Ihr Schönen, traut den Männern nicht,
der fordert viel, wer viel verspricht.
Und endlich ist der Zweck von ihren
falschen Trieben,
daß sie nicht euch,
nein, ihre Wollust lieben.
L.
In einer gewissen Stadt außerhalb Deutschland lebten ein Paar Eheleute, welche durch Unglück um ihr großes Vermögen gekommen waren. Ein kleiner Überrest war kaum hinlänglich, sie und ihr einziges Kind vor der höchsten Dürftigkeit zu beschützen, und ihre Handarbeit reichte die wenigste Zeit zu, die nötigen Abgaben zu bestreiten. Alcina war die Tochter dieser beklagenswürdigen Eltern und zugleich ihr einziger Schatz. Das Verhängnis hatte ihr die Reichtümer entzogen und ihr dagegen Schönheit und Verstand erteilet.
Sie ist von mittelmäßiger Größe, aber überaus wohl gewachsen. Ihr schwarzes Haar gibt ihr soviel Anmut, als ihre schwarzen Augen Lebhaftigkeit besitzen. Die runde Stirne zeigt ihr aufrichtiges Gemüte an, und ihr ganzes Gesicht ist ein Aufenthalt einer weit mehr als gemeinen Schönheit. Sie hat einen edlen und erhabnen Verstand, welcher alles durchdringet. Ihr Umgang ist lebhaft, und ihre Gespräche entdecken eine unerwartete Leutseligkeit. Sie besitzt ein zärtliches Gemüte, welches zu einer wahren Liebe vollkommen fähig ist, und ihre Neigung zu der Wollust würde mit den erlaubten Ergetzungen zufrieden gewesen sein, wenn sie derselben hätte teilhaftig werden können.
Die Eltern der Alcina versäumten nichts, dieses schöne Kind wohl zu erziehen, und ihr Vater, welcher keinesweges mit seinen Gütern seine Klugheit und Erfahrung verloren hatte, suchte ihr die edelsten Neigungen zu der Tugend beizubringen. Ihre Mutter lehrte sie durch ihr Exempel die Gelassenheit, die Demut und eine ungeschminkte Frömmigkeit. Man hielt sie zu dem Lesen guter Bücher an, wovon ihr Vater noch eine kleine Anzahl bei dem Untergange seines Hauses gerettet hatte. Alcina gab dem Unterrichte ihrer Eltern Platz. Ihre guten Eigenschaften nahmen mit ihrer Schönheit zu, und der Besitz dieser liebenswürdigen Tochter machte diese armen Leute in ihrem Elende glückselig und vergnügt.
Alcina hatte nunmehr das sechzehnte Jahr zurückgelegt, als sie alle drei in dieser Ruhe gestöret wurden. Sie kam sehr wenig aus den Augen ihrer Eltern, und wenn sie ja einmal den öffentlichen Spaziergang besuchte, so geschahe es doch allemal in Begleitung ihrer Mutter. Nicht, als ob sie ein Mißtrauen in die Tugend ihrer Tochter setzten, welche sie durch Überzeugung und nicht durch Zwang klug machen wollten, sondern um allemal bei der Hand zu sein, sie durch kluge Erinnerungen zu belehren.
Ein junger Mensch aus einem der fürnehmsten Häuser sahe diese Schöne einige Male an dem öffentlichen Lustorte. Er war durch den Tod seiner Eltern und durch Erreichung des einundzwanzigsten Jahres ein Herr sehr großer Güter geworden. Dabei aber war er wild, verwegen, wollüstig, grausam und unbeständig.
Alfonso hatte diese blühende Schönheit kaum wahrgenommen, als er auch schon begierig ward, sie näher zu kennen. Er forschte ihre Wohnung aus und erfuhr bald, wie schlecht ihr Glück beschaffen war. Bei dieser Nachricht glaubte er sehr leicht seinen schändlichen Zweck zu erreichen. Einem armen Frauenzimmer, dachte er, darf man nur etwas von seinem Reichtum mitteilen, weil dieser doch der Schlüssel ist, welcher allenthalben einen freien Durchgang verschafft.
Er fuhr einige Male des Tages in dem prächtigsten Aufzuge ihrem Fenster vorbei, und Alcina sahe diese Bemühung mit der größten Gleichgültigkeit an. Es ist wahr, es gibt viel Frauenzimmer, welche durch den Staat am ersten empfindlich gemacht werden. Ein mit Gold verbrämtes Kleid vertritt bei ihnen die Stelle der guten Eigenschaften, und die Verschwendung selbst erwirbt oft ihren ersten Beifall. Ein reicher Liebhaber, wenn er auch noch so lasterhaft ist, erhält allemal den Ausschlag gegen einen armen Tugendhaften, weil doch das Gold immer mehr wiegt als die Verdienste.
