Friedrich Hebbel
Barbier Zitterlein
Friedrich Hebbel

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Friedrich Hebbel

Barbier Zitterlein

Novelle

(1836)


1.

Es war Abend, und der Barbier Zitterlein saß an seinem Tisch. Eine helle Lampe brannte auf demselben und beleuchtete das Gesicht des langen, dünnen Mannes, der sich um das Abendbrot, welches seine Tochter Agathe auftrug, wenig bekümmerte. Die Tochter setzte sich an den Tisch und klimperte, um den Vater aus seinen Gedanken zu wecken, mit den zinnernen Löffeln; endlich sagte sie leise:

»Vater, wollt Ihr nicht essen?«

»Jawohl,« antwortete Zitterlein und rückte näher zum Tische.

»Eine Biersuppe? ach, du liebes, treues Kind!«

Beide fingen an zu essen. Zitterlein fiel in sein vorheriges Stillschweigen zurück und aß nur wenig; Agathe sah ihn zuweilen mitleidig an, bald legte auch sie den Löffel nieder und begann, den Tisch abzuräumen.

»Bist du schon satt, Agathe?« fragte der Vater und heftete einen glühenden Blick auf sie.

»Ihr wißt, ich esse zur Nacht nicht viel,« antwortete Agathe, »aber Ihr, Vater, Ihr solltet die schöne, kräftige Suppe nicht so verschmäht haben, denn Ihr eßt sie gern, und sie tut Euch wohl.«

»Du hast recht, mein Kind, und ich sollte es um so weniger getan haben, als dies der letzte Abend ist, wo wir so recht innig beisammen sind!«

»Der letzte Abend?« fragte Agathe und sah ihren Vater erstaunt an.

»Freilich der letzte,« – antwortete dieser – »du weißt, morgen hole ich den Gesellen, und dann ist das vorbei!«

»Mein Gott, Vater, ich versteh' Euch nicht. Ich meine, der Gesell soll die Stütze Eures Alters werden; Ihr sollt Ruhe haben, und ein junger Mann, wie der Gesell, kann in die einförmige Stille unsers Hauses recht gut passen: Ihr werdet nicht so oft sitzen und grübeln, und ich –«

»Du wirst weniger Langeweile haben, nicht wahr?« – unterbrach Zitterlein sie heftig – »das ist recht, mein Kind, quäle du mich auch!«

»Vater, was meint Ihr?« – antwortete Agathe ihm sanft, indem sie sich vor ihn hinstellte – »Ihr wißt, daß ich Euch liebe, und daß ich, wenn Ihr so tiefsinnig zu grübeln sitzt, nicht Langeweile, sondern nur das tiefste Mitleid, ja Grausen empfinde.«

Zitterlein ergriff ihre Hand und drückte sie an die Brust. Dann sagte er:

»Vergib mir, liebe Tochter, ich weiß das ja alles, es kann ja nicht anders sein, denn du bist das einzige Gut, was mir ist, was von Tage zu Tage inniger mit mir verwächst. Aber eben darum – sieh, liebes Kind, ich bin nicht, wie ein Baum, der in der Erde wurzelt und sich von Luft und Sonne ernährt; er braucht sich um seinesgleichen nicht zu bekümmern, aber ich bin ein Mensch, ich muß mit Menschen leben, ich liebe sie sogar, weil sie unglücklich sind. Doch, sie sind mir in der tiefsten Seele verhaßt, wenn sie mir näher treten, ich möchte sie ermorden, wenn sie in mein Hans kommen. Ich will nur dich, nur dich; warum kommen sie denn? haben sie nicht auch Weib und Kind? Gehe ich zu ihren Weibern, ihren Kindern? Und nun muß ich mir selbst den Gesellen holen; ich muß, denn ich bin alt, und der Vogt glaubt, meinen zitternden Händen das Egelsetzen und Aderlassen nicht mehr anvertrauen zu dürfen. Der wird nun mit kalter Teufelsfaust in meine heiligsten Gefühle hineingreifen, er wird mir überall störend und zerstörend in den Weg treten, er wird mit uns in einem Hause schlafen, an einem Tische mit uns essen, und ich kann es nun einmal nicht dulden!«

»Lieber Vater« – sagte Agathe – »Ihr seid krank! Und doch« – fügte sie leise mit herzzerschneidender Wehmut hinzu – »doch ist er nicht anders, wie immer!«

»Nein, Tochter, ich bin nicht krank, ich sehe bloß voraus, wie alles kommen wird. Ach, ich fürchte mich vor meinem Gesellen! Gibt es nicht Gesichter, die mich anstarren, wie Larven der Hölle, Augen, deren feindlicher, vernichtender Strahl mich tötet? Hast du nie ein Lächeln gesehen, welches dir jede Freude, jede Lebenslust zusammenschnürte, wie eine Schlange?«

2.

Am andern Morgen war Zitterlein früh aufgestanden und hatte sich nach der nahgelegenen Stadt – er wohnte in dem Kirchdorf Müntzen – aufgemacht, um sich dort aus der Herberge der Bader nach einem Gesellen umzutun. Auf seine Frage, ob etwa ein Gesell angekommen sei, antwortete der Herbergsvater: dies wäre allerdings der Fall; es sei am gestrigen Abend ein stiller, netter Bursch zugereist gekommen, und er zweifle nicht, daß er mit Vergnügen in Arbeit treten werde; der Winter sei nahe und dann tue das Wandern nicht wohl. Es dauerte auch nicht lange, so kam der junge Gesell von der Polizei, woselbst er seine Papiere hatte in Ordnung bringen lassen, zurück; er war von ansehnlicher Statur, hatte blondes Haar, blaue Augen und viele Freundlichkeit im Benehmen.

»Es ist Arbeit für Euch in Müntzen« – rief ihm der Herbergsvater entgegen – »das Dorf liegt eine halbe Stunde von hier.«

»Das ist mir sehr lieb,« antwortete der Gesell und trat auf Zitterlein zu, auf den der Herbergsvater ihn verwies.

»Ich gebe aber nur zwanzig Groschen Wochenlohn,« sagte Zitterlein, ohne ihn anzusehen.

»Das ist wenig« – antwortete der Gesell – »ich bin vierundzwanzig gewohnt. Aber, ich nehme Euer Anerbieten an. Seht hier meine Kundschaft und meine Arbeitszeugnisse.«

»Steckt sie nur ein« – entgegnete Zitterlein – »das ist mir einerlei. Nennt mir Euren Namen, laßt Euch einen Schnaps geben und kommt mit mir!«

»Mein Name ist Leonhard Ziegler; Schnaps trink' ich nicht.«

»Wein ist doch für einen Barbiergesellen, der wöchentlich nur zwanzig Groschen verdient, zu kostbar!« sagte Zitterlein mit einem höhnischen Lächeln, indem er selbst den Schnaps austrank, den er sich hatte einschenken lassen.

Zitterlein und Leonhard machten sich bald auf den Weg; sie gingen schweigend nebeneinander her, denn Leonhard mochte sprechen, was er wollte, er erhielt immer eine kurze, oft bittre Antwort und verlor so am Ende die Lust, ein Gespräch fortzuspinnen, was so sichtlich vermieden wurde. Als sie nahe vor Müntzen waren, fing es an zu regnen. »Wir werden noch naß!« sagte Leonhard.

