E.T.A. Hoffmann
Das Gelübde
E.T.A. Hoffmann

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E.T.A. Hoffmann

Das Gelübde

(Erstdruck 1817)

Am Michaelistage, eben als bei den Karmelitern die Abendhora eingeläutet wurde, fuhr ein mit vier Postpferden bespannter stattlicher Reisewagen, donnernd und rasselnd durch die Gassen des kleinen polnischen Grenzstädtchens L., und hielt endlich still vor der Haustür des alten teutschen Bürgermeisters. Neugierig steckten die Kinder die Köpfe zum Fenster heraus, aber die Hausfrau stand auf von ihrem Sitze und rief, indem sie ganz unmutig ihr Nähzeug auf den Tisch warf, dem Alten, der aus dem Nebenzimmer schnell eintrat, entgegen: »Schon wieder Fremde, die unser stilles Haus für eine Gastwirtschaft halten, das kommt aber von dem Wahrzeichen her. Warum hast du auch die steinerne Taube über der Tür aufs neue vergolden lassen?« Der Alte lächelte schlau und bedeutsam ohne etwas zu erwidern; im Augenblick hatte er den Schlafrock abgeworfen, das Ehrenkleid, das vom Kirchgange her noch wohlgebürstet über der Stuhllehne hing, angezogen, und ehe die ganz erstaunte Frau den Mund zur Frage öffnen konnte, stand er schon, sein Samtmützchen unterm Arm, so daß sein silberweißes Haupt in der Dämmerung hell aufschimmerte, vor dem Kutschenschlage, den indessen ein Diener geöffnet. Eine ältliche Frau im grauen Reisemantel stieg aus dem Wagen, ihr folgte eine hohe jugendliche Gestalt mit dicht verhülltem Antlitz die auf des Bürgermeisters Arm gestützt, in das Haus hinein mehr wankte als schritt, und kaum ins Zimmer getreten, wie halb entseelt in den Lehnstuhl sank, den die Hausfrau auf des Alten Wink schnell herangerückt. Die ältere Frau sprach leise und sehr wehmütig zu dem Bürgermeister: »Das arme Kind! – ich muß wohl noch einige Augenblicke bei ihr verweilen«, damit machte sie Anstalt ihren Reisemantel herunterzuziehen, worin ihr des Bürgermeisters ältere Tochter beistand, so daß bald ihr Nonnengewand, sowie ein auf der Brust funkelndes Kreuz sichtbar wurde, welches sie als Äbtissin eines Zisterzienser Nonnenklosters darstellte. Die verhüllte Dame hatte unterdessen nur durch ein leises, kaum vernehmbares Ächzen kund getan, daß sie noch lebe und endlich die Hausfrau um ein Glas Wasser gebeten. Die brachte aber allerlei stärkende Tropfen und Essenzen herbei, und pries ihre Wunderkraft, indem sie die Dame bat, doch nur die dicken, schweren Schleier, die ihr alles freie Atmen verhindern müßten, abzulegen. Mit der Hand jede Annäherung der Hausfrau abwehrend, mit allen Zeichen des Abscheues den Kopf zurückbeugend, verwarf aber die Kranke den Vorschlag, und selbst, als sie endlich es sich gefallen ließ, den Duft einer starken Lebensessenz einzuziehen, als sie etwas von dem verlangten Wasser, in das die besorgte Hausfrau einige Tropfen eines bewährten Elixiers hineingetan, genoß, tat sie alles dies unter den Schleiern, ohne sie nur im mindesten zu lüpfen. »Ihr habt doch, mein lieber, alter Herr!« wandte sich die Äbtissin zum Bürgermeister, »Ihr habt doch alles so bereitet, wie es gewünscht worden?« – »Jawohl«, erwiderte der Alte, »jawohl! ich hoffe, mein durchlauchtigster Fürst soll mit mir zufrieden sein, so wie die Dame, für die ich alles zu tun bereit bin, was nur in meinen Kräften steht.« – »So laßt mich«, fuhr die Äbtissin fort, »mit meinem armen Kinde noch einige Augenblicke allein.