Detlev von Liliencron
Die Könige von Norderoog und Süderoog
Detlev von Liliencron

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Detlev von Liliencron

Die Könige von Norderoog und Süderoog

Novelle

Im Jahre 1252 hatte der Rademacher Wessel Hummer von Pellworm auf dem Milderdeich in Eiderstedt mit einem einzigen Axthieb den König Abel (Apollo) erschlagen, als dieser mit starker Heeresmacht gegen die Friesen gezogen war, um sie wegen ausgebliebener Steuern zu züchtigen.

Das konnte der überaus fromme und zugleich stark beschränkte König Christian der Sechste der nun schon lange durch Sturmfluten vom Nordstrand getrennten Insel nach fünfhundert Jahren noch nicht vergessen. Er hegte einen Widerwillen gegen Schmerhörn und gab ihr in Kai Pogwisch einen Landvogt, der die Bevölkerung hart bedrängte. Kai Pogwisch ließ die furchtbare Strafe des Feuerausgießens auf drei, fünf, ja auf acht Tage häufig genug vollziehen. Er empörte schließlich die Schmerhörner so, daß sie ihn in seinem Schlosse umzingelten und verbrannten. Doch ehe der König seinen Gegenschlag tun konnte, starb er, und sein liebenswürdiger, von großer Güte des Herzens beseelter Sohn, König Friedrich der Fünfte, suchte seine Rache darin, daß er die Insel Tönnies Buchwaldt unterstellte, der durch seine, von den besten, liebevollsten Absichten geleiteten Maßregeln und durch freundliche Behandlung es bald verstand, die treuherzigen, schweigsamen Friesen an sich zu ziehen.

Tönnies (ein in Schleswig Holstein nicht seltener Vorname; entstanden aus Antonius) Buchwaldt war Staller (einer der höchsten Beamtentitel; auch mußten diese zwei Wintermonate den Kammerherrndienst bei der Königin in Kopenhagen übernehmen), Geheimer Konferenzrat, als Edelmann Offizier in der Wiege, Landvogt und, wie der pomphafte Titel hieß: Generalgouverneur von Helgoland und der Halligen. Außerdem war er Amtmann von Husum und Eiderstedt.

Tönnies Buchwaldt, der sich auch außer den beiden Kammerherrn-Monaten die längste Zeit des Jahres in Kopenhagen aufhielt, blieb merkwürdigerweise jeden Sommer zwei Monate auf der Insel Schmerhörn, nachdem ihn ein königliches Kriegsschiff, das in Begleitung zweier anderer stets zu seiner Verfügung stehen mußte, jährlich zu flüchtigem Besuche nach Helgoland gebracht hatte. Er bewohnte dann ein von ihm gekauftes Bauernhaus, das er im Geschmacke seiner Zeit im Innern hatte umändern lassen. Um seine Werft lag ein alter Garten mit scharf nach Osten sich vorbeugenden Obstbäumen und Eschen.

Liebte er nun die tiefe Poesie dieses einsamen Gartens mit der ihn umgebenden Graft, waren es unausgesprochene Absichten: das Herz seiner Friesen für die königliche Staatsregierung zurückzuerobern, oder war es endlich, wie man auf der Insel sich zuflüsterte, das Andenken an ein Friesenmädchen mit ihren frischen Backen, das er in jungen Jahren an das heiße Knabenherz gedrückt hatte – genug, er residierte jährlich zwei Sommermonate auf Schmerhörn.

Als Herr Tönnies im Jahre 1752 auf seiner ihm so lieb gewordenen Insel kaum einige Tage im Juli zugebracht hatte, langte ein Kurier aus Kopenhagen bei ihm an, der ihm ein Handschreiben des Königs überreichte: Friedrich der Fünfte wollte den mündlichen Rat seines alten Buchwaldts bei der beabsichtigten Anlegung von Seifenfabriken nicht entbehren.

