Albert Langen München
[1910]
Vorspiel: | Das Dragonerweib |
1. Akt: | Das Frühstück |
2. Akt: | Der Schmuckkasten |
3. Akt: | Das Taschentuch |
4. Akt: | Die Witwenhaube |
Epilog: | Am Kaiserinnenbett |
Fürst Menschikoff, russischer Feldmarschall | |
Katharina | |
Iwan, ihr Mann, Dragoner | |
Pastor Glück, ihr Pflegevater | |
Michail, Dragoner | |
Eine Offiziersdame |
Ein Leutnant, Dragoner, Kosaken, ein Bote, Generale, Offiziersdamen, Fackelträger
Vorspiel: Im Zelt des Feldmarschalls Fürsten Menschikoff.
Am letzten Tag der Belagerung von Marienberg 1702
Katharina kaum zwanzig Jahre alt, aber von außerordentlicher geistiger Reife. Sie ist eine mädchenhafte, magere, sinnliche junge Frau. Sie drückt Phantasie und Lebensgröße in ihren lebendigen Gesten aus. Ihr Gang und ihre Haltung zeigen einen gesunden Despotismus, Unbefangenheit und Lebensgenuß. Sie läßt ihre Arme prächtig lässig und sinnlich unschlüssig an ihrem Leibe leben.
Sie hat wundervolles rotgoldnes Haar, das in dicken Zöpfen und Locken hochgesteckt ist. Sie erscheint im Vorspiel in einem zitronengelben Kleid mit Busentuch und kleidet sich gegen Ende des Vorspieles in ein hellblaues Reitkleid im Stil der Zeit um 1702.
Menschikoff, Anfang der Dreißiger, mit starkem Schnurrbart. Sonst rasiert. Langes modisches Haar. Er ist in diesem Vorspiel in abgenützter grüner Uniform mit Gold. Kriegsgemäß gekleidet, wetterverbrannt. Hat einen verwegenen Feldherrnkopf.
Er ist nicht überlaut; stolz und doch nie übermütig. Treuherzig und volkstümlich gemütlich, dabei aber stets von verhaltener Leidenschaft regiert; neigt zur Melancholie, die ihn aber nicht beherrscht.
Ein abgenütztes großes grün und gelb gestreiftes Leinwandzelt. Schanzkörbe und Säcke im Hintergrund. Die Zeltwände sind ernstlich vom Krieg mitgenommen. Die Leinwand zeigt große Brandflecken und ist teilweise in der Höhe, im Hintergrund, herabgerissen und zerschlitzt. Durch ein großes Loch, das schräg die Hintergrundwand oben offen zeigt, sieht man düstere Türme der fernen Festung Marienberg. Rauchiger Sonnenuntergang.
Ein breites Feldbett schräg im Hintergrund links. Ein paar Schanzkörbe daneben. Aus gestickten Pferdedecken und Soldatenmänteln ist ein Bettvorhang hergestellt, herabhängend von der Decke.
Säbel und Gewehre liegen aufgeschichtet. Zusammenklappbare leichte Feldtische, Klappstühle. Die Tische bedeckt mit Plänen, Flaschen und Gläsern. Auf allen Tischen im Zelt zerstreut stehen Flaschen herum. Ein großer grüner Baumast mit verwelkten Blättern hält die Zeltdecke und ragt herein. Rechts im Hintergrund der Zelteingang. Das ganze Innere des Zeltes ist abenteuerlich, halbdüster, verwegen und arbeitssam.
Menschikoff hält Katharina auf seinem Schoß.
Ei, du kannst küssen, Hühnchen! Heidensatan!
Katharina lustig; macht sich los und springt auf.
Uff, Uff! Sie haben mir den Kopf verdreht, Herr Feldmarschall!
Ich schwör's, das war das erste Mal im Leben,
Daß mich ein Mann, ohn' mich zu fragen, so küssen durfte
Und mit mir tun im Handumdrehen, was ihm beliebt.
Und sonderbar – ich mag Euch nicht einmal dafür ermorden.
Sonst hätt' es einer wagen sollen, mich auf den Schoß zu ziehn,
Ich hätt' ihn nachträglich gleich abgeschlachtet.
Menschikoff zieht Katharina wieder auf seinen Schoß.
Bleib, komm, und sitz noch hier auf meinem Schoß,
Daß nicht die Luft sogleich um uns verkühlt.
Man muß die guten Stunden nicht entwischen lassen.
Schenk mir und dir mal ein, mein Kätzchen!
– Wer von uns zittert denn? – Ich oder du?
Du gießt daneben, Schatz! Gieß in das Glas!
Katharina übermütig; schenkt in kleine Gläser zitternd Wein ein.
Herrgott, Ihr habt mir ja die Knochen ganz zerdrückt,
Mit Euerm Ungestüm, Herr Feldmarschall! –
Doch Eure Gläser hier sind gar so klein für mich,
Ich gieße zitternd Euren Wein wie Regen übern Tisch.
Solch winzige Gläser gießt mein Herr Gemahl, der Herr Dragoner,
Sich zehn Stück gleich auf einmal in den Durst.
Menschikoff hebt sein Glas und stößt mit Katharina an, und beide trinken aus.
Ich weiß noch gar nicht, wie du heißt, mein Schatz.
Der Pastor Glück hat mir's gesagt. Ich hörte aber nicht,
Weil meine Augen viel zu sehr im Anschaun bei dir waren. –
Du bist des Pastors Pflegekind gewesen?
Katharina will von seinem Schoß aufstehen.
Jawohl, ich hieß erst Katharina Glück, Herr Menschikoff.
Menschikoff.
Und jetzt hast du dich heut mit deinem Pastor
Fort aus der Festung, aus Marienberg, begeben,
Ins Lager zu uns Russen, und bist Überläuferin.
Und ranntest gradeswegs dem Feldmarschall ins Zelt,
Als wolltst du heute Nacht noch eine Russin werden,
Vielleicht sogar Frau Feldmarschallin selbst!
Katharina ist aufgestanden.
O, Herr, wie sollte sich mein Mann drein finden!
Menschikoff steht auf.
Sehnst du dich sehr nach dem Dragonermann?
Katharina spielt kokett mit ihrer Schürze.
Wir sind erst knapp ein kurzes Jahr getraut.
Nun ist er Kriegsgefangener bei Euch.
Menschikoff.
Du kamst, um dir ihn freizubetteln, her?
Was ich versprach, das soll ich wohl jetzt halten? –
Ich denk, du bleibst freiwillig jetzt bei mir.
Wir schicken deinen Mann zu allen Teufeln.
Er hält ihr sein Glas zum einschenken hin.
Katharina beachtet es nicht.
Ihr habt versprochen, wenn ich Euch erst küsse,
Dann gebt Ihr meinen Mann auch wieder frei.
Menschikoff stellt sein Glas hin.
Gut, deinen Mann, den geb' ich heut' noch frei.
Dich aber, Katharina, dich mach' ich mir leibeigen.
Ich hab' dich schon vom Pastor Glück gefordert,
Und ich versprach den Herren Überläufern meinen Schutz
Nur, wenn leibeigen du die Zeit mir hier im Zelt vertreibst.
Katharina schlau bescheiden, sich verbeugend
Es ist mir eine große, große Ehre, hoher Herr Feldmarschall,
Mit Euch im Zelte hier zu kurzweilen und scherzen.
Ich darf als simples Pflegekind des Pastors Glück nicht mehr erwarten, –
Nicht mal, daß mir ein Feldmarschall sein Wort gibt und es hält.
Menschikoff.
Ich habe keine Lust, dir deinen Mann zu geben,
Der jetzt als Kriegsgefangener unschädlich ist.
Jetzt sitzt er gut bei anderen Gefangenen
Und ahnt nicht, wie sein Weib mich freundlich küßt.
Er nähert sich ihr zärtlich.
Katharina platzt verächtlich heraus
Du Schwein!
Menschikoff verblüfft
Was? Schwein? Was unterstehst du dich?!
Katharina heftig
Du, Regimentsschwein, du!
Verführst ein unschuldig und junges Eheweib
Mit dem Versprechen, daß du sie belohnst
Und ihrem Mann die Freiheit wieder schenkst.
Ich hab' dich, dankbar, breit in dein Gesicht geküßt
Und hab' doch nur an's gute Werk gedacht
Und dich geküßt, um meinen Mann zu retten.
Menschikoff.
So – deine Zärtlichkeit war nur Barmherzigkeit für deinen Mann?
Herrgott, wie mußt du erst im Liebesfeuer schmecken!
Hättest du ohne mein Versprechen dich besser noch erwärmt vielleicht?
Katharina stellt sich hinter den Tisch.
Ihr hättet mir ja nichts versprechen brauchen!
Menschikoff.
Ist's wahr – du hättest mich auch so geküßt?
Katharina lachend
Sonst küss' ich überhaupt nicht, wenn's nicht schmeckt.
Menschikoff. geht ihr um den Tisch nach.
Du Ratte, du – verfluchtes süßes Rattenzeug!
Ich Tölpel, hätt' ich dir doch nichts versprochen!
Er schlägt auf den Tisch.
Jetzt hätt' ich nicht den Mann erst herzuschaffen.
Oft straft sich Güte mehr als Schlechtigkeit.
Hätt' ich nur mit Soldatenwillkür zugegriffen!
Katharina kommt hinter dem Tisch vor.
Ich find', Ihr wart schon willkürlich genug,
Ihr habt den Augenblick, den günstigsten, gepackt.
Menschikoff.
Kaum eine halbe Stunde bist du in dem Lager,
Und schon erhältst du von dem Feldmarschall
Den Mann zurück, den du verlangst.
Ich glaube, du hast frischer zugegriffen.
Katharina.
Wortfechten will ich nicht mit Euer Gnaden.
Laßt meinen Mann, den armen Kerl, jetzt laufen!
Er freut sich sehnlichst auf die Freiheit, Herr.
Gefangenschaft tut den Dragonern doppelt weh,
Weil sie gewöhnt sind auf lebendigen Pferderücken
Zu essen, trinken, schlafen, auf Pritschen faulen ihre Knochen.
Menschikoff schüttelt den Kopf.
Ihr wollt nicht? Seid wortbrüchig, Exzellenz?
Sie spuckt vor ihm aus.
Pfui, Teufel! Euren Mund, der falsch verspricht,
Den küß' ich nicht zum zweiten Mal, wenn ich auch möchte.
Menschikoff.
Oho, du Satansweib! Verflucht!
Du stichst wie eine Bremse auf ein Pferd!
Katharina.
Neun Bremsen, sagt man, können einen Gaul schon töten.
Vielleicht bekommt's auch eine fertig, ganz allein,
Wenn man sie wütend macht, Herr Feldmarschall.
Menschikoff legt die Hand auf eine Tischglocke.
Wie heißt dein Mann? Und welches Regiment?
Katharina.
Ach, laßt mich nur! Ich find' ihn schon,
Wenn Ihr nur Eure Unterschrift zum Freibrief gebt.
Menschikoff.
Nein, sehen will ich ihn erst, deinen Mann.
Katharina.
Und ihm ein Leids antun, dem Wehrlosen? –
Er ist beim friedrichstädter Regiment,
Mit sieben Kameraden kriegsgefangen.
Gebt mir ein Blatt Papier, das ihn befreit!
Menschikoff klingelt; ein Leutnant tritt unter den Zelteingang.
Man bring' die friedrichstädter gefangenen Dragoner!
Sofort! Und hier ins Zelt gleich alle sieben.
Der Leutnant salutiert und geht ab.
Katharina.
Ihr seht nicht aus, Herr Feldmarschall,
Als ob Ihr meinem Mann das Leben gönnt!
Menschikoff geht auf und ab.
Die Freiheit hab' ich dir für ihn versprochen.
Katharina.
Ums Leben ihm dann hinterher zu nehmen!
Wenn Ihr ihn freigelassen, schickt Ihr ihn zum Henker.
Menschikoff faßt sie unters Kinn.
Ei, Weib, wie bist du für zehn Weiber schlau!
Ein selten kluges, selten mutiges Geschöpf.
Und selten frech, wie nur –
Katharina fällt ihm ins Wort
– Wie nur ein russischer Feldmarschall in seinem Zelt.
Menschikoff.
Dein Mann wird frei. Du bleibst mein Zeltgenosse.
Katharina.
Mein armer Mann sitzt an der Landstraß' dann!
Soll hungern und verlausen ohne mich!
Menschikoff.
Wieweit du doch vorausdenkst, Katharina!
Für deinen Mann hab' ich Soldatenarbeit.
Katharina.
Schwör', daß du nicht befiehlst, daß man ihn tötet!
Menschikoff.
Wenn nicht die Festungskugeln ihn von drüben holen,
Ich töt' dir ihn wahrhaftig nicht in meinem Lager.
Da kommen schon die Kerle. Also fix!
Such' dir den saubern Herrn Gemahl heraus!
Eine Kosakenwache mit dem Leutnant bringt die sieben Dragoner, darunter Iwan und Michail. Alle sieben sind abgelumpt, schmutzig und pulvergeschwärzt.
Katharina stellt sich rasch hinter den Rücken Menschikoffs und deutet ihrem Mann Iwan mit lebhaften Gesten an. daß er sich nicht zu erkennen geben soll.
Menschikoff.
Nun, Henkerskerle, struppige und schuftige!
Pfui, Teufel, seid ihr dreckig überall!
Ich gratuliere Euch, Frau Katharina, zu dieser Auswahl hier!
Er kommandiert den Soldaten.
Die Hände an die Hosennaht! Mal stramm gestanden!
Katharina tut, als ekele sie sich.
Sie sind so schwarz wie Köhlerkerle, die armen Herrn Dragoner,
Und scheinen nichts zu sehn und nichts zu hören.
Ach, diese Ärmsten sind verwirrt vom Tageslicht.
Ich finde wirklich meinen Mann nicht drunter.
Menschikoff lacht.
Aha, du kennst vor Pulverruß nicht sein Gesicht?
Der Krieg teilt keine weißen Hemden aus.
Katharina.
Ich glaub', der ist's! Natürlich ist es der!
Iwan, ei, guten Tag, gib mir die Hand!
Sie reicht absichtlich dem Dragoner Michail, aber nicht ihrem Mann, Iwan, die Hand.
Menschikoff.
Verdammt, ist der da Euer glücklicher Despot?
Katharina.
Er will's noch gar nicht glauben, daß ich's bin.
Sie spricht zu dem Dragoner Michail.
Du hast geschlafen, Iwan! Kennst du die Trine nicht?
Kennst du denn wirklich gar nicht deine Frau?
Iwan, du wirst jetzt freigelassen vom Herrn Feldmarschall.
Der Pastor Glück mit Frau und mir und allem Hausgesinde
Verließ heut morgen erst Marienberg und kam ins Russenlager.
Weil's drüben nicht mehr ganz geheuer ist bei uns
Und heut der Waffenstillstand noch zu Ende geht,
Befahl der Festungskommandant uns, auszuwandern.
Da's doch passieren könnte, daß heut Marienberg kapituliert.
Um Plünderung und Gräueln zu entschlüpfen
Sind wir als Überläufer hier ins russische Lager eingerückt.
Und wir erhielten Schutz von seiner Exzellenz,
Vom Fürsten Menschikoff, dem Feldmarschall.
Iwan, nun sag, rührt es dich nicht?
Ich, deine Frau, hab' dich gleich frei gebettelt!
Sieh mich doch an! Erkenn' mich doch, Dragoner!
Dragoner Michail reibt sich die Augen.
Nö, Euch erkenn' ich nicht als meine Frau.
Wir saßen tief in einem Erdloch drin,
In einem Schanzenloch, und sahen lang kein Licht.
Es kann schon sein, daß Ihr bekannt mir scheint,
Wenn ich erst besser mal das Licht vertrage.
Die Luft macht ganz besoffen nach dem Stank;
Nur faulende Kadaver von verreckten Pferden und nur verreckte Menschen roch man dort.
Nönö, ich kenn Euch nicht als meine Frau.
Menschikoff.
Ist auch nicht nötig, daß du sie erkennst,
Ich hab' sie mir leibeigen angenommen.
Du trittst sie mir als Freundin ab ins Zelt,
Dafür gehört die Freiheit dir. Verstanden?
Dragoner Michail.
Nö, Herr.
Menschikoff.
Verstanden, frag ich dich?
Katharina.
Er wird es schon begreifen mit der Zeit.
Ich bin gefangen, du bist frei geworden.
Iwan, versteh nur, und vergiß es wieder.
Dragoner Michail.
Ich wär' nicht mehr gefangen? Aber – –
Menschikoff.
Kein »Aber«, Kerl! Er will wohl disputieren?
Hand an die Hosennaht! Und draußen steht ein Pferd.
Ihr reitet schleunigst aus dem Lager nach Marienberg!
Er spricht zum Leutnant.
Den Freibrief durch die Wachen schreibt Ihr, Leutnant,
Daß dieser Kerl nicht aufgehalten wird.
Katharina tut, als wenn sie in ihre Schürze weinte.
Iwan, jetzt bist du frei! Grüß mir Marienberg!
Sei nicht so grob, und dank dem Feldmarschall.
Dragoner Michail.
Schön' Dank! Und Exzellenz – ich – aber –
Menschikoff.
Kehrt marsch, und nicht mehr umgesehen, Kerl!
Der Leutnant marschiert mit dem Dragoner ab.
Katharina seufzend und halblaut
Iwan, leb wohl! Nun läuft er in den Tod!
Der Arme ahnt nicht, was mit ihm geschieht. –
Und diese andern, Exzellenz?
Menschikoff fährt die Wache an.
Zurück ins Schanzloch mit den andern Lumpen!
Katharina schmeichlerisch
Ich möcht' Euch bitten, Herr, laßt mir die andern da.
Ihr nahmt mir meinen Mann Hals über Kopf,
Laßt mir die Kameraden seines Regiments!
Ich möchte manchmal von der Heimat sprechen.
Sie legt zärtlich ihre Hand auf Menschikoffs Arm.
Laßt mir die Leute da als Wache vor dem Zelt,
Daß ich nicht einsam bin, seid Ihr im Kugelfeuer.
Ich fürchte mich sonst unter so viel Fremden,
Seh ich nicht hie und da ein altbekannt Gesicht.
Menschikoff.
Nicht übel, suchst dir eine Leibwach aus,
Wie eine Kaiserin. Du hast Geschmack,
Willst gern repräsentieren.
Als Freundin eines Feldmarschalls gehört sich's wohl.
Der Leutnant kommt zurück. Menschikoff zum Leutnant
Leutnant, verabreicht diesen Kerlen Reinlichkeit
Und jedem eine neue Uniform und Waffen.
Ihr sechs habt Ehrenwache dann bei Eurer Landsmännin
Und lagert vor dem Zelt des Feldmarschalls.
Der Leutnant salutiert und führt mit den Kosaken die sechs Dragoner ab.
Katharina läßt ihre Schürze von den Augen fallen.
Ich glaub, ich weine später wieder weiter.
Menschikoff.
Geliebte Kathja, diesem Herrn Dragoner,
Der nicht einmal sein Weib am Tag erkennt,
Dem weint doch keine Träne weiter nach.
Grundhäßlich war er, daß sich Gott erbarm.
Katharina.
Ach, solche Männer seh'n sich alle gleich
Und sind es doch im Grunde nicht.
Menschikoff.
Du meinst, die Leute aus dem Volk sind alle gleich?
Sieh mich an, ich war Zuckerbäcker einst.
Katharina.
Ihr seid mir dann gleich mehr gefallend,
Wenn Ihr zum Volk gehört mit Haut und Haar
Und Fürst seid aus Verstand und Eigensinn.
Menschikoff.
Auch du gefällst mir sehr im Eigensinn.
Du bist wie eine Fürstin eingetreten in dieses Zelt
Und in des Feldmarschalls geheimstes Schubfach heute,
Das Schubfach, das die Dichter »Herz« benennen.
Katharina.