»Daran muß ein reisender Gesell gewöhnt sein!« entgegnete Zitterlein und ging langsamer, wie bisher. Leonhard wußte nicht, was er aus ihm machen sollte; er hatte zuweilen ein scharfes Wort auf der Zunge, aber er hielt es zurück, wenn er in das blasse, schmale Gesicht des Mannes sah, der alle seine Freundlichkeiten so schnöde abwies. »Vielleicht ist er krank!« dachte er, »und jedenfalls kannst du nach einer Woche deinen Bündel wieder schnüren, wenn es dir nicht bei ihm gefällt!« Sie kamen zu Zitterleins Haus und traten hinein. Agathe trat ihnen aus der Küche, wo sie mit Zubereitung des Mittagessens beschäftigt war, entgegen; sie sagte herzlich: »Guten Tag, lieber Vater!« aber dieser schob sie, nachdem sie den Gesellen kaum gegrüßt hatte, fast unsanft in die Küche zurück und rief ihr zu: »Bekümmere du dich nicht um uns!« Dann zeigte er Leonhard die für ihn bestimmte Kammer und sein Bett, gab ihm den Schlüssel zu einem dort aufgestellten Schrank und bat ihn, sich einzurichten, worauf er zu seiner Tochter in die Küche ging.

3.

Agathe hatte das Essen aufgetragen und fragte Zitterlein, ob sie den Gesellen rufen solle. Zitterlein antwortete ihr nicht, sondern stand schnell auf, um dieses selbst zu tun. Stumm kam er mit Leonhard zurück, setzte sich mit ihm zu seiner Tochter an den Tisch und nötigte ihn einsilbig, zuzulangen. Während des Essens wurde fast kein Wort gesprochen, obgleich dies ängstliche Schweigen Agathen fast eben so sehr drückte, wie Leonhard; der letztere entfernte sich bald. Kaum hatte er das Zimmer verlassen, als Zitterlein seine Tochter fragte: »Warum wurdest du rot, als der Gesell in das Zimmer trat?«

»Gott, Vater,« – antwortete sie, – »das bin ich selbst gar nicht gewahr geworden, und wenn es wäre, so ist es ja wohl etwas so Unerhörtes nicht, vor einem Menschen zu erröten, den man nie gesehen hat.«

»Ganz recht, liebe Tochter,« – sagte Zitterlein beruhigt – »einen andern Grund kann das ja auch nicht haben; aber du weißt, mir liegt das Nächste immer am fernsten. Jetzt will ich mir die Papiere des Gesellen geben lassen, ich muß sie zum Vogt tragen. In einer Stunde bin ich wieder hier.«

Er nahm ans einem Kasten einige Rasiermesser hervor und ging damit zu Leonhard in die Kammer.

»Ich muß Euch bei dem Vogt melden,« – sagte er zu diesem, – »und bitte Euch jetzt um die Papiere. Mittlerweile seid Ihr wohl so gut, diese Messer für den morgenden Gebrauch ein wenig zu wetzen.«

Leonhard gab ihm die Papiere, und er ging.

Leonhard wollte beginnen, die Messer zu wetzen; da merkte er, daß Zitterlein vergessen hatte, ihm einen Wetzstein zu geben. Er ging daher in das Wohnzimmer, woselbst er Agathen vorfand.

»Entschuldigt, wenn ich Euch störe. Ich soll diese Messer wetzen, und Euer Vater hat mir keinen Wetzstein gegeben!«

»Ach,« – antwortete Agathe – »mein Vater ist zuweilen etwas zerstreut; kehrt Euch nicht daran, er ist sonst gut!«

Diese im Ton der herzlichsten Bitte vorgebrachten Worte rührten Leonhard tief; er schaute das Mädchen, welches den seltsamen Vater so einfach und doch so eindringlich zu verteidigen wußte, näher an. Da klingelte die Haustür, und Zitterlein, der einen für den Vogt aus der Stadt mitgebrachten Brief vergessen hatte, trat ins Zimmer, um diesen zu holen. Sein Auge flammte von heftigem Zorn, als er Leonhard bei seiner Tochter erblickte.

»Ihr seid wohl ein Meister im Messerwetzen,« – rief er diesem zu – »daß Ihr schon jetzt Muße zu plaudern habt; und du, Agathe – –«

»Verzeiht,« – unterbrach ihn Leonhard, der nur durch einen Blick auf das schöne, schüchterne, von tiefer Scham übergossene Mädchen von der Äußerung seines heftigen Unwillens abgehalten wurde – »verzeiht, ich wollte nur einen Wetzstein holen, den Ihr vergessen hattet.«

»Einen Wetzstein?« – entgegnete Zitterlein – »ach so, da, nehmt, nehmt, hier ist er!«

Leonhard nahm ihn und kehrte in seine Kammer zurück.

4.

Am andern Morgen, früh, als Leonhard kaum aufgestanden war, trat Zitterlein zu ihm in die Kammer, brachte ihm sein Frühstück und ging dann mit ihm aus im Dorf, um ihn den Kunden vorzustellen, die er künftig zu bedienen hatte. Als dieses geschehen war, kehrte er selbst in sein Haus zurück, Leonhard aber ließ er bei dem Bierbrauer des Orts, an dessen starkem Bart er sich zuerst versuchen sollte.

»Das ist hohe Zeit, junger Gesell,« – sagte Herr Tobias zu Leonhard – »daß Ihr kommt. Mit Eurem Meister wurde es wirklich zu arg, er würde keinen einzigen Kunden behalten haben, wenn im Dorf nur ein anderer Barbier vorhanden gewesen wäre. Ich wenigstens ging in der letzten Zeit lieber in die Stadt, als zu ihm.«

»Er ist alt und seine Hände mögen zittern,« – versetzte Leonhard.

»Dies würde noch so viel nicht gemacht haben,« – antwortete Herr Tobias – »aber er ist verrückt, und der Teufel mag einem verrückten Bartscherer seinen Hals anvertrauen. Ich hatte vor vierzehn Tagen in seiner Barbierstube einen Auftritt mit ihm, an den ich zeitlebens denken werde. Ich ging den Sonnabends Abend nach meiner Gewohnheit zu ihm, um mich rasieren zu lassen. Er verrichtete sein Geschäft anfänglich still und emsig; plötzlich aber fühlte ich einen heftigen Schmerz, mein Blut floß, und ich bemerkte, daß er mir eine Warze, die ich am Kinn trug, abgeschnitten. Dies konnte nun freilich angehen, um so eher, da er mich bei Licht rasierte; als ich ihn aber fragte, ob er nicht sehen könne, antwortete er mir mit einem häßlichen Lachen; »Dankt Gott, daß es der Hals nicht ist!« und damit hob er sein Messer, als ob er es nun auch auf den Hals abgesehen habe. Natürlich sprang ich schnell auf und hielt ihm die Hand. Da aber war er auf einmal ganz wieder, wie im Anfang, er fragte mich, ob ich keinen Spaß verstehen könne, bat mich um Verzeihung wegen seiner Unvorsichtigkeit, und brachte sein Geschäft ruhig zu Ende. Aber mir war's durch Mark und Bein gedrungen, jenes häßliche Lachen konnt' ich nicht wieder vergessen; daher ging ich sogleich zum Vogt, meinem Nachbar, und dieser, der so gut für seine Kehle zitterte, wie ich für die meinige, befahl ihm, sich einen tüchtigen Gesellen zu halten, widrigenfalls ihm das Handwerk gelegt werden solle.«

»Das ist alles seltsam,« – antwortete Leonhard – »und Ihr könntet mir fast die Lust verleiden, länger, als die ersten acht Tage, bei Herrn Zitterlein zu bleiben.«

»Ich könnte es Euch so sehr nicht verdenken, junger Mann,« – entgegnete Herr Tobias, während Leonhard ihn einseifte – »dieser Zitterlein ist in jedem Betracht der sonderbarste Mensch von der Welt. So hat er da ein junges Ding von Tochter – Ihr werdet sie gesehen haben – von ganz leidlichem Gesicht und angenehmer Figur; meint Ihr, daß das arme Mädchen zu Tanz und Kirmse gehen darf, wie andere? Ein oder zweimal im Jahr darf sie an einer Lustbarkeit teilnehmen, und dann ist der alte verrückte Vater dahinter her, als ob er, verzeih mir's Gott, sie selbst heiraten könnte oder möchte. Ist das Raison? Alle Donnerwetter, wohin meine Tochter und des Vogts Tochter kommen, da ist es für die Barbiermamsell auch gut genug!«

»Da ist das Mädchen ja sehr zu bedauern,« – sagte Leonhard.

