Veröffentlicht in Ährenlese Nr. 1 (um 1900)
Daß Ingolstadt einst eine Festung war und noch seine alten Wälle am Ufer der Donau hin hat, wenn sie seither nicht abgebrochen worden sind, das weiß der Quartaner, wenn er was gelernt hat. Die Franzosen hatten sie ruiniert, die längs dem Rhein herunter noch mehr Beweise gegeben haben, daß sie an der Spitze der Zivilisation einherschreiten und Meister im Ruinieren sind. Aber die Maurer haben selbigesmal, da die Mauern gebaut wurden, noch guten Mörtel gehabt und hat bei ihnen der Tropfen Schweiß noch keinen Gulden gekostet, wie heutzutage, so daß die gesprengten Stücke noch zusammenliegen und zueinander sagen: »Wir wollen doch beieinander bleiben«, und die Donau über sie wegbraust und ihnen das Vergnügen gönnt. Da ist denn auch an der Stadtmauer noch ein großes Bild eines Mannes sichtbar, der mit einem roten und einem blauen Strumpf abgemalt ist, und zwar so stich- und farbhaltig, daß es noch kein Wetter, wiewohl es über 200 Jahre alt ist, abgewaschen hat. Das Bild stellt einen Mann dar, der, die Hände auf den Rücken gebunden, mit einem Strick um den Hals an einem Balken hängt. Am besten sind der rote und der blaue Strumpf behandelt, mit fast absonderlicher Liebe. Aus der Ingolstädter Chronik aber wird ersichtlich, woher das Bild mit so besonderem Fleiß gemalt ist.
Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts starb zu Ingolstadt der Webermeister Zacharias Sondermann. Wie's gekommen, weiß man nicht, aber als er starb, fanden sich außer seinen zwei Söhnen noch viele Schulden. Wie heute noch geschieht, so geschah es auch dazumal, daß zugriff, wer Hände hatte, und wer die längsten hatte, bekam auch am meisten. Nachdem die Webstühle und das Hausgerät unter den Hammer gekommen waren, griff der Hauptgläubiger nach dem Hause und allem, was drin war, nur nicht nach den beiden Söhnen, die wollte er nicht unterhalten. Die zwei weinten noch zusammen in Vaters Haus und auf Vaters Grab, gaben sich die Hände, und der eine zog zum Eichstädter und der andere zum Münchener Tor hinaus. Nach den armen Burschen krähte kein Hahn, als sie fortzogen, denn sie hatten kein Geld, und darnach fragen doch die Leute am meisten. Und ebensowenig läutete das Glöcklein, noch zog der Magistrat aus, noch bewegte sich ein Windfähnlein in der Stadt, als der jüngere von den Brüdern nach langen Jahren wieder heimkam. Drüben über der Donau war er mit einem beladenen Eselein angekommen, das, so mager es war, zwei Kisten schleppte, hüben eine und drüben eine. Er ließ sich auf der Fähre übersetzen, verkaufte das magere Tier in der Herberge und schaffte die Kisten am Abend in aller Stille auf ein Stüblein, das er sich in einem dunklen Gäßchen, weit ab von der Hauptstraße gemietet hatte. Wenn der geneigte Leser meint, es seien in den Kisten lauter Goldfüchse gewesen, so täuscht er sich – und doch war der Inhalt Goldes wert. Es waren nämlich drin die hundert und aberhundert kleinen Räder, Schrauben und Spulen zu einem Strumpfwirkerstuhl. Die hatte er sich in der Stadt Venedig mit seinem sauer ersparten Gelde gekauft und unter viel Mühsal und Fährlichkeit lebendig und gesund über den St. Gotthard auf seinem Eselein gebracht. Nun ließ das kleine schmächtige Männlein, das ebenso mager wie sein vierbeiniger Geselle war, und dazu noch mit bleichen Wangen und eingesunkener Brust behaftet, vom Schreiner sich das Gestelle machen, schloß die Tür hinter sich zu und setzte sich in stiller Nacht den Stuhl zusammen. Denn solch einen Stuhl kannte man in deutschen Landen noch nicht, und war ein Geheimnis italienischer Kunst. Er hatte sich die stillste Gasse gewählt in Ingolstadt, denn das Haus war auf der Stadtmauer gebaut.