Ihr schmeichelt mir, wie allen Weibern,
Heut einem Weib, das Katharina heißt,
Und raspelt Süßholz, Monsieur Zuckerbäcker,
Und kennt von mir so wenig, wie zur Nacht
Man weder Freund noch Feind im Dunkel kennt.
Menschikoff.
Ich kenne, Katharina, deine Küsse.
Im Kuß erkennt man Freund vom Feind.
Katharina.
Doch Weiber nie im Kuß, wenn sie nicht wollen.
Und eh' Ihr glaubt, auswendig schon den Text zu wissen,
Wartet das End' doch von dem Lied erst ab.
Im Küssen lügen Frauen mehr als mit der Rede;
Ein Kuß ist ein Versteck fürs falsche Herz.
Ein Bote kommt zu Menschikoff.
Menschikoff betrachtet die Depeschen, die der Bote ihm gibt, und gibt sie zurück.
Was gibt's? Depeschen? Gut, ich komme.
Sag, General Andrejess soll sie öffnen.
Der Bote geht.
Zu Katharina, ernst und aufrichtig und schwärmerisch.
Ich weiß nicht, was mich zwingt, Euch anzusehen.
Ihr tragt so stolze rote Locken, die gleichen einem goldnen Helm;
Als wärt Ihr Feldmarschall und ich ein Leutnant nur.
So herrisch und so sanft zugleich, fürcht ich Euch fast.
Vielleicht seid ihr mein Schicksal, das mir heut begegnet.
Verschleiert wie des Schicksals Aug' ist Euer Blick.
Ich hoffe, daß wir Kameraden bleiben.
Er reicht Katharina die Hand hin, Katharina legt ihre Hand langsam in die seine.
Katharina nachdenklich
Ich such' vergeblich nachzugrübeln in meinem Hirn,
Wo bin ich Euch begegnet schon im Leben, Herr?
Hab ich Euch mal verkleidet schon gesehn
Auf einem Maskenball, in einem Tanzsaal von Marienberg,
Fast wie von einem, der sich mal vor mir schon demaskierte?
Und jetzt mich wieder hinter seiner Larve scharf fixiert,
So unheimlich vertraut ist mir der Blick von Euch.
Menschikoff leiser
Ich glaube, wenn es heute dunkel wird im Zelt,
Dann wirst du mich und werd' ich dich erkennen.
Katharina schlägt den Ton um.
Ei, Weiber halten gern auf ihre Maske.
Verzeiht, die Weisheit stammt nicht ganz von mir.
Ich red' oft nach, was Pastor Glück mich lehrte.
Menschikoff gleichfalls den Ton verändernd
Ich schick' Euch gleich ein Dutzend Weiber her,
Kasernendamen, schöne Katharina, die Euch bedienen sollen.
Er will gehen, dreht sich aber auf dem Absatz herum.
Noch eins, ich sah vorhin, du warfst noch einem
Der friedrichstädtischen Dragoner verständnisvolle Blicke zu –
Und trotzdem trau ich dir und lasse dir die Burschen.
Sie sollen dir hier um das Zelt als Wache liegen.
Menschikoff droht mit dem Finger.
Doch rat ich, Trine, laß dich nicht erwischen,
Nur nicht vom Menschikoff erwischen lassen.
Er geht lachend.
Katharina äfft ihm nach
Nur nicht vom Menschikoff erwischen lassen.
Katharina wartet eine Weile, dann sieht sie durch die Zeltvorhänge hinaus. Sie zieht ihren Mann Iwan herein. Katharina lacht. Iwan lacht; er ist oberflächlich gewaschen und in nagelneuer Uniform.
Katharina lacht.
Das hast du gut gemacht, du bist der Rechte,
Du hast mich gleich erkannt und nichts verraten.
Iwan lacht halb betrunken.
Erst hab ich nichts begriffen, ha ha ha,
Dann aber dacht ich mir, das ist ein guter Witz.
Du redest Michail an für deinen Mann,
Der sah dich dösig an. er hatte Schnaps im Leib.
Wir hatten Schnaps gepascht in unsrer Schanze.
Nun ist der Michail frei, und ich, was ist mit mir?
Iwan sucht auf den Tischen herum und trinkt aus allen Flaschen. Während beide weiterreden, trinkt er zugleich alle Flaschen leer.
Katharina betrachtet Iwan beim Trinken und wird immer ernster.
Michail ist frei, wenn nicht schon totgeschossen.
Ach wenn ers Lager heil verlassen hat,
Fliegt er noch heute drüben in die Luft.
Marienberg wird in die Luft gesprengt
Vom eignen Festungskommandanten,
Noch heute Nacht. Das wäre dir passiert,
Hätt' ich auf dich gedeutet als den Rechten.
Jetzt bist du Kriegsgefangner hier wie ich,
Und er erfährt es nie, der Feldmarschall,
Daß ich mir meinen Mann in seinem Zelt empfange.
Iwan untersucht die leeren Flaschen, spricht dazu
Hat er dich schon geküßt?
Katharina ordnet ihr Haar.
Katharina gleichgültig
Was will man machen, er ist Feldmarschall!
Iwan die letzte Flasche ans Licht haltend
Jawohl, was will man machen! Wo ist Schnaps?
Der Wein ist gar, habt ihr nicht Schnaps im Zelt?
Katharina ärgerlich
Du mußt dein Weib jetzt schützen hier vor jedem Mann;
Das mußt du machen und nicht saufen jetzt.
Iwan findet auf einem Tisch eine Schnapsflasche und duckt sich feig.
Ich dich beschützen vor dem Feldmarschall!
Ich bin ja gar nicht mehr dein rechter Mann,
Seit du den Michail angegeben hier im Zelt.
Lacht und trinkt aus der Flasche.
Katharina.
Du bist und bleibst mein Mann, wir wollen fliehn.
Iwan lacht sie aus.
Ich fliehn? Wo ich jetzt Uniform und Kost und Wohnung habe!
Katharina aufgebracht
Sind Kost und Kleider dir mehr wert als ich?
Iwan trinkt weiter.
Zeitweise schätzt man eines, zeitweise anderes.
Trinkt weiter.
Katharina.
Ich schätz, ich hätte dich gleich laufen lassen sollen,
Statt dich vom Tode zu erretten, Feigling du. Kommandiert
Wir fliehen jetzt und gehen in die Welt.
Zwei finden schnell die Hütte, wo man satt wird,
Zwei besser noch als einer in der Welt;
Sollst nur nicht uns das Leben dumm versauern.
Iwan lacht betrunken auf.
Wer glaubt denn noch, daß ich dein Mann bin, Trine?
Du kannst noch lauter schrein, soviel du willst,
Seit du den Michail fortgeschickt als deinen Mann,
Wird dir's nicht eine Laus im Lager glauben,
Auch wenn du tobst und wütend bist wie jetzt.
Wer glaubt's denn, daß du einen Fremden freigebettelt?
Auch Menschikoff wird es nicht merken wollen.
Ich bin für ihn erst recht nicht mehr dein Mann.
Katharina wütend
Oho, du Schuft, du Säufer du und Lump!
Ich werde gleich den Pastor Glück herrufen,
Der wird dir sagen, wer mein Mann hier ist;
Der hat uns angetraut vor Gott und Welt.
Du hast mich hier vor Menschikoff zu schützen.
Warum hab' ich dich sonst bewundert
Und mich bei deinen Fäusten wohlgefühlt im Frieden,
Wenn du mich nicht im Krieg verteid'gen kannst?
Iwan schlägt sich auf die Schenkel und lacht.
Ich dich verteidigen vor einem Feldmarschall?
Das wär', als sollt' ich Rußland für dich kaufen.
Einmal saß ich gefangen schon,
Zum zweitenmal wünsch' ich die Kost nicht mehr.
Verschimmelt Brot und Regenwasser in dem Schanzenloch
Und eingepfercht bei Ratten und Kadavern.
Mit Menschenblut, das durch die Erde sickert,
Hat man den Durst gelöscht, wenn's lang nicht regnen wollte.
Und wenn kein Schnaps zu schmuggeln war bei Nacht,
Hat man sich aus den Fingern Saft gesogen.
Nein, laß mich mit dem Feldmarschall zufrieden!
Dich mag er küssen, – ich besaufe mich.
Katharina stampft weinerlich auf.
Weshalb denn heißt solch Esel Mann, nicht Memme!
Iwan findet eine neue Schnapsflasche, setzt sich und trinkt und zieht Katharina auf einen Stuhl neben sich. Er spricht, betrunken, wichtig und geheimnisvoll.
Beruhige dich! Es kennt mich keiner hier.
Ich stehe mit fünf andern vor der Tür,
Ich will dir sagen, was wir tuen werden.
Du kannst ein Tränkchen nachts dem Feldherrn reichen.
Die Kameraden sorgen für ein Gift, das gieß' ihm in den Wein.
Ich selbst rühr keine Hand vorher; erst wenn er tot,
Dann will ich ihn berauben. Nimm dann sein Geld,
Die Ringe und manch Schmuckstück, das er trägt,
Das bringt uns ein Vermögen ein, erwischen wir's.
Iwan richtet sich betrunken pathetisch auf und schwingt die Flasche.
Kannst ihm sein Haupt auch mit dem Schwert abschlagen,
Wie Pastor Glück erzählt, daß mal die Judith tat,
Sie brachte Holofernes um, der auch ein General gewesen;
Nicht leiden mocht' sie den. Hat ihn bei Nacht geköpft,
Bei Nacht in seinem Zelt. Das solltest du probieren.
Katharina lehnt sich erstaunt im Stuhl zurück.
Den Feldmarschall, den sollt' ich köpfen, den?
Iwan schlägt auf den Tisch.
Ja den, der dich ganz unverschämt heut küßte.
Katharina steht verächtlich auf.
So hast du nie geküßt wie dieser Herr.
Iwan.
Ei, andere Weiber schätzen anderes an mir.
Katharina.
Du warst mir untreu, du, mit andern Weibern?
Iwan stützt sich schwer auf den Tisch.
Was schert's denn dich, wenn ich's versuche
Und was bedeuten will bei andern auch?
Katharina weint.
Der lange Krieg hat dich verlumpt gemacht.
Kein Faden ist mehr an dir von dem Mann,
Dem mich der Pastor Glück vor'm Jahr getraut.
Iwan wankt zu einem andern Tisch, wo er in leere Gläser starrt.
Da hast du Recht, im Krieg reißt manche Naht.
Warum willst du nicht mal Karriere machen
Und vom Dragonerweib zum Feldherrnrange steigen?
Katharina empört, kommt nah zu ihm hin.
Iwan, so schändlich sprichst du wie ein Lump,
Aus dem statt Seele nur der Schnapsgeist faselt!
Nun will auch ich mir mal die Zunge lockern:
Seit mich der Feldmarschall geküßt, bin ich sein Weib,
Sie richtet sich stolz auf.
Ich fühl's, als wär mein Blut heut nur Musik:
Als könnt' ich heut der ganzen Welt befehlen,
Und säß auf einem Pferd und kommandierte
Und ritte in die Zukunft wie ein Feldmarschall,
So stolz und prächtig, unbezwingbar fühl' ich mich.
Und all den Ekel, den du statt der Liebe hier mir vorgesetzt,
Der kann mir 's Wohlsein nicht verleiden,
Das mich am ganzen Körper badet heute.
Iwan entdeckt ein halbgeleertes Glas am Tisch, hebt es und trinkt es aus.
Prost! 's wundert mich, was ich bei dir noch soll.
Katharina wendet ihm den Rücken.
Ich hatte Mitleid mit dem Herrn Dragoner
Und hatte Mitleid mit der alten Zeit,
Die aus dem Zelt geht, wenn ich hier im Zelte bleibe.
Iwan fällt mit dem Oberkörper über den Flaschentisch. Richtet sich wieder auf und wankt zu Katharina.
Red' nicht gespreizt und nicht schon fürstlich, Trine!
Du willst von jeher immer hoch hinaus,
Ich gönn' es dir, denn mir ist's zu beschwerlich:
Ich lieb' den Suff und keine Streberei.
Katharina angeekelt
Das merk' ich, du bist lebensmüd'.
Und gehen dir die Augen in dem Kopf stier um,
Dann bist du auf der Höhe deines Daseins,
Und wirst Verräter dann an Herz und Leben.
Gabst deinen Geist im Schnaps längst auf.
Iwan hat sich an die Tischkante gestellt und seinen einen Stiefel ausgezogen.
Schweig still! Ich schlage mit dem Stiefel zu.
Katharina.
Du tust, als wärst du hier im Zelt zu Haus.
Iwan will sie vertraulich am Arm nehmen und deutet auf das Feldherrnbett.
Du bist mein Weib – und dort ist unser Bett.
Katharina stößt ihn zurück.
Ins Bett des Feldmarschalls willst du hinein?
Iwan plump
Warum denn nicht? Es wird ja dein Bett auch!
Katharina.
Geh mir vom Leib!
Die Frauen kommen gleich, die er mir schicken wollte.
Iwan taumelt auf das Bett zu.
Ei, Weiber kommen! Geh, hol' Kameraden!
Katharina.
Iwan, ich schäm' mich, daß ich deine Frau gewesen.
Hätt' ich dich nie aus deinem Schanzenloch befreit!
Iwan ist auf das Bett gefallen, zieht die Beine hoch und zieht den zweiten Stiefel aus.
Dann wärst du auch niemals zum Fürst gekommen,
Und ich hätt' nicht den feinen Wein im Leib.
Er stößt die Kissen auf die Seite.
Verdammt, zu schläfrig bin ich und fall um;
Mach Platz, und laß mich schnarchen, wo ich schnarche.
Katharina tritt schnell an das Bett.
Du sollst um Gotteswillen hier nicht schnarchen!
Wenn dir dein Leben lieb ist, schlafe lautlos,
Dann kann ich dich verstecken bis zum Abend.
Sie zieht den Vorhang aus Pferdedecken und Soldatenmänteln zu, weil sie die Damen draußen plaudern und kommen hört.
Iwan hinter dem Bettvorhang
Ei Weib, ei Weib der Weiber, Weib!
Katharina wendet sich um, würdevoll wie eine junge Fürstin, und geht den eintretenden Damen entgegen. Die drei Damen verneigen sich vor ihr. Zwei tragen über den Armen ein neues Reitkleid nebst Reithut für Katharina.
Die Damen suchen mich?
Ich danke Ihnen, daß sie sich bemühten.
Eine Dame.
Madame, der Feldmarschall schickt dieses Kleid.
Katharina.
Welch prächtiges Geschenk vom Feldmarschall!
Ich dank' den Damen für die Müh', es herzubringen.
Sie deutet mit einer Geste auf einen Stuhl, wo man das Kleid hinlegen soll, und lacht.
Das Kleid, das werde ich gleich morgen tragen.
Heut, hoff ich, werd' ich noch dem Fürst gefallen,
So wie ich geh und steh und sauber bin.
Dame.
Wir dachten nicht, daß wir das Zelt verlassen,
Ohn' Euch das Kleid hier erst noch anzuziehn;
Fürst Menschikoff befahl's, und wir gehorchen gern.
Katharina lächelt.
Doch ich gehorche nicht so schnell hier, meine Damen.
Ich bleibe, wie ich bin, und danke Ihnen.
Dame.
Der Fürst, Madame, erwartet Euch im Reitkostüm zu Pferd.
Er will Madame noch heute den Offizieren präsentieren.
Katharina erstaunt und nachdenklich und schnell entschlossen
In einem Reitkostüm zu Pferd soll ich mich zeigen?
Das – ja – das will ich gern und augenblicklich!
Ja, zieht mich an, ihr Damen, darf ich bitten!
Zu Pferd! Ich habe keine andere Lust mehr heute,
Als auf dem Pferde durch das Heer zu reiten.
Sie beginnt sich mit Hilfe der Damen rasch umzukleiden.
Dame.
Madame sind gut zu Pferd und reiten oft?
Wir dachten, daß der Pastor Glück Ihr Pflegevater sei?
Katharina.
Ich – nie saß ich auf einem Pferderücken!
Doch ist mir heut', als hätt' ich's schon erlebt.
Ich weiß nur, daß die Zeltluft hier mich mutig stimmt.
Dem Kleid, euch Damen und dem Feldmarschall
Bin ich auf dieser Erde schon begegnet,
Mal irgendwo im Traum in einer fernen Nacht.
Dame.
Das Kleid sitzt gut und wird Euch fürstlich schmücken,
Wir haben leider Waffen nur und keinen Spiegel hier im Zelt.
Katharina.
Der Spiegel ist das Wohlgefühl, das ich in diesem Kleide spüre.
Ich seh' mich schon zu Pferd, zu Wagen und in Schlössern d'rin erscheinen.
Dame.
Ach ja, man zieht mit neuen Kleidern oft eine neue Zukunft an.
Katharina.
Heut' Morgen hab' ich nicht geahnt, wie mich der Abend kleiden wird.
Dame.
Der Abend überholt den Morgen nicht umsonst.
Katharina fertig gekleidet. Sie bemerkt nicht den Fürsten Menschikoff, der unter der Zelttür erscheint und sie bewundert.
Und in dem Krieg eilt sich das Schicksal mächtig.
Man hört von fern schwachen Kanonendonner.
Horcht! Hört man die Kanonen wieder singen?
Der Waffenstillstand ist zu Ende heute Abend.
Dame.
Und morgen noch will man Marienberg erstürmen.
Die Dame deutet auf Menschikoff.
Der Fürst steht dort und sieht Euch längst schon zu.
Katharina sich lachend vor ihm verneigend
Herr Feldmarschall, ich habe mich verwandelt!
Zu den Damen
Ich dank euch, meine Damen, für die Hilfe.
Die Damen verbeugen sich und gehen fort. Menschikoff kommt näher.
Menschikoff.
Bei Gott, ich bin erstaunt und fast verwirrt;
So Schönes sah dies alte Zelt noch nie.
Ich möcht' mit Euch durchs ganze Lager reiten,
Um alle Offiziere durch Eure Schönheit anzufeuern
Zum letzten Anprall, zu dem Ansturm auf Marienberg.
Die Festungswerke von Marienberg, die über dem halb heruntergerissenen Zeltvorhang am Himmel zu sehen sind, erhellen sich plötzlich im Abenddunkel blitzschnell, feuerrot, und man sieht Türme zusammenstürzen. Ein Explosionsschlag erschüttert zugleich das Zelt; kleinere Explosionsschläge folgen donnernd nach.
Katharina hält die Hand ans Herz.
Herrgott, der Himmel reißt die Erde ein!
Menschikoff ernst
Das war das Ende von dem Kriegsgesang.
Marienberg flog in die Luft – bravo!
Die Festung hat sich, scheint's, die Rechnung selbst gemacht.
Leb wohl! Ich muß zu meinen Generalen.
Er will hinausstürmen und dreht sich unter der Tür noch um.
Daß Euer Mann, den wir just hingeschickt heut' nach Marienberg,
Wahrscheinlich heut' und niemals mehr jetzt wieder kommt, –
Ich würd's nicht wagen, gleich Euch zu erinnern,
Doch habt Ihr ihn nicht sehr beweint vorhin.
Ich glaub', Ihr atmet fast erleichtert auf?
Katharina.
Ihr tötet leicht und schnell, Herr Feldmarschall.
Menschikoff.
Vielleicht, wär't Ihr ein Mann, versuchtet Ihr es auch,
Wenn so viel Schönheit Ihr an einem Tag entdecktet.
Leb' wohl! Auf später, schöne Katharina.
Von draußen Trompetensignale, Trommelwirbel, Menschengeschrei und Menschengewimmer. Der Lärm wächst immer stärker an. Katharina horcht lange.
Katharina allein
Töten denn Menschen gar so leicht, sobald sie lieben?
Mich schaudert vorm Geschrei der Sterbenden!
Man hört sie von Marienberg herüber, deutlich, als wär's im Zelt.
Hinter dem Bettvorhang beginnt Iwan erst leise, dann immer lauter zu schnarchen.
Ich bin so müde von dem Krieg und Lärm,
Und leb' erst recht im Krieg mit mir seit heute Morgen!
