Gedruckt im Jahre 1922
von Gebr. Klingspor in Offenbach am Main
als erster Druck in der von Rudolf Koch gezeichneten
Nr. 342
Die Deutschen haben in den letzten Menschenaltern manche Eigenschaften und Neigungen entwickelt, die sie selbst nicht zu besitzen glaubten, und die ihre Nachbarn ihnen nicht zutrauten. So sind sie auch in anderm Sinne Sammler geworden, als ihre Väter und Großväter es waren. Aber die Empfindungen, mit denen der Sammler in Deutschland heute noch angesehen wird, und die Urteile über die Sammeltätigkeit, denen man noch begegnen kann, beweisen, daß es gar nicht überflüssig ist, die Bedeutung und den Wert der Sammeltätigkeit zu prüfen.
Was man von einem Stock Weltgetriebe wahrzunehmen vermag, hängt vom Standpunkt ab, den man wählt, und von der Ausbildung der Augen, mit denen man sieht.
Tätigkeit und Wirkungsgebiet des Sammlers lassen sich in ihrer Ausdehnung und ihren Beziehungen zu den Nachbargebieten am klarsten erkennen und überschauen vom Stand punkt und durch die Beobachtungsmittel des Volkswirts. Der Beobachtungs-Posten des Sammlers selbst bietet keinen Abstand, der des Kunsthistorikers birgt die Gefahr der Einseitigkeit, und Sammler wie Kunsthistoriker konnten in den Verdacht kommen, in eigener Sache zu fechten. Auch der Stand punkt des Kunsthändlers, der durchaus in Betracht kommt, läßt nicht das Ganze erkennen und erweckt Vorurteile gegen das Ergebnis.
Dem ist der Volkswirt nicht ausgesetzt, denn die Kunst liegt ihm nicht naher als andere Lebensgebiete.
Er wird mit der Untersuchung des Gegenstands der Sammeltätigkeit, des Kunstwerks, besinnen.
Von allen anderen Erzeugnissen der Menschenhand unterscheidet sich das Kunstwerk durch die ungeheuren Abstände seiner Bewertung. Vier Quadratfuß bemalter Leinwand ist das eine Mal nicht mehr wert als die Leinwand im verdorbenen Zustand, ein andermal Tausende, ein drittes Mal Hunderttausende oder gar Millionen. Für ein Blatt Papier mit den Linien der Radierung kann bei derselben Große einmal fünf Pfennige, einmal fünftausend und (in seltenen Fallen) fünfzigtausend Mark und darüber bezahlt werden. Der Volkswirt weiß, daß Geld immer etwas ausdrückt. Und da bei bemalter Leinwand oder bedrucktem Papier nicht von einer Veredelung des Stoffes gesprochen werden kann, wie bei der Verwandlung von Roheisen in Uhrfedern – an sich sind Farben und Leinwand durch den Maler zunächst verdorben –, so muß er nach einer andern Ursache suchen.
Der Volkswirt findet die hohe Bewertung im Wesen des Kunstwerkes darin begründet, daß es, einem Akkumulator subtilster Art vergleichbar, die gewaltige Lebensenergie und die künstlerische Sonderart eines ganz großen Menschen aufbewahrt. Was in der Seele eines großen Musikers, Dichters oder Malers gejubelt oder gestöhnt, gejammert oder frohlockt, gebangt oder getollt hat, das klingt oder leuchtet aus ihren Werken durch die Jahrtausende. Was wäre die Matthäuspassion, was der Figaro, der Hamlet oder der Faust wert, wenn sie, wie ein Bild, nur einmal auf der Welt wären. Hätte die bildende Kunst ein Publikum wie die Musik oder die Dichtung, niemand würde sich wundern, daß ein Hauptwerk Raffaels oder Rembrandts auf Millionen gewertet wird.
Mit Recht wird also der Marktwert eines Kunstwerkes höchsten Ranges die Werte aller andern Erzeugnisse eines Volkes überragen.
Aber die Bedeutung des Kunstwerks im Leben des Volkes ist damit nicht erschöpft. Sein höchster Wert liegt nicht in dem Preis, den es erreicht, sondern in der Wirkung, die es ausübt. Es gibt so wenig den Genius an sich wie den Apfel an sich. Der Genius ragt hoch über sein Volk hinaus, ein Wahrzeichen für die Welt. Aber seine Wurzeln senken sich unentwirrbar von denen seines Volkes in das Erdreich. Ein Lebenssaft nährt alle Volksgenossen. Es gibt den Maler, den Dichter, den Musiker nur in dieser volklichen Ausprägung als deutschen, französischen, italienischen Künstler. Was sie schaffen, ist von dem Gesamtgeist ihres Volkes getragen und wirkt formend zurück auf den Gesamtgeist und die Entwicklung der einzelnen Seele. Jeder von uns weiß, was im Lebender Menschheit die Veröffentlichung des Robinson oder des Gulliver, was unserem Volke das Erscheinen des Faust bedeutet hat und welche Veränderungen in ihm selber vorgegangen am Tag, wo er als Knabe Robinson und Gulliver und als Jüngling den Faust zu lesen begann.
Die Großtaten der bildenden Künstler üben, wo die Kultur für ihre Aufnahme vorhanden ist, dieselbe Umbildung aus wie Goethes Faust oder Mozarts Figaro. Daß ein Volk die Werke seiner großen Maler und Bildhauer im Besitz behält, ist deshalb eine nationale Daseinsfrage.
In der Theorie kann es darüber keine Meinungsverschiedenheit geben. Aber die Praxis kennt auf dem Gebiete der bildenden Kunst vielerlei Hemmungen.
