Horaz
Der säkularische Festgesang
Horaz

Horaz

Der säkularische Festgesang

Übersetzt von Johann Heinrich Voß


Knaben und Mädchen.
            Phöbus, und Waldherrscherin du, Diana,
Himmelsglanz! Ihr, stetiger Ehre würdig,
Und nach Würd' ehrvoll! o verleiht, was fromm wir
        Flehen am Hochfest:
Da der Schicksalspruch der Sibylla vorschrieb,
Daß der Mädchen Wahl und der keuschen Knaben
Allen Schutzgottheiten der sieben Hügel
        Sänge das Loblied!
 
Knaben.
Nährer Sol, des leuchtender Wagen Tag uns
Offenbart und hehlet, der stets ein andrer,
Stets derselb' aufgeht, es erscheine nichts dir
        Größer denn Roma!
 
Mädchen.
Die du sanft vollzeitige Frucht eröffnest,
Komm, o Ilithya, mit Heil den Müttern;
Oder ob Lucina du gern genannt wirst,
        Ob Genitalis!
Laß Geschlecht fortblühn und gesegn', o Göttin,
Wie den Fraun Vermählung die Ratesväter
Vorbestimmt, ihr Ehegesetz, das frische
        Sprößlinge wuchert!
 
Knaben und Mädchen.
Daß, wenn elf Jahrzehnte flohen im Kreislauf,
Feste Zeit Chorlieder erneu' und Spiele,
Welche durch drei Tag' und so viel der holden
        Nächte gefei'rt sein!
Und, o wahrheitsingende Mächt', ihr Parcen,
(Was ihr einmal spracht, und der Grenzbewahrer
Unverrückt anhält): zum Erleben füget
        Gutes Verhängnis!
Unser Land, von Früchten erfüllt und Herden,
Weihe dankbar Ährengeflecht der Ceres;
Aufgenährt durch Jupiters Luft und Regen,
        Schwelle der Wachstum!
 
Knaben.
Sanft und friedsam birg das Geschoß und hör' uns
Knaben, die demütig dir flehn, Apollo!
 
Mädchen.
Sternenfürstin, hell im Gehörn, o hör' uns
        Luna, die Mägdlein!
 
Knaben und Mädchen.
Wenn durch euch sich Roma erhub, und Trojas
Edle Schar ausstieg am Etruskerufer,
Auf Geheiß umtauschend die Stadt und Laren,
        Glücklichen Laufes:
Sie, vom Mordbrand' Iliums unbeschädigt,
Der der Held Äneas, dem Fall der Heimat
Fromm entrückt, Bahn öffnete, mehr gewährend,
        Als sie daheim ließ;
Götter, Zucht und Sittlichkeit gebt der Jugend,
Götter, gebt friedselige Ruh dem Alter,
Gebt Quirinus Volke Gedeihn und Nachwuchs,
        Jegliche Zierd' auch!
Und warum euch flehet mit weißen Rindern
Venus und Anchises erhabner Sprößling,
Das erlang' er, Kriegenden stark, bezwungnen
        Feinden ein Milder!
 
Knaben.
Seinem Arm, schon furchtbar im Meer und Erdreich,
Zagt der Med' angstvoll und den Beilen Albas;
Schon begehrt Aussprüche der Scyth', und jüngst noch
        Trotzig, der Inder!
 
Mädchen.
Treue schon, und Frieden und Ehr' und Unschuld
Reiner Vorwelt kehrt und versäumte Tugend
Unbesorgt; schon pranget daher mit vollem
        Horne der Segen!
 
Knaben.
Er der Augur, herrlich im Glanz des Bogens,
Phöbus, er holdselig den neun Camenen,
Welcher durch Heilkunde des kranken Leibes
        Matte Gelenk' hebt:
Wenn geneigt Palatiums Höhn er anschaut,
Wird er Romas Macht und Latinerwohlfahrt
Stets vom Lustrum fort zu dem bessern Lustrum
        Dehnen auf ewig!
 
Mädchen.
Auch Diana, die auf dem Aventinus
Machtvoll thront und Algidus, horcht der Fünfzehn-
Männer Flehn und neiget das Ohr gefällig
        Bitten der Kinder.
 
Knaben und Mädchen.
Daß mich Zeus anhör' und die Götter alle,
Dieser Hoffnung froh und gewiß enteil' ich
Heim, ich Phöbus Herrlichkeit und Dianas
        Preisender Festchor.