Sie geht zum Bett und öffnet den Vorhang weit.
Ach Iwan – Iwan –, armer Säufer, du!
Ich fühl', als müßte ich ihn heut' einmal noch beschützen.
Sie setzt sich auf den Bettrand.
Er schnarcht, antwortet schnarchend aus dem Schlaf.
Iwan! Herrgott, ich muß ihm noch den Mund zuhalten.
Er sperrt den Mund auf und verschnarcht sein Leben.
Sie gähnt ermüdet.
Er steckt mich an mit seiner Müdigkeit, der Schnarcher.
Sie gähnt wieder.
Schnarch' nicht, man hört dich ja bis vor das Zelt, Iwan!
Wie kann ich ihn nur aus dem Bett vertreiben?
Sie versucht ihn an den Schultern zu heben und gähnt dabei.
Er ist zu schwer, ist wie vom Schlaf noch schwerer.
Ich muß hier sitzen und den Mund ihm halten,
Und bin doch selbst so müd' von diesem wilden Tag.
Sie schließt die Augen und spricht mit geschlossenen Augen.
Schnarch nicht, Iwan! Nicht schnarchen! Nicht!
Sie schläft fest ein. Es wird dunkel. Man sieht nur im Hintergrund den roten Brandhimmel über Marienberg. Eine Weile bleibt das Zelt leer. Dann hört man russische Kriegsmusik. Zwei Fackelträger öffnen den Zeltvorhang, stellen sich links und rechts auf. Menschikoff, von allen Generalen begleitet, erscheint unter der Zelttür. Ehe er eintritt, wendet er sich an die draußen stehenden Generale, die, von den Fackeln beleuchtet, seine Ansprache freudig anhören.
Menschikoff.
Ihr wollt mir zu dem Siege gratulieren, Generale!
Kommt in mein Zelt mit eurem Glückwunsch!
Mehr als der Sieg heut' von Marienberg
Freut mich die Schönheit, seht, der schönsten Frau.
Ich will euch Katharina zeigen, Frau Katharina Glück,
Die heut' die Freundin wurde eures Feldmarschalls.
Er wendet sich um und tritt in das Zelt. Die Generale drängen nach. Allgemeines Schweigen. Nur die Musik spielt draußen weiter. Menschikoff bleibt mitten im Zelt breitspurig stehen und bricht heftig in die Worte aus:
In allen Höllentagen! Wer ist der Kerl in meinem Bett?
Atemlose Pause.
Den Kerl und Katharina soll man henken!
Pastor Glück drängt sich durch die Generale. Verbeugt sich lebhaft und stellt sich zwischen Menschikoff und das Bett.
Herr Feldmarschall, ich bin der Pastor Glück, der diese zwei getraut.
Es ist kein Unrecht, wenn die zwei ein Bette teilen.
Sie sind ja Mann und Frau und feiern Wiedersehen.
Menschikoff.
Was? Wiedersehen in dem Bett des Feldmarschalls?
Und dieses Weib hat fälschlich einen andern heut'
Als ihren Mann genannt! Nochmals: man soll sie henken!
Pastor Glück begütigend
Die schöne Frau kann Euer Bett nur zieren.
Menschikoff.
Und jener Kerl soll auch mein Kissen schmücken?
Pastor Glück.
Drückt halt ein Auge zu; dann seht Ihr nur die Frau.
Am besten wär's, Ihr säht gleich gar nicht hin.
Dann morgen ist ein neuer Tag auf Erden.
Der Pastor zieht rasch behutsam die Bettvorhänge über den beiden Schlafenden zu. Er wendet sich wieder höflich lächelnd an Menschikoff.
So – jetzt ist gar kein Grund zu Ärgernis gegeben.
Das Zelt, das hattet Ihr Frau Katharina angewiesen,
Hier sollt' sie schlafen dürfen wie ein Christenkind.
Versprecht, daß Euch der Schlaf der Eheleute heilig.
Menschikoff wendet ihm resigniert den Rücken.
Bei allen Heiligen im russischen Reich –
Wenn beide hier nur schlafen, so sollen sie mir heilig bleiben.
Achselzuckend zu den Generalen
Verdammt, ihr Herrn, verdammt, ich glaubt', ich wäre Sieger hier im Zelt.
Doch gibt's noch höhere Mächte über Feldherrn.
Die schönsten Damen sind wie Götter mächtig.
Stellt die Musik jetzt ein! Der Ehemann will schnarchen, schnarchen.
Vorhang
Fürst Menschikoff | |
Katharina, seine Geliebte | |
Zar Peter I. | |
Sascha, Prinzessin und Kammerzofe bei Katharina | |
Der Haushofmeister bei Menschikoff | |
Diener |
Gardeoffiziere, Kosaken, Diener, Küchendiener
Erster Akt: In einem Schlosse des Fürsten Menschikoff bei Moskau 1703
Katharina ist fast ein Jahr lang die Geliebte des Fürsten Menschikoff gewesen und weiß sich zugleich vom Zaren geliebt. Sie ist selbstbewußter, ohne stolz zu sein. Ihre Bewegungen sind befriedigter, aber sie ist von der Unruhe einer Unsicherheit Menschikoff gegenüber beherrscht. Ihr Stern ist im Aufsteigen begriffen.
Sie ist sich aber ihrer ganzen leidenschaftlichen Liebe zum Fürsten Menschikoff noch nicht bewußt, trotzdem sie davon redet. Sie handelt noch despotisch willkürlicher mit sich selbst als früher.
Sie trägt zuerst ein grellblumiges Morgenkleid, weit und lose. Große Blumenmuster sind wie auf einer Tapete in Riesensträußen eingewebt. Auf dem Kopf, der unfrisiert, ist eine Riesenhaube aus weiß- und blaugemusterten Riesenschleifen. Die Haube sitzt etwas liederlich, und das Bandwerk hängt herunter bis auf die Kniee.
Später erscheint Katharina hochfrisiert mit Bändern, Federn und in ein weinrotes Damastkleid weitbauschig gekleidet. Sehr tief in die Brust ausgeschnitten, eine lange Schleppe am Kleid. Das Kleid zeigt Riesentrauben als Muster eingewebt. Sie ist geschminkt und gepudert, trägt aber keinen Schmuck.
Ein schneeweißer Pavillonsaal im Hause des Fürsten Menschikoff, im Stil Ludwigs XIV.
Lange Reihen hoher Fenster und Spiegelreihen, in die Wände eingelassen. Weiße Möbel. Eine breite Türe im Hintergrund links, die in das Treppenhaus führt und immer offen ist. Eine Tür in die Seitenwand rechts in die Wohnräume verschlossen. Der Saal ist sehr elegant und fürstlich, weiß in weiß gestimmt.
An der Wand links ist ein Ölbild (Brustbild), das Katharina darstellt im blauen Reitkleid aus Marienberg, in einem silbernen Rahmen zwischen Wandspiegeln eingelassen. Das Bild ist wie eine Schranktür beweglich; dahinter steht in einem Wandschrank ein silberner Schmuckkasten. Auf einem Seitentisch Tintenfaß und Gänsefeder. Durch die Fenster sieht man Seitenflügel des Schlosses mit vielen Fenstern. Auf weißem Serviertisch stehen goldene Fruchtschalen mit Äpfeln und Nüssen. Gläserne und silberne Weinkannen und Becher und Gläser. Links vorn eine Causeuse. Rechts gegen die Mitte ein für drei Personen gedeckter Tisch mit Stühlen.
Der Haushofmeister deckt mit einigen Dienern den Tisch.
Menschikoff mit Orden beladen, in Galauniform, kommt rasch von rechts herein, seine Orden an der Brust mit dem Ärmel putzend; er sieht rasch die Frühstückstafel an.
Ist alles jetzt bereit, Herr Haushofmeister?
Was fällt Euch ein? Die goldnen Teller her!
Wenn mir der Zar die Ehre schenkt in meinem Haus,
Laß ich ihn nie aus Zinn und Silber speisen.
Was fällt Euch ein? Warum wird Goldgeschirr gespart?
Haushofmeister.
Das letzte Mal, als uns der Zar beehrte,
Wart Ihr, Fürst Menschikoff, sehr aufgebracht nachher.
Der Zar stieß Euch den Tisch im Eifer um.
Zu Scherben schlugen alle Chinatassen aus Pekingporzellan.
Viel Scherben hinterließ der Zar im Haus.
Da wollt' ich heut' die goldnen Teller schonen.
Menschikoff.
Das hätte mich geschert, das Porzellan!
Der Zar kann mir mein ganzes Haus zerstampfen.
Mit keiner Wimper zuck' ich nach dem Kram.
Haushofmeister während unter der Tür Katharina mit riesiger Morgenhaube und großblumigem, etwas grellem, geschmacklosem Morgenkleid erscheint.
Verzeihung, Exzellenz,
Verzeihung, Exzellenz, daß ich Euch widerspreche.
Damals habt Ihr acht Tage lang geflucht.
Selbst hier Madame kann mir's gewiß bezeugen.
Das Chinaporzellan ging Euch zu Herzen.
Katharina tritt langsam ein, sieht sich die Vorbereitungen an.
Menschikoff nachdenklich und harsch
Ich weiß nichts mehr, Gottlob, ich bin vergeßlich.
Bringt jetzt das Goldgeschirr, Herr Haushofmeister,
Und eilt Euch, weil wir gleich den Zar erwarten.
Haushofmeister verbeugt sich und geht mit den Dienern.
Katharina nimmt sich einen Apfel vom Serviertisch. Menschikoff hat sich auf einen Sessel in den Vordergrund gesetzt; er hat nur Katharina flüchtig zugenickt. Er putzt aufmerksam und nachdenklich einen Orden nach dem andern. Katharina, einen Apfel kauend, stellt sich hinter Menschikoffs Stuhllehne. Nach einer Weile spricht sie spöttisch und scheinbar gleichgültig
Der Haushofmeister, dieser Esel, hat ja von damals nichts begriffen, Exzellenzchen.
Damals, da konntest du noch toben, fluchen, rasen.
Der Zar, der mußt' dein ganzes Porzellan dir erst zerschmeißen,
Du gabst mich nicht so mir nichts dir nichts hin.
Der Zarenpeter wurde blau vor Wut,
Schlug mit der Faust die Tassen kurz und klein.
Da hättest du ihn gern bei Nacht und Nebel
Aus deinem Hause an die Luft gesetzt.
Wie ein verliebter Stier, so tobte seine Hoheit.
Ich sollt dem Landesherrn den Kußtribut entrichten –
Und Trine zahlte notgedrungen Steuern.
Du hätt'st dem Peter gern die Faust gezeigt
Und ihn erdrosselt, statt mich herzugeben,
Wenn wir dich nicht im Trunk gebunden hätten,
Mit einem Sattelriemen festgefesselt.
Und hattest früher doch so manche Freundin oft
Mit deinem hohen Freund geteilt!
Nur mich hast du verweigert seiner Majestät,
Der du sonst treuster Diener bist bei Tag und Nacht.
Für mich ward ungehorsam der Gehorsamste.
Katharina streichelt mit einer Hand das Haar des sitzenden Menschikoff.
Liebster, das habe ich dir nie vergessen,
Daß du den Zaren fast ermorden wolltest,
Als er den Kuß erzwang, den ich nicht willig gab.
Ich, Trine, weiß seitdem, daß ich dir unentbehrlich.
Ich, Kathja, ich bin Trumpf, Trumpf bei dem Fürsten Menschikoff.
Katharina kaut wieder weiter an ihrem Apfel, Menschikoff hat mit den Achseln gezuckt.
Wenn du auch oft mich übersehen willst in letzter Zeit
Und tust, als sähst du rechts und links an mir vorbei,
Und sagst im Zorn, du möchtest dich erholen
Von Liebe, die dich übersättigt hat, –
Sieh Schatz, du redest öfters polternd wie ein Lump.
Ich bin nur deine Freundin hier, nur Katharina hier im Haus,
Und nicht Frau Exzellenz, nicht eine Menschikoff und nicht Frau Feldmarschall.
Weil mich der Zar mit dir geteilt ein Mal,
Willst du mich nicht der Ehe würdig halten. –
Niemals hätt' ich mich deinem Zar gegeben,
Wär ich dein Weib und trüge deinen Namen.
So aber war es besser, ihm zu Willen sein,
Als ihn zu allerhöchstem Zorn zu reizen
Und dich und mich auf das Schafott zu bringen.
Denn Widerstand im Liebeshandel verzeiht kein Zar.
Er hätte blitzschnell uns den Kopf rasiert.
Menschikoff ohne aufzusehen
Schweig still, ich sagte schon, daß ich vergeßlich sei.
Katharina fährt fort.
Und alle Freunde hier im russ'schen Lande teilen die Freundin mal.
Du aber willst es nie vergessen, und du behauptest noch,
Daß du vergeßlich seist, und liebst mich kaum noch halb,
Auch nicht ein Zehntel mehr wie sonst.
Ich sage dir noch einmal, Fürst, du kennst dich nicht.
Die Kathja, die ist Trumpf in deinem Leben,
Trumpf bleibt sie bis ans Lebensende dir,
Das fühlt sie, seit –
Menschikoff.
Das fühlst du, seit du mich verraten hast!
Verschenkt hast du dich an den Zar zur Spielerei.
Ob Zar, ob Schuster, bringt nicht Unterschied,
Denn Mann bleibt Mann bei Weibersachen.
Katharina.
Nun gut, aus Spielerei, wenn du's behauptest.
Nur um dein Leben nicht aufs Spiel zu setzen,
Spielt' ich mit meiner Lieb' va banque.
Menschikoff.
Mein Leben kümmerte mich sonst in keiner Schlacht.
Warum soll ich für's Leben stündlich zittern jetzt?
Ich lebe wie im Kriege mit mir selbst –
Seit jener Nacht, da dich der Zar besaß.
Katharina.
Der Zar köpft jeden Widerspruch.
Er hätte auch den Menschikoff geköpft,
Der ihm die Freundin für den Kuß verweigerte.
Des Friedens halber gab ich mich zum Scherz dem Zaren.
Menschikoff.
Dir war nur scherzhaft, eine Spielerei, der Kuß,
Wie man zum Nachtisch ein Vielliebchen teilt.
Ich hab' es jetzt vergessen, nochmal sag' ich's.
Ich will vergeßlich sein.
Katharina.
»Vergessen« heißt das Leben weiterleben
Ganz ohn' Erinnerung an das, was war.
Du aber lebst nicht weiter mehr wie sonst.
Menschikoff steht auf.
Ich lebe weiter und vergesse täglich.
Katharina.
Und glaubst, du kannst mich bald vergessen ganz
Und eines Tages mir den Rücken wenden.
Und die Vergeßlichkeit soll ich dann mit dir teilen,
Und soll nur neben dir noch aus Gewohnheit gehn,
So wie ein Zeiger an der Uhr dem andern folgt.
Menschikoff ist ans Fenster getreten, hat seine Taschenuhr herausgezogen und richtet sie nach der Schloßuhr; indessen kommt der Haushofmeister mit den Dienern; diese bringen die goldenen Teller, decken rasch und gehen wieder.
Katharina ist an den Spiegel getreten, hat ihre Haube abgenommen, schüttelt ihre rotgoldnen, unfrisierten Locken zurück, setzt die Haube wieder auf und spricht dabei in den Spiegel zu Menschikoff.
Der Zar kommt heute wie das letzte Mal ganz ungeladen,
Vielleicht bin ich der Köder wieder, der ihn lockt.
Ich glaube fast, der Zar ist dir willkommen?
Wenn er den Finger nach mir streckt im Rausch,
Löst er den Zwiespalt dir in deinem liebeslahmen Herzen.
Ich fühl's, du gibst mich frei ganz ohn' Gewissensbisse!
Wir werden dich heut' nicht erst binden müssen mit Riemenzeug,
Damals, da branntest du, heut' tust du ausgebrannt.
Bist aber nur ein Krater, der sich tief versteckt.
Sie läuft mit beiden Armen auf ihn zu.
O, Menschikoff, muß ich mir täglich Liebe neu erbetteln
Und kann nicht mehr wie sonst dich blindlings lodern sehn?
Ach, küß mich, rasch, eh noch der Zar erscheint!
Dann fühl' ich dich im Blut und kenn' ihn nicht, den Peter,
Dem ich am liebsten niemals mehr begegnete.
Menschikoffsteckt seine Uhr ein, eiskalt weicht er Katharina aus; setzt sich wieder und putzt seine Orden weiter.
Katharina betrachtet ihn eine Weile und tritt empört vor ihn hin.
Läßt du mich betteln, betteln, betteln stets,
Du weißt nicht, wie das tut, wenn man regierte einst
Ganz eines Mannes Herz und fühlt sich drin entthront.
Nah an den Haß und Mord treibt diese Folter.
Menschikoff sieht nicht auf.
Wenn ich den letzten Orden bald geputzt erst habe,
Hoff' ich, daß du nicht länger lamentierst.
Solang' dir Äpfel schmecken auf den nüchtern' Magen,
Wirst du wohl lieber kauen als mich morden.
Katharina wirft ihm ungeduldig den Apfelrest vor die Füße und setzt die Haube wieder auf.
Pfui, selbst den süßen Apfel kannst du einem
Mit deinem Diplomatengift im Mund versauern.
Menschikoff sieht aus seinen Gedanken auf und entdeckt jetzt erst, daß Katharina noch nicht zum Empfang für den Zaren angekleidet ist.
Madame, wollt Ihr den Zaren so empfangen,
Im losen Morgenkleid und in der Morgenhaube?
Katharina kehrt ihm den Rücken.
Ich will den Zaren gar nicht wiedersehn,
Ich komme nicht zu Tisch, Ihr könnt ihm sagen,
Sie macht eine kleine Pause und platzt heraus
Ich sei verschnupft –
Menschikoff steht auf.
Ihr wollt den Zaren nicht begrüßen,
Und er erwartet's doch?!
Katharina.
O, mag er mich erwarten, bis er Rost ansetzt!
Ich sag' Euch nochmals, nie will ich ihn wiedersehn!
Sagt ihm, ich sei heut' außer Lands gegangen;
Ja, sagt ihm das, lügt schnell, ich sei verreist.
Menschikoff.
Schnell lügen können wohl wir Diplomaten,
Wenn sich's fürs Vaterland zu lügen lohnt.
Katharina.
Und für die Liebe lohnt sich keine Lüge?
Menschikoff.
Wer's Lieben und das Lügen einstudiert,
Nein, dem schlägt beides fehl.
Katharina.
So sagt, ich sei betrunken, und ich trinke
Und trinke, daß ich den Besuch verschlafe.
Menschikoff.
Betrunken bist du ihm erst recht willkommen.
Der Zar fühlt sich am wohlsten bei Betrunknen.
Katharina.
Ach was, find selbst, was mich entschuldigt bei dem Zaren!
Für was seid Ihr denn Diplomat, mein Fürst?
Menschikoff brutal
Vielleicht hat er vom letzten Mal genug.
Katharina neugierig
Du glaubst, der Zar könnt' mich nicht sehen wollen?
Menschikoff höhnisch
Ich glaub' bestimmt, er denkt nicht mal daran.
Katharina erkennt plötzlich, daß er sie verhöhnt.
Fuchs, packst du mich an meiner Eitelkeit,
Damit ich mich aus Trotz erst recht dem Zaren zeige?
O, du, du, du, – du hast mich nie geliebt!
Ich sollte dich zur Strafe gleich verlassen!
Ich tu's. Ich gebe mich dem Zaren, wenn er kommt.
Er nimmt mich mit. Ich werd' Zariza!
Menschikoff.
Du glaubst, daß man's im Handumdrehen wird?
Katharina.
Du glaubst, weil ich nicht Fürstin Menschikoff noch heiße,
Nur deine Freundin bin für Bett und Tisch,
Glaubst du, ich könnt' den Zaren nicht bezwingen?
Zariza nicht und deine Herrin werden?
Ich sage nicht, daß ich es will; doch, Freundlein, reize nicht
Das Weib, das heut' noch stündlich herzlich Sklavin ist!