Der Kurier traf Seine Exzellenz in dessen Garten, wo er, im braunseidenen, gestickten Rock, den Galanteriedegen an der Seite, auf hohen Steckelschuhen hin und her ging. Als er die ihm überreichte Depesche erbrochen und gelesen hatte, machte er eine tiefe Verbeugung (das Ende seines Zöpfchens berührte dabei eine reifende Birne), und sagte: »Seiner Majestät untertänigster Diener.« Dann trippelte er, die zarten, weißen, mädchenhaften Hände unter Spitzenmanschetten und in Renntierhandschuhen verbergend, mit dem Kurier aus dem Gartenschatten durch die Sonnenglut in die Landvogtei.

Seit einigen Tagen waren alle Gedanken des Geheimen Konferenzrates mit einem Ereignis beschäftigt, das sich aus den Halligen Norderoog und Süderoog zugetragen hatte. Das Begebnis hatte ihn so tief erschüttert, daß er erst ruhiger geworden war, als er seinem Herzen durch einige hundert französische Alexandriner Luft gemacht hatte. Die Schlußverse dieses laugen Poems lauteten etwas wunderbar:

Gott gab die Sünde uns, sie macht uns alle gleich,
Wir wollen auch dafür sein großes Himmelreich.

Am Abend war ein reges Leben auf der Insel. Fackelträger umstanden die Landvogtei. Eine Sänfte stand vor der Tür. Tönnies Buchwaldt erschien und setzte sich hinein. Der Zug bewegte sich in gerader Linie nach dem Siel, das noch heute den kleinen Hafen der Insel bildet. Über alle Gräben waren Bretter gelegt. Nur die Kornfelder wurden geschont. Dem Tragsessel voraus lief ein Läufer in phantastischer Kleidung. Hinterher schritten die beiden Leibmohren des Stallers, die, zuerst von der Bevölkerung mit Grauen angesehen, bald die Lieblinge, namentlich der Kinder, geworden waren. Nun war das Siel erreicht. Ein Boot mit zwölf Ruderern führte blitzschnell den Generalgouverneur von Helgoland und der Halligen nach dem auf der Reede liegenden Linienschiff Dronning (Königin) Maria. Die Anker wurden gelichtet, und von Flut und Wind begünstigt, ging das Ungeheuer unter Segel. Tönnies Buchwaldt hatte aus nicht aufgeklärten Gründen den Weg um Skagen gewählt, statt durch Schleswig und Jütland zu reisen, und dann über die Belte zu fahren.

*           *
*

Wenn alle Berge Butter wären,
Und alle Gründe Grütze;
Es käm' ein warmer Sonnenschein,
Die Butter flöss' in die Grütze hinein,
Ach, was müßte das für ein Fressen sein.        
Schleswig-Holsteinischer Volkswunsch.

 
Insel Schmerhörn, Ozean, Anfang Mai.

Selbst hier zeigt sich schon das erste
Grün des Stachelbeerbusches.

Liebster Freund!

Du wandelst zwischen Syringen (nie ist Paris reizender), reitest im Bois spazieren, sitzt augenblicklich im Café Anglais, hast vortrefflich gegessen, und liest nun meinen Brief. Eine unausstehliche Angewohnheit von Dir, Briefe in öffentlichen Lokalen zu lesen. Ich werde sie bis an mein Ende nicht verstehen. Ach ja, die Diners im Café Anglais, ein gutes Diner überhaupt, es ist denn doch der reellste Genuß im Leben. Menschen, die nichts auf gutes Essen und auf eine gute »Träne« geben, mißtraue ich; ein solcher Kloßgeschmack verrät manches. Während Du nun also bei der Zigarre meinen Brief liest, liege ich in einem Stalle und wühle in alten Akten und Urkunden, die hier seit mindestens hundert Jahren aufgestapelt sind. Eine Ziege leistet mir Gesellschaft. Aus dem Dunkel leuchten ihre prächtigen grünen Augen, wenn sie in dem engen Verschlage den Kopf nach mir dreht. Tausendfüße, Spinnen und Ohrwürmer laufen voller Entsetzen nach allen Richtungen, durch mein Blättern und Kramen aus ihrer Ruhe aufgeschreckt. Vor der Scheunentüre höre ich den Jungen des Amtsboten aus einer selbstgefertigten Pfeife blasen, immer zwei Töne. Es stört mich gar nicht.