« Die Familie mußte das Zimmer verlassen. Man hörte, wie die Äbtissin eifrig und salbungsvoll der Dame zusprach, und wie diese endlich auch zu reden begann mit einem Ton, der tief bis ins Herz drang. Ohne gerade zu horchen, blieb denn doch die Hausfrau an der Türe des Zimmers stehen, indessen wurde italienisch gesprochen, und selbst dies machte für sie den ganzen Auftritt geheimnisvoller und vermehrte die Beklommenheit, welche ihr den Mund verschloß. Frau und Tochter trieb der Alte fort, um für Wein und andere Erfrischungen zu sorgen, er selbst ging in das Zimmer zurück. Getrösteter, gefaßter schien die verschleierte Dame, welche mit gebeugtem Haupt und gefalteten Händen vor der Äbtissin stand. Diese verschmähte es nicht, etwas von den Erfrischungen anzunehmen, die ihr die Hausfrau darbot, dann rief sie: »Nun ist es Zeit!« Die verschleierte Dame sank nieder auf die Knie, die Äbtissin legte die Hände auf ihr Haupt und sprach leise Gebete. Als diese geendet, schloß sie, indem häufige Tränen ihr über die Wangen rollten, die Verschleierte in die Arme und drückte sie heftig wie im Übermaß des Schmerzes an die Brust, dann gab sie gefaßt und würdevoll der Familie die Benediktion und eilte, vom Alten geleitet, rasch in den Wagen, vor dem die frisch angelegten Postpferde laut wieherten. In vollem Juchzen und Blasen jug der Postillion durch die Gassen zum Tore hinaus. Als nun die Hausfrau gewahrte, daß die verschleierte Dame, für die man ein paar schwere Koffer vom Wagen abgepackt und hineingetragen, dablieb, wohl gar auf lange Zeit eingezogen sei, konnte sie sich gar nicht lassen vor peinlicher Neugier und Sorge. Sie trat hinaus auf den Hausflur und dem Alten, der eben in das Zimmer wollte, in den Weg. »Um Christus willen«, flüsterte sie leise und ängstlich, »um Christus willen, welch einen Gast bringst du mir ins Haus, denn du weißt doch ja von allem und hast es mir nur verschwiegen.« – »Alles, was ich weiß, sollst du auch erfahren«, erwiderte der Alte ganz ruhig. »Ach, ach!« fuhr die Frau noch ängstlicher fort, »du weißt aber vielleicht nicht alles; wärst du nur jetzt im Zimmer gewesen. Sowie die Frau Äbtissin abgefahren, mochte es der Dame doch wohl zu beklommen werden in ihren dicken Schleiern. Sie nahm den großen schwarzen Kreppflor, der ihr bis an die Knie reichte, herab, und da sah ich« – »Nun was sahst du denn«, fiel der Alte der Frau, die zitternd sich umschaute, als erblicke sie Gespenster, in die Rede. »Nein«, sprach die Frau weiter, »die Gesichtszüge konnte ich unter den dünnen Schleiern gar nicht deutlich erkennen, aber wohl die Totenfarbe, ach die greuliche Totenfarbe. Aber nun Alter, nun merk auf: deutlich, nur zu deutlich, ganz sonnenklar liegt's am Tage, daß die Dame guter Hoffnung ist. In wenigen Wochen kommt sie ins Kindbett.« – »Das weiß ich ja, Frau«, sprach der Alte ganz mürrisch, »und damit du nur nicht umkommen mögest vor Neugier und Unruhe, will ich dir mit zwei Worten alles erklären. Wisse also, daß Fürst Z., unser hoher Gönner, mir vor einigen Wochen schrieb, die Äbtissin des Zisterzienserklosters in O. werde mir eine Dame bringen, die ich bei mir in meinem Hause aufnehmen solle, in aller Stille, jedes Aufsehen sorglich vermeidend. Die Dame, welche nicht anders genannt sein wolle, als schlechtweg Cölestine, werde bei mir ihre nahe Entbindung abwarten, und dann nebst dem Kinde, das sie geboren, wieder abgeholt werden. Füge ich nun noch hinzu, daß der Fürst mir mit den eindringlichsten Worten die sorgsamste Pflege der Dame empfohlen und für die ersten Auslagen und Bemühungen einen tüchtigen Beutel mit Dukaten, den du in meiner Kommode finden und beäugeln kannst, beigefügt hat, so werden wohl alle Bedenken aufhören.« – »So müssen wir«, sprach die Hausfrau, »vielleicht arger Sünde, wie sie die Vornehmen treiben, die Hand bieten.