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Einleitung des Herausgebers.

»Etwas zu wollen und zu wagen ist Lebenstrieb dem deutschen Gemüt, und so sind in unseren besten Romanen die Helden Wollende und Wagende.« Mit diesem Satz Mielkes sind die Hauptfiguren in Holzamers Werken kurz und treffend charakterisiert. Wollende sind sie. Ihre ganze Kraft setzen sie darein, das Ziel zu erreichen, das sie sich gesteckt haben. Vor keinem Hindernis schrecken sie zurück. Nicht rechts noch links blicken sie. Ihr Weg ist gerade; kein Seitenpfad lockt sie. Ihre Beharrlichkeit hat bisweilen sogar etwas Eigensinniges und Verbohrtes. Sie gehen allein und begehren keine Weggenossen. Nie würden sie ablenken, ihnen die Energie rauben, den Willen schwächen, das Ziel verdunkeln. Sie kehren sich ab von den Menschen, die sich ihnen nähern wollen, und bleiben Einsame. Und Einsame haben wenig Freunde. Die sie aber besitzen, sind ihnen treu. Von ihren Feinden werden sie belächelt und bemitleidet, mehr noch verachtet und verspottet. Aber das macht sie stark, und stark müssen sie sein. Wie sollten sie sonst den Kampf aufnehmen können, zu dem sie das Leben fordert?

Ein grimmer Gegner ist das Leben für den, der ihm keine Konzessionen macht, doppelt ernst und feindlich. Und es hat Härten, an denen auch die beste Lanze zersplittert. Hohnlachend hebt es den mutigsten Gegner aus dem Sattel, daß er todwund am Boden liegt und verbluten muß. Nur die ganz Starken erheben sich wieder, unbesiegt, und dann empfangen sie von ihm den Ritterschlag und sind seine Kämpfer. Sie schließen einen Bund mit dem Leben. Sie werden so hart wie das Leben und so unerbittlich. Sie werden eins mit ihm. Und ihrer Umwelt sind sie dann noch mehr fremd und feindlich geworden. Diese Härte des Lebens trifft man bei Holzamer immer wieder. Es ist geradezu wie ein Suchen danach. Als ob der Held immer nach einem schweren Kampf überhaupt erst fähig wäre, seine Aufgabe zu erfüllen. Als ob er eine Kraftprobe ablegen müßte, nach deren Bestehen er auch sogleich Sieger im Kampfe für seine Idee ist. So bildet sich das Leben seine Helden im Streite mit sich selbst und weist ihnen eine Aufgabe zu, für die sie ihr Bestes einzusetzen bereit sein müssen. Nicht alle bestehen. Viele erweisen sich schwach und sinken sterbend am Wege nieder; die meisten verwachsen mit ihrer Bestimmung, ihrem Zweck und werden stark und unerbittlich; einige wenige finden sich ab mit dem Leben, geben den Kampf auf und bringen ihr Dasein hin in stiller Resignation.

Sie alle sind scharf und peinlich umrissene Gestalten, wie aus Erz gegossen. Keinen unklaren, verschwommenen Zug weisen sie auf. Mit Vorliebe stellt Holzamer den Typus des selbstherrlichen, wertbewußten Freimenschen dar. Von Nietzsche bekennt auch er: »Kraftvoll riß er an verschlossenen Pforten und riß sie auf.« Wir wissen, wes wir uns von all den ungezählten Nachstammlern des Zarathustra-Propheten zu versehen haben. Holzamer hat nichts gemein mit ihnen. Das Leben und die Notwendigkeit, das sind auch für ihn die einzigen Gewalten, denen sich seine Starrköpfe beugen. »Was der Mensch muß, das muß er.« Aber diese Notwendigkeit ist nicht etwas Konstruiertes, sie ist auch nicht Laune des Geschicks. Ihr Gesetz, das oft wie etwas Finsterdämonisches über seinen Menschen schwebt und ihnen Tun und Denken vorschreibt, ist tief begründet, fast zu tief. Sie wissen selber nicht, warum sie sich ihm unterwerfen. Nur eins wissen sie und fühlen sie: sie müssen es, es ist ihre Bestimmung, ihr Fatum, ihr Karma, dem sie nicht entrinnen können. Ob sie auch daran leiden, ob sie auch eine Ungerechtigkeit darin sehen. Am überzeugendsten weiß Holzamer diesen Gedanken da zum Ausdruck zu bringen, wo er sich auf die Darstellung des einfachen Geschehens beschränkt und sich nicht in Reflexionen und philosophischen oder okkultistischen Spekulationen verliert.

Aber auch jene andern, stillgewordenen Menschen erfaßt Holzamer sehr tief, besonders in seinen Büchern, die uns in seine frühere Heimat, Rheinhessen und die gesegnete Bergstraße, führen. Hier sind seine Gestalten meist Leute aus dem Volke oder solche, die in und mit dem Volke leben. Leute, die das Herz auf dem richtigen Flecken haben. Keine Schemen – Menschen. Nur verkannt. Rauhe Schalen, hinter denen tiefe, empfindende Seelen pulsen. Und insofern sind auch sie Freimenschen: sie verstehen alles und verzeihen alles.

Nichtsdestoweniger sind Holzamers Helden meist die Träger solcher Ideen, die durchaus keine allgemeine Gültigkeit haben. Da gilt's für den Dichter doppelte Überzeugungskraft zu besitzen. Spielhagen hat irgendwo gesagt: »Der Held ist gewissermaßen das Auge, durch welches der Autor die Welt sieht, in diesem Roman wenigstens, in diesem Stadium seiner Entwicklung wenigstens und, wenn das zuviel gesagt ist – meistens wird es nicht zuviel gesagt sein – so ist der Held doch ganz sicher der Gesichtswinkel, unter welchen uns der Autor das Stück Menschentreiben, das er aus dem Ganzen ausscheidet, gerückt hat, unter dem er wünscht, daß wir es betrachten möchten.« Der Held des Romans ist dessen versinnlichte Idee. Die Idee überzeugend zum Ausdruck zu bringen, ist Aufgabe des Dichters. Ob er dieser Aufgabe gewachsen ist, das wird immer der Maßstab für sein Können sein. Wenn es ihm gelingt, die Charakterentwicklung seines Helden, dessen Denken und Tun mit der Idee ganz in Einklang zu bringen, wird man dem Roman die Vorbedingungen zu einem Kunstwerk zuerkennen müssen. Holzamers Werke haben diesen Vorzug. Man wird nun, um den Sinn des Spielhagenschen Satzes weiterzufassen, allgemein, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, sagen können, die Idee des Romans ist ein Stück aus der Weltanschauung des Autors. In dem Roman gibt er eine Probe auf Bewährung oder Hinfälligkeit seiner Idee. Unter ebensolchen Verhältnissen würde er gleich seinem Helden seine ganze Kraft in den Dienst der Idee stellen, würde also sich geradeso die lebhafte Sympathie derer erzwingen, die seinem Helden zujubeln. Das gilt in erhöhtem Maße auch von unserm Dichter. Es werden nicht sehr viele sein, die ihn verstehen und auf deren Beifall er zu rechnen hat. Aber die wenigen andern werden gegen ihn um so ehrlicher sein und um so treuer zu ihm stehen. Mich hat eine kleine Erzählung, »Sein letztes Hochamt«, das erste, was ich gelegentlich von ihm las, zu seinem Freunde gemacht. Gerade die innigen Beziehungen zwischen dem Grundgedanken dieser Erzählung und dem Charakter des Helden zeigten mir deutlich, daß Holzamer ein Künstler sowohl in der Zeichnung menschlicher Charaktere als auch in der Motivierung äußerer Vorgänge sein müsse.