Die obenstehende kleine Skizze habe ich nämlich schon in den Akten gefunden, als ich die Rokoko-Unterschrift von Tönnies Buchwaldt las. Einige hundert französische Alexandriner entdeckte ich in der Tat gleichfalls, die ganz entschieden von ihm herrühren. Wie sie zwischen die prosaischen Erlasse usw. gekommen sind, wer weiß es?

Doch nun zur Sache:

Die königliche Regierung kam meiner Bitte, alte, vergessene, auf dem Boden, in den Scheunen, zwischen den Akten liegende Urkunden durchsuchen zu dürfen, in überaus liebenswürdiger Weise entgegen, und so ziehe ich denn von Kreis zu Kreis und bin augenblicklich in Schmerhörn angelangt.

Du bist selbst Schleswig-Holsteiner und solltest Dich schämen, daß in diesem Augenblick Dein Gedächtnis gänzlich hinter dicken Mauern versteckt ist. Da schaut es aber schon hervor, ah. Ja, auf der nordischen Marschinsel Schmerhörn.

Weißt Du noch, wie wir als Primaner in Kiel einen »Danckwerth« bei Tante Michelsen fanden, und wie wir lachten, als wir darin über den Ursprung der Friesen lasen, obgleich, wie er schreibt: Cornelius Tacitus und Meyne Wenigkeit hieoben angezeiget, daß nemblich die Friesen oder Fresen nicht aus Indien, sondern ein alt einheimisch Teutsch Volk seyn, und also eine Linie von dem Altvater Dodanim machen.

Hier fand ich auch ein Exemplar des alten treuen Danckwerth. Es liegt neben mir, und ich kann es mir nicht versagen, Dir jene köstliche Stelle noch einmal zurückzurufen:

»Von ihrer Ankunft in dieses Frießlandt schreibet Suffridus Petrus also, daß Freso, seinem Vorgeben nach ein Vater aller Friesen, mit seinen Brüdern Saxone und Brunone, aus Indien in diese Länder angekommen seye, kurz nach dem Tode Alexandri Magni: denn nachdem der große Alexander sie in Indien, in einem Lande: Benedicta Fresia geheissen, in Besatzung gelassen, des verstorbenen König Alexanders Fürsten oder Feldt Obrister aber umb die Königreiche, so von Alexander erobert waren, grosse Kriege unter einander führeten, da hätten die Friesen an sothaner Unruhe großen Verdruß geschöpffet, hätten Schiffe ergriffen, und sich auf das Indisch Meer begeben, und wären also um daß Caput bonae Spei herumb gefahren, oder wie andere vorgeben, übers Mare Caspium, dann zu Lande, durch Medien, Armenien, Colchida, alsdann wieder auf das Mare Euxinum, Propontida, Hellespontum, Mare Aegeum, und folgends das grosse Mittelmeer, ferner umb Spanien, Frankreich und Niederlandt herumb, biß sie ins Flie kommen, daselbsten sie in Frießlandt ausgestiegen, und also zu Wasser in diese Länder angekommen, welche der Freso nach seinem Namen Fresland genennet hätte . . .«

Außer von lieben, gastfreien Menschen ist nicht viel von der Insel zu erzählen. Schafe, Schafe, Schafe. Ein alter Turm, der hier steht, wäre längst schleswig-holsteinisch behandelt worden: die Steine zum Bau von Schweineställen und Backöfen verwendet, wenn ihn nicht die Regierung als Seezeichen erhielte. Es ist mir geradezu ein unerklärlicher Zug unseres lieben Heimatvölkchens: dieser gänzliche Mangel an Erhaltungssinn, an Interesse für das Gewesene. Grauenhaft ist es. Fett und Vieh und Vieh und Fett. Unbegreiflich ist es, wie Theodor Storm, Asmus Carstens, Klaus Groth, Heinrich Rantzau, Owens, Hermann Heiberg, Hebbel, Johann Meyer, Wilhelm Jensen hier geboren werden konnten. Auch der leiseste Hauch von Verständnis und Liebe zur Kunst fehlt uns. Unser Adel an der Spitze: Mit wenigen Ausnahmen die tollste Gleichgültigkeit. Fett und Vieh und Vieh und Fett.