»Allerdings ist sie das!« – versetzte Herr Tobias – »sie zählt 17 oder 18 Jahr, und für so junges Blut ist Glas und Rahmen drückend. Und doch ist der Vater eben so sehr zu bedauern. Ja, wär' er von jeher so ein Tückmäuser gewesen!«

»Also war er nicht immer so?« fragte Leonhard.

»Nein, wahrhaftig nicht!« entgegnete Herr Tobias.»Ein Narr war er freilich immer, aber desungeachtet ein guter Barbier, ein lustiger Mann in Gesellschaft. Er wollte zwar immer zu hoch hinaus, vertrieb sich die Zeit mit unsinnigem Zeug, mit Büchern z. E., statt Kugel zu schieben, war auch nie damit zufrieden, daß er dem Pastor den Bart abnehmen mußte, wär' lieber für ihn auf die Kanzel gestiegen – aber, was war das gegen seine jetzigen Albernheiten!«

»Und diese auffallende Veränderung – weiß man denn nicht, worin sie ihren Grund hat?« unterbrach ihn Leonhard.

»Schicksal! Schicksal!« – antwortete Herr Tobias – »so geht's! Mein Knecht trägt zwei Tonnen Weizen, mancher sinkt unter einer zusammen. Als hier vor ungefähr zwanzig Jahren das große Viehsterben war, verlor ich dreizehn Ochsen und einige Pferde, prächtige, wohlgenährte Tiere; doch, ich dachte: der Himmel will's, und rauchte ruhig meine Pfeife. Dem Barbier starb vor fünf, sechs Jahren sein Weib, und er wurde verrückt. So geht's!«

Leonhard war mittlerweile mit dem Bart des Herrn Tobias fertig geworden und reichte ihm jetzt das Handtuch zum Abtrocknen. Als Herr Tobias sich abgetrocknet hatte, sagte er zu Leonhard, der sein Geschirr wieder einpackte:

»Ihr gefallt mir; es soll mir lieb sein, wenn Ihr hin und wieder einen Abend bei mir verplaudern wollt, Ihr werdet bei Eurem Meister Langeweile genug haben.«

5.

Zitterlein saß eines Abends mit seiner Tochter einsam in seinem Zimmer, da trat Leonhard in seinem Sonntagsrock herein und sagte:

»Meister, Ihr werdet nichts dagegen haben, wenn ich ein wenig ausgehe; Herr Tobias, der Brauer, hat mich schon mehrere Male eingeladen.«

»Daran tut Ihr recht, sehr recht,« – versetzte Zitterlein mit Freundlichkeit – »ich habe nicht das geringste dagegen, Ihr könnt ausgehen, wenn Ihr wollt, wiederkommen, wenn es Euch beliebt; ich wünsche Euch viel Vergnügen!«

»Auch ich!« – setzte Agathe hinzu, die sich durch das peinliche Verhältnis gedrückt fühlte, in welchem sie sich zu dem jungen Mann befand, der in ihr Haus gekommen war und mit dem sie kein freundliches Wort reden durfte.

Leonhard ging, Zitterlein aber nahm sogleich Gelegenheit, ihr die wenigen Worte zu verweisen, die sie sich erlaubt hatte.

»Sieh, liebe Tochter,« – sagte er – »als ich diesen Gesellen annahm, da versprach ich ihm zwanzig Groschen Wochenlohn, Essen und Trinken und eine Kammer zum Schlafen. Alles dieses habe ich ihm gegeben und vollkommen gehalten, was ich ihm versprach. Freundlichkeiten aber habe ich ihm nicht versprochen, und ich sähe es gern, wenn du die deinigen besser zu Rate hieltest. Es schneidet mir durch die Seele, wenn du ihn ansiehst, ich möchte dich schlagen, wenn du mit ihm redest.«

»Ihr verlangt das Unmögliche von mir, Vater« – erwiderte Agathe. »Ich kann doch gegen den Gesellen nicht steif und abgemessen sein, als wenn ich von Stein wäre.«

»Sollst es auch nicht!« – unterbrach sie Zitterlein. »Bewahre, wenn er dich grüßt, so dankst du ihm, wenn er sagt: es ist schönes Wetter! so sagst du: jawohl. Aber dann eilst du schnell in dein Zimmer zurück und setzest, wenn die Zunge nicht ruhen kann, das Gespräch fort mit dem Kanarienvogel. Teuerste Tochter, wenn du wüßtest, welche entsetzliche Pein du mir dadurch erspartest – du würdest gewiß alles tun, was ich von dir verlange. Wird es dir denn so schwer? Fühlst du dich nicht ebenso fest und unauflöslich an mich gebunden, wie ich mich an dich? Bist du nicht mein Fleisch und Blut? Mir kommst du vor, wie ein Teil meiner selbst; was du denkst und empfindest, ist mein, ich kann mein Eigentum nicht mit einem andern teilen; und auch du, Tochter, sei überzeugt, nur meine Brust versteht das Leben, welches die deinige bewegt.«

Eine Träne trat dem alten bleichen Mann ins Auge. Agathe warf sich in seine Arme. Plötzlich faßte er ihre beiden Hände, schaute ihr ins Gesicht und sagte:

»Agathe, willst du mir etwas schwören? Willst du mir schwören, dich nie einem Manne zu ergeben?«

Agathe sah ihren Vater lange an, dann legte sie ihre Hände kreuzweis vor die Brust und sprach:

»Vater, ich lieb' Euch, so sehr, wie jemals eine Tochter ihren Vater geliebt hat. Das weiß der allmächtige Gott; was soll ich mehr? Ihr quält mich!«

»Schlaf wohl, liebes Kind!« – sagte Zitterlein und verließ schnell das Zimmer.

Agathe stand lange regungslos, dann trat sie ans Fenster und schaute hinaus in die Nacht. Der Mond schien hell und klar. Sie faltete die Hände und betete.

6.