Vor allem ist er Psychologe. Und ein gründlicher Psychologe, manchmal fast zu dogmatisch exakt. Es bleibt nichts, das zwischen den Zeilen zu lesen wäre. Von allem Geschehen gibt er die Motive. Auch die verborgensten zieht er ans Licht, die undefinierbarsten zergliedert er, die verzwicktesten ergründet und zerlegt er. Fast nichts bleibt unklar und rätselhaft, nicht einmal die Regungen der menschlichen Psyche, die hart ans Pathologische grenzen.

Mit derselben Sicherheit und Präzision sind die äußeren Menschen gezeichnet. Nur ist Holzamer da sparsamer. Ein paar knappe Sätze, einige markante Striche, die den Leser in die Lage setzen, das Bild richtig zu ergänzen. Dabei läßt er's bewenden. Ein umständliches Porträt entwirft er nicht. Nur in der »Sturmfrau« erinnere ich mich, einer längeren Schilderung begegnet zu sein, die in ihrer Anschaulichkeit aber nichts Ermüdendes und Überflüssiges aufweist. Sie mag hier stehen: »Sein Kopf war mir aufgefallen. Ein bedeutender Kopf? Ja, wer könnte sagen, was einen Kopf gerade ›bedeutend‹ macht! Ein sprechender Kopf! Das ist jedenfalls richtiger. Das Gesicht ziemlich lang, ein kurzer Spitzbart, eine grobe Nase, ein breiter, unterstreichender Mund. Eine gewölbte, scharf ausgearbeitete Stirn von kaum angegrautem, hochstehendem Haar in schöner Linie abgeschlossen. Schön! – ja, aber vielleicht war nichts eigentlich schön in diesem Gesicht. Die Form des ganzen Kopfes hatte etwas Vornehmes, auch die Stirn; das übrige war grob, rustikal. Aber es war doch keine Disharmonie. Es war nur ein besonderer Ausdruck dadurch geschaffen, eine Mischung von Härte und Weichheit, von Schmermut und Energie, von Kindlichkeit sogar und Männlichkeit. Ein Kopf, wie man ihn in Irrenhäusern wohl häufiger sieht – oder unter Verbrechern – eine Physiognomie, die Rätsel aufgibt... Ich hatte nun seine Augen gesehen. Groß standen sie in dem wetterbraunen, scharfzügigen Antlitz. Unter breiten, geschwungenen Brauen scharfe, fast blitzende harte Augen und doch etwas darin, als läge ein Schleier darüber, als sei alles Traum in ihnen, wieder diese Mischung wie in seinem Antlitz, Schmerz und Weichheit und Stärke, Sehnsucht und Gewißheit und Zielsicherheit. Aber wie sprachen sie, wie eminent deutlich! Vom Aufmerken, vom Besinnen, vom Bewußtwerden des Erfragten zu einem stolzen Unmut bis wieder zu einer gewissen Traurigkeit und Ruhe war ein rascher Wechsel in dem Blick vor sich gegangen.«

Die scheinbare Sprödigkeit des Holzamerschen Stils ist in der Prägnanz und Knappheit seines Ausdrucks begründet, vielleicht sogar in der ganzen Art seines Schaffens, dem das innere Erleben, das Seelische, immer über das Äußere, die Handlung, geht und das sich den Stil zur markanten Kennzeichnung selber prägt und ihm die feste Norm gibt, die dem dargestellten Leben und Wesen entspricht. Anfangs mag er hier und da etwas hastig, flüchtig, absichtlich einfach anmuten. Aber bald wird er einem lieb, und was einem zuerst vielleicht als eingeschobenes Flickwort erschien, das glaubt man nachher als Glied einer feingearbeiteten Kette gar nicht mehr ausscheiden zu können. Und dieser Stil ist jedenfalls sein eigener. Es ist rheinisches Feuer und Blut darin, und doch auch wieder Ruhe, Klarheit und Gleichmäßigkeit, je nachdem. Nur wo die Leidenschaften ihre Rechte fordern, da tritt Holzamer aus dieser Ruhe heraus, da schwillt seine Sprache an, und in vollen Akkorden oder in schrillen Dissonanzen singt es und schreit es uns entgegen. Humor, Satire und Ironie sind selten in seinen Büchern. Satire findet man so gut wie gar nicht. Seine Ironie hat immer etwas Gutmütiges, Bemitleidendes. Wo der Humor durchbricht, ist er urwüchsig, frisch und kräftig, niemals aber roh und ungeschlacht. Holzamer lacht nicht; er lächelt nur. Auch der Humor ist ihm etwas Großes, an das grobe Finger nicht rühren sollen.

Zuzeiten haben auch die Heimatdichter Holzamer den Ihrigen beigezählt. Und mit Recht. Allerdings nur zuzeiten, obschon er auch in seinem späteren Schaffen dem Heimatlichen nicht untreu geworden ist. Wie könnte er auch? Aber von dieser Heimatkunst wollen die, denen sie enggefaßtes Prinzip und allzu klein bezirktes Gebiet ist, nichts wissen. Und er ist doch einer der ehrlichsten Heimatkünstler. Einer, der nie im Posaunenchor dieser neuen »Bewegung« mitwirkte, sondern der im stillen schuf und die Menschen wachsen und weitblickend werden ließ auf der heimischen Scholle. Und so konnte er Großes, Bleibendes schaffen, das ihm ein Anrecht auf einen vornehmen Platz unter den Volksschriftstellern verleiht. Er vertritt nicht ein ängstliches Sicheinzäunen von allem, was jenseits der vier Pfähle liegt und von dort herüberdringen will, sondern er vertieft sich liebevoll in das, was die Heimaterde an Segen ausströmt, und zeichnet gern die Gesundheit und Vollkraft ihrer Bewohner. Aber auch ihre Schäden und Schwächen deckt er auf, manchmal sogar scharf und unbarmherzig. Er ist viel zu ehrlich, um in einseitige Krähwinkelei zu verfallen.