Doch nun sollst Du hören, was den Geheimen Konferenzrat und Gouverneur von Helgoland und der Halligen an jenem Julitage 1752 in Schmerhörn so bewegt hatte. Ich übersetze seine Alexandriner in Prosa. Gestern war ich übrigens selbst auf Süderoog, um Seehunde zu schießen und mir die Insel anzusehen.

*           *
*

Vor der Insel Schmerhörn liegen die Halligen Norderoog und Süderoog. Wollte man das Wort »Oog« mit »Auge« übersetzen, so ließe es sich ganz gut erklären als die Augen Schmerhörns. Oog aber heißt Höhe. Vor ihnen nach Westen liegt ein Stück des Ozeans; das erste Land, das beim Westwärtsweitersegeln zu erblicken wäre, ist die Küste von England. Sie werden, man weiß es nicht genau, bei der»Großen Mandränke« (Menschenertränkung, über hunderttausend) 1362 vom Festlande gerissen sein. Ihr Umfang war früher gleich; nun ist Süderoog bedeutend größer.

Norderoog ist erst seit kurzem verlassen. Auf Süderoog lebt der alte Paulsen, ein reicher Mann, der mit keinem Herzogshute seine Sturmmütze vertauschen möchte. Es bringt ihm jede Flut etwas auf die Hallig, und wenn er und seine Knechte den Strand bei Ebbe befahren, sie führen manches auf ihren Wagen auf die Werft zurück. Ein Kranz von alten Wracks ragt, wie Kamelgerippe in der Wüste von weitem sichtbar, aus den Wassern um Süderoog hervor.

Hunderte von Schafen weiden das kurze, braune, salzige, im Frühling mit einer Blumenmosaik belegte Gras. Dann springen zahlreiche Lämmer mit ihren hasenlöffelähnlichen, durchsichtigen, zart rosenroten Ohren umher. Unberechenbar läuft einmal die Flut über das Gras und reißt dann Furchen und tiefe Löcher, die für alle Zeiten bleiben; steigt sie höher, so tritt sie an den Fuß der Werft – und immer höher: wühlt sie an der Schwelle von Paulsens Gebäuden und spritzt auch wohl Schaumflocken in den uralten Garten der Werft. Dieser ist eingeschnitten und eingegraben. Amphitheatralisch nach Osten, Süden und Westen steigt die starke Schutzwand an. Obstbäume, Eschen und Ahorn blühen in ihrem Schutz. Laubgänge, Beete, Lauben und Kieswege zieren ihn. Ein Teich, auf dem früher zahme Schwäne segelten, liegt in der Mitte. Nach Norden zu grenzt dieser sonderbare Garten an das Gebäude, das unter einem Dache die Kuh- und Pferdeställe und die Wohnräume vereinigt. Im Frühling sitzen auch hier die Stare auf der Strohfirst, der Zaunkönig und die Schwarzdrossel (ja, die Schwarzdrossel auf der Hallig!) nisten im Garten. Wenn breite Schatten im Garten auf den Wegen liegen und Stille ringsum herrscht, wo liegt das Meer? Aber ein Blick in die Wipfel zeigt dessen und seines innigsten Freundes, des Windes, Nähe. Wo die schützende Wand aufhört, sind sie wie mit Messern abgeschnitten, und jedes weitere Höherwachsenwollen ist gehindert.