Zunächst pflegt es seit dem Anfange des neunzehnten Jahrhunderts lange Zeit zu brauchen, bis über die Bedeutung eines großen Künstlers Einmütigkeit herrscht. Als Liebermann Ende der sechziger Jahre erklärt hatte, er wolle Maler werden, fragten die besorgten Eltern alle berühmten Künstler Berlins um ihr Urteil, nur Menzel noch nicht, obwohl er über fünfzig war. Er galt noch nicht. Es war die Zeit, wo er sich, wie Fontane drastisch erzählt, von einem heute längst vergessenen Kunsthistoriker mußte über den Mund fahren lassen. Und er hatte die Werke, auf denen heute sein Ruhm ruht, fast alle schon geschaffen. Außer der Nationalgalerie und dem Museum seiner Vaterstadt Breslau, hatte, als Menzel seinen siebzigsten Geburtstag feierte, kein deutsches Museum ein Bild von ihm. Alles, was wir am höchsten schätzen, das Kinderbuch, das Gymnasetheater, die Familienbilder, die Atelierwand, Friedrich in Lissa, die Aufbahrung der Märzgefallenen, besaß er noch unverkauft und unbegehrt. Wäre um 1870 ein Museum gekommen und hätte ihm halb soviel auf den Tisch gelegt, wie heute eins seiner mittleren Bilder bringt, es hätte das alles haben können. Und solche kritische Augenblicke hat es im Leben jedes großen deutschen Meisters im neunzehnten Jahrhundert gegeben.
Wir sehen daraus, wie unsicher lange Zeit der höchste Besitz eines Volkes sein kann. Theoretisch ist es denkbar, daß, wenn ein Engländer oder Amerikaner bald nach 1880 ein paar hunderttausend Mark in die Hand genommen, alle besten Menzel, Böcklin, Leibl, Thoma, Trübner, Liebermann, von andern nicht zu reden, sein Eigentum geworden wären. Wir hätten das Nachsehen gehabt. Tatsächlich ist es den Franzosen ähnlich ergangen. Viele der bedeutendsten Werke der Schule von Barbizon und der Impressionisten sind nach Amerika, England und jetzt auch nach Deutschland gewandert, weil die Museen und die Privatsammler in Frankreich zu spät erkannt hatten, was auf dem Spiel stand für Frankreich.
Denn kein Volk der Welt sperrt die Ausfuhr der lebenden Kunst. Im Gegenteil, man betrachtet die lebende Kunst als Ware wie eine andere, spricht von Kunstexport, klagt – namentlich in Deutschland – jämmerlich, wenn man ihn nicht hat, und gründet Vereine für den Export von Bildern und Skulptur.
Diese Tatsachen lassen uns die rein mechanische Wichtigkeit des Sammlers im Haushalt des Volkes erkennen. Er ist der Mörissee, der in schlechten Zeiten das befruchtende Element aufbewahrt, das große Reservoir für die Zukunft. Er wird sich aber auf die nationalen Grenzen nicht beschränken. Wo Neigung, Bildung und Mittel vorhanden sind, zieht der Sammler wie ein Magnet das Wertvollste der Kunst aus dem Bereich der Nachbarvölker ins Land.
Als im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert die Gemäldesammlung zum notwendigen Ausstattungsstück jedes vornehmen Haushalts gehörte, sind von den deutschen Fürsten, dem deutschen Adel und dem deutschen Patriziat unsagbare Schätze der italienischen, niederländischen, französischen und spanischen Kunst ins Land gebracht. Der einst sehr reiche Besitz des Adels und des Patriziats der Städte ist im neunzehnten Jahrhundert, wo die Bildung in Deutschland den tiefen Sturz tat, von dem klügern Ausland um ein Linsengericht erworben. Kein Luxus oder Laster ist so kostspielig wie Dummheit und Kulturlosigkeit. Nur was die Landesfürsten erwarben, ist im Land geblieben. Ihrer Kultur, ihrer Sammeltätigkeit zur Zeit des Absolutismus dankt Deutschland den sichern Besitz der unerhörten Schätze Dresdens, Münchens, Kassels, Braunschweigs. Die deutsche Sammeltätigkeit des neunzehnten Jahrhunderts hat ausländische Kunst nicht entfernt mit solchem Verständnis beobachtet, im Grunde überhaupt nicht. Denn was bedeuten die einigen Dutzend guter französischer Bilder, die in unsere Museen und Privatsammlungen gekommen sind, gegen die Möglichkeiten, die wir versäumt haben. Dabei waren unsere Mittel unendlich viel größer als die der Fürsten des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts.
Was uns fehlte, war die künstlerische Bildung, die zur Erkenntnis, und das künstlerische Bedürfnis, das zum Erwerb geführt hätte. Daß das Allerbeste zu seiner Zeit sehr wohlfeil hätte erworben werden können, ist jetzt allgemein bekannt. Man weiß heute auch, daß andere Nationen die Glückslage benutzt haben. Wieviel kostbares französisches Nationalgut ist um geringes Entgelt nach Amerika gewandert? Das klassische Beispiel der wirtschaftlichen Bedeutung intelligenter Sammeltätigkeit weitester Kreise ist England, wo die einheimischen Kunstgüter höchster Art selten sind. Vom sechzehnten Jahrhundert ab haben die reisenden Engländer unter Ausnutzung aller traurigen politischen und kulturellen Unglücksfälle vom europäischen Kontinent und aus der ganzen übrigen Welt den kostbarsten Besitz auf ihre Insel gebracht. Die noch immer nicht erschöpften Privatsammlungen und der Besitz der öffentlichen Museen legen Zeugnis ab von der Umsicht und dem Sachverstand der englischen Sammler.
Mit der Aufbewahrungstätigkeit des Sammlers ist die des Sichtens untrennbar verbunden. Auch für die kritische Durchprüfung alles überlieferten Kunstgutes kann die Tätigkeit der Sammler nicht entbehrt werden. Im täglichen Umgang mit dem eigenen und mit fremdem Besitz in Sammlungen und auf Auktionen steigert sich die Fähigkeit, Werte zu erkennen beim einzelnen und von einem Geschlecht zum andern. Eine Gemäldegalerie, die heute, gestützt auf die Forschung eines ganzen Jahrhunderts, auf die von Geschlecht zu Geschlecht verfeinerte Empfindung für die höchsten Werte und erleuchtet durch das Schlaglicht, das von der lebenden Kunst auf die vergangene fällt, ein amerikanischer Sammler von höchstem Ehrgeiz zusammenbringt, ist gewählter, als die beste Sammlung vor einem Jahrhundert sein konnte.