Es gibt Menschen, die jenen Bäumen zu vergleichen sind, welche auf fremde Stämme gepfropft werden müssen, wenn sie gedeihen sollen; auf die Art dieser fremden Stämme kommt es denn gar nicht an, sie kommen fort auf jedem, aber sie werden schlechte Früchte tragen, wenn sie sich unmittelbar aus der Erde selbst Saft und Nahrung saugen. So senken jene Menschen sich mit jeder Faser ihrer Seele in das Wesen hinein, welches sie zufällig am ersten erreichten, sei dieses ein Freund, eine Geliebte, eine Mutter, oder was es sei; sie sind glücklich und sanft, aber jenes Wesen soll sich ihnen dafür auch ganz und gar zu eigen geben, und man hat es auch wohl erlebt, daß dieses im vollsten Maße geschieht. Solch ein Mensch war der Barbier Zitterlein. Von Jugend auf still und verschlossen, hatte er beständig mit sich selbst gelebt, aber auch beständig eine innere Unbehaglichkeit empfunden, die er sich nicht zu erklären wußte, und die er, seiner Armut halber, durch Wissenschaft, auf die sein Sehnen ging und in der er Befriedigung zu finden gehofft, nicht hatte vertreiben können. Erst spät, nachdem er längst schon seine eigene kleine Wirtschaft eingerichtet, zog die Liebe in seinem Herzen ein, als er ein anspruchsloses Mädchen fand, welches ihn mit all der Innigkeit umfaßte, deren er bedurfte; nun aber liebte er auch grenzenlos, er fühlte sein eigenes Ich in der Braut und nachherigen Frau ergänzt, sie war ihm gewissermaßen ein neuer Sinn, durch welchen ihm Welt und Leben aufgingen in voller Bedeutung und Herrlichkeit. So lebte er manche Jahre mit ihr fort, heiter und in Frieden; sie gebar ihm eine Tochter, aber das Kind trug kaum dazu bei, sein Glück zu vermehren, denn seine Liebe war eine unteilbare, und die kleine Agathe erfreute ihn eigentlich nur dann, wenn er sah, daß sie die Mutter erfreute. Als das Mädchen dreizehn Jahr alt war, brach eine hitzige Krankheit in seinem Wohnorte aus; viele wurden davon ergriffen, auch Zitterleins Tochter Agathe; diese genas, aber die durch sie angesteckte Mutter starb, unter allen Erkrankten fast die einzige. Zitterlein versank in tiefe Schwermut, er schlich wie ein Schatten umher, er würde sich selbst den Tod gegeben haben, wenn er eine kräftigere Natur gewesen wäre; vor allem aber vermied er seine Tochter Agathe, in der er nichts mehr sah, als die Todesursache seines Weibes. Das arme Mädchen war sehr bemitleidenswert, in jener Periode, wo die Jungfrau sich, wie ein süßes Geheimnis, leise, leise aufschließt, wo sie der Mutter mehr, wie jemals, bedarf, lag die ihrige im Grabe, und der Vater, der jene ohnehin niemals ersetzen kann, stand ihr schroff und kalt gegenüber, wie der fremdeste Mensch. Dies konnte sie nicht ertragen, sie verzehrte sich in tiefem Schmerz, sie fiel ab und wurde krank. Zitterlein bekümmerte sich wenig um sie, er holte ihr einen Arzt, und der verschrieb seine Tropfen.

Eines Abends raffte sie ihre letzten Kräfte zusammen und stand auf; sie empfand eine wunderbare Beruhigung darin, das Grab ihrer Mutter noch einmal zu besuchen; sie hatte zum Kirchhof nicht weit und schlich sich dahin. Sie setzte sich auf dem kalten, feuchten Grabe nieder, sie faltete die Hände, sie betete: Mutter, erscheine mir doch nur noch einmal und sage mir, was ich meinem Vater getan habe, daß er mich haßt!

Da fühlte sie sich plötzlich heftig umschlungen, ihres Vaters Stimme rief: »Vergib mir, Tochter, vergib mir!« seine heißen Tränen benetzten ihre Wange. Er führte sie nach Hause, er setzte sich an ihr Bett, er erschöpfte sich in Aufmerksamkeiten. Einmal faßte er ihre Hand und sagte: »Agathe, der Satan hat mich verblendet, daß ich heute zum ersten Male sehe, daß deine Mutter mir in dir noch immer nahe ist. Spricht nicht ihre Treu' und Milde aus deinen Augen? Ist es nicht ihre Stimme, die so holdselig aus deinem Munde tönt? Agathe, ich bin von heute an dein Vater, sei du meine rechte Tochter!«

7.

Eines Morgens, als Leonhard eben aus seiner Kammer trat, hörte er einen schweren Fall, wie vom Boden herunter; erschreckt sprang er hinzu und fand Agathe, ohnmächtig und blutend auf dem Hausflur liegend. Sie hatte auf der Treppe einen falschen Tritt getan und war diese heruntergestürzt. Leonhard hob sie schnell auf, er war ganz blaß geworden und hielt sie noch in seinen Armen, als Zitterlein herzugeeilt kam. Ohne sich um den Zustand Agathens zu bekümmern, fuhr dieser den Gesellen mit rauhen Worten an: »Was soll's? Wer hat Euch gerufen?« Dieser erwiderte ihm im heftigsten Unwillen: »Was ich in diesem Augenblick getan habe, ist so natürlich, daß Ihr toll sein müßt, wenn Ihr etwas Auffallendes darin finden könnt. Ihr solltet, statt mich zu schelten, den Schnepper holen; seht Ihr nicht, wie Eure Tochter bleicher und bleicher wird, wie sie ganz zusammensinkt?«

»Gebt mir meine Tochter, und holt Ihr den Schnepper,« – antwortete Zipperlein – »sie hätte vorsichtiger sein sollet dann würde sie Eurer Hilfe nicht bedurft haben!«

Dabei riß er mit Ungestüm Agathen aus Leonhards Armen. Dieser eilte schnell fort und holte den Schnepper.

»Haltet ihren Arm,« – rief er Zitterlein zu, nachdem er zurückgekehrt war – »daß ich die Ader nicht verfehle!«

Zitterlein tat es, und zum erstenmal durfte Leonhard des Mädchens weiche, warme Hand berühren. Die seinige zitterte merklich, und als er am Ende die Ader öffnete, hatte er es wohl mehr dem Glücke, als seiner Geschicklichkeit zu danken, daß er die rechte traf. Ihr helles, rotes Blut strömte, er schaute zugleich mit Wollust und zugleich mit Grausen hinein in den rinnenden Strahl. Bald öffnete sie die Augen, und sie blickte ihn freundlich an, als sie ihn so ängstlich um sich besorgt sah. Zitterlein, ohne sich weiter um Leonhard zu kümmern, führte sie sogleich ins Wohnzimmer, um sie dort selbst zu verbinden; sie aber wandte sich an der Tür um und sagte: »Ich danke Euch, lieber Leonhard, für Eure Hilfe.«

Leonhard kehrte mit sehr gemischten Gefühlen in seine Kammer zurück. Das feindliche Entgegentreten des Alten hatte ihn besonders heute im Tiefsten verletzt, aber zugleich war ihm Agathe noch niemals in einem solchen Licht der Schönheit aufgegangen, wie eben heute. Er verhehlte sich nicht länger, daß er eigentlich nur ihretwegen über acht Wochen bei seinem unheimlichen Meister ausgehalten hatte; er fühlte das Erwachen einer rasenden Leidenschaft für sie in seiner Brust, die er bekämpfen zu müssen glaubte und, wie es denn die Art und Weise des Menschen ist, in solchen Augenblicken gerade denjenigen Entschluß zu fassen, dessen Ausführung mit den größten Opfern verbunden sein würde, er entschloß sich, die Arbeit bei seinem Meister aufzugeben, und es ihm noch an demselben Abend zu sagen. Als seine Geschäfte beendigt waren und die Dämmerung anbrach, ging er in das Wohnzimmer. Zitterlein war nicht da, aber Agathe sagte ihm, der Vater werde bald zu Hause kommen, und nötigte ihn zum Bleiben. Er setzte sich ans Fenster. Agathe nahm zum erstenmal Gelegenheit, ihn zu fragen, wie es ihm in dem Ort gefalle; sie setzte hinzu, daß der Sommer nicht ganz so langweilig verstreiche, wie der Winter, und daß die Kirmse gewiß auch ihn in den Wirbel muntrer Tänze hineinreißen werde.

