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Elisabeth Charlotte von Orléans oder, wie wir sie alle nennen und kennen, Liselotte war eine Deutsche und eine Pfälzerin. Dieses Nebeneinander darf nicht erstaunen: als Deutsche brachte sie ihre Reinheit und Geradheit, als Pfälzerin ihre Naturwüchsigkeit und Derbheit mit. Daß sie, die Tochter Karl Ludwigs von der Pfalz (1617 bis 1680), aus einem Geschlechte stammte, das sich seines Gottesgnadentums und seiner hohen Geburt und Bedeutung auch in der Verbannung bewußt blieb, verlieh ihr jenes Gefühl fürstlicher Größe, das »aufflammte« wenn sich »Mäusedreck mit Pfeffer mengen« wollte, und eine Dosis starren Eigensinn, der erfuhr, wie wunderlich es auf dieser Welt zugeht. Denken wir uns noch dieses Fürstenkind aufgewachsen in der lachenden, sonnigen Pfalz, in und um Heidelberg, am Neckar, Namen, die erklingen voll Lust und Fröhlichkeit, lachender Wärme, sehen diesen Wildfang im Schlosse, im Park tollen, springen, scherzen und poltern, singen und schreien, lieber mit Degen und Flinte umgehen als mit Puppen, auf Kirschbäume klettern, über Schloßmauern hinüber – mit dem Volke sich mischen! Manch derbes Wort, auf Parketten nie gehört, manch' kräftiger Spruch, manch kerniges Lied blieb in ihr haften! Beachten wir diese Voraussetzungen, die durch Abstammung und Umgebung gegeben waren, dann werden wir auch die Liselotte am Hofe des Sonnenkönigs verstehen und beurteilen lernen!
Als einzige Tochter des Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz aus seiner Ehe mit Charlotte von Hessen-Kassel ist Liselotte am 27. Mai 1652 im Heidelberger Schlosse geboren. Die unglückliche Ehe des Vaters, der sich 1658 die schöne Hofdame seiner Gemahlin, Luise v. Degenfeld, zur linken Hand antrauen ließ, während Charlotte noch nach der Trennung am Hofe blieb, brachte es mit sich, daß Liselotte mit sieben Jahren in Begleitung ihrer Erzieherin, dem später mit dem Geheimrat Oberstallmeister v. Harling vermählten Fräulein v. Uffeln, nach Hannover zu ihrer Tante Sophie kam. In ihr, der Schwester Karl Ludwigs und Gemahlin Herzog Ernst Augusts, fand die muntere Liselotte eine zweite Mutter und verbrachte dort, abwechselnd in Hannover und auf Schloß Iburg oder auf Reisen nach Holland, vier glückliche Jahre. 1663 kehrte sie, der lieben Tante in rührender, treuer Dankbarkeit bis an ihr Lebensende verbunden, in das väterliche Schloß zurück und entwickelte sich dort in ausgelassener, glücklicher Jugend zu der offenen, derben Liselotte, voll Fröhlichkeit und goldnen Humors. Im Verkehr mit dem Volk wuchs die Pfälzerin auf und lernte vom Vater die freie Auffassung des religiösen Lebens, die sie schon mit ihrer Tante in Hannover verband und später so oft Ausdruck fand. Hier wurde die Liselotte groß, die wir ihrer Charakterfestigkeit, ihrer Wahrheitsliebe und Reinheit wegen lieben und die in ihrem Haß gegen Lüge, Heuchelei und Künstelei als deutsche Frau an Ludwigs XIV. Hofe unsere Bewunderung erregt.