Es könnte morgen dich aus Haß regieren wollen,
Es könnt' die Lust im Herzen plötzlich spüren,
Den Mann, der nicht aus Lieb' mehr vor ihm zittert,
Zittern zu machen vor der Herrscherlaune.
Menschikoff plötzlich heftig leidenschaftlich
Komm, setz dich hier auf meine Knie, komm, Katharina!
Wir haben kaum noch fünf Minuten Zeit.
Ich muß dich noch einmal, wie du es willst,
Von Herzen küssen, eh' der Zar erscheint.
Katharina erstaunt und sich zögernd auf seinen Schoß setzend, ironisch
Du wirst vertraulich, Freund, bei lauter Eile,
Und ich argwöhnisch vor so vieler Gunst.
Menschikoff.
Ich muß dich küssen, weil ich Lust verspüre
Nach einem Kuß aus alter, lieber Zeit.
Katharina.
Ach, muß man dich das Küssen lehren,
Indem man dich erst eifersüchtig macht?
Sie fällt ihm zärtlich um den Hals.
Nein, wäre ich Zariza auch,
Du sollst mich immer, immer küssen dürfen.
Menschikoff.
So lang' ein anderer dich küßt, würd' ich verzichten.
Katharina.
Sag' mir, warum du plötzlich heftig bist!
Er küßt sie leidenschaftlich.
Du nimmst mir allen Atem, Schatz!
So atemlos wie du küßt keiner mehr.
Plötzlich umgewandelt und erschreckt
Herrgott, soll das ein Abschied sein, weil du nicht lachst?
Du gibst mich her? Du willst mich heut' verstoßen! –
Nein, du vergißt es nie, daß mich ein anderer umarmte.
Ich soll es büßen! Du verschenkst mich heut'?
Menschikoff ausweichend und traurig
Nur die Verliebten wittern fein wie du . . .
Katharina erschreckt fragend
Will er mich heut, der Zar – und gibst du mich?
Du tust's? –
Menschikoff ausweichend
Er ist der Zar, und ich – –
Katharina heftig
Und du bist Menschikoff
Und mein Geliebter, mein Geliebtester!
Sie umarmt ihn.
Menschikoff macht sich sanft los.
Du liebst es, zu regieren, hast du oft gesagt.
Katharina springt auf, plötzlich verändert, kaltblütig
Regieren? Ja, dafür geb' ich mein Leben.
Dürft' ich doch stets regieren wie ein Kaiser!
Menschikoff nachdenklich
Du möchtest, daß ich dich zur Exzellenzin mache,
Damit du hier befiehlst, als Feldmarschallin?
Katharina abwehrend und wieder zärtlich
Das fällt dir doch zu schwer, das späte Angebot.
Nein, Exzellenzchen, nein, ich will –
Ich will dir Freundin sein, nicht Frau.
Menschikoff.
Hoho, der Titel Exzellenz scheint wenig
Der einst gewesenen Dragonerfrau?
Katharina halb spöttisch, halb verletzt
Jawohl, entweder Bauernfrau,
Wo ich dem Vieh befehle und dem Grobzeug,
Oder das Feinste von dem Feinem gleich –
Sie wendet ihm den Rücken.
Zariza gleich, wenn du mich nicht mehr liebst.
Menschikoff geht versöhnend zu ihr.
Wir nehmen Abschied diese Stunde noch vielleicht,
Der Zar kommt deinethalben heute her,
Er schrieb, ich soll dich auf ihn vorbereiten.
Katharina traurig und ernst
Warum kannst du mich nur zum Abschied küssen?
Liebhaben, wenn du mich dann nicht mehr willst?
Sollst mich nicht küssen, wenn du mich verläßt.
Menschikoff spricht vor sich hin.
Weil mir mein Herz, seit du's getäuscht,
Die Lieb' nicht stündlich mehr befiehlt,
Kann ich dich küssen und zugleich verlassen.
Katharina wütend wie in Krämpfen gesteigert aufschreiend
So werd' ich, ach, so wahr ich Katharina heiße,
Dein Herz dressieren, bis es stündlich folgt;
Bis es für mich zum Hund und Mörder wird,
Will ich dein Herz dressieren mit der Knute.
Ich will regieren wie ein Ungewitter
Und über deinem Leben drohend stehen
Und will dich hassen und verachten, Mensch,
Und betteln sollst du, betteln wie ich selbst;
Ich will dich lehren zittern vor der Liebe,
Und will dich leiden sehen, wie ich leide.
Verschenk mich an den Zaren, wenn's beliebt,
Ich wünsche mir nicht Bessres auf der Welt,
Regieren will ich und befehlen, und herrschen über dich!
Fürst Menschikoff, von heut' ab wird mir's Wollust sein,
Wenn mich ein anderer küßt, ohn' Euch zu fragen.
Menschikoff.
Also aus Trotz willst du jetzt Zarin werden?
Katharina in Ekstase
Aus Wollust, Herr, aus reiner Wollust nur.
Menschikoff ironisch
Nun sträubst du dich nicht mehr, den Zar zu sehen?
Katharina.
Vielleicht sträub' ich mich doch und kokettiere.
Menschikoff weich, in einem Anfall von Leidenschaftlichkeit
Ja, sträub' dich, sag' ich dir, ich laß dich nie.
Niemals laß ich dich frei, ich seh' es ein,
Du bist mir Trumpf im Leben, Katharina.
Katharina kalt, traurig und müde, hat sich auf einen Stuhl fallen lassen.
Du suchst mich einen Augenblick von dir zu stoßen,
Den nächsten wieder läßt du mich nicht los,
Das geht seit Monaten und ohne Sinn.
Ich will die Qual für dich und mich beenden.
Ich sträub' mich nicht, wenn mich der Zar verlangt.
Menschikoff plötzlich gleichfalls resigniert
Vielleicht ist's besser, daß wir ehrlich sind:
Den Menschikoff vergiß, der dich vergessen will.
Katharina steht auf.
Mein Gott, ich werd' wie's Eisen in der Schmiede glühen,
Wenn mich der Zar, der's ehrlich meint, heut' warm verlangt;
Schon aus dem Grund, weil ich zuletzt stets bei dir fror.
Sie steht auf und streckt die Arme befreit in die Luft.
Dein steter Wunsch, mich zu vergessen, der ist Eis,
Eis, das du durch die Zimmer trägst den ganzen Tag,
Und Eis legst du ins Weinglas, Eis ins Bett mir,
Eis in die Küsse und ins Auge Eis,
Daß ich nicht eine Träne weinen werde,
Wenn ich wie Eis jetzt heut' dein Haus verlasse.
Menschikoff weint und streicht sich die Tränen aus dem Schnurrbart.
Ich liebte dich. Du machtest alles freudlos,
Seit du die Freude mir mit Füßen tratst.
Katharina spricht über die Schulter verächtlich.
Die Tränen, die du über dich da weinst,
Sollst du nicht fälschen, als ob's echte wären.
Du sehnst dich fort von mir! Ich gehe fort.
Menschikoff wischt sich mit dem Ärmel die Tränen von der Brust.
Du wenigstens gewinnst dabei, mein Schatz.
Putz' deine Orden weiter, daß sie glänzen!
Ein Orden ist dir heut' vom Zar für mich gewiß,
Ich wette, deine Tränen sind vor Abend
Ordensbrillanten auf der Brust geworden.
Schlittengeklingel im Hof; kommt näher und wird immer lauter.
Menschikoff horcht auf, greift nach seinem Degen, der auf einem Stuhl hängt.
Die kaiserlichen Schlitten! Sie fahren in den Hof.
Katharina spöttisch.
Wer liebt und haßt, hat feine Nase, feine Ohren.
Menschikoff hat den Degen umgeschnallt.
Der Zar! Die Troika klingelt unterm Fenster schon.
Katharina am Fenster im Hintergrund
Ist das der Zar? Den kenn' ich ja nicht wieder.
Menschikoff fährt wütend im Zimmer herum und sucht seinen Hut. Diener erscheinen in der Tür, die ratlos durcheinander laufen.
Wo ist mein Hut – mein Hut? Verflucht!
Ihr Weiber, o verflucht, ihr seid stets schuld,
Wenn sich die Männer auf der Welt blamieren.
Ich komm' nicht mehr zur Treppe zum Empfang.
Mein Hut!
Er läuft durch die Hintergrundtür. Die Diener hinter ihm.
Prinzessin Sascha kommt durch die Tür rechts in giftgrünem Kleid mit rosa Ausputz.
Madame – Madame – ich muß Euch noch frisieren.
Katharina immer noch am Fenster, sieht ununterbrochen hinunter.
Sascha, ist das der Zar, der an der Treppe hält?
Prinzessin Sascha verwundert, sieht hinunter.
Mich fragt Madame? Es ist derselbe Zar.
Katharina zu Sascha gewendet
Ei, du, Prinzessin Sascha, warst am kaiserlichen Hof!
Hast du dich niemals in den Zar verliebt?
Ich glaube, mit Geduld kann man ihm gütig sein.
Prinzessin Sascha lachend
Madame, ich bin bei Hof von je verachtet,
Weil ich mich mehr zu Dienern hingezogen fühle.
Ach, meine Liebschaften – verriet ich's Euch nicht schon? –,
Das waren Kutscher, Diener, Ofenheizer
Und sind es noch. Die küsse ich am liebsten.
Madame, bin lieber Eure Kammerjungfer hier beim Fürsten,
Als steif in Hoftracht Dame unter Damen.
Katharina nachdenklich, wendet sich vom Fenster zu dem Tisch.
Und wirst du bei mir bleiben, wenn ich Zarin würde?
Prinzessin Sascha in Lachen ausbrechend
Bei Gott, dann möchte ich Hofnärrin sein.
Träf' so was ein, ich hielt mich nicht vor Witzen.
Ihr, die als Frau Dragoner zu uns kamt, –
Trügt Ihr die Krone, würd' ich glauben,
Die Welt steht auf dem Kopf den ganzen Tag.
Katharina hat einen Stuhl ergriffen, den sie zu Seite schleudert, daß er umfällt.
Ich stell' sie auf den Kopf noch heut', die Welt,
Bei Gott, der Zar wird mich versöhnlich stimmen.
Ich bin voll Haß und will nicht betteln mehr
In diesem Haus, wo man mich betteln lehrt.
Ich will regieren hier, so wie mich selbst mein Blut regiert.
Prinzessin Sascha hebt den Stuhl auf und sagt vertraut
Ich hab' gehorcht und weiß, daß alles heute um Euch wackelt,
Doch sieht's nur wacklig aus wie dieser Stuhl,
Der wieder still steht, werft Ihr ihn nicht um.
Katharina.
Sag', welche Farben haßt und welche liebt der Zar,
Damit wir wissen, wie ich mich heut' putze.
Prinzessin Sascha.
Euer spinatgrün Damastkleid mit dottergelbem Spenzer
Das möcht' ich nicht empfehlen;
Zar Peter spottet leicht und sagt vielleicht,
Ihr seid mit gelbem Bauch Eidechsen gleich.
Doch Euer weinrot Seidenkleid mit rotem Traubenmuster,
Das ist auch tiefer in die Brust geschnitten,
Das kann dem Zaren Lust und Euch nicht Langweil bringen.
Katharina.
Dann zieh ich's grünundgelbe schleunigst an.
Die Kleider sollen nicht allein den Zaren locken.
Ich will auch häßlich aufgeputzt heut mal gefallen.
Prinzessin Sascha ist ans Fenster gelaufen und ruft
Im Treppensaal ist der Empfang beendet.
Es ist die höchste Zeit! Wir sind schon viel zu spät.
Katharina melancholisch
Der Zar wird nicht gleich wieder weiterlaufen,
Wenn er gekommen, um mich fortzuholen.
Prinzessin Sascha.
Ich eil' nur, daß der Zar nicht über uns hier stolpert,
Weil Ihr die Vogelscheuche auf dem Kopf noch habt,
Die Riesenhaube da, und seid auch nicht frisiert.
Katharina ist wieder an das Fenster getreten.
Ei, seht, nun ist er aus dem Pelz gewickelt
Und nimmt sich üppig aus wie ein Kapaun.
Er steht im Treppenpavillon vor einem Spiegel
Und dreht sich vor dem Glase wie ein Pfau.
Prinzessin Sascha kommt näher, sieht neugierig hinaus.
Man sieht's auf tausend Schritt, warum er glänzt,
Er geht auf Freiersfüßen heut'; er kann es nicht verleugnen.
Und auch Fürst Menschikoff strahlt unterm Zarenglanz.
Katharina wendet dem Fenster den Rücken und richtet sich auf
Werd' ihm in nichts nachstehen heut', dem Zaren;
Will Schminken, Puder, Berge langer Locken,
Schleppen und Schärpenbänder um mich bauen,
Dem Pomp will ich mit Pomp begegnen.
Prinzessin Sascha die Hände zusammenschlagend und lachend
Beladen wie Kamele, die den Sultan tragen,
So wollt Ihr vor dem Zaren heut' erscheinen?
Katharina spricht über ihre Schulter.
Willst du, daß ich als Gänschen schmachtend stehe,
Als Pastorstöchterlein in Mondscheinfarben?
Prinzessin Sascha.
Ich hab' gedacht, Ihr wolltet ihm mißfallen.
Katharina entschlossen
Der Pomp muß mich verstecken heute,
Damit mein nacktes Herz mich nicht verrät.
Muß mich mit Kleidern dicht maskieren,
Drum will ich Weinrot lieber doch mit Traubenmustern tragen,
Will rauschen wie die Königin von Saba einst vor Salomon,
Weil alles gar so falsch und laut hier rauscht.
Prinzessin Sascha.
Also Ihr wollt dem Zaren imponieren?
Katharina.
Mehr, mehr, – ich will den Zar charmieren, Sascha.
Ich will mir selbst mal imponieren heute,
Will lügen wie die Welt, die Lügen fordert,
Die Lügen trocknen oft die Tränen auf eine lange Zeit.
Sie drückt die Hände an die Augen.
Prinzessin Sascha.
Weint nicht, Madame! Ihr weint Euch rot die Augen.
Katharina läßt die Hände fallen.
Gut, daß du mich erinnertest, daß ich es bin, die weint.
Für Augenblicke weiß ich es nicht mehr,
Wer spricht mit meinem Mund und horcht mit meinem Ohr.
Sie horcht auf.
Komm' jetzt, ich hör' die Sporen der Kosaken
Sie geht rasch zur Tür rechts hinaus.
Prinzessin Sascha folgt kopfschüttelnd.
Herrgott, und diese ungestüme Frau, die will die kaiserliche Hofluft atmen!
Sie hat ein Herz, das geht wie Steppenpferde durch.
Sie gehen beide fort. Kosaken besetzen die Tür und bilden Spalier in den halben Saal hinein. Menschikoffs Diener stellen sich an den Wänden auf. In der Nähe der Frühstückstafel der Haushofmeister. Der Zar kommt rasch herein, sieht sich in der Mitte des Zimmers um, als suche er Katharina. Menschikoff kommt gleich hinter dem Zaren; ein Offizier folgt Menschikoff und überreicht ihm eine Mappe; indessen geht der Zar an den Fenstern des Saales entlang und mustert die Aussicht, als könnte er Katharina finden. Menschikoff bleibt abwartend mit der Mappe im Saal stehen.
Zar im Vorübergehen zum Haushofmeister
Ihr hattet Weiber hier?
Es riecht nach Weiberhaar und Weiberhaut.
Menschikoff fragt den Haushofmeister.
Wer war im Saal, Herr Haushofmeister?
Haushofmeister.
Niemand als nur Madame,
Und die Prinzessin Sascha war bei ihr.
Zar.
Das nennst du niemand, nur – Madame –.
Frau Katharina ist so viel, Herr Haushofmeister,
Daß sich die Luft noch lange nach ihr sehnt.
Ich spür' Madame, wo ich nur steh und geh!
Zu Menschikoff, der sich mit den Depeschen von der einen Seite nähert, während von der andern Seite ein Diener mit einem Tablett und einer Silberkanne und einem Silberbecher an den Zaren herantritt.
Bringst du schon die Depeschen, Menschikoff,
Glaubst, daß ich nüchtern bin und nicht betrunken,
Und eilst dich, eh' ich einen Becher leere?
Du hast dich heute gründlich mal geirrt,
Seit ich von dieser Luft hier atme, bin ich nicht nüchtern mehr
Und brauche nicht erst an den Wein zu gehn.
Der Zar setzt sich.
Doch zeig' nur deine Federwische hurtig!
Der Diener stellt auf den Wink des Zaren den Becher mit Wein neben den Zaren; Menschikoff winkt den Kosaken; Offiziere, Kosaken gehen durch die Treppentür im Hintergrund fort und die Diener folgen. Menschikoff öffnet dann ziemlich umständlich die Mappe.
Menschikoff allein mit dem Zaren.
Hier sind zuerst die Hafenpläne von Kronstadt, Majestät.
Der Zar ist unterdessen, da Menschikoff in der Mappe blättert, wieder aufgestanden und geht an ihm vorüber und wieder an allen Fenstern vorbei.
Zar leicht ungeduldig
Warum ist sie nicht da?
Hast sie vor mir versteckt, seit letztem Mal?
Menschikoff ausweichend
O Majestät, die Frauen sind nicht wie die Pläne,
Die man voraus bestimmen kann bis in den letzten Zug.
Die Frauen üben gern verquerten Sinn im Leben.
Zar knapp
Mit einem Wort, sie mag den Zar nicht sehen.
Menschikoff.
Mit einem Wort wär das zuviel gesagt.
Zar.
Hat sie vielleicht gar Heimweh nach dem ersten Mann?
Menschikoff.
Ach, alles Mögliche ist möglich bei den Frauen.
Zar rasch
So läßt du sie natürlich schleunigst reisen;
Ich gönn' sie dem Dragoner mehr als dir.
Menschikoff.
Wenn Majestät befehlen, soll sie reisen.
Zar.
Du hast die junge Frau als Beute stets behandelt,
Kaum kam sie damals in das Lager, machtest du sie leibeigen dir.
Menschikoff.
Verzeiht mir, Majestät, bei Kriegszeit ist das Brauch.
Zar.
Das Kriegsrecht hattest du für dich,
Doch nicht das Menschenrecht.
Menschikoff.
O Majestät, das Recht des Stärkeren
Ist auch im Frieden immer russisches Recht.
Zar.
Du meinst, ich übt an dir das Recht des Stärkeren
Und fragt' um Katharina damals dich nicht lange?
Menschikoff.
Ich bin vergeßlich, Majestät, und weiß nichts mehr.
halblaut
So sage ich, wenn ich nicht grob sein will.
Zar. hört den halblauten Satz.
Oho, du borstiger Kamerad, vergiß dich nicht!
Bist du schon grob zum Kaiser, deinem Freund,
Wie wirst du erst auf deine Freundin gröblich wirken.
Menschikoff aufrichtig
Sie läßt mir nichts an Grobheit nach, Frau Katharina.
Zar schlägt auf einen Tisch.
Sie paßt nicht in die Hände eines Wilden!
Ich kann's nicht dulden, daß du sie verletzt,
Ich will, du gibst sie frei! Verstanden, Menschikoff?!
Menschikoff leise
Verstanden, Majestät.
Zar barsch
Ach was, ich heiße Peter, bin dein Freund,
Wenn wir von Weibern reden sind wir du.
Verstanden, Menschikoff.
Menschikoff demütig
Verstanden – Majest . . . – Peter.
Zar.
Die Majestät sollst du in Moskau lassen!
Ich will mal heut' mein Herz hier leichter reden.
Setzt sich.
Ich schlafe nicht, ich esse nicht, ich trinke nicht mehr gern,
Nicht Jagd, nicht Pferd, kaum das Gebet bekommt mir.
Er zieht Menschikoff am Ärmel und zieht ihn am Ohr und bekreuzigt sich dabei. Menschikoff bekreuzigt sich gleichfalls.