In Norderoog ist ein ähnlicher Garten. Beide waren um die Mitte des vorigen Jahrhunderts von der Versailler Schere beschnitten. Um diese Zeit gehörte Norderoog Heio Leve Pua Brodersen, Süderoog Bandick Boy Tadema Taddesen.

Juli 1752.

Die beiden Friesen, gleichaltrig, waren, schon durch die Einsamkeit ihrer Wohnorte, seit den Knabenjahren Freunde. Auch später, als sie auf Schulen zusammen gewesen, waren sie es geblieben, trotz ihrer grundverschiedenen Charaktere. Das Band, das sie im Mannesalter zusammenhielt, war ihr Seeräubertum. Beide hatten, fast in einem Monat, den Vater verloren. Ihre Mütter waren früh gestorben. Beide hatten ihre Besitzungen zu gleicher Zeit angetreten.

Heio Leve Pua Brodersen war ein Friese in allem. Der ausdrucksvolle Kopf mit den rotblonden Locken und dem rotblonden Vollbart machten ihn zum Könige Hengist. Für gewöhnlich lag etwas Stilles, Schwärmerisches, der Welt Abgeneigtes in seinem Wesen. Stand er aber im Sturme auf der Kommandobrücke seines Schiffes, dann glich er einem Könige.

Bandick Boy Tadema Taddesen hatte nichts vom Friesen. Er ähnelte seiner Mutter, die der Vater, als er in jüngeren Jahren gereist war, aus Barcelona auf das einsame Nordseeeiland mitgenommen hatte. Schwarzes Haar, schwarzer Bart, braune Haut und braune Augen. Er hatte einen grausamen Charakter und konnte bis zum Wahnsinn jähzornig werden.

Norderoog und Süderoog waren in früheren Jahrhunderten gefährliche Raubnester gewesen. Von hier hatte der Adel des Landes diesem frischen, freien Sport in Gemeinschaft mit den Bischöfen von Hamburg und Ripen gehuldigt. Auf den beiden Halligen standen feste Burgen mit tiefen, großen Kellern, in denen die geraubten Schätze aufgestapelt lagen, die, wenn sie nach Hamburg oder Bremen, nach dem Festlande überhaupt, gegen klingende Münze vertauscht waren, sich bald wieder füllten. Der englische Adel hat aus der Zeit noch heute die Lust, auf dem Meere zu sein. Der schleswig-holsteinische, unbegreiflich, liebt die See nicht mehr.

Wenn auch 1752 der Adel nicht mehr auf der Nordsee herumlauerte, so standen doch die Burgen noch auf den Inseln, und ihre Besitzer, Heio Brodersen und Bandick Taddesen, waren Seeräuber. »Dä Kenninge (Könige) vohn Noorup (Norderoog) en Sahrup (Süderoog)« wurden sie von ihren Landsleuten, den Friesen, genannt. Der menschenfreundliche König Friedrich der Fünfte von Dänemark ließ vergebens seine Kriegsschiffe in der Nordsee kreuzen; sie wußten diese zu täuschen, sie wußten, wo immer diese waren.

Erst in unserem Jahrhundert ist das gräßliche Gebet: Herre Gott, segne unsern Strand! auf den friesischen Inseln verstummt. Auch ist nun endgültig das Strandrecht geregelt, und durch unablässige, liebevolle Bemühungen der königlichen Regierung in bezug auf Legung von Tonnen, Baken, Errichtung von Leuchtfeuern alles geschehen, um nach Möglichkeit Strandungen zu verhindern.

Heio Brodersen und Bandick Taddesen galten weit und breit als reiche Herren. Die Einrichtung ihrer Burgen war prunkend.

Beide hatten vor Jahresfrist geheiratet. Heio Brodersen, der Rotgelockte, nahm ein keusches, rotbackiges, blondes Friesenmädchen, das ihm die treueste Frau, die beste Haushälterin wurde. Bandick Taddesen hatte sich, bei einem Aufenthalt in Hamburg, wo er viel lebte und große Zechen bezahlte, in die Tochter eines Großhändlers verliebt, deren Mutter eine Mulattin gewesen war. Geblendet durch den Reichtum Taddesens, hatte sie ihm der Vater gerne überlassen; und nun lebte sie auf Süderoog und – verabscheute ihren Mann.