In Deutschland ist die bewahrende und sichtende Arbeit des Sammlers von Kunstwerken allein schon deshalb wichtiger als in irgendeinem anderen Lande, weil die deutsche Kunst heute noch das dunkelste Gebiet der Kunstgeschichte bildet.
Gibt es eigentlich Sammler deutscher Kunst? Sie sind sehr selten. Unsere alte Neigung, zu überschätzen, was von jenseit unserer Grenzen eingeführt wird, hat dahin geführt, die deutsche Kunst als zweiter Klasse zu behandeln. Um 1890 waren zwei Drittel aller großen deutschen Meister des 19. Jahrhunderts vergessen. Als ich zuerst eine Jahrhundertausstellung der deutschen Kunst in Berlin forderte um die Mitte der neunziger Jahre, waren nur wenige bereit, das Unternehmen zu fördern. Aber offene und heimliche Widerstande stellten sich in den Weg, so daß die Ausführung des Planes nicht durchzusetzen war. Man wollte an vergessene deutsche Kunst nicht glauben. Der Minister eines großen deutschen Staates, mit dem ich längere Verhandlungen pflog, machte tausend Einwendungen, und als ich in der letzten Besprechung sehr dringlich wurde, gab er seinen wahren Grund an: Er hatte einen berühmten Künstler, seinen Vertrauensmann, gefragt, was er von dem Projekt einer Jahrhundertausstellung der deutschen Kunst hielte, und hatte die Antwort bekommen, es lohne der Mühe nicht. Man würde sich nur blamieren. Es wäre keine unbekannte deutsche Kunst vorhanden.
In einer deutschen Kunststadt, die um 1830 eine Reihe der einflußreichsten deutschen Künstler beherbergte, wollte bald nach 1900 der Direktor des Museums ein Werk von dem größten dieser Meister ins Museum bringen. Es war billig und wunderschön. Die Kommission, aus Künstlern bestehend, ließ sich, weil auch ein anderes Museum den Besitz des Bildes anstrebte, nach längerem Widerstreben herbei, den Ankauf zu bewilligen, fügte jedoch den Beschluß hinzu, es sollte von diesem Meister kein Werk mehr gekauft werden. Das Museum besaß anderthalb Bilder von ihm. Es hätte fünfzig haben müssen, um eine ausreichende Vorstellung von ihm zu geben. Als wir die Jahrhundertausstellung machten, hatte ich aus einer andern deutschen Kunststadt die Werke eines großen deutschen Meisters von l800 begehrt. Unsere Freunde, die Kunsthistoriker der Stadt, strichen ihn von der Liste, weil sie ihn nicht gut genug fanden. Mit Mühe habe ich dann durchgesetzt, daß doch noch Bilder von ihm hinkamen, und sie wurden als eine der großen Entdeckungen begrüßt.
Vor einiger Zeit kaufte ein Museum um hundert Mark ein Bild von einem vergessenen deutschen Landschafter um 1820. Wäre das Bild das Werk eines Meisters der Schule von Barbizon gewesen, hätte es, ohne besser zu sein, fünfzigtausend Mark gekostet. In den neunziger Jahren konnte ein Hauptwerk von Caspar David Friedrich auf öffentlicher Auktion in Deutschland für achtunddreißig Mark von der Nationalgalerie in Christiania erworben werden.
Solche Vorkommnisse, bei denen Künstler, Forscher und Kunstfreunde dieselbe Rolle spielen, mögen wohl verwunderlich erscheinen. Aber sie finden ihre Erklärung in dem allgemeinen Mißtrauen der Deutschen gegen ihre künstlerische Selbständigkeit, in der einseitigen Hochschätzung fremder Kunst – Forscher und Künstler haben einander darin nicht viel vorzuwerfen – und nicht zuletzt in dem Mißstand, daß die deutsche Kunst der ersten zwei Drittel des neunzehnten Jahrhunderts bis in dessen letztes Jahrzehnt weder von Galerien noch von Sammlern beachtet wurde. Ich wüßte von Privatsammlern um 1900 kaum drei zu nennen, die der deutschen Kunst von 1800 bis 1850 nachgingen. Drei im ganzen Reich. – Und einer darunter ist der Norweger Bernt Grönvold.
Für Handzeichnungen und Kunstdrucke liegt die Sache, das muß betont werden, sehr viel günstiger. Hier gab und gibt es bedeutende Privatsammlungen.
Trotz der Anregung, die von der Jahrhundertausstellung ausgegangen ist, hat sich seither an der Sachlage wenig geändert. Die Museen haben dies Gebiet erst seit kurzem angeschnitten. Der Kunsthandel pflegt es nicht. Die Kunstgeschichte hat es vernachlässigt. Das ist alles Ursache und Wirkung zugleich, und deshalb darf es nicht wundernehmen, daß der Sammler sich nicht auf dies noch wenig erforschte Gebiet wagt. Der Volkswirt muß das um so mehr beklagen, als wir, je mehr Material wir kennen lernen, um so mehr Verehrung empfinden vor den Leistungen dieser Zeit.
Daß uns auf diesem nun schon geschichtlich gewordenen Gebiet der Sammler fehlt, spuren wir auf Schritt und Tritt. Von dem Lebenswerk größer und fruchtbarer Meister, deren Bilder nach hunderten zählen durften, kennen wir gelegentlich nur ein halbes Dutzend. Wo sind sie geblieben? Sind sie schon vernichtet? Wir hatten gehofft, daß infolge der Jahrhundertausstellung die verborgenen Schätze ans Licht kommen würden, doch ist wenig davon zu sehen gewesen. Wo stecken die Caspar David Friedrich, die J.C. Dahl, die Kobell, die F. von Olivier, von dem außer den drei Bildern in der Hamburger Kunsthalle, und den vier oder fünf, die die übrigen Galerien zusammen besitzen, nichts weiter bekannt zu sein scheint? Die Bilder dieser und anderer deutscher Meister zwischen 1800 und 1840 genügen, um den Beweis zu liefern, daß wir in dieser Zeit unabhängig neben den Franzosen und Engländern eine gleichwertige, hie und da sogar überlegene Landschafterschule besessen haben, daß den deutschen Malern dieser Zeit Bildnisse geglückt sind, die sich bei größter Bescheidenheit und Absichtslosigkeit neben dem Besten aller Zeiten behaupten. Wie viele Forscher und Künstler wissen darum und glauben daran? Daß die sogenannten Gebildeten diesen nationalen Fragen fernstehen, darf da nicht wundernehmen.