Alfonso erfuhr inzwischen, wie eingezogen und tugendhaft diese glückseligen Leute lebten. Doch dieses erweckte seine schändlichen Neigungen nun soviel mehr. Er bildete sich ein großes Vergnügen ein, wenn er, nach seiner Sprache, der erste Überwinder dieses unschuldigen Kindes sein könnte. Bisher waren alle seine Bemühungen, ihr näherzukommen, vergebens gewesen. Seine abgefertigten Boten hatte man mit derben Verweisen zurückgeschickt, und alle seine Nebenwege waren unglücklich ausgeschlagen.
Alfonso mußte also auf neue Mittel denken, seinen verfluchten Endzweck zu erreichen. Er erkundigte sich um alle Tritte der Alcina und erhielt an einem Morgen die Nachricht, daß sie allein in die Kirche gegangen. Diese Gelegenheit konnte Alfonso nicht versäumen. Ein Gefährte seiner schon begangenen Bosheit stellte sich an die Türe des Tempels und redete die Alcina, als sie zurückkehren wollte, mit der größten Freundlichkeit an. «Madame», sagte er, «ein gewisser vornehmer Herr, welcher nicht weit von hier sich in einem Hause befindet, hat einige Sachen mit Euch zu reden, die Euer ganzes Glück machen können, wenn Ihr auf einen Augenblick daselbst einsprechen wollt; und zur Versicherung dessen, was ich Euch sage, hat er mir anbefohlen, Euch diesen Beutel mit Golde zu überreichen», den er ihr zugleich darbot. Alcina war durch diesen Vortrag in das größte Entsetzen geraten. Die vernünftigen Lehren ihres Vaters und die tugendhafte Eingezogenheit, in der sie bisher gelebt, hatten ihr Gemüt am wenigsten zu solchen Zusammenkünften zubereitet. Sie erholte sich endlich und sagte ihm mit einer verächtlichen Miene, daß sie außer dem Hause ihres Vaters mit keinem Menschen etwas zu reden hätte und daß es ihr ebensowenig anständig wäre, das dargebotene Gold anzunehmen. Sie verdoppelte hierauf ihre Schritte, und ungeachtet ihr Begleiter seinen Antrag noch etliche Male wiederholte, so gewann sie doch, ohne ihm weiter etwas zu antworten, ihres Vaters Haus.
Ihre Augen waren viel zu unruhig, als daß ihre Mutter, welche ihr am ersten begegnete, diese Veränderung nicht hätte wahrnehmen sollen. «Was ist Euch, Alcina», fing sie an, «warum seht Ihr so bestürzt aus?» Ihr Vater fiel dieser Frage bei und forschte nicht weniger nach der Ursache ihres merklichen Schreckens. Alcina erzählte ihnen, was man ihr für einen Vorschlag getan, und entdeckte ihnen zugleich ihre Antwort.
Die Tränen schossen ihr bei dieser Erzählung häufig aus den Augen, und diese nassen Zeugen ihrer Unschuld brachten ihre Eltern gleichfalls zum Weinen. Sie umarmten ihre Tochter auf das zärtlichste und bezeugten, daß die Besitzung eines so tugendhaften Kindes ihr einziges und ihr größtes Glück ausmachte.
«Fahret fort, Alcina», fing endlich ihr Vater an, «und bleibt in Euren tugendhaften Entschließungen unbeweglich! Wer sich durch Laster glücklich machen will, der entsagt sich der Vorsehung des Himmels und wird durch sein unruhiges Gewissen auch in dem größten Vergnügen gestöret werden. Ihr seid bisher Eurer Eltern einzige Lust gewesen, und Ihr bringet gegenwärtig ihr Vergnügen auf das Höchste, da sie sehen, wie fest ihre Erinnerungen bei Euch Platz genommen. Ertraget mit uns die Armut, welche uns keinesweges schimpflich ist, so lange wir nicht lasterhaft werden, und folgt mit uns der Tugend nach, die uns auch in unserer schlechten Hütte ruhig und zufrieden macht. Wofern ich mir meine verlorne Güter zurückwünschen könnte, so würde ich sie bloß anwenden, Euch zu versorgen, und Eure Liebe gegen uns belohnen. Doch trauet nur der Güte des weisen Verhängnisses, welches ein tugendhaftes Herz unmöglich ganz vergessen kann.»