»Dies« – antwortete Leonhard, indem er aus dem Fenster sah – »wird schwerlich geschehen; ich denke, in der nächsten Woche weiter zu wandern, und will dies Eurem Vater nach Handwerksgebrauch noch heute sagen.«

Agathe wurde sichtlich erschreckt, als sie dieses hörte; sie sagte:

»Das tut mir sehr leid, daß Ihr unser Haus so bald wieder verlassen wollt!«

Es tat Leonhard unendlich wohl, als er diese Worte aus Agathens Munde vernahm. Er schaute sie an. Sie stand in Gedanken. Dann trat sie auf ihn zu und sagte mit bittender Stimme:

»Tut's nicht, betrachtet meinen Vater wie einen Kranken, habt Geduld mit ihm; ich will ihn bitten, freundlicher gegen Euch zu sein. Freilich« – setzte sie leise hinzu – »habe ich ihn schon oft genug gebeten!«

»Habt Ihr? Agathe, habt Ihr wirklich?« fragte der Jüngling.

»Gewiß!« antwortete Agathe und errötete.

Da faßte er ihre Hand und sagte: »Agathe, bist du mir gut?«

Agathe schwieg, aber sie ließ ihm ihre Hand. Die Haustür ging auf; sie wollte ihm die Hand entziehen. Leonhard fragte noch einmal:

»Agathe, bist du mir gut?«

»Ja, ja« – antwortete sie – »aber laßt mich los, der Vater kommt ja!«

8.

Es war ein kalter, stürmischer Abend, es schneite heftig; Zitterlein saß mit seiner Tochter und seinem Gesellen zu essen, als die Tür langsam aufgemacht wurde. Agathe ging hinaus, um zu sehen, wer da sei; die Stimme eines alten Weibes wurde vernommen, welches sehr dringend um ein Nachtlager bat. Zitterlein wollte gerade aufstehen, als Agathe mit der Fremden ins Wohnzimmer trat.

»Vater« – sagte sie – »hier ist eine arme, alte Frau, die fast erstarrt ist und kein Obdach zu finden weiß. Ich habe ihr versprochen, daß sie bei uns bleiben soll.«

»Ich will ihr lieber einige Groschen geben,« – antwortete Zitterlein – »damit kann sie ins Wirtshaus gehen.«

Die Alte unterbrach ihn: »Stoßt mich nicht wieder in die gräßliche Kälte hinaus, gönnt mir einen Platz hinter Eurem warmen Ofen, ich will mich morgen mit dem Frühsten wieder aufmachen.«

Zugleich setzte sie sich mit der Zigeunern und reisenden Hausierweibern, zu welcher letzteren Klasse sie zu gehören schien, eigentümlichen Zudringlichkeit auf die Ofenbank, schob den Korb, den sie auf dem Rücken getragen und gleich beim Eintritt ins Haus heruntergenommen hatte, vor sich hin, und nahm einige zusammengebettelte Lebensmittel heraus, bei welcher Gelegenheit auch ein altes Spiel Karten zum Vorschein kam.

Als Zitterlein dieses erblickte, wurde er plötzlich aufmerksam. Er sagte: »Ihr seid wohl gar eine Kartenlegerin? Legt Eure Karten auf den Tisch, packt Eure Lebensmittel aber nur wieder ein; habe ich Euch einen Platz hinter meinem Ofen eingeräumt, so will ich Euch auch zu essen geben.«

»Ich danke Euch, lieber Herr,« – erwiderte die Alte und blinzelte ihn an – »und wenn Ihr kein Verächter meiner edlen Kunst seid, so sollen auch die prophetischen Blätter noch heute abend reden.«

Agathe hatte ihr mittlerweile einen Teller voll warmer Suppe hingesetzt, und sie begann zu essen. Sie aß mit einer ekelhaften Gierigkeit. Zitterlein setzte das Gespräch mit ihr fort:

»Ich bin keineswegs ein Verächter Eurer Kunst; warum sollte das Schicksal, das sich des Mundes manches armseligen Käfers bedient, das sich den nächtlichen Uhu zum Herold ausersah, nicht auch durch das geheimnisvolle Spiel der Karten dem Menschen, der immer sieht und nimmer glaubt, reden? Ich weiß, was ich von Eurer Kunst zu halten habe, denn ich selbst habe einmal eine merkwürdige Erfahrung gemacht; von mir werdet Ihr nicht verspottet.«

Die Alte mischte ihre Karten; sie murmelte nicht, sie gab sich nicht das gewöhnliche Possenreißer-Ansehen und verbreitete dadurch einen größeren Schein der Wahrhaftigkeit um sich, als durch allen Hokuspokus hätte geschehen können.

Sie wandte sich zu Agathe. »Tretet Ihr zuerst heran, schöne Jungfrau« – sagte sie – »Euch steht das ganze reiche Leben noch bevor, Euch werde ich gewiß viel Angenehmes zu verkünden haben, und dies kann ich so selten.«

Agathe zog auf ihr Geheiß eine Karte heraus. Es war Coeur-Dame. Die Alte breitete die Karten auf den Tisch und fing an zu zählen.

»Ei, ei« – rief sie dann, wie erstaunt, aus – »dies übertrifft meine kühnsten Erwartungen. Seht Ihr? hier ist der Bräutigam, dort ist Geld, noch mehr Geld, noch mehr Geld – will denn das kein Ende nehmen? Ich gratuliere Euch« – sagte sie zu Zitterlein, – »zu Eurem Schwiegersohn!«

Zitterlein antwortete ihr nicht, sondern sah sie fest an.

»Wollt Ihr nun Euer Glück versuchen« – rief sie Leonhard zu – »so zieht eine Karte aus.« Leonhard tat es mit Lächeln.

Die Alte wiederholte das vorige Manöver.

»Die Braut, die Braut« – fuhr sie dann mit dem Schein der Überraschung auf – »seht Ihr die Braut? Und bemerkt Ihr wohl?« setzte sie mit einem vielbedeutenden Blicke auf Agathe hinzu »daß es Coeur-Dame ist?«

»Was?« rief Zitterlein ergrimmt dazwischen.

Die Alte ließ sich nicht stören. »Hier wohnen wohl lauter Glückliche« – fuhr sie fort – »seht Ihr hier Treff-Aß und wißt Ihr wohl, daß diese Karte eine reiche Erbschaft bedeutet?«

»Alte,« – antwortete Leonhard – »du sorgst dafür, daß ich über Nacht angenehm träume.«

Zitterlein war kreideweiß geworden. »Packt Eure Sachen zusammen« – rief er der Alten zu – »es ist Zeit, zu Bett zu gehen.«

9.

Agathe hatte dem alten Hausierweibe frisches Öl in die Lampe gegossen, ihr Holz und Torf hingelegt, um das Feuer im Ofen damit zu unterhalten, und sie dann, wie ihr Vater schon vorher getan hatte, verlassen. Die Alte, wie sie sich allein sah, horchte an der Tür, ob vielleicht noch jemand im Hause wach wäre; darauf setzte sie sich an den Tisch und zog aus ihrer Tasche ein schmutziges ledernes Beutelchen hervor, dessen Inhalt sie ausschüttete und eifrig überzählte. Dann steckte sie, mit dem Verdienst des Tages nicht besonders zufrieden, den Beutel verdrießlich wieder ein, und fing an, zur Zerstreuung in den Karten, die noch auf dem Tische lagen, herumzublättern. Mit einem Male ging die Tür auf, und Zitterlein trat leise herein.

»Seid Ihr noch wach, Alte?« – sagte er, indem er einen starren Blick auf die Karten warf.