Dies gilt für das unbekannte neunzehnte Jahrhundert. Dem achtzehnten und siebzehnten gegenüber schweben wir in derselben Unsicherheit. Es gibt noch keine Museen und keine Kunstfreunde, die die deutsche Kunst dieser Jahrhunderte systematisch sammeln. Die Lokalmuseen fangen gerade erst an. Deshalb wissen wir so furchtbar wenig davon, und weil wir nichts wissen, glauben wir nichts. So viel ist aber sicher: an Talenten hat es bei uns auch in diesen dunkeln Jahrhunderten nicht gefehlt. Und wenn wir eine Ausstellung deutscher Kunst von 1600 bis 1800 machten, was nach den Ausstellungen englischer und französischer Meister desselben Zeitraums eine dringliche Aufgabe, ja eine Ehrenpflicht der Berliner Akademie wäre, so würden wir erkennen, daß wir uns an Umfang und Originalität ganz wohl neben den Engländern zeigen können, wenn auch nicht an äußerm (und vielfach erborgtem) Glanz.
Daß sich in den nächsten Jahrzehnten Privatsammler für das ganze Gebiet der deutschen Malerei heranbilden, namentlich für die arg vernachlässigte Zeit von 1600 bis 1800 und für die neuen »Primitiven« von 1800 bis 1840, und daß die öffentlichen Galerien mit ihnen Hand in Hand gehen, ist eine nationale Notwendigkeit. In Berlin läßt sich die glorreiche Zeit von Chodowiecki bis zum jungen Menzel noch nirgend auskömmlich studieren, in Dresden ist noch keine Vorstellung zu gewinnen von der Bedeutung des Orts für die Jahre von l800 bis l840, und noch schlimmer steht es um München. Hier ist es geradezu ein Kummer, daß die öffentlichen Sammlungen auf dem eigensten Gebiete noch gänzlich auslassen. Auch Düsseldorf muß genannt werden. Was diese Stadt in der Tat einmal bedeutet hat, läßt sie in ihrer öffentlichen Sammlung nicht ahnen, und Privatsammlungen lassen uns so gut in Düsseldorf wie in sämtlichen deutschen Kunststädten im Stich.
So hoch nun auch der Volkswissenschaftler die Tätigkeit des Sammlers auf geschichtlichem Gebiet einschätzen mag, wichtiger wird ihm dessen Wirksamkeit innerhalb der lebenden Kunst erscheinen. Niemand wird die Historie entbehren wollen. Aber standen wir vor der Wahl, Geschichte oder Leben, müßten wir uns für das Wertvollste entscheiden. Zum Gluck schließt das eine das andere nicht aus; im Gegenteil, das eine bedingt das andere.
Wir dürfen nicht behaupten, daß unser Volk ein inniges Verhältnis zu seinen Künstlern hätte. Wie groß wurde die Zahl derer sein, die etwas entbehrten, wenn mit einem Schlage die Maler und Bildhauer ihre Arbeit einstellten? Die Mittel für alles Große sind reichlicher und stetiger vorhanden als jemals. Aber es sind kaum die ersten Anzeichen zu spuren, daß das Volk sich anschickt, wieder mit seinen großen Künstlern zu leben.
Noch immer sind Besitz und Kultur getrennte Güter. Der Besitz ohne Kultur jagt dem Vergänglichsten im Leben und in der Kunst nach. Wie sieht es in den Seelen und deshalb in den Wohnungen unserer Wohlhabenden aus?
Wir besitzen nun aber glücklicherweise über ganz Deutschland zerstreut freudige Sammler der lebenden Kunst, und wer in der Lage ist, zu beobachten, sieht überall neue entstehen.
Es gibt auch schon einzelne, die nicht nur mit den Bildern, sondern auch mit den Meistern selbst Freundschaft geschlossen haben und ihnen mit Bitten, Wünschen und Anregungen kommen. Vom Bildnis pflegt es auszugehen, und nach und nach kommt das Haus mit seinen Innenräumen, kommt der Garten, kommt die heimatliche Landschaft hinzu. Ich kenne schon deutsche Sammler, die von der Hand großer deutscher Meister ihre Frauen, ihre Kinder, ihre Freunde und die Dichter, Maler, Musiker, die sie verehren, ihre häusliche und landschaftliche Umgebung in einer ganzen Reihe von Meisterwerken haben festhalten lassen.
Daß in diesem Sinne dem Sammler als Besteller eine noch nicht abzumessende Bedeutung zukommen kann, liegt auf der Hand, und daß Kunstwerke, die so entstehen, lebendiger wirken als auf Ausstellungen erworbene und daß sie fester im Besitz der Familie haften, fester als Kunstwerke ohne Lebensbeziehungen, ist auf den ersten Blick zu verstehen. Mir scheint auch, daß dem Künstler, der sich seine Freiheit bewahrt, aus diesen persönlichen Sympathien und Wünschen mancherlei Anregungen erwachsen, die ihm heute mangeln. Das Vorurteil, das man oft zu hören bekommt, die Künstler nahmen solche Anregungen nicht ernst, erscheint mir albern, und die Erfahrung widerlegt es.
Das Verhältnis des deutschen Sammlers der neueren Zeit zur ausländischen Kunst ist ebensowenig folgerichtig wie zur einheimischen. Nur daß die französische stets hoher geschätzt wurde als die deutsche. Manche gute französische Bilder, die schon in deutschen Besitz gelangt waren, sind, als die Preise der Schule von Barbizon in die Hohe gingen, wieder zurückgewandert.