Holzamers Haupttätigkeit liegt auf dem Gebiete der Novelle und des Romans. Seine Lyrik paßt nicht recht zu der Wuchtigkeit, die sich sonst bei ihm kundtut. Sie ist mehr Ausfluß des Gemüts, und das ist gut so. Besonders die Lyrik seiner Reife und Ruhe hat viel Schönheit und stille Glut. Heißes, doch nicht ungestümes Begehren spricht aus ihr, tiefe Sehnsucht und brennender Schmerz. Und vor allem: sie kommt aus dem Leben und hat Leben; sie posiert nicht. Sie ist fein abgetönt und von reinem, weichem Klang. Nur ganz selten schlägt er einen kräftigeren Ton an, und der ist dann ein Schrei, ein Fluch auf die Spötter und Lästerer, ein Jubel auf Schönheit und leuchtende Pracht. Auch in seiner Prosa manifestiert sich überall der Lyriker. Stellenweise tritt er sogar deutlich und doch unaufdringlich in den Vordergrund. Nirgends stellt sich das poetische Element trotz noch so häufigen Vorkommens als etwas Zufälliges dar. Nirgends ist es Füllsel, nirgends Äquivalent für eine verfehlte oder schwache Wirkung, sondern steht immer mit seiner ganzen Umgebung in innigstem Zusammenhang, gibt mit dieser und in dieser die schönste Harmonie. So verständig ist das Maß des lyrischen Einschlags innegehalten, daß man ihn vermissen würde, wenn er nicht da wäre.

Mit gutem Erfolg und hohem, künstlerischem Ernst hat sich Holzamer auch als feinsinniger Essayist und Kunstkritiker betätigt, in allerletzter Zeit auch als Dramatiker. Uns kommt es auf diesen wenigen Blättern aber in erster Linie darauf an, ihn als Erzähler kennen zu lernen, weshalb hier im einzelnen noch einmal auf sein Schaffen eingegangen werden soll, unter besonderer Berücksichtigung seiner erzählenden Schriften.

Schon in seinem Erstlingsbuch » Auf staubigen Straßen« zeigt Holzamer seine Vorliebe für Dorfsonderlinge. Meist zeichnet er Menschen, die dem Leben wohl entgegenzutreten gesonnen sind, unter seinen wuchtigen Schlagen aber zusammenbrechen. In allen Stücken spricht sich eine scharfe Abneigung gegen alles Veraltete, Engherzige und Philiströse aus; einige sind gut pointierte psychologische Kleinmalereien, nicht selten mit Ansätzen zu kräftigem Humor und beißender Ironie. Am besten gelungen ist »Hochsommerglück«, eine straff komponierte Novelle voll gesunder Sinnlichkeit. Sie ist als Probe aus einem Erstlingsbuch geradezu ein Prachtstück, aus einem Guß, während die andern eine größere Einheitlichkeit vermissen lassen. Holzamers Eigenart zeigt aber das Buch schon ganz entschieden.

Um ein bedeutendes reifer stellt sich seine zweite Novellensammlung » Im Dorf und draußen« dar. Darin ist kein einziges Stück, das nicht psychologisch tief zu denken gäbe. Sicher erfaßt ist »Der alte Musikant« und der Lehrer in »Sein letztes Hochamt«; aber auch die andern Novellen weisen geschickte Linienführung und lebensvolles Kolorit auf. Die ganze Sammlung ist insofern charakteristisch für den Dichter, als die frostige, starre Härte schon hier deutlich zu fühlen ist, die später zu einem Hauptmerkmal wird, oft von erschreckender Konsequenz.

Auf diese ersten beiden wohlgelungenen Versuche seines Erzählertalentes folgte bald » Peter Nockler«, der Roman eines Schneiders, den Holzamer gleich im Anfange des Buches mit wenigen, aber sichern Strichen zeichnet: »ein guter Kerl« ist er. Peter heiratet ein Mädchen trotz ihres Geständnisses, daß sie ihm mit einem andern die Treue gebrochen habe. Sein Herz ist zu gut und weich, sein Mitleid zu tief, seine Liebe zu selbstlos, als daß er Elise abweisen könnte, die entehrt und verzweifelt zu ihm zurückkehrt. Er nimmt sie wieder an, trotzdem sie ihn so oft ihren Übermut und ihre Grobheit hatte fühlen lassen und er sich oft im stillen gesagt hatte, daß sie doch kein Mädchen sei für ihn. Trotz alledem. Er denkt nicht an sich und das eigene Weh, nur ihr Schmerz und ihre Verzweiflung bestimmen ihn. Und dann das liebende Allesverstehen und Allesverzeihen. »Ich will euch was sage, mer sein halt all Mensche.« Das ist Peter Nocklers große Philosophie, die sich nicht unterkriegen läßt von willkürlichen Menschensatzungen, auch nicht von Selbstsucht und kluger Berechnung, auch nicht von unschuldig erlittenen Schmerzen und Unbilden. Die Philosophie einer grundguten, treuen Schneiderseele. Elise siecht an der ihr vom Schicksal geschlagenen Wunde hin, trotzdem sich ihre bangen Zweifel an der Liebe Peters zu dem Kinde, das nicht sein Kind ist, als grundlos erweisen. Es ist eine Holzamersche Härte, daß er die Frau den einen Fehltritt so schwer sühnen läßt. Es war doch nur Jugend, strotzende Kraft und zügelloses Begehren; sie war nicht schlecht. Das bißchen Tollheit und Draufgängertum in ihr wird ja auch still mit der Zeit, und sie wird tief und trägt stumm an ihrem Leid. Aber gerade diese Härte rückt auch sie uns nahe und macht uns mitfühlend. So gewinnen wir sie beide lieb. Auch der alte Meister Sieben und seine Frau sind herzgewinnende liebe Leute, bieder, ehrlich und hilfsbereit. Nichts Böses ist in ihnen. Das Buch müßte ein Volksbuch werden. Allein um dieser vier Menschen willen. Und zum andern, weil ein Humor in seinem ersten Teile lebt, so gesund und erfrischend wie sprudelndes Quellwasser. Wenn ich oben von Holzamers Heimatkunst gesprochen habe, so will ich das nicht zuletzt auch auf »Peter Nockler« bezogen haben. Das ist tiefe, echte Heimatliebe, die aus Peters Tun und Reden spricht, da er in der fremden Stadt einsam in seiner »Schneiderbutike« sitzt und sich zusammennehmen muß, um nur den einen Gedanken nicht aufkommen zu lassen, das Heimweh. »Es saß ihm so ein Druck in der Brust, in der Herzgegend links unten. Es war so etwas, das herauf wollte und immer nur auf eine Gelegenheit paßte: heraufschluchzen, müde und traurig machen. Und ein paarmal packte es den guten Peter, und die Hand sank ihm aufs Knie, und die Nadel ruhte. Da war ihm seines guten Meisters Michel Sieben geräumige Werkstatt eingefallen, und der Platz, den er drin gehabt hatte. Da war der Blick aufs freie Feld gewesen bis hinunter in die Wiesen. Jeden Baum kannte er da und die Obstsorten, die drauf wuchsen. Auf dem großen, dicken dort mit dem breiten, runden Kopf: die weißen Ernteäpfel, auf dem spitzen dort hinten: die gescheckten Zitronenbirnen. Rechts dort, nach der Anhöhe zu, die gewaltigen Nußbäume, und ganz da hinten die Weiden und Pappeln in den Wiesen, und zwischen denen ein heller weißer Giebel: die Wiesenmühle. Hier auf der andern Seite aber, ganz links, daß man sich ein wenig vorbeugen mußte, um recht zu sehen, ein Stück der langen, grauen Kirchhofsmauer. Und die Fuhrwerke sah er, die hin und her gingen, die Schnitter sah er in den weiten Getreidefeldern, ein Blitzen und Blinken der Sensen in der hellen Sonne. Und die Abendröte sah man, die ganz langsam, ganz leise hinter dem Hügel herausgekrochen kam, und es war so still geworden im Feld. Dann ruhte auch er. Am Fenster stand er dann noch eine Weile, bis die Meisterin zum Abendessen rief, und blickte hinunter ins weite, stille Feld und hörte die Bäume rauschen und die Käuze schreien. ›Schön war's,‹ mußte der Peter denken ...«