»Ach Gott« – antwortete sie und zuckte heuchlerisch die Achseln – »Sorge und Kummer sind unruhige Schlafkameraden!«

»Es freut mich, daß Ihr noch wach seid« – fuhr Zitterlein fort – »denn ich muß Euch etwas fragen. Hört, Alte, ich hab' es wohl bemerkt, daß Ihr heute abend mit meiner Tochter und meinem Gesellen bloß Euer Spiel getrieben habt; nicht wahr, es ist so? Gesteht es nur!«

Die Alte wurde sehr verlegen und schielte Zitterlein von der Seite an, indes sie zugleich, wie unwillkürlich, die Karten durcheinander mischte; Zitterlein wurde nun ihre Verlegenheit nicht gewahr, sondern vertiefte sich in die magischen Blätter, die durch die knöchernen Finger des Weibes in immer veränderten Kombinationen hindurchliefen. Als die Alte dieses bemerkte, fühlte sie sich ermutigt; sie bezweifelte nicht länger, daß Zitterleins Glaube an ihre magischen Künste keineswegs so gering sei, als er sich den Anschein gab. Sie antwortete daher auf seine Frage nur mit einem Seufzer.

Zitterlein blickte zu ihr auf, als er den Seufzer hörte. Ihm wurde unheimlich zumute, und er mußte sich förmlich zusammennehmen, als er in hartem Ton zu ihr sagte:

»Willst du mir nicht antworten, alte Hexe?«

»Lieber Herr« – antwortete die Alte – »ich bin alt und arm, Ihr habt ein Recht, mich zu schimpfen.«

»Vergib mir« – erwiderte Zitterlein nach einer langen Pause – »vergib mir meine Härte, aber sieh mir ins Gesicht und gestehe mir, was ich ja doch schon weiß. Sieh, dein warmer Platz hinter dem Ofen soll dir bleiben, und überdies geb' ich dir morgen ein gut Stück Geld; gib du mir dann Wahrheit!«

Zitterlein ergriff ihre Hand und sah ihr, fast flehend, ins Gesicht; der Alten lief eine Regung von Mitleid durch die Seele, aber sie konnte der Lust, wenigstens einem Menschen als Repräsentantin der Geisterwelt zu erscheinen, nicht widerstehen. Sie antwortete:

»Ich kann Euch die geheimnisvolle Schrift nicht lehren, die von unsichtbarer Hand auf diese unscheinbaren Blätter geschrieben ist; ich kann Euch nicht einmal sagen, woher mir das seltsame Verständnis dessen kam, was Tausenden ewig dunkel bleibt, aber Gott weiß, daß ich keine Lügnerin bin!«

»Was? was?« – schrie Zitterlein laut auf – »Ihr habt meine Tochter wirklich als Braut gesehen, wirklich als Braut?«

»Dankt Gott dafür« – entgegnete die Alte – »ich sah schon manches Mädchen als Leiche!«

»Ich sähe sie lieber als Leiche!« antwortete Zitterlein fast tonlos und ging schnell aus dem Zimmer.

Er kehrte in seine Schlafkammer zurück. In einem daranstoßenden Alkoven schlief seine Tochter. Er setzte sich auf einen Stuhl und stützte den Kopf auf den Tisch. »Also auch verloren!« rief er mit einem gräßlichen Lächeln vor sich hin. Auf dem Tisch lag sein Messerbesteck; er zog ein Messer heraus – es funkelte scharf und blank im Strahl der flackernden Lampe. Er stand auf und blickte auf die Alkoventür, er tat einen Schritt vorwärts, aber da warf er das Messer schaudernd zu Boden und schlug sich mit geballter Faust ins Gesicht.

10.

Agathe lag in ihrem Bett, ohne zu schlafen. Sie litt an einem großen Schmerz. Zwei Gestalten drängten sich unaufhörlich vor ihre Seele: Leonhard, mit seinem treuen, blauen Auge, und ihr Vater, ihr armer, mit dem seltsamsten Fluche behafteter Vater. Unglückliches Mädchen, dem Tod und Leben aus einer Quelle fließen: die Liebe, die sich sonst, wie ein sanfter Faden, durch alle Kräfte und Bestrebungen einer jugendlichen Seele schlingt, und sie in holder Eintracht zusammenfaßt, ist für dich eine rasende Petarde, die die Grundpfeiler deiner stillen, milden Natur erschüttert und den Abgrund des Lebens vor dir aufwühlt, statt ihn zu verschleiern!

Agathe faßte einen Entschluß. Am andern Morgen trat sie zu Leonhard und sagte zu ihm:

»Ihr wolltet vor einigen Wochen unser Haus verlassen, und ich bat Euch, zu bleiben; ich bitte Euch nicht mehr!«

Leonhard schwieg lange still, dann erwiderte er: »Agathe, ich begreife und verstehe Euch, und werde gehen. Möge Euch die Kraft zuteil werden, die mir fehlen wird.«

»Ich hoffe auf Gott« antwortete sie.

»Wohlan denn« – sagte Leonhard und ergriff ihre Hand, – »so sag' ich Euch Lebewohl. Euren Vater kann ich nicht mehr sehen, er ist mir zuwider, wie ein teuflisches Gespenst. Lebe wohl, Agathe!«

Er wollte ihr seine Hand entziehen, aber sie hielt sie fest. Er riß sich los, da warf sie sich ihm laut weinend an die Brust und rief: »Lebe wohl, lebe wohl!«

In diesem Augenblick trat Zitterlein aus seiner Schlafkammer. Er hatte seine Waschkumme in der Hand, wütend warf er sie nieder und ergriff Leonhard. Aber ebenso schnell ließ er ihn wieder los und bat ihn um Verzeihung. Gegen Agathe aber ballte er die Hand; »du! du!« rief er mit wuterstickter Stimme und faßte sie bei den Haaren. Leonhard, als er dieses sah, packte ihn bei beiden Schultern und warf ihn zur Erde. Zitterlein, mit glühendem Gesichte, ohne einen Versuch zu machen, sich an Leonhard zu rächen, stürzte zur Tür hinaus.

Agathe hatte sich, bleich und zusammengesunken, an die Wand gelehnt.

»O Gott« – rief Leonhard aus – »warum bin ich in dieses Haus gekommen!«

»Ja, warum, Leonhard!« sagte fast tonlos Agathe.

»Leb' wohl, Agathe« – rief Leonhard dumpf – »ich weiß nicht, wer von uns beiden der Teufel ist, ich oder dein Vater!«

»Leonhard, Leonhard, verlaß mich jetzt nicht!« schrie Agathe laut auf, als jener mit raschen Schritten zur Tür ging, und fiel erschöpft zu Boden.

11.

Zitterlein aber eilte fort, als ob er aus der Hölle entflöhe. Ohne Rast und Ruhe, mit unbedecktem Kopf, schlug er den ersten, besten Weg ein, der aus seinem Dorf hinausführte; er war keines Gedankens fähig und wanderte ohne Aufenthalt fort. Es war der erste heißere Märztag, die Sonne brannte, und die schwere, dumpfe Atmosphäre verkündete ein Gewitter. Zitterlein gelangte bald in ein, seinem Dorfe nahegelegenes Gehölz; er irrte zwecklos und planlos umher, und als die Nacht hereinbrach, zwang ihn wildes Gesträuch, sich unter einem Baum niederzulegen. Donnergeroll ertönte, schlängelnde Blitze schossen durch die Gipfel der Bäume, die unheimlich die Ouvertüre eines aufkommenden Sturms zu brausen begannen. Zitterlein hatte sich zusammengekauert; die Furcht seiner Kindheit gegen die Schauer der Gewitternacht und die Schauer eines Waldes wurde wieder lebendig in seiner Brust, und er brach in die herzzerreißenden Worte aus:

»Und ich bin verbannt aus dem Hause, das ich zwanzig Jahr lang bewohnte: ich muß übernachten bei Schlangen und Kröten, während meine Tochter ruhig ihre Biersuppe ißt und vielleicht gar mit dem Gesellen fluchwürdige Liebesscherze treibt. – Gott, ist es denn wirklich wahr, was ich schon so lange gefühlt habe – du bist nichts als ein wahnsinniges Traumbild, und selbst die Natur ist eine Lügnerin? Baum und Blatt hält sie zusammen, aber Menschen nimmermehr?«