In der jüngsten Zeit ist der Ankauf ausländischer Kunst durch den bekannten Künstlerprotest in Frage zu stellen versucht worden. Solange die Künstler für ihre seit 1886 entwickelten internationalen Kunstausstellungen ausländische Kunst minderen Wertes herangezogen und sie den Museen, die sich nötigen ließen, auf diesen Ausstellungen zu kaufen, und vielen Kunstfreunden aufgedrängt haben, sind von den Künstlern selbst keinerlei Einwendungen erhoben, im Gegenteil sie haben den Vertrieb ausländischer Kunst befürwortet, weil sie dadurch im Ausland für die Beschickung ihrer Ausstellungen wirkten. Der Kunsthandel ist ihnen willig gefolgt und hat mit den Künstlern zusammen bewirkt, daß Deutschland von minderwertigen Italienern, Spaniern, Franzosen, Schotten und Engländern überschwemmt wurde. Der Volkswirt mußte diese Propaganda für geringe ausländische Kunst als eine Gefahr und Schädigung ansehen. Ungeheure Summen guten deutschen Geldes gingen ins Ausland für wertlose Machwerke und waren für das Nationalvermögen und für die Befruchtung der deutschen Kunst verloren, zu einer Zeit, wo die Bilder der Leibl, Trübner, Liebermann in Deutschtand unverkäuflich waren. Wer von Norddeutschland über Berlin oder München in die Bader ging, brachte von dem wertlosen Zeug mit nach Haus. – Von einer Protestbewegung der Künstler hat man in den achtziger und neunziger Jahren nichts gehört.
Sie setzte erst ein, als die Sezession in Berlin und der Berliner Kunsthandel begann, statt der Italiener, Spanier, Franzosen und Engländer zweiter Hand die großen Meister der französischen Entwicklung einzuführen. Um 1890 hätte man sie in Deutschland so wohlfeil haben können, wie unsere eigenen großen Meister, aber man holte sie nicht einmal für die Ausstellungen heran. Unterdes waren sie in den großen Kulturstaaten der englischen Welt erkannt und begehrt worden und hatten die Marktpreise der alten Meister erreicht. Bis zur Schule von Barbizon waren in Berlin und Hamburg die großen Sammler unter der Führung des Berliner Kunsthändlers Lepke noch mitgegangen. Für französische Impressionisten gab es, soviel mir bekannt, nur einen gleichzeitigen Sammler in Deutschland, den verstorbenen Dr. Bernstein in Berlin. Als er zu Anfang der achtziger Jahre seine Sammlung bei Gurlitt ausstellte, standen Künstler und Laien ratlos davor. Nur einer hatte schon Anschluß, das war Max Klinger. Wie stände es um unsere Entwicklung, hätte es damals noch mehr deutsche Sammler für die Impressionisten gegeben in Berlin, München, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt? Wie viel reicher wäre unser Nationalvermögen, wenn für jedes wertlose italienische, spanische, schottische Machwerk, das damals zu hohen Preisen eingeführt wurde, soviel gute Franzosen gekauft wären, die man dafür hatte haben können? Es ist gar nicht auszurechnen. Dann würden die Museen heute aus reichem Schatz schöpfen können.
Dem Sammler selbst wird es nun freilich zunächst gleichgültig sein, was der Volkswirt von ihm hält. Er fühlt sich als Wesen von Fleisch und Blut, das sein eigenes Leben führen, sein eigenes Gluck finden will. Als solches muß er betrachtet werden, wenn man ihn nicht nur als Faktor in der Volkswirtschaft begreifen will. Es wird psychologisch immer von Interesse sein, im einzelnen Falle zu untersuchen, was den Antrieb zum Sammeln gegeben haben mag. Dabei muß der oft zitierte Zufall ausscheiden. Wer zum Sammler wird, weil er einmal ohne besondere Absicht ein Kunstwerk erworben hat und dadurch Geschmack gewinnt, pflegt wohl im zufälligen Anlass den Beweggrund zu sehen. Er irrt: zum Sammler war er durch seine Natur bestimmt, sonst wäre der Anlaß nicht zum Antrieb geworden. Auch ein anderer Beweggrund, der in Ländern älterer nie gestörter Kultur, wie in England, am meisten verbreitete, die Überlieferung, fehlt in Deutschland noch. In der englischen Gesellschaft gehören Sammeltätigkeit oder doch Kunstbesitz zu den stillschweigend zu übernehmenden Pflichten. Dies Motiv des gesellschaftlichen Zwanges wirkt in England so stark, daß selbst zugewanderte Deutsche, die wenig Verkehr mit Engländern haben, zu sammeln beginnen, sobald ihre wirtschaftliche Stellung es verlangt. Ob sie Neigung und Bedürfnis haben, kommt nicht in Frage.
Aber der Volkswirt dürfte sich hüten, aus den Erlebnissen der letzten Jahrzehnte die Regel abzuleiten, daß die Museen für die um Anerkennung ringende Kunst durch ausgiebige Berücksichtigung in ihren Ankaufen einzutreten hätten. Das würde unabsehbare Folgen haben, solange es nicht möglich ist, Museumsdirektoren und Kommissionen, die dem Ideal entsprechen zu beschaffen. Regeln gelten für den Durchschnitt. Und die Leistung besonderer Begabungen und Glücksumstände für den Durchschnitt als Maßstab zu nehmen, ist eine Ungerechtigkeit. Gewiß haben auch die meisten Museen um 1890 kein gutes Beispiel gegeben. Aber ihnen das 1910 zum Vorwurf zu machen, hatten am wenigsten die Künstler Ursache gehabt. Die Museen haben durch Unterlassung gesündigt, die Künstler aber durch die Begehung. Rechnet der Volkswirt ab, wird er darauf hinweisen müssen, daß die Museen nicht führten und die Künstler verführten.
Scheidet nun der Zufall grundsätzlich und in der Praxis heute noch für Deutschland die Überlieferung aus, so bleiben nur zwei Gruppen von Motiven übrig: Sammeln aus Lebenspolitik und Sammeln aus angeborenem Beruf.