Er hatte kein Gegenüber als das weite stille Donautal, und die Morgensonne rief ihn zur Arbeit und schien Fröhlich auf den kunstvollen Stuhl; und der alte Kachelofen mit den seltsamen Wappen und Figuren wärmte ihn des Winters, und es war so warm da, als habe der Insasse kein Tröpflein Blut in sich, und sei vielmehr ein Zitronenbaum aus Land Italia. Alle Morgen kam zu dem stillen Männlein eine ebenso stille alte Frau, die mit anderen Waren auch seine Strümpfe und Mützen und Wämschen und Handstaucher mit auf den Münsterplatz zum Verkauf nahm und dafür abends den Erlös, oder Licht und Brot und Butter, und was der kleine Mann noch brauchte, brachte. Sein Wasser holte er sich zur festgesetzten Stunde morgens und abends selbst aus dem tiefen Ziehbrunnen, der unten in dem dunklen Hausflur war. Aber das Männlein kannte sich so gut aus in dem Hause, als ob es schon von Jugend auf darin gewesen. Und das war es auch. Denn es war seines Vaters Haus, das jetzt einem anderen Besitzer gehörte, dem Hauptgläubiger des Vaters. Als es einzog, hatte das kleine Männlein erklärt, es wolle die Restschuld des seligen Vaters nachbezahlen, damit kein Flecken auf dem Vater im Grabe hafte. Denn wenn das Gesetz ihn auch nicht zwang, da der Vater vergantet war, so wußte er, daß es noch ein anderes Gesetz gibt, das im Landrecht nicht steht aber vor Gottes Augen gilt, vor dem es keine Verjährung gibt. In seinem Herzen aber hatte er die Hoffnung, durch seiner Hände Arbeit noch einmal dazuzukommen, dem Mann das väterliche Haus abzukaufen, wenn die Schuld getilgt wäre. Das waren die Gedanken des Strumpfwirkermännleins, die noch manchem Kinde wohl anstehen würden in heutiger Zeit, wo so manche an ihren Gläubigern, die viel an ihnen verloren, so flott vorüberfahren, als hätten sie oder ihre Eltern kein Wässerlein getrübt. Darum schränkte sich das Männlein aufs äußerste ein im Essen und Trinken. Seine Strümpfe gingen reißend ab, zumal er noch schöne Zotteln anbrachte, die den alten Leuten den Fuß warm hielten. Dazu waren seine Farben untadelig schön, und längs der Donau trugen die Leute seine Ware.
So glaubte er denn stille, wie der Prophet im Witwenstüblein zu Zarpath und sein Nachfolger zu Sunem, unangefochten von der Welt zu leben, denn er ging nicht unter die Leute als nur des Morgens und Abends zur Messe in die Kirche und wen er sah, den grüßte er bescheidentlich. Aber er wußte nicht, was im kleinen Katechismus Lutheri steht, daß zum täglichen Brot nicht bloß ein Strumpfwirkerstuhl und ein warmer Ofen, sonder auch gute Nachbarn gehören. Das sollte er am Gegenteil erfahren. In dem Hause, ein Stockwerk unter ihm, wohnte nämlich mit seiner Schwester der Baccalaureus Fabian Duft, der mit großer Mühe in alten Jahren zu diesem untersten Grad der akademischen Würde gekommen war. Denn nebenher war auch in Ingolstadt eine Universität. Zum Magister war er nicht vorgedrungen und darum, wie alle Halbwisser, eitel und hoffärtig. Denn wer was Rechtes weiß, der senkt den Kopf, wie die vollen Ähren, und nur der leere Strohhalm hebt ihn lustig auf. In alles steckte er seine Nase, auf der eine große Brille wie Eulenaugen saß, und durchschnüffelte die Räume, in die er kam, wie ein Hühnerhund das Schilfrohr. Mit niemand konnte er sich vertragen, weil er alles besser wissen wollte als andere Leute, und wo er arbeitete in den Offizinen der Drucker, gaben sie ihm bald den Abschied, weil er nicht bloß die Druckfehler korrigierte, sondern auch seine eigene Weisheit und Randglossen hineinfuschte. Das ist denn gar ein trübselig Leben, wenn so einer alles wissen will und doch nichts weiß, und sich das goldene Sprüchlein Sirachs nicht merken will, daß ein Narr, so er schwiege, auch würde für weise gehalten werden.