Viele gemeinsame Züge mit Peter Nockler weist auch die prächtige Figur in » Der arme Lukas« auf. Auch hier tritt uns ein äußerlich unscheinbarer, bescheidener Mensch entgegen, dessen Innenleben desto reicher und tiefer ist. Auch hier spricht ein weiser Mann zu uns, der sich mit der feindlichen Außenwelt abgefunden hat, der nach einer sturm- und wirrnisvollen Lebensbahn den Mut hat, reue- und bußlos zu sterben, nachdem ihm das Jugendglück der Liebe zerschellt ist. Das Buch enthält das ehrlich offene Bekenntnis des armen Lukas, das er dem jungen Besucher in der Dämmerung ablegt. Bis in seine früheste Kindheit reicht es zurück. Vom Vater ob seiner Liebe zu seiner Gespielin Luise als »unpraktischer Träumer« gescholten, treibt es ihn in die Fremde. Nach Jahren kehrt er in die Heimat zurück und findet Luise in der Lücke wieder, die der Mutter Tod in das Hauswesen gerissen hat. Das zerschlägt ihm alles, und den heißen Funken, der noch in ihm glüht und aufflammen will, muß er ersticken; das Stiefschwesterchen steht als stummer Mahner zwischen ihm und Luise, seiner zweiten Mutter. In bitterer Entsagung nimmt er Abschied von ihr und endet die Geschichte seiner Liebe und seines Leides in der Stille und Beschaulichkeit eines bescheidenen Berufes. Das Seelische in dieser Geschichte ist tief und rein erfaßt, vor allem in der Liebe des armen Lukas zu Luise. Wie diese Liebe aus dem gegenseitigen Freundsein, der gemeinsamen Naturverehrung, dem kameradschaftlichen Verkehr und der Hochachtung Luisens vor dem reifenden Jüngling herauswächst, das ist erstaunlich sicher erzählt. Ebenso die unverwischbaren psychischen Eindrücke jeder noch so kleinen, äußerlich unbedeutenden Episode aus des armen Lukas Kindheit, der Streit mit dem Freunde, der ihn wegen seines für das leiseste und geheimste Leben der Natur empfänglichen Sinnes verhöhnt, die Krankheit der Mutter, des Vaters Schroffheit und Verständnislosigkeit für seine tieferen Bedürfnisse, die Unterrichtsstunden am Bette des alten Lehrers, alles das macht gerade den »Armen Lukas« zu einem der besten und reifsten Bücher Holzamers, und sicher zum tiefsten. Hätte er uns kein andres als dieses und den »Peter Nockler« geschenkt, wir möchten seinen Namen nicht wieder vergessen, und einer späteren Zeit wird es überlassen bleiben, zu untersuchen, ob nicht Holzamers Bedeutung als Volksschriftsteller ausschließlich in diesen beiden Dokumenten höchster und echtester Menschlichkeit liegt. Seine Bedeutung als Heimatdichter liegt zweifellos darin und wird ein vollwichtigeres Zeugnis in Holzamers Schaffen kaum mehr finden.

Schon in der Seenovelle » Die Sturmfrau« verläßt Holzamer den heimischen Boden. Manche Ähnlichkeit in der Handlung weist »Die Sturmfrau« ja mit dem »Armen Lukas« noch auf. Doch endet diese Geschichte nicht in ungestillter, erstorbener Sehnsucht und stummer Resignation, sondern mit einer Erfüllung, einer Erfüllung allerdings um schweren Preis. In der Sturmfrau Käthe Euckens und dem Steuermann Klas Janssen ist etwas, was sich nicht sagen läßt. Man muß es erlebt, gefühlt haben, dieses »Vom Menschen zum Menschen«. Ihr Wesen bestimmt sie füreinander und scheidet die Sturmfrau von ihrem Manne, dem Kapitän. Konrad Euckens war ein »Starrkopf«; aber der tolle Wagemut, jubelnd mit seinem Schiffe in eine Sturmnacht zu segeln, fehlt ihm, und das entfremdet ihn seiner Frau, die sich nach einer gewaltigen Katastrophe sehnt, in deren Überwindung sie eine Lebensaufgabe sieht, die eines großen Preises wert ist. Der Preis ist ihr Gatte. Eine Welle spült ihn über Bord in dem Augenblicke, da sie jauchzend das grause Schauspiel genießt, das die tosende See ihr bietet. Das Schiff sinkt. Klas Janssen und die Sturmfrau werden gerettet. Sie ist stark geblieben und wird sein Weib. Ein tiefer mystischer Zug liegt in dieser kleinen Geschichte. Ich denke dabei weniger an den durch die Art der Erzählung bedingten Seemannsaberglauben als vielmehr an jene Stellen, die deutlich an spiritualistischen Dualismus und Seelenwanderung gemahnen. Käthe und Klas sind »zwei Menschen aus einer Wurzel« ... »Wenn das Leben seine Laune hat und führt so zwei einmal zusammen, sind das nicht eigentlich zusammengehörige Menschen?« ... »Sie müssen doch irgendwann und irgendwo zusammengewesen sein.« Ein gewagter Stoff; aber Holzamers Kraft versagt nicht. Der beständige heiße Seelenkampf Klas Janssens und das im Unterbewußtsein wurzelnde Zueinanderdrängen der beiden verwandten Seelen sind trefflich dargestellt. Die Schilderung der Sturmnacht ist gewaltig.