Im heutigen Deutschland sind die Sammler aus Lebenspolitik nicht selten. Reichtum ist schon so verbreitet, daß er allein keinen Rang und kein Ansehen verbürgt. Dazu ist die Wohlhabenheit schon zu allgemein geworden. Nur in Zeiten allgemeiner Armut wird dem Reichtum schon als Verdienst angerechnet, wenn er nur da ist.
Auch in Deutschland muß sich nun der Reichtum darauf besinnen, daß er etwas zu leisten hat, um sich zu rechtfertigen.
Am frühesten hat er von allen Möglichkeiten, sich auszudrücken, außer der Wohltätigkeit die Wirkung einer hervorragenden Sammlung erkannt. Es liegt etwas wie eine reinigende Macht darin. Ich konnte typische Falle berichten, die diese Wahrheit erhärten. Es hat einer ein großes Vermögen rasch und durch Mittel erworben, gegen die das Bewußtsein der Öffentlichkeit leise oder gar laut Einspruch erhebt. Er weiß, daß er dieser Macht der Meinung, die ihn gesellschaftlich vereinsamt, nicht durch die Flucht in eine andere Welt entgehen kann, die Meinung geht mit, er weiß, daß er am Ort der Tat bleiben und standhalten muß und daß die großmütigste Wohltätigkeit ihm nicht zu Ansehen verhilft, weil sie als Gewissensnot oder als Feigheit ausgelegt wird. Da kommt ihm der Gedanke, in seiner Vereinsamung im großen Stil zu sammeln, und das wird ihm so hoch angerechnet, bis er gesellschaftlich wieder einwandfrei geworden ist.
Das sind freilich Ausnahmen. Aber sie beweisen, wie hoch die Macht erlesenen Kunstbesitzes über der des bloßen Geldbesitzes steht.
In anderen Fällen erkennt der Ehrgeiz in der Sammeltätigkeit das sicherste Mittel, gesellschaftlichen Rang zu erringen, oder die Eitelkeit findet im Besitz einer Sammlung, von der die Welt spricht, ihre Befriedigung. Oft mag es schwer sein, die Abschattung dieser Motive aus der Sphäre der Lebenspolitik zu benennen.
Ferner als der Ehrgeizige oder Eitle scheint der Spekulant dem Kunstwerk zu stehen. Ihm bedeutet es auch wirklich zunächst nicht mehr als der Reis, die Häute, der Salpeter, in dem er sonst macht. Aber so sonderbar es auf den ersten Blick scheinen mag, in Wirklichkeit hat der Spekulant doch ein innigeres Verhältnis zum Kunstwerk, als der Ehrgeizige oder Eitle zu haben braucht. Es kommt oft genug vor, daß, wer aus Ehrgeiz oder Eitelkeit sammelt, einem Ratgeber blindlings unterliegt und erwirbt, was ihm empfohlen wird, oder nach eigenem Ungeschmack kauft und sich einbildet, Schätze zu besitzen, ohne daß die Stunde zu kommen braucht, die ihn aufklärt. Der Spekulant muß wie Pelze und Häute auch das Kunstwerk kennen. Den Spekulanten gibt es nicht immer und nicht für alle Gebiete zugleich. Er will rasch Erfolg sehen und sucht sich danach sein Feld. Es gibt Typen verschiedenster Art. Oft wechselt der Spekulant mehrfach sein Arbeitsgebiet. Der lebenden Kunst gegenüber ist er schon darauf verfallen, nicht Kunstwerke, sondern Künstler zu kaufen.
Zu den Sammlern aus Lebenspolitik gehört schließlich auch der noch seltene Typus, der zu Zwecken der Selbsterziehung und Lebensergänzung sammelt. Ich bin mit einem Juristen befreundet, der mit Leidenschaft als Geologe arbeitet und sammelt. Er fühlt, daß sein Beruf ihn einseitig macht, und daß die naturwissenschaftliche Forschungsarbeit einen für ihn notwendigen Gegenpol zur juristischen Betrachtungsweise abgibt.
Diesen Sammlern aus Lebenspolitik stehen die Sammler aus angeborener Neigung und Begabung gegenüber. Sie pflegen früh zu beginnen, als Knaben mit Marken und Muscheln, als Jünglinge mit Büchern, als Männer erst zur Kunst gelangend. Der Sammeltrieb liegt im Keim in jeder Seele, seine Energie hängt von dem übrigen Komplex der seelischen Eigenschaften und deren Entwicklung und von der Zeitlage ab. Es gibt Zeiten, die den großen Sammler gebieterisch fordern, Übergangszeiten zwischen zwei Welten, zu denen das Gut der untergehenden Welt herrenlos wird und mit ihr vernichtet würde, wenn sich der von vielen gespürte dunkle Trieb zu retten und zu bergen nicht plötzlich in einzelnen Seelen zur Leidenschaft entfachte. – – So war es vor hundert Jahren, als beim Zusammenbruch der im letzten Grunde mittelalterlichen Gesellschaftsform der Domherr »Wallraff« für seine unsagbaren Schätze mittelalterlicher Hinterlassenschaft die Selbstverleugnung bis zum Hungern trieb. Als das Kunstgut der Franzosen sich zerstreute, haben der Herzog von Bedford und Sir Richard Wallace die unsagbar kostbare Wallacekollektion geschaffen, die jetzt den Stolz Londons bildet. Freilich kommt es vor, daß in kritischen Zeitläuften diese Sammler fehlen. Meine Vaterstadt Hamburg ist mit einem unschätzbaren Reichtum alter Kunst vom Mittelalter bis zum achtzehnten Jahrhundert in das neunzehnte Jahrhundert eingetreten. Der Dom allein besaß um 1805 gegen sechzig mittelalterliche Altäre und eine reiche Bibliothek mittelalterlicher Manuskripte. Von allen diesen Schätzen des Doms ist in Hamburg ein einziges Bild erhalten, weil die Wallraff, Boisserée und Hübsch fehlten, die die rheinische Kunst gerettet haben.
Die Psychologie des Sammlers aus Leidenschaft ist noch nicht geschrieben. Sie ist so mannigfaltig wie die herrschenden Seelenkräfte, die sich bestimmend dem Sammeltrieb gesellen.
