Dies Stück, von Menschen dargestellt, Könnt des Prologes ganz entbehren; Wir würden ihm den Platz verwehren, Erwartete ihn nicht der Held. Er, auf's Symmetrische erpicht, Kurz war er bei uns zu Besuche, Ihr werdet ihn nun kennen lernen; Sieben Jahre werden noch verrollen, |
Der fliegende Holländer
Daland
Erik
Mary
Senta
Matrosen des Holländerschiffes
Matrosen vom Schiff des Daland
Vier Dienstmädchen
Ein Gespenst
Hochzeitsgäste
Wüste Insel. Im Hintergrund das Holländerschiff.
Holländer kommt langsam in den Vordergrund.
Aufs neue hat das Meer mich ausgespien,
Ohnmächtig, mich in seinen Schlund zu ziehn;
Der Erde wirft's mich zu – ob's der gelänge,
Daß sie den Bissen – ekelnd zwar – verschlänge.
Weit ist sie, und ihr dunkler Mutterschoß
Verdaut der ganzen großen Menschheit Los.
Mich aber will sie nicht: Drei Tage Ruh –
Dann wirft sie mich dem Meere wieder zu.
So schwankt mein Schicksal zwischen Meer und Erde,
Ohn' Hoffnung, daß ihm je Erlösung werde.
Ich merke, daß ich wieder an Land bin. Mein Geist taut langsam auf. Was bin ich? – Mensch. – Was bin ich noch? Ein halb der Historie angehörendes Wesen, auf das man Balladen singt. Jedermann weiß: Seit Jahrhunderten bin ich verdammt auf dem Meer zu fahren, bis mich ein Weib erlöst, das mir treu bis in den Tod bleibt. Ein jeder weiß, daß ich nur alle sieben Jahre landen darf. 124 Ein sonderbares, fast gespenstisches Gefühl, sich so doppelt zu empfinden. Seit einiger Zeit habe ich die fixe Idee, als spielte sich mein ganzes Schicksal wie auf einer Bühne ab, als führte ich selbst alle sieben Jahre mein eigenes Passionsspiel auf.
Das Schiff des Daland fährt herbei und landet.
Daland auf dem Schiff.
Brav gefahren, Steuermann!
Verfluchtes Wetter! Leg gut an!
Holländer sieht sich um. So empfinde ich jetzt zum Beispiel die Ankunft dieses Schiffes als viel zu früh. Ich bin noch längst nicht fertig mit dem was ich sagen wollte! Schuld an dieser Art, die Dinge anzusehen, trägt ein Stück, eine Oper, die ich vor vierzehn oder einundzwanzig Jahren einmal hörte. Sie hatte mich selbst zum Inhalt.
Daland. He Mannschaft! geht hinab zum Essen!
Ich selbst hab mich schon vollgefressen!
125 Holländer. Bin ich übrigens wirklich so unsympathisch, wie ich mir leider darin erschien? So passiv-anspruchsvoll? So blutsaugerisch-egoistisch? Ach, es mag wohl stimmen!
Daland steigt vom Schiff an das Land.
Dreht sich der Wind – ich bitt's mir aus:
Dann ruft mich, denn dann geht's nach Haus.
Matrosen steigen in die Kajüte nieder.
Holländer. Weshalb verschwindet diese Mannschaft so wortlos zu ihrer Mahlzeit? Ein Dankgebet, ein kleiner Chor oder so was wäre doch ganz wirkungsvoll! Namentlich, da meine eignen Matrosen schon so sehr wenig zu reden gewohnt sind und sich meistens zurückgezogen halten.
Daland. Zwar ist's nicht schön zu bummeln hier,
Doch macht's mir nun einmal Pläsier. Nähert sich langsam dem Vordergrund.
Holländer. Da kommt der Kapitän! Er wird eine Tochter haben, sonst hätte diese ganze Situation keinen 126 Sinn. Ach wie ich diese ewige Komödie endlich satt habe! Es kommt ja doch nie etwas dabei heraus! Und dazu muß ich mich noch in eine künstliche Frische, in einen unwahren Optimismus hineinreden. – Die Beleuchtung könnte düstrer sein, meinem Innern mehr entsprechend.
Daland. Was treibt der Herr hier an der Küste?
Verzeiht mir, wenn ich's gerne wüßte.
Holländer. Ich habe kaum Neigung ihm überhaupt zu antworten, aber ich muß mich nun langsam in Gang bringen.
Weshalb ich hier sei, fragt Ihr mich?
Weshalb seid Ihr denn selbst hier?
Daland. Ich? Mich hat ein böser Wind verschlagen!
Holländer. Das gleiche könnt ich gleichfalls sagen.
Doch frag ich weiter: Welch Motiv
Meint Ihr, daß in dem Winde schlief?
127 Daland. Nichts schlief im Wind! Der Wind, der pfiff!
Motiv? So heißt wohl Euer Schiff?
Das schläft, so scheints, mit Mann und Maus.
Erriet ich's, kommt es so heraus?
Holländer. Den ersten Akt blies er uns her,
Der ohn' ihn nicht vorhanden wär.
Daland. Herr Gott, mir scheint, der Mensch ist irre!
Holländer. Des Daseins rätselhaft Gewirre –
In Akten sieht es stets mein Geist,
Der immer um dasselbe kreist.
Daland. Seid Ihr ein Aktuar? Jurist?
Bureauchef? Schreiber? Diurnist?
Holländer. Ein Diurnist? Nur halb! Diurnum
Ist Komplement bloß von Nocturnum:
Schwarzweiß rotierend bilden diese zwei
Das Grau, das ewige, meines Einerlei.
128 Daland. Nun ist's am Tag: Er ist verrückt!
Holländer. Und Ihr? sagt mir: lebt Ihr beglückt?
Habt Ihr 'ne Tochter? Sprechet: ja!
Ihr habt sie – sonst wärt Ihr nicht da!
Für sich. Ich komme jetzt allmählich in das richtige Tempo!
Daland. Haha, nicht da? Nanu! Doch still,
Er mag nur reden was er will!
Ich hab sie! ja!
Holländer. Ich wußt es schon:
Sie sei mein Weib – Euch werde Lohn!
Ich sage Euch: Ich habe Kisten,
Gefüllt mit Perlenschnüren, Amethysten,
Smaragden, Diamanten, goldnen Ketten,
Armbändern, Spangen, teuren Amuletten!
Daland. Wieviel wollt Ihr mir geben?
Holländer. Eine.
129 Daland. Zu wenig.
Holländer. Zwei.
Daland. Aller guten Dinge sind drei.
Holländer. Besteht Ihr darauf?
Daland. Nicht mehr und nicht weniger.
Holländer. Da muß ich erst kalkulieren. Für sich. Wenn es so fortgeht, wird mein Fonds bald schmelzen; um meines Äußern allein willen werden mich Mädchen kommender Jahrhunderte nur wenige nehmen. Zieht einen Handspiegel und betrachtet sich sorgfältig.
Daland. Er kalkuliert mit einem Handspiegel? Heissa, er ist vollkommen blöde! Senta ist verlobt, die bekommt er nicht. Ich gebe ihm die alte Mary. In seinem wirren Sinn wird er kaum einen Unterschied bemerken.
130 Holländer für sich. Wundervolle Reste sind es zum mindesten, was ich da in dem Spiegel sehe. Die See konserviert; nun, er soll seine drei Kisten haben. Der nächste Vater bekommt dafür nur eine.
Der nächste Vater? Herr der Erde,
Begreif es, wenn ich bitter werde!
Nenn es nicht zynisch! Deine Huld
Bezeichn' es nur als Ungeduld.
Daland. Was zögert Ihr? Ihr tut mich bald entlusten!
Holländer. Nun denn: He! Mannschaft! Drei von den bewußten!
Matrosen vom Holländerschiff bringen drei Kisten. Ihre Köpfe hängen herunter, die Zähne sind sichtbar, die Augen geschlossen.
Holländer währenddessen.
Dies Geldmotiv – an sich recht widerwärtig –
Braucht ich schon zweimal, brauch's auch gegenwärtig.
Die Oper bracht mich drauf! Ich sah mich um:
Ganz selbstverständlich schien's dem Publikum;
131 Nicht einer fand daran was auszusetzen;
Drum braucht's auch mich nicht weiter zu verletzen.
Daland glotzt die Matrosen an.
Daland. Kommt ihr von weit her, ihr Matrosen?
Uralt, zerschlissen scheinen eure Hosen! –
Sie sehn mich nicht, gesenkt sind ihre Köpfe:
Das scheinen ausgemachte Tröpfe!
Holländer. Sie pflegen auf dem Lande stumm zu sein,
Gefährlich sind sie: stellt Eu'r Reden ein!
Daland. Gefahren acht ich für nen dummen Quark:
Ein Seebär bin ich, muskelfest und stark!
Sagt: Ist das Sand in euren schmutz'gen Mähnen?
Tragt ein Gebiß! Fort mit den faulen Zähnen!
Prost Mahlzeit allen Mädchen die euch küssen!
Ich habe niemals noch so lachen müssen!
Bricht in ein schallendes Gelächter aus. Die Matrosen heben langsam die Köpfe; ihre Augen öffnen sich.
Daland. Wacht ihr endlich auf, ihr elende Gesellschaft? Was starrt ihr mich so an?
132 Matrosen. Wa– wa– was weckst du uns?
Wa– wa– was neckst du uns?
Ve– ve– verdammter Schwadroneur!
Ve– ve– verdammter Po– Poseur!
Daland. Wartet, ihr Hallunken, ihr Schweinigel!
Läuft mit geballten Fäusten auf sie zu und hebt die Arme. Die Matrosen fassen sich währenddessen an den Händen und führen einen lautlosen Kreistanz um ihn aus. Daland bleibt unbeweglich, mit erhobenen Armen stehen.
Holländer sehr laut. Dieser Zwischenfall ist unprogrammäßig!
Matrosen tanzend.
Sei starr und wirr haha hihi
Sei toll und irr hihi hoho
Gold das gleißt hoho huhu
Brenn deinen Geist, laß dir nicht Ruh
Haha hihi hoho huhu!