Die betränten Augen dieses ehrwürdigen Vaters gaben seiner Rede noch einen größern Nachdruck, und Alcina war viel zu edel gesinnt, als daß sie nicht unter diesen liebreichen Erinnerungen den festen Schluß sollte gemacht haben, niemals einem schändlichen Vortrag Gehör zu geben. Das Vergnügen, welches nur die Unschuld gibet, breitete sich nach dieser zärtlichen Unterredung in ihrem Herzen aus, und ihre kleine Hütte ward ein Tempel, worinne sich die Glückseligkeit der Tugend offenbar sehen ließ.
Alfonso hatte ein niederträchtiges Herz, darum konnte ihn dieses Verfahren der Alcina zu keiner Hochachtung bewegen. Er sahe ihr lobenswürdiges Bezeigen als eine Verachtung an und glaubte, daß er die größte Ursache hätte, sich deswegen zu rächen. So weit vergehen sich oft die lasterhaften Reichen, daß sie die Tugenden der Armen für Beleidigungen halten, die ihnen widerfahren, weil sie ihnen mangeln, und daß sie glauben, ihre Güter erteilen ihnen eine solche Hoheit, welche ihnen alle andere Menschen untertänig macht, die nicht so reich sind.
Er entschloß sich also, sie durch den Vorwand einer Vermählung zu betriegen und sie sodann zu verlassen; denn dieses wies der Ausgang. Er verfügte sich zu ihrem Vater, umarmte ihn mit der größten Scheinheiligkeit und entdeckte ihm, daß er bisher der Verfolger seiner Tochter gewesen. «Ich habe nicht geglaubt», setzte er hinzu, «daß ein armes Mädchen nicht allemal bereit sein sollte, einem Vortrage Gehör zu geben, welcher sie aus ihrer Dürftigkeit reißen will. Noch weniger habe ich mir die Reizung der Tugend so groß vorgestellt, daß sie auch den Mangel angenehm machen kann. Allein Alcina hat mich aus diesem Irrtum gerissen. Ihre Schönheit hatte mich gerühret, und ihr edles Gemüte hat mich völlig überwunden. Ich habe ihr unrecht getan, und ich will nunmehr, sie zu versöhnen, ihr mein Herz auf ewig geben. Sie soll meine Gemahlin werden, und mein Vergnügen wird ungemein groß sein, wenn ich Euer Haus dadurch in bessere Umstände setzen kann.»
Der Vater der Alcina hörte diesem Vortrage nicht ohne Bewegung zu. Er stellte dem Alfonso die große Ungleichheit zwischen ihm und seiner Tochter vor. «Bedenkt Euch», setzte er hinzu, «Alfonso, wenn die flüchtigen Neigungen vorbei sind, so folget die Reue. Ein junger Liebhaber opfert alles seiner Sehnsucht auf, er sucht nicht, was ihm gut ist, sondern nur, was ihn vergnügt, und dieses ist von schlechter Dauer. Alcina, die Euch jetzt angenehm vorkommt, wird Euch nach gestilltem Verlangen ein Ekel sein, und ihr werdet sodann tausend Sachen finden, die Eure Verachtung nach sich ziehen. Diese Folgerungen würden uns unerträglicher fallen als unsere Armut. Es ist wahr, ich liebe mein Kind, und das einzige, was ich noch in der Welt wünsche, ist, sie versorgt zu sehen. Eure Vorschläge aber sind für uns allzu groß. Störet uns nicht, mein Herr, in der Ruhe, welche uns unser Unglück leidlich macht, und enthaltet Euch von Eurem Vornehmen, welches Euch einmal gereuen kann.»
Alfonso widersprach diesem allen mit der äußersten Zärtlichkeit. Er schwur, daß er erst in dem Besitze einer so liebenswürdigen Person glücklich sein würde. Endlich brachte er den Vater dahin, daß er sich etliche Tage Bedenkzeit ausbat und inzwischen dem Alfonso erlaubte, sie zu besuchen.
Dieser redliche Mann hatte von der großen Welt nichts vergessen als Hinterlist und Falschheit. Das Betragen des Alfonso kam ihm aufrichtig vor, und er fand in dem Bekenntnis dieses verstellten Bösewichts, welcher sich selbst für den Verfolger der Alcina ausgab, etwas Edles, woraus man ein erhabenes Gemüte schließen muß. Der Vorschlag einer Vermählung nahm ihm vollends allen Zweifel, und er konnte unmöglich glauben, daß Alfonso darin ein Vergnügen suchte, Leute unglücklich zu machen, mit welchen er sich so genau verbinden wollte.
Alfonso stattete also von dem an täglich seine Besuchungen ab. Er verbarg seine Laster so gut als möglich und suchte die Alcina durch tausend Eide zu versichern, daß er sie auf das zärtlichste liebte. Seine Person war nicht unangenehm. Eine angenommene Leutseligkeit vermehrte diesen Vorteil, und Alcina fing an, eine wirkliche Neigung zu ihm zu fassen.