Welches Motiv nun auch den Anstoß zum Sammeln gegeben hat, bei der neuen Betätigung zeigt sich der ganze Mensch. Wie der ganze Mensch malt, sammelt auch der ganze Mensch. Der Zaghafte wird einen andern Typus abgeben als der Waghalsige, der Selbständige einen andern als der Anlehnungsbedürftige, der Hocker einen andern als der Pionier. Es kommt vor, daß die Betätigung als Sammler alle edlen Kräfte weckt und stärkt. Ich kenne Fälle, wo aus dem Eitlen, dem Ehrsüchtigen, dem Spekulanten der begeisterte Sammler geworden ist, bei dem alle unedlen Motive niedergesunken sind. Das Höchste zu erreichen ist die Sammlernatur bestimmt, die mit der Gabe der instinktiven Erkenntnis oder mit dem Trieb und Vermögen des Forschers begnadet ist – oder mit beiden. Hier entwickelt der Sammler auf der einen Seite alle Kräfte der Empfindung, die ihn in die Nähe des Künstlers tragen, auf der andern alle Fähigkeiten, die dem Forscher, dem Wissenschaftler eigen sind.
Sobald diese Stufe erreicht ist, und der Sammler vom Beruf erreicht sie rasch, wird das Sammeln aus einer Frage des Besitzes eine Frage der Bildung. Der Sammler dieser Art macht sehr schnell die Erfahrung, daß zum Erfolg auf seinem Gebiet – es sei, welches es wolle – Wissen und Bildung gehören. Er wird aus dem Käufer ein Forscher.
Auf allen Gebieten haben Sammler höchst wertvolle wissenschaftliche Arbeit geleistet, nicht nur in den Naturwissenschaften, bei denen sie ganze Forschungszweige früher als alle Fachleute wissenschaftlich entwickelt haben. Auch in der Kunstgeschichte ließen sich solche Spezialisten nennen. Der Sammler steigert den Genuß an seinem Besitz durch die Freuden des Forschers.
Aber selbst darüber geht er noch hinaus. Denn die intensive Beschäftigung mit dem eigenen und fremden Besitz gibt seinem Auge eine Ausbildung, die sonst nur das des Künstlers erfährt. Erst Sehen heißt besitzen. Der leidenschaftliche Sammler, der alle Kräfte an seine selbstgewählte Aufgabe setzt, erlebt zugleich die Freuden des Künstlers und des Forschers.
Die Tätigkeit des Sammlers hat vor andern Bildungsmitteln voraus, daß sie Kräfte entwickelt. Kräfte der Sinne, des Geistes und der Seele. Und dadurch erweitert sie die ursprünglich einseitige Freude am Besitz um eine Unendlichkeit. Die Erschließung der Wissenschaft, die Erweckung schlummernder Kräfte bewirken eine solche Bereicherung des ganzen Daseins, daß der Sammler, der es ernst nimmt, zu den glücklichsten Menschen gehört.
So wird die Sammeltätigkeit zu einer Bildungsfrage höchsten Ranges. Ich stehe nicht an, mich zu dem Glauben zu bekennen, daß für den Nichtkünstler eine wirkliche künstlerische Bildung ohne die Gymnastik der Sammeltätigkeit nicht denkbar ist.
Das Glück des Sammlers aber wächst mit den Jahren, wo Seele und Körper für andere Freuden stumpfer werden. Wer sich ein inhaltreiches Alter schaffen will, beginne früh oder zur rechten Zeit zu sammeln. Im Hinblick auf die möglichen Freuden des Alters ist ein rechtzeitiger Beginn der Sammeltätigkeit die weitsichtigste Lebenspolitik.
Bei dieser Übersicht der Wirkungen habe ich keinen Nachdruck auf den wirtschaftlichen Gewinn gelegt. Der Volkswirt muß ihn wenigstens erwähnen. Wer mit Kenntnis und Bildung sammelt, macht eine gute Kapitalanlage. Als Thoma in Deutschland verachtet war, kaufte ein Engländer eine sehr große Anzahl seiner besten Bilder. Später geriet er in Vermögensverfall. Aber es waren unterdes in Deutschland die Preise für Thoma so stark in die Höhe gegangen, daß er für seinen Besitz der ihn wenig gekostet, ein Vermögen löste. Beispiele verwandter Art gibt es auf allen Gebieten so viele, daß eine Andeutung genügt. Der Volkswirt muß diesen Erfolg der Sammeltätigkeit ganz besonders hervorheben.
Staaten und Städte sind eben erst dabei, einen vernünftigen Weg des Sammelns zu suchen. Sie können es nicht machen wie die Fürsten des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, die Vertrauensmänner beauftragten und gewähren ließen, soweit sie nicht selber Urteil und Leidenschaft besaßen. Staat und Stadt lassen heute für sich durch festangestellte Beamte sammeln. Diese sammelnden Beamten bilden eine heute schon besondere Menschenklasse. Sie hat heute schon eine erkennbare Entwicklung durchgemacht. Die ersten Leiter der in Staatsbesitz übergegangenen Kunstsammlungen haben wohl gelegentlich gekauft, waren aber noch nicht eigentlich Sammler. Dann kamen Sammlernaturen von Beruf ans Ruder, die, auf einem anderen Lebensgebiet herangebildet, durch inneren Trieb und Drang Museums-Gründer oder -Entwickler wurden. Von ihnen sind einige wenige noch in voller Tätigkeit. Schließlich ist die Tätigkeit des vom Staat oder von der Stadt angestellten Sammlers ein Lebensberuf wie ein anderer geworden, der neben anderen zur Wahl steht. In einer Psychologie des Sammlers müßte die Betrachtung dieser Sonderart von Sammlern einen eigenen Abschnitt erhalten. Sie unterscheiden sich vom Privatsammler wesentlich durch die Hemmungen. Der anonyme Staat kann sie nicht gewähren lassen wie der Fürst seinen Vertrauensmann, denn er kann sie nicht, wie der Fürst seinen Agenten, fallen lassen, wenn sie sich nicht bewährt haben. Deshalb wird dem sammelnden Beamten von Staats wegen eine kontrollierende Kommission beigesellt. Das kann, wenn der Beamte und die Kommission sich verstehen, zu guten und großen Dingen führen, kann aber auch vieles oder alles hindern, wenn das Vertrauen sich nicht einstellt.
