Autorenseite

   weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

H. Clauren

Das Raubschloß

Eine buchstäblich wahre Geschichte

Eine sehr angenehme Dienstreise führte mich in die Gegend des Riesengebirges, wo ich in meiner früheren Jugend, ein Jahr im Hause meiner Tante Walther, äußerst glücklich verlebt hatte.

Ich hatte mir vorgenommen, sie bei dieser Gelegenheit zu besuchen und ihre beiden Töchter, die damals Kinder von zwei, drei Jahren gewesen waren, jetzt, in der Blüthe ihrer schönen Tage, wieder kennen zu lernen.

Der Onkel war seit jener Zeit gestorben, und die Tante lebte von ihrem sehr ansehnlichen Vermögen, auf ihrem Gute, in der reizendsten Gegend des innern Gebirges.

Im letzten Städtchen, wo ich im Wirthshause mich nach den nähern Umständen der Familie erkundigte, erfuhr ich zu meiner großen Betrübniß, daß die arme Tante vor einigen Wochen, ihre jüngste Tochter, Cäcilie, durch das Scharlachfieber verloren habe, und von diesem harten Schlage des Schicksals, ungemein niedergedrückt sey. Man nannte den Schmerz der armen Mutter sehr gerecht; denn die sechszehnjährige Cäcilie sei ein so kluges und gutes Mädchen gewesen, daß sie von der ganzen umliegenden Gegend geliebt worden sey.

Diese Nachricht dämpfte in mir die Freude des Wiedersehens nach langen vierzehn Jahren, um ein Merkliches: auf der andern Seite war es mir aber lieb, jetzt gerade die unglückliche Mutter besuchen zu können, um ihren Schmerz zu theilen, und ihren Kummer, wo möglich, zu zerstreuen.

Um ihr, gleich bei der ersten Begrüßung, ein Merkzeichen meines herzlichen Antheils zu geben, kaufte ich mir einen Streifen schwarzen Kreppflor, und umwand damit den linken Ermel meiner Uniform.

Es war Mittag, als ich aus dem Städtchen abfuhr. Die Sonne stach brennend mir über dem Scheitel; ein heißer Südwind wehte über die Kornfelder, und dunkle Gewitter-Wolken lagerten sich um die nakten Wände des riesenhaften Gebirges.

In wenigen Stunden erreichte ich die Gränzen von dem Gute meiner Tante; die alte verfallene Ruine, die auf dem stattlichen Berge über dem Wohnhause thronte, und unter dem Namen des Raubschlosses in der ganzen Gegend bekannt ist, hatte ich schon früher entdeckt. Ich begrüßte im Vorbeifahren alle die stillen Plätzchen der Runde, die ich als Knabe so oft besucht hatte, mit freundlicher Wehmuth. In die süße Erinnerung jener glücklichen Jahre versunken, durch die Nachricht von dem Tode des geliebten Kindes weich gestimmt, und überwältigt von unnennbaren Gefühlen, sank ich mit stummen Thränen, der überraschten Tante in die Arme.

Sie empfing mich in tiefer Trauer. Der Flor an meinem Arme sagte ihr schweigend, daß ich ihren Schmerz schon kannte; sie drückte mich an das zerrissene Mutterherz, und schluchzte laut.

»O warum kamst Du nicht,« sagte sie leise, und legte ihr verweintes Gesicht auf meine Achsel, »warum kamst Du nicht einen Monat früher? Da war ich noch glücklich und reich; da stand ich noch in der Mitte meiner beiden Kinder. Ach, mein Freund!« fuhr sie fort, und richtete sich auf, »jetzt hat mir Gott die ganze Hälfte meines irdischen Glücks genommen. Ich habe gemurrt! ich habe laut gehadert mit ihm! Cäcilie war ein Engel! warum ließ er mir das Kind nicht? was hatte ich verbrochen? Wenn die Mutter am Grabe ihres Kindes, allmächtiges Wesen, an Deiner Liebe, an Deiner Güte verzweifelt, o so zürne ihr nicht! eine Mutter hat nichts, als ihre Kinder.«

In dem Augenblicke trat Julie, ihre ältere Tochter, herein. Sie hatte schon im Hause meine Ankunft und meinen Namen erfahren, sie hörte die letzten Worte ihrer Mutter. Mit der traulichen Herzlichkeit, die das alte Recht der Blutsfreundschaft heiligt, schloß sie mich in ihre Arme, und küßte tröstend die blasse Wange der leidenden Mutter. In ihr schönes, großes Auge schoß eine stille Thräne.

Ich suchte keine Worte, denn an einem so wunden Herzen haftet nicht der Trost studirter Rede; ich ließ mir von beiden recht viel von der Verstorbenen erzählen, und machte dadurch und durch meine herzliche Theilnahme, ihren Kummer leichter.

Beiden that es wohl, von der Verstorbenen reden zu können; Cäciliens letzte Stunde war der Gegenstand ihrer Unterhaltung.

Cäcilie war mit dem vollen Bewußtseyn ihres nahen Todes, hinübergeschlummert; sie hatte sich vor dem Einscharren in die Erde gefürchtet, und die Mutter gebeten, sie nicht auf den Kirchhof begraben zu lassen, weil es möglich sei, lebendig begraben zu werden, und dann keine Rettung denkbar sei. Unter dem Raubschlosse war ein tiefer, halb verfallener Keller; diesen, bat sie die Mutter, zur Gruft einrichten zu lassen; dort habe der Tod ihr keine Schrecken, denn sie sei da immer unter den Lebendigen. Die unglückliche Mutter hatte die letzte Bitte ihres sterbenden Kindes erfüllt. Sie und Julie gingen jetzt mit mir zur stillen Ruhestätte der Verklärten.

Die Ruine lag einige tausend Schritte vom Hause entfernt, auf einem kurz abgestumpften Felsen.

Der Weg dahin führte durch einen kleinen Hain von hundertjährigen Eichen, der mit in den Garten des Wohnhauses gezogen war. Die nächsten Umgebungen der Ruine, waren schon zu Zeiten des vorigen Besitzers, in einen Park verwandelt, der den Charakter seines Mittelpunktes, der Ruine trug; ernstes Dunkel himmelhoher Tannen, und sanftes Grün der herabhängenden Thränenweiden.

Näher dem schwarzen, gelb bemoosten Felsen, wiegten sich junge Birken in den leisen Lüften. Flieder, wilde Rosen, Jasmin, Epheu, und tausend andere kleine Gebüsche umkränzten die Burg, zu welcher der mir bekannte schmale Fußpfad den Hügel hinan führte. Aber ein neu gebahnter enger Weg schlängelte sich, links um den Felsen zur neuen Gruft hin, deren Eingang, wie ich ihn von weitem erblickte, mit einem geschmackvoll bronzirten eisernen Gitterthor versehen war.