« Noch ehe der Alte darauf etwas erwidern konnte, trat die Tochter zum Zimmer heraus, und rief ihn zur Dame, welche sich nach Ruhe sehne und in das für sie bestimmte Gemach geführt zu werden wünsche. Der Alte hatte die beiden Zimmerchen des obern Stocks so gut ausschmücken lassen, als er es nur vermochte, und war nicht wenig betreten, als Cölestine frug, ob er außer diesen Gemächern nicht noch eins, dessen Fenster hintenheraus gingen, besitze. Er verneinte das und fügte nur, um ganz gewissenhaft zu sein, hinzu, daß zwar noch ein einziges Gemach mit einem Fenster nach dem Garten heraus, vorhanden, dies dürfte aber gar kein Zimmer, sondern nur eine schlechte Kammer genannt werden; kaum so geräumig, um ein Bette, einen Tisch und einen Stuhl hineinzustellen, ganz einer elenden Klosterzelle gleich. Cölestine verlangte augenblicklich, diese Kammer zu sehen, und erklärte, kaum hineingekommen, daß eben dieses Gemach ihren Wünschen und Bedürfnissen angemessen sei, daß sie nur in diesem und keinem andern wohnen, und es nur dann, wenn ihr Zustand durchaus größeren Raum und eine Krankenwärterin erfordern solle, mit einem größern vertauschen werde. Verglich der Alte schon jetzt dieses enge Gemach mit einer Klosterzelle, so war es andern Tages ganz dazu geworden. Cölestine hatte ein Marienbild an die Wand geheftet und auf den alten hölzernen Tisch, der unter dem Bilde stand, ein Kruzifix hingestellt. Das Bette bestand in einem Strohsack und einer wollenen Decke, und außer einem hölzernen Schemmel und noch einem kleinen Tisch, litt Cölestine kein anderes Gerät. Die Hausfrau, ausgesöhnt mit der Fremden durch den tiefen zehrenden Schmerz, der sich in ihrem ganzen Wesen offenbarte, glaubte nach gewöhnlicher Weise sie aufheitern, unterhalten zu müssen, die Fremde bat aber mit den rührendsten Worten, eine Einsamkeit nicht zu verstören, in der allein mit ganz der Jungfrau und den Heiligen zugewandtem Sinn sie Tröstung finde. Jedes Tages, sowie der Morgen graute, begab sich Cölestine zu den Karmelitern, um die Frühmesse zu hören; den übrigen Tag schien sie unausgesetzt Andachtsübungen gewidmet zu haben, denn so oft es auch nötig wurde sie in ihrem Zimmer aufzusuchen, fand man sie entweder betend oder in frommen Büchern lesend. Sie verschmähte andere Speise als Gemüse, anderes Getränk als Wasser, und nur die dringendsten Vorstellungen des Alten, daß ihr Zustand, das Wesen, das in ihr lebe, bessere Kost fordere, konnte sie endlich vermögen, zuweilen Fleischbrühe und etwas Wein zu genießen. Dieses strenge klösterliche Leben, hielt es auch jeder im Hause für die Buße begangener Sünde, erweckte doch zu gleicher Zeit inniges Mitleiden und tiefe Ehrfurcht, wozu denn auch der Adel ihrer Gestalt, die siegende Anmut jeder ihrer Bewegungen nicht wenig beitrug. Was aber diesen Gefühlen für die fremde Heilige etwas Schauerliches beimischte, war der Umstand, daß sie die Schleier durchaus nicht ablegte, so daß keiner ihr Gesicht zu erschauen vermochte. Niemand kam in ihre Nähe, als der Alte und der weibliche Teil seiner Familie, und diese, niemals aus dem Städtchen gekommen, konnten unmöglich durch das Wiedererkennen eines Gesichts, das sie vorher nicht gesehen, dem Geheimnis auf die Spur kommen. Wozu also die Verhüllung? – Die geschäftige Fantasie der Weiber erfand bald ein greuliches Märchen. Ein fürchterliches Abzeichen (so lautete die Fabel), die Spur der Teufelskralle, hatte das Gesicht der Fremden gräßlich verzerrt, und darum die dicken Schleier. Der Alte hatte Mühe dem Gewäsche zu steuern und zu verhindern, daß wenigstens vor der Türe seines Hauses nicht Abenteuerliches von der Fremden geschwatzt wurde, deren Aufenthalt in des Bürgermeisters Hause freilich in der Stadt bekannt geworden. Ihre Gänge nach dem Karmeliterkloster blieben auch nicht unbemerkt, und bald nannte man sie des Bürgermeisters schwarze Frau, womit freilich sich von selbst die Idee einer spukhaften Erscheinung verband. Der Zufall