Eigentlich sind die deutschen Städte noch nicht zu den Sammlern zu rechnen, wie eine Reihe der englischen und amerikanischen, obwohl diese keinen Pfennig für Kunst in ihr Budget einstellen, während deutsche Städte anfangen, größere Summen alljährlich zu bewilligen.
Denn wie der einzelne noch nicht Sammler genannt werden darf, wenn er, ohne sich selbst darum zu kümmern, einen anderen beauftragt, für ihn zu kaufen, und ohne Interesse annimmt und im Besitz behält, was auf diesem Weg erworben wird, sind Stadt und Staat noch nicht Sammler, wenn sie ohne eigene Leidenschaft einen Beamten für sich sammeln lassen.
In den amerikanischen Städten – unter Bodes Führung auch schon in Berlin – haben sich Liebhaber und Patrioten zusammengetan, um, wie früher in Deutschland die Fürsten, das Edelste für ihre Stadt zu erwerben, das ihren Mitteln erreichbar ist. Sie begnügen sich schon längst nicht mehr mit dem, was der Markt anbietet, sie senden Expeditionen nach Ägypten, Kleinasien, Mesopotamien und den griechischen Inseln und halten ständige Agenten auf den Märkten. Auf diesem Wege ist u. a. in Boston ein reichgegliedertes Museum entstanden, das zu den intelligentest geleiteten der Welt gehört.
Es wird aber die Zeit kommen, noch ist sie fern, wo die Sammeltätigkeit, die die deutsche Stadt übt, denselben Einfluß auf ihre Seele gewinnen wird, wie auf die des einzelnen Sammlers. In der Stadtregierung, in breiten Schichten der Bevölkerung wird Freude am Besitz aufkommen und wachsen und mit dem Gefühl des Stolzes wird der Ehrgeiz einsetzen, der bereit ist, Opfer zu bringen, und aus dem Gewirr dieser unteren Leidenschaften werden sich – wie beim einzelnen – als edlere Kraft das Gefühl der Verantwortung erheben und als letztes und oberstes Gut das edle Gefühl der Liebe und Verehrung.
Einen Platz für sich haben die sammelnden Künstler. Bis zu einem Grade ist wohl jeder Künstler auch Sammler. Das liegt in seinem Verhältnis zum Kunstwerk. Er wird es lebhafter genießen und heftiger begehren als der Nichtkünstler. Wird er, was sehr oft geschieht, wirklicher Sammler, so fängt er an, den allgemeinen psychologischen Gesetzen zu unterliegen, die für den Sammler gelten. Bei manchen ist der Künstler dann ausgeschaltet. Ich kannte einen Maler der Knöpfe sammelte. Er war als Historienmaler über das Kostüm auf dieses Sondergebiet gekommen: mit dem Knopf beginnt die eigentlich moderne Tracht. Ein anderer Maler sammelte Handlaternen aller Zeitalter. Wie er dazu gekommen war, konnte er mir nicht sagen. Er meinte, das wisse er nicht genau, er habe allerlei Dinge gesammelt, plötzlich habe er entdeckt, daß eine große Anzahl Handlaternen darunter sei, habe sie zusammengestellt und bei dem Anblick den Entschluß gefaßt, weiter zu sammeln. Auf dem Gebiet der Malerei pflegt der Künstler zu sammeln, was seiner Kunst entspricht. Joshua Reynolds ist ein Beispiel aus alter Zeit, Makart und Lenbach aus der jüngsten Vergangenheit, aus unserer Zeit Liebermann, der eine der reichsten Sammlungen der französischen Impressionisten, Lithographien und Zeichnungen von Daumier und wundervoller Werke älterer Berliner Meister und japanischer Erzeugnisse zusammengebracht hat. Jeder Galeriedirektor sollte diese Sammlung studieren, nicht nur, weil sie so erlesene Kunstwerke enthält, an denen er seine Empfindung für Qualität stärken kann, sondern weil der Gesamtorganismus dieser Sammlung ihm den Begriff des Gewachsenen offenbaren kann, den jede Sammlung haben muß.
Kunstwerke sammeln dient nach allem nicht nur der Befriedigung der Eitelkeit oder eines mehr oder weniger stark in jeder Seele vorhandenen Triebs zum Besitz, nicht nur der Ausspannung und Erholung von allerlei Berufsarbeit, der Verwendung überschüssiger, im Beruf nicht beanspruchter Lebensenergie, – die Sammeltätigkeit gehört zu den Grundlagen der höchsten Form der Bildung, die wir kennen, der Bildung im Sinne Goethes. Sie ist die notwendige Ergänzung unserer wesentlich auf Wort und Wissen angelegten Bildung, denn sie führt zu den Dingen und in die Dinge hinein, sie weckt und entwickelt Kräfte des Geistes und des Herzens, die sonst ruhen, sie gewährt Zugang zu dem geheimnisvollen Wesen der Wissenschaft und der Kunst und erfüllt mit einem erwärmenden, alles durchdringenden Glücksgefühl, das sonst nur der Forscher und der Künstler kennt.
Die Erfahrung lehrt, daß, wer auf irgendeinem Gebiet zu sammeln beginnt, eine Wandlung in seiner Seele anheben spürt. Er wird ein freudiger Mensch, den eine tiefere Teilnahme erfüllt, und ein offeneres Verständnis für die Dinge dieser Welt bewegt seine Seele. Über sich selbst hinauswirkend hat sich der Sammler als Hüter nationaler Schätze, als unentbehrlichen Untergrund alles künstlerischen Schaffens und als ein Anregungszentrum bewiesen, das die Kraft des Künstlers, die sich in tausend Kultur- und Wirtschaftswerte umsetzt, auf das ganze Volk überleiten hilft.