Um den Schmerz meiner Begleiterinnen, der während unsers Hergehens sich ein wenig gelegt hatte, nicht von neuem rege zu machen, bog ich rechts ein, um den Berg hinauf in die Ruine zu gehen, von der ich sonst immer mit Entzücken die weite reizende Aussicht genossen hatte.

Eine neue, während meiner Abwesenheit gemachte Anlage, überraschte mich; die Tante hatte das noch vorhandene Gemäuer des alten verfallenen Ritterschlosses benutzt, um einige kleine bewohnbare Zimmer darin einzurichten; Eine kühne, mit einem eisernen Geländer versehene Treppe führte an der innern Wand des halb eingestürzten Wart-thurms hinauf, von der man in eine Flur, und dann in zwei gothisch meublirte Gemächer trat.

Ich öffnete das Fenster, und überschaute mit einem Blicke, die Schneekuppe, die Gegend der Elbquellen, und die beiden Schneegruben; den ganzen Kamm des alten, ehrwürdigen Riesengebirges, und einen Theil des fruchtbaren Schlesiens; vor mir ein stilles, von der Welt geschiedenes Thal; unter mir den Eingang zur eisernen Gitterpforte, von Cäciliens kühler Felsengruft.

Im Zimmer selbst hing das Portrait des Onkels, neben ihm das, der unter unsern Füßen schlummernden Cäcilie. Eine schöne Blondine, blühend, wie die Göttin der Gesundheit, in der lächelnden Wange das Grübchen jugendlicher Unschuld; das seidene Haar in weichen Ringellocken um den kleinen Engelskopf, und eine weiße Rose am jungfräulichen Busen.

»Das ist sie?« fragte ich, im stillen Bewundern der früh verwelkten Schönheit versunken.

»Das war sie,« – sagte die Mutter mit sanfter Wehmuth, und Julie wandte ihr Gesicht weg, um im Stillen die Thränen zu bergen, die dem wunden Herzen entquollen.

Beide Schwestern ähnelten einander, wie ich jetzt bemerkte; nur war Julie brünett.

Ich suchte das Gespräch wieder abzulenken, um Mutter und Tochter, die von neuem die Verlorne hier wieder gefunden hatten, vom Gegenstande ihrer Trauer abzuziehen, und richtete meine Aufmerksamkeit auf die innere Einrichtung der äußerst geschmackvollen Zimmer.

In der anstoßenden Stube standen drei Betten; hier hatte die Mutter mit ihren Töchtern den vorigen Sommer hindurch geschlafen; sie erzählten, wie glücklich sie hier gelebt hätten; wie jeder Morgen, jeder Abend in diesem einzig schönen Aufenthalte, ihnen neue Freuden geboten habe, und machten eine so reizende Schilderung davon, daß ich um die Erlaubniß bat, die wenigen Tage meines Hierseins auch hier wohnen und schlafen zu dürfen.

Die Mutter willigte gern ein; nur Julie fragte, ob es mir nicht grauen würde, in den wüsten Ruinen, der stillen Gruft des Todes nahe, ganz allein zu seyn; so gern sie die Ruhestätte ihrer Schwester besuche, so unmöglich würde es ihr doch seyn, eine Nacht hier oben allein zuzubringen.

Ich entgegnete ihr lächelnd, daß ich keine Furcht habe, die Nähe ihrer entschlafenen Schwester habe für mich, in dieser Hinsicht, nichts schreckhaftes, und gegen den Angriff der Lebenden schütze mich mein Degen.

»Etwas von der Art hast Du auch nicht zu fürchten,« fiel mir die Tante ins Wort, »die Mauer geht, wie Du weißt, um den ganzen Garten, und die Thüre hier, die auf die Landstraße führt, ist von innen immer verriegelt. Du hast wohl unsere Chaussee noch nicht gesehen, die seit Deiner Abwesenheit, durch das Gebirge geleitet ist?«

Sie öffnete bei diesen Worten das zweite Fenster, und zeigte mir die schöne neue Kunststraße, die aus den nahen Felsenmassen sich hervorwand, dicht neben der Gartenmauer vorbeilief, und weit hinunter, bis in die Schluchten des vor uns liegenden großen Gebirges zu übersehen war.

Aus der Schlafstube führte eine Thüre auf einen langen Corridor, der hinter dem alten Rittersaal der ehemaligen Burg hinlief. Von diesem Corridor trat man in den Saal selbst; dieser war noch vollkommen gut erhalten; ich kannte ihn schon aus meinem frühern Aufenthalte, wo er aber weit verfallener aussah. Jetzt waren die großen Bogenfenster wieder hergestellt, er war neu gedielt, und mit gothischen Meublen versehen. Die alten eisernen großen Öfen standen noch, und die Mauergemälde an den Wänden, hatte die Tante wieder auffrischen lassen: eine Wolfsjagd, zwei große Schlachtstücke aus den Zeiten des Faustrechts, und ein Zweikampf auf Leben und Tod. In letzterem besonders, war der Charakter jener Vorzeit treu gehalten; es that einen unglaublich kräftigen Effekt.

Ritter Bruno – die alte Chronik des Schlosses erzählte den Vorfall, den der damalige Burgkaplan in Mönchsschrift aufgesetzt hatte, umständlich – Ritter Bruno lag vom Ritter Gotthard, dem vormaligen Herrn dieser Burg, erschlagen im Sande. Der Helm war ihm vom Kopfe gefallen, das Blut entrieselte den Halsadern, und floß in breiten Strömen über den Panzer. Der Erschlagene ballte, vom grimmigen Schmerze des Todes überwältigt, die rechte Faust gen Himmel; die andere wühlte sich in die von seinem Blute gefeuchtete Erde; je länger man dieses Schreckensbild ansah, je mehr verwirklichte es sich im Gemüthe des ergriffenen Anschauers. Man sah das Zucken der allmählig erstarrenden Glieder; man hörte das letzte Röcheln des Sterbenden.

Ich stand lange vor dem gräßlichen Bilde, und theilte diese Bemerkung der Tante und Julien mit. Sie empfanden beide dasselbe, und sagten, daß sie, um dieses entsetzlichen Eindrucks willen, den dieses Bild jedesmal auf sie mache, ungern diesen Saal beträten.