Die Bedenkzeit war verflossen. Alfonso hielt nunmehr um die endliche Erklärung an. Die Eltern fanden in dieser Begebenheit ein unvermutetes Glück. Sie hielten des Alfonso Bezeigen für aufrichtig, weil es demselben sehr ähnlich sahe, und sie glaubten, daß sein beschleunigtes Verlangen ein Zeichen seiner wahren Neigung wäre. Er erhielt also von ihnen die Einwilligung und nahm dieselbe mit den größten Freuden an.
Er riet sofort, daß die Vermählung durch die priesterliche Einsegnung vor sich gehen sollte. «Allein», setzte er hinzu, «damit dieses nicht ein gar zu großes Aufsehen in der Stadt und bei meinen Verwandten macht, so soll sie auf dem Landgute eines meiner Freunde vollzogen werden. Hernach sind alle Einwürfe auf einmal gehoben, wenn ich Alcina als meine Gemahlin zurückbringe.»
Die Eltern, welche hier nicht genug nachdachten und die durch seine Freundlichkeit eingenommen waren, sahen hierin eben nichts Widerliches, weil Alfonso mündig war und weil sie eben durch diese Entfernung dem ersten Neide zu entgehen hofften. Ein Armer ist ohnedas bei allen seinen Unternehmungen furchtsam. Seine Unterdrückung benimmt ihm gleichsam das Recht, sich aus dem Staube zu machen, und die Reichen sehen seine Bemühungen, wodurch er sich heben will, als eine strafenswürdige Verwegenheit an.
Alfonso beschenkte inzwischen seine Braut, und nachdem ihre Kleider besorget waren, so verfügten sie sich auf das Land, wo sie in Gegenwart einiger Zeugen zusammengegeben wurden.
Die Tugend wird gedrückt und überwindet doch. L.
Vierzehn Tage gingen auf dem Landgute in der größten Ruhe vorbei, und Alfonso genoß inzwischen alle Annehmlichkeiten der schönen Alcina. Nunmehr hatte er seinen Zweck erreicht, seine Begierden waren gestillt, deswegen suchte er die Larve wieder abzunehmen, die er mit so vielem Zwang bisher getragen hatte. Seine Grausamkeit stieg auf das höchste, und weder die Unschuld der armen Eltern noch die Zärtlichkeit der Alcina konnte ihn abhalten, die abscheulichste Bosheit zu begehen.
Alles, was diese verführten Leute umgab, stimmte mit der Gottlosigkeit des Alfonso überein, man begegnete ihnen mit einer verstellten Höflichkeit, und diese Grausamen hatten sich bereits zu der unmenschlichen Fähigkeit gewöhnet, das Unglück ihres Nächsten mit Lachen anzusehen.
Alfonso schlug endlich den Betrogenen vor, wieder nach der Stadt zu kehren. Er überredete die Alcina, die erste Nacht daselbst bei ihren Eltern zuzubringen, und er bestimmte dabei, den folgenden Morgen sie öffentlich in seinen Palast einzuführen. Man nahm auch diesen Vorschlag an. Die Reise ward schleunigst fortgesetzt, und Alfonso, welcher eine heimliche Freude über seinen gelungenen Streich empfand, ließ ihnen unterwegs durch seine aufgeweckte und verpflichtete Unterhaltung wenig Zeit, seinem Vorhaben nachzudenken. Seine Freundlichkeit übertäubte sie, und ihr unglückseliges Vertrauen ließ sie noch nichts Arges mutmaßen.
Am zweeten Tage gegen Abend erreichten sie die Stadt, Alfonso begleitete sie nach Hause und wiederholte daselbst die Versicherung, sie den folgenden Morgen auf das prächtigste abzuholen. Er bestimmte den ganzen Schmuck, welchen Alcina anlegen sollte, und endlich fuhr er nach tausend Verpflichtungen fort.
Nunmehro waren diese drei Betrogenen wieder allein, und alle drei hatten den erbärmlichsten Zustand angetreten. Die Ruhe der schönen Alcina hörte mit ihrem Anfange auf, und ihr Elend geriet dagegen auf den höchsten Grad. Sie sahen sich untereinander an, und alle dreie schienen etwas auf ihren Herzen zu haben, dessen Entdeckung von einer gewissen geheimen Furcht zurückgehalten ward.
Sie hatten sich den andern Morgen kaum aus dem Bette gemacht, als ein Bedienter ein Schreiben von Alfonso an Alcina einlieferte, der sich aber auch sogleich wieder wegbegab. Das Herz fing ihr an zu klopfen, und sie erbrach es mit zitternden Händen. Sie suchte dieser Bewegung umsonst zu widerstehen, welche sie vorbereitete, in den größten Schrecken zu geraten, und die ihr bereits ein trauriges Ende ihres kaum angefangenen Glückes verkündigte. Sie las folgendes:
Alcina!