Politische Berechnungen waren es, die die junge Prinzessin früh der Heimat auf immer entführten. Die Schwägerin ihres Vaters, Anna Gonzaga, Witwe des zur römischen Kirche übergetretenen Pfalzgrafen Eduard, trug ihr Teil dazu bei, unter dem Wahn politischer Ansichten die Vermählung Liselottes mit dem seit 30. Juni 1670 verwitweten Herzog Philipp von Orléans, dem Bruder Ludwigs XIV., zustande zu bringen. Um den Handel dem Reiche, dem protestantischen Hause und der Vergangenheit des angestammten Hauses gegenüber verantworten zu können, setzte der Kurfürst eine Komödie in Szene. Alle Welt sollte glauben, seine Tochter sei gegen seinen Willen zum Katholizismus – denn nur dadurch war eine Verschwägerung mit des Sonnenkönigs Haus möglich – übergetreten, und so mußte Liselotte in einem diktierten Briefe von Metz aus den Vater um Nachricht und Verzeihung deshalb bitten. Viel Seelenkämpfe hat Liselotte, die Tochter des freigeistigen Kurfürsten, nicht durchgemacht, und als sie auf der langen Fahrt nach Paris bitterlich weinte, da geschah es aus – Heimweh.Ich habe absichtlich dieses Wort gewählt. Der Begriff scheint uns so vertraut, so selbstverständlich, daß wir glauben möchten, das Wort »Heimweh« sei uralt. Und doch von Homer bis Goethe findet sich nur das Wort »Sehnsucht« für dieses Gefühl; erst seit Jung-Stillings Roman »Heimweh« (1794) wird es gebräuchlich, vorher ist es ganz vereinzelt und findet sich – bei Liselotte (in einem Brief vom Jahre 1705 an die Raugräfin Luise).
So kam im November 1671 die unglückliche Ehe zustande; zwei Menschen, die innerlich nichts miteinander gemein hatten, wurden im höheren politischen Interesse zusammengekettet: eine keusche, edle, wahrhaft vornehm denkende deutsche Fürstin an der Seite eines Sodomiten und Spielers, eines unmännlichen, eitlen Gecken, des Sklaven seiner lasterhaften Günstlinge, unter denen Oberstallmeister Marquis d'Effiat und Chevalier Philipp de Lorraine am meisten gegen Liselotte intrigierten. In einem von Mätressen beherrschten Hause blieb Liselotte inmitten von Anfeindung und Sittenlosigkeit ihrer hohen Auffassung von der Heiligkeit der Ehe treu; wir lernen aus ihren Briefen, wie sie vergebens gegen die falsche Erziehung ihrer Kinder kämpfte. Der Sohn, der spätere Regent Philipp, geistvoll und künstlerisch veranlagt, wurde früh verdorben; hatte sie einst ihrem Mißfallen an der ihm vom König aufgezwungenen Ehe mit Madamoiselle de Blois, der Tochter von der Montespan, durch eine kräftige Ohrfeige im Kreise der Hofgesellschaft Ausdruck verliehen, so ist es doch rührend zu lesen, wie sie für den Sohn während seiner Regentschaft eintritt. Ganz ihr Ebenbild ward ihre Tochter, die heitere und stets mundfertige Elisabeth Charlotte, durch ihre Vermählung mit Herzog Karl Leopold von Lothringen die Stammutter des österreichischen Kaiserhauses.
Für Liselotte selbst und ihre Heimat schlugen die großen, auf die Verbindung mit dem französischen Herrscherhause gebauten Hoffnungen in das Gegenteil um; das größte Elend brach über die Pfalz herein, als 1685 Liselottens Bruder Karl starb und damit die simmernsche Linie im Mannesstamm erlosch. Ohne jedes Recht erhob Ludwig XIV. Ansprüche auf einen großen Teil des pfälzischen Erbes, indem er vorgab, als Schwager Liselottens in ihrem Namen und Interesse eingreifen zu müssen. Es kam schließlich zum sogenannten Orléans'schen Kriege (1688/97), der die Pfalz aufs grauenhafteste verwüstete. Liselotte litt schwer darunter und klagte über ihre Heimat, besonders Heidelberg, dessen Schloßruinen ein redendes Zeichen jenes unglückseligen Krieges sind.