»Ach,« sagte die Mutter, und hielt die Hand vor die Augen, »nein, da starb meine Cäcilie einen frommern sanftern Tod. Das Winseln, das Röcheln, ach Gott! ja, das höre ich noch! aber ihre Seele war da schon von ihr gewichen; sie fühlte von diesen letzten Zuckungen des Körpers nichts mehr. – Kommt von dem Bilde weg. Es hat mich nie so erschüttert, als heute.« Wir gingen wieder in den Corridor zurück. Ich erblickte eine eiserne Bogenthür am Ende desselben, die mit einer starken Eisenschiene verriegelt war, an der ein großes Vorlegeschloß hing. Ich entsann mich nicht, diese sonst gesehen zu haben.

»Sie war auch noch nicht,« entgegnete die Tante, »mein verstorbener Mann hat sie machen lassen; sie führt in den alten viereckigen Thurm, unter dem sonst ein Burgverlies gewesen ist. Der obere Raum des Thurms ist jetzt zur Polterkammer benutzt, um mehreres altes Gerümpel, was sonst umherstand, darin aufzubewahren.«

»Wozu aber die Thüre von Eisen? Der schwere Riegel und das große Schloß davor? Das sieht ja aus, als ob Tantchen ihre Schätze darin aufbewahrte.«

»Dazu soll es auch dienen,« antwortete die Tante lächelnd. »Mein seliger Mann hatte die Idee, wenn die Mädchen würden herangewachsen seyn, den Winter in Prag zuzubringen; während der Zeit wollten wir unsere kleinen Habseligkeiten von Werth hier aufbewahren, weil dieß Gemach allein mit einem feuerfesten Gewölbe versehen ist.«

Über der schwarzen Thüre hing das Portrait der bleichen Nonne, das ich von sonst her schon kannte.

»Lebt die arme Lea auch noch?« fragte ich, und weilte mit meinem Blicke auf dem frommen Gesichte, das der Gram lebendig machte. Schon als Kind hatte mich diese Himmelsbraut angezogen. Ich hatte es nie ohne Theilnahme, nie ohne leise Ahnung ihres räthselhaften Geschickes, ansehen können.

Lea war – so sagten die alten Urkunden des Schlosses – die Tochter eines der reichsten Grafen im Gebirge gewesen. Sie war heimlich mit dem Ritter Gotthard, den oben erwähnten frühern Besitzer dieses Schlosses verlobt. Ihr Vater, der sie einem andern bestimmt hatte, verdammte sie, als er ihr, durch die Natur besiegeltes, ihm aber nicht kund gewordenes Verständniß mit Gotthard, entdeckte, zum Kloster; sie mußte bei den Schwestern zu St. Clara in Breslau den Schleier nehmen. Gotthard entführte sie, und brachte sie hieher auf sein Schloß, aber er konnte keinen Priester vermögen, ihm vor dem Altare des ewigen Gottes, der alles Verborgene sieht, den ehelichen Seegen zu geben. Lea erlag der Strafe des Gewissens. Sie ermordete ihr Kind kurz nach seiner Geburt, und starb an den Folgen genommenen Giftes. Man las die Geschichte ihrer Leiden, ihrer Verzweiflung in ihren Zügen. Sie kniete vor dem Bilde der heiligen Mutter Maria. Zerrissen von den Schmerzen des eben genossenen Giftes, die Quaalen der Hölle im gebrochenen Herzen, rang sie die Hände, die das Kind ermordet hatten, zu der heiligen Jungfrau um Erbarmen. Die Frucht ihrer Liebe, ein bildschöner Knabe, lag todt zu ihren Füßen. Bruno, der Röchelnde im Rittersaale, war ihr Vater. Gotthard hatte ihn erschlagen, und mit diesem Blute das Blut seines Kindes, und den Selbstmord seines geliebten Weibes, der Kindermörderin Lea, furchtbar gerächt.

In der ganzen Gegend trug man sich mit der Sage herum, daß Lea keine Ruhe im Grabe habe, und daß der Schatten des erschlagenen Bruno, oft noch auf der Oberwelt wandle. Man erzählte sich vom frommen Nonnengesang, der sich zu Zeiten in der Mitternacht hören lasse; auch wollte man ein banges Stöhnen und Röcheln vernommen haben, welches auf den unglücklichen Vater Bruno gedeutet wurde, der sein Kind und seinen Enkel in das Grab, und den Ritter Gotthard um den Frieden seines Lebens gebracht hatte. Diesem Winseln war immer ein wildes Waffengeklirr vorangegangen, woraus man denn folgerte, daß auch Gotthard noch sein Wesen treibe, und den blutigen Zweikampf wiederhole, der dem eisernen Vater das Leben geendet hatte.

Alle diese Geschichten, die ich hier in meiner Kindheit oft von den Leuten des Dorfes erzählen gehört hatte, traten mir jetzt wieder vor die Seele.

»Die arme Lea war doch glücklicher als ich, sagte die Tante; sie verlor ihr Kind, als sie seinen Werth noch nicht so kannte; und sie konnte sterben!«

Diese Worte des höchsten Mutterschmerzes erschütterten mich.

»Tante,« entgegnete ich »beneiden Sie der Erbarmungswürdigen ihr Loos nicht. Vergehen Sie sich nicht gegen Gott! Ihnen blieb noch ein holdes Kind, der armen Lea nichts, als der grausenvollste Tod. – Sahen Sie nicht die Bleiche des Gesichts? Nicht den Krampf in den gefalteten Händen der Knieenden? nicht die glühende Thräne im stieren, halbgebrochenen Auge, das keinen Blick mehr in die lichte Höhe des Himmels wagt? nicht den namenlosen Jammer auf der Lippe, die kaum mehr vermag, das letzte Ave Maria zu beten? nicht die gequälte Brust, die der grausame Vaterfluch zerschlagen hat? – lassen Sie uns gehen; ich halte vor dem Bilde nicht länger mehr aus. Es ist, als stände das unglückliche Mädchen mit der schweren Last seines unendlichen Unglücks lebendig vor mir. Selbst in den Zügen der heiligen Jungfrau ist keine Gnade, kein Erbarmen für sie zu finden.«

In dem Augenblicke rollte ein schwerer Donnerschlag über die Ruinen weg, und verlor sich in den wiederhallenden Schluchten der schwarzen Riesenfelsen. Das Gewitter, das sich bei meiner Ankunft schon zusammengethürmt hatte, war unterdessen heraufgezogen. Die Luft brauste zum schnellen Sturme auf; es fielen einzelne Tropfen, wir mußten nach Hause eilen, wenn wir nicht das ganze Gewitter hier oben abwarten wollten, und so kamen wir für dießmal nicht in Cäciliens Gruft.