Nunmehro ist es Zeit, Euch zu weisen, wie man Euren Hochmut und Eure Einfalt gestraft hat. Ihr bildet Euch ein, daß Ihr durch des Priesters Hand mit mir vermählt worden; allein ich versichere Euch, daß mein Knecht in einem priesterlichen Aufputze nicht fähig gewesen, uns zu verbinden. Wie habt Ihr Euch doch immer vorstellen können, mich zu Eurem Gemahl zu verlangen. Ein Mensch von meiner Geburt und von solchen Mitteln, als ich besitze, darf eine weit höhere Verbindung begehren als die Eurige. Wohlan, Ihr sollt zeugen, wie sehr niedrige Leute fehlen, wenn sie ihre Armut vergessen. Ich erkenne Euch niemals für meine Gemahlin und rate Euch, künftig einen Mann aus dem Pöbel zu wählen, zu dem Ihr gehöret. Lebet wohl.
Ein unaussprechlicher Schmerz, der viel zu groß war, als daß er sich durch ordentliche Zeichen der Betrübnis hätte sollen zu erkennen geben, nahm der Alcina ganzes Gemüt ein. Ihr Vater riß ihr das Schreiben aus der Hand und begleitete sie in kurzem mit ihrer Mutter in ihrer tiefen Trauer. «Ist es möglich», rief endlich Alcina, «daß ein Mensch so grausam sein kann! Ach Alfonso, ich liebte dich auf das zärtlichste, wie kannst du dich doch der Menschlichkeit so gar entsagen, die unschuldigsten Neigungen mit der empfindlichsten Verachtung zu vergelten!»
Hier schloß sich ihre Klage wieder, und ihr Schmerz ward immer größer, je mehr sie Zeit gewann, ihrem Unglück nachzudenken.
Ihr Vater machte sich auf, den Alfonso selbst zu sprechen. Er ward von ihm mit den bittersten Verspottungen empfangen. Alles, wozu er sich erklärte, war dieses, daß er den gekränkten Vater fünftausend Taler anbot und ihn mit einer hämischen Freundlichkeit zu versichern suchte, daß seine Tochter bei der genossenen Vertraulichkeit eines der Größten vom Lande sich noch glücklich schätzen könnte, der nunmehro noch soviel Großmut hegte, ihr eine so wichtige Summe zuzustellen.
Der bis in den Tod gekränkte Vater verwarf das angebotene Geschenke. «Meine Tochter», sagte er, «ist niemals zu verkaufen gewesen, und ich würde mich selbst schimpfen, wenn ich ein so schändliches Geld annehmen wollte. Nein, Alfonso, seid Ihr so grausam, Euren Eid zu brechen und uns unglücklich zu machen, so behaltet nur Euer Geld, welches bei uns das Andenken unsers Schimpfes immer erneuern würde. Ich wünsche Euch nicht die Strafe des Himmels, aber ich bin gewiß versichert, daß Eure verübte Grausamkeit Euch selbst einmal erschrecklich vorkommen wird.»
Alfonso hieß ihn mit noch größerer Härtigkeit aus seinem Hause weichen. Er ging, und Alcina erwartete ihren Vater bereits an der Türe. Sie sahe ihn zurückkommen, sein betrübtes Angesicht sagte ihr aber bald, wie wenig er ausgerichtet hatte.
«Wir sind betrogen, mein Kind», fing er an, «der Grausame verspottet uns. Wir haben nichts übrig, als unser Unglück zu ertragen und die Rache dem Himmel anzubefehlen.» Er nahm zugleich alle Geschenke, welche Alcina vom Alfonso empfangen hatte, und brachte sie ihm wieder. Alfonso weigerte sich, dieselben wieder anzunehmen, allein dieser unglückselige Vater legte sie mit der größten Gelassenheit von sich und versicherte ihn, daß ein solcher Gewinn ihn weit mehr kränkte als seine Armut.
Was konnten diese unglückselige Personen nun weiter tun, als ihren Trost in den Klagen suchen? Und wo sollte ein armer, verlassener Mann wider einen mächtigen Reichen Hülfe finden? Den Alfonso anzuklagen, dazu gehörte Geld; denn es ist allemal weit schwerer, Gerechtigkeit zu erhalten, als unrecht zu tun. Und endlich einen Menschen mit Gewalt zwingen, seine Tochter zu heiraten, das konnte nichts anders als eine unglückliche Ehe versprechen.