Zar mit gedämpfter Stimme
Ich bin besessen, hörst du, sag' es keinem!
Im Halse sitzt's, im Kopf, im Gaumen trocken heiß.
Menschikoff murmelt
Warum soll ich das alles wissen?
Ich bin Minister – Leibarzt bin ich nie gewesen.
Zar steht auf, nimmt Menschikoff unterm Arm, geht mit ihm wieder an der Fensterreihe entlang.
Ich bin betrunken Tag und Nacht von ihrem Bild;
Ich seh' das Weib wie meinen Schatten täglich;
Sie geht mir nach, als spricht sie neben mir,
Ich bin besessen, sag' ich, von dem Geist der Frau,
Der mich seit jenem Kuß mit Leib und Seel' besitzt.
Menschikoff nickt ironisch.
Hm – hm –, das kennt man, Peter, kennt man,
Ich kenn' das manchmal heute noch an mir.
Zar.
Du meinst, das gibt sich mit der Zeit, wie jede Krankheit heilt?
Der Zar reißt plötzlich Menschikoff mit einem Ruck am Arm herum, läßt ihn los und tritt dicht ans Fenster, an dem sie eben vorbeigehen, und starrt wie hypnotisiert hinaus. Menschikoff folgt seinem Blick und steht hinter dem Rücken des Zaren.
Menschikoff.
Bei Gott, da steht Madame, am Fenster drüben, und ist splitternackt.
Und läßt sich ohne Hemd zur Schau vor uns frisieren.
Zar aufatmend
Seht, seht, sie zeigt sich endlich mir, nicht mehr als Spuk,
Ich sehe sie als Fleisch und Blut, sie lebt als Mensch.
Die Grübchen ihrer Lenden grüßen rosig her!
Jetzt duckt sie sich und schlüpft ins Hemd hinein, –
Und durch die Leinwand schimmert's noch wie Pfirsichblüte.
Er schnalzt mit der Zunge.
Menschikoff sieht gleichfalls bewundernd hinaus.
Ja, wunderbar ist ihre leckre Farbe.
Zar.
Sie fühlt sich auch wie Pfirsich an, so zart.
Da, da, jetzt hat sie uns entdeckt.
Menschikoff komisch-ernst
Und streckt und streckt dem Zaren –
Zar lacht.
Und streckt blitzschnell die Zunge mir heraus,
Und rasch zieht sie den Vorhang schändlich zu.
Menschikoff geht vom Fenster und kramt in seiner Mappe.
Und hier sind die Depeschen aus dem Ausland, Majestät,
Aus Österreich kam ein Kurier heut' morgen . . .
Zar reibt sich die Augen.
Zum Teufel, seid Ihr nüchtern, Menschikoff?
Ich sage Euch, ich siede wie ein Samowar.
Ich bin nicht hier, um Politik zu hören!
Ich bin dein Peter, komm als Freund zum Freund!
Menschikoff.
Darf ich befehlen, Majestät, daß man das Frühstück bringt,
Damit ich nicht mehr nüchtern mich benehme,
Ich hab' nicht Schaugerichte bloß am Fenster hier.
Zar.
Die süße Speise, die ich eben mit eignen Augen zubereiten sah,
Und die sich mir verweigern wollte,
Die weckt mir heftigen Appetit.
Du sagst, Madame sei nicht verliebt gelaunt?
Menschikoff.
Ich sagte das für mich.
Für Eure Majestät wird sie schon Laune finden.
Zar.
Glaubst du, ich mache Eindruck auch als Mensch bei Katharina?
Und sieht sie mich nicht nur als Zaren, als Kronbesitzer an, –
Gefallen möcht ich ihr auch ohne Krone.
Menschikoff.
Soviel ich Katharina kenne, so nimmt sie, lieber Peter,
Die Dinge, wie sie sind, und nicht, wie sie bloß scheinen.
Zar geht auf und ab.
Herr Diplomat, laßt solche Antwort bleiben,
Die sich wie eine schlaue Schlange in's Schwanzend' beißt
Und keinen Anfang und kein Ende zeigt.
Ich bin verliebt, du hörst es, Menschikoff,
Ich bin verliebt, verliebt, verliebt.
Menschikoff verbeugt sich.
Ich bin der erste, der Euch gratuliert, Zar Peter.
Zar bleibt stehen.
Hat sie vielleicht es selbst gemerkt und dir's gesagt?
Menschikoff stellt sich erstaunt.
Wer, Majestät, wer hat mir was gesagt?
Zar ungeduldig
Nun sie, Madame! Spricht sie von meiner Liebe,
Spricht sie von Sehnsucht nie in Eurer Gegenwart.
Von Sehnsucht nach dem Zar, der sie geküßt?
Menschikoff in verhaltener Wut, läßt den Inhalt der Mappe fallen, stellt sich erschrocken.
Verzeiht, ich bin Euch auf den Fuß getreten, Peter.
Zar.
Mir nicht, doch die Depeschen fliegen fort
Und fallen Euch vor Eure Füße eben.
Menschikoff in Verstellung, jedes Wort scharf betonend
Und ich, ich dachte sicher, ach, verzeiht,
Ich hätte Majestät schmerzhaft getreten.
Zar setzt sich.
Schon gut; ich schrieb dir gestern:
Bereite Katharina vor, daß ich erscheine!
Hast du's getan, und hat sie sich gefreut?
Menschikoff ausweichend
Ich konnt' sie nicht genügend vorbereiten,
Sie sträubt sich noch ein wenig, Euch zu sehn.
Zar.
Ich will auch nicht die arme Seele schrecken
Und tölpelhaft wie neulich scharmutzieren.
Ich sehe Katharina garnicht als einen Zeitvertreib bloß an,
Ich sage dir, für mich ist sie ein höhrer Geist,
Der über mich gekommen ist und mich regiert.
Sie sagte einst, sie wäre Trumpf in deinem Leben, Menschikoff.
Glaubst du, sie denkt's noch heut' und liebt dich?
Menschikoff.
Trumpf war sie für mein Leben, Majestät, bis heut'.
Doch heut' wünscht Ihr ja Katharinas Leben in Eure Hand zu nehmen.
Ich geb' sie frei, sie ist von jetzt ab Euch leibeigen.
Zar steht auf und klopft Menschikoff auf die Schulter.
Mein Junge, niemals war ich mehr erpicht
Auf eine zweite Nacht mit einem Weib.
Und hört, Ihr seid von heute ab mein bester Freund.
Menschikoff hat bei den letzten Worten ein Glas von dem Serviertisch genommen und sich und dem Zaren eingeschenkt; spricht hastig und verwirrt.
Gut Freund, darfst leben, Peter, und Verzeihung, Majestät,
Wenn ich erst, ohne abzuwarten, mich auf den Wein hier stürze,
Ich bin zu nüchtern und will nicht mißfallen.
Zar hebt seinen Becher, hält Menschikoff die Hand hin.
Ja, Freund, aufs Leben; schlage ein, mein Freund!
Und Katharina nehm' ich mit mir gleich,
So wie sie steht und geht noch heute Abend.
Zwei Diener öffnen die Türe rechts, stellen sich zu beiden Seiten der Tür auf.
Diener.
Madame.
Menschikoff entfernt sich vom Zaren und legt seine Mappe auf einen seitwärts stehenden Nebentisch, so daß er Katharina den Rücken wendet. Katharina tritt ein in großer Toilette mit hochgetürmtem Haar und will sich vor dem Zaren verbeugen. Der Zar geht ihr stürmisch entgegen, um sie zu umarmen; sie aber greift mit beiden Armen nach ihrer hohen Frisur, weicht den Armen des Zaren aus, verbeugt sich ironisch sehr tief. Der Zar läßt seine Arme sinken.
Katharina ruft nervös zu Menschikoff.
Läßt du mich ganz allein schon, Menschikoff?
Zar lächelnd
O, fürchtet nichts, ich bin nicht immer Tölpel
Und werde auch allein mit Euch, Madame,
Gehorchen Euch, als wärt Ihr Kaiserin.
Menschikoff kommt und begrüßt Katharina höflich.
Verzeiht, wenn ich Euch nicht sofort begrüßte.
Zum Zaren.
Befehlen, Majestät, daß wir jetzt speisen?
Zar.
Madame hat hier zu kommandieren!
Katharina nervös auflachend
O, kommandieren tu' ich gar so gern,
Besonders, wo ich nichts zu sagen habe.
Wir setzen uns zu Tisch, Ihr Herrn, wenn's Euch beliebt.
Auf ein Zeichen Menschikoffs stellt sich der Haushofmeister auf. Musik beginnt von draußen zu spielen. Die Diener stellen sich hinter die Stühle; andere Diener an die Wände; andere Diener an den Serviertisch. Der Zar und Menschikoff wollen sich setzen. Katharina läuft zum Serviertisch und füllt sich ihr Kleid mit ein paar Händen voll Äpfeln und Nüssen. Dann setzt sie sich lachend zu Tisch; auch der Zar und Menschikoff setzen sich.
Haushofmeister meldet schleunigst ununterbrochen einen Gang nach dem andern. Bei jedem Ausruf erscheinen eiligst zwei Diener mit den Speiseplatten und stellen sich an den Tisch, so daß allmählich sechsundzwanzig Diener um den Tisch versammelt sind und man die Sitzenden nicht mehr sieht. Ehe die erste Platte kommt, beobachtet der Zar schmunzelnd und bewundernd Katharina, die ihre Äpfel und Nüsse graziös und bequem vor sich auf den Tisch ausbreitet. Die Diener, die, zu zwei und zwei, die ausgerufnen Platten bringen, wiederholen, laut rufend, beim Eintritt in den Saal den Namen der betreffenden Speisen.
Gesalzte Eier, Gurkenschnitten, Kaviar! –
Lammbrust mit deutschen Spargelköpfen! –
Butterpasteten mit gebackenen Austern! –
Schinken vom Bären mit der Trüffeltunke! –
Hirschziemer mit gebrühtem Kohl und Nelkentunke! –
Kaukasische Artischocken in der Butterbrühe! –
Gansbrust mit Äpfeln aus der Krim und Majoran! –
Wildenten an dem Spieß mit spanischen Kastanien! –
Rücken vom Wildschwein in der Morcheltunke! –
Gefüllte Bekassinen auf gebräuntem Speck! –
Melonen von der Krim in Muskatellerwein! –
Ingwer und Zimmetkuchen in Burgunder! –
Französische Karamellen und Genever!
Katharina man hört sie aus dem undurchdringlichen Kreis der Diener, herausfordernd fragend, sprechen.
Stört Euch das Knacken meiner Nüsse, Menschikoff?
Menschikoff kalt.
Ich staune nur, daß Ihr die Nüsse jetzt schon knackt.
Katharina zu Menschikoff
Wollt Ihr sie für mich knacken, Menschikoff?
Menschikoff kalt
Zum Nüsseknacken sind die Diener da.
Zar bereitwilligst zu Katharina
Ich bin der Diener gern für Katharina.
Mit meiner Hand geht's besser als mit Euren kleinen Zähnen.
Katharina lachend
Mit einem Schlag zwölf Nüsse müßt Ihr knacken, Majestät,
Zwölf Nüsse leg' ich hier auf Euren Teller hin.
Und nun, – schlagt drauf!
Man hört einen Schlag, Zerschlagen von Tellern und das Auseinanderkrachen des Tisches. Katharina lacht unbändig auf.
Katharina lachend
Haha, zwölf Nüsse – und den ganzen Tisch und auch den goldnen Teller –
Habt Ihr mit einem Schlag zerschlagen, Zar!
Zar, Katharina und Menschikoff stehen von dem zerschlagenen Tisch auf. Die Diener weichen zurück.
Zar munter
Ei, Menschikoff, die Scherben bringen immer Glück ins Haus.
Menschikoff kalt und höflich
Jawohl. Es fragt sich nur: Wer ist der Glückliche,
Dem heut' das Glück die Scherben bringt.
Katharina zu dem Haushofmeister
Laßt's Frühstück in den grünen Spielsaal tragen!
Der Haushofmeister hört Katharina nicht an und wartet auf Menschikoffs Befehl.
Menschikoff.
Entschuldigt, Majestät, wenn sich das Essen jetzt verschiebt.
Die Diener schieben die Scherben und den zerbrochenen Tisch auf die Seite.
Zar heftig zum Haushofmeister
Ihr sollt die Speisen in den Spielsaal bringen!
Was steht Ihr da und gafft, wenn Euch Madame befiehlt!
Menschikoff rasch
Entschuldigt, Majestät, wenn ich hinübergehe und das Frühstück selbst anordne drüben.
Haushofmeister entschuldigend.
Wir warteten, bis Majestät oder der Fürst die Order gab.
Zar barsch
Dem Wort der schönsten Frau sollt Ihr sofort gehorchen.
Katharina zuckt die Schultern und hat ein paar Äpfel in der Hand. Sie setzt sich auf eine Causeuse, spricht scheinbar belustigt.
Ich bin so froh, wenn nichts kommt, wie man's denkt.
Heut' esse ich nichts mehr, nur Äpfel, bis ich sterbe,
Und lasse für die Herren jetzt das Essen drüben ganz allein auftragen.
Zar tritt zu ihr. Menschikoff ist mit dem Haushofmeister und den Dienern links fortgegangen.
Ihr habt Euch wunderbar geschmückt, Madame,
Und wollt uns einsam speisen lassen ohne Euch?
Katharina scheinbar belustigt, setzt sich bequem zurück und bietet dem Zar einen Platz an.
Ihr könnt ja meine Äpfel mit mir teilen.
Zar setzt sich zärtlich neben sie und deutet auf ihre dekolletierte Brust.
Die süßen Äpfelein, die Ihr ins Mieder tief versteckt habt,
Die teile ich mit keinem, wenn's Euch recht ist.
Katharina schmollend
Was habt Ihr mir versprochen vorhin, Majestät?
Ihr wollt mich nicht mehr tölpelhaft belästigen.
Zar rückt näher.
Sagt, schöne Katharina, habt Ihr nicht einen Wunsch?
Ich möcht' Euch glücklich machen, wie Ihr mir es tut.
Katharina reicht ihm einen Apfel hin.
Beißt in den Apfel, Herr, und sagt mir, wie er schmeckt.
Menschikoff erscheint lautlos. Er steht im Rücken des Zaren und sieht Katharina ins Gesicht, welche ihn nicht gleich bemerkt.
Zar.
Ihr weicht der Frage aus und sprecht, wie's Euch beliebt.
Katharina mit den Äpfeln in ihrer Hand spielend
Das tu' ich immer so. Ich sprech' und handle gern
So, wie es mir und keinem sonst beliebt.
Sie bemerkt, etwas erschrocken, jetzt erst Menschikoff, der sie über des Zaren Schulter betrachtet.
Zar.
Warum seid Ihr mit einem Mal so stumm?
Katharina ernst werdend
Weil ich gelogen habe, Majestät.
Ich spreche nicht stets, wie es mir beliebt,
Und handle nicht nur, wie es mir beliebt.
Sie sieht Menschikoff dabei an.
Zar Ihr habt in Euren Augen einen Doppelblick!
Bei mir dürft Ihr stets reden frei und einfach
Und nichts befürchten, schöne Frau. – Ich liebe Euch!
Ich liebe alles an Euch, alles.
Katharina schnell und melancholisch
Die Lüge auch? Der Zar betrachtet sie bedenklich.
Wenn Ihr nicht liebt, daß eine Frau mal lügt,
So werdet Ihr's noch lernen müssen, Majestät.
Zar ernst
Von Euch die Lüge kennen lernen, wäre
Langsamer Tod für mich. Ich hasse Lügen.
Er hat seinen Arm über die Rücklehne des Diwans gelegt, so daß der Arm halb über Katharinas Schulter liegt.
Katharina halb lachend, halb ernst
Ihr haltet eine Lügnerin im Arm und sagt, Ihr liebt,
Und sagt im selben Atemzug, Ihr haßt die Lüge!
O Logik, sieh, dein Schöpfer, er heißt Mann.
Das Leben hat die Logik nie erfunden.
Der Mann hat sie erklügelt ganz allein.
Es müßten Wahrheit sich und Lüge lieben,
Wenn Eure Majestät jetzt logisch wäre.
Zar beharrlich
Wenn du die Lüge bist und sagst, du liebst mich nicht,
Muß ich aus Logik glauben dann, du liebst mich doch.
Katharina spricht über die Schulter des Zaren zu Menschikoff.
Und was sagst du zu diesem Satz, Fürst Menschikoff dahinten?
Zar erstaunt
Ei, Menschikoff steht hinter uns und redet mit?
Menschikoff ironisch
Ich kann nur gratulieren bestens zu dem Satz.
Wenn zwei Verschiedenheiten einig werden,
So ist das eine Sach', die endlich stimmt.
Zar.
Sind wir jetzt einig, Katharina? Liebst du mich?
Katharina gequält und nervös, steht auf. Nimmt ihre zwei Äpfel. Sie hat schnell in einen Apfel gebissen, um die Tränen zu verbergen. Halb unter Tränen lächelnd.
Bis ich die Äpfel aufgegessen habe –
Ich kann mit vollem Mund nicht von der Ehe reden
– Muß Majestät sich schon gedulden; – wartet bitte!
Sie kann die Tränen nicht mehr zurückhalten und will fortstürzen.
Zar steht auf.
Ich kann auf Antwort nicht mehr länger warten.
Entscheidet, schönste Frau!
Katharina unter Tränen lächelnd
Ich werd' die Äpfel mit der Zofe Sascha teilen.
Dann komm ich schneller und bin Euch zu Diensten
Mit einer Antwort, – die mir einfällt, hoff' ich.
Sie läuft hinaus.
Zar erstaunt
Sie weint? Und stürzt davon? Ich glaube, Menschikoff
Ich bin so unwillkommen wie das letzte Mal.
Menschikoff verbeugt sich.
Ich kann Euch leider nicht willkommner machen.
Zar heftig
Dann reise ich sofort. Gib mir zu trinken!
Menschikoff reicht schnell zwei Gläser, die er aus einer Weinkaraffe füllt. Begütigend
Wir trinken auf ein anderes Weib und andere Zeiten, Peter!
Zar wild, schenkt sich ein Glas nach dem andern ein.
Ich bleibe keinen Augenblick in diesem Haus,
Wo mich die schönste Frau mit Tränen füttert,
Statt mit den Küssen, die ich nicht erzwingen möchte.
Haushofmeister tritt ein.
Es ist im grünen Spielsaal jetzt serviert.
Will Majestät geruhen, einzutreten? Geht ab.
Zar heftig, öffnet sich den Rock am Hals.
Ich bleibe nicht! Ein jeder Bissen würde mich hier würgen.
Empört bin ich! Ich laß dich hängen, vierteilen, Menschikoff.
Du sollst mir diese Schmach, die mir ein Weib,
Ein hexendes Dragonerweib, in deinem Hause angetan,
Mit deinem Kopf bezahlen, alter Fuchs!
Du kamst im letzten Augenblick hereingeschlichen!
Du hast sie abgerichtet, »nein« zu mir zu sagen!
Sie sah dich über meine Schulter an und las dir im Gesicht.
Ein abgekartetes Komödienspiel von dir!
Er stampft auf, daß alle Fenster zittern.
Katharina erscheint lautlos unter der Tür und geht langsam und ernst auf den Zaren zu.
Prinzessin Sascha hat für mich gehorcht.
Sie sagt mir schleunigst, daß es Ärger gibt,
Und sagt auch, Eure Majestät will reisen.
Ich möchte darum gern allein Euch sprechen.
Geht, Menschikoff, daß wir den Kopf behalten.
Menschikoff geht.
Zar verstimmt
Madame, ich wäre lieber ohne Abschied fortgegangen.
Katharina scheinbar erstaunt
Ich hoffe, Zar, Ihr reist nicht ohne mich?
Zar überrascht
Willst du? Du willst? Du liebst mich, Katharina?
Katharina zögert eine Sekunde, als ob Menschikoff wiederkommen soll.
Ich will gern wollen, wenn . . . .