Wir hatten kaum das Wohnhaus erreicht, als ein derber Platzregen fiel, der das Land erquickte, und uns die Kühle schenkte, nach der die Erde sich schon mehrere Tage gesehnt hatte. Im Hofe tanzten Millionen Blasen auf den Pfützen, und zerplatzten so schnell, wie sie entstanden waren; ungeheure Blitze flogen aus den schwarzen Wolken auf das enge Thal herab, und ein ewiger Donner, vom Echo der Berge zehnmal wiedergegeben, füllte die Luft. Die Gebirgsbewohner sind das gewohnt; sie achten kaum darauf. Mir war das große Schauspiel der Natur wieder neu geworden, ich zagte im Geheimen; denn jeder Donnerschlag schien die ganze große Felsenkette aus den Angeln ihres Urgrundes zu heben.

Sobald sich der Regen gelegt hatte, ließ die Tante mein Gepäcke in die Ruine schaffen.

Ich hätte jetzt viel darum gegeben, wenn ich den Wunsch, in jenem verfallenen Gemäuer, die Nächte meines hiesigen Aufenthalts zubringen zu wollen, nicht geäußert hätte. Unter mir Cäcilie im Grabe, neben mir der lange hohe Rittersaal, der sterbende Bruno der enge Corridor, die unglück-liche bleiche Lea und die eiserne verriegelte Thüre, die zum Burgverlies führte, in dem manche Thräne der Verzweiflung mochte geweint worden seyn: – alles das war eine so schauerliche Nachbarschaft, die mit den freundlichen Umgebungen des Wohnhauses, in offenbarem Contrast stand. Doch ich hatte es einmal gesagt, und konnte es nun nicht zurücknehmen; denn die Tante schien es hoch aufgenommen zu haben, daß ich in der Nähe ihrer Cäcilie meinen Wohnsitz hatte aufschlagen wollen.

»Sie werden in der Ruine schlafen?« sagte der alte Jäger, als er die letzten Stücke meiner Habseligkeiten, meinen Staubmantel, die Pistolen und den Degen nahm, um sie hinüber zu tragen.

»Ja, mein lieber alter Niklas. Warum?«

»Ich meine nur so, lieber Herr. Sie müssen mehr Herz haben, als ich. Unser einer ist auch keine Memme. Hundertmal bin ich schon in dunkler Nacht mutterseelen allein, im Gebirge auf dem Anstande gewesen, und habe den Rübezahl und den wilden Jäger und die Berggeister rumoren gehört, ohne daß mir einer hätte was anhaben können, denn ich bin ein alter frommer Mann; aber da oben schlafe ich jetzt doch nicht.«

»Wie so, Alter? Die Tante hat ja mit ihren Töchtern vorigen Sommer auch oben geschlafen.«

»Ja, sonst wohl, und da mußte ich und der George und der Heinrich auch mit oben schlafen. Aber jetzt! – Ich will Ihnen keine Unruhe machen: aber seit der Zeit, daß Mamsell Cäcilchen da unten beigesetzt ist, wollen die Leute allerlei gehört haben. Glauben Sie nur, mit der Kindermörderin, mit der Lea, ist es nicht richtig. Im St. Clarenstifte zu Breslau wollen sie auch was davon wissen, dort soll sie auch zuweilen ihr Wesen treiben.«

Der alte Mann ging.

Ich hatte mir jedes Wort aufgehoben, was er gesprochen hatte; aber man hätte mich den ärgsten Poltron gescholten, wenn ich jetzt gebeten hätte, meine Sachen wieder in das Wohnhaus zurückschaffen zu lassen.

Wir speisten zu Abend.

Der Amtmann und zwei Schreiber saßen mit am Tische; drei kräftige junge Leute. Ich hoffte wenigstens einen davon bereden zu können, mir in der Ruine Gesellschaft zu leisten, und machte mich daher mit ihnen näher bekannt. Ich führte das Gespräch auf die Wirthschaft, auf das einzige Feld ihres Wissens. Wir wechselten unsere Ansichten darüber aus, und ich erreichte meinen Zweck, ihnen näher zu kommen. Nach Tische, als Mutter und Tochter einen Augenblick abwesend waren, warf ich die Äußerung hin: daß es nun auch Zeit sei, zu Bette zu gehen, daß ich auf der Ruine schlafen würde, und ob einer von ihnen etwa so gefällig wäre, die Parthie mitzumachen; Betten ständen bereit, und wir könnten da oben noch bei einem Glase Ungar, ein Stündchen verplaudern.

Sie entschuldigten sich alle drei mit den gehorsamsten Bücklingen. Der Amtmann hatte noch zu schreiben; der eine Schreiber mußte bei der Casse schlafen, und der zweite morgen früh sehr zeitig auf dem Platze sein, um die Leute zur Arbeit zu wecken. Man sah es allen Dreien an, daß sie diese Entschuldigungen nur suchten, um der Ruine zu entgehen, und ich mußte allein hinauf.

Jetzt erst fing ich an furchtsam zu werden. Ich hatte eine Beklommenheit, die ich mir nicht erklären konnte. Ich schalt mich einen Thoren; aber ich konnte meine Bangigkeit nicht bezwingen.

Es schlug ein Viertel auf eilf Uhr; ich mußte endlich gehen.

Die Tante ließ mir eine Laterne geben. Im Schlafzimmer, meinte sie, würde ich zwei Lichter finden; auch sei Wein und Wasser besorgt, und morgen früh wollte sie mit Julien heraufkommen, um mit mir gemeinschaftlich zu frühstücken.

Ich ging.

Das Gewitter hatte sich verzogen, der Himmel war trübe, der Mond wandelte hinter zerrissenen Wolkenschleiern, und ward nur selten sichtbar über den stillen Bergen, deren Gipfel sich in dem schwarzen Himmel verloren. Das Wetter leuchtete einige Mal, aber nur in der weitesten Ferne. Die Äste der Bäume waren vom Regen schwer belastet; in den Wipfeln rauschte der Nachtwind.

Ich wand mich durch die dunkeln Eichen; durch das lichtere niedrige Gebüsch; ließ Cäciliens Gruft links liegen, und erstieg, meine Laterne in der Hand, den Hügel der Ruine, und ihre, halb in der Luft schwebende Wendeltreppe.

Ich öffnete den kleinen Vorsaal, trat in mein Wohnzimmer, aus diesem in das Schlafgemach, und eilte, meine Lichter anzuzünden, und die Thüre, die auf den Corridor führte, zu verriegeln. Auch die Thüre nach dem kleinen Vorsaale, durch welche ich gekommen war, schloß ich hinter mir zu, und hielt mich nun für sicher.

Schlafen konnte ich nicht.