Sie verschmerzten also das erlittene Unrecht und brachten ihre Tage mit Weinen und Aufmunterung zu.
Inzwischen zeigte sich, daß Alcina schwanger war. Dieser Umstand vergrößerte ihr Leiden. Sie sahen ihr Haus vermehret, ohne Mittel zu wissen, diese Vermehrung zu ertragen. Die Bekümmernis machte endlich beide Eltern bettlägrig, und der Gram riß sie in kurzen beide in das Grab. Alcina sahe sich nunmehr ganz verlassen. Verwandte hatte sie nicht. Freunde – wo findet ein Armer Freunde? Sie mußte ihre Eltern zu Grabe bringen lassen, und die dazugehörigen Unkosten zwangen sie, ihr Haus zu verkaufen. Es ist erschrecklich, einem Armen versaget man die letzte Ruhestatt, bloß weil er arm ist, als ob er auch noch im Tode deswegen verachtet zu werden verdiente.
Alcina beweinte sie mit den aufrichtigsten Tränen. Sie sahe sich als die unschuldigste Ursache ihres Todes an und grämte sich hierüber noch mehr. Sie hatte sich in ein kleines Haus eingemietet, wo sie eine bejahrte Frau zu ihrer Nachbarin fand. Diese machte Bekanntschaft mit ihr, und weil Alcina nicht ohne menschliche Hülfe sein konnte, so vertrauete sie endlich derselben ihren elenden Zustand.
«Seid getrost, mein Kind», fing die alte Isabelle an, «Ihr seid jung und schön und also noch immer fähig, Euer Glück zu machen. Vergeßt den Undankbaren, der Eure Annehmlichkeiten so wenig erkannt hat. Ihr sollt an mir eine Mutter wiederfinden, ich will Euch mit allem beistehen, was Euch notwendig ist, und Euch niemals verlassen.» Sie tat es auch wirklich, denn sie hatte schon beschlossen, sich die Alcina nach ihrer Genesung vortrefflich zunutze zu machen.
Isabelle war eine Frau von ungefähr vierundfunfzig Jahren. So wollüstig sie in ihrer Jugend gewesen war, so eifrig war sie in ihrem Alter, den Ausschweifungen durch ihren Rat und durch ihren Beistand zu dienen. Sie besaß eine wundernswürdige Geschicklichkeit, von den Torheiten der Mannspersonen sich zu bereichern, und es war ihr ein leichtes, allen Vorschlägen ein Genügen zu tun.
Von allen diesen guten Eigenschaften wußte Alcina nichts. Isabelle hatte ein so ehrbares Ansehen und lebte in ihrem Hause so eingezogen, als es einer verständigen Kupplerin gebührte.
Die verlassene Alcina war froh, daß sie nur einen Menschen fand, der sich ihrer annahm. Sie faßte ein Vertrauen zu Isabellen und teilte ihr alles mit, was sie noch übrig hatte. Sie war beständig krank, und unter diesen Umständen nahte sich die Zeit ihrer Entbindung heran. Endlich kam sie mit einer toten Tochter nieder, welche durch Vorsorge der Isabelle begraben ward.
Alcina erholte sich in kurzem. Die Gewohnheit machte ihr Unglück leichter, und ihr geheimer Schmerz erteilte ihr eine gewisse betrübte Annehmlichkeit, welche weit reizender ist als eine feurige Lebhaftigkeit.
Wozu sollte sie sich nun entschließen? Ihre Mittel reichten nur noch auf kurze Zeit, und sodann sahe sie sich der Armut und ihren traurigen Folgerungen ausgesetzt. Eine Magd abzugeben kam ihr unerträglich vor. Es gibt verschiedene Menschen, die bei ihren verlassenen Umständen mehr denken, als diejenigen denken müssen, welche zu einer niederträchtigen Arbeit bestimmt sind.
