisch ab.
Die dicke Dame: Ihr Sohn würde uns sicher auch gefallen. Sie haben doch einen Sohn?
Duca di Folino: Er ist Ballettänzer.
Die dicke Dame: Der junge Herzog?
Duca di Folino: Herzog ist er nicht. Seine Mutter war auch beim Ballett. Das heißt, jetzt wird er wohl nicht mehr tanzen. Ich höre seit – dreißig Jahren nichts mehr von ihm ... Aber ich wollte nicht von meinem Sohn sprechen, sondern von mir. Mir gefällt Ihre Tochter.
Die dicke Dame: Sie sind noch sehr stattlich. Jolanda bekommt eine schöne Mitgift.
Duca di Folino: So meine ich es nicht. Daß Sie mich immer mit meinem Sohn verwechseln. Ich bin doch kein Ballettänzer.
Die dicke Dame mit Würde: Wir verstehen uns nicht. Komm Jolanda!
Duca di Folino. Gaßner. Der Barman.
Duca di Folino aus der Bar: Sieh da, Herr Gaßner. Ich fürchtete schon, ich würde ganz allein bleiben. Zum Schluß bin ich immer allein.
Gassner von links: Worüber beklagen Sie sich. Es ist das beste.
Duca di Folino: Sie waren im Park. Vielleicht bei den Grotten? Ich – war dabei, als die Bilder aufgestellt wurden, vor – ah, ich weiß nicht mehr.
Gassner: In der letzten Grotte steht eine schöne Nymphe; sie muß von einem Schüler des Canova sein.
Duca di Folino: Ja; aber es ist keine Nymphe. Es ist die Marchesa Astrello.
Gassner: Ich erinnere mich; dieser Besitz gehörte einmal den Astrello. Sie verkehrten hier schon damals?
Duca di Folino: Ja, bis die Marchesa starb. Sie wollte sich im See ertränken, weil ich sie verlassen hatte. Man zog sie heraus; und bevor sie starb, hatte sie noch Zeit, im Fieber alles auszuplaudern. Dann schlug ich mich mit dem Marchese, und er fiel. Solche Sachen gingen damals noch tragisch aus, es war eine andere Mode. Aber heute wären auch ohne mich beide schon tot.
Gassner: Und – dann haben Sie es über sich vermocht, wieder hierher zurückzukehren?
Duca di Folino: Als die Engländer die Villa gekauft hatten, ward es hier sogar sehr lustig. Auch die Frau des Engländers liebte mich; aber das machte weder ihr noch anderen viel aus. Sie verschwanden; und dann ward Villa Astrello ein Hotel. Aus alter Gewohnheit komme ich jedes Jahr und habe hier noch vieles erlebt.
Gassner: Ich bewundere Ihre Nerven. Der Schatten der Marchesa Astrello ist Ihnen niemals begegnet?
Duca di Folino: Unter all den Schatten, die ich hier im Laufe der Zeit zurückgelassen habe, würde ich ihn wohl gar nicht erkennen.
Gassner: Sie brauchen ja nicht zu bereuen. Eine Frau, die sich so sehr hingab, daß sie daran starb, war glücklicher als eine – sieht am Hause hinauf –, die sich aus Furcht und Schwäche an die Welt verliert. Aber mir scheint, ein wenig Dankbarkeit –?
Duca di Folino: Wofür? Nur solange man noch jung ist, hat man die Eitelkeit, den Frauen für ihre Liebe dankbar zu sein. Heute weiß ich: die Leidenschaftlichen und die, die sich bloß mit mir vergnügten, sie hatten alle nur das eine Ziel, ungestört vierundachtzig Jahre alt zu werden. Aber nur ich bin es geworden, ich habe alle besiegt. Freilich, zum Schluß ist man allein. Er sinkt am Tisch zusammen, er sinnt.
Pause.
Der Barman: Die Herren befehlen noch etwas? Ich würde mir sonst erlauben, die Bar zu schließen.
Duca di Folino: Schließen Sie. Man wird wieder einmal schlafen müssen.
Der Barman schließt die Bar, dreht das Licht ab: Gute Nacht, meine Herren. Ab in die Hall.
Pause.
Duca di Folino: Wenn auch Sie noch nicht schlafen wollen, wie wär es, wenn wir bis zu den Grotten gingen und – er lacht meckernd – der Marchesa Astrello einen nächtlichen Besuch machten?
Gaßner. Duca di Folino. Liane. Über den Bäumen links geht der Mond auf. Sein Licht fällt auf die Fassade des Hauses.
Liane aus der Hall. Sie bleibt in der Tür stehen, das Mondlicht liegt auf ihr.
Duca di Folino erschrickt: Da ist sie!
Liane vortretend: Wer?
Duca di Folino: Ach so. Ich glaubte, Sie suchten mich.
Liane schroff: Sie? Ich suche Herrn Gaßner.