Ich entkleidete mich, und öffnete den Bücherschrank des seligen Onkels, der im Schlafzimmer stand, um mich durch Lesen von den bangen Gedanken abzuziehen, die unwillkührlich meine Seele umlagerten. Das erste, was ich ergriff, war ein Gesangbuch. Ich schlug es auf und las:

Warum erbebst Du meine Seele,

Bei dem Gedanken an das Grab?

Nicht Dich umschließet seine Höhle

Nur Deine Hülle sinkt hinab!

Sie schuf der Allmacht Wink aus Staub,

Drum wird sie der Verwesung Raub.

Ich wollte nichts vom Tode lesen und vertauschte daher das Buch mit einem andern; es war Elpizon von Sintenis.

»Ist denn die ganze Bibliothek hier der Erinnerung des Todes geweiht?« sagte ich zu mir selbst, und griff nach einem dritten Buche in kleinem Taschenformat: es war eine höchst merkwürdige Beschreibung des Ordens der Tempelherren, aus dem dreizehnten Jahrhunderte. Das erste Blatt das ich aufschlug, enthielt das Ritual eines Traueracts, welcher zum Andenken eines Ordensbruders in * * * gefeiert worden war, der vielen meiner Leser, die in der ältern Geschichte Deutschlands bewandert sind, bekannt sein wird, der durch seine Schriften und durch seinen strengen redlichen Wandel, die Achtung seiner Zeitgenossen sich erworben hatte, und den ich das Glück habe, zu den Gliedern meiner Familie zählen zu dürfen. Daß er Tempelherr gewesen, erfuhr ich hier erst.

Hier in dieser stillen Stunde an ihn gemahnt zu werden, hatte ich nicht erwartet. Ich las mit der gespanntesten Theilnahme:

»Der Tempel war schwarz ausgeschlagen; in der Mitte stand der Sarg, der die Hülle des Entschlummerten umfaßte. Neun Todtengerippe standen am Sarge, und hielten die Lampen, die mit halbem Lichte den Tempel erleuchteten. Auf dem Sarge lag, in der Gegend des Kopfes, ein Kranz von weißen Rosen, dann der Tempelherrn-Schmuck und der entblößte Degen des Verstorbenen. Auf dem Tische ein Todtenkopf und sieben Leuchter in Gestalt von Sphynxen. Die Templer traten einzeln und schweigend ein, alle schwarz mit Trauerflören angethan. Der Großmeister verkündigte den Zweck der Versammlung, Gericht über den Todten zu halten, der in ihrer Mitte ruhe. »Es ist Mitternacht« sagte er, »das Grab ist fertig. Unser Mitbruder hat seine große Prüfungsreise vollendet; lasset uns sehen, wie er auf derselben bestanden. Ist jemand unter Euch, der auftrete, und wider ihn klage?«

Tiefes Schweigen in der Runde. – –

Nach langer Pause trat der älteste Tempelherr rechts zu den Häupten des Entschlafenen, bat um das Wort und redete also:

Bruder Großmeister!

Brüder Tempelherren!

Nicht dem Menschen geziemet den Todten zu richten. Gebet Gott die Ehre. Nur Er kann strafen und lohnen. Nur Er durchschaut uns bis auf den Grund, und kennet unserer Thaten geheimste. Darum Bruder Großmeister, und wenn Du dreimal rufest, daß wer auftrete und klage wider den Verklärten; Dein Ruf wird verhallen, und kein Templer wird sich melden, denn wir sind Brüder in Christo unserm Herrn.

»Mein ist die Pflicht« hob der Großmeister an »noch einmal Euch zu fragen. Brüder Tempelherren! Ihr seid freie Ordensglieder. Sprecht, wenn Ihr zu sprechen wißt!

Wiederum eine lange Pause, und keiner sprach.

Da bat der jüngste der Templer um das Wort, und stellte sich rechts zu den Füßen des Sarges, und sagte mit weicher Stimme zu den Brüdern:

Er ist von uns geschieden!

Wir sehn ihn nimmer wieder,

Gönnt ihm den ew’gen Frieden,

Ihr war’t ja seine Brüder.

Darauf sprach der Großmeister laut: »Wo keine Klage ist, ist kein Richter. Klaget Keiner?«

Und die Brüder beugten ihre Kniee, und erwiederten alle sammt und sonders:

Gott ist unser Richter!

Jetzt aber hob der Großmeister einen Hammer von Eisen, und that damit drei schwere Schläge auf ein Kreuz von Eisen, und rief in den Kreis: »öffnet die Pforten des Todes.«

So weit hatte ich gelesen, da klopfte es dreimal außerhalb meines Zimmers. Ich erbebte und schlug das Buch unwillkührlich zu.

Ich horchte eine lange Weile.

Es war alles wieder still. Täuschung! rief meine Vernunft. Ich hatte in Gedanken in der Reihe der trauernden Tempelherren gestanden; meine Phantasie war aufgereizt, ich hatte ein Klopfen gehört, das mein äußeres Ohr nicht berührt hatte. Ich beschwichtigte mich, durch diese Auseinandersetzung mit Gewalt, und griff wieder nach dem alten Buche, das mich wunderbar anzog, um darin weiter zu lesen.

Und die Brüder Lehrlinge, rollten den Teppich links neben dem Sarge auf, und siehe, ein offnes Grab befand sich dicht neben dem Sarge. Den Rand des Grabes aber schmückten schweigend die drei jüngsten Brüder mit einem leichten Gewinde von frischen weißen und rothen Rosen. Während sie das thaten, sagte der Großmeister: Brüder Meister! Antwortet was ich Euch frage.

Wenn wird Gott Recht sprechen über die Todten?

Erster Meister. Am jüngsten Gericht.

Großmeister. Wer wird des Menschen Kläger seyn?

Zweiter Meister. Sein Gewissen.

Großmeister. Wer sein Vertheidiger?

Dritter Meister. Niemand.

Großmeister. Wer sein Erbarmer?

Vierter Meister. Niemand.

Großmeister. Niemand?

Fünfter Meister. Gott ist unser Richter.

Großmeister. Ist Gott nicht auch allmächtig?

Sechster Meister. Und allgerecht.

Großmeister. Hört Brüder Tempelherren! Gott ist allgerecht! Darum beuget Euern Willen vor seinem Gesetz.

Siebenter Meister. Das Grab ist fertig. Legt den Bruder in den Schoos seiner Mutter.

Dreimal schlug wieder der Großmeister mit dem eisernen Hammer auf sein eisernes Kreuz, und die Brüder knieeten um das Grab herum, und küßten schweigend die Erde.