Das kleine Männlein hatte sich kaum an seine venetianische Maschine gesetzt und zu musizieren angefangen, als schon der Herr Baccalaureus seine Schüler auf eine Zeit verließ, um zu sehen, was es da oben gäbe. Er strich sein langes Haar zurück, hielt nach seiner eigen von ihm erfundenen Methode das Ohr zwischen Daumen und den zweiten Finger recht nah an das Schlüsselloch. Er hörte aber nur das eintönige Schnarren des Webstuhls und dazwischen die kaum hörbare Stimme des Männleins, das in der eintönigen Weise eines italienischen Ritornello sang: Buon pastore, Jeu Christo, morte per la salute degli homini, zu deutsch: »Guter Hirte, Jesus Christus, gestorben für das Heil der Menschen.« Der Sang kehrte wieder und immer wieder, so sehr auch der Baccalaureus horchen mochte. Der Herr Baccalaureus schlich sich wieder still zurück die Stiege hinab und kehrte dann gleich mit festen Tritten zurück, wie jemand, der ein gutes Gewissen und ein Recht hat, einen zu besuchen. Er klopfte an und stand vor dem Männlein, das sich von seinem Stuhl erheben wollte; der Baccalaureus aber nötigte ihn, sitzenzubleiben, denn er wollte ja nur die Maschine und nicht das Männlein sehen. Wer jedoch denkt, er habe sich über den sinnvollen Bau gewundert, täuscht sich. Denn der Herr Baccalaureus hatte den Grundsatz, den schon Leute vor und nach ihm gehabt haben, sich über nichts zu wundern und alles begreiflich zu finden. Das sind bekanntlich die angenehmsten Leute auf der Welt, die alles, auch das neueste, schon längst gewußt; die, wenn man ihnen von einer Gegend erzählt, eine viel tausendmal schönere längst gesehen, oder von einem Buche sagen: sie hätten das schon längst viel besser gelesen oder gar selbst geschrieben. So wunderte sich der Baccalaureus billigermaßen gar nicht über die Maschine, sondern wußte gleich eine Menge Dinge daran auszusetzen, wie das und jenes zu verbessern sei und tadelte rechts und link und versprach, morgen einen Plan vorzulegen von einer verbesserten Fabian Duftschen Maschine mit einfacherem Triebwerke, wobei man wenigstens sechshundert Teile ersparen könne. Er habe schon die Stadtuhr mit seiner mechanischen Wissenschaft kurieren wollen, nur sei der Magistrat so einfältig gewesen und so gegen den Fortschritt, daß er die Uhr lieber dem richtigen zünftigen Uhrmacher anvertraut habe als ihm. Das kleine Männlein wußte nicht, wohin es schauen sollte. Es war schon so verlegen über dem groben und ungeschlachteten Umhergreifen an seiner Maschine, die er wie sein eigenes Kind lieb hatte, und entsetzte sich förmlich über den Vorschlag seines Hausgenossen. Es wollte protestieren, aber das Gesicht zuckte nur wehmütig, und das Wort erstarb ihm auf der Zunge, daß es erst, als der Baccalaureus aus der Stube war, herausbringen konnte: »Geben Sie sich keine Mühe.« Seine Ruhe war aus seit jenem Tage, denn immer glaubte er bei jedem Geräusch des Hausinsassen zu hören, der mit seiner verbesserten Maschine ankäme; die ganze Nacht sah er die hagere Gestalt des Baccalaureus, das gelbe Gesicht, die stechenden Augen und das lange Haar; und die Morgensonne schien schon fröhlich herein, ohne daß er an der Arbeit war, und die Lerchen forderten ihn auf, zu singen, aber er sang nicht sein Lied: »O buon pastore«. Es war, wie wenn einer in ein feines Räderwerk gegriffen und das feinste Kammrädchen gebrochen, so daß alles stille steht. Er hätte sich nicht zu ängstigen brauchen. Der Baccalaureus wußte nämlich nichts Besseres, nur das Tadeln verstand er, und so zog er es vor, es dabei bewenden zu lassen und seine neue Maschine ad acta zu legen. Aber es ging ein anderer Gedanke ihm im Kopf herum.
Unter den bereits obgemeldeten Eigenschaften hatte der Baccalaureus auch noch eine besondere, die im Besitz noch mehrerer Leute ist, nämlich die, andere für sich arbeiten zu lassen und zu schneiden, wo er nicht gesäet hatte. Da gibt's ja in der Welt eine Art von ganz feiner Straßenräuberei, wobei man mit aller Höflichkeit und Artigkeit ausgezogen wird, und darf nicht einmal etwas sagen, weil die Räuber gar zu freundlich sind. So dachte denn der gelehrte Herr, er wolle mit dem Gelde seiner Schwester etliche Stühle fertigen lassen, und das Strumpfwirkermännlein sollte dann etliche Schüler im Strumpfwirken unterrichten. Wenn das einmal im Gange wäre, dann arbeitete das so fort wie die beste Mühle und er könne dann nur die fertigen Mehlsäcke, d.h. die Strümpfe usw. verkaufen und brauche noch keinen Finger zu rühren. Daß das Strumpfwirkermännlein »Nein« sagen werde, dachte er sich nicht und wollte ihm mit seinem breiten Kopf und breiten Rücken schon so imponieren, daß ihm alles Opponieren vergehen sollte. So ließ er denn seine Schüler wieder im Stich und ließ sie wechselseitig sich selbst unterrichten. Denn das gehörte auch zu seiner neu erfundenen Lehrart, daß er, wenn er zu faul war, selbst die Stunde zu geben, die Knaben sich selbst Unterricht geben ließ, wobei soviel herauskommt, als wenn man den Bock zum Gärtner macht.