Wie Holzamer gerade darin Meister ist und die Leidenschaften der Natur mit dem Empfinden der handelnden Person in Beziehung zu setzen versteht, beweist auch » Der heilige Sebastian«. Zwei Stellen sind darin, die gewaltig packen. Einmal die wunderbare Schilderung des Trinitatissonntags, in der besonders seine stimmungbildende Kraft zum Durchbruch kommt, und dann die grandiosen Szenen in den drei letzten Kapiteln. Wie Holzamer hier mit sich fortreißt, mit einer geradezu unheimlichen Wucht, das findet nicht leicht seinesgleichen. Und so kraftvoll und wuchtig ist auch der heilige Sebastian in seiner Bußpredigt. Der Stoff weist in die Zeit der Hussitenkriege hinein. Sebastian ist ein ehrlich frommer Priester aus jener Periode. Die Liebe zu einem Mädchen siegt in ihm über die starre Pflicht des Priesters. Er flieht mit Weib und Kind und fristet als Lateinlehrer sein karges Leben unter Not und Entbehrung. Seine Familie fällt den unseligen Zeitwirren zum Opfer. Als vielgeprüfter Mann kehrt er an die Stätte seiner ersten Wirksamkeit zurück und endet seine Sühnelaufbahn, indem er als Rächer Gottes inmitten einer durch zügellose Leidenschaften entmenschten Schar, der er aber als Heilbringer und Erlöser erscheint, sein Leben aushaucht. Holzamer hat es verstanden, in diese Zeit der extremsten Lebensanschauungen einen Mann hineinzustellen, der den wahren Wert des Daseins und die schönste Bestimmung des Menschen gefunden hatte, der im besten und edelsten Sinne ein Heiliger war. Ich möchte diesen Roman den beiden erstgenannten beizählen und »Die Sturmfrau« als Übergang zu seinen letzten, größeren Arbeiten ansehen, in denen Holzamer sich auf das Gebiet der – Frauenbewegung begibt.

Man erschrecke nicht. Was man gemeinhin unter Frauenbewegung und Frauenrecht versteht, davon enthalten die Bücher nichts. So rückhaltlos wie seine früheren vermag ich sie allerdings an dieser Stelle nicht zu empfehlen. Das liegt in ihrer Art, soll mich aber nicht abhalten, sie trotzdem möglichst allseitig zu beleuchten. Sie verdienen es um ihrer selbst, um ihrer Größe willen und fordern es um des Dichters, um des richtung- und zielweisenden Aufschlusses willen, den sie über die Entwicklung des Menschen und Dichters geben. Es ist gar kein Wunder, daß sich der arme Lukas und der Peter Nockler – vielleicht auch noch der heilige Sebastian – a priori eine größere Sympathie, eine rückhaltlosere Anerkennung erwerben mußten, als die Frauengestalten in den letzten Romanen Holzamers. In der Geschichte des armen Lukas und der des Peter Nockler ist alles Vergangenes, im Rückschauen Ergriffenes, Abgeschlossenes und somit Sicheres und Befriedigendes. Die andern Arbeiten zeigen Entwicklungen aus jener, möcht' ich sagen, in die Erinnerung gerückten, bewußt gewordenen Präexistenz seiner Persönlichkeit heraus. Sie zeigen in die ferne Zukunft, die der nicht im Werdegang von Holzamers Weltanschauung stehende Fremde gar nicht so zu sehen braucht, wie er sie sieht, die für jenen ebensogut ein Irregehen wie ein Zielerreichen sein kann. Sie sind Etappen, vielleicht sogar notwendige Etappen, ohne die für Holzamer ein sicheres, ruhiges Fortschreiten gar nicht möglich wäre. Sie liegen auf seinem Wege und, man kann sagen, auf dem Wege, den er mit seinem ersten Buche eingeschlagen hat. In dem Roman » Inge« Berlin, Egon Fleischel u. Co. 1903. Neue Ausg. 1905. erzählt er von einem nach Vollendung strebenden Mädchen, das den Traum seines Lebens erfüllt zu sehen glaubt in der Verbindung mit ihrem Jugendgespielen und Freund, dem jungen, schnell aufstrebenden Musiker Hans Sturm, dessen Entwicklungsgang Holzamer mit einer erstaunlichen Lückenlosigkeit darstellt. Aber bald kommt für Inge die Enttäuschung. Das Talent Hans Sturms hat seinen Höhepunkt erreicht. Er hat nichts Neues, Größeres, Besseres mehr zu geben. Es ist sein Letztes. Die »Tragödie des Künstlers, der sich selbst überlebt«. Inge verzweifelt an ihm; er wird ihr nur Mann, und rückhaltlos weist sie ihn auf die Tragweite dieser Wandlung hin. Hans gibt sich nach einem vergeblichen Versuch, höher zu streben, einem Versuch, dem sein Talent nicht standgehalten hat, den Tod, während Inge über ihn als über eine Entwicklungsstufe hinwegschreitet und dem nach ihrer Meinung ausgereiften Vollmenschen Gerhart Römer, den seine Frau in der Erkenntnis des »Rechtes der Persönlichkeit« willig frei gibt, die Hand reicht, um mit ihm ihrer Vollendung entgegenzureifen. Sie gehen in ihre Notwendigkeit. Und diese Notwendigkeit versucht Holzamer mit Gründlichkeit aus den seelischen Konflikten herauszuentwickeln, nicht immer allerdings mit Glück. Es bleiben doch Zweifel und Unklarheiten in Inges Handeln. Und die Notwendigkeit des Schrittes, den Römer tut, deucht mir doch etwas gesucht. Trotzdem wird unsre Zeit an dem Buche nicht vorübergehen können. Es muß an seinem Teile reformatorisch wirken; die Kraft steckt in ihm. Es enthält eine Fülle von Problemen und Zeitfragen, denen Holzamer nicht machtlos aus dem Wege geht, sondern deren Lösung er mit der ihm eigenen Ehrlichkeit und Energie zu finden bestrebt ist. Die fern von jeder Pseudoemanzipation stehende Frauenbewegung wird ihm ihre Aufmerksamkeit schenken müssen, gerade so wie die Erzieher. Das Buch verdient es, daß sein Name geläufig wird, und nicht nur sein Name, auch die großen, gesunden Ideen, die mit schädlichen Vorurteilen endgültig brechen.

