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Gedicht nach einer gleichnamigen Erzählung von Agnes Schöbel
(aus der Gartenlaube)
Weihnachtsabend, Fest der Kleinen,
wie sie harren auf Dein Erscheinen,
wie mit freuderoten Wangen,
jubelnd laut sie Dich empfangen!
Weihnachtsabend bei arm und reich,
überall grünet ein Tannenzweig;
Denn überall brennen Deine Kerzen,
überall schlagen kleine Herzen,
strecken hastig kleine Hände
sich entgegen Deiner Spende;
Überall grüßet, wo es auch sei,
Weihnachtsabend, ein Freudenschrei!
Weihnachtsabend, Fest der Kleinen,
dorther grüßt Dich leises Weinen!
Dort, wo Schottlands klarer Tweed
rauscht durch Cheviot's Waldgebiet.
Wo sich zwischen Felsenengen
Coldstream's Hütten zusammendrängen,
dort im Stübchen, arm und kahl,
in der Dämm'rung mattem Strahl
wacht ein Kind am Schmerzenslager,
darauf die Mutter, blaß und hager,
ächzt und stöhnt in Fieberqual.
Arme Mary, zehnmal kaum
sah sie blüh'n den Apfelbaum,
und schon gelben Sturm und Wetter
ihr des Lebensbaumes Blätter.
Sorgend sitzt sie, horcht und lauscht,
wie der Mutter Pulsschlag rauscht,
blickt im Dunkeln scheu umher,
und das Herz im Kummer schwer,
grüßt sie still mit leisem Weinen,
Weihnachtsabend, Dein Erscheinen.
Durch die rauchgeschwärzten Scheiben
irrt der Blick und starrt hinaus
in des Nachtgewölbes Treiben,
sieh, da geht im Nachbarhaus
Licht an Licht auf, hell wie Sterne,
Weihnachtsjubel schallt von ferne,
froher Spiele Saus und Braus,
und vor Kummer und vor Sehnen
heißer fließen Mary's Tränen,
und ihr Herz wird trüb und trüber;
horch, da schallt ein Lied herüber,
das zur Weihnachtsfeierstunde
dorten geht von Mund zu Munde;
also weht's von ferne her:
Im Kloster von Innisfare,
da tönt nicht Chor noch Orgel mehr;
die schlimmen Sachsen warfen's nieder
seitdem erhob es sich nicht wieder;
in Trümmern liegt's, mich dauert's sehr,
das Kloster von Innisfare.
Vom Kloster von Innisfare
nur eine Kapelle ist übrig mehr.
Drin hängt ein Glöckchen von gutem Klang.
Zieht einer zur rechten Zeit am Strang
wirkt Wunder rings im Land umher
das Glöcklein von Innisfare.
Das Glöcklein von Innisfare!
Liegt ein Kranker darnieder schwer,
daß er wieder euch gesunde
in der Christnacht zwölfter Stunde
ziehet das Glöcklein, ich rat's euch sehr
das Glöcklein von Innisfare.
Leise war das Lied verklungen,
und ein Seufzer dumpf und schwer
tief vom Herzen losgerungen,
tönt vom Schmerzenslager her,
und der Worte mächtig kaum
stammelt die Kranke im Fiebertraum:
»Ja, die Glocke von Innisfare!
Wenn noch dein Vater am Leben wär,
daß er das Glöcklein mir läuten ginge
so entkäm ich des Todes Schlinge;
müßte nicht hier in Not verderben,
Mary, mein Kind, da müßt ich nicht sterben.
Wenn noch dein Vater am Leben wär!«
Spricht's und sinkt zurücke wieder
und Erschöpfung bleiern schwer
lähmt Zunge, lähmt die Glieder.
Schweigend senkt die Nacht sich nieder,
rings ersterben Sang und Tanz,
Festgejubel und Lichterglanz;
stille wird's in allen Hütten,
Christnacht kommt herbeigeschritten.
Durch Coldstreams Schlucht weht Sturmgebraus
und löscht am Himmel die Sterne aus;
Schnee wirbelt nieder, dicht und schwer,
elf Schläge tönen vom Turme her.
Der Riegel klirrt, es knarrt die Tür;
wer wagt ins Freie sich herfür?
Wer wagt in die wilde Nacht sich hinaus,
in Schneegestöber und Sturmgebraus?
Ein Mädchen ist's, zart, schmächtig, klein,
wohl hüllt sie in ein Tuch sich ein,
doch gibt's die Füße nackt dem Eis,
die blonden Locken dem Sturme preis.
Ein Stab bewert die eine Hand,
die and're hält der Leuchte Brand.
So eilt sie hin, rasch wie der Wind,
und riet ihr einer: »Steh still, mein Kind!
Der Sturm verweht dich in deiner Flucht,
der Schnee begräbt dich in seiner Wucht,
kehr heim ins schützende Gemach,
das Wetter will nicht – gib ihm nach!«
Drauf sprach sie nur: »Habt schönen Dank!
Die Mutter liegt daheim schwer krank,
muß läuten das Glöcklein von Innisfare,
mein Vater ist nicht am Leben mehr.«
Das spräche sie und eilte fort.