So ging er denn hinauf zu dem Männlein und sagte: »Meister Sondermann, Euer Stuhl hat zwar seine Fehler, aber er ist nach reiflichem Überlegen doch annehmbar gefunden worden. Wir wollen die Verbesserungen auf andere Zeiten versparen. Einstweilen habe ich mich entschlossen, zwölf von diesen Stühlen bauen zu lassen. Da es aber noch an Leuten fehlt, die damit umgehen können, so will ich meiner Schule nicht bloß eine wissenschaftliche, sondern auch eine gewerbliche Richtung geben und Ihn, Meister Sondermann, als Fach- und Nebenlehrer annehmen. Ich meine es gut mit Ihm, und Er ist auch der Mann dazu, zwölf von meinen kräftigsten Jungen zu unterrichten. Abgesehen davon, ist mir's schon längst Bedürfnis gewesen, der studierenden Jugend eine angemessene Bewegung zu verschaffen, damit nicht frühe Leiden sich entwickeln, an denen ich, der in seinem Leben zu viel an den Büchern gesessen, laboriere. Es soll Sein Nachteil nicht sein, denn ich werde eine große Manufaktur am hiesigen Orte erreichten mit mehreren Zweigen und Ihn dann beibehalten als Oberwebermeister.«
So sprach Herr Fabian Duft, und sein gelbes Gesicht grinste vor Freundlichkeit dabei, und er glaubte, schon zu sehen, wie das Männlein ganz außer sich kommen werde über diesen Vorschlag. Und das Männlein kam wirklich außer sich, aber nicht vor Freude, sondern vor Entsetzen über den Baccalaureus und seinen Vorschlag. Aus seiner stillen Stube sollte er heraus, in die er sich geflüchtet, um in ein Geräusch von zwölf Stühlen zu gehen, und daneben zwölf Buben, die unter ihm trampelten, wie wenn Viehmarkt wäre, und sich die Haare bündelweis ausrissen, hüten und lehren, – das sollte er tun? – da überkam ihn ein Zittern und er stammelte: »Mit Vergunst, Herr Baccalor, das kann nicht sein.« Der Magister sah, daß im jetzigen Augenblick nichts zu machen sei, und daß er das Männlein nicht reizen dürfe, sonst werde es ihm krank; darum schlich er sich die Treppe wieder hinab und sann auf einen neuen Angriff. Dem Strumpfwirker stand noch der Angstschweiß auf der Stirn über den abgeschlagenen Sturmangriff, und er sank noch einmal in tiefes Brüten über die Gefahr, der er eben entronnen. Unterdessen aber schmiedet Fabian Duft seinen neuen Plan. Er dachte nämlich, wenn das Strupfwirkermännlein seine Schwester Priska heirate, so sei das eine gute Partie, und dann müsse er wohl oder übel mit seinem Stuhl herausrücken und damit anfangen lassen, was er, der Baccalaureus, wolle. Als er darum einmal den Meister Sondermann fand, wie er sich abmühte, ein Feuer auf dem Herde anzuzünden, und über das feuchte Holz seufzte und über den Rauch, der seinen blöden Augen wehe tat, trat er zu ihm und fing in der mitleidigsten Weise mit ihm zu reden an. »Meister Sondermann,« sagte er, »ich habe Euch schon oft bedauert, daß Ihr so einsam seid und niemand um Euch habt. Der Mensch ist doch zur Gesellschaft geschaffen und ist nicht gut, daß er allein sei. Ihr arbeitet fleißig, aber Euch ermuntert niemand, der Euch ein gutes Süpplein kocht oder einmal einen guten Sonntagsbraten samt einem Pfannkuchen; darum Ihr auch so mager aussehet, wie eine von den sieben Kühen Pharaos. Und wenn Ihr krank seid, seid Ihr erst recht übel dran, denn dann kann Euch niemand ein warmes Tränklein machen, noch Euch die Arznei reichen – und wenn Ihr sterbet, so wisst Ihr nicht, wem Ihr den Stuhl vermachen sollt, der kommt dann in fremde Hände und an lachende Erben. Darum wollte ich aus christnachbarlicher Liebe Euch auf meine Schwester Priska aufmerksam gemacht haben; denn ich sehe, Ihr bedürft's, daß man für Euch den Brautwerber macht. Sie paßt zu Euch wie ein Wassertropfen zum anderen, nach Alter und Statur und Gemüt. Da wäret Ihr zeitlebens versorgt und zudem habt Ihr mich, den Baccalaureus Fabian Duft, zum Schwager und die Dufte sind allzeit berühmte Leute im Lande gewesen.« –
Dem Strupfwirkermännlein ward unter dieser Rede, als sei er in der Torturkammer des hochnotpeinlichen Halsgerichtes, und das Blut stieg ihm in den Kopf, und seine Brust presste sich krampfhaft zusammen. Denn, abgesehen davon, daß er seine Lebetage ledig bleiben wollte, war die Schwester des Herrn Baccalaureus von derselben Beschaffenheit wie ihr Bruder, und schon oft war er über ihre kreischende Stimme erschrocken, wenn sie mit ihrem Bruder oder der Magt zankte, und hatte gedacht, daß sie keinen stillen und sanftmütigen Geist hätte. Darum arbeitete sich jetzt unter großer Anstrengung das Wort aus dem Munde des Männleins heraus: »Herr Baccalor, das kann nimmermehr sein.«