Duca di Folino: Wenn ich störe –
Liane: Ja. Sie stören.
Duca di Folino: Es ist gut, Madame, daß Sie mit einem Gentleman zu tun haben.
Liane: Und wenn Sie keiner wären!
Duca di Folino: Es ist gut. Verbeugt sich. Ab in die Hall.
Liane. Gaßner.
Liane und Gassner warten, sehen sich an.
Gassner kalt: Sie lernen es spät, der Welt zu trotzen.
Liane zornig: Zu spät. In der Abschiedsstunde.
Gassner: Auch ich weiß, daß es aus ist. Als ich freiwillig gehen wollte, heute nachmittag, durfte ich nicht. Sie mußten mich fortjagen.
Liane: Sagen Sie mir auch das noch! So gehen wir auseinander.
Gassner: Sie haben mir alles angetan, was ich durch einen Menschen erleiden konnte.
Liane: Sie mir noch mehr, als ich jetzt weiß. Ich werde davon zehren, bis ich alt bin.
Gassner: Was weiter. Wir waren, schon bevor wir uns trafen, nicht glücklich.
Liane: Jetzt aber sind wir unglücklich.
Gassner: Wer ist schuld? Sie hatten mir gesagt, daß Sie mich nicht mehr liebten. Sie haben wohl über sich selbst hinausverlangt, als Sie mich lieben wollten. Es ist Ihnen mißlungen, und nichts bleibt zurück als der trockene und ängstliche Egoismus einer eleganten Frau.
Liane: Besinnen Sie sich!
Gassner: Auf das Leben hier! Diesen Hexenkessel von Verrat, List, Spiel mit Qualen! Mochte ich leiden, wenn es Ihnen nur gelang, jeden Verdacht zu vermeiden. Immer auf der Höhe der Situation, und nie, nie, ein selbstvergessener Drang des Herzens!
Liane: Sie wissen es nicht!
Gassner: Sie sind enttäuscht: Sie! Weil ich mich als nicht mondän genug herausgestellt habe? Nicht gewandt genug im gesellschaftsfähigen Ehebruch? Weil ich die Geliebte meines Lebens gesucht habe, wo es sich doch nur um nächtliche Rendezvous und Diskretion bei Tage handelte?
Liane: Daß Sie eine solche Frau lieben konnten!
Gassner außer sich: Meinen Sie, ich werfe es mir nicht vor? Was war ich hier? Frühere Liebhaber, künftige, und dazwischen ich: das war meine Rolle.
Liane: Jetzt gehe ich. Sie wendet sich ab.
Gassner reißt sie zurück: Nicht jetzt! Hätten Sie mich heute nachmittag gehen lassen! Ich hatte noch nicht gelitten, was ich jetzt gelitten habe. Solange man nur glücklich war miteinander, ist noch in den Tiefen des Herzens genug Gleichgültigkeit, daß man sich trennen kann. Erst das Leiden schmiedet fest! Ich kann dich nicht lassen.
Liane: Sie müssen.
Gassner: Das alles sind Mißverständnisse. Wir wollen vergessen! Wir wollen einander um so stärker lieben!
Liane: Nach dem, was ich Ihnen zugefügt habe? Wären Sie so feig?
Gassner: Löschen wir das alles doch aus! Auch ich habe Fehler begangen, ich weiß. Seien Sie doch gütig!
Liane: Ich bin nicht gütig.
Gassner: Nur von mir haben Sie es verlangt!
Liane: Ich ertrage so vieles im Leben schwer. Dies würde mich zerstören. Es hat schon angefangen, mich zu zerstören.
Gassner: Ich war von Sinnen!
Liane: Sie haben mir Worte gesagt, die aus Ihrer tiefsten Natur kamen: Worte eines fremden Mannes an irgendeine gewöhnliche Frau, die sich schlecht aufführt. Früher hätten solche Gedanken Sie entsetzt. Sie liebten mich, weil Sie mich fein fanden. Ich bin es nämlich wirklich. Wenn man es erst sagen muß, ist es wertlos.
Gassner: Hätten Sie mich je wissen lassen, daß Sie auch hier noch im Innern zu mir standen!
Liane: Sie haben nicht hören wollen. Heute noch, in allen Schrecken dieses Tages, an dem ich Sie verloren habe: als ich Ihnen sagte, daß ich die Gärten am See mit Ihnen allein besuchen wollte, und ich dachte dabei, mit Ihnen darin leben ...
Gassner: Wie soll ich das jetzt noch glauben.
Liane: Ja. Es ist so weit, daß wir uns nicht mehr glauben. Einst wußten Sie, auch wenn ich schwieg. Sie zuerst haben vergessen.
Gassner senkt den Kopf.
Liane weicher, langsam: Es war uns wohl unmöglich, glücklich zu werden. Wir verdienten alle beide solche große Liebe nicht. Wir können beide zu wenig opfern, drum muß jeder an sich selbst schwer tragen.
