Heinrich von Kleist
Geistererscheinung
Heinrich von Kleist

Heinrich von Kleist

Geistererscheinung

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Im Anfange des Herbstes 1809 verbreitete sich in der Gegend von Schlan (einem Städtchen vier Meilen von Prag auf der Straße nach Sachsen) das Gerücht einer Geistererscheinung, die ein Bauernknabe aus Stredokluk (einem Dorfe auf dem halben Wege von Schlan nach Prag) gehabt habe. Dies Gerücht ward endlich so allgemein und so laut, daß endlich ein Hochlöbl. Kreisamt zu Schlan eine gerichtliche Untersuchung der ganzen Sache beschloß, und demzufolge eine eigene Komission ernannte, aus deren Akten zum Teil, und zum Teil aus mündlichen Berichten an Ort und Stelle, nachstehende Geschichte gezogen ist.

Ein Bauernknabe von ungefähr elf Jahren aus Stredokluk, mit Namen Joseph, bekannt bei seiner Familie sowohl als im ganzen Dorfe für einen erzdummen Jungen, schlief für gewöhnlich mit einem alten Onkel und einigen seiner Geschwister, von seinen Eltern getrennt, in einer besondern Kammer. Eines Nachts wird er durch Schütteln geweckt, und wie er aus dem Schlafe aufschreckt, sieht er eine Gestalt sich langsam vom Fuße seines Bettes fortbewegen und im Dunkel verschwinden. Joseph, dem Schlafen über alles geht, nimmt es gewaltig übel, so mutwillig gestört zu werden, und in der Meinung, die Gestalt sei der Onkel gewesen, der ihn habe necken wollen, fängt er an, sich laut zu beklagen und sich derartige Scherze scheltend zu verbitten. Der Onkel, ein alter Invalide, wacht über den Lärm ebenfalls auf, fragt ziemlich barsch nach der Ursache, und da Joseph ihn zu Rede stellt, warum er ihn necke und nicht schlafen lasse, so ergrimmt der alte Soldat, und nach einigen Beteuerungen und Fluchen, daß er von nichts wisse, die aber unserm Joseph nicht einleuchten wollen, steht er auf und, um seinen Gründen Gewicht zu geben, nimmt er den Stock und zerprügelt den ungläubigen Herrn Neffen. Joseph schreit fürchterlich, alle seine Geschwister werden wach und schreien mit, die Eltern eilen voll Angst herbei, sie besorgen Feuer oder Mord, beruhigen sich aber bald, da sie sehen, daß nur der dumme Joseph etwas geprügelt wird. Sie fragen nach dem Anlasse des Tumults; Joseph erzählt schluchzend seine Geschichte; der Onkel flucht laut über den Lügner; den Eltern ist der Fall zu spitzig; zum Untersuchen ist nicht Zeit, und da Joseph von seinem Satz nicht abgeht, so vereinigen sie sich der Kürze halber mit dem Onkel, prügeln gemeinschaftlich auf den Ärmsten und schicken ihn zu Bette. In der folgenden Nacht geht derselbe Spaß von neuem an, Joseph wird wieder geweckt, sieht eine Gestalt, hält sie wieder für den Onkel und, da er diesmal seiner Sache noch gewisser zu sein glaubt, als das erstemal, so beklagt er sich noch ungestümer; der alte Onkel erwacht, prügelt, die Eltern kommen herbei, prügeln auch, und Joseph flüchtet sich, ein gutes Teil mürber als die vergangene Nacht, in sein Bett. In der dritten Nacht dieselbe Erscheinung, aber nicht dieselben Prügel. In dem Kopfe des dummen Josephs entwickelt sich allmählich die Idee vom ewigen Unrechte des Schwächern, er schweigt demnach, und versucht es, mit einem äußerst verdrießlichen Gesicht, sobald wie möglich wieder einzuschlafen, was ihm denn auch gelingt. Den Tag darauf kömmt Joseph abends vom Felde nach Hause, und erzählt der Mutter, wie um die Mittagsstunde ein fremder Herr zu ihm gekommen sei, in einem weißen Mantel und mit sehr bleichem Angesichte; wie dieser, als er sich anfangs vor ihm gefürchtet und davonlaufen wollte, ihm freundlich zugeredet habe, er solle sich nicht fürchten, er meine es gut mit ihm und wolle ihn belohnen, wenn er hübsch folgsam wäre. Als er sich hierauf beruhigt, habe der fremde Herr mit tiefbetrübter Miene gesagt, daß er schon sehr lange, lange auf ihn gewartet habe, daß er ihm die drei vergangenen Nächte erschienen sei, und jetzt komme, um von ihm einen Dienst zu begehren, dessen Gewährleistung er nicht zu bereuen Ursach haben würde. Morgen nämlich mit Sonnenaufgang solle er, mit einem Spaten versehen, aufs Feld hinausgehn und an einem Orte, den er ihm zeigen würde, nachgraben; er werde dort Menschenknochen finden, an denen fünf eiserne Ringe befestigt wären; diese wären seine Gebeine, über die sein Geist nun schon seit fünfhundert Jahren ohne Ruhe und ohne Rast herumirre; habe er die Gebeine gefunden und herausgenommen, so solle er noch tiefer graben, wo er sodann auf fünf verschlossene irdene Truhen stoßen werde; was damit zu tun, würde er ihm später entdecken. Nachdem er ihm dies alles gesagt, sei der Herr plötzlich weggekommen, er wisse nicht wohin. Die Mutter hatte mit offenem Munde zugehört, und voller Verwunderung ihren Joseph betrachtet, welcher, da er sonst in dummer Unbehilflichkeit kaum ein halb Dutzend Worte aneinander zu reihen wußte, jetzt mit fließender Rede, im reinsten Böhmisch, seine Geschichte vortrug. So unheimlich ihr auch bei dieser Erzählung zumute sein mochte, so witterte sie doch als eine kluge Frau in den verheißenen Truhen so etwas von einem Schatze, und um des Schatzes willen beschloß sie, mit ihrem Joseph gemeinschaftlich das Abenteuer zu bestehn.