Da klopfte es dreimal wieder, deutlicher als vorher, und ein leises Gewimmer folgte diesem räthselhaften Klopfen. –

Beides hatte ich bestimmt gehört.

Es klang, als ob Eisen auf Eisen fiele. Ich stierte auf die Thür, die nach dem Corridor führte; dort war das Geräusch hergekommen.

In diesem Augenblicke hörte ich ein starkes, lang anhaltendes Röcheln, dem letzten, lange verhaltenen Sterbeseufzer eines Verscheidenden gleich.

Ich erstarrte – mein ganzes Blut drängte sich mir in das Herz; die Brust hätte mir zerspringen mögen.

Ich hatte, meiner unbewußt, das Licht in der Hand. Ich wollte hinaus auf den Corridor. Tausend Ahnungen traten vor meine Seele.

Wie kann man sich so aus sich selbst verlieren, sagte ich endlich zu mir halblaut, raffte mich zusammen, und suchte mich zu beschwichtigen. Das Klopfen und das Gewimmer, und das Röcheln – es ist ja alles nichts gewesen. Du hast – ach was hilft da alles Grübeln und Sinnen; es ist platterdings nichts gewesen. –

Ich griff noch einmal nach dem Buche im schwarzen Sammt, ich wollte die Beschreibung der Todtenfeier noch auslesen, und dann zu Bette gehen.

Ein leiser Frost überreifte mir alle Glieder, aber ich ließ mir gegen mich selbst nichts davon merken; ich nahm mein Buch, schlug auf, wo ich stehen geblieben und las weiter:

Darauf hoben die Lehrlinge den Deckel vom Sarge, und der Entschlummerte lag im weißen Sterbekleide. Die Hände und Füße gebunden. Die Schläfe mit Lorbeer und Weinlaub umwunden; auf der Brust ein langes goldenes Kreuz mit Edelgesteinen reich geschmücket, auf dem Herzen aber ein frischer blühender Veilchen-Strauß!

»Brüder Lehrlinge!« hob der Großmeister an, »thut wie ich Euch befehle, und antwortet, was ich Euch frage: Was bedeutet der Kranz von Lorbeer und Weinlaub?«

Erster Lehrling. Der Mensch ist geschaffen für Ehre und Freude.

Großmeister. Höheres wartet des Menschen über den Sternen. Lorbeer und Weinlaub verwelken. Entschmücket den Todten.

Und die Lehrlinge nahmen den Kranz von den Schläfen des Entschlummerten.

Großmeister. Was bedeutet das goldene Kreuz?

Zweiter Lehrling. Nach Glanz und Reichthum ringt der Mensch.

Großmeister. Wie ward der Mensch gebohren?

Dritter Lehrling. Ohne Metall.

Großmeister. So soll er auch fahren zur dunkeln Erde, ohne Glanz und arm, wie er gekommen. Entschmücket den Todten!

Und die Lehrlinge nahmen das goldene Kreuz mit den edeln Gesteinen von der Brust des Entschlummerten.

Großmeister. Warum sind ihm Hände und Füße gebunden?

Vierter Lehrling. Um anzudeuten, daß keiner hienieden frei sei von der Knechtschaft seiner Sinne.

Großmeister. Der Tod hat die Ketten der Sinne gebrochen. Entfesselt den Freien.

Und die Lehrlinge thaten, wie ihnen befohlen.

Großmeister. Was soll der Veilchenstraus auf seinem Herzen?

Fünfter Lehrling. Die Bruderliebe hat ihn damit geschmückt. Er ist des Schmuckes werth, denn er war demüthig im Leben und bescheiden. Nur solchen soll der Lohn Gottes werden.

Großmeister. Wißt Ihr gewiß, daß der Bruder im Sarge todt, und zum Erdenschlafe bereit sey?

Sechster Lehrling. (ihn bei der Hand fassend) Das Fleisch trennt sich vom Knochen, die Haut lös’t sich vom Fleische, Er ist todt.

Großmeister. Wie ist sein Grab?

Siebenter Lehrling. (am Rande des Grabes, mit dem Blicke auf die Gruft geheftet) Dunkel – tief – enge – kalt.

Großmeister. Brüder Gesellen! Leistet dem Entschlafenen den letzten Liebesdienst! Gebt ihm das Geleite eures Bruderseegens, denn er stand in Eurer Mitte.

Darauf legte der erste Bundesgesell ihm seine Rechte auf das Haupt und sprach: »Bruder Gesell! Wohl Dir, wenn Du der Weisheit Schätze gesammelt, so viel Du vermocht hast; fahre mit Gott.«

Der zweite aber legte ihm die Rechte auf die Augen, und sprach: »Wohl Bruder, Dir, wenn Du mit mildem Blick die schwache Welt betrachtet.«

Der dritte aber legte seine Rechte ihm auf das Gesicht, und sprach: »Er schrieb Dir Gutes in’s Gesicht. Heil Dir, wenn keinen Du mit dieser Schrift betrogen.«

Der Vierte aber legte ihm seine Rechte auf den Mund und sprach: »Stumm ist das Grab! Geschlossen Deine Lippe. Leicht wird die Erde Dir, wenn nie Dein Mund dem Bruder hat geschadet.«

Der fünfte aber legte gefaltet beide Hände ihm auf das Herz und sprach sanft bewegt: »Es hat ausgeschlagen das fromme Herz. Mein Freund, mein Bruder, fahre wohl. Wir leben ja nur um zu sterben, und nur, wer lebt, wie Du, stirbt leicht. Das ist der Lohn der Tugend, daß sie dem Tode seine Schrecken nimmt.«

Der Sechste aber legte seine Rechte ihm auf die Füße, und sprach: »Wer auf der rechten Bahn hier wandelt, der wird den Pfad zum Gnadenreich, auch durch des Todes Grausennacht, gar wohl zu finden wissen.«

Und endlich ergriff der Siebente des Todten Rechte und sagte: »Du hast, Bruder Gesell, am rauhen Steine gearbeitet, mühvoll und unverdrossen. Dein Gott ruft Dich zur höhern Arbeit ab, den letzten Händedruck giebt Dir Dein Bruder. Schlaf sanft den langen Schlaf. Dort in des Tempels lichten Hallen vereint uns Gottes Liebe wieder.«

Hierauf hoben die Lehrlinge den Deckel wieder auf den Sarg und verschlossen ihn mit sieben Nägeln. Dann aber sangen die Meister unter gedämpfter Musik:

Ne recorderis, domine, peccata illius, dum veneris judicare saeculum per ignem.Auch bei den Brüdern des Todes war dieß die Leichenceremonie, wenn sie Mitglieder ihres schrecklichen Ordens zur Erde bestatteten.