Den zweiten Roman, » Ellida Solstratten«, wird man vielleicht weniger verstehen und noch weniger sich mit ihm befreunden. Einen Vergleich mit »Inge« fordert er geradezu heraus. Hier wie dort will Holzamer das Weib darstellen, das, selber stark und trutzig im Lebenskampfe stehend, auch von dem Manne mit unerbittlicher Konsequenz Widerstandskraft und Strebensfreudigkeit fordert, das aber über den Schwächling kalt und hart hinwegschreitet oder ihn von sich stößt. So war Inge, so ist Ellida. Ein seltener, vielleicht ganz unmöglicher Typ des Neuweibes, das, an den Konventionen eines braven Bürgertums gemessen, hassenswert herzlos erscheint. »Sind das Frauen?« wird man sagen. Holzamers früheres Buch war mehr theoretischer Versuch. In »Ellida Solstratten« bemüht sich der Dichter, die feinen Zusammenhänge zwischen allem Geschehen und den Notwendigkeiten des Lebens überzeugend darzustellen. Er untersucht und zergliedert die subtilsten Regungen und Emanationen der Seele und gibt einen tiefen Einblick in eine auf das Gesetz der Notwendigkeit aufgebaute Weltanschauung. Ohne in nüchterne Doktrinen zu verfallen, ohne aber auch nur ein einziges Mal eine Phrase einzusetzen, wo die schärfsten Kontraste gesteigerte Ansprüche an seine dichterische Kraft stellen. Ellida Sollstratten kommt aus ihrer nordischen Heimat nach Heidelberg, wo sie Vorlesungen über ein philosophisches Thema hört, und findet den »stillen Abseitsgänger« Werner Staufer. »Wie sich Geschwister finden: sie sehen sich und haben sich lieb.« Sie erleben auf einsamen Wanderungen die Reize der Heimat Werners, und dann kommt der Abschied. Werners Herz blutet. »Da unten steht mein Häuschen, Ellida. Nun blinken seine Fenster schon in den Abend, und am Bette meiner Kinder sitzt die Mutter und sagt ihnen gute Worte, daß sie schlafen sollen.« Aber sie scheiden in der Hoffnung auf ein Wiedersehen im Norden. Ellida widmet sich in der Heimat ernster Arbeit und stellt sich als begeisterte Kämpferin an die Seite des jungen, von seiner Gegenpartei verfemten Advokaten Robert Abel, der ihr seine Liebe erklärt. Sie fühlt nichts für ihn und kann ihn nicht erhören. Nur »wenn das Leben sie wieder zu gemeinsamer Tätigkeit fordern sollte«, will sie ihn wiedersehen. Werners Kommen verzögert sich; er ist dem »Klatsch« der engen Welt, in der er steht, zum Opfer gefallen, und sein Stolz ist gebrochen. Erst nach einem Jahre kommt er auf kurze Zeit. Nach seiner Heimkehr wird er in die Irrenanstalt verbracht. Und das Leben steht vor Ellida »wie ein Cherubim, hart und streng«. Sie erträgt es in stummem Schmerz, während es ihn vernichtet. Sechs Jahre wächst sie an diesem Leben. Da kreuzt Ewald Dranmor ihren Weg. Sein äußeres Auftreten gewinnt sie. Im entscheidenden Moment aber lernt sie die Schäden einer nutzlos verbrachten Vergangenheit an ihm kennen, sieht, daß er ein aufgebrauchter Schwächling ist, dem es an kräftigem Willen fehlt, sich wieder aufzurichten. Und das »Quäntchen Herzenswärme« in ihr kann sie nicht hindern, ihn von sich zu stoßen. Nachdem er sich den Tod gegeben hat, streicht sie ihn aus ihrem Leben, und darunter setzt sie ihre Unterschrift: »breit und fest und groß in einem Zuge, Ellida Solstratten«. Dann geht sie arbeiten. Die krassen Gegensätze zwischen Ellida und den beiden Männern, denen das »Letzte« fehlte – »Widerstandskraft dem einen, Tatkraft dem andern« – heben den Typ des starken Weibes scharf hervor. Die Worte des Angelus Silesius sind ihr Leitspruch: »Mensch, werde wesentlich!« Im Begriffe, einen Strauß Rosen auf das Dünengrab des Selbstmörders zu legen, schämt sie sich ihrer Sentimentalität, fürchtet um die Wahrheit ihrer Wesenheit und schleudert die Rosen ins Meer. Wie ihr, so wird auch den Menschen, die ihr begegnen, ihre vollendete Art etwas Herbes, Schmerzliches sein. Man wird trotz alledem Mitleid haben mit den beiden Männern, die das Schicksal vernichtete. Und wieder wird man schwanken und sich fragen, ob sie nicht doch unnütze Brunnen waren, die sich schlossen, ehe sie noch ihren letzten Tropfen hergegeben hatten. Aber noch einmal: »Sind das Frauen?« wird man fragen. »Tut so die Gemütsmacht des deutschen Weibes?« Wo man danach »Inge« und »Ellida Solstratten« abwägt, da werden ihnen die Türen verschlossen bleiben. Aber auch unter denen, die von Nietzsche etwas über die Bestimmung des Starken und die des Schwachen gelernt haben, werden Holzamer ob dieser beiden Romane vielleicht Gegner erstehen, die fragen: »Wo ist die Ellida Solstratten zu finden, die Frau und zugleich Mensch ist, so Mensch ist wie sie?« Ich habe zu Holzamer das Vertrauen, daß er sie uns noch zeigen wird. Inge war sie nicht; vielleicht sollte sie es sein. Aber sie stand denn doch nicht so fest in dem ihr zugewiesenen Kreise, wie sie darin hätte stehen sollen. Und es war gut so – um des Romans willen –; an den letzten Konsequenzen des Ehelebens wäre sie gescheitert. Anders Ellida. Ihr traue ich zu, daß sie sich auch da finden wird, wo Holzamer sie uns noch nicht gezeigt hat: an der Seite des Mannes, den ihr das Leben »aufgespart« hat. Auch da wird ihrer die Arbeit warten. Auch da wird sie dem Leben »Auge in Auge« gegenüberstehen, und es wird weniger hart und ernst sein, und sie wird nicht immer »wie Stahl« sein müssen, sie wird auch – lächeln dürfen und sich »der schönen Erde freuen«. Dort wollen wir Holzamer wieder begegnen, und alle Ehrlichen von seinen ersten Romanen her werden sich mit ihm versöhnen, wenn sie ihm eine Zeitlang fremd gewesen waren.

Ich muß mich in der Betrachtung von Holzamers weiterem Schaffen beschränken. Gleich sein erstes unter der Einwirkung Falkes entstandenes Lyrikbuch » Zum Licht« war ein Beweis von Holzamers unermüdlichem Streben »zum reinen Lichte der reinen Kunst«.

Einheitlicher und selbständiger als dieses Buch des Ringenden ist » Carnesie Colonna«, dessen Lieder trotz des resignierenden Untertones viel Zukunftsfreude atmen. Der ganze Zyklus ist das Lied einer Liebe, die wie ein Hauch war, wie ein stiller Wellenschlag ans Ufer, und die doch so unvergeßlich ist, weil sie glücklich machte. Der Dichter singt vom Gewinnen im Verlust, vom Besitzen im Meiden, vom Glücklichsein im Unglück. Ein Buch ist es wie eine reife Frucht im Herbst. Holzamer hat darin eine große Höhe erstiegen. – Wie tief ist es gedacht, wenn Carnesie dem Dichter die Deutung seines Lebens gibt, indem sie ihn auf die Schönheit der griechischen Vase hinweist, der äußere Mängel und Risse keinen Abbruch tun können. Wie echt traurig ist das Traumbild der beiden umschlungenen Leichen im Kahn und seines bleichen, lächelnden Führers, des Todes! Wie ergreifend das dämonische »Wiedergeburt« mit dem wunderbar klar geschauten »... und heimlich rann mein Herzblut deinen Schritten nach.« Phantasien nennt Holzamer die Lieder, als ob ihm die ehrfürchtige Scheu vor dem Erlebnis und seiner Schwere Schweigen auferlege, damit keines Unberufenen Blick in das Heiligtum seiner Schönheit und seiner Liebe dringe.