Mit diesem Korb bewaffnet, stieg Herr Fabian Duft wieder in seine Stube hinab und setzte ihn vor seine Schwester und erzählte, wie sich das Männlein gebärdet habe, als es von dem Antrag gehört. Nun ergrimmte sie auch mit ihrem Bruder über ihn, und beide beschlossen, ihm das Leben zu verbittern, wo sie könnten. Wollte er nicht, wie sie wollten, so müsse er wenigstens aus dem Hause und könne wieder nach Venedig wandern, sie wollten aber weder seine Maschine noch seinen Singsang mehr hören. Die Schwester Priska hielt nun auf ihrem Herde immer glühende Kohlen und warf dann Hornspäne, Knochen und feuchte Torfballen darauf, was einen mörderlichen Rauch gab, der sich oben hinauf in die Stube des Strumpfwirkers zog und ihn fast erstickte. Sie wußten, daß der Blasbalg in seiner Lunge kurz und schon zerrissen war, und ihm der Rauch am allerschädlichsten sei. Der Baccalaureus aber wählte einen seiner stärksten Schreier unter seinen Zöglingen, der mußte bei offener Türe stundenlang fort und fort in einem Tone lesen, oder auch zwischenein aufhören und nach fünf Minuten mit dem ganzen Chorus einfallen, so daß über alledem einem Hören und Sehen verging und das Männlein oben in nicht zu sagende Aufregung geriet. Er konnte in seiner Arglosigkeit sich nicht denken, daß das aus Bosheit von dem Geschwisterpaar geschehe, und beklagte sich darum nicht und fraß sein Leid in sich und beschloß, nachzugeben und auszuziehen. Das war ihm zwar schwer, sich von dem alten lieben Haus zu trennen und seinen Wunsch aufzugeben, es zu kaufen. Aber er hatte schon mehr Wünsche drangegeben gelernt im Leben, und wer das einmal glücklich hinter sich hat, wird bald ein Meister darin. Er sah sich nach einer Wohnung um, konnte aber noch keine finden, weil die Leute wohl ihn, aber nicht seinen Stuhl aufnehmen wollten, wie jetzt oft in den Städten eine Familie ohne Kinder ins Logis gesucht wird, und Leute mit einem Kinderhäuflein von Haus zu Haus wandern müssen, bis sie zu einem Hausherrn kommen, der sich erinnert, daß er selber auch einmal ein Kind und froh war, daß er nicht auf der Straße übernachten mußte. Der Baccalaureus aber hielt in der Nacht wieder eines seiner Selbstgespräche und sagte: »Lange hält das der Sondermann nicht aus, und wenn er fortzieht, was habe ich davon? Dann nimmer er seine Maschine mit und mit der Gelegenheit, dir selbst eine zu bauen, ist's am Ende. Bleibt er aber, so kannst du den alten Schlüssel zu seiner Stube nehmen und wenn er zur Mette geht, seinen Stuhl in aller Stille abzeichnen und dir einen fertigen lassen. Darum wollen wir ihn noch weiter atmen lassen.« Des Morgens teilte er seinen Plan der Schwester Priska mit, die vollkommen damit einverstanden war und sogleich das Feuer auf dem Herde löschte. Als Meister Sondermann des Morgens in seinem Sonntagsstaat herunterkam, traten die beiden Geschwister ihm entgegen und frugen, was für wichtige Geschäfte er schon so früh habe. Unter vielem Stottern brachte er denn heraus, daß er sich nach einer weiteren Wohnung umsehen wolle, da er den Rauch und das Schreien der Scholaren nicht ertragen könne. Da hielt ihn aber der Baccalaureus am Arme und tat ganz entsetzt und sprach: »Nein, Meister Sondermann, einen solchen braven Mann, wie Ihr seid, läßt man nicht aus dem Hause. Das hätten wir wissen sollen, daß Euch der Rauch wehe tut, dann wäre kein Fünklein auf den Herd gekommen. Es tut mir leid, daß ich auf das betonte Lesen so viel halten mußte bei meinen Scholaren, aber sie müssen sich von nun an auf den Wällen üben, wie Demosthenes, der große Redner, der den Mund voll Steine nahm und draußen im Wald deklamierte. Ihr sollt fortan so ruhig sein, wie ein Dachs in seinem Bau, so wahr ich der Fabian Duft und Baccalaureus der hohen Universität Ingolstadt bin.«
Da ging das Strumpfwirkermännlein seelenvergnügt wieder hinauf, zog seinen Sonntagsstaat aus, setzte sich an seinen Stuhl und fing wieder an, mit den Lerchen zu wetteifern und sang sein O buon pastore, Jesu Christo! Jeden Morgen ging er in die Mette, des Abends zur Vesper in den Dom, einen Tag wie den andern. Diese beiden Stunden nutzte nun Herr Fabian Duft fleißig aus. Mit einem alten Schlüssel, den er nicht abgeliefert hatte beim Einzug des Männleins, sperrte er sich die Tür auf und studierte die einzelnen Teile der Maschine und maß mit dem Zirkel und der Richtschnur Teil für Teil und zeichnete es auf. Immer vor Ablauf der Stunde war er wieder aus der Stube, und hatte zum Überfluß noch unten einen Telegraphen errichtet, längst ehe man an Telegraphen dachte. Denn die erste Station, die Signal gab, war die Haustüre, deren Glocke mit einem Draht nach oben verbunden war und dort zugleich tönte, – und die zweite war die Schwester Priska, die zum Fenster hinausschaute und nach dem Strumpfwebermännlein spähte, wenn er um die Ecke bog. So war er denn guter Dinge und sah im Geiste schon alle seine Spulen laufen, die ihm reichen Gewinn abwarfen, und freute sich, dann der lästigen Scholaren enthoben zu sein und, weil es vermöge seines Verstandes nicht ging, doch vermöge seines Geldes es zum Magister noch zu bringen, indem er sich schmeichelte, daß mancher Esel es sogar zum Doktor gebracht. Aber da kam wie einst dem berühmten Archimedes ein Soldat in seine Kreise, so dem Baccalaureus in seine Zeichnungen der Feldhauptmann Tilly. Denn unter dieser Zeit war der Dreißigjährige Krieg im Flor, und der siegreiche Tilly, der Magdeburg zerstört hatte, fand seinen Meister am Schwedenkönig, der ihn am Lech schlug. Zu seiner Niederlage aber erhielt er noch einen Schuß durch