Holländer. Schlenkert eure Körper nicht so! Eure Gliedmaßen sind morsch! Vergeßt doch nicht, daß ihr 133 am Lande tot seid! Marsch mit euch zurück aufs Schiff, ihr Automate!
Von einigen reißen die Hände ab und fallen zu Boden. Alle eilen mit verworrenem Gelächter auf das Schiff zurück.
Holländer wirft ihnen die Hände auf das Schiff nach. Repariert das so gut ihr könnt, und verhaltet euch für den Rest des Aktes ruhig, ich bitt's mir aus! . . . Da steht der alte Kerl immer noch verzaubert und versteinert; ich muß ihn wieder in Ordnung bringen. Dreht ihm langsam die Arme herunter. He, Kapitän! Rüttelt ihn.
Daland kommt wieder zu sich.
Mir ist so schwer, mir ist so wirr,
Mir ist so leer, mir ist so irr.
Ich habe irgend etwas Entsetzliches geträumt. Lebt wohl, ich will Euer Gold nicht, mir ist unheimlich zu Mute. Will gehen.
Holländer. Herrgottsakrament, glaubt Ihr ich hätte meine Zeit gestohlen? So seht Euch die Kostbarkeiten doch wenigstens an! Für sich. Ich muß ihm zu Hilfe kommen, mit Beredsamkeit, mit echter Poesie, 134 die wirkt auf primitive Menschen zuweilen erstaunlich. Sie und der Anblick des ganzen Plunders wird seine eingeschüchterte Gier wieder stark machen. Öffnet die erste Kiste.
Seht die köstlichen Gehänge,
Der Steine funkelndes Gedränge!
Hört dieses Goldes leises Rauschen!
Seht wie es blitzt gleich Goldkarauschen!
Daland beginnt zu zittern und tritt unruhig von einem Bein auf's andere.
Holländer öffnet die zweite Kiste.
Glutrot den Abendhimmel malen
Der späten Sonne letzte Strahlen.
Doch ob sie noch so brennend schienen:
Es blasst ihr Glanz vorm Brand meiner Rubinen!
Daland zittert noch heftiger. Mein Kopf, mein Kopf, mein armer Kopf!
Holländer öffnet die dritte Kiste.
Aufleuchtet dann an tiefem Abendhimmel
Kristallner Sterne seliges Gewimmel.
Nun aber blickt auf meine Diamanten!
Sagt ob die Sterne je so feurig brannten,
135 Ob der Saphire dunkelblaues Heer
Nicht überglänzt das Himmelsabendmeer?
Daland tut einen plötzlichen Ruck, dann umtanzt er alle drei Kisten.
Huhu hoho hihi haha
Haha hihi hoho huhu!
Holländer. So ist's recht! Fahrt voran mit Eurem Schiff, ich folge mit dem meinen. Es ist schneller als das Eure; wenn Ihr landet, findet Ihr zu Haus schon Eure Kisten. Der Wind ist günstig, er hat sich gedreht, er muß sich gedreht haben, denn jetzt geht es auf den zweiten Akt los! Ich bleibe noch ein bischen hier, denn ich muß noch etwas sprechen.
Daland der inzwischen in den Kisten gewühlt hat. Mit wem? haha? Mit wem? hoho?
Holländer. Mit niemand. Ich kann Euch das nicht so erklären. Wie ich sagte habe ich Wind, daß der erste Akt jetzt schließt. Auf mir ruht die Verantwortung, ich bin die Hauptperson und muß dafür sorgen, daß er auch rund abschließt, mit einem tadellosen Monologe. Benachrichtigt bitte inzwischen Eure Tochter.
136 Daland geht langsam auf den Holländer zu, sieht ihm dicht in's Gesicht, als ob er sich mühsam besänne, dann schlägt er die Hände vor die Stirn und bricht in ein lautes Gelächter aus.
Macht rasch, macht fix, das Bräutlein wartet,
Haha, hihi, drum schnell gestartet!
Mit vielen Verbeugungen ab; zugleich erscheinen die Matrosen auf dem Schiff.
Matrosen. Guter Wind, Kapitän!
Kapitän, guter Wind!
Steigt ein geschwind,
Geschwind steigt ein,
Die Winde blähn
Das Segellein!
Kapitän, Kapitän,
Steigt ein, steigt ein!
Daland steigt ein.
Was Kapitän! Ein jeder hör:
Von heut an heißt's »Herr Poposeur!«
Schiff fährt ab.
Holländer allein. Geschäh dies alles auf einer wirklichen Bühne, so würde ich sagen: Es ist unpsychologisch, daß der 137 alte Kerl die Hauptsache, seine Kisten, hier hat stehen lassen. Das Leben ist doch einfacher als die Kunst, und deshalb will ich meiner verkünstelten Anschauung einen Zaum anlegen und keine großen, abschließenden Worte mehr machen. Meine schnurgrade Fahrtlinie von hier zum Wohnplatz des Kapitäns kann als Aktstrich gelten, wenn ich nun einmal durchaus an solchen Äußerlichkeiten hänge. Und doch: Drängt nicht alles zu einem Monologe, jetzt, dicht vor der Entscheidung?
Wird die Erlösung diesmal wirklich walten?
Des plumpen Vaters Tochter Treue halten?
Ach, früher war mein Selbstbewußtsein größer:
Die Schönste späht' ich aus, so wie der Stößer
Herabschießt auf die glänzendste der Tauben.
Nun aber liegt's wie Reif um meinen Glauben.
Die Schwungkraft fror ihm, sein vereist Gefieder
Hebt sich nur mühsam, und sein Flug ist nieder.
Gott, willst du meines Schicksals mich entbinden,
Laß mich Erlösung, ganz bescheidne, finden.
Und schweb ich etwa in Apotheose,
So weiß ich: Nicht dank ich sie meinem Lose;
Weiß ich, daß ich nicht selbst mit ihr gemeint bin,
Nein, jene bloß, mit der ich dann vereint bin!
Vorhang.
Stube im Hause Dalands. Nachmittag.
Senta (im Lehnstuhl). Erik.
Erik. Nächsten Monat bekomme ich meine Stelle als Postvorsteher, und dann werden wir heiraten.
Senta. Ich bitte dich: Sage doch nicht jeden Tag dasselbe. Weshalb nur?!
Erik. Weil ich mich so unendlich darauf freue! O was für ein stolzes, schwellendes Gefühl, wenn ich dann jahraus jahrein meine feste, dauernde Einnahme habe! Dein Vater wollt' mir dich nur geben, wenn ich das unsichere Jägerhandwerk an den Nagel hinge. Nun hängt die Flinte wirklich verrostet an dem Nagel, und es ist mir manchmal beinah schier als sähe sie mich recht traurig wehmütig an und fragte: Wo bist du geblieben, mein Jägerbursch mit den wackern kühnen Augen? Aber glaube mir: Ich verzichte gern auf meine frühren Freuden: Habe ich doch ein edler Wild erjagt als selbst 139 Prinzen und Königsöhne jagen können: Dich, Senta, meine Braut und bald mein braves Weib!
Senta. Ach! Prinzen und Königsöhne . . .!
Erik. Du mußt den armen Erik nun so nehmen wie er ist! Von außen ist nicht viel an ihm zu sehn, aber in seiner Brust schlägt ein biederes Herz, treu wie Gold und lauter wie der reinste Quell.
Senta gähnt.
Erik. Bist du müde, Liebste? Ich habe schon zu lang geweilt. Ich muß aufs Bureau, zum Nachmittagsdienst. Aber zuvor noch einen süßen Kuß!
Senta. Laß doch, ich mag nicht!
Erik. Aber Senta, es sieht uns ja niemand.
Senta. Du bist außerdem nicht rasiert.
140 Erik. Ich schneide mich so leicht beim Rasieren. Schau Senta, denkst du dir das nicht hübsch: Wenn wir erst verheiratet sind, balbierst du mich; ich sitze dann im Lehnstuhl, und jeden Morgen balbiert mich meine kleine, süße Frau!
Senta springt auf. Jetzt habe ich es satt! So geh doch endlich!
Erik. Nun nun, 's war ja nicht bös gemeint. Und meinen Kuß? Wenn du nicht willst, nimmt ihn sich dein Bräutigam mit neckischer Gewalt!
Küßt sie schnell und läuft durch die Mitte ab.
Senta. Ich mag ihn nicht mehr, ich mag ihn nicht mehr, – ich kann mir nicht helfen! Wie mach ich's nur, daß ich ihn nicht heirate?! Ich will mich auf mein Bett legen, und weinen.
Ab nach links.
Holländer und Daland treten durch die Mitte ein.
Holländer. Ihr redet irr; stets springt Ihr ab vom Text!
Für sich.
Die Mannschaft hat ihn wirklich arg verhext!
141 Daland. Haha! Hehe! Hoho! Hihi!
Er selbst ist irr und weiß nicht wie!
Wart nur ein wenig Meisterlein,
Ich bring dir gleich die Braut herein! Ab nach rechts.
Holländer. Merkwürdig! Alle Stimmung ist verflogen,
Und meine Seele hat sich leis umzogen,
So wie im März der Himmel tröstlich leuchtet,
Bis unversehnes Naß die Erde feuchtet.
Wodurch? Warum? Wo soll es denn noch hin,
Wenn ich schon grundlos melancholisch bin?!
Ich will mich ein wenig zerstreuen, bis die Tochter kommt. Sieht sich um. Ein ganz schönes Zimmer! Über der Tür hängt auch kein Bild von mir, was unnatürlich wäre. In der Oper damals hat mich jenes Bild empfindlich geärgert. Die Kunst will das Leben stets verbessern, aber die Natur übernaturt die Kunst. – Doch sieh! Eine Uhr ist da! Wie schön! Wie natürlich! Halb drei ist es also jetzt! O, wieder in der Zeit zu leben! Zu wissen, daß es jetzt halb drei ist! Was für ein beglückendes, 142 was für ein berauschendes Gefühl! . . . Ich höre sie kommen, die Braut kommt!
Zieht rasch seinen Handspiegel, ordnet Haar und Bart ein wenig, und stellt sich mit untergeschlagenen Armen und etwas erhobenem Haupt in Positur.
Daland tritt mit Mary ein.