Schönheit strahlt auch das niedliche, köstlich ausgestattete Bändchen » Spiele« aus. Zwar wird der unbestrittene Wert dieser Spiele, trotzdem sie in Darmstadt das Rampenlicht sahen, ausschließlich in dieser Buchausgabe liegen. Auf eine so feine Bühne, wie sie Holzamer erträumt, werden wir vorderhand wohl verzichten müssen, und auf ein Publikum, das für eine solche Kunst zu gewinnen wäre, erst recht. Wenn man die fein abgerundeten und geklärten Szenen liest, die voll Weichheit und stiller Anmut sind, wird einem, man wandle durch Märchenreiche, leise, leise, damit nur ja der süße Traum nicht zerstört wird, der den Geist umfangen hält. Böcklins »Der heilige Hain« tut sich dem seligen Blick auf, und man sinkt nieder, umflorten Auges, vor dem Altar der Schönheit.

Von der ernsten Sorge Holzamers um die Kunst legt das kleine Büchlein »Die Siegesallee« ein beredtes Zeugnis ab. Es sind »Kunstbriefe an den deutschen Michel«, in denen Holzamer gegen das Unkünstlerische der vielerörterten Berliner Siegesallee Stellung nimmt. Die Wahrheiten der Schrift sind aber mit der Aktualität jener Frage nicht geschwunden. Sie bleiben. »Das schwerste Hindernis, was der Kunst in den Weg gelegt wurde, ... ist die Siegesallee in Berlin.« Im Anschluß an diesen Vorwurf fordert er »vollste Freiheit« für den Künstler in demselben Sinne, wie sie Schopenhauer dem Dichter im besonderen zuerkannt wissen will und wie sie für die Schöpfer der Siegesallee von selber ausgeschlossen war. Die Hofkunst, die ein Dienstverhältnis darstellt, will er mit dem »Kunstwart« zwar nicht unterdrückt, aber scharf von der sachlichen Kunst geschieden haben. In dem Großherzog Ernst Ludwig von Hessen erblickt er den fürstlichen Mäcen, der »nicht um seiner Verherrlichung willen Kunst und Künstler fördert, sondern frei schaffen, ja sogar frei gewähren läßt, nicht Gesetze vorschreibt, nicht Gefallen und Mißfallen ausdrückt, sondern die Republik der Künstler ohne Dreinreden sich entfalten oder sich verzehren läßt«. Er war es, der den Künstlern in Darmstadt freies Schaffen gewährte und ihnen mit diesem Recht zugleich auch die volle Verantwortung übertrug. Und daher kann es in Darmstadt keine Hofkunst geben, »sie muß sich selbst krönen«, ohne den »Stempel der Krone« zu tragen. Es ist oben schon gesagt, daß diese Briefe aus einer ernsten Sorge heraus geschrieben sind. Und wo auch hier und da ein satirischer Ton angeschlagen wird, immer steht dahinter der Mann, dem es ein Heiliges ist um seine Sache.

Zeugte schon dieses Büchlein von einer durchaus selbständigen, eigenartigen Kunstanschauung, so muß die Essaysammlung » Im Wandern und Werden« Berlin, Wiegandt u. Grieben. 1905. als das reife Ergebnis eines rastlosen Ringens nach Klarheit und Wahrheit des Lebens und der Kunst angesehen werden. Es ist ein reiches und doch bescheidenes Buch: Holzamer nennt die Aufsätze Randbemerkungen, und doch liegt darin so sehr seine ganze, starke Persönlichkeit, spricht daraus so eindringlich und deutlich seine große individuelle Kunsterfahrung, daß man mehr darin sieht als Randglossen. Wie ich's auch anfangen wollte, es ist auf einem kleinen Raume ganz unmöglich, auf den Inhalt des Buches näher einzugehen und die Gedanken der einzelnen Stücke zu fixieren. Mit knapper Inhaltsangabe und Überschriften ist's nicht getan. Dazu ist das Buch zu ernst und fordert zuviel Ernst.

Zum Schlusse sei – nicht allein um der Vollständigkeit willen – noch auf ein Bändchen aus Paul Remers »Dichtung« hingewiesen, das Holzamer über »Conrad Ferdinand Meyer« schrieb. Wie sehr er der Bedeutung Meyers darin gerecht wird, braucht nicht besonders betont zu werden, wenn ich sage, daß für die Bearbeitung dieses Bändchens kaum ein Dichter gefunden werden konnte, der in der »stillen Werkstatt« des »feinen Kunstschmiedes« sich so zurecht fand wie gerade Holzamer. Und noch mehr. Über Conrad Ferdinand Meyer ist in der letzten Zeit so viel geschrieben worden, daß dem wohl kaum etwas Neues hinzuzufügen wäre. Betsy Meyer, die Schwester des Dichters (zu der dieser einmal sagte: »Wie werden sie einst an meinem Lebenslauf herumrätseln! – Nur du könntest ihn erzählen, und du tust es nicht.«) hat, als die Berufenste, ebenfalls jüngst von dem Leben dieses Mannes »der feierlichen Stille« erzählt und, was das Wichtigste ist: mit übergroßer Objektivität, die nach Harry Mayne (Lit. Echo VII, 8) »einerseits in der offenbaren Kühle ihres Temperaments, anderseits aber entschieden darin begründet ist, daß eben auch sie mit dem Bruder nicht ganz intim war ... Trotz ihrem schönen und gehaltvollen Buche bleibt uns C. F. Meyer also noch ein Problem, und niemand darf sich an seine Biographie wagen, der sich nur an das aktenmäßig Überlieferte halten wollte, ohne imstande zu sein, kraft eigener Intuition und hoher psychologischer Begabung den spärlichen Quellen auch in ihrem unterirdischen Laufe zu folgen.« Wenn einer diese Bedingungen erfüllt, so ist es Holzamer; denn wie er in dem Buche als Dichter und mehr noch als Psychologe mit Liebe und feinem Sinn in das Wesen Meyers eindringt, muß rückhaltlos anerkannt werden.

Wilhelm Holzamer ist noch jung. Für einen Dichter, dessen Werk die Notwendigkeit einer eingehenden Betrachtung enthält und gewissermaßen auch die Möglichkeit gibt, jetzt schon das Fazit daraus zu ziehen, mag er noch sehr jung sein. Er ist am 28. März 1870 in Nieder-Olm bei Mainz geboren. Sein Lebensgang war nicht wie das Reifen einer Frucht: langsam, stetig, sicher berechnet; die Kräfte in ihm waren so stark, daß sie zur Eruption drängten, um fessellos zu werden. So ist kaum eine ganz neue Saite mehr in ihm verborgen. Sein Leben und sein Werk liegen klar vor ihm und uns, sofern wir sehen wollen. Er sagt selbst: »Aus meinen Büchern wäre alles zu entnehmen, was bis jetzt sich hervordrängte und so viel Wichtigkeit und Gesicht annahm, daß es gestaltet werden mußte. Vieles ist noch, mit dem ich nichts anzufangen weiß bis jetzt, obgleich ich's gelebt habe wie alles andere,«

Holzamer weiß selber, wie innig sein Werk mit seinem Leben verbunden ist und was er als Dichter durch sein Leben geworden ist. Statt einer trockenen Biographie möge daher das hier stehen, was er in einem Briefe selber von sich sagt. Der Leser des »Armen Lukas« wird darin so feine Beziehungen zu diesem Selbstbekenntnis finden, daß er es allein darum schon nicht gern entbehren möchte.