An einem Abende, als sie mit tausend Tränen ihrem Unglücke nachhing, ward sie von Isabellen unvermutet besucht. «Warum weinet Ihr doch schon wieder, Alcina», fing diese listige Kupplerin an. «Gebt Euch doch zufrieden und sorget nicht für Eure künftige Umstände. Ich habe mich ja erkläret, daß ich künftig Eure Mutter sein will. Gebet mir nur Euer Vertrauen und folget in allen meinen wohlgemeinten Ratschlägen. Ein junges und schönes Mädchen, die arm ist, muß durch ihr Gesicht ihr Glück zu machen suchen. Es wird bloß auf Euch ankommen, Euch in solche Umstände zu setzen, welche Euch zeitlebens ruhig machen können. Man muß nur nicht allzu gewissenhaft sein und nicht glauben, daß es der Tugend schimpflich ist, wenn man sich gewisser kleiner Mittel zu seiner Erhebung bedient, welche nicht eben allemal von ihr gebilliget werden. Es werden tausend Mannspersonen bereit sein, Euch zu unterstützen, und es kömmt nur darauf an, daß Ihr Euch ihre Torheiten zunutze macht. Gebraucht die Vorzüge, welche Euch die Natur erteilet hat, und glaubet nur, daß sie Euch ebendadurch die Mittel zeigen wollen, Euch glücklich zu machen. Setzet Euch erst in solche Umstände, die Euch für den Mangel bewahren, und sodann könnt Ihr so unschuldig und so eingezogen leben, als es Euch gefällt. Es ist ein verkehrter Wahn, welcher verbietet, sich glücklich zu machen. Die Tugend bestehet nicht in einer frostigen Kaltsinnigkeit, sondern in dem Verlangen, sich zu erheben, der Armut und der Verachtung zu entgehen und sich über gewisse Kleinigkeiten wegzusetzen, welche nur für die Einfältigen gehören. Folget mir, mein Kind», fuhr sie fort, «ich werde Euch niemals etwas raten, das Euch nicht vorteilhaftig ist. Leget Eure Schwermut weg, die Euch nur schadet. Morgen wollen wir in einen Garten fahren, wo Ihr gewiß den Anfang Eures künftigen Glücks machen könnet.»
Alcina hörete den Lehren der verwegenen Isabellen mit dem größten Abscheu zu. Das Herz fing ihr an zu erkalten, als sie diese gottlosen Vorschläge vernahm. Endlich drang der Zorn mit dem Blute in ihre schönen Augen, welche Isabellen mit einer gerechten Verachtung anblickten. «Isabelle», fing sie an, «ich habe bei Eurem Vorbringen lange genug stille geschwiegen. Allein ich will Euch hiermit auf einmal erklären, hinkünftig von dergleichen Vorstellungen zu schweigen. Ich erkenne mein Unglück, welches mich mit Euch bekannt gemacht, und ich verabscheue von nun an alle Hülfe, die Ihr mir leisten könnet.»
Isabelle suchte sie erst wieder zu besänftigen. Sie stellte ihr vor, daß alles zu ihrem Besten abzielte. Als sie aber sahe, daß sie nicht den geringsten Vorteil erhielt, so ließ sie sich in ihrer wahren Gestalt sehen. «Sachte, Alcina», hieß es ferner, «wißt Ihr wohl, daß alles, was Ihr besitzt, das meinige ist? Ihr seid mir zweihundert Taler schuldig. Bezahlet mir diesen Posten, oder ich will Euch empfinden lassen, was ein Gläubiger für Recht hat.» Sie trat sogleich zu und nahm alles, was sie in dem Zimmer fand, mit trotzigen Ausdrückungen weg. Alcina sahe diesem Verfahren mit der größten Bewegung zu, sie konnte kein Wort mehr vorbringen. Eine Ohnmacht, welche ihr in ihrer Einsamkeit zustieß, würde sie gewiß in das Grab geschickt haben, wenn nicht endlich ihre gute Natur überwunden hätte. Einige Tage gingen hin, da Isabelle bald schmeichelte, bald drohete und da Alcina bei dem Entschlusse, nimmermehr lasterhaft zu werden, kein einziges Mittel zu ihrer Errettung finden konnte.
Doch die Zeit war nunmehr verhanden, welche die Tugend dieser unterdrückten Schönen belohnen sollte. Ein Deutscher, welcher sich in dieser großen Stadt als ein Fremder aufhielt und der der Alcina gegenüber wohnte, hatte sie einige Male am Fenster gesehen. Ihre Schönheit, ihre Betrübnis hatten Rodrichen schon ein Verlangen beigebracht, die Alcina zu kennen und den Ursprung ihrer Traurigkeit zu vernehmen. Ihr Aufenthalt in diesem Hause gab ihm noch mehr Anlaß zum Nachdenken, weil er bereits durch Nachforschen etwas von dem Handwerke der Isabelle gehöret hatte.
Es ging ihm nahe, daß diese unbekannte Schöne ein Raub der gottlosen Isabelle werden sollte. Er entschloß sich, ihr in einem Schreiben von der Gefahr Nachricht zu geben, in welcher sie sich befand, und er glaubte, daß ihre abgemerkte Betrübnis diese Vorsorge von ihm forderte. Er setzte sein Vorhaben sogleich in das Werk, und Alcina erhielt folgendes Schreiben.
Madame!