Zar geht schnell auf sie zu; vertraut
Ich lieb dich nicht nur jetzt für Augenblicke!
Ich will dich lieben für mein ganzes Leben.
Katharina lebhaft
Halt! Rührt mich noch nicht an!
Ihr wißt, ich muß erst handeln, wie ich denke.
Sie zieht ein Papier aus ihrem Brusteinsatz hervor.
Ich möcht es nämlich schwarz auf weiß, daß Ihr mich liebt.
Zar verblüfft
Ihr wollt es schriftlich hier bestätigt haben?
Katharina erklärend, beschwichtigend
Seht, Majestät, ich bin ein Mensch und Ihr ein Mensch,
Und morgen, wenn wir sterben, glaubt es niemand,
Daß je ein Zar ein Weib vom Volk sich wählte.
Ich möcht's nicht nur der Nachwelt hinterlassen,
Ich möcht es auch bei dem Notar hinlegen,
Daß ich das Weib bin, das Ihr lieben wollt,
Versorgen, unterstützen und ernähren täglich!
Zar fährt auf
Herrgott, ich glaube gar, Ihr denkt, ein Zar
Hat nicht genug, um seiner Frau ein Hemd –
Und einen Mittagstisch zum Sattsein einzukaufen?
Katharina unbeirrt
Bei Gott, auch Kaiser werden plötzlich Bettler.
Auf alle Fälle ließ ich's hier von meiner Zofe,
Von der Prinzessin Sascha, niederschreiben.
Denn ich kann weder schreiben, Herr, noch lesen,
Weiß aber wohl, daß Schriftliches regiert.
Lest bitte selbst und schreibt den Namenszug darunter.
Zar lachend
Ich kann ja auch nicht lesen, Katharina.
Verdammt! Wir müssen Menschikoff herholen.
Katharina rasch
Nein, nein – noch nicht! Erst wenn Ihr unterschrieben.
Es steht hier drauf, daß Ihr mich hoch und teuer haltet;
Daß ich in einem Jahr Zariza bin;
Und daß Ihr keine Frau mehr liebt als mich im Leben.
Zar lachend
Bei Gott, das kann ich alles unterschreiben.
Katharina kalt und eifrig; läuft zu dem Tisch mit den Mappen und holt das Tintenfaß und eine Gänsefeder.
Hier ist die Diplomatenfeder und hier das Tintenfaß!
Macht nur drei Kreuze drunter – und es gilt. –
Klatscht in die Hände jetzt und ruft den Menschikoff.
Zar hat drei Kreuze auf das Papier gemalt, klatscht in die Hände; Menschikoff erscheint unter der Tür
He, Menschikoff, hier die Zariza ruft!
Katharina halb lachend, halb ernst
Ihr könnt uns gratulieren, Fürst, wir wünschen es.
Zar.
Seht nur, sie hat es schwarz auf weiß von mir!
Verbeugt Euch! Küßt der Zariza ihre Hand.
Menschikoff halb scherzend, halb ernst, verbeugt sich und küßt Katharina die Hand.
Ich wurde nicht gefragt bei diesem Staatsstreich.
Katharina weint plötzlich.
Zar erschreckt und zärtlich
Weint Ihr? Und wollt durch Tränen in die Zukunft sehen?
Katharina.
Ich bin erschüttert, Majestät.
Verzeiht, es geht gleich wiederum vorüber.
Zar zu Menschikoff, sehr aufgeräumt
Und gebt Ihr keinen Brautschmuck meiner Braut?
He, Fürst, Ihr geizt mit Eurer Huld!
Ich sollte auch mit meiner Gnade geizen?
Den Perlenschmuck für fünfmalhunderttausend Rubel,
Den Ihr mir jüngst gezeigt, den bringt als Morgengabe!
Der paßt so gut für diesen weißen Hals und zu den schönen roten Locken.
Katharina unter Tränen, erstaunt zu Menschikoff
Ihr hattet einen Schmuck im Haus für mich?
Menschikoff.
Zariza, ja, ich wartete auf bessere Zeiten,
Und hielt den Schmuck deshalb bis heut' zurück.
Er ist in dem Geheimfach hier verwahrt,
Gleich hinter Eurem Bild hier an der Wand.
Er dreht das Bild von der Wand, das wie die Tür eines Schrankes sich drehen läßt. Er zieht eine silberne Truhe heraus, stellt sie auf den Tisch und überreicht sie dem Zaren. Der Zar nimmt die Perlenkette heraus und legt sie Katharina um den Hals.
Zar.
Seht, welche Pracht, recht würdig eines Menschikoff,
Der Zariza als Morgengabe anzubieten.
Katharina Menschikoff melancholisch und eindringlich betrachtend, streichelt die vielen schweren Perlenreihen um ihren Hals.
Die Perlen sind so kühl und schwer,
Als liegt ein kühler, schwerer Arm
Mir jetzt zeitlebens um den Hals.
Ich danke gern dem Fürsten Menschikoff.
Menschikoff verneigt sich.
Zar.
Ihr redet düster vor Euch hin
Und lacht noch nicht, wie's einer Braut geziemt.
Zu Menschikoff
Jetzt laßt schnell heißen Wein einschenken!
Wir wollen speisen, dann die Schlitten angespannt!
Und fort im Schnee fliegt Ihr mit mir nach Moskau, Katharina!
Er zieht aus seiner Brusttasche ein Etui mit einem Orden.
Den Dank für Euch, Fürst, hol' ich hier noch aus der Tasche.
Den Orden hier laßt auf der Brust Euch glänzen,
Und denkt an Euren Freund, wenn Ihr ihn tragt!
All' die Brillanten sollen Euch für Katharina stündlich danken.
Menschikoff nimmt das Etui.
Den Orden, Majestät, den hab' ich nicht verdient.
Katharina verfällt in ein bitteres, fast hysterisches Lachen und sinkt auf einen Stuhl.
Was sagt' ich heute morgen Euch, Fürst Menschikoff!
Der Tag heut' wird Euch einen Orden bringen.
Hahahahahahaha! – Verzeiht, ich bin so lustig,
So lustig, Herrgott, war ich nie wie heute.
Hahahahahaha! Sie lacht fortgesetzt nervös.
Zar.
Gottlob, sie lacht! Gottlob, sie weint nicht mehr.
Katharina immer unbändig, endlos lachend und sich die Hüften haltend, spricht stoßweise.
Laßt mich, ihr Herrn! Ich bitt' Euch, geht zu Tisch!
Ich muß mich erst vom Lachen hier erholen.
Mein Mieder ist mir fast zu eng geworden.
– Ich mache mich dann reisefertig, hahahaha!
Und komm' dann zu Euch in den Schlitten, – Peter.
Hahahaha! Haha!
Vorhang
Zar Peter I. | |
Katharina, seine Gemahlin | |
Fürst Menschikoff | |
Prinzessin Sascha, Hofnärrin der Zarin | |
Erster General | |
Zweiter General | |
Leibarzt der Zarin |
Katharina, Gemahlin des Zaren. Sie ist über Dreißig. Sie erkennt in diesem zweiten Akt die Unendlichkeit ihrer Leidenschaft und Sehnsucht zu Menschikoff. Sie macht zum ersten Mal ihrem Herzen in einem großen Schrei Luft.
Sie ist üppiger geworden, despotischer, und vollständig in Haltung und Pracht eine barbarische Kaiserin. Sie ist noch unermüdlich an Kraft und Klugheit. Aber unter der Maske einer unduldsamen Herrin versteckt sich das von Sehnsucht gepeinigte, unbefriedigte Weib, das sich in ungebändigter Willkür Ersatz sucht für die Einsamkeit in ihrem Herzen.
Ihr Kleid ist erst eine rote Gardeuniform mit silbergrauem Rock, halb Reitkleid, halb Uniform mit Feldherrnschärpe und Feldherrnhut mit großen gelb und schwarzen Federn. Gelbe Reithandschuh. Später ein violett und purpurnes Kleid mit eingewebten großen Ranken. Ihr blendend weißer Hals und die Schultern heben sich hell und schmucklos ab; nur ihre rotgoldenen Locken ringeln sich üppig wie ein goldenes Diadem.
Zar Peter I. In gelber Uniform mit weißen Hosen, prächtig und reich verschnürter Rock.
Sascha ist im zweiten Akt Vertraute und Hofnärrin der Kaiserin geworden. Sie trägt ein grün, rot und gelbes Narrenkleid mit einem Übermantel aus Katzen- und Fuchsschwänzen und mit großen runden Messingschellenknöpfen daran. Auf dem Kopf ein Mützchen aus Hasenschwänzchen. Rote hohe Stiefelchen.
Menschikoff in prächtiger und prunkvoller grün und goldener Uniform mit Schärpe. Er ist selbstsicher, aber bescheiden, ist männlicher und verschlossener. Sein Gang ist fester und abweisender.
Der Mohr ist in roter Seide, türkisch gekleidet. Mit gelbem Turban.
Ein rot in rot gestreiftes Prunkzelt. Goldene Adler an goldenen Stangen halten die Zeltwände. Rote Teppiche am Boden. Goldene Prunktische und viele goldene Heiligenbilder im Hintergrund auf goldenen Tischen aufgestellt.
Viele rote Schemel und eine Ottomane mit schwarzem Bärenfell und Hermelin. Goldene Pfosten mit rot und gelb und weißen Büschen Straußenfedern bezeichnen links und rechts auf der Bühne zwei Ausgänge.
Eine rotseidene spanische Wand neben der Ottomane mit goldenen Füßen. Goldene Amoretten und goldene Adler halten goldene Kronen und goldene Embleme. Das Zelt ist mit schwülstiger barbarischer Pracht und Prunksucht ausgestattet.
Auf dem Tisch in der Mitte, um den goldrote schwülstige Sessel stehen, liegt eine Reitpeitsche mit goldenem Griff. Das Zelt ist Rot in Gold gestimmt.
Sascha als Hofnärrin steht im bunten Hofnarrenkostüm halb hinter einem Wandschirm und läßt sich von einem Mohren in Livree küssen. Katharina tritt durch die Zeltvorhänge von links ein. Der Mohr schlüpft rechts hinaus.
Katharina lächelnd
Was tust du in der Ecke, Närrin, liebe.
Sascha hat einen buntscheckigen Übermantel über ihrem Kostüm, an welchem vorn alle Knöpfe abgerissen sind und die Fäden hinunterhängen.
Ich stand im Dunkeln dort, und Euer Mohr, Zariza,
Und ich, wir zählten meine Knöpfe ab an meinem Kleid,
Um das Orakel gründlich zu befragen,
Ob wir die Türken heute noch verprügeln endlich,
Wie es für russische Christen sich gehört.
Katharina lachend
Seit du Hofnärrin bist, küßt du die ganze Welt!
Und nun –, was sagen deine Knöpfe wahr?
Sascha.
Die Knöpfe sagen nichts Gescheites, sie plappern Unglück her.
Katharina.
Du hast ja nur noch Fäden an dem Überkleid,
Und keinen einzigen Knopf, der richtig sitzt!
Sascha.
Zariza, ach, stets war ein Knopf dabei,
Der alles besser wissen wollte.
Katharina.
Und weil dir seine Antwort nicht gefiel,
Hast du sie alle von dem Kleid gerissen.
Sascha Ein Knopf hat stets den Türken Sieg gegeben,
So oft ich zählte. Seht's nur selbst hier an den Fäden!
Seht nur: wir prügeln, geprügelt,
Prügeln, geprügelt, prügeln, werden –
Prügeln, geprügelt, prügeln, werd –
Katharina fällt ihr ins Wort.
Halt! dieser letzte Faden gilt nicht mehr!
Zählt einfach nicht mehr weiter, denn – wir prügeln.
Sascha.
Ja, das ist Euer Despotismus wieder!
Der will sogar's Orakel heut' regieren.
Die Knöpfe aber lassen sich abreißen wohl,
Doch übersehen nicht und nichts befehlen.
Ich weiß, wir werden heute noch geprügelt.
Katharina greift grimmig nach einer goldenen Reitpeitsche, die auf dem Tisch liegt, und geht wie ein Tier im Käfig auf und ab. Dabei fuchtelt sie mit der Reitpeitsche immer in der Luft. Schlägt effektvoll auf Tische, Stühle, Möbel, als wenn es Menschen wären, die ihr im Wege sind. Sie geht abwechselnd langsamer, abwechselnd schneller. Dazwischen sitzt sie eine Sekunde auf einem Stuhl, um dann gleich wieder aufzustehen und weiter zu gehen.
Daß man den Hintern dir verknuten möchte,
Wenn du dein Kleid sperrangelweit und knopflos offen trägst.
An das Orakel, Sascha, glaube ich sofort.
Ich liebe keine Memmen neben mir. Wir prügeln, sag' ich.
Sie haut energisch auf den Tisch.
Wenn uns die Türken auch umzingelt haben, –
Das sagt noch nichts. Der Krieg ist ein Hasardspiel.
Glaubst du, ich lasse mich gefangen nehmen
Und jetzt von einem Pascha in den Harem stecken,
Um unter dreimal hundert Weibern numeriert,
Vielleicht als Zahl dreihunderteins, dem türkischen Dickbauch
Im Jahr einmal und spärlich Liebe zu verdanken?
Ich bin Gemahlin eines Zaren jetzt und will den Krieg gewinnen,
Wenn uns der Türke auch die Hölle heizt. –
Was scheren wir uns viel um alle Türkenteufel!
Ich wette, daß der Türkensatan selbst mir hilft,
Wenn ich ihn bitten möchte. Denn alle sind bestechlich!
Der Russenteufel zieht sich stets aus jeder Patsche,
Verschlagen und gemütlich, wie er ist.
Wirst heut' noch manches, Sascha, auf der Welt erleben,
Wenn ich erst weiß, ob sich's zu leben lohnt.
Sascha hat sich auf einen Diwan gesetzt, die Beine heraufgezogen und knüpft an die herunterhängenden Fäden wieder ihre großen Knöpfe an.
Ich dachte stets, Ihr glaubt an keinen Teufel?
Katharina geht immer auf und ab.
Seit ich erfahren, daß die Menschen alle
Ihr eigen Schicksal stündlich sich verhunzen,
Weiß ich's, daß jeder sich sein eigner Teufel ist,
Und glaub an keinen Teufel als an mich.
Sascha ironisch
Und Gott sieht zu, wie der Zariza es beliebt.
Katharina.
Gott ist der Augenblick, den ich am Schopf ergreife,
Wenn ich nicht abwechselnd mal dir, Hofnärrin,
Dazwischen in das Haupthaar plötzlich fahre.
Sie gibt Sascha im Vorübergehen einen leichten Klaps mit der Peitsche.
Sascha ohne von ihrer Arbeit aufzusehen
Ich weiß, Ihr wechselt gerne Eure Götter.
Dragoner erst, dann Menschikoff, der Zar.
Bald ist wohl ein Olymp in Eurem Herzen fertig,
Wenn's mit der Gotterhebung weitergeht.
Katharina droht ihr lachend.
Sascha, ich rate dir: knöpf deinen Mund mehr zu!
Dein offenes Kleid ist nicht so unmanierlich,
Als wenn die Knöpfe dir am Mundwerk reißen.
Sascha lustig rezitierend
Die Wahrheit ist die Blöße einer Zunge.
Die nackte Zunge sollt' am Hof ein Hemdlein kriegen.
Katharina.
Um wahr zu bleiben, – rede auch von dir!
Die Götter deines Herzens sind ein Chaos.
Mal ist's ein Ofenheizer, ein türk'scher Überläufer mal,
Mal ein Bereiter, oder heut' ein Mohr.
Sascha schelmisch
Ich greife wie Ihr selbst den Augenblick am Schopf,
Der Augenblick ist dunkel hier im Krieg,
Und er war deshalb heut' für mich ein Mohr.
Katharina setzt sich auf einen Stuhl.
Ach, Sascha, sterbensunglücklich bin ich den langen Tag!
Sascha.
Der Türken wegen, die vielleicht Euch als Belagerer langweilig sind?
Katharina.
Die Türken, nein, die unterhalten mich.
Doch soll ich heute Schicksal spielen hier und Männer retten
Und weiß nicht, ob sich's lohnt, das Leben oder Sterben dieser Männer.
Sascha.
O, ich verstehe Euch; ach nein, es lohnt sich kaum.
Ihr wollt die Männer retten, die sich hier
Wie Dummköpf' von den Türken, den viel dümmern, umzingeln ließen!
Das ganze Lager liegt ohn' Ausweg eingeschlossen.
Wenn wir zwei nicht mit hier im Lager wären,
Es lohnte sich wahrhaftig die Rettung dieser Stümper.
Katharina.
Oftmals find' ich, die Herren dieser Schöpfung
Sind jenen Erdenkloß nicht wert gewesen,
Den Gott dem Paradies genommen,
Um einen Mann zu formen für die Welt.
Die Männer sind beim Kneten ihm mißraten.
Sascha aufseufzend
Und doch könnt' man nicht ohne Männer glücklich sein.
Katharina steht wieder auf.
Wie sie jetzt ratlos hier im Lager rennen!
Sieh' sie nur an! So hilflos plötzlich und so unbedeutend!
Es ist ein Jammer, daß sie Hosen tragen.
Nicht mal daran kann man im Augenblicke sie erkennen.
Ihr Mut ist blöd verdampft. Sie sind wie bärtige Weiber, weinend.
Ich überlege, ob es sich denn lohnt,
Die russischen Hosen vor den Türkentrödlern zu bewahren
Und sie nach Petersburg zurückzubringen,
Statt sie durch türkische Hausierer zu verschleudern.
Sascha.
Daß alle Herren in den Hosen Euch, Zariza, heut' so wenig sagen,
Das staunt mich doch, wenn Ihr's so fortgesetzt behauptet.
Katharina setzt sich wieder.
Nicht das erstaunt. Mich wundert mehr,
Daß, trotzdem ich mich dieser Männer schäme,
Dieselben Männer doch so viel mir sind,
Daß ich mich nicht von ihnen trennen kann.
Besonders jetzt, wo ich doch Peters Frau geworden
Und mein Gemahl mir lieber sein sollte, als alle anderen Schicksalsherrn,
Da wundert's mich, daß ich notwendig seitwärts schiele
Nach einem andern Mann noch neben meinem Kaiser.
Es ist doch scheußlich, wenn man es genau bedenkt,
Da Peter gut und gütig stets zu mir gewesen.
Sascha.
Ach, welcher Mann, der Euch im Arm gehalten,
Wäre nicht gut und gütig stets zu Euch gewesen!
Katharina.
Ein einziger war es nicht, – und nach ihm schiele ich
Und schäme mich vor meiner kaiserlichen Würde,
Die mir als Zarenfrau das Gradausschaun gebietet.
Und kann doch meinem Herzen keine Brille kaufen,
Um grad und nicht ganz heimlich schief zu sehen.
Sascha.
Bedenkt, auch dieser, den Ihr nie vergeßt,
Trägt ratlos heut durchs Lager seine Hose,
Mit allen andern Herrn ist auch Herr Menschikoff
Im Lager von den Türken eingeschlossen.
Katharina fährt auf.
Nenn' nicht den Namen, der mich stets erbittert,
Der mehr als aller Pulverrauch Ferne und Nähe mir verdunkelt.
Sascha ist aufgestanden.
Vergeßt auch mit dem Namen dann den ganzen Mann, Zariza!
Er weicht Euch aus. Er ist dem Zaren treu.
Ich sag es frei heraus: der Menschikoff hat niemals Euch geliebt.
Katharina fährt mit der Reitpeitsche in die Höhe. Sascha springt hinter den Tisch.
Du Lügnerin, du sagst, er liebt mich nicht?
Mich liebt er nicht? Und ich – ich denke stündlich nur an ihn!
Mich hätt' er nie geliebt? Du, du . . . . .
Liebt er mich nicht? Sag', – liebt er mich?
Sie läuft Sascha drohend mit der Reitpeitsche um den Tisch und hinter verschiedene Möbel nach und schlägt mit der Peitsche in die Luft und auf die Möbel.