Den andern Morgen in aller Frühe machten Mutter und Sohn gehörig zum Graben gerüstet sich auf und gingen dem Felde zu, wo der Geist sich hatte sehn lassen; kaum waren sie vor das Dorf gekommen, als Joseph sagte: »Ei seht doch Mutter, da ist der Herr schon.« – »Wo?« rief die Mutter erblassend und schlug ein Kreuz über ihren ganzen Leib. »Hier dicht vor uns,« antwortete Joseph, »er hat mir aber gesagt, er komme, uns zu führen.« Die Mutter sahe nichts; der Geist, nur dem auserwählten Joseph sichtbar, zog still vor ihnen her. Die Reise ging querfeldein, einer Heide zu, die an einem Feldwege hinlief; dort steht Joseph still und sagt zur Mutter: »Hier Mutter, hier sollen wir graben, spricht der Herr.« Die Mutter, den Angstschweiß auf der Stirn, setzt den Spaten an und gräbt hastig darauf los. Sie mochte ungefähr zwei Schuh tief gegraben haben, als sie auf Totengebeine stößt; der Herr sehe dem Dinge sehr freundlich zu, versichert Joseph der Mutter, die für die Freundlichkeit des fünfhundertjährigen Herrn wenig Sinn hat, und geistliche Lieder und Ave's und Beschwörungsformeln bunt durcheinander sich immer lauter in Gedanken zuschreit. Der Gebeine wurden immer mehrere, sie waren mit einem gewöhnlichen Schimmel überzogen und zerfielen an der Luft in Asche, um beiden Arm- und Beinröhren, dicht über den Hand- und Fußgelenken, lagen starke eiserne Bänder. Auf einmal ruft Joseph in die Grube hinein: »Mutter, der Herr will, daß ihr dort mehr rechts grabet; dort, wo er mit dem Degen hinzeigt, da liege sein Kopf, spricht er.« Die Mutter gehorcht und nach einigen Spatenstichen hebt sie einen Totenkopf heraus, dessen Stirn ein großer eiserner Ring umgibt. Nun war's mit der Mutter am Ende; mit jedem Knochen, den sie herausgegraben, hatte die Angst und das innere Lärmen sich gemehrt; halb in Verzweiflung hatte sie nach dem Schädel gesucht, sein Anblick gab ihr den Rest, sie warf den Spaten hin, und floh laut schreiend dem Dorfe zu. Joseph begriff die Mutter nicht, ihm war nie so wohl in seiner Haut gewesen. Als er den fremden Herrn fragen wollte, was denn das bedeute, war dieser verschwunden; kopfschüttelnd nahm Joseph seine fünf Ringe um den Spaten, spielte noch ein wenig mit der Knochenasche, und ging dann jubelnd dem Dorfe zu. Die fünf Ringe wurden später bei den Gerichten deponiert, wo sie noch jetzt zu sehen sind.

Als die Kommission die Untersuchung dieser Geschichte geendigt hatte, ohne die Sache selbst ins reine gebracht zu haben, entschloß sich eine hohe Amtsobrigkeit, durch die fünf Ringe aufgemuntert, den verheißenen fünf Truhen nachzuspüren: es ward von Amts wegen weiter nachgegraben. Im November 1809, wo Erzähler die Grube selbst gesehn, war man schon zu einer beträchtlichen Tiefe gelangt. Da die weitere Fortsetzung der Arbeit die Kräfte gewöhnlicher Tagelöhner überstieg, so ließ man, um nicht den Vorwurf halber Maßregeln auf sich zu laden, endlich gar Bergleute kommen. Diese erweiterten den Bau und trieben Gänge rechts und links; nicht lange, so wollte man es haben hohl klingen hören, man grub und grub; umsonst, die Truhen zeigten sich nicht; man kam auf Schutt, die Hoffnung wuchs; der Schutt wurde durchwühlt, er verlor sich, die Hoffnung sank. In der Verlegenheit, worin man sich befand, fiel es einem gescheiten Kopfe ein, daß Schätze ihre Kaprizen haben, die respektiert sein wollen, daß sie nicht jeder rohen Faust in die Hände laufen, sondern sich nur von sympathetischen Fingern berühren lassen, und tat daher den Vorschlag, den Joseph kommen zu lassen, um künftig bei der Arbeit gegenwärtig zu sein.

Da man schon im Dezember ziemlich weit vorgerückt war, so packte man den armen Jungen warm ein, gab ihm einen kleinen Spaten in die Hand, und hieß ihm hin und her ein Schaufelchen Erde herausheben. Man versprach sich sehr viel von dieser List, doch es schien, als wäre es dem Geiste mehr um seine Knochen als um die Truhen zu tun gewesen, denn auch die Gegenwart unsers Josephs verfing nichts. Der zunehmende Frost machte endlich dem Suchen ein Ende; im Frühjahr, beschloß man, sollte die Arbeit fortgesetzt werden, hat es jedoch unterlassen. Übrigens hat der Geist gegen Joseph nicht ganz undankbar gehandelt, als es auf den ersten Anblick scheinen möchte; denn wenn er ihm auch den gehofften Schatz, den er ihm übrigens nie versprach, entrückte, so hatte er doch wahrscheinlich veranstaltet, daß die Leute von nah und von fern herbeiströmten, um den kleinen Geisterseher zu sehn und reichlich zu beschenken.