wollte, daß eines Tages, als die Tochter der Fremden die Speisen in das Zimmer brachte, der Luftstrom den Schleier erfaßte und aufhob; mit Blitzesschnelle wandte sich die Fremde, so daß sie sich in demselben Moment dem Blick des Mädchens entzog. Diese kam aber erblaßt und an allen Gliedern zitternd herab. Keine Verzerrung, aber so wie die Mutter ein totenbleiches, hatte sie ein marmorweißes Antlitz erschaut, aus dessen tiefen Augenhöhlen es seltsam hervorblitzte. Der Alte schob mit Recht vieles auf des Mädchens Einbildung, aber auch ihm war es, im Grunde genommen, so zumute wie allen; er wünschte das verstörende Wesen, trotz aller Frömmigkeit, die es bewies, fort aus seinem Hause. Bald darauf weckte in einer Nacht der Alte die Hausfrau und sagte ihr, daß er schon seit einigen Minuten ein leises Wimmern und Ächzen, ein Klopfen vernehme, das von Cölestinens Zimmer zu kommen scheine. Die Frau, von der Ahnung ergriffen, was das sein könne, eilte hinauf. Sie fand Cölestinen, angezogen und in ihre Schleier gewickelt, auf dem Bette halb ohnmächtig liegen und überzeugte sich bald, daß die Niederkunft nahe sei. Schnell traf man die längst vorbereiteten Anstalten, und in weniger Zeit war ein gesundes holdes Knäblein geboren. Dies Ereignis, hatte man es auch längst vorausgesehen, trat doch wie unerwartet ein, und vernichtete in seinen Folgen das drückende unheimliche Verhältnis mit der Fremden, welches auf der Familie schwer gelastet hatte. Der Knabe schien, wie ein sehnender Mittler, Cölestinen dem Menschlichen wieder näher zu bringen. Ihr Zustand litt keine strenge asketische Übungen, und indem ihre Hülflosigkeit ihr die Menschen, welche sie mit liebender Sorgfalt pflegten, aufnötigte, gewöhnte sie sich mehr und mehr an ihren Umgang. Die Hausfrau dagegen, die nun die Kranke warten, ihr selbst die nahrhafte Suppe kochen und darreichen konnte, vergaß in dieser häuslichen Sorge alles Böse, was ihr sonst über die rätselhafte Fremde in den Sinn gekommen. Sie dachte nicht mehr daran, daß ihr ehrbares Haus vielleicht zum Schlupfwinkel der Schande dienen sollte. Der Alte jubelte ganz verjüngt und hätschelte den Knaben, als sei ihm ein Enkelkind geboren, und er, wie alle übrige, hatten sich daran gewöhnt, daß Cölestine verschleiert blieb, ja selbst während der Entbindung. Die Wehmutter hatte ihr schwören müssen, daß, trete ja ein Zustand der Bewußtlosigkeit ein, doch die Schleier nicht gelüpft werden sollten, außer von ihr, der Wehmutter selbst, im Fall der Todesgefahr. Es war gewiß, daß die Alte Cölestinen unverschleiert gesehen, sie sagte aber darüber nichts, als: »Die arme junge Dame muß sich ja wohl so verhüllen« – Nach einigen Tagen erschien der Karmelitermönch, der den Knaben getauft hatte. Seine Unterredung mit Cölestinen, niemand durfte zugegen sein, dauerte länger als zwei Stunden. Man hörte ihn eifrig sprechen und beten. Als er fortgegangen, fand man Cölestinen im Lehnstuhl sitzend, auf dem Schoße den Knaben, um dessen kleine Schultern ein Skapulier gelegt war, und der ein Agnusdei auf der Brust trug. Wochen und Monate vergingen, ohne daß, wie der Bürgermeister geglaubt hatte, und wie es ihm auch vom Fürsten Z. gesagt worden, Cölestine mit dem Kinde abgeholt wurde. Sie hätte ganz eintreten können in den friedlichen Kreis der Familie, wären die fatalen Schleier nicht gewesen, die immer den letzten Schritt zur freundlichen Annährung hemmten. Der Alte nahm es sich heraus, dies der Fremden selbst freimütig zu äußern, doch als sie mit dumpfem feierlichen Ton erwiderte: »Nur im Tode fallen diese Schleier«, schwieg er davon und wünschte aufs neue, daß der Wagen mit der Äbtissin erscheinen möge.


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