[Quelle: Johannes Daniel Falk: Goethes erste Bekanntschaft mit Schiller. In: Montagsblatt, das Heimatblatt Mitteldeutschlands / Wissenschaftliche Beilage der Magdeburgischen Zeitung. Nummer 3, Magdeburg, 16. Januar 1933, 75. Jahrgang]
Johannes Daniel Falk, der bekannte Menschenfreund und Begründer des Falkschen Institutes in Weimar, hat fast zwei Jahrzehnte, zu Zeiten sogar sehr freundschaftlich, mit Goethe verkehrt. Er hat über diesen Verkehr und die Gespräche mit Goethe gewissenhafte Aufzeichnungen gemacht noch an demselben Abend, wenn er nach Hause zurückkehrte. In diesem ungedruckten Nachlaß befindet sich manches Material, das von größter Bedeutung für die damalige weimarische Zeit ist, so z.B. der hier veröffentlichte Bericht »Goethes erste Bekanntschaft mit Schiller«, dem Falk die Beischrift »Aus Goethes Munde abgeschrieben« noch besonders beifügt.
Goethe erzählt: »Ich kannte das Fräulein von Lengefeld, mit welcher sich Schiller vermählte, schon von früher her. Dies knüpfte die erste Bekanntschaft. Dann hatten wir zusammen eine Vorlesung über das Pflanzenreich beim seligen Bartsch beigewohnt. Ich kann nicht sagen, daß ich um diese Zeit irgend etwas von Schiller gewann. Denn so wie er seinerseits – Sie erlauben mir hier ein Paar niederträchtige Worte zu gebrauchen, die eigentlich nie hätten in Gebrauch kommen sollen – auf dem Idealismus stand, so war ich auf den Realismus versessen; zudem war mir das Harte, Unpassende in seinen Räubern, Fiesko, Don Karlos von Grund aus zuwider. Der schneidende Ton, das absprechende Wesen in seiner Abhandlung um Anmut und Würde erweckten wie alles dogmatische Auftreten keineswegs mein Wohlgefallen. – Nun traf es sich, daß beim Nachhausegehen die Rede auf die Vorlesung kam, wobei ich bemerkte, das man sich unnaufhörlich mit den generibus und speciebus der Pflanzen herumquälte und darüber das Allerwichtigste: die Verwandlung, die Metamorphose, den Übergang vernachlässigte. Ich teilte ihm hierüber meine Ansichten mit, die er freudig auffaßte und hinzufügte, das sei eine Idee und ich möchte sie ihm ja nicht vorenthalten. Ob es eine Idee sei, versetzte ich, das läßt mich unbekümmert; die Daten aber, die meine Betrachtung zu diesen Resultaten führten, kann ich jedem vor die Augen legen. Diser Punkt ist recht geschickt zu zeigen, worin zwischen mir und Schiller die Übereinstimmung und die Abweisung bestand. Denn eigentlich sind wir über keinen Punkt von dem ersten Moment unsereer Bekanntschaft an je zu völliger Übereinstimmung gekommen, nur daß Schiller verständiger war als ich, und indem er sich eine gewisse Artigkeit des Weltumgangs zu eigen gemacht, mir beständig nachgab. Ich kann wohl sagen, daß ich von dieser Seite viel von ihm gelitten und genossen habe und es wird wohl mit ihm hinsichtlich meiner derselbe Fall eingetreten sein. Schiller stand fest auf seinem Idealismus oder vielmehr Kantianismus.
Herder habe ich wieder anders, nämlich pathologisch, betrachtet, weil er fast in keinem Augenblick seines Lebens aufgehört hat leidend zu sein. An dem ganzen Privatleben des Gelehrten in Deutschlands liegt nichts, daher ich denn dieses auch sehr lässig behandelt habe. Was liegt im Grunde daran, ob man hierhin oder dorthin geht?«