den Schenkel, so daß er elend zerschlagen nach Ingolstadt gebracht wurde. Da lag er denn auf dem Schmerzenslager und jammerte. Denn, wenn einen eine Kugel so getroffen, ist's einerlei, ob man ein General oder ein Gemeiner ist, sie steckt eben im Fleisch, und der Knochen ist zersplittert, und Schmerzen sind Schmerzen, ob sie ein Großer oder ein Geringer hat. Und ob einer dann in einem besseren Bette liegt, als der andere, tut auch nicht viel zur Sache, und der Tod frägt vollends nicht nach Rang und Stand. So war's denn auch mit dem Feldhauptmann Tilly übel bestellt, zumal er noch vieles auf dem Gewissen hatte, und die Flammen von Magdeburg und die Seufzer von dorther ihn noch verfolgten. Er lag im Hause des Bürgermeisters und wartete auf Heilung oder Tod. Er machte sich auf den letzten Feind gefasst und ließ seinen Feldpater kommen, daß er ihn absolviere, und verlangte sodann nach einem Schreiber, um ihm seinen letzten Willen zu Diktieren. Denn jetzt war's mit dem Hauen und Schreiben am Ende. Seinen eigenen Schreiber hatte er zurückgelassen beim Kurfürsten, und so verschaffte ihm der Bürgermeister den seinen, nämlich den Baccalaureus Fabian Duft, der sich jetzt noch dreimal so duftig und wuchtig vorkam, als früher. Denn nun warf er sich erst recht in die Brust wie einer, der zu viel Besserem geboren und als ein verkanntes Genie endlich einmal gebührendermaßen ans Lichtgezogen worden sei. Der Schwedenkönig ließ aber auch nicht lange warten und rückte gegen Ingolstadt, nicht um es zu zerstören, wie Tilly an Magdeburg getan, sondern um christlicherweise Rache zu üben, d.h. feurige Kohlen aufs Haupt zu sammeln. So hatte er es schon mit Augsburg und Regensburg gemacht und wollte es nun auch mit Ingolstadt also machen. Darum richtete er seine Kanonen nicht in die Stadt, sondern nur auf die Wälle und sprengte die Mauern durch seine Minen. Wie es kam, weiß man nicht, aber gerade auf den Teil, wo die Mauern am schwächsten waren, richtete er am meisten seine Kanonen, und das war gerade das Quartier, wo das Strumpfwirkermännlein wohnte. Wiewohl der Feldhauptmann Tilly schwer darniederlag, blieb er auch im Leiden noch ein Soldat und ließ sich durch seinen Adjutanten Bericht erstatten über alle Operationen des Schwedenkönigs und gab noch Befehl, was da oder dort geschehen solle. Dabei war manchmal der Baccalaureus gegenwärtig, der sich auch hier wieder um Sachen bekümmerte, die ihn eigentlich nichts angingen. Als aber der Adjutant berichtete, die Hauptmacht des Schwedenkönigs ziehe sich dorthin, wo das Strumpfwirkermännlein wohne, und als Tilly für sich sprach: »Wunderbar, daß der Schwedenkönig sich gerade dahin zieht, wo die Stadtmauer am schwächsten! Muß ihm wohl jemand gesagt haben, denn das geht nicht mit rechten Dingen zu« – da horchte der Fabian Duft, auch ohne sein Ohr zwischen zwei Finger zu nehmen, hoch auf, und es blitzte in seinen dunklen stechenden Augen von einem bösen Gedanken, und er sagte: »Wenn Euer Gnaden einem gemeinen Mann Gehör schenken wollen, der sich nur auf die Wissenschaften des Friedens und die Gelahrtheit, nicht aber auf den Krieg versteht – so wollte ich meine devoteste und unmaßgebliche Meinung allersubmissest vortragen. In dem Hause, das dort hinter der Mauer liegt, in der meine Wenigkeit und meine Schwester Priska wohnen, da herbergt auch ein Strumpfwirker. Es ist ein stilles, geheimnisvolles Männlein, von dem man nicht weiß, wo es her ist. Es singt viel in fremder Sprache und gibt sich mit niemanden ab. In seiner Stube hängt kein Weiwasserkesselchen, wie bei jedem ehrbaren Christenmenschen, es geht zwar in die Mette und die Vesper, aber es hat noch nie ein Wort über unsere Religion verlauten lassen. Der begeht nun die Unvorsichtigkeit und hängt seine gefärbten Strümpfe zum Dachladen hinaus, der über die Stadtmauer wegsieht. Weil ich in Kriegsgeschichten bewandert bin, habe ich ihn schon des mehreren aufmerksam auf solche Torheit gemacht, und ihm bedeutet, wie leichtlich der Feind das als ein Zeichen ansehen könne, hereinzukommen. Aber der läßt sich so wenig
belehren, als wenn Euer Gnaden dem Schwedenkönig einen guten Rat geben wollte. Heute hatte er noch, gewiß nicht in böser Absicht, einen roten und einen blauen Strumpf groß und lang herausgehängt. Es wäre wohl der Mühe wert, Euer Gnaden ließen den Mann selbst billigermaßen über seinen Unverstand belehren.«
Damit schloß der Baccalaureus seine wohlgesetzte und boshafte Rede, und der Feldhauptmann, der ihm aufmerksam zugehört, entließ ihn. Der Baccalaureus ging heim und freute sich schon, dem Strumpfwirkermännlein eine Suppe eingebrockt zu haben, an der es sich seine letzten Zähne ausbeißen könne. Es war gerade die Stunde, wo Meister Sondermann zur Vesper war, denn jetzt in Kriegläuften war es ihm absonderlich wert, in der Stille sein Herz auszuschütten und zu beten. Daher ging Herr Fabian Duft schnell zu seiner gewohnten Arbeit und zeichnete wieder an seiner Maschine, d.h. an der Maschine des Strumpfwirkers, und glaubte, nun bald im reinen mit allem zu sein.