Daland. Nur nicht so schüchtern! Aus entlegnen Fernen
Kam dieser Herr und möcht' dich kennen lernen.
Hier, Meisterlein, hier ist die Braut!
Sagt selbst, ob sie nicht gut ausschaut.
Holländer läßt langsam die Arme sinken und beugt den Oberkörper etwas vor. Er und Mary stehen sich starr gegenüber.
Daland. Wie? Redet ihr kein einzig Wort?
So sprecht doch! Nun, ich mach mich fort!
Mein Kopf geht um wie eines Töpfers Rad;
Da hilf nur eins: Ich nehme gleich ein Bad.
Die Badewanne füll ich mit den Steinen:
Nackt drin zu wühlen will mir lustvoll scheinen! Hüpfend ab durch die Mitte.
Holländer nach einer Pause, bewegungslos.
Ist dies ein Spuk? Durch meine Seele gleiten
Traumnebelschleier . . . aus verworrnen Weiten
143 Pocht ein vergessner Ton – die Nebel schwanken,
Zerlösen sich und rinnen zu Gedanken:
Sie ist's! – Bist du nicht ein Gespenst, so sprich
Bei dem allmächtigen Gotte: Kennst du mich?
Mary. Täuscht mich ein Traum? Betrügt mich nicht ein Schein?
Er wär es wirklich? Könnt es Wahrheit sein?
Fliegender Holländer! Noch immer treibt
Dein Wesen hier auf Erden, lebt und leibt?
Und bist du abermals zu mir gekommen?
O! hättst du Abschied nie von mir genommen!
Holländer. Und auch du, Mary, lebst und leibst noch immer?
Wie kommst du in dies Haus, in dieses Zimmer?
Und sag: Vor wieviel mal sieben Jahren war es?
Mary. Erspar es mir, die Flucht so manchen Jahres
Mir treppenartig zu vergegenwärtigen.
Holländer. Zum Mann gewiß, zum backenbärtigen,
Wuchs wohl inzwischen manches Kind heran.
144 Mary. 'S mag wohl so sein, doch darauf kommt's nicht an.
Hauptsache: geistig bin ich jung geblieben!
Ach, nichts soll diesmal zwischen uns sich schieben!
Denn diesesmal erlös ich dich und mich:
O glaube mir: Niemals vergaß ich dich!
Holländer. Liebe Mary, laß uns nach unserer ersten Begrüßung nun auch wieder in die nüchterne Alltäglichkeit zurückkehren: Du hängst noch an mir – das freut mich. Aber ich bitte dich: Verlaß mich sogleich! Ich erwarte die Tochter des Kapitäns, und da es sich, wie du weißt, bei mir nicht um eitle Liebelei und Zeitvertreib handelt, so darf ich hinzusetzen: Sie kommt meinetwegen. Der Weltenregisseur hat sich vergriffen: statt ihrer führte er dich herein; aber er wird gleich jetzt, im Augenblick, den Irrtum korrigieren.
Mary. Die Tochter des Kapitäns erwartest du? Die ist verlobt und heiratet nächsten Monat.
Holländer. Aber ich gab ihrem Vater doch drei edle Kisten als Lohn für diese Tochter!
145 Mary. Dann hatte er von Anfang an im Sinn dir anstatt ihrer mich zu geben!
Holländer. Fluch, Schande, Rache jenem Mann,
Der meine Kisten sich gewann!
So erwarte ich seine Tochter wirklich hier vergebens?
Mary. Mein Wort darauf! Was blickst du so betrübt? O Holländer, preise doch das Geschick, das dich und mich ein zweites Mal begegnen ließ! Was hilft dir ein junges Mädchen! Hat dich ein einziges bis jetzt erlöst? Und denk an deine Mannschaft! Das sind doch auch Menschen, die sterben wollen! Ich aber – sieh – ich bin gereift geworden. Übrigens bin ich nicht ganz so alt wie du vielleicht denkst. Ist dir Erlösung beschieden, so wird sie dir durch mich, das sagt mir ein felsenfestes, untrügliches Gefühl. Die Zeit der Stürme ist vorbei, für dich, und auch für mich.
Holländer. Aus deinen Worten spricht Resignation. Deine Seele singt die zweite Stimme zu der Weise, die im tiefsten Grund mein eignes Heer schlägt. Jetzt, 146 heute noch hier aufbrechen, eine ganz neue Bekanntschaft suchen, wo der erste meiner drei Tage schon fast zum Ende geht – ich habe nicht die Kraft dazu. So will ich denn im Zufall den Finger Gottes sehn und deine Hand zum andern Mal ergreifen.
Mary. Ich danke dir für dein Vertrauen, und werde es nicht enttäuschen. Wie aber soll die Erlösung vor sich gehn?
Holländer. Die Frage verwirrt mich . . . und doch: sie ist ganz einfach, wenn man sie fest ins Auge faßt: Meine Erfahrungen sagen mir folgendes: Es kommt jetzt darauf an, einen Nebenbuhler zu schaffen; dann stellen sich die seelischen Konflikte ein und es wird sich zeigen, ob deine Treue bis zum Tode stand hält. Nenne mir jemand, mit dem du in tägliche Berührung kommst.
Mary. Ich wüßte nur den jungen Mann hier, den Verlobten.
Holländer. Jung?
147 Mary. O ja.
Holländer. Hübsch?
Mary. Recht anmutend. Aber ich fürchte, er wird von Anfang an nicht wollen, und ich bringe mich hier in einen üblen Geruch.
Holländer. Es kommt nicht darauf an, ob dieser Mensch will oder nicht: Du mußt wollen.
Mary. Ich sehe entsetzliche Dinge in der Zukunft.
Holländer. Um so besser, um so besser.
Mary. Mir scheint, du bist etwas egoistisch geworden?
Holländer. Wundert dich das? Ein Mensch, der auf der Welt an nichts andres zu denken hat als an seine Erlösung, wird egoistisch.
148 Mary. Also will ich es versuchen.
Holländer. Dann fange möglichst bald an!
Erik tritt ein, von rechts.
Mary. Das ist er!
Erik. Ist meine Braut nicht hier? Ich fand eben auf dem Weg zur Post diesen hübschen kleinen Nickelbleistift; vielleicht kann sie ihn brauchen.
Mary. Erlaubt, daß ich euch bekannt mache: Dies ist ein frührer Freund von mir; sein Name ist Holländer.
Erik. Wie freut es mich, einmal einen richtigen großen Finanzmann kennen zu lernen! Gewiß ist der Herr Chef der berühmten Bankfirma Holländer & Lewisohn!
Holländer. Ein naives Gemüt! – Sehe ich so aus? Nein mein Herr, ich kann meine urgermanischen Vorfahren durch viele Jahrhunderte zurückverfolgen, 149 und zwar ganz leicht; da gibt es keine Lücken, denn ich repräsentiere sie gleichsam alle selber. Ich bin auch kein Bankier – eher Bankrotteur – in gewissem Sinne.
Erik. Ei das macht mir der Herr nicht weiß! Es hat sich ja schon herumgesprochen, wie schwer reich der Herr unsern Kapitän gemacht hat, nur für ein paar Nächte Logis in seiner Wohnung.
Holländer für sich. Mich weht hier eine leise Trivialität an: Mein Schicksal kursiert bereits als falsche Münze durch die Hände der Leute. Geht langsam zur Mitteltür. Ich will mich entfernen, in den Garten gehn, bis Mary die Sache hier in Gang gebracht hat. Gott sei Dank ist mir der Mensch tief unsympathisch, das gibt dem Konflikt noch eine scharfe, treibende Medizin. Ab durch die Mitte.
Erik. Der Herr hat ein sonderbares Wesen! Weshalb ging er ohne Abschied fort?
150 Mary. Ach Erik, ich muß erröten hierauf zu antworten. Hast du nicht bemerkt, daß er eifersüchtig ist? Er ist gekommen, mich zu heiraten. Ich sagte ihm, daß mein Herz schon gebunden ist.
Erik mit dummem Ausdruck. An wen?
Mary. Weißt du es nicht? Sagt es dir nicht mein Blick?
Erik. Ist sie nicht bei Verstand?
Mary. O Erik, könntest du mich nicht lieben?
Erik. Ich will dir mit einem Gleichnis antworten: Wie ich noch als schmucker Jägerbursch mit jubelnder Brust durch Gottes freie Natur streifte, da liebte ich die gefiederten kleinen Sänger in den Zweigen, den Waldesdom mit seinen Bäumen, und unter ihnen ganz besonders eine alte Eiche . . .
Mary. Nun?
151 Erik. So wie diese Eiche liebe ich auch dich.
Mary. Hm; soll ich ihm sagen, worum es sich handelt? Ich glaube nein, er darf es nicht wissen; alles muß von innen kommen. Erik, dein Bild gefällt mir nicht! Die Eiche ist ein Bild der Männlichkeit. Du bist die Eiche! Eine junge, starke! An sie rankt sich der Efeu! O laß mich wie der Efeu tun! Eilt mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu.
Erik um den Tisch herum. Bist du wahnsinnig geworden?
Mary. O stoße mich nicht fort! Du weißt nicht, was davon abhängt!
Erik. Wehe! Sie ist vollständig verrückt!
Entflieht durch die Tür rechts; Mary hinter ihm drein.
Senta tritt ein von links.
Senta. Mein Vater ist zurückgekommen. Er redet sonderbar verwirrt, von Edelsteinen, tollen Fremden und 152 Gespenstern. Ich wollte ihn zu Bett bringen, aber er wehrte sich, und nun hat er sich eingeschlossen . . . Ich schlief vorhin so schön und träumte von einem gebräunten Abenteurer. Ich fühle mich recht unglücklich, Gott weiß seit wann. Unglücke, in die man hineingerät ohne es zu merken, sind die allerschlimmsten.
Holländer lugt durch die Mitteltür herein. Der Konflikt muß im schönsten Gang sein, wenn der Dialog einigermaßen geschickt angelegt ist. Ha! Wer ist dieses Mädchen?!
tritt ein und geht mit starren Augen ganz langsam auf Senta zu, die mit kurzem Aufschrei Schritt für Schritt zurückweicht, bis sie endlich an der Wand steht.