Anna Taddesen war eine merkwürdige Frau: lebhaft, leichtsinnig, voller Geist, konnte sie nimmer das Leben auf der einsamen Hallig ertragen, so oft auch Bandick sie nach Hamburg führte, und ihr sogar für den nächsten Sommer eine Reise nach Paris und Wien versprochen hatte. Als sie Heio Brodersen zum ersten Male sah, hätte sie ihm bald ins Gesicht gelacht. Wie paßte sein schwermütiges Gesicht zu einem Seeräuber? Allmählich aber fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Sie freute sich, wenn er auf Süderoog zum Besuche kam; sie merkte, daß ihr ein Weh durchs Herz zog, wenn er schied. Zuletzt brach es in hellen Flammen bei ihr aus. Sie fing an, Heios Frau zu hassen.

Heio hatte Ähnliches empfunden. Er fühlte sich zuerst abgestoßen von dem wilden, unheimlichen Wesen der Frau des Freundes, dann allmählich fand er sich träumend am Strande, der Sonne in die schönen Gutenachtaugen schauend. Er murmelte vor sich hin; er dichtete, ohne es zu wissen. Und mehr und mehr wurde es ein heimliches Gefühl der Liebe und Zärtlichkeit zu seiner Nachbarin auf Süderoog. Mehr und mehr vernachlässigte er sein gutes, beschränktes, treues Weib. Mehr und mehr zog es ihn zu häufigen Besuchen bei seinem alten Freunde.

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Heio Brodersen hatte sich aus seinen vieljährigen schwarzen Hengst, der ihn schon so oft über die Watten getragen hatte, gesetzt und war nach Süderoog geritten, um einer Einladung Bandicks, dessen Geburtstag gefeiert werden sollte, zu folgen. Sein Weib, das er sonst wohl vorn im Sattel auf dem starken Pferde mit sich genommen hatte, blieb mit einem kürzlich geborenen Söhnlein krank auf der Hallig.

Die Gesellschaft bei diesem Feste war, wie es nicht anders sein konnte, gemischt. Neben einem verdorbenen Junker, der auf dem Raubnest Ruhe gesucht und gefunden hatte, saß ein berüchtigter Räuber von der »O Kark« (Alten Kirche) aus Schmerhörn. Zahlreiche arme Schlucker von den Küsten und von den Halligen, die im Dienste der Könige standen, waren um den Tisch im Pesel, einem geräumigen Saale, dessen Fenster nach Süden lagen, so daß von hier aus der Blick auf die unbegrenzte See ging, versammelt. Die Tafel war mit köstlichem Silberschmuck, mit meistens geraubten Sachen, besetzt. In die feinen Gläser und in die Pokale schenkten unaufhörlich die Diener den besten Rheinwein. In der Mitte des langen Tisches hinter Blumensträußen, die ihr von den Gästen mitgebracht waren, saß Anna Taddesen; zu ihrer Rechten Heio; links der Junker Timmo Knudsen.

Es war Abend geworden. Im Süden grollte ein Gewitter herauf: aus schwarzen Wolken spielte ein Wetterleuchten. Am Horizont lag ein schmutziggelber Streifen. Schwül drückte es auf die Wasser.

Heio, der wenig trank, war berauscht durch Annas Nähe. Es war ihm ein Schauer übers Herz gegangen, als sie einmal, wie unbewußt, wenige Sekunden ihre Hand auf die seinige gelegt hatte. Die übrige Gesellschaft war in jene fröhliche, weinselige Stimmung geraten, die oft am Ende eines Diners einzutreten pflegt.