Nach dessen Beendigung stimmte der ganze Kreis das de profundis an, während dessen einer nach dem andern hinzutrat, den Sarg mit Weihwasser besprengte und sprach:

Mein Bruder, Du bist der Welt gestorben, und lebest jetzt in Gott.

Darauf stimmte das unsichtbare Chor das Libera an; alle Kerzen, bis auf die des Großmeisters verlöschten. Die Brüder, Meister und Gesellen legten sich, in der Form eines Kreuzes, auf die Erde und beteten still. Die Brüder Lehrlinge aber senkten schweigend und langsam den Sarg in die Gruft, und während dem erhob der Großmeister den eisernen Hammer, und ließ ihn dreimal fallen, auf das Kreuz von Eisen, und sprach dazu: »Ich seegne Dich im Namen des dreieinigen Gottes.

Im Namen des uralten ehrwürdigen Ordens der Tempelherren.

Im Namen der hier versammelten Brüder Meister, Gesellen und Lehrlinge.«

Da klopfte es zum dritten Male wieder dreimal draußen so stark und vernehmlich daß ich zusammenfuhr, und vor Schreck fast kein Glied rühren konnte.

Es klang wie Eisen auf Eisen.

Dießmal war es keine Täuschung. Ich hatte es zu deutlich gehört. Ich verlor den Athem aus der Brust; das Haar sträubte sich mir empor, es lief mir kalt durch alle Marck-Röhren. –

Horch – Es ächzte auch wieder, aber schwächer als vorhin. – Der Apfel im Auge erstarrte mir. Die Hände krampften sich geballt in einander.

Die Möglichkeit des Erscheinens geschiedener Geister, drängte sich mir wider Willen auf. Ich kämpfte mit der Idee, als mit dem gefährlichsten Feinde meiner Ruhe für diese Nacht; aber mein sonderbar aufgeschrecktes Gemüth erlag im Kampfe.

Ein Lebender war auf der Ruine außer mir nicht, daß wußte ich bestimmt; ein Räuber würde sich nicht so gemeldet haben. Einen Scherz konnte mir niemand bereiten wollen, denn es wußte von meinem Hiersein, außer den Hausgenossen meiner Tante, keine Seele; und die Tante und Julie waren zu Scherzen der Art jetzt nicht aufgelegt; die übrigen Bewohner des Hauses aber, standen zu mir in einem Verhältnisse, das ihnen einen Scherz dieser Gattung nicht leicht erlaubte.

Auch klang das leise Gewimmer vorhin und jetzt das langsame schreckliche Geächze nicht wie Scherz. Das war der letzte Laut des Kampfes mit dem Tode.

Aber tönte es von der Gruft der früh verblichenen Cäcilie herauf? – war es der Nachhall des Todesseufzers aus dem Munde des gefallenen Bruno? oder der letzte Hauch, der ihrer Gewissenslast erliegenden Lea? – oder ein Schmerzenslaut des Bruder Templers?

Oder waren alle diese Fragen grundlos, und lag ein Hülfloser auf der Straße, die neben dem Garten sich in das Thal hinabzog, und hatte an die Gartenthür geklopft, und den Bewohner der Ruine, den er an der Beleuchtung meines Fensters gewahrt hatte, um Beistand angefleht? –

Das ist es! rief ich, mich selbst tröstend, mir zu, warf meinen Staubmantel um, zündete die Laterne an, griff nach meinem Degen, und wollte hinab auf die Straße; – da rauschte eine sanfte Musik durch mein stilles Zimmer, wie das Gesäusel einer Engelsharfe.

Ich blieb erstaunt mitten in der Stube stehen.

Die zarten Töne waren wieder verhallt.

Es regte sich nichts; nur in meinem Innern klangen sie noch wieder. Ein kalter Schauer rieselte mir über den Rücken.

Dieß waren keine irrdischen Laute gewesen; sie klangen, als würden sie von höhern Sphären auf den Wolken zu mir herabgetragen. Ich wollte mich überreden, daß ich mich getäuscht hätte; aber ich hatte den harmonischen Accord bestimmt gehört. Ich hätte ihn nachgreifen wollen, wenn ich eine Harfe zur Hand gehabt hätte, so lebendig stand er noch vor meiner Seele.

Nein! es war keine Täuschung!

Der himmlische Laut tönte jetzt wieder, ihm folgte die Melodie: Wie sie so sanft ruhn &c. Zwei gedämpfte weibliche Stimmen begleiteten die unsichtbare Musik. Ich vernahm deutlich:

Wie sie so sanft ruhn,

Alle die Seeligen,

Zu deren Wohnplatz

Jetzt meine Seele eilt.

Wie sie sanft so ruhn, in die Gräber

Tief zur Verwesung hinabgesenket!

Jedes Wort verstand ich: es war, als stände der unsichtbare Chor neben mir.

Das sind keine Geister, das sind Menschen! rief ich mir freudig zu, und öffnete das Fenster, um zu sehen, ob ich unten Jemand erblickte.

Cäciliens Gruft unter mir war erleuchtet; das Licht aus derselben bestrich den, vor der Gruft befindlichen Blumenplatz. Der Mond war hinter das Gebirge gesunken, schwarze Mitternacht umhüllte das Thal. Ein schwacher ferner Blitz leuchtete matt an dem jenseitigen Felsen wieder; die Glocke des Kirchthurmes im Dorfe schlug eilf. –

Ich rief hinab: Wer ist da?

Keine Antwort. – Aber in den Schluchten des ungeheuern Gebirges, hallte es langsam dreimal wieder: Wer ist da? – ist da? – da?

Ich vernahm den zweiten Vers des frommen Nonnengesanges:

Und nicht mehr weinen

Hier, wo die Klage flieht;

Und nicht mehr fühlen,

Hier, wo die Freude flieht,

Und unter traurigen Zypressen

Bis sie der Engel hervorruft, schlummern.

Ich will hinab! sagte ich leise zu mir und schloß das Fenster. Dort unten müssen Menschen seyn!

Ich konnte mich eines heimlichen Zitterns nicht erwehren. Ich griff nach den Pistolen; sie flogen mir in der Hand. In dem exaltirten Zustande konnte ich nicht zielen, nicht treffen; ich legte sie weg.

Der dritte Vers der Kloster-Jungfrauen von St. Clara begann:

Wie, wenn bei ihnen,

Schnell wie der Rose Pracht,

Dahin gesunken,

Modernd im Aschenkrug

Spät oder frühe, Staub beim Staube

Meine Gebeine begraben liegen!