Kurze Pause; keines wendet den Blick vom andern.
Senta. Wer ist der Mensch? Der Augen düstrer Brand
Hat mich bewegungslos am Fleck gebannt!
Adel verrät sein Äußres, und sein Blick
Spricht von geheimem, tragischem Geschick!
Vom Sternenhimmel und vom wilden Meer
Trägt er verschwiegen – weite Wittrung her.
Ihn drückt ein Seelenleiden, ja, ich merk es;
Und ich – so will mir scheinen – ich verstärk es.
153 Holländer. Sie spricht von Seelenleiden? O, mir schwant es:
Mein unheilvolles Erdenlos – sie ahnt es!
Was ist es, Fräulein, das Euch so bewegt?
Senta. Was ist es, Fremder, das Euch so erregt ?
Holländer. Ich fragte Euch . . .
Senta. Euch fragte ich . . .
Holländer. Mich fragte sie . . .
Senta. Er fragte mich . . .
Beide. Geheimnisvoll und unbekannt
Was uns die Sprache hat gebannt.
Mary tritt wankend, halb ohnmächtig ein, von rechts, und läßt sich in einen Sessel fallen.
Mary stoßweise. Ich kann nicht mehr! War das eine Jagd. Der Sonnenbrand, die Hitze. Weit in die Felder lief 154 ich ihm nach. Er floh vor mir, er will mich nicht. Sieht auf. Was ist denn das? Reibt sich die Augen. Was stehn die beiden da wie zwei Bildsäulen? Die Pose kenn ich! Ah der Schurke! Er ist dabei, Senta den Kopf zu verdrehen, während ich mich draußen für ihn abarbeite! Springt auf. Auseinander! Ihr!! Zerrt Senta am Arm. Hinaus! Marsch! Kümmere dich um deinen Vater! Er tanzt wie verrückt in seinem Zimmer! Du tust als ob du mich überhaupt nicht hörtest? Hat etwa deine frühere Kindsmagd keine Gewalt mehr über dich?
Sie drängt Senta mit aller Kraft zur Tür links hinaus; Senta dreht dabei den Kopf zum Holländer zurück und hält den Blick unbeweglich auf ihn gerichtet.
Mary. Sag mal, schämst du dich nicht?
Holländer kommt wieder zu sich. – Mary – bemühe dich nicht weiter, ich fange von neuem an. Ich habe das allerdeutlichste Gefühl, daß ich erst jetzt auf den eigentlichen Weg, in das richtige Fahrwasser komme.
Mary. Das ist ja reizend!
155 Holländer. Wie und wodurch soll denn der Erlösungsakt nun zwischen mir und dir vor sich gehn? Ich habe deine Worte vorhin sehr wohl gehört: Das alles ist ja Unsinn!
Mary. Du hast mir das doch selbst vorgeschlagen!
Holländer. Was du dir künstlich aufbauen willst, ergibt sich hier von selbst: Eine Braut, ein Verlobter; ich mache einen außerordentlichen Eindruck, sie gerät in Konflikte, die Konflikte werden sich ganz gesund entwickeln! Und hast du dich nicht vorhin als frühre Kindsmagd bezeichnet? Warst du das, so warst du wohl auch Amme; und dann bist du von vornherein nicht die Richtige. Schäm dich.
Mary. Schäm du dich, mir etwas derartiges zuzutrauen! Glaubst du ich weiß nicht, was in dir vorgeht? Matt und elend kamst du an Land, und dachtest nur an Ruhe. Jetzt hast du dich erholt, alle Resignation ist zum Teufel, und du willst ein Stückchen über die Resignation hinaus genießen. Aber warte, jetzt werde ich alles dem alten Daland erzählen!
156 Holländer. Daland? Daland? Der Opernkapitän?
Mary. Und auch dem Erik einen deutlichen Wink geben.
Holländer. Erik? der sentimentale lyrische Tenor? Dies Mädchen – ich ahne es – Senta ist dieses Mädchen!
Hilf Himmel, Schwindel packt mich an!
Mystischer Faden, den das Schicksal spann!
Mary. Kennst du die etwa auch schon von früher her?
Holländer. Ich kannt sie nicht, doch sah ich sie –
Ich sah sie nicht, doch kannt ich sie!
Und du ? Dann bis du ja – Bricht in ein lautes bitteres Gelächter aus – die alte Opernspinnerin?! Ich soll mich durch eine alte Opernspinnerin erlösen lassen? Jetzt ist mein Entschluß besiegelt! Gott sei Dank, noch bin ich frei! Du hast mir Treue gelobt, doch noch nicht beschworen! Das rettet mich. Leb wohl!
Mary. Holländer! Bleib! Hier findest du dein Heil!
Durch Senta nicht, durch mich wird's dir zu teil!
157 Ich selber tilge deiner Qualen Rest,
Ich, die du unbewußt erwartetest!
Holländer. O schweige! Du bist mir zu alt!
Mary. Zu alt? Sieh deine eigene Gestalt!
Holländer. Wir brachen einmal das Verhältnis schon!
Mary. Gereifter reden wir in reiferm Ton.
Holländer. Was brach, will, daß man es nicht wieder koppelt.
Mary. Im Gegenteil! Gekittetes hält doppelt!
Holländer. So lang du hier, flieh ich! Wo ist mein Hut?
Mary. Dein Hut und Schirm in mir nur ruht!
Ich lass dich nicht bis an mein Ende!
158 Holländer. Los! Laß mich los! Hinweg die Hände!
Mary. O bleibe, bleibe, zieh nicht von mehr dannen!
Ha – jetzt weiß ich das Mittel dich zu bannen!
Hier auf den Knien eidlich beschwör ich –
Holländer. Um Gotteswill'n – –
Mary. Der Himmel hör mich –
Holländer. Halt ein! ich fleh dich an: Halt ein!
Mary. – – Dir treu bis in den Tod zu sein!
Holländer taumelt und sinkt zu Boden.
Kurze Pause.
Mary. Ein schöner Dank für meine Liebe! So steh doch endlich wieder auf! Dein Benehmen ist wahrhaftig wenig taktvoll!
159 Holländer. Takt ?! Mein Schicksal ist aus dem Takt gekommen! Ja selbst die Zeit ist aus dem Takt gekommen! Sieh auf die Uhr dort! Vor Entsetzen ist sie verdreht geworden, ihre Zeiger sind rückwärts gegangen, und jetzt stehn sie wieder auf halb drei! Genau wie im Momente als ich eintrat! Inzwischen ist es viel später geworden. Was hätte längst geschehen, vorbereitet sein können! Und wir sind immer noch an dem gleichen Punkt! Du willst mich erlösen? Erlösung will Fortgang, Handlung, dramatische Verknüpfung; du aber zwingst mich hier in einen endlosen Dialog hinein. Wenn es in dem Tempo weitergeht, so kommen wir überhaupt nicht mehr zum Erlösungsakt! Geh für mich in den Tod! Sofort, jetzt gleich! Spring von der Spitze der Dorfkirche herab! Erhebt sich.
Mary. Mir scheint, Du möchtest mich gern los sein? Um es dann sofort mit Senta zu versuchen? Mein Freund, glückt mir die Erlösung nicht, dann steht dir nichts im Wege; aber vergiß nicht: das kann dann erst in sieben Jahren sein!
Holländer. Weib, ich fange an, dich zu hassen!
160 Mary. Die Ehe wird deine Gefühle klären.
Holländer. Ehe? Gerechter Himmel! Es kommt doch nicht zu einer Ehe?
Mary. Aber selbstverständlich.
Holländer. Unmöglich! Geht im Zimmer umher. Sehr schnell. In der Oper wurde etwas Ähnliches auch einmal angedeutet, und ich dachte: Wie malt sich in diesem Dichterkopf meine wirkliche Welt! Er hatte nicht einmal begriffen, weshalb ich immer nur drei Tage an Land sein darf – doch nur um die Anmeldung zu umgehn! Da sehn die Dichter immer Tiefes und Symbolisches in ganz real und praktisch ausgedachten Dingen und entstellen die handwerklich schönen und soliden Sachen mit ihren künstlerischen Schnörkeln. – Mary! Hast du eben etwas zugehört, so weißt du schon, daß ich gar keine Papiere besitze!
Mary. Du hast doch deine berühmten edlen Kisten! Mach einen armen Teufel von Seemann glücklich mit 161 einer Handvoll Diamanten – er gibt dir gern dafür alle seine Papiere!
Holländer. Ausgeschlossen! Sie sind an Bord und ich darf mein Schiff in der Zwischenzeit nicht betreten.
Mary mißtrauisch. So? – Nun dann nehme ich eben dem Daland ein paar Steine weg. Es ist Sünde gegen das siebente Gebot, aber das schadet nichts.
Holländer. Siebente Gebot?! Du kennst ja nicht einmal unsere primitivsten Satzungen! Du verwechselst die Gebote mit den Jahren! Die Sieben kommt bei den Jahren vor! Von Geboten gibt es nur das eine: Treue bis zum Tod.
Mary. Beschäftige du dich lieber einmal wieder ein wenig mit der Bibel! Ich gehe jetzt gleich in Dalands Zimmer. Ha, da kommt er selbst!
Daland stürzt durch die Mitteltür zum Zimmer herein. Er ist über und über mit Ketten, Armbändern, Edelsteinschnüren behangen.
162 Daland im Laufen. Hu hu hu, sie kommen! Kriecht eilig unter den Tisch.
Mary. Was fällt dir ein? Was soll das heißen? Wer kommt?
Daland. Da! da! da sind sie! Hu! Zieht die Tischdecke ganz herunter.
Holländer halblaut zu Mary. Er meint meine Matrosen. Die schlafen in dem Schiff. Er ist vollständig betrunken.
Daland fährt unter der Decke hervor. Du Schuft! Du dummer Junge! Was bin ich? Wo sind sie? In meinem Zimmer sind sie, an den Wänden stehn sie, steif wie die Latten! – Kerle! sagte ich; da wurden ihre Lippen so breit – so breit – und da sah ich: Statt der faulen Zähne hatten sie doppelte spitze Zahnreihen, so wie die Haifische.