In der Tür erschien ein nicht zu den Gästen gehörender und nicht festlich gekleideter Mann. Er ging gerade auf Bandick zu und flüsterte diesem etwas ins Ohr. Bandick erhob sich und schritt, ohne daß es der Gesellschaft auffiel, mit ihm hinaus. Beide bestiegen einen Turm. Der Knecht zeigte, oben angelangt, nach Süden: Ein feiner Rauch zog aus einem dunklen Gegenstande. Es war ein auf dem Heelsand festsitzender Dreimaster. »Scapp in Sicht,« sagte der Knecht ruhig, »dat broant« (Schiff in Sicht; es brennt).

Ohne ein Wort zu erwidern, ging Bandick in den Saal zurück. Hier stellte er sich auf seinen Stuhl, und in der Totenstille, die für einen Augenblick durch sein Gebaren eingetreten war, sagte er leise, ganz leise, aber dennoch jedes der drei Worte betonend: »Scapp – in – Sicht.«

Die Wirkung war kaum wiederzugeben. Als bräche die Saaldecke über ihnen zusammen, so lief alles durcheinander und zu den Türen hinaus. Gäste und Diener, ganz gleich wer. Alles war verschwunden. Aber auf Heio hatte das Zauberwort die alte Wirkung getan. Doch ehe er sich entfernen konnte, hielt ihn eine weiche Hand fest und zog ihn in eine Fensternische. Er aber riß sich los und war bald, gewaffnet wie zum Streit auf Leben und Tod, in einen der sieben vorgefahrenen Leiterwagen gestiegen, die die Räuber nach Heelsand bringen sollten.

Es ebbte seit einer Stunde. Keine dreißig Minuten dauerte es, so waren die Wagen an Ort und Stelle. Das Gewitter war inzwischen zum Ausbruch gekommen; mit ihm ein Sturm aus Westen.

Aus dem Qualm sah man die Flammen brechen, die eine grausige Szene erhellten: Das Schiff brannte im Hinterdeck, das halb im Wasser steckte. Auf dem Vorderdeck ging es wild zu. Die schwarze Besatzung des spanischen Vollschiffes hatte sich betrunken und wütete mit Dolch und Messern untereinander. Eine Frau mit einem Kinde auf dem linken Arm hielt sich, in Rauch gehüllt, mit der rechten Hand in den Wanten. Um das Schiff herum schwammen und lagen große Ballen der wertvollsten Seide und indische Tücher.

Nun hielten die Wagen. Voran Bandick Taddesen, kletterten die Seeräuber aufs Schiff. Es kam zu einem verzweifelten Kampfe. In einer Pause kommandierte Bandick, der nie seinen Vorteil außer acht ließ, die Hälfte der Mannschaft zum Bergen der Ladung und zum Abhalten der wie Teufelsspuk aufgetauchten Boote von Schmerhörn und Eiderstedt, die alle dabei etwas zu erwischen hofften.

Und immer furchtbarer wurde das Schauspiel: Das Feuer drang vor, der Qualm nahm zu. Ein wüstes Gemenge der Neger unter sich und mit den Räubern. Noch hing die Frau mit ihrem Kinde in den Wanten; ein Pistolenschuß traf ihr das Herz, und lautlos sank sie in den kämpfenden Knäuel. Der Sturm hatte ausgetobt. Mehr und mehr traten die Wasser zurück. Es war tiefste Ebbe.

Heio Brodersen war auf der Werft in den zweiten Wagen gesprungen, mit fieberndem Herzen. Aber wenige hundert Schritte nur war er gefahren, dann hinabgeglitten; keiner hatte es bemerkt.

Und nun standen sich Heio und Anna gegenüber im leeren Saale. Die umgestoßenen Gläser und Flaschen, das Durcheinander der Stühle, das Verschobensein der Tischtücher und Schüsseln und Teller zeigte, in welcher Verwirrung die Anwesenden den Pesel verlassen hatten.

Die Sonne war untergegangen. Derselbe schmale Schwefelstreifen lag noch auf dem Himmelsrand und beleuchtete unheimlich die See.

Anna war in Heios Arme gesunken, die in Liebeswahnsinn die schöne Frau umschlungen hielten.