In der ersten Zeit ihres Aufenthaltes am Hofe zu Versailles erfreute sich Liselotte der uneingeschränkten Huld des Königs; erst eine aus der Luft gegriffene Anschuldigung, man wolle sie ebenso wie die erste Gemahlin Philipps von Orléans, die Stuartprinzessin Henriette,Dieser Verdacht war unbegründet; Henriette ist erwiesenermaßen nicht vergiftet worden. vergiften, trug ihr seine Ungnade ein. Ihr Rechtfertigungsschreiben vom 24. Mai 1685 an den König, der sie von seinem Hofe völlig verbannen wollte,Erstmalig von M. Strich veröffentlicht in Bd. 25 der »Historischen Bibliothek«, München. ist für uns vor allem deshalb von so großem Werte, weil es von einer glühenden Verehrung für Ludwig XIV. zeugt, zugleich aber durch den hohen, respektvollen Ton die üble Nachrede der Frau v. Sévigné und ihrer kritiklosen Nachbeter Lügen straft. Verschärft wurde die Spannung zwischen König und Herzogin durch eine Wandlung, die für Liselotte überraschend kam und sie empörte; sie, die adelstolze Prinzessin, konnte es nicht fassen, nicht verwinden, daß eine Bürgersfrau, über die Stufe als Erzieherin der Kinder seiner Mätresse Montespan, Königin und eine Zeitlang unumschränkte Königin ward. Sie sah in ihr nur die Emporgekommene aus niederem Stande, die nun ihre Macht auf den König gegen sie mißbrauche. Dazu kam noch der starke Gegensatz in religiöser und kirchlicher Auffassung. Der freigeistigen Liselotte war die Maintenon die Heuchlerin, die Devote, gegen die sich ihr scharfer Spott und derber Humor wandte.
Ihre ins Maßlose gesteigerten Verdächtigungen und Verunglimpfungen der »alten Zott«, wie sie verschiedentlich Frau v. Maintenon schalt, mußten den König gegen sie erbittern, da er darin schließlich einen Angriff gegen sein Haus und die Würde des unumschränkten Herrschers sah. Nicht die Maintenon, auch nicht der ebenso angefeindete Abbé la Chaise haben durch Ränke den König gegen Liselotte eingenommen, sondern Ludwig XIV. ist es gewesen, der sich gegen seine Schwägerin wandte; er war es aber auch, der 1701, als der Herzog Philipp von Orléans starb, den ersten Schritt zur Versöhnung tat. Doch zehn Jahre lang, bis zum Tode seines Sohnes, des Grand Dauphin Louis de France (1661–1711), suchte er absichtlich jeden vertrauteren Verkehr mit der Pfälzerin zu vermeiden, da diese, wie früher gegen die Maintenon, so jetzt über die Herzogin Maria Anna Orsini, den Anwalt seiner Interessen am Madrider Hofe, die Schale ihres Zornes, von einem blinden Haß geleitet, ausgoß. Erst die letzten Lebensjahre des Königs brachten ihr sein altes Vertrauen wieder und den lang und heiß ersehnten freien Zutritt zu dem »Allerheiligsten«, den Gemächern des Königs.
Der Deutsche ist gern geneigt, in Liselotte die fromme Dulderin am geschlechtskranken Hofe Ludwigs XIV. zu erblicken. Das ist sie nie gewesen; denn wenn sie auch, erst siebzehnjährig, der geliebten Pfalz auf immer Lebewohl sagte und ihren Glauben wechselte, um unter dem Druck des väterlichen Willens und politischer Berechnungen dem Herzog Philipp von Orléans die Hand zu reichen, so wird doch niemand leugnen, daß dabei auch der ihrem stolzen Fürstenblut eingeborene Hang nach Glanz und Größe ein gut Teil mitbestimmend wirkte. Sie fühlte sich hochgeboren, und nie litt es ihr Ahnenstolz, wenn sich ein Unebenbürtiger, ein Emporkömmling in den Fürstenstand drängte. So sehr sie auch des Königs Mätressen und ihre Sippe haßte, so sehr fühlte sie sich doch als Schwägerin-Fürstin des großen Königs, wenn ihn andere angriffen oder über ihn, wie nach den anfänglichen Mißerfolgen im Spanischen Erbfolgekrieg, verächtlich sprachen. In den ersten Jahren ihres Aufenthaltes nahm sie selbst lebhaften Anteil am Hofleben, und wie oft machte sie sich über die Schranzen lustig, die ihr alles nachäfften, weil sie in des Königs Gunst, gerade »à la mode« war.
In den letzten Lebensjahren dachte und fühlte sie nicht minder französisch als deutsch, und das als Fürstin, als Mutter des Regenten, Philipps II. von Orlèans. Diese eigenartige Mischung, die oft genug in ihren Briefen zutage tritt, entsprang weder einer Charakterschwäche noch augenblicklichen Launen; sie ist verständlich, da die dankbare und hohe Verehrung für Ludwig XIV. ihr das Recht und der Aufenthalt an seinem Hofe ihr die Pflicht gab, des Königs Partei zu ergreifen, wo es sich um die sakrosankte Person des Herrschers, seinen Willen, sein Geschick handelte.