163 Mary. Komm Daland, geh mit mir zurück; ich schütze dich! Niemand darf dir etwas tun. Aber sag auch nicht wieder »Kerle«. zieht ihn unter dem Tisch hervor.
Daland weint.
Mary zum Holländer. Ich werde ihn beruhigen, und währenddessen tue ich einen raschen Griff in eine seiner Kisten. – Komm Daland, ich bringe dich zu Bett.
Daland. Zu Bett?! Ich schlafe keine einzige Nacht mehr in dem Zimmer, wo die Kerle waren! Hier will ich schlafen, hier! Und wenn das Bett nicht bis zum Abend hier steht, so ermorde ich dich, ermorde ich dich wahr und wahrhaftig!
Mary. Ich verspreche es dir hoch und heilig.
Daland sich erhitzend. Und den Menschen da, den Menschen da, den müssen wir einsperren! Jetzt tut er als ob er vernünftig wäre! Aber ich weiß, was ich weiß! Ich 164 habe viel zu wenig Kisten, viel zu wenig, ich muß sie alle haben! Und wenn du sie mir nicht freiwillig gibst, du Schuft, du Hund . . .
Mary zieht ihn hinaus.
Holländer allein.
Holländer. Jetzt ist der Moment da, wo mein zurückgehaltenes Gefühl in einem Monologe losbrechen muß. Jetzt ist die Stimmung echt, jetzt ist sie elementar!
Mein Schicksal hat sich umgekehrt!
Ich flieh wonach ich sonst begehrt!
Noch niemals kam's zu einer Heirat!
Verläßt du, Gott, mich ohne Beirat?
Ein Rätsel ward mir mein Geschick:
O, laß mich auf das Meer zurück!
Doch ach! Mein Schiff liegt festgebannt
Drei Tage lang am Felsenstrand.
So laß es, Gott, denn beim Verloben!
Mary bestehe ihre Proben –
Ward sie mir wirklich ausersehn –
Eh wir zum Standesamte gehn! Kniet nieder.
Erhöre mich! Aus deinen Sternenreichen
Gib mir ein Zeichen, o, gib mir ein Zeichen!
Pause.
Kein Zeichen gibt er – ringsumher
Liegt Schweigen, fern nur rauscht das Meer. Erhebt sich langsam.
165 So bin ich denn auf einen dramatisch vollkommen toten Punkt gekommen; ich weiß nichts mehr zu sagen, nichts zu tun. Ich bin ein Räderwerk, das abgelaufen ist. – Und die Uhr da an der Wand steht immer noch auf halb drei? Jetzt wird mir klar: Aus ganz gewöhnlichen Gründen zeigt sie immer dieselbe Zeit an! Sie ist einfach nicht aufgezogen! Ach, könnte ich mich selbst so aufziehn, wie ich nun diese Uhr aufziehen werde, da ich sonst nichts zu tun habe und die Pause peinlich werden könnte! Steigt auf einen Stuhl an der Wand und streckt den Arm aus. Erschrocken. Herrgott, die Uhr ist ja gemalt! Springt vom Stuhl herab; verlegen. Ich glaube, ich habe da einen entsetzlichen faux pas gemacht.
Dämmerung beginnt.
Senta lugt vorsichtig durch die Tür links und tritt dann ein.
Senta. Ist Mary fort?
Holländer. O Perfidie
Des Himmels! Senta – grade sie!
Geliebte! Still zu deinen Füßen
Laß mich verschwiegne Neigung büßen. Kniet.
166 Senta. Nein, mich laß ewig vor dir knien!
Hör mich, o Gott, ich lieb nur ihn! Kniet ebenfalls.
Holländer. Verzeih der Himmel, daß ich ihn geschmäht!
Lebendige Antwort gab er dem Gebet!
Senta. Schon früher sah ich dich bedrückt; o sprich:
Welch Los belastet dich so fürchterlich?
Kann ich es dir erleichtern? O wie gern
Tät ich's!
Holländer. Du Edle du! Zu subaltern
Ward Mary vor des Schicksals Blick erfunden.
Nun ruft es laut: In dir soll ich gesunden!
Senta. Das sollst du! Ja! Doch sage mir: was ist es,
Das dir das Herze nagt? Welch Leid zerfrißt es?
Holländer. Jetzt Himmel, sei mir gnädig, steh mir bei,
Daß, was ich sage, möglichst schonend sei!
167 Senta! Das Los, das mich gebunden hält, ist so schrecklich, daß ich dich bitte: Knien wir nicht mehr, sondern setz dich auf einen Stuhl, während ich herumgehe.
Beide erheben sich.
Senta setzt sich. Was wird das werden?!
Holländer. Ich bin – aber wirst du auch nicht erschrecken? – ich bin – nun ja, ich bin Holländer.
Senta. Das ist doch nicht so schrecklich!
Holländer. Es fehlt noch etwas davor . . . es ist ein Ausdruck des Volkes von der Landstraße für jemand, der einmal hier, einmal da ist, der – herumflattert, der – umherfliegt, also – Schnell – mit einem Worte ein – Zögernd, stotternd – so etwas ähnliches wie – ein fliegender Holländer.
Senta. Es gibt einen echten, weltbekannten Fliegenden Holländer, der umherirrt; Mary kann eine Ballade von ihm, Erik begleitet sie dazu.
168 Holländer. Liebst du sie?
Senta. O, wenn ich sie höre, bekomme ich solche Sehnsucht nach Abenteuern, nach wilden Seefahrten, – und den Menschen denke ich mir ungeheuer interessant!
Holländer. Nun denn – Verstellung, feige Angst, entflieh!
Ich bin es selbst! Ich selber bin es!
Senta. Wie?!
Ist's möglich? Wirklich? Sag es noch einmal!
Holländer. Ich schwör es dir bei meines Schiffs Fanal!
Senta. O das ist herrlich, göttlich, über all Erwarten!
Holländer. Dank, Liebste, Dank! Der Paradiesesgarten
Erschließet uns nun beiden seine Pforte!
169 Senta. Das Paradies? Was meinst du mit dem Worte?
Holländer. Ach es war doppelsinnig! Unbewußt
Drückt es den Zwiespalt aus in meiner Brust:
Der Liebe Freuden möchte ich genießen,
Und muß doch übers Ziel zum Himmel schießen!
Senta. Nicht doch, mein Freund! Gönnt uns der Himmel Glück,
So läßt er's uns, so nimmt er's nicht zurück!
Durch mich wird nun dein Leben neu beblümt:
O diese Liebe macht mich hochberühmt!
Holländer. Sie scheint nicht ganz unterrichtet zu sein . . . um so besser . . . Du liebes, unschuldiges Kind; schwörst du mir wohl auch, Herzchen, daß du mir treu bleibst?
Senta. Gewiß! Wenn's nötig: kurz und schlicht
Schwör ich, daß meine Treu nie bricht!
Holländer. Mich überflutet's! Weiße, lichte Wonne
Gießt Gott auf mich auf seinem Gnadenbronne!
O heiliger Balsam, o erhabne Pause
In meines Weltendaseins Flutgebrause!
170 Beglückend schließt der zweite Akt des Dramas
Mit seligem Vorschmack seligen Nirwanas.
Senta! Geliebte! Laß mich dich umarmen,
An deinem warmen Herzen neu erwarmen!
Umarmung.
Nun bin ich wahrhaft erst gesundet:
Der Akt – nun ist er abgerundet!
Bei den letzten Worten tritt Mary ein. Es war inzwischen immer dämmriger geworden. In der Hand hält sie eine brennende Lampe, die sie sofort heftig auf den Tisch setzt, worauf sie auf die beiden zueilt.
Mary. Laß los! Augenblicklich läßt du los!
Holländer gänzlich verwirrt. Das Spiel geht weiter?!
Mary zu Senta. Und du – marsch hinaus mit dir! Sei froh, daß ich dir deinen abgerundeten Akt nicht durchbleue!
Holländer in plötzlicher Wut. Nein, marsch hinaus mit dir! Deine Rolle ist abgebrochen, ausgespielt, du hast überhaupt nicht 171 mehr vorzukommen! Gerade hat mir Senta geschworen, daß sie mich erlösen will, wir brauchen dich nicht mehr!
Mary. Er hat dich übertölpelt, Senta, ganz gewöhnlich übertölpelt! – Du Schurke: Vergißt du meinen Eid? Vergißt du den Grundparagraphen deines Schicksals: Wer zuerst schwört, erlöst zuerst? Sieh Senta, wie er blaß wird!
Holländer. O Mary, Mary, ich flehe dich an: Hab doch ein Einsehn, gib mich frei!
Mary. Das klingt schon anders! Aber ich gebe dich nicht frei: ich will auch erlöst werden!
Holländer. O Gott, das klingt so hoffnungslos, so nach neuen, verwirrenden Gesichtspunkten! Mary! Wenn ich dir jetzt untreu werde, so beschleunigt das doch nur die Katastrophe!
Mary. Ausreden! Dir kommt es nicht mehr auf Erlösung an, du willst leben! Glaubst du, Senta könne dich erlösen? Sie ist ein Schaf und weiter nichts.
172 Holländer. Beleidigen Sie meine Braut nicht!
Senta. Das ist eine Unverschämtheit!
Mary. Und dann ständest du wieder vorn an der äußersten Spitze deines Schiffes! Pfeilschnell reißt es dich durch die Wogen, und der Sturm trägt dein Signal des Schreckens vorauf!
Holländer. Trotz alles Schreckens liegt auch darin Stimmung.
Senta hingerissen. Ungeheuer viel sogar!
Mary. Schweige, du Gans! – Ich arbeite in der Erlösung weiter, und damit Holla! Zum Holländer. Deine Papiere bekommst du morgen, sie sind mir bereits garantiert. Übermorgen wird geheiratet.
Holländer mit ohnmächtig geballten Fäusten. Dahin soll es nicht kommen!
173 Senta. Wenn du dich weiter so weichlich benimmst, so wird es dahin kommen! Tu doch nun mal was Großes, was Abenteuerliches, etwas Geniales!
Holländer. Nun denn, die Fessel abzustreifen –
Selbsthilfe werd ich jetzt ergreifen;
Heroisch groß, heroisch frei:
Gott! Lenk die Hand mir, steh mir bei!