Er verlor sich in diese Gedanken an eine grenzenlose Abgeschiedenheit von allem, was er geliebt, gehofft und geglaubt; seine Seele konnte sie nicht ertragen, und er fiel in einen tiefen, fieberhaften Schlaf. Aber das Bild seiner Tochter zog ihm in marternden Träumen vorüber. Er sah sie lächeln zu seinem unendlichen Schmerz, er sah sie lustwandeln mit Leonhard in einem schönen Garten, während er selbst als verachteter Bettler an der Pforte stand; er sah sie mit ihm, Braut und Bräutigam, zur Kirche wallen, überglücklich und höhnisch auf ihn, der sich in den Kreis der Zuschauer gedrängt hatte, herabsehend; die Orgel, der Chorgesang verstummte, der Prediger trat vor den Altar, er wollte die Einsegnungsworte sprechen. Da sprang er selbst, Zitterlein, mit einem gräßlichen Fluch auf die Braut zu, und zog ein Messer, um sie zu ermorden; doch, er hatte das Messer ungeschickt gezogen und das Heft gegen seine Tochter gekehrt, die Klinge aber in der Hand behalten; die Tochter war unbeschädigt geblieben, sich selbst hatte er in den Finger geschnitten. Und Leonhard lachte und seine Tochter lachte, das ernste Gesicht des Predigers verzog sich zur höllischen Fratze, von der Orgel, vom Chor meckerten häßliche Stimmen herüber, seltsam gefärbte Flammen ringelten sich durch die Kirche. Aber Zitterlein ergriff mit der linken Hand das Messer, und schrie: »Ich will dich doch töten, doch töten – –«

Da erwachte er. Alles um ihn her war still, nur rauschten über seinem Haupt die Bäume. Der Mond schien hell. Zitterlein schaute sich um, ob er nicht den Fußsteig, der zu seinem Dorf zurückführte, auffinden könne, und als er ihn gefunden, verfolgte er ihn eilig. Der Nachtwächter rief eben zu eins, als er im Dorfe anlangte; vorsichtig, scheu sich in eine Ecke bergend, sobald er Fußtritte vernahm, schlich er die Straßen entlang; bei seinem Hause sprang er über die niedrige Gartenhecke und nahte sich mit leisen Schritten dem Fenster, welches aus dem Schlafalkoven seiner Tochter in den Hof hinausging. Ehe er noch das Fenster erreicht hatte, zog er sein Taschenmesser hervor, dann lauschte er hinein. Eine Lampe stand auf dem Tisch, Agathe saß an demselben. Sie hatte den Kopf gestützt, und ihre verweinten Augen waren auf das nämliche Fenster geheftet, hinter welchem der unglückliche Vater, über dessen Ausbleiben sie sich ängstigte, lauschend stand. Zitterlein wollte klopfen, aber ein Blick in das Auge seiner Tochter lähmte ihm die Hand; er glaubte, daß aus der Tiefe dieses Auges ihm noch ein anderes Auge kalt und drohend entgegenstarre, das Auge seines toten Weibes; eiskalte Schauer durchrieselten ihn; »auch dies kann ich nicht, auch dies nicht!« – rief er aus – »bin ich denn tot?« Und mit gespenstischer Eile verließ er den Garten, stürzte durch die Straßen und rannte fort, wie am Morgen, um nicht wieder zurückzukehren.

12.

Ein volles Jahr später ging in dem Hause des Barbiers Zitterlein zum erstenmal wieder ein Festtag auf. Agathe und Leonhard wandelten Hand in Hand zur Kirche, der Prediger legte ihre Hände zusammen, und rief auf diejenigen, die den Segen des verschollenen Vaters entbehrten, den Segen Gottes herab. Agathen stürzten die hellen Tränen aus den Augen, als der würdige Geistliche sie mit ergreifenden Worten ermahnte, sich nun endlich dem heitern Genuß der Gegenwart hinzugeben und nicht mehr unter den Gräbern der Vergangenheit zu nachtwandeln.

Als sie nach Haufe kam, fiel sie Leonhard weinend um den Hals. »Ach« – rief sie aus – »mir ist, als hätten wir in diesem Augenblick eine schwere Sünde begangen!«

Leonhard führte sie sanft zu einem Stuhl und erwiderte nichts; er stellte sich ans Fenster und sah gedankenlos hinaus. Ihm war, als müßte er sich verfluchen, weil er ihren Schmerz nicht genug geehrt und sie in wilder Begier zu einem Schritt beredet hatte, der sonst wohl menschlich und rein war, diese zarte Natur aber ins Verderben stürzen mußte. Doch Agathe, als sie die Bewegung bemerkte, die in seinem Innern vorging, trat auf ihn zu und sagte: »Mein Leonhard, sei ruhig, wir dürfen nur einen Gedanken haben: Gott!«

13.

            »Friede, Friede,
    Ach, für Müde,
Welch ein süßer Klang!
    Wenn ich dich nur nenne,
    Mein' ich, ich erkenne
Deinen leisen Gang,
    Fühle deinen Odem,
    Der mich sanft umspielt,
Und den Schmerz beschwichtigt,
Der mein Herz durchwühlt!
    Friede, Friede!
    Ach, du süßer Klang!«

»Noch einmal, noch einmal!« rief ein armer, alter Mann in ganz zerlumptem Rock, dem die Tränen über die Backen flossen.

Aber der Orgelspieler, der dieses Lied an einem stillen Abend aus dem Marktplatz zu F. ableierte, musterte beim Schein der Laternen die Gesichter seiner Zuhörer, und als er bemerkte, daß sein rührender Hymnus diese gelangweilt hatte, kehrte er sich wenig an jenes da capo des gerührten Bettlers, sondern begann eine gar grausige Romanze:

»Es war ein Mädchen, wohl stolz und schön,
    Doch nimmer zur Liebe geneigt,
Es kam manch blühender Freiersmann,
Doch keiner von allen erlangen kann,
    Daß sie sich freundlich bezeigt.

Da klopft es einmal um Mitternacht
    An Mägdleins Fensterlein an;
Es war ein Jüngling in dunkler Tracht,
Sie zittert, doch hat sie ihm aufgemacht,
    Als wär's ihr eigner Mann.

Er schließt sie stumm in den dünnen Arm,
    Er raubt ihr Kuß auf Kuß,
Sie weint, doch kann sie nicht widerstehn,
Sie glaubt, in Ketten und Banden zu gehn,
    Er schreitet zum letzten Genuß.

Er legt sie schweigend aufs weiche Bett,
    Sie wehrt ihm mit keinem Laut,
Und als er sein frevelhaft Tun vollbracht,
Da ruft er höhnisch: ›Gut' Nacht, gut' Nacht,
    Du bist des Teufels Braut!‹«

Als der Orgelspieler geendigt hatte, und das alte Weib, welches neben ihm stand, mit ihrem Teller herumging, drängte der Alte sich durch die Menge; wahnsinnig, mit fast starrem Gesicht, griff er nach der Hand des Orgelspielers und rief: »Ich bitte Euch, sagt mir um Gottes willen – ist das wahr? Hat sich das ereignet?«

Der Orgelspieler erwiderte nichts, er schaute den Alten verwundert an; aber das alte Weib, welches die seltsame Frage ebenfalls gehört hatte, kehrte sich um, und sagte mit ihrer unangenehmen, krächzenden Stimme:

»Allerdings hat sich dies gewiß und wahrhaftig zugetragen in der Schweiz, in dem Lande, wo die hohen Berge und die tiefen Abgründe sind, und wo die arme Jungfrau noch sitzen soll, zu Eis erstarrt, auf einer der höchsten Alpspitzen. Was in unsern Liedern steht, ist alles wahr.«

Zitterlein – eben dieser war der Bettler – fühlte sich wie von einem Todespfeile getroffen, als er die Stimme des alten Weibes vernahm; sie war ja die Zigeunerin, die er einst in seinem Hause beherbergt und die ihm sein grauenhaftes Schicksal vorausgesagt hatte. Er wagte nur einen Blick in ihr gelbes, schmutziges Gesicht, und als er sah, daß sie die häßlichen, vertrockneten Lippen bewegte, eilte er mit schnellen Sprüngen von dannen, denn es schien ihm, als ob eine ganze Legion böser Geister in ihren stechenden Augen laure, und als ob sie jetzt im Begriff wäre, ihn zu ermorden durch gräßliche Worte.