Sascha halb versteckt hinter Möbeln; lachend und hartnäckig
Nein, niemals liebte Menschikoff die Zarin.
Katharina aufs äußerste aufgebracht, schlägt mit der Peitsche um sich, kann aber Sascha nicht erreichen.
Nicht – nicht? Er liebt die Zarin nicht?
Sascha hartnäckig und vor der Zarin flüchtend
Er liebt nicht, liebt nicht – nein. Noch nicht – nicht – nein.
Katharina läuft Sascha wütend nach.
Kanaille, nach Sibirien schick' ich dich.
Ich will dich peitschen, rädern, vierteilen.
Und aufs Schafott mit dir! Er liebt mich, sag' ich!
Zar kommt. Zwei Kosaken öffnen vor ihm die Zeltvorhänge, lassen sie wieder zufallen und verschwinden dann.
Was gibt's, wen prügelst du schon wieder, Katharina?
Machst du dir Luft? Gottlob, wenn du's noch kannst.
Ich und der Menschikoff, wir können uns schon keine Luft mehr machen.
In einer Viertelstunde, höchstens noch,
Sind wir gefangen von den Türkensäbeln.
Katharina hat Sascha stehen lassen, welche links hinausschleicht; spricht hochmütig über ihre Schulter zum Zaren.
In einer Viertelstunde sagst du, Peter?
Das ist nicht früh, nicht spät,
Wenn nicht mehr abzuwenden ist
Die Ehre von dem türkischen Besuch.
Menschikoff kommt durch den Zeltvorhang rechts herein mit gesenktem Kopf
Wir sind von jeder Zufuhr abgeschnitten und ohne Lebensmittel.
Das Brot für die Soldaten und nötiges Pulver fehlen,
Die Geldkuriere wurden abgefangen und alle Munition.
In einer Viertelstunde sind die Türkenkerle die Herren hier, –
Und wir Leibeigene, – wenn wir's erleben wollen.
Zar zu Katharina
Was sagst du nun? Du schicktest ja nach mir,
Daß ich dich hier in deinem Zelt mit meinem Feldhauptmann besuchen sollte.
Du schickst nicht gar zu oft nach mir, Gemahlin;
Seit mich mein Glück verläßt, bist du wie alle Weiber,
Mißtrauend einem Mann, der ein Pechvogel wurde.
Katharina gähnt und setzt sich sehr verführerisch auf einen Sessel, der bedeckt ist mit russischen Bärenfellen.
Ja, du hast Pech, mein Peter und mein Zar.
Gähnt wieder.
Bei Gott, ich hab's wahrhaftig ganz vergessen,
Was ich dir sagen wollt' zu unsrer Rettung.
Ich bin verblüfft noch, daß man gar so schnell
Mich wieder so von einer Hand zur andern gibt.
Ohn' auch mit einem Atemzuge mich zu fragen,
Tauscht ihr den Platz mir unterm Sitzfleisch jetzt,
Heut' Mittag lieg' ich noch auf russischen Bärenfellen,
Und heute Abend dann auf türkischer Ottomane,
Und einen türkischen Halbmond steckt man mir ins Haar, vielleicht
Dorthin, wo vorher aus Brillanten ein russischer Doppeladler saß.
Wißt Ihr denn, ob ich türkisch lieben kann,
Nachdem ich russisch liebte seit Marienberg?
Den Türken bin ich sicher auch nicht fett genug.
Zar stampft auf.
Verdammt, mehr weißt du nicht,
Als mich mit den verfluchten Türken hier zu narren!
Katharina unbeirrt spottend
Hört, Menschikoff, was ist Euch lieber,
Mir bald als ein Eunuch beim Großvezier zu dienen,
Oder, von Türkensäbeln krumm geschlagen,
Tot auf dem Platze hier zu bleiben?
Menschikoff gleichfalls spottend
Ich hab', Zariza, noch nicht nachgedacht,
Wozu ich tauglicher im Augenblick wohl bin.
Eunuch zu sein, wird mir am Leib so neu erscheinen,
Wie's neu mir wird, wenn ich zum Leichnam avanciere.
Zar stampft wieder auf
Verdammtes Weib, du willst uns kujonieren
Und weidest dich an unsrer Seelenpein.
Hast du geglaubt, daß wir den Tod nicht suchen,
Und uns hierher bestellt, um ängstlich uns zu machen?
Eh' noch der Türkenhalbmond auf dem Zelt hier sitzt,
Gehn Menschikoff und ich zu allen Heiligen.
Der Himmel wird sein Zelt uns nicht verweigern.
Wir klopfen droben bei Sankt Peter an,
Und dort bei meinem Namensvetter spei' ich hinunter dann auf alle Türken.
Weißt du nichts Besseres mehr, als am Soldatenpech,
Dich hier an zwei Verzweifelten zu weiden?
Katharina blaß und leidenschaftlich aufspringend
Jawohl, ich weide mich, ich will mich an euch weiden.
Es ist doch gar so herrlich, sag' ich euch,
Zwei Männer da zur Rettung in der Hand zu haben,
In einer Weiberhand, die niemals viel bedeutet,
Die einem Herrn Dragoner mal getraut gewesen,
Und die man weitergab von Hand zu Hand, –
Soll ich an mehr erinnern, meine Herrn?
Zar.
Weib, weißt du nicht mehr, wer du heute bist?
Katharina bitter
Ein Stückchen Menschenfleisch. das öfters den Besitzer schon gewechselt.
Das nur begehrt wird, wenn sich's frisch erhält,
Und leicht verschleudert wird, wenn heut' sein Herr verschwindet.
Sie stampft empört auf.
O, daß man Menschen weitergibt wie tote Kleider,
Wenn sich die Moden ändern und der Hausbedarf!
Zar aufgebracht
Aus meinen Augen hier! Bist du betrunken?
Hast erst dich zahm gestellt, als wärst du eine Kaiserkrone wert,
Und Frechheit setzt du jetzt dir statt der Krone auf.
Katharina tritt furchtlos unter seine Augen.
Wird nicht dein zahmstes Leibroß wild,
Wenn ihr ihm jedes Pferderecht versagt
Und es mit Euren Schweinen an den Kofen schickt?
Ein jedes Menschenrecht versagt Ihr Eurem Weib!
Zar tief erstaunt
Welch' Menschenrecht hätt' ich dir jemals unterschlagen?
Sag', welches Recht du noch von mir verlangst . . . .
Was willst du mehr? Du bist mein Weib geworden.
Katharina wendet sich ab.
Ich rede nicht, wenn Euer Herz nicht redet.
Zar.
Heut morgen ließ ich dir in aller Frühe sagen:
Zwei Tage sind wir schon nmzingelt und wie ein Wild gestellt
Von dieser Türkenmeute; heut' send' ich einen Brief zum Großwesier
Und bitte, daß man dich und alle Frauen schont
Und unsere Leichen alle – mich und die Generale –
Hier ehrenwert begräbt.
Du tobst seit diesem angesagten Briefe gegen mich.
Du schlägst die Diener und bist ungebärdig, wie eine angeschossne Adlerin.
Du forderst einfach, daß wir, die Hände in den Taschen,
Als Männer demütig hier in den Ecken sitzen, von dir verhöhnt,
Indessen du behauptest, uns zu retten, wenn wir gehorchen wollen.
Du rufst uns her und bist wie eine Wespenbande, setzt wütend Stich bei Stich
Und läßt die Wut an unsrer Langmut aus.
Du kannst nicht retten, – willst nicht, daß wir uns ergeben.
Willst nicht, daß ich den Brief dem Großwesier zusende . . . .
Und ich bin doch gewiß, daß dich die Türken schonen;
Wie den Uraljuwelen, die man auf Samt bewahrt in einem Kasten,
Wird dir kein Leid getan, wenn wir als Männer sterben.
Man wird dich fürstlich halten; du wirst am Licht noch lange leuchten,
Wenn uns der Grabberg längst die Aussicht nimmt.
Katharina spöttisch
Wie ein Gedicht, so schön klingt's, was du da
Von den Uraljuwelen und von dem Grabberg dichtest.
Ihr habt mich ganz gelähmt mit so viel Ehre.
Lebt wohl, ich hab' Euch gar nichts mehr zu sagen,
Als Pfui und Pfui und Pfui zu sagen.
Menschikoff zum Zaren
Ich glaube, weil wir Männer sterben wollen
Und unsrer Zarin nicht den Tod anboten, –
Das ist es, was die Zarin so beleidigt.
Katharina.
Ich glaube, ja, so ist es, Ihr Herrn Tölpel.
Seht, endlich lüftet, wie den Deckel von dem Topf,
Der Feldmarschall ein wenig seinen dumpfen Schädel.
Komm, Sascha, komm, wir wollen uns dreinfinden.
Laßt mir die schönsten Kleider um die Hüften hängen,
Daß ich dem türkischen Großwesier gefallen mag, dem von den Frauen viel verwöhnten,
Wenn er jetzt einzieht in das Zelt mit seinen Janitscharen.
In fünf Minuten also seid ihr alle
Das Leben samt den Weibern los, ihr Männer, ihr!
Sie geht mit Sascha rasch hinaus.
Zar zu Menschikoff
Begreifst du sie? – Die Krone gäb' ich drei Mal her,
Wenn ich dies Weib im Grund ein Mal begreife.
Menschikoff.
Sie ist ein Rätsel aller Rätsel stets gewesen.
Zar.
Was hat sie unter ihrer Stirn zurecht gebraut,
Daß sie uns stehen läßt wie Prügelknaben.
Menschikoff.
Vor einigen Tagen ließ Euch die Zariza melden,
Sie hab das Mittel zu einer Rettung sicher in der Hand.
Sie wollte es in letzter Stunde wirken lassen. –
Ich glaub', sie hat es angewandt und . . . . . .
Zar.
Und es schlug fehl, deshalb der Haß auf uns.
Sie fühlt sich in der Machtlust, die ihr höchste Lust ist,
In ihrem Eifer, zu regieren, im Stich gelassen;
Deshalb auch ihre Tobsucht, die aus Ohnmacht tobt.
Menschikoff.
Nein, Majestät, die Frau ist nie ohnmächtig,
Stets ist ihr eine Macht auch im verlornen Paradies noch untertan, –
Der Teufel und die Schlange selber flüchten gern zu ihr.
Zar.
Diesmal hat auch ihr Teufel sie verlassen.
Sie läßt uns sitzen ohne einen Ausweg,
Nachdem sie mächtig erst mit Rettung prahlte.
Die Türkenklemme schmerzt mich nicht so sehr,
Als wenn ein Weib uns in der Klemme läßt
Und uns als Weib behandelt und Kastrat.
Menschikoff.
Ich glaube, daß sie klipp und klar uns rettet
Und nur Komödie spielt in großen Zügen,
Um heut 's Regieren gründlich durchzukosten.
Die Frauen zögern gern, und sie genießen's gern,
Wenn sie die Gnade in den beiden Händen halten,
Und lassen Männer wie Maikäfer zappeln,
Bis sie zur Rettung ihre Fingerspitze heben.
Ein Weib verachtet uns im Grund,
Wenn sie statt Schönheit ihre Kraft anbietet.
Und Kraft macht boshaft leicht die schwache Frau.
O Majestät, Ihr hättet Euch's nicht bieten lassen sollen,
Daß Euch ein Weib im Männerkriege retten sollt;
Nie mehr wird sie die alte Achtung finden.
Zar.
So eingekeilt von türkischen Regimentern,
Konnt ich nicht anders, als mir helfen lassen;
Ob Mann, ob Weib, man nimmt die Hilfe an,
Sitzt man schon wie der Dachs im Bau verhetzt.
Menschikoff.
Und lebt so von der Gnade einer jungen Frau,
Verhöhnt, verprügelt und doch nicht begnadigt.
Ich fühl mich wohler, wenn in fünf Minuten
Mein Leib als Mist und Dünger auf der Steppe fault,
Als wenn mir der Verstand in allen Knochen trocknet,
Indessen hier ein Weib, laut und nur allzulaut,
Mir meine Schwäche zeigt und mich beschimpft.
Als Mist bin ich doch nützlicher und stinke trotzdem nicht so faul wie jetzt.
Ein Zug von Popen in goldenen Gewändern, welche goldene Heiligenbilder tragen, stellen die Bilder im Hintergrund neben die anderen goldenen Heiligenbilder im Zelt und knieen sich zum Gebet davor nieder.
Menschikoff zum Zaren
Die Popen sind's mit ihren Heiligenbildern.
Ihr habt sie zur Zariza in das Zelt bestellt,
Zum letzten Niederknieen und zum Beten.
Zar.
Bei Gott, ist's wirklich schon so weit,
Daß schon das Amen, Amen hier
Das letzte Wort ist, das uns trösten soll?
Der Zar bekreuzigt sich und kniet in der Mitte der Popen nieder, mit dem Gesicht nach dem Hintergrund. Menschikoff kniet rechts vorn, wo er steht, nieder; bekreuzigt sich und bleibt mit dem Gesicht gegen das Publikum gewendet und spricht zu sich selbst.
Menschikoff.
Gottlob, daß nur der Pope jetzt das Amen spricht,
Ich möcht' es nicht vom höhn'schen Mund der Zarin hören.
Er untersucht seine Pistolen im Gürtel.
Ein Trost ist's, daß Pistolen nicht wie Weiber spotten,
Und daß das Pulver mir von je
Mein liebster Wohlgeruch im Rock gewesen.
So bringt die Todesstund' nichts Fremdes mit,
Nicht mal den Tod, der längst mein Kamerad.
Der Mensch stirbt nie auf einmal, kommt mir vor.
Er lebt und stirbt, so wie er wacht und schläft, alltäglich,
Und immer stirbt ein Stück; mal Nieren, einem
Andern stirbt der Magen, die Leber, oder ab welkt ihm ein Bein.
Das Hirn stirbt oft zuerst, wenn nicht der Herzensbeutel,
Stückweise ist am Menschen immer etwas tot,
Und täglich teilt man seine Mahlzeit mit dem Tod.
Zar steht plötzlich auf.
Ich hör' die Kaiserin vergnüglich singen.
Ich kann nicht beten, kann's nicht glauben noch,
Daß ich mein Leben schlachten soll.
Verzeiht, ihr Popen, meine Zunge betet,
Doch mein Gehirn spricht Flüche gegens Schicksal.
Menschikoff geht zum Feldausgang links und horcht; man hört Katharina draußen von weitem trällern.
Jawohl, es ist die Kaiserin, die trällert.
So lustig wie ein junger Amselschnabel.
Zar zu Menschikoff
Sie sollt' zum Beten kommen in der letzten Stunde.
Vielleicht, daß ich an ihrer Seite noch
Die Bittgebete für die Heil'gen finden kann.
Doch wenn das Weib uns jetzt nur höhnt und gar noch singt,
Reizt sie mich zum Verfluchen und zum Morden.
Menschikoff.
Das Klügste ist, wir beten hier recht laut,
Daß sie den Mund nicht öffnet, um zu spotten.
Sie kommt, um sich von neuem hier zu weiden.
Zar zu den Popen
Ja, Popen, betet laut, wir beten nach.
Der Zar kniet wieder zwischen den Popen nieder; Zar und Popen murmeln halblaut rhythmische Gebete; Menschikoff kniet auf demselben Platz nieder wie vorher; die Zarin erscheint und betrachtet eine Weile lächelnd und leise trällernd den betenden Zar und die Popen.
Menschikoff spricht zu sich.
Bei Gott, sie zog die schönsten Kleider an und kann noch singen,
Als ging's zu einer Kirmes hier, und nicht zum Totengräber, –
Und sie verlacht den Zar und mich, das tolle wunderbare Weib;
Die Kronbrillanten hat sie abgelegt und läßt die weiße Haut hell glänzen.
Sie neidet, scheint's, den Kronjuwelen der Strahlen Macht,
Und läßt dafür ihr rotgelb Haar wie eine Fackel leuchten.
Es fliegt ihr Haar von weißen Schultern auf,
Als brennt ein Feuerhaufen warm im Schnee.
Sie bekreuzigt sich flüchtig vor dem Heiligenbild; dann setzt sie sich auf einen Stuhl und gähnt; sie nimmt ihren Pfauenfächer, fächelt sich und betrachtet sich in einem Spiegel, der im Fächer angebracht ist. Menschikoff und der Zar beten halblaut mit den Popen. Katharina steckt ihr Haar hoch und gähnt; plötzlich hört man von draußen türkische Janitscharenmusik, Stimmengewirr, Aufregung und Pferdegetrappel; im Lager russische Trompetensignale.
Zar horcht auf, springt empor, die Popen erheben sich.
Die Türken!!
Menschikoff steht auf; rasch
Unmöglich, Herr, das ist kein ernstlicher Alarm.
Katharina guckt in ihren Fächerspiegel und lacht.
Die Türken, ja, jawohl, die Herren Türken.
Menschikoff zum Zaren
Gestatten, Majestät, daß ich mich draußen selber überzeuge.
Katharina langsam, gedehnt und überlegen, steht auf und winkt ihm.
Das ist nicht nötig, Menschikoff, bleibt ruhig.
Ich kann Euch sagen, was Ihr draußen sehen werdet.
Die Türken ziehen ab – und kommen erst von neuem wieder,
Wenn Ihr den Waffenstillstand jetzt nicht schnell benützt,
Das Lager abbrecht und den Frieden schließt
Und schleunigst heimkehrt nach Sankt Petersburg.
Zar aufgebracht
Die Türken sind doch keine launenhaften Weiber,
Daß sie den größten Vorteil spielend fahren lassen
Und einen großen Sieg zum Scherz verpassen.
Katharina.
So überzeugt Euch selber, Majestät, von aller Türkenlaune!
Wenn Ihr nicht mir glaubt, glaubt dann Euren Augen!
Zar.
Und scheinen auch die Türken wirklich abzuziehen,
So ist das eine Täuschung nur für Augenblicke.
Sie legen sich in einen Hinterhalt, die Schelme;
Nur Kriegslist ist die fröhliche Musik,
Und solch ein schneller Abbruch der Feindseligkeiten
Ist nur ein plumper Türkenwitz, uns irr zu führen,
Zu plump, und kann nicht mal die jüngsten russischen Kadetten
Auch nur für einen Augenblick verblüffen.
Menschikoff.
Ich glaub' an alle Wunder, die Ihr wirken könnt, Zariza,
An dieses Wunder glaube ich nur halb.
Katharina schneidend
Mir ganz zu glauben, habt Ihr niemals Euch getraut;
Den Mut bringt Ihr nicht auf, Fürst Menschikoff..
Zar.
Wir wollen sehen, daß wir's glauben können.
Er geht an Katharina vorüber zum Zeltausgang rechts; Generale kommen ihm entgegen.
Zar zum ersten General
Was meldest du, sind wirklich alle Türken Narren?
General freudig
Ich melde, Majestät: wir leben wieder.
Breit ziehen sich die Türken aus der Front zurück.
Sie geben ihre besten Positionen auf,
Die Gräben und die Schanzen werden ringsum leer,
Die Berge lautlos, einsam überall,
Als ob sich in dem Sand ein Meer verläuft.
Es ziehen alle Regimenter sich unter frohem Spiel zurück,
Als ob die Türken ganz ins Nichts verschwinden.
Zar.
Nur meinen Augen ist zu trauen, und nicht den euren,
Wenn euch Armeen wie Gespenster schnell verfliegen.
Zweiter General.
O Majestät, uns allen ist ein Strick vom Hals genommen,
Die Wälder stehen offen und alle Wege frei!
Der Zar geht an der Spitze aller Generale hinaus; die Popen folgen. Katharina stellt sich Menschikoff in den Weg, der folgen will, sich aber einen Augenblick am Tisch anhält, weil er fast vor Aufregung zittert.
Menschikoff.
Mir zittern meine Knie, Zariza, zum ersten Mal im Leben.
Katharina.