Ein Nachbar, welcher Eure beständige Betrübnis angemerkt, nimmt aufrichtig teil an Eurem Ungelücke. Er würde Euch mit der größten Bereitwilligkeit dienen, wenn er nähere Nachricht davon hätte. Nehmet dieses inzwischen als ein Zeugnis der Freundschaft an, daß er Euch für Isabellen warnet, welche in der Stadt wegen ihrer Übeltaten berüchtiget ist.
Alcina wollte erst das Schreiben nicht erbrechen. Sie entschloß sich endlich dazu, in der Absicht, daß sie noch wohl denjenigen durch ihre Tränen zu einem tugendhaften Beistande bewegen könnte, der ihr vielleicht auch in einer andern Absicht geschrieben hätte. Sie las den Brief und wußte nicht, was sie davon urteilen sollte. Die Falschheit des Alfonso ließ sie wenig Gutes von dem männlichen Geschlechte hoffen. Die Warnung für Isabellen gab ihr einigen Mut, der aber auch nur eine bloße Verstellung sein konnte. Sie erteilte also nur mündlich zur Antwort, daß sie sich für das bezeigte Mitleiden bedankte, ihr Unglück aber wäre viel zu groß, als daß sie von jemanden Hülfe hoffen könnte.
Rodrich ward durch diese Antwort in der guten Meinung von Alcina gestärkt. Er erzählte die Umstände einer Dame, in deren Hause er bekannt war. Diese großmütige Frau faßte aus der Beschreibung der Alcina ein solches Mitleiden gegen sie, daß sie sich vornahm, diese Person kennenzulernen. Es gibt nur wenige Personen von einem so edlen Charakter, und wir wissen uns nur einer Frau von Canitz zu besinnen, welche ihre Perlen zur Errettung eines unglücklichen Unbekannten darbot. Sie fuhr denselben Nachmittag zu ihr hin und begehrte sie zu sprechen. Alcina war eben in einem Streite mit Isabellen begriffen, welche ihre schönen Lehren noch immer wiederholte, als man ihr diese Dame anmeldete. Sie wußte sich nicht zu besinnen, daß sie jemals ihren Namen gehöret, gleichwohl konnte sie ihr nicht abschlagen, sie zu sprechen. Arminde fand Alcinen mit betränten Wangen, und Isabelle entwich sofort bei ihrer Ankunft. «Madame», fing Arminde an, «Ihr habt einen Nachbarn, der mir viel Gutes von Euch gesagt hat. Es ist ebenderjenige, welcher Euch vor einigen Tagen geschrieben. Wir haben Mitleiden mit Euch, und ich bin bloß deswegen zu Euch gekommen, um zu sehen, ob ich Euch nützlich sein kann.» Alcina warf sich mit der zärtlichsten Demut zu ihren Füßen. «Ach Madame», fing sie an, «errettet mich nur aus den Händen derjenigen, die Ihr eben hier von mir weichen sehen. Sie beschweret mich mit einem solchen Vortrage, welcher der Tugend und der Ehre unsers Geschlechts entgegen ist.» Arminde hub sie mit einer leutseligen Freundlichkeit auf und versicherte sie ihres Beistandes. Alcina entdeckte ihr, auf was Weise sie Isabelle kennenlernen und wie grausam sie bisher mit ihr umgegangen. Arminde schickte sofort nach Rodrichen, er erschien, und der Entschluß ward gefaßt, Isabellen zu bezahlen und Alcina wegzunehmen. Rodrich bat sich das Vergnügen aus, ihr den ersten Dienst zu leisten. Er holte das Geld, und Isabelle ward zu ihrem höchsten Widerwillen befriediget. Alcina fuhr mit Arminden nach ihrem Hause, und nach gemachter Bekanntschaft erfuhr die letztere das ganze Unglück dieser beklagenswürdigen Schönen. Arminde tröstete sie und gab ihr die Versicherung, daß sie von nun an ihre beständige Gefährtin sein sollte. Bald darauf verfügte sich diese großmütige Dame auf ihr Landgut, wohin sie Alcina begleitete. Ein reicher und vernünftiger Edelmann lernte sie daselbst kennen. Die Annehmlichkeiten und das Unglück dieser Schönen selbst erweckte in ihm die zärtlichste Liebe. Er entdeckte Arminden seine Absicht, und durch deren Vermittelung ward Alcina diesem würdigen Liebhaber angetrauet. Beide genießen einer Glückseligkeit, der sie würdig sind, und Alcina ist die Liebe und Hochachtung ihrer ganzen Nachbarschaft geworden.
Alfonso hatte inzwischen eine Reise nach Paris getan, wo ihn seine wilden Ausschweifungen in kurzem in das Grab schickten.
Ich überlasse hier allen Männern die Wahl, ob sie dem Alfonso oder dem Rodrich nachahmen wollen.