Zieht einen Revolver, zielt, und feuert ihn auf Mary ab. Sie sinkt mit einem Schrei zu Boden.
Senta. Um Gottes willen, du hast sie doch nicht ernstlich totgeschossen?
Holländer. Ich weiß nicht . . . Mary, lebst du noch?
Mary. Einen Moment bitte. Ich muß mich erst von meinem Schreck erholen; du hast vorbeigeschossen.
Holländer verhüllt sein Haupt in seinem Mantel.
174 Mary erhebt sich halb, faltet die Hände; feierlich.
Jetzt sehe ich: in dem Gebot
Heißt's nicht umsonst: treu bis zum Tod.
Der Himmel selbst ergriff das Wort
Eindringlich-furchtbar, und hinfort
Erwart ich alle andern Proben
Ausschließlich, lediglich von oben!
Wenn meine Ahnungen nicht trügen,
So läßt er sich an drein genügen.
Die erste sandt er mir durch dich,
Und ich bestand sie meisterlich!
Holländer sieht aus seinem Mantel heraus.
Die Logik scheint mir problematisch!
Senta. Verzerrt, gewaltsam, psychopathisch!
Ein Zufall war's!
Mary springt auf. Kurzer Entschluß!
Auf Senta tu den gleichen Schuß!
Ein Gottgericht soll jetzt entscheiden,
Wer die Berufene von uns beiden.
Ziel fest auf sie! Wenn sie dann fällt,
So zeigt sich's klar: der Himmel hält
Mich für die Echte!
Senta zum Holländer. Tu es nicht!
Holländer. Ich halte nichts von dem Gericht.
Senta. Ich auch nicht; will's auch nicht.
Mary. Du mußt!
Trägst du ihm Treue in der Brust . . .
Holländer. Allmächtiger Gott, jetzt ahne ich
Was kommen wird!
Mary. So mahne dich
Dein Eid an das, was deine Pflicht!
Ha, Holländer, jetzt kommt's ans Licht,
Wer von uns beiden hier die Rechte,
Und wer die Falsche, die Unechte!
176 Holländer plötzlich.
Und doch werd ich noch triumphieren:
Du, Mary, sollst das Spiel verlieren!
Dumm bist du, gradezu borniert!
Wenn sie ihr Leben jetzt verliert,
So zeigt sie grade dadurch klar,
Daß sie, nicht du, die Rechte war! Freudig überrascht.
Dann wäre ich ja überhaupt gleich wirklich erlöst! Sieht Senta lächelnd an.
Mary. Gut denn! Auf Grund der neuen Lage
Richt ich an sie die strikte Frage:
Senta, läßt du dich von ihm schießen?
Holländer mit flehender Gebärde auf Senta zu.
Senta qualvoll.
O Gott, ich kann mich nicht dazu entschließen!
Pause.
Mary. Ihr Mund sprach selbst ihr Urteil aus!
Holländer verhüllt sich wieder.
O könnt ich auf das Meer hinaus!
Mary zu Senta.
Und du hast ewige Treu geschworen?
Kind, eigentlich wärst du verloren!
Tritt ab in dein bescheidnes Dunkel
Und spinne wieder an der Kunkel.
Senta weint in ihre Hände.
Mary. Du Holländer, du sprachest Worte,
Als möchtst du fern sein diesem Orte?
Zu spät! Schlag es dir aus dem Sinn,
Denn jetzt werd ich Frau Holländrin!
Holländer. So gibt es keinen Ausweg, keine Rettung
Aus dieser himmelschreienden Verkettung?
Senta, zur Hauptperson prädestiniert,
War aus dem Drama exkommuniziert?
Senta. Verkettet wäre mir zu ihm der Weg?
So gibt es keine Rettung, keinen Steg?
178 Von dem Erlösungswerk wär ich verbannt?
Ich, die er als die Hauptperson empfand?
Zugleich:
Mary. Ja, teures Herz! ihr fehlt's an edlern Stoffen;
Ich bleibe dein Genoß, 's ist nichts zu hoffen.
Denn jener Schuß – das Los hat er geschlichtet,
In tieferm Sinne Spreu vom Korn gesichtet!Holländer. Wie anderwärts, so schwand auch hier mein Hoffen;
Das tötliche Geschoß: Mich hat's getroffen.
Denn jener Schuß – auf Mary erst gerichtet,
In tieferm Sinne hat er .mich vernichtet!Senta. Qualvoller Schmerz, der mich und ihn betroffen!
Mein kurzes Glück, es schloß, – dahin mein Hoffen.
Denn jener Schuß – auf den ich bang verzichtet,
In tieferm Sinne hat er mich gerichtet!
Mary. So! Nun denke ich, wie haben alle genug geredet und gehen schlafen. Das ist so viel wie ein Befehl. Nun, Senta, wirds bald?
179 Senta zum Holländer.
Gute Nacht! ach – und verriet ich dich,
Trotz allem, Liebster, lieb ich dich. Ab nach links.
Mary zeigt auf die Mitte; zum Holländer. Du gehst da hinaus. Ich selbst lege mich später erst schlafen; ich habe hier noch einiges zu tun.
Holländer tritt auf Mary zu, bedeutungsvoll. Mary, ich warne dich!
Mary in Kampfpositur. Wovor?
Holländer. Überspanne den Akt nicht mehr! Er ist sowieso schon überspannt genug. Er steht in gar keinem Verhältnis zum ersten. Wo soll denn das noch hinaus?!
Mary. Leg dich schlafen, damit dein Verstand sich erholt!
180 Holländer. im Abgehen. Ich will auf keinen Fall hier mehr dabei sein. Und der dritte – ? Wie wird der dritte, letzte Akt?! – – Ab.
Mary allein.
Mary. So, das war anspannend und aufregend. Als Erholung kommt jetzt noch ein kleines, lustiges Dalandnachspiel, ein kleiner Daländler im Dreivierteltakt. Die Steine konnte ich ihm vorhin nicht wegnehmen, denn als ich mit ihm in seine Stube kam, setzte er sich sofort auf seine Kisten, wie eine Henne über ihre Eier. Die Situation wird nun verlegt, in dieses Zimmer; er ist schlau, aber ich werde noch schlauer sein. Öffnet das Fenster und lehnt den Flügel an. Zwei Stockwerke hoch – nun, das tut nichts. Ruft zur Tür hinaus. He! Wo bleibt denn dem Herrn Daland sein Bett?
Vier Dienstmädchen tragen es herein.
Mary. Hier stellt es in die Ecke! Ich werde dem Herrn Daland selbst Bescheid sagen. Ab durch die Mitte.
Während des Folgenden stellen die vier Mädchen das Bett zurecht und ordnen es.
181 Erstes Mädchen. Jetzt sagt mir mal: Wie heißt eigentlich der fremde Gast?
Zweites Mädchen. Sein Name soll vor uns geheim gehalten werden, da er incognito reist, und Dienstmädchen immer alles ausschwatzen.
Drittes Mädchen. Vier Dienstmädchen sind eigentlich etwas unwahrscheinlich für einen so kleinen Haushalt. Kichert.
Zweites Mädchen. Namentlich, wenn man nur gebraucht wird um einmal ein Bett in ein andres Zimmer zu schaffen, und im übrigen gar nicht vorkommt.
Alle drei kichern.
Viertes Mädchen. Pst! Mokiert euch nicht über euch selber. Man muß so etwas nicht aussprechen, sonst kündigt einem die Herrschaft. Wenn ihr es nicht weiter erzählen wollt, so will ich euch den Namen des Fremden verraten; ich habe ihn auf dem Zettel gelesen: Es ist der fliegende Holländer.
182 Die drei andern. Jesus Maria und Josef! Laufen mit Gekreisch durch die Mitte ab.
Viertes Mädchen. Dumme Frauenzimmer! Als ob sie es nicht ebenfalls längst gewußt hätten! Das ganze Leben ist nur eine unehrliche Komödie! Laut. Ach Wahrheit, Lauter. Wo bleibt Wahrheit!! Jammernd ab durch die Mitte.
Nach einer Weile erscheint Daland durch die Mitteltür und zieht eine sehr große Kiste hinter sich drein; bis in die Mitte des Zimmers.
Daland öffnet sie. Drei waren es, und eine ist es. Eine große ist sicherer als drei kleine. Wozu wäre sonst dreimal eins drei? Ich kann noch denken, ich bin durchaus nicht verrückt. Späht und lugt nach allen drei Türen und verschließt sie sorgfältig. Nun können die Kerle nicht herein; aber zur Sicherheit: Stellt gegen jede Tür einen Stuhl, dann sieht er unter das Bett. Und nun: etwas waschen, etwas waschen? Reibt sich die Hände, tänzelt auf die Kiste zu. Erlauben sie gütigst, Jungfer Kiste! Macht eine Verbeugung, greift hinein und frottiert sich Hände und Gesicht mit den Juwelen. 183 Und nun zu Bett! Aber wie kann ich mich anziehen, wenn ich schon angezogen bin? Ha??? Was??? Sieht erschreckt hinter sich. Stand da nicht einer? Ich will die Lampe löschen. Stumm sind sie, also sehen sie mich im Dunkel erst recht nicht!
Geht rückwärts, den Blick immer auf die verdächtige Stelle geheftet, auf die Lampe zu, und löscht sie mit plötzlichem Ruck. Der Mond scheint durch das angelehnte Fenster. Er geht auf den Zehenspitzen, sich immer umsehend, langsam zum Bett, und hebt die Decke auf. Im Mondenlichte richtet sich daraus langsam und steif ein Kerl empor mit fürchterlichem Rachen. Daland läuft stumm, mit großer Geschwindigkeit durch's Zimmer, zur Kiste, springt hinein und wirft den Deckel zu. Die Erscheinung ist sogleich wieder verschwunden.
Kleine Pause.
Mary von außen am Fenster, das sie öffnet. Die Gier treibt mich bereits jetzt wenigstens etwas zu inspizieren. Die Leiter wackelt. – Sein Bett ist leer? Vorher löschte er doch schon das Licht! Er ist wohl nur einmal hinausgegangen. Da steht ja seine Kiste! Da kann ich doch die Sache gleich erledigen und brauch nicht noch lange unten zu warten! Steigt ins Zimmer. Leise, leise! Schleicht auf die Kiste zu, öffnet sie und greift hinein.