Nehm Gott sie denn in seinen Hort!
Bergan, hinunter, hinab, hinauf,
so stürmt sie hin in raschem Lauf.
Schnee birgt die Kluft und deckt den Stein,
hab acht: glatt ist der Felsenrain!
Sie strauchelt, sie gleitet, – weh, sie fällt!
Die Leuchte liegt am Stein zerschellt.
Sie aber rafft sich frisch empor
und eilt dahin, rasch, wie zuvor,
eilt mutig weiter, hinab, hinauf,
bergan, bergunter in flücht'gem Lauf.
Wohl trieft ihr Röcklein, wohl trieft ihr Haar,
wohl steht auf der Stirn der Schweiß ihr klar,
wohl wirbelt der Schnee rings schwer und dicht,
sie achtet's nicht, sie weiß es nicht.
Nach Innisfare nur steht ihr Sinn –
doch halt, wo trug ihr Fuß sie hin?
Weil ihr die Leuchte dort zerbrach,
ging irrend falschem Pfad sie nach.
Das Kloster liegt drüben auf der Höh',
und sie steht unten tief am See.
Wenn Eis auch die Flut in Fesseln legt,
wer weiß ob's hält, wer weiß ob's trägt?
Uns soll sie zurück? – Nimmermehr!
Da dröhnen drei Schläge vom Dorfe her.
Dreiviertel auf zwölf! – So helf mir Gott-
ich muß hinüber und wär's mein Tod!
Da ist sie schon am Uferrand –
halt ein, mein Kind und bleib an Land!
Das Eis ist dünn – noch ist es Zeit –
schon kracht's und prasselt's weit und breit-
da bricht's – ein Schrei! Nehm Deine Huld
sie gnädig auf, die rein von Schuld!
Doch nein – noch flimmert ihr weiß Gewand,
von Scholle zu Scholle springt sie an Land –
nun ist sie drüben, und nun im Lauf
stürmt sie den Klosterberg hinauf.
Nun ist sie oben, nun ist's erreicht,
nun schlägt das Herz ihr frei und leicht,
nun atmet sie auf, tief, frei und lang,
es ist vollbracht der schwere Gang!
Und vorwärts dringt in frommer Lust
sie durch der Trümmer Schutt und Wust
nur eine Kapelle ist übrig mehr,
dort ragt ihr spitzes Türmchen her,
und aus den Trümmern glänzt von fern
Die Glocke her, ein Rettungsstern!
Die Tür steht offen, sie tritt hinein;
nun laß das Werk vollendet sein.
Zieh an das Glöcklein, daß es klingt
und deiner Mutter Genesung bringt!
Was säumst du, Kind, was suchst du lang?
Greif zu, – Herr Gott, es fehlt der Strang!
Zu ihren Füßen liegt im Staub,
sein karger Rest, des Moders Raub.
Die Treppe stürzte ein im Brand,
die sonst empor zum Turm sich wand.
Kein Weg, kein Steg, der aufwärts führt,
kein Hebel, der die Glocke rührt!
Du armes Kind! Des Sturms Gebraus
pfeift durch die Mauern und höhnt dich aus.
Vergebens kamst du durch Wind und Schnee,
vergebens drangst du über den See,
vergebens streckst du die Arme dein
zur Glocke empor! – Es soll nicht ein.
Im Dorfe schlägt es Mitternacht,
der Himmel will's nicht, Sein ist die Macht!
Starr stand das Kind, doch wie's vernahm
den Stundenschlag, es zu sich kam
und wirft sich nieder auf den Stein
und faltet fromm die Hände klein
und betet: »Liebes Christkind, du,
hör' gnädig der armen Mary zu,
die Mutter sagt, so ist's auch wahr,
du kommst zu uns Kindern Jahr für Jahr,
du gingst vorbei an der schlimmen Haus
den frommen teiltest du Gaben aus;
so bitt ich dich, vergiß nicht mein
Christkind in deinem Strahlenschein,
und weil dies Jahr ich nichts bekommen,
und war doch eines von den frommen,
so bitt ich dich, gewähre mir
nur ein paar Schläge der Glocke hier,
daß mir die Mutter am Leben bleib,
und neu sich stärk' ihr siecher Leib.
Gewähr der armen Mary dies,
ich heiß ja, wie deine Mutter hieß.«
Und spricht's und heiß vom Antlitz rinnt
ein Tränenstrom dem armen Kind;
und eh' im Dorf noch der zwölfte Schlag
verkündet einen neuen Tag
da plötzlich regt sich's,
da, horch, bewegt sich's,
da schwingt sich im Kreise,
da schallet es leise,
ein Schlag und noch einer und noch mehr,
da läutet die Glocke von Innisfare!
Das tat der Sturm nicht, des rohe Macht
dahin tobt brausend durch die Nacht,
das ist der Herr, der Gewährung schickt
dem Kind, das gläubig aufwärts blickt;
und wie hinaus über Berg und Wald
mit mächt'gem Ruf die Glocke schallt.
Da mischt sich dem Kind wie Engelsgesang
der Mutter Stimme in ihren Klang.
»Gerettet!« weht's ihm von ferne her
ins Geläute der Glocke von Innisfare.
*