Gassner: Wir wußten doch, daß das menschliche Vermögen, zu fühlen, nur zu fühlen, schwach und schwankend sei. Es wäre klüger und redlicher gewesen, von einer so großen Liebe nur zu träumen.
Das Mondlicht hat die Fassade des Hauses langsam verlassen und ist auf die linke Hälfte der Bühne hinübergerückt. Sie stehen jetzt darin. Liane: In diesen letzten Tagen habe ich mich manchmal gefragt, ob es denn nötig ist, glücklich zu sein.
Gassner: Wir haben uns doch geliebt.
Liane: Wir werden uns immer lieben.
Gassner: Du sagst es? Noch jetzt? Dann verzeihst Du mir?
Liane mit Leidenschaft: Das alles ist nun ausgelöscht!
Gassner reißt sie an sich.
Liane: Christl!
Gassner: Lani!
Umarmung.
Gassner: Es ist nicht aus, ich habe dich nicht verloren! Du bist mein wie je, und für immer. Oh! es konnte ja nicht anders sein. Unsere Träume, unsere Zukunftspläne, alles wird sich nun doch verwirklichen. Ich werde in deiner Stadt wohnen. Ich werde nie mehr eifersüchtig sein auf deine Welt. Ich lasse dich ihr; wenn du es willst, befreunde ich mich mit ihr. Ganz geduldig warte ich, bis es an meine Tür klopft. Ich öffne: da bist du, da ist das Glück. Dann gibt es nur noch dich und mich.
Liane: Kind! Liebes, unvernünftiges Kind!
Gassner: Warum unvernünftig? Läßt sich denn nicht lernen aus unseren Erfahrungen? Du wirst nie mehr leiden, ich verspreche es dir. Du hast ein Recht auf das wolkenlose Glück. Süße Frau!
Liane: Nenne mich nicht mehr so, ich bin es nicht mehr. Wir haben durch einander zu viel erkannt; wie sollten wir noch diese unwissenden Liebesworte sprechen. Das ist aus.
Gassner: Wegen eines einzigen Mißverständnisses? Wegen eines Anfalls von Wahnsinn? Du verstößt mich?
Liane: Du weißt wohl, es war kein Mißverständnis. Du würdest fortan dich zwingen, mich so zu ertragen wie ich bin, nur um mich zu verlieren, da du in diese Liebe so wundervolle Hoffnungen gesetzt hast. Das, Lieber, wäre Sentimentalität und Schwäche.
Gassner: Du, du bist zu wenig sentimental.
Liane: Ich fürchte mich davor, daß ich dich behandeln könnte wie die anderen, und du würdest es dir gefallen lassen. Das darf nicht sein. Ach, was ist nun aus unserer schönen Liebe geworden. Lieber, lieber Christoph!
Gassner: Du kannst nicht zurückkehren? Es kann nicht werden wie früher? Man muß wollen. Nachsicht und Verzicht sind es, die die Menschen beieinander halten.
Liane: Nicht uns; du weißt es wohl. Du wirst mich immer lieben und ich dich immer. Aber vielleicht sehen wir uns niemals wieder.
Gassner: O schweig!
Liane: Ich werde vielleicht in einem deiner Konzerte sitzen, ohne daß du es weißt.
Gassner: Ich werde es wissen!
Liane: Wenn deine neue Oper aufgeführt ist, werde ich dir ein paar Zeilen schreiben: das wird alles sein. Es ist schrecklich.
Gassner: Arme Liane!
Liane: Ja, beklage mich!
Gassner: Unsere Wochen am Meer, diese Herrlichkeit des Himmels: das war doch!
Liane: Ja, das war. Ich habe dich unerhört geliebt. Nachher habe ich mich mit Schrecken gefragt, ob ich damals mein Kind noch liebte.
Gassner: Das alles soll nun bloß der Reue dienen um ewig Verlorenes! Der Scham über eine große Niederlage!
Liane: Man wird sich nur noch des Guten erinnern. Das ist das allertraurigste. Adieu, Lieber. Sie wendet sich ab.
Gassner: Ich werde es vielleicht später begreifen. Heute bin ich fassungslos. Geh nicht! Noch nicht!
Liane: Einmal mußte es doch sein: jetzt oder in Jahren. Nein, wir werden nicht ganz unglücklich sein. Denn, jeder in der Welt allein, werden wir doch von einander wissen. Sie reicht ihm die Hand. Wenn ich morgen früh herunterkomme, wirst du nicht mehr da sein.
Gassner: Ich werde nicht mehr da sein. Er küßt ihr die Hand, er will sie an sich ziehen.
Liane macht sich los: Nicht mehr ... Leb wohl. Schnell bis unter die Tür der Hall. Dort wendet sie sich zurück.
Gassner will vorstürzen.
Liane legt den Finger auf die Lippen. Ab.
Vorhang.