»Und wagst du es, Anna, dein Leben mir zu geben, so komme mit mir. In einer halben Stunde sind wir in Schmerhörn. Wir reiten unter dem Außendeich nach dem Ostersiel; mit der Flut segeln wir nach Husum und ziehen von da weiter und immer weiter in schöne Lande . . .«

Der starke, schwarze Rappen trug über den festen Sand die beiden nach Schmerhörn. Klar herüber leuchtete das brennende Schiff. Das Gewitter hatte sich verzogen; der Sturm war tot. Und eine Stille lag über Meer und Watten. Nur zuweilen klang es wie Stöhnen und Wutgeschrei; dann auch war das vorbei, und nur der stampfende Huf des Hengstes knirschte über einer zerbrechenden Muschel in die Einsamkeit hinein.

Anna hatte vor ihrer Flucht einen Zettel in französischer Sprache auf den Tisch gelegt für ihren Mann. Als Bandick endlich bei der Morgenröte bluttriefend, beschmutzt, todmüde auf seiner Werft ankam, fand er ihn, und sank mit einem tierähnlichen Schrei zusammen.

Und wieder war die Ebbe eingetreten. Von Süderoog aus war Bandick unterwegs nach Norderoog. Hinter ihm ritten in ehrerbietiger Entfernung vier Knechte.

O Bandick, kehre um.

Und immer finsterer wurde sein Gesicht; und immer heiterer lachte die Abendsonne.

O Bandick, kehre um.

Nur einmal stoppte er den Gaul und rief, sich mit der linken Hand auf das Kreuz des Pferdes stützend, seinen Leuten zu, ob sie im Südwesten ein Schiff sähen. Alle hielten die Hände wagerecht zur Stirn, um die Augen besser gegen die blendenden Strahlen zu schützen. »Dronning Maria ist's, Herr,« rief einer. Mit einem Fluche trieb Bandick sein Pferd vorwärts.

O Bandick, kehre um.

Die Hallig Norderoog war erreicht. In den Scheiben des Schlosses lag die letzte Sonne.

O Bandick, Bandick, kehre um . . .

Als er auf der Werst angekommen war, befahl er der ihm entgegenkommenden Dienerschaft, daß sie sich ihm zu fügen hätten. Das ließe Heio ihnen sagen.

Er hieß sie in den Keller gehen. Als sie alle unten waren, warf er die Tür zu und schloß hinter ihnen ab. Dann stieg er eine schön geschnitzte, breite Treppe hinauf und betrat das Gemach von Moiken Brodersen, Heios Frau.

Moiken Brodersen hatte nichts gehört. Sie schlief im Wandbett: neben ihr lag das Söhnchen. Aber jäh erwachte sie; sah noch einmal Gottes Licht – dann schoben sich die beiden Türen ineinander: sie hörte, wie sie verriegelt wurden.

Und ein Knistern und Knaspern ging durchs Haus . . .

Die Nacht war herabgesunken; das Schloß stand in Flammen.

Und wie gestern war es eine stille Nacht, nur das Rauschen der ankommenden Flut klang her, und ein feiner Rieselstrich war der erste Läufer, der seine Arme um die Hallig legte.

Zu Pferde, zu Pferde. Es war zu spät. Die Rache ist süß; sie ist oft so süß, daß die gewöhnlichsten Vorsichtsmaßregeln vergessen werden.

In gleichem Takte flogen die Boote der Dronning Maria heran. Bandick trat den Seesoldaten blitzend entgegen und eine seiner großen silberausgelegten Pistolen aus dem Gürtel reißend, verwundete er den seiner Truppe voranstürmenden Offizier tödlich. Im nächsten Augenblick lag der Räuber mit zerschmettertem Schädel auf dem Sande.

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Das war es gewesen, was die kleine Exzellenz Buchwaldt auf Schmerhörn so tief erschüttert hatte, als ihm am andern Morgen Auskunft gegeben wurde über die beiden Feuer auf Norderoog und Süderoog.