Ihr zittert, Menschikoff, weil wir hier plötzlich einsam steh'n im Zelt allein;
Nach langer Zeit mal wieder Aug' in Aug'
Seid Ihr allein mit einer, die Ihr umgangen habt mit Absicht stets,
Vergessen und vermieden auch nicht ohne Grund.
Menschikoff.
Ah, Majestät, Zariza!
Katharina.
Müßt Ihr nicht zittern, jetzt allein zu sein
Mit einer, die Ihr Majestät anruft,
Und die Zariza worden ist, und die die Macht hat,
Die am ganzen Leib Euch zittern machen kann?
Menschikoff.
Vor Freude, daß Zariza und der Zar gerettet;
Die Freude übern Abzug aller Türken kam zu schnell,
Daß ich mich für Sekunden fassen mußte; –
Verzeiht die große Schwäche!
Katharina.
Ihr zittert nicht vor Angst, nicht vor der Kaiserin?
Nicht vor dem Weib, das Euch befiehlt, zu zittern?
Nicht vorm Alleinsein, Fürst, mit mir? – Ihr solltet zittern!
Ich will, daß Ihr Euch fürchten sollt vor meinen Augen!
Menschikoff.
Zariza, nein, ich zittre nicht vor Euch;
Ich fürchtete doch eben nicht den Tod, –
Warum sollt' ich vor einem Menschen zittern?
Katharina.
Weil ich es bin, der Mensch, vor dem Ihr zittern sollt!
Weil ich es will, die Frau, die hier im Kaiserzelt befiehlt!
Wenn ich es will, so zittert Ihr, verstanden, Menschikoff!
Menschikoff.
Wenn Euch auch noch so viel dran liegt, Zariza,
Kann ich das Zittern doch nicht wie das Tanzen lernen.
Katharina.
Ich, Katharina, ich befehl' Euch nochmals:
Ihr habt zu zittern, Menschikoff, bei meinem Anblick wie ein Kalb!
Ich, die Zariza, will es so. Ihr zittert!
Menschikoff ironisch
Ich zittre, Majestät!
Katharina.
Ihr lügt! Ihr rührt Euch nicht.
Menschikoff.
Ich gebe mir die größte Mühe, von heute ab vor Euch zu zittern, o Zariza,
Doch bei der Mühe müßt Ihr's dann auch sehen.
Katharina.
Weißt du nicht, wie du damals zitternd dagestanden,
Als du dem Zaren mich verschenken mußtest?
Weißt du nicht, daß du zitterst in Gedanken
Und vor Erinnerungen heute noch?
Weißt du nicht, was wir beide duldeten seitdem?
Menschikoff.
Ich weiß es nicht mehr, kaiserliche Frau.
Katharina.
Ich bin nicht plötzlich dir im Hirn verschollen,
Du solltest dich besinnen, Menschikoff!
Ich kann dich binnen fünf Minuten
In ewiges Eisen legen und verschwinden lassen.
Ich bin ein Weib und wickle Peter um den Finger.
Ich kann mir gern dein Haupt zum Dank heut' schenken lassen,
Wie einst die Salome das Haupt des Täufers kriegte. –
Ihr zittert nicht vor mir ein wenig jetzt, Herr Menschikoff?
Menschikoff.
Nur für das Vaterland und für den Zaren kann ich zittern.
Katharina drohend
Und –
Menschikoff.
Und – für das Zarenhaus.
Katharina höhnisch auflachend
Aha! Da bin ich auch ein Backstein, an dem Zarenhaus!
Das willst du mich nur deutlich wissen lassen,
Daß ich ein unselbständig Teilchen bin an einer großen Krone,
Und sonst nichts mehr, und nicht ein Weib, das Euch befehlen kann.
Menschikoff verbeugt sich stumm und tief.
Warum rutscht Ihr mit Eurem Angesicht
Wie eine Flagge auf Halbmast herunter,
Wenn doch an mir nichts ist, was Euch erzittern macht,
Kein Weib, das Ihr bewundern dürftet,
Und keine Herrin, die Euch kommandiert?
Warum verbeugt Ihr Euch vor meiner Nichtigkeit?
Menschikoff,
Ich neige mich nur tief, Frau Kaiserin,
Um Euch zu huldigen.
Katharina.
Hört, Fürst, ich bin nicht immer nur Frau Peter;
Bin Katharina noch vom Scheitel bis zum Absatz.
Ich weiß, Ihr wollt seit meiner Hochzeit nichts
Als nur des Kaisers Gattin in mir sehen,
Bedenkt kaum, daß ich Katharina heut' noch heiße.
Ich bin nicht bloß ein Stück der Krone jetzt!
Ich bleib' ein Weib und hoff', Ihr merkt auch dieses!
Menschikoff.
O, Katharina, deutlich sprecht Ihr, daß es ein Tauber hört.
Und, weil, ein Eheweib zu sein, zu zahm Euch dünkt,
Möcht' Ihr die Dirne gern betonen, die in Euch steckt!
Ich rede mich um Hals und Kopf vor Euch.
Viel lieber, als ich hier Komödie treibe,
Sag' ich es frei heraus und zittere nicht:
Zur Spielerei der Kaiserin bin ich nicht tauglich.
Das sag' ich, ob's auch grob klingt, Euch ins Angesicht.
Die Dirne mag es hören und – die Kaiserin verzeihn.
Katharina verstellt sich rasch; ganz umgewandelt klatscht sie plötzlich in beide Hände.
Bravo, – bravo, mein Menschikoff! Bravo, mein Fürst.
Ihr seid noch ehrlich stets dieselbe Haut,
So wie ich selber ehrlich bin noch heut' zu Euch.
Bravo, bravo, Ihr habt die Probe gut bestanden
Und in Versuchung standhaft, brav und klug geredet.
Ich werde dieses meinem Peter gleich berichten.
Er zweifelte wohl niemals sehr an Eurer Treue.
Auch ich nicht. Aber besser war die Probe.
Ihr seid nun echt und treu befunden von der Zarin,
Ein Ordensband habt Ihr mit Eurer Haltung frisch verdient.
Die Hand darauf, schlagt ein, daß Ihr vergeßt,
Daß wir in dieser Stund' Komödie spielen mußten,
Um zu erkennen, ob Ihr Treue haltet Eurem Zaren.
Und jetzt aufs Knie! Küßt schnell die Hand noch der Zariza!
Mein bester Menschikoff, ich danke mehr dem Himmel heute
Für einen Helden und getreuesten Vasall des Zaren
Als für den schnellen Abzug aller Türken.
Sie reicht ihm die Hand.
Mein Fürst und Feldmarschall!
Menschikoff hat erst verblüfft zugehört, dann noch verblüffter seine Kniee gebeugt und die Hand der Kaiserin an die Stirne geführt, ohne sie zu küssen. Katharina nickt ihm zu und geht links durch den Zeltvorhang.
Menschikoff lockert sich seinen Kragen, setzt sich vor den Tisch und hält sich den Kopf mit beiden Händen.
Geb' mir doch einer einen Backenstreich,
Daß ich doch sicher wüßte in dem Augenblick
Hab' ich den Kopf noch wirklich in den Händen!
Die Türken ziehen ab, und eine Zarin läßt sich Dirne schimpfen.
Ich glaube, Weiber sind aus Fleisch und Blut Gespenster;
Und 's ist gefährlicher, harmlos am Mittag einem Weibe zu begegnen,
Als einem Toten auf dem Kirchhof nachts.
Das Stuhlbein wackelt, oder meine Beine wackeln?
Ich zittere wahrhaftig jetzt am ganzen Leib.
Wüßt' sie's, sie würd' sich's nicht entgehen lassen.
Ich zittere wahrhaftig jetzt vor diesem Frauenzimmer.
Herr Gott, das Zittern packt mich wie ein Schüttelfrost, –
Wie's Wechselfieber, so wie's ihr beliebt.
Ich lass' mich schlachten, leb' ich diesen Tag zu Ende,
Ohne mich Schuft und nochmals Schuft zu nennen.
Der Türkentod erschien mir nicht so schmählich!
Hätt' ich doch niemals einen Unterrock gesehen!
Da kommt schon wieder einer, und ich zittere noch.
Er steht vom Tisch auf.
Sascha weinend, verzweifelt und wehklagend, kommt von der linken Zeltseite hereingelaufen.
Wo ist der Zar, ach schnell, Herr Feldmarschall!
Es geht zu Ende mit der Kaiserin, –
Sie trank aus dieser Flasche und fiel um.
Sie zeigt eine kleine Likörflasche, auf der ein Totenkopf gezeichnet ist.
Sie fiel mir kerzengrade in den Arm,
War kreidebleich und kalt und wie erfroren.
Dann, eh' ich mich gefaßt, fuhr sie empor.
Sie tobt, sie schreit und, hört, sie schlägt die Diener,
Sie rast und schlägt die Frauen furienhaft.
Vielleicht war es ein Gift, vielleicht ein Tobsuchtstrank.
Seht nur, ich zog die Flasche unterm Kleid ihr vor,
Als sie mir wie im Starrkrampf in den Armen lag.
Seht nur, ein Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen
Ist auf das Flaschenschild gemalt.
Zariza stirbt und hat sich sicherlich
Absichtlich oder unbewußt vergiftet.
Menschikoff reißt eine Klingel vom Tisch und klingelt wütend; zwei Diener stürzen herein.
Den Leibarzt her, schleunigst den Leibarzt für die Kaiserin!
Fliegt, er soll Gegengifte bringen, fliegt!
Menschikoff schlägt sich vor den Kopf, während Sascha die Hände ringt; von nebenan hört man Katharinas wildes Gekreisch und Peitschenhiebe.
Menschikoff.
Ist denn die Welt wie eine Schaukel heut', –
Daß sie bald mit mir steigt, bald mit mir stürzt;
Bald wirft's mich oben, bald nach unten hin,
Und nirgends ist ein Halt in diesem Tag.
Sascha hält angstvoll ihren Kopf.
Hört nur, hört, wie sie drüben weiterrast!
Ich fürchte mich, entsetzlich fürcht' ich mich!
Als nahm man einem Aal das Wasser fort,
So haut sie mit dem ganzen Leibe wild.
Da kommt der Zar, gottlob, ich glaube der,
Der kann hier besser als der Leibarzt helfen.
Zar steht unter dem Zeltvorhang, den zwei Kosaken öffnen; mit ihm treten ungefähr zehn Generale ein.
Die Türken, Menschikoff, sie sind wie fortgeblasen.
Er horcht.
Wer ist verrückt geworden dort, ist's Katharina?!
Sie kann sich wohl vor Freude nicht mehr fassen?
Sie lacht und schreit und weint zugleich, wie's scheint.
Zwei Diener öffnen den linken Zeltvorhang, Katharina, gefolgt von ihrem Mohren, erscheint; der Mohr trägt eine silberne Schmucklade im Arm, dieselbe Silberlade, welche ihr Menschikoff damals mit dem Perlenschmuck gegeben hat.
Katharina deutet auf den Fußboden in der Mitte des Zeltes, wohin der Mohr die Lade stellt, worauf er wieder geht; Menschikoff steht in der Nähe; der Zar, Sascha und die Generale im Hintergrund.
Dahin stell' meinen Schatz, daß ihr ihn alle seht,
Ich kann mein Elend nicht mehr still verbergen.
Katharina wirft sich auf die Erde über den Silberkasten, den sie wie einen Menschen streichelt, liebkost, an sich drückt und heftig anredet.
O du, mein Liebling du! Mein Herz, das an dir hängt,
Schreit laut und will noch lauter nach dir rufen
Bist nur ein leerer ausgeleerter Kasten,
Darin mein Schmuck einst und die Juwelen lagen.
Ich stürzte alles um und schüttete es hin,
Ich hab's verschleudert, ach, mein Allerheiligstes.
Sie öffnet den Schmuckkasten.
Jetzt bin ich bettelarm, und ohne Freudenschimmer
Sieht mich der Kasten leer und wie ein Sarg hohl an.
Steh' nicht so tot vor mir, zerspringe doch,
Sieh' mich nicht an, wie's Grab, so unergründlich!
O, Herzgeselle, Schatz, wie arm bin ich,
Wie leer und hoffnungslos siehst du mich an!
Bist wirklich du ein Sarg jetzt nur, darinnen ich
Die Tränen, meine Tränen all' versenke?
Sie weint, über den Kasten gebeugt, und streichelt ihn fast hysterisch.
Sascha zum Zaren
O Majestät, ein Tröpflein nahm sie nur aus dieser Flasche, –
Gleich wie die Hölle rast der Tropfen ihr im Hirn.
Seht nur, sie spricht zu ihrem Silberkasten,
Den ihr Fürst Menschikoff als Morgengabe einst geschenkt,
Darin sie die Juwelen stets bewahrte;
Als wäre er ein Mensch aus Fleisch und Blut,
Spricht sie nicht nur zu ihm, sie küßt ihn gar.
Zar.
Den Leibarzt her, schnell, Menschikoff, den Arzt!
Menschikoff zum Leibarzt, welcher rechts hereinkommt; er zeigt ihm die Flasche.
Da kommt Ihr endlich Arzt! Die Zarin, Herr, –
Aus dieser Flasche trank sie, gebt ihr Gegengift.
Er fährt sich mit der Hand über die Stirn.
Es hol' der Henker diese heiße Luft im Zelt!
Zar zum Leibarzt
Glaubt Ihr, es hat der Türkenschreck der Kaiserin geschadet? –
Ihr zittert, Menschikoff, daß Euch die Orden wackeln.
Katharina schreit von neuem auf und drückt den Kasten fester an sich, als ob sie ihn schützen müßte vor einer unsichtbaren Hand.
Ich gebe meinen Schatz nicht her, ich geb' ihn nicht;
Mein Schatz, bleib' bei mir; ach, sie trennen uns.
Ich leb' nicht ohne dich, du bist mein Eigentum,
Ich geb' dich nicht aus meinen Händen, nie!
Schatz, sieh, ich werde weinen um dich jede Nacht.
Heb' meine Tränen auf, damit sie Ruhe finden.
Sie fällt erschöpft in einen Stuhl und schließt die Augen. Der Leibarzt, der sie verblüfft beobachtet hat, flüstert dem Zaren zu.
Leibarzt.
Die Flasche riecht sehr unverdächtig, Majestät,
Nach Kornbranntwein und schmeckt auch harmlos so.
Zar.
Nach Kornbranntwein? Nur Schnaps riecht aus der Flasche?
Haha, dann laßt mich mit der Kaiserin allein;
Sie ist nur angeheitert und wird zu sich kommen.
Sascha zum Zaren
Sie stand ganz fest auf beiden Beinen, Majestät.
Sie sprach noch vorhin klar und unverwirrt mit mir;
Doch als sie an der Flasche nippte, sprach sie irr.
Es ist ein Zaubertrank; jetzt öffnet sie die Augen.
Sie will zum Fürsten Menschikoff jetzt sprechen.
Katharina stellt den Kasten auf den Tisch und winkt Menschikoff.
Hier, Menschikoff, hier nehmt den Kasten wieder,
Den Ihr mir einstmals gabt als Brautgeschenk.
Zar tritt zu ihr.
Was ist mit dir, sprich, Katharina, erkennst du deinen Peter?
Katharina aufschluchzend, lehnt sich an Peter, welcher sich zu ihr herabbeugt; sie sitzt immer noch am Tisch.
Ach, Peter, wein' mit mir, ich weine ohne Ende,
Ich gab den Schmuck, die Perlen und die Edelsteine fort,
Die großen Ketten, die mein Brautschmuck waren,
Das alles gab ich fort und kann nicht leben!
Sieh' dir den leeren Kasten an, mein Herz zerreißt.
Mein Schatz legt nie mehr sich um meinen Hals,
Liegt nie mehr an der Brust mir hell zur Freude,
Kahl und verödet muß ich jetzt vorm Spiegel stehen,
Seh' mich im Traum noch einsam, daß ich weine!
Zar.
War Gift in dieser Flasche oder Wodka?
Katharina.
Ihr glaubt wohl alle, daß ich trunken bin?
Ich bin's vom Elend, nicht von diesen Tropfen.
Die Flasche trug ich nur im Zelt bei mir des Nachts,
Und wenn ich friere, trink' ich einen Tropfen, –
Damit man nicht den Schnaps, der mich geniert,
Im Glas entdeckt, ließ ich den Tod drauf malen.
Zar.
Und warum wirfst du dich auf den Juwelenkasten
Und weinst, zum Gotterbarmen, ohne Ende,
Und redest irr, als ob ein Mensch dir stirbt?
Wo hast du die Juwelen hingegeben?
Katharina.
Setzt Euch, damit ich's allen schnell erzähle.
Der Zar setzt sich.
Zar.
Neugierig bin ich wie vor einer Schlacht,
Woher der Aufruhr kommt, der uns erschreckt.
Katharina klagend zum Zaren
Ach, daß ich jetzt in Ewigkeit an deiner Seite
Als eine arme Kaiserin hier sitzen muß, –
Das ist der Aufruhr, der nicht austobt mehr.
Zar.
Sag doch, wer hat dich denn so arm gemacht,
Daß du zerschlagen bist am ganzen Leib?
Katharina.
Ach ja, wer hat mich arm gemacht, ja, wer?
Zar.
Sag, wer? Sag, wer dir deinen ganzen Schmuck wegbringen durfte?
Katharina.
Für Euch gab ich mein bestes her von Herzen.
Für Euch gab ich das beste Schmuckstück her.
Für Euch und mich, damit wir hier regieren
Und Zar und Zarin sind im großen Reich.
Zar.
Den Türken gabst du Schmuck und Kronjuwelen?
Den türkschen Großwesier hast du bestochen,
Damit der Waffenstillstand und der Rückzug glückt?
Katharina.
Du gabst mir freie Hand, zu handeln nach Belieben.
Die Schnüre aus Rubinen und Smaragden,
Saphiren und Brillanten gab ich hin.
Die Perlenketten und die goldnen Diademe,
Was mich geschmückt und an mir hell geleuchtet,
Das wie das helle Lächeln war von meinem Lebensglück,
Ach, alles Licht aus meinem Leben gab ich fort.
Zar feierlich
Das hast du als Zariza groß und echt getan,
Nimm meinen Dank und Dank vom ganzen Reich.
Er steht auf und reicht ihr beide Hände.
Katharina.
Ach, Peter, danke nicht, mir nützt kein Dank.
Ich bin den Dank von dir nicht wert,
Und er ersetzt mir niemals den Verlust.
Zar.
Ich kann dir alles wieder reich ersetzen;
Die Berge im Ural sind unerschöpflich,
Um tausend Kaiserinnen würdiglich zu schmücken,
Und alle Berge werden es dir reichlich danken.
Ach, weine nicht und trage über hohe Tat nicht Reue.
Katharina weinend
Ich kann nicht leben ohne diese reichen Ketten,
Die sich wie feste Arme um den Hals mir legten
Und prächtig sich in meine Schultern drückten.
Ich weine; ach, wie bist du herzlos, Peter!
Du willst, daß ich mein Glück ganz tränenlos entbehren soll.
Ach, Peter, den Verlust, den überleb' ich nicht,
Ich hing am Schmuck des Menschikoff wie an der Erde.
Jetzt bin ich losgerissen, und unter mir der Boden ist wie Luft,
Ich fühle mich nicht reich mit goldnen Ketten
Ans Leben und ans Glück der Welt gefesselt.
Zar.
Ein jeglicher Soldat im Lager soll es schnell erfahren,
Was du geopfert für den Zaren, Kaiserin!
Und neue Ketten schaff' ich dir, geduld' dich nur,
Bald findest du an neuem Schmuck dein Lachen wieder.
Der Zar winkt den Generalen und geht an der Spitze der Generale durch den Zeltvorhang rechts hinaus; Menschikoff, am ganzen Körper zitternd, steht unentschlossen, nähert sich rasch, fast unbeholfen Katharina und stößt hervor:
Menschikoff.
O Zarin, jenen Schmuck des Menschikoff,
Den handeln wir, so wahr ich lebe,
Zurück auf diese Schultern, die ihn jetzt entbehren.
Der Schmuck