Der Baccalaureus saß eben hinter seiner Diebesarbeit, als bei dem todkranken Feldhauptmann der Adjutant erschien, um ihm zu berichten, daß der Schwedenkönig der Stadt ganz nahe gekommen und sich so weit vorgewagt, daß eine wohlgezielte Kugel seinen Schimmel tödlich getroffen und eine andere seinen Nebenmann niedergeworfen. Drob freute sich der alte Soldat, und über das schreckliche Todesantlitz des grausamen Mannes zuckte ein Schimmer, und er sagte: »Wir wollen dem Schwedenkönig die Sache noch etwas bequemer machen, damit er nicht so nahe mehr herankommt, und ihm seine guten Freunde von Ingolstadt zeigen. Ruft die Ordonnanz!« Als sie kam (es war ein Wachtmeister mit sechs Kürassieren), gab er den Befehl: »Matthes,« sagte er mit hohler Stimme, »nimm sechs Mann und gehe in das Haus des Strumpfwirkers, den du am Stuhle treffen wirst. Des Bürgermeisters Knecht soll dich begleiten und dir das Haus zeigen. Aus dem Bodenladen hängt ein roter und ein blauer Strumpf, die ziehst du dem Manne an und hängst ihn auf, und läßt ihn an der Mauer herabbaumeln. In einer Viertelstunde muß alles geschehen sein.«
Der Wachtmeister nahm seine sechs Mann und marschierte auf das Haus zu. Der Baccalaureus war gerade recht in seine Arbeit vertieft und hörte die schweren Tritte der Reiter und ihr Sporengeklirr erst, als wer eben zu der Tür hinaus wollte, zu sehen was es gäbe. Aber der Wachtmeister griff ihn bei der Brust und war ihn in die Stube zurück. Ein Kürassier holte die Strümpfe von oben, zwei andere banden ihm die Hände, der dritte knebelte ihm den Mund zu weil er mörderlich schrie und protestierte. Dann zogen sie ihm den roten und dann den blauen Strumpf an und die Halsbinde aus und hängten ihn an einem Strick ohne weitere Umstände und Entschuldigungen über die Stadtmauer hinaus. Bei dem allen sah der Wachtmeister nur zu; gegen seine Gewohnheit, denn sonst tat er blindlings alles, was sein gestrenger Feldhauptmann wollte. Und das war nicht zu verwundern. Es war nämlich der Wachtmeister Matthias kein anderer, als der ältere Bruder des Strumpfwirkermännleins, der damals zum Eichstädtertor hinausgezogen und unter das Kriegsvolk gegangen war. Als ihm des Bürgermeister Knecht die Wohnung von ferne zeigte, da sah er, daß es seines Vaters Haus war, in das er kommandiert war, und als er eintrat, wachten in seiner Seele die alten Erinnerungen mit Macht wieder auf. Denn man kann auch einen eisernen Küraß tragen und doch darunter ein weiches Herz, das bewegt wird, wenn es der alten Tage gedenkt. Dort in der Stube des Strumpfwirkers hatte die alte Großmutter gelebt, und er war oft bei ihr gewesen in dem hohen Witwensitz, der so hoch über die Stadtmauer wegschaute. Das kam ihm alles in den Sinn, und er ward so gedankenvoll, daß er gar nicht zusah, wie der Baccalaureus sich wehrte und wie seine Kürassiere ihm ein so jähes Ende bereiteten. Der Baccalaureus hatte eben sein Leben geendet, als das Strumpfwirkermännlein von der Vesper heimkam. Da staunte es denn erst recht und schrak innerlichst zusammen, als es in seiner stillen Stube die sechs bärtigen Krieger und den Wachtmeister dabei sah. Ob sie ihm seinen Stuhl zerschlagen wollten und sich hier einquartieren, das alles machte ihm Sorge. Aber als er sich den Mut nahm, hereinzutreten, und den Wachtmeister sah, da kam ihm das Gesicht so bekannt vor, und bald herzten sich die beiden, wie man sich herzt, wenn man sich tot geglaubt.