184 Daland. Du Haifischkerl, du Haifischkerl!
Springt heraus, Mary entflieht mit einem Schrei zum Fenster, Daland sie scheinbar verfolgend hinter ihr drein.
Mary. Er will mich töten, er will mich töten – aber die Steine habe ich doch! Schwingt sich aufs Fensterbrett.
Daland kriecht schnell unter das Bett.
Mary. Wie, er hat Angst vor mir? Mir zittern alle Glieder! Im Herabsteigen. Allmächtiger Gott, ich falle! Man hört ihren Körper drunten dumpf aufschlagen.
Mary aus der Tiefe. O, ich bin tot!
Links das Haus des Daland. Seine Tür ist bekränzt und trägt ein Schild: »dem glücklichen Paare«. Im Hintergrund das Meer mit dem Holländerschiff. Es ist Abend. Aus dem Hause schallt dumpfe Musik.
Holländer tritt in höchster Erregung aus dem Hause. Hat der dritte Akt schon begonnen? Der letzte, entscheidende Akt?
Auf ging der Vorhang! Nein – er fiel!
Verhängt ist meiner Sehnsucht Ziel!
Vorhang, Verhängnis – stürze dich
Ganz über mich – begrabe mich!
Er sinkt wie gänzlich vernichtet auf den Erdboden. Aus einem offenen Fenster des zweiten Stocks ertönt die Ballade aus dem Fliegenden Holländer, langsam und mühsam auf dem Klavier. Senta singt.
Holländer richtet sich auf. Horch! Senta übt meine Ballade in ihrem Zimmer! Armes, liebes Kind! Sie kann sie nicht, sie ist Dilettantin! Sie soll aufhören, denn trotz meiner Liebe ertrage ich nicht gern schlecht vorgetragene Musik. Steht auf, geht an das Haus und ruft: Senta, Senta!
186 Senta erscheint am Fenster. Wer ruft so bang in dunkler Nacht?
Holländer. Ich bin's! Der unglücklichste aller Menschen!
Senta. Im Haus ist Lärm und Freude und Musik, und mich hält Mary schon so lange fest im Zimmer eingeschlossen. Was bedeutet dies alles? Feiert Ihr Verlobung?
Holländer. Verlobung?! Hochzeit!! Ich bin verheiratet! Du weißt ja nicht was sich alles ereignet hat: Durch zwei Stockwerke stürzte Mary herab, lag bis zum Morgen wie tot, und als man sie endlich fand, da zeigte sich: wie durch ein Wunder war sie unverletzt geblieben! Das nennt sie ihre zweite Prüfung! Ich habe der Hochzeitsgesellschaft die allerbesten Weine spendiert und Schlafpulver hineingemischt. Mein dritter Tag neigt sich dem Ende, ich muß versuchen um Mitternacht unbemerkt mit meinem Schiffe abzufahren.
Was sonst ich suchte, ward zum Fluche,
So daß ich, was ich floh, nun suche,
187 O Senta, Senta, höre mich:
Ist's möglich – ich verlöre dich?
Nur einmal laß uns glücklich sein!
Kommst du herab? Willigst du ein?
Senta. Gern käme ich; wüßt ich nur wie?
Holländer. Die Leiter! Wart, ich hole sie!
Er lehnt sie gegen das Fenster.
Steig nieder! O, so dient sie doch
Zu etwas Segensreichem noch!
Marys Stimme von ferne. Holländer!
Holländer. Hilf Himmel, Mary ruft mich, leb wohl Senta, ich muß zu ihr; ich komme zurück sowie es sich tun läßt.
Senta. Ich erwarte dich mit dem vollen Maße meiner schwachen Liebe! ab vom Fenster.
Mary tritt auf.
188 Mary. Mir ist sonderbar schlafsüchtig zu Mute. Wo steckt er denn? Erblickt den Holländer. Ah da bist du ja! Was treibst du hier? Willst du machen, daß du zur Hochzeitsgesellschaft zurückkommst? Es ist gut, daß du dich bemühst zu Unterhaltung beizutragen, aber es ist auch gut, daß die Gäste schon halb schlafen! Sie kennen dich nicht, sie wissen nichts von deinem außerordentlichen Dasein! Was sollen sie denken, wenn du da Fragen stellst wie: »Was ist denn aus dem jungen Shakespeare geworden? Als ich das letztemal in London war, galt er als ein vielversprechender Bursche!« – man müßte dich ja für verrückt halten!
Holländer. Gut, ich will es nicht wieder sagen.
Mary. Weshalb bist du überhaupt hinausgegangen?
Holländer gereizt. Mein Gott, das ist doch meine Sache! Ich frage dich doch auch nicht, wenn du einmal verschwindest.
189 Mary. Der versteckte Sinn lautet: Du fragst nichts danach, ob ich überhaupt verschwinde? Habe ich dich verstanden, Schatz? Aber ich nehme es dir nicht übel; wir sind verheiratet und werden uns aneinander gewöhnen.
Holländer. Gewöhnen? Das klingt, als ob wir ewig zusammenleben würden! Der letzte Tag geht bald zum Ende; bis zwölf Uhr muß die Erlösung da sein! Und deine dritte Probe? Was wird aus der?
Mary. Ich warte vergebens! Der Himmel hat sie nicht geschickt, und so nehme ich mit Fug und Recht an: Die dritte Probe ist die Ehe! O lieber Holländer, ist dir der Sinn des Spruches noch nicht aufgegangen? Treue bis in den Tod – das heißt nichts weiter als: Treue bis in das höchste Alter hinein, bis zu dem Moment, wo man an natürlicher Entkräftung stirbt.
Holländer für sich. Unmöglich, unmöglich, aber ich will sie reden lassen, das ist jetzt meine Maxime.
190 Mary. Komm Schatz, geh mit mir zurück.
Holländer für sich. Ich werde noch mehr Pulver in die Weine mischen.
Beide ab.
Erik tritt auf von rechts, mit einer Laute.
Erik. Wie liebte Senta mich, – und nun bin ich Luft für sie geworden! Sie liebt den fremden Mann. Wie arg muß sie ihn lieben, da Mary sie gar noch eingesperrt hat! Ich wäre doch ein viel besserer Schutz gewesen, aber mich hat man übergangen. Ich werde jetzt meinen Kummer vor ihrem Fenster in einem Lautenliede ausklagen, das ich heute Abend gemacht habe. Spielt und singt mit schwächlicher, knarrender Stimme.
Schmerzen – sind in meinem Herzen,
Alle Lust – floh meine Brust.
Aller Liebe
Holde Triebe
Quälen nun mein armes Herz,
Füllen es mit tiefstem Schmerz.
Meine Brust – ist leer von Lust,
Denn es floh – die Lust – die Brust.
191 Senta, hörst du deinen Erik nicht? – – Dort steht eine Leiter! Wenn ich zu ihr emporstiege! – – Sündiger Gedanke! – Soll ich sie forttun? – Nein! denn es könnte sie jemand zu einem ganz bestimmten Zwecke hingestellt haben. – Sollte sie etwa selbst herabsteigen wollen? Er sieht auf die Uhr. Es geht bald auf zwölf! Horch, der Sturm beginnt zu sausen! Und dort drinnen im Hause ist man fröhlich und macht Musik.
Chor der Matrosen unsichtbar, im Schiff.
Kapitän, Kapitän,
Die Winde wehn,
Die Ferne ruft!
Erik. Eintönig klingt der Sturm, und schaurig. Ich muß doch sehn, was Senta mit der Leiter will; ich werde mich hier verstecken! Verbirgt sich.
Holländer tritt rasch und aufgeregt aus dem Hause. Mary schläft, Gott sei Dank . . . Ich muß mich in der Uhr geirrt haben. Nun bleibt mir wenig Zeit für Senta. Magisch bebte der Ruf der Matrosen in meiner Seele auf. Leise. Senta, Senta!
192 Senta steigt die Leiter hinab. Hier bin ich, Geliebter!
Holländer. Halt, Senta, mir kommt ein anderer Gedanke: Es bleibt uns nicht viel Zeit; geh zurück in deine Stube, ich werde über die Treppe zu dir kommen, wir werden kurzen, süßen Abschied feiern!
Senta. O Gott, nun geht es wirklich bald zum Abschied?
Holländer. Steig wieder hinauf! Ich muß sowieso noch einmal ins Haus zurück, – ich habe meinen Mantel vergessen, der ist mir äußerst wichtig. Holländer ab.
Chor der Matrosen. Kapitän, Kapitän,
Die Winde wehn!
Eile dich, eile dich,
Ehe die Zeit verstrich!
Senta. Er kann ja gar nicht in meine Stube! Mary hat den Schlüssel abgezogen. Was soll ich tun? Wendet sich halb unschlüssig zur Leiter.
193 Erik tritt vor.
Senta, um Gott, was ficht dich an!
Geh nicht hinauf zu jenem Mann!
O Senta, willst du mich zermalmen?
Stieg ich für dich nicht auf die Almen?
Brachte dir Blume nicht und Blüte?
So rein, so zart wie mein Gemüte?
Verschmähst du schlichter Liebe Kost?
Senta. Zurück von mir, du riechst nach Post!
Erik. Zum letzten Male fleh ich: Bleib!
Senta. Du bist kein Mann, du bist ein Weib!
Erik. Gut denn! Jetzt will ich dir zeigen, daß ich ein Mann bin! Mir gehörst du, keinem andern! Dort hinten liegt mein Haus, ich schleppe dich hinein, ganz ehrbar hinein, ich will es schon verantworten!
194 Senta. O Hülfe Hül– –
Erik. Laß das Gebrüll! Hält ihr den Mund zu und schleppt sie nach rechts hin fort.
Es beginnt von fernher zwölf zu schlagen. Alle Matrosen erscheinen auf einmal an Deck.
Chor der Matrosen. Weh – Weh –
Die See – die See –
Entführt das Schiff
Dem Felsenriff.
Die Zeit verrann,
Die Fahrt begann.
Das Schiff fährt langsam ab.