Spät oder frühe! wiederholte ich langsam und ging. Ich umgriff den bloßen Degen mit einem Krampfe, als ob ihn mir jemand aus der Hand reißen wollte, schloß die Thüre des Zimmers auf, und stieg, die Laterne in der Hand, in den Staubmantel gehüllt, die Treppe hinab. Der Grabesgesang begleitete mich, aber ich konnte keine Worte mehr verstehen. Es war, als hätten sich die Sänger, und der unsichtbare Harfner mehr entfernt. Als ich die Treppe herabgekommen war, bog ich rechts um den Berg herum, näherte mich auf den Zehen der Gruft, und stand jetzt vor dem eisernen Gitterthor.

Die Gruft war nur halb erleuchtet. Die Musik war verstummt. Mitten in der Todeshalle stand auf einer Erhöhung, zu der einige Stufen führten, ein verschlossener Sarg. Ein Mädchen kniete daneben betend; die Hände vor dem Gesicht gefaltet, hatte es den Kopf an den Sarg gelehnt.

Eine schöne Blondine, aber bleich, wie der Schatten eines Geistes; das seidene Haar ringelte sich in weichen Locken um den kleinen Kopf; eine weiße Rose wogte am bebenden Busen – es war Cäcilie! – Just so hing sie im Zimmer oben.

Ich war außer mir vor Schrecken. Die Grabesstille um mich her, die matte Beleuchtung der Gruft, die kalte Mitternacht-Luft, welche mich von unten bis oben bestrich; Cäcilie, die Todgeglaubte, neben ihrem Sarge, das ruckweise heilige Rauschen in den Wipfeln der Eichen hinter mir – das Blut gerann mir in den Adern. Ich ergriff einen Stab des Gitters, schüttelte unwillkührlich am schwarzen Toden-Thore und rief mit der Stimme eines Verzweifelnden. Cäcilie!

»Herr Jesus! mein Heiland!« schrie das Mädchen, rang die Hände gegen die Decke des feuchten Gewölbes, und richtete sich auf. In demselben Augenblick verschwand die Beleuchtung; ein furchtbarer Krach ertönte im Innern der schwarzen Gruft; ich prallte vor Entsetzen drei Schritte vom Gitter zurück, und eilte, meiner halb unbewußt, und von unsäglicher Angst verfolgt, in die Zimmer meiner Ruine hinauf.

Ich flog an das Fenster, um zu sehen, ob die Gruft wieder beleuchtet sei; es war alles finstere schwarze Nacht; im Gebüsch verschwand eine weiße Gestalt.

Ich schloß das Fenster.

Meine Ruhe, meine Festigkeit waren von mir gewichen. Ich war unschlüssig, ob ich die Schreckensnacht hier oben in dieser gräßlichen Wohnung der Geister zubringen, oder hinabgehen sollte, in das Wohnhaus der Tante, um dort Ruhe zu suchen, die ich hier zu finden nicht hoffen durfte.

Da klopfte es wieder mit dem eisernen Hammer draußen im Corridor, als riefe der Großmeister der Templer die Brüder zur Ordnung, und das dumpfe Gewinsel und das qualvolle Röcheln des Sterbenden drang an mein Ohr.

Ich horchte erstarrend. –

Aber wer beschreibt meinen Schreck, als ich Waffengeklirre in der Ferne vernahm, dem ein höhnisches Gelächter folgte. Ich hörte deutlich zwei Klingen, die gegen einander kämpften; ich hörte sie deutlich fallen auf Panzer, Helm und Schild, und nur ein Satan konnte so lachen. Das Geklirre der scharf auf einander schlagenden Klingen schien aus dem Rittersaale zu kommen.

Ich war meiner kaum mehr mächtig.

Hat sich denn die Hölle gegen mich verschworen? sagte ich halblaut zu mir selbst. Sind geheime Kräfte in der Natur, welche die Toden aus ihren Gräbern rufen, so willst du sie sehen. Diese furchtbare Nacht soll dir Aufschluß über die Geheimnisse der Unterwelt geben, den deine Seele lange schon geahnet hat.

Mehr aus Verzweiflung, als mit Bedacht, nahm ich zum zweiten Male Laterne und Degen, und öffnete langsam und mit zitternder Hand die Thüre, die zum Corridor führte.

Mit stierem Auge starrte ich hinaus in den langen schmalen Gang, und sah nichts.

Es war alles still.

Mich schüttelte ein kalter Fieberfrost; ich vermochte kaum die Laterne zu halten; aber meinen scharf geschliffenen Degen packte ich fest im Griffe, und ging langsam weiter in den Corridor hinab. Die Zähne wollten mir klappern; ich kniff sie fest auf einander. Ich mußte jetzt Aufschluß haben, und hätte es mir das Leben kosten sollen.

Die Thüre rechts zu dem Rittersaal war verschlossen; aber an der schwarzen eisernen Thüre links, über welcher das Bild der unglücklichen Lea hing, war das große Vorlegeschloß geöffnet, und die eiserne Schiene, die heute Nachmittag queer über die Thüre weggelegen hatte, hing jetzt herunter. Hier war, wie die Tante gesagt hatte, die Polterkammer, aus der, wie ich mich entsann, eine kleine Wendeltreppe, den Thurm hinab, in das ehemalige Verlies führte.

Mit bangem Zagen lüftete ich die angelehnte Thür ein wenig. Das gewölbte Gemach war schwach erleuchtet.

Zwei hohe Rittergestalten, von oben bis unten geharnischt, standen vor mir. Bruno der Erschlagene, und Gotthard sein Mörder. Sie erstarrten, als sie mich gewahrten; dem einen entsank sein Schwerdt.

Ich bebte zurück; der Athem entging mir; ich hatte keine Luft mehr in der Kehle; ich schlug die Thüre hinter mir zu, daß es im alten Schlosse krachte, als hätte das Wetter eingeschlagen. Lea’s Jammerbild stürzte herab, und fiel dicht hinter mir nieder; die Gewappneten brüllten: Ha! Ho! Ha! Ho! und rasselten mit ihren schwarzen Panzern dicht hinter mir drein.

Ich wollte auf mein Zimmer zurück, da packte mich etwas unten am Zipfel des Mantels. In der Verzweiflung verwendete ich den Degen, und stach rücklings hinter mich. Mein Degen faßte das was mich gepackt hatte. Ich stieß wie ein Rasender, den Mordstich anderthalb Fuß tief. In diesem schrecklichen Augenblicke kam ich wieder zur Besinnung; ich wendete den Kopf um, meine Augen glitten an meiner Klinge hinab, da sah ich Unglücklicher, wen ich durch und durch gestochen hatte.

(Fortsetzung im zweiten Bändchen)


   weiter >>