»Von meiner Jugend könnt' ich Ihnen sagen, wie sie war, d. h. wie sie war mit einem Worte, wie man so sagt, gut oder schwer, das geht nicht ganz. Sie hatte viel Schweres und viel Schönes. Was mir jetzt als Wichtigstes erscheint, sie war zwischen Tür und Angel, wie wir sagen. Fragen Sie mal den armen Lukas, Land und Stadt, Gering und Vornehm, Arm und Reich oder wenigstens wohlhabend und über die nächsten Sorgen hinaus, dazwischen ging es hin und her. Ich habe dadurch nie den Dialekt meiner Heimat gesprochen, ich habe ihn gewissermaßen stets stilisiert geredet. Ich habe vielleicht seinen Tonfall nur erlauscht, um mein Hochdeutsch darauf zu stimmen. Denn ich wurde verfolgt in unserem Dorfe wegen meines Wesens, meiner Sprache, meiner Abstammung – vom alten Holzamer, der jetzt in meinen Büchern Andreas Krafft heißt. Er war ein Revolutionär von 30 und 48 her, er hat einen schweren Kampf mit dem Bischof Ketteler in Mainz gekämpft und war ein besiegter Sieger. Er ist die stärkste Persönlichkeit, die mir in meinem Leben begegnete. Er war ernst, streng, vornehm, sicher. Mit sieben Jahren kam ich zu ihm in seine Privatschule, lernte gleich Französisch und wurde in religiöser Beziehung ganz frei erzogen, (Zum Religionsunterricht mußte ich in die Volksschule gehen. Aber da ließ man mich in der einen Stunde, die man mich mal sah, natürlich links liegen.) Ich blieb in den Händen meines Großvaters, der auch meine musikalische Ausbildung überwachte, bis Kranksein es ihm versagte, an mir zu modeln. Dann kam ich nach Mainz in die Schule, gewissermaßen von seinem Sterbebett weg. Den Klavierunterricht übernahm nun meine Tante in Bingen, die da als Pianistin lebte, eine vorzügliche Bachspielerin ...

Zu Hause war die Mutter meiner Mutter, die »alte Lisbeth«, wie sie im Dorf hieß. Sie ist der liebste Mensch und der weiseste, der durch mein Leben gegangen. Sie war ewig jung. Sie war gut, lieb, gemütvoll und wahrhaft weise. Sie war mit dem Jahrhundert geboren und ist 1887 gestorben. Sie hatte mich sehr lieb, und ich bin in allem, was mir bis zum 17. Jahre das Leben zu tragen gegeben, zu ihr geflüchtet. Sie hatte immer Trost, sie hatte immer eine große Beziehung, in die ein Leid einfloß und sich darin verlor. Sie hatte die Weisheit der Erfahrung. Ohne sie hätte sie wohl ihr Leben nicht tragen können, nicht so, wie sie's trug. Über vierzig Jahre schleppte sie ihr Holzbein – und es war vielleicht nicht das Schwerste, was sie schleppte. Ich höre oft den Takt ihres Ganges – und ich mußte oft in dem gleichen Takte gehen, mit meinen zwei gesunden Beinen. –

Meine Mutter war lieb und klug, ein bißchen phantastisch vielleicht, aber wenn es galt, sich praktisch zurechtfindend und unverzagt. Der Vater dagegen war ein ungezügeltes Temperament; der Moment riß ihn ganz hin. Er fand sich in der Welt nicht zurecht. Er hatte kein Glück.

Ich müßte noch von meinem jüngeren Bruder sagen, wie er Freud' und Leid mit mir geteilt – und müßte von Rheinhessen, den Hügeln und Wingerten, von dem Wiesengrunde der Selz, von den alten Mühlen, von Bingen und Mainz, vom Rhein, vom Taunus und Hunsrück, von einsamen weiten Gängen und dicken Feld- und Waldblumensträußen, von Freunden und Freundinnen sprechen, von Musik und schlechten Gedichten, von Traurigkeiten und Schwärmereien, von allem, was nachklang in den folgenden toten Jahren, die mehr an mir vernichtet als aufgebaut haben, obschon auch da gute Menschen es gut mit mir gemeint haben. Es ging um ein rasches Brot – und auch ein bißchen weltunerfahrener Idealismus war dabei. Alter Schullehreridealismus, der von der Zeit und in der Zeit nichts gelernt hatte. Und doch ist diese Zeit tot in mir, doch hat sie nur getötet in mir. Ich mag ihr gar nichts danken, und vielleicht hab' ich ihr doch sehr viel zu danken.

Dann unterrichtete ich dreizehn Jahre lang an der Großherzoglichen Realschule in Heppenheim an der Bergstraße ... und arbeitete, durstig, verlangend, unbefriedigt, aber rastlos.

In Grün versteckt, stand hier mein Häuschen, traumschön, und mein Leben schien in den Geleisen der Sicherheit friedlich, auf den Wegen des Friedens sicher hinzufahren. ›Zum Licht‹ war erschienen und mußte in der näheren Umgebung versteckt gehalten werden. Die ›staubigen Straßen‹ waren erschienen, kein Mensch durfte davon wissen. Im Jahre 1901 berief mich der Großherzog nach Darmstadt als Leiter der ›Darmstädter Spiele›. Meine ›Spiele‹, für diesen besonderen Zweck geschrieben, erschienen bei Diederichs. Gleichzeitig brachte er ›Im Dorf und draußen‹ heraus. Der ›Nockler‹ lag schon lange fertig, der ›Lukas‹ war beinahe beendet. Sie erschienen bald. Dann schrieb ich für Diederichs die Kunstbriefe an den deutschen Michel über die ›Siegesallee‹. Der Großherzog übertrug mir die Leitung seiner Kabinettsbibliothek. ›Carnesie Colonna‹ erschien. Und dann – dann riß es mich hinaus ins Leben. – ›Die Sturmfrau‹ erschien, ›Der heilige Sebastian‹, die ›Inge‹, ›Ellida‹, ›C. F. Meyer‹, und ich schrieb das Drama ›Um die Zukunft‹.

Ich habe gelebt wie jeder andere, ohne Besonderheit, und hatte meine Lehrjahre nötig – vielleicht sind sie noch nicht abgeschlossen – und muß meine Wanderjahre – vielleicht haben sie schon begonnen – wandern mit allen Strapazen und Bitternissen der Wanderschaft. Und vielleicht häng' ich einmal wo mein Schild der Meisterschaft heraus – vielleicht komm' ich auch nie dazu. Nach etwas streben, heißt nicht immer, es erreichen, und ich habe gar keine ›Freunde‹, gehör' auch keiner Clique an und unterhalte und suche auch keine ›Beziehungen‹. Ich eigne mich dazu nicht. Auch Allüren geben kann ich mir nicht. Und außerdem hab' ich sehr viel kritisiert, das verdirbt die Freundschaft.

Köln, im Frühjahr
1905.

R. W. Enzio


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