Mary kommt aus dem Hause. Ich glaube fast, ich habe geschlafen. Wo ist mein Mann? Was ist denn das?!
Ha, meine Ahnung sagte wahr!
Sein schnelles Schiff, es machte klar!
Ganz heimlich will er mir entwischen?
Da komm ich unbedingt dazwischen!
Mut! Augen zu und Kopf voran:
Vielleicht komm ich noch richtig an! Stürzt sich vom Felsen in das Meer hinab.
195 Holländer gleichzeitig aus dem Hause heraus in höchster Eile.
Was sehe ich? Wie? Mary springt
Vom Fels ins Meer, das sie verschlingt?
Wo ist mein Schiff? Allmächtiger Himmel!
Da zieht es hin im Flutgewimmel!
Ich Unglückseliger – ich bleib hier?
Was soll dies? Gott, erklär es mir!
Soll ich nie mehr zu Schiffe gehn?
Heftig, freudig.
Ha! Oder wärs anders zu verstehn?
Selig.
Jetzt wird's mir klar! Herr Gott, ich fand
Erlösung wirklich! Unser Band –
Gelöst ist's durch freiwilligen Tod –
Zur Ruh geht meines Fluchs Gebot
Der Erde gibt es mich zurück
Zum Leben, zu erneutem Glück!
Mary ist ja tot, und ich, ich lebe noch, ich bin noch da! Nichts von Apotheose, nichts von gemeinsamem Tod, – o nun bin ich der glücklichste Mensch unter der Sonne! Senta, Senta, komm herab, das Drama nimmt eine unerhört wundervolle Wendung! Steig herab, Senta, zu einem gemeinsamen jubelnden Duett mit mir! O Mary, gute, treue Person! Wir wollen dir in alle Ewigkeit dankbar sein! Du hast dich wirklich aufgeopfert! 196 Friede deiner Asche! Asche paßt eigentlich nicht recht, ich meinte nur so.
Mary erscheint triefend. Wie meintest du?
Holländer taumelt zurück.
Brich über mir, du Himmelsdom!
Bist du Gespenst? Kommst als Phantom?
Mary. Phantom für dich, an sich lebendig:
Kugelfest, wasserdicht, beständig!
Holländer. So kam das alte Elend wieder?
Ich kämpf mit ihm, ich schlag es nieder!
Mag alles auseinander gehn,
Mein Schicksalstriebwerk stille stehn:
Ich schleudre wilden Trotz, Hyäne,
In deines Räderwerkes Zähne!
Zerknirsch ihn, wenn du kannst, doch wisse:
Umsonst sind deine Eisenbisse!
Mary. Umsonst nur dein Gerede! tröstlich bloß
Der jüngste Tag! An dem wirst du mich los,
197 Wenn du zugrunde gehst, während wir andern
Anständigen Seelen auf zum Himmel wandern!
Holländer. Nein!! Gibt's kein Mittel gegen dich,
So wüte ich jetzt gegen mich!
Zieht seinen Revolver und feuert sehr viele Schüsse gegen sich schnell hintereinander und an lauter verschiedene Stellen.
Holländer. Weh! Weh! Es kam mir aus dem Sinn,
Daß ich ja unverwundbar bin!
Ist's wirklich, Gott, in deinen Plan geschrieben,
Daß hier in der leibhaftigen bösen Sieben
Mein Zahlenschicksal sich soll inkarnieren?
Dir dieses zutraun, hieß: Dich blasphemieren!
Mary. Dir hilft nun nichts mehr! Alle Proben
Bestand ich, ausgesandt von oben!
Sogars Ertränken! Unbefangen
Sag ich: Mehr kann kein Mensch verlangen!
Holländer. Ha! Licht mit einemmal aus Gottes Sonnen!
Des Labyrinthes Ausgang ist gewonnen!
Treu bis zum Tode sein, das heißt: Aufgeben
Für den geliebten Andern das geliebte Leben!
198 Deins aber läßt sich zäh nur biegen:
Es ist einfach nicht totzukriegen!
Du willst dich als Erlöserin aufspielen? Jetzt weiß ich, was ich zu tun habe!
Er rennt den Felsen hinauf bis zu seiner Spitze, Mary hinter ihm drein.
Mary. Um Gotteswillen, du willst doch nicht ins Meer springen?
Holländer. Joho, ho! joho! Hohee!
Zurück mein Schiff, aus hoher See!
Mannschaft! ich ruf's, von Gott beordert!
Gott ist's, der eure Rückkehr fordert!
Mary. Da geht's hinaus?!
Holländer. O wirklich! es scheint stillzustehn!
Jetzt, jetzt beginnt es sich zu drehn!
Mary. Wenn es zurückkommt, so fahre ich mit!
199 Holländer. O Wonne! Es kehrt um! Es naht!
Schnur grade schießt es seinen Pfad!
Herr Gott! Mißbraucht ich deinen Namen,
So sprachst du selber jetzt das Amen!
Nur näher! näher! Riesengroß
Erwächst es aus des Meeres Schoß!
Jetzt landet es – die Brücke fliegt:
Mary – nun habe ich gesiegt!
Stößt sie zurück, springt auf das Schiff.
Mary. Für dich wollt ich mich opfern? Hui
Bist du von außen, innen pfui!
Matrosen. Unser aufs neu! Hihi! Haha!
Hurroh, hurrih, hurreh, hurrah!
Senta keuchend von rechts.
Was geht hier vor? Fährst du schon fort?
Holländer. Ich muß! Der Grund dazu steht dort! Zeigt auf Mary.
200 Senta. Du fliehst? Du willst mich von dir weisen?
Holländer. Ha, Senta, willst du mit mir reisen?
Er springt auf das Land zurück und eilt auf sie zu.
Gott hat so gnädig sich gezeigt,
Daß er gewiß auch hierzu schweigt!
Senta. Du fragst mich noch? Ich bin beglückt!
Mehr als beglückt: Entzückt, berückt!
Mary. Da kommt Erik! Hilf Erik, hilf!
Erik kommt außer Atem von rechts. Sie hatte mich eingeschlossen, ich bin endlich durchs Hochparterre gesprungen, obgleich es gefährlich war. Was geht hier vor? Ich ahnte es! Senta, willst du uns wirklich verlassen?
Mary. Esel! Feigling! Kämpf mit dem Manne, du trägst ja deinen Jägerdolch immer noch aus Koketterie bei dir! Weh, nein, das hieße ja nur ihm wohltun! 201 Außerdem ist er unverwundbar! Nun, versuche es trotzdem!
Erik. In Gottes Namen: Mein Herr, verteidigen Sie sich! Zieht seinen Jägerdolch.
Holländer in Sentas Umarmung, sehr ruhig.
Verächtlich ist mir dieser Wicht!
Antwort zu geben lohnt sich nicht.
Handlanger sollen ihn verweisen:
He, Mannen, richtet eure Eisen!
Sämtliche Matrosen richten ihre Pistolen auf Erik.
Mary. Nun denn, das letzte Mittel! Eilt ins Haus.
Senta. Das imponiert mir! He! Ihr Leute!
Ihr abenteuerliche Meute!
Wie intressant ihr alle seid!
Komm, Holländer, ich bin bereit!
Faßt ihn an der Hand, beide besteigen das Schiff.
Senta. Fahrt ab!
202 Holländer. Noch nicht! Ich bin neugierig, was Mary zum Schluß noch angeben wird! Wir sind gerettet, Liebste, niemand kann uns nun mehr trennen! Beide bleiben bis zum Schluß in enger Umarmung. Ich, der ich durch drei Akte hindurch als Hauptperson hin und her geworfen wurde, möchte, nun in Sicherheit, den Schluß des Dramas in Ruhe und als Zuschauer genießen. Ich habe eine Ahnung, als käme jetzt Daland, und als würde er von der Mannschaft wieder entzaubert. Mein künstlerisches Symmetriebedürfnis verlangt das so. Doch nein, es scheint, ich irre mich! Nun, mich geht's nichts an. Was kommen denn da für sonderbare Gestalten angewankt? Ach, jetzt erkenne ich sie, es ist die Hochzeitsgesellschaft!
Mary kommt zurück, den Schwarm der Hochzeitsgäste vor sich herstoßend, – treibend, – ziehend.
Mary. Ihr schlaft ja alle, ihr Hochzeitsgäste! Volltrinken konntet ihr euch! Jetzt heißt es wachen! Helft mir! Bei Tisch war ich zärtlich gegen den Mann, aber jetzt werde ich euch über seine Persönlichkeit reinen Wein einschenken.
203 Hochzeitsgäste lallend. Rheinwein, Rheinwein . . .
Manche von ihnen legen sich langsam auf den Erdboden nieder; andere suchen sich einen stillen Platz zum Schlafen; wieder andere taumeln betäubt im Kreise durcheinander.
Mary. Bande! Schämt euch! Feiglinge! Hasen! Versteckt ihr euch in die Winkel?
Hochzeitsgäste lallend. Winkeler Hasensprung, Winkeler Hasensprung . . .
Die letzten sinken hierhin und dorthin; alle schnarchen.
Holländer. Dies Schauspiel war des kurzen Wartens wert:
Wir fühlen uns verbunden – und geehrt!
Doch nun genug: Das beste wird zu viel,
Wenn jeder weiß: Zu Ende geht das Spiel.
Pfeift, das Schiff fährt langsam ab.
Doch – es im Scheiden würdig zu vollenden,
Möcht ich an Mary noch ein Wörtlein wenden:
Sag, Mary, willst du nicht noch einmal springen?
Ich sah den Sprung von hinten nur gelingen!
Wie schön, säh ich von vorn im Wogenschwall
Empor dich tauchen wie ein Gummiball!
204 Mary. Hör, Scheusal, wie ich eisig-stumm
Hierauf mich nur in Schweigen mumm!
Hochzeitsgäste im Schlaf. Mumm, Mumm . . . Pommery, Mumm . . .
Mary. Doch sieh, wie ich mich freue! freue!
Der Mann hier schwört mir nun die Treue!
Mit ausgebreiteten Armen auf Erik zu; Erik entflieht hilferufend durch die Kulisse, Mary hinter ihm drein.
Dumpfes Gelächter der Matrosen vom Meer aus.
Ende.