Gern hätten sich die zwei nun erzählt, was ihnen in den langen Jahren der Wanderschaft begegnet, und von Vater und Mutter gesprochen – allein dazu war keine Zeit. Der Strumpfwirker hatte über der Freude, seinen Bruder zu sehen, von der Gefahr, in der er geschwebt, noch keine Ahnung. Aber der Wachtmeister, der schon mehr von der Welt Handel und Wandel, Lug und Trug erfahren, fand sich bald zurecht in der Sache und merkte den Zusammenhang, daß diesmal der, dem es gegolten, frei durchgekommen, und der Schuldige doch richtig gepackt worden sei, und einer in einer Falle gefangen worden, die er einem anderen gestellt. Darum sagte er zu seinem Daniel (so hieß das Strumpfwirkermännlein): »Halte dich still, als wenn dich der ganze Handel nichts anginge, das übrige wird Gott verseh'n, der ein Wunder an dir getan hat.«
Tilly starb noch in derselben Nacht und wird die Seele des Baccalaureus noch in der Ewigkeit angetroffen haben. In jenen Tagen war ein solches Durcheinander in Ingolstadt, ein Schießen von drinnen und draußen und ein Treiben fremden Kriegsvolkes, daß sich kein Mensch um einen Gehängten mehr oder weniger bekümmerte. Der Kurfürst von Bayern brach sein Lager ab, und der Schwedenkönig zog ein und vermachte den Ingolstädtern seinen toten Schimmel, den sie zum Andenken an ihn ausstopften. Als das Kriegsvolk wieder aus der Stadt war und jeder von den erlebten Nöten und Drangsalen erzählte, und von dem und jenem, kam auch die Rede auf den gehängten Baccalaureus. Die wenigen Zeugen seiner Hinrichtung wußten keinen Aufschluß zu geben; denn die zwei, die es am besten gekonnt, der Feldhauptmann und der Baccalaureus, schliefen schon in ihren Särgen. Da man aber den Charakter des Fabian Duft kannte, so fehlte es nicht an allerhand Vermutungen, daß er wohl, dieweil er in alles hineingeredet, ein Spion gewesen, oder dem Feldhauptmann seine Papiere durchstöbert und zu eigen sich gemacht, wie den Stuhl des Strumpfwebers. Der letztere aber war still wie ein Mäuslein und bewunderte die Güte und Treue Gottes, die über ihm so sichtlich gewacht.
Die Ingolstadt aber wollten außer dem Schwedenschimmel noch ein anderes Wahrzeichen haben, und malten darum den gehängten Baccalaureus mit einem blauen und einem roten Strumpf an die Stadtmauer, daran er vor Jahren noch zu sehen war. Die Schwester Priska kaufte sich mit ihrem Vermögen in ein Kloster ein, soll aber hinter den Klostermauern nicht anders geworden sein, als sie hinter der Ingolstädter Stadtmauer schon war. Denn das trotzige Herz nimmt einer überall mit, auch in die Klosterzelle hinein. Dem Strumpfweber aber, der sich an den guten Hirten hielt und ihm alle Tage und Stunden über der Arbeit sein Lied sang, war's jetzt so heimlich und friedlich. Die Arbeit ging ihm von den Händen, und die Leute brauchten Strümpfe und Wämser, denn das Kriegsvolk hatte angezogen, was es fand, und sich in der Eile nicht darum gekümmert, ob die Strümpfe und Wämser aufs Maß genommen und paßten. Nach Jahren konnte er das väterliche Haus kaufen. In der Nördlinger Schlacht wurde sein Bruder Matthias verwundet und kehrte mit dem Arm in der Binde zu seinem Bruder ins väterliche Haus zurück. Der Kriegsbruder verstand sich aber auch bald zu dem Friedenshandwerk der Strumpfweberei und sang mit seinem Bruder bei der Arbeit: »Guter Hirte, Jesus Christus, der du starbst fürs Heil der Menschen.« – Aber so oft die Brüder über die Stadtmauer schauten und den Baccalaureus im Bild mit dem roten und blauen Strumpf hängen sahen, segnete sich der alte Wachtmeister, daß er nicht seinen lieben Bruder über die Stadtmauer gehängt, sondern nur seinen blauen und roten Strumpf, die beim Färben verunglückt waren, und priesen beide die Güte Gottes, der die Einfältigen, d.h. die, die lauteren, aufrichtigen Sinnes sind, behütet und die Vielfältigen und Vielschichtigen, wie den Baccalaureus , in ihrer Klugheit erhascht und in den Strümpfen der Einfältigen über die Mauer hängt. Solches tat Gott ums Jahr 1632 und tut es noch heutiges Tages.
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Mit freundlicher Genehmigung der Stiftung Christliche Medien, Witten