Er setzte sich nieder auf eine Bank, die in einer öffentlichen Allee stand; der einförmige Orgelklang und die Romanze des Orgelspielers, die er vor einem andern Hause wiederholte, schollen gespenstisch zu ihm herüber. Aber, als er sie noch einmal gehört hatte, war es ihm, als wäre er selbst, die Welt, alles, was ihn umgab, verwandelt, als dürfte er einen tiefen Blick tun ins innerste Getriebe des Lebens. Fromme Gefühle des Glaubens, ja sogar der Sehnsucht und Hoffnung erwachten in seiner Brust; er blickte zu den ewigen Sternen auf, und es war ihm, als riefe der kühle Nachtwind, der seine glühende Wange streifte, ihm zu: »Es waltet ja doch ein Gott, der die armen Menschen, und auch dich, lieb hat und ihre Wunden gern heilte; aber der Teufel ist mächtiger als er: fühlst du das denn nicht?«

»Ja, ich fühl' es,« – rief Zitterlein aus – »vergib mir, du gütiger Gott, daß ich mich so grausam an dir versündigt! Ich fühl' es auch, daß meine arme, unglückliche Tochter unschuldig ist – der Teufel hat sie, wie jene Jungfrau in der Schweiz, in Bande geschlagen, und was vermag menschliche Kraft gegen diesen? O, ich Tor, der ich dies nicht längst empfunden, der ich es nicht einmal geahnt habe, als ich mit ruchlosem Mordgedanken vor ihrem Fenster stand und durch eine unsichtbare Macht mich abgehalten sah, die gräßliche Tat zu vollführen. Mein Gott war mir nah; Heil mir, daß ich ihn jetzt erkenne!«

Der Orgelspieler ging mit der Alten an ihm vorüber. Zitterlein nahm den letzten, zusammengebettelten Groschen aus der Tasche, er drückte ihn der Alten in die Hand und sagte:

»Vergebt mir die Sünde, die ich heute abend gegen Euch begangen habe; Ihr waret mein Engel, und ich konnte Euch für einen Dämon halten. Aber der Teufel hatte mit mir sein Spiel!«

»Was ist das für ein Mensch?« fragte der Orgelspieler seine Begleiterin, indem sie weitergingen.

»Ein Verrückter!« antwortete die Alte und lachte.

Zitterlein hörte diese Worte und erstarrte. »Bin ich ein Verrückter?« fragte er und schwieg dann, als ob er von sich selbst die Antwort erwartete. »Aber nein, nein!« – rief er nach einer Pause – »ich bin verrückt gewesen, darin mag die Alte recht haben, vollkommen recht; doch jetzt erkenn' ich ja meinen Gott und weiß, was ich tun muß!«

14.

Agathe saß eines Abends am Tisch und strickte. Sie wartete auf ihren Mann. Da ging die Haustür, und ehe sie vom Stuhl aufstehen konnte, wurde auch die Stubentür aufgemacht. Ein alter Mann in zerrissenem Rock trat herein. Agathe schrie laut auf: »Mein Vater!«

»Dein Vater, liebe Agathe,« – antwortete Zitterlein – »den du gewiß nicht vergessen hast!«

Dabei setzte er sich auf einen Stuhl.

Agathe schaute ihn an, sie konnte für die Gefühle, die sie bestürmten, keine Worte finden.

»Du bist verheiratet, liebe Tochter?« – fuhr Zitterlein fort – »ich hörte es eben und hatte es erwartet.« –

»Ja, Vater,« – sagte Agathe und senkte die Augen zu Boden.

»Fürchte keine Vorwürfe,« – begann Zitterlein nach einer Pause – »du konntest nicht anders; du fühltest bloß die Schlingen, aber du kanntest den nicht, der sie dir legte.«

Durch diese Worte wurden die Hoffnungen, welche in Agathens Brust bereits erwacht waren, völlig wieder zerstört. Sie seufzte tief.

»Aber ich zittere gar nicht für dich,« – sagte Zitterlein mit Zuversicht, und ein letzter Anflug von Röte kehrte auf seine Wangen – »denn du bist auf ewig geschieden von dem furchtbaren Verführer in dem Augenblick, wo ich dir ihn nenne. Fürchte dich nicht, liebe Tochter, Gottes Gnade ist unendlich. Du bist des Teufels Weib!«

»Vater!« – rief Agathe und starrte ihn an in sprachlosem Entsetzen.

»Des Teufels Weib!« – wiederholte Zitterlein ruhig – »aber nun komm, meine Tochter, nun komm mit mir, daß nicht Leib und Seele verloren gehen, hier zeitlich und dort ewiglich!«

In diesem Augenblick trat Leonhard in die Stube. Zitterlein stürzte wütend auf ihn zu, aber, nachdem er einige Schritte vorwärts getan, stand er plötzlich still, als ob er sich besonnen hätte. Er bekreuzigte sich schnell und rief:

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, hebe dich weg, Satan!«

Leonhard, der Zitterlein erst jetzt erkannte, blieb regungslos an der Tür stehen; er wußte nicht, ob er träume oder wache.

»Siehst du,« – rief Zitterlein seiner Tochter zu – »siehst du, daß er nicht näher treten darf?«

Er trat dicht vor Leonhard hin und sagte: »Dein Grinsen, dein Zähnefletschen erschreckt mich gar nicht, obgleich die menschliche Larve, die du angenommen hast, es nur schlecht verbirgt. Im Namen des Gekreuzigten, der die Hölle überwand, hebe dich fort von hier!«

Agathe warf sich auf die Knie nieder und betete mit lauter Stimme zu Gott, daß er ihrem Vater die verwirrten Sinne erhellen möge.

»Was betest du da, Agathe?« – fragte Zitterlein sie und schauerte zusammen.

Ein Kind schrie. Agathe stand auf und ging zur Wiege.

»Ein Kind, Agathe,« – sagte Zitterlein – »hast du ein Kind?«

»Ja, Vater, seht mein Kind!« – antwortete Agathe ihm und nahm das kleine holde Wesen aus der Wiege, dem noch der süße Traum um die Wange spielte, aus dem es eben erwacht sein mochte.

»Ein Kind!« – wiederholte Zitterlein fast tonlos und wandte den Blick von Leonhard ab, der sich noch immer an die Tür lehnte, verloren in den unermeßlichen Jammer.

»Ein Kind! Ewige Natur!« – wiederholte Zitterlein noch einmal und schaute dem Kind ins Auge. Das kleine Kind erschrak vor dem fremden, wilden Manne, dessen Blicke es zu durchbohren suchten.

»Ein Kind, wie andere Kinder,« – sagte Zitterlein dumpf vor sich hin – »keine höllische Flamme im Blick, keine satanische Züge, und Kinder kommen von Gott. Bin ich denn verrückt? – – Ja, ja, ich bin verrückt, die Alte sagte es ja auch! Schickt mich ins Irrenhaus!«

Ohnmächtig sank er zu Boden.