Einundsiebzig Jahre alt, starb Liselotte am 8. Dezember 1722 in St. Cloud; über fünfzig Jahre hatte sie an dem französischen Hofe gelebt, hatte das laute, prunkvolle Treiben unter Ludwig XIV., den baldigen Wechsel nach seinem Tode aus wirtschaftlichen Gründen erfahren. Wenn sie auch des vergangenen Glanzes, der Hoffestlichkeiten, der Jagd in späteren stillen Jahren oft und gern gedachte, so war es ihr doch von jeher ein Herzensbedürfnis, an ihre Verwandten zu schreiben, vor allem mit ihrer lieben Tante Sophie in Hannover stand sie bis zu deren Tode (1714) in regstem Briefverkehr,2 Bde.; 1891, Hannover, von Ed. Bodemann veröffentlicht. ebenso mit ihren Halbschwestern, den Raugräfinnen von der Pfalz.Bibl. d. literar. Vereins Stuttgart, Bd. 6 (veröffentlicht von Menzel), Bde. 88, 107, 122, 132, 144, 157 (von Holland). Beachtenswert sind die Briefe an ihre Erzieherin, Frau Geheimerat v. Harling und deren Gatten, an die Prinzessin von Wales und den Philosophen Leibniz.
Was macht uns Liselottens Briefe so kostbar? Neben dem Inhalt ist es die Form. Sie plaudert flott, wir sehen und hören die Schreiberin, deren köstlicher Humor, derbe Sprache, kerniger Sinn bei jedem Aufsuchen dieses reichen Quells immer neu erfrischen. Alles, was und wie sie es schildert, wird lebendig vor uns. Und was erst erfahren wir aus diesen Briefen, von denen bis jetzt ungefähr 3900 gedruckt vorliegen! Der Kulturhistoriker kann sie nicht entbehren, der Geschichtschreiber wird sie nicht missen wollen. Es wird niemand in den Sinn kommen, auf Grund dieser stark subjektiv gefärbten Briefe eine politische Geschichte oder gar eine Biographie der Frau v. Maintenon zu schreiben. Doch diese Einschränkung kann den Wert der Briefe nicht herabmindern. Hofleben, gespickt mit Histörchen, an denen Liselotte größten Gefallen fand, Zeitgenossen groß und klein, hohe Politik und Krieg, Familie und Verwandte, Alltagsleben und Sagen, Erinnerungen an die Heimat, heimatliche Sprache, Lieder, Spiele und Feste, deutsches und französisches Leben, Besuche, Musik, Theater, Philosophie, Religion, Jagd und Tanz, des Lebens Auf und Ab wechseln in bewegter, bunter Reihe in den Briefen.
Überall spricht zu uns die deutsche Frau und, was wir nie genug würdigen können, in deutscher Sprache. Die späteren Briefe Liselottens verraten in manchen Wendungen eine deutliche Beeinflussung durch das Französische; so schreibt sie »alle mein Leben« in Anlehnung an » toute ma vie«, »ich habe« statt »ich bin gefolgt« und anderes mehr. Diese Wendungen beweisen natürlich nur eine Beeinflussung, kein Verdrängen des deutschen Grundtones, der sich oft weniger im Satzbau als im Sinn der Worte offenbart; daß sie sich als Deutsche fühlte, nicht nur wenn sie an die deutschen Verwandten schrieb, bezeugen uns die kräftigen, derben Ausdrücke, die zahlreichen Sprichwörter und die nur aus dem lebendigen Gebrauch der Sprache stammende Kenntnis bestimmter Wörter.
Die folgende Auswahl versucht es, diese knappe Skizze, die nur eine notwendige Einführung sein will, zu illustrieren, Leben und Wesen, Denken und Tun Liselottes in ihrer anziehenden Vielseitigkeit vor dem Leser erstehen zulassen.
Fremdsprachliche Worte und unklare Schreibung wurden durch Hinzufügung der Übersetzung oder der jetzigen Form erläutert; im übrigen habe ich mich an die jedesmal vermerkten Vorlagen angeschlossen, um der Einheitlichkeit willen jedoch dem von Liselotte geübten Brauche folgend französische Worte in lateinischer Druckschrift wiedergegeben. Anmerkungen sind nur, soweit unerläßlich, beigegeben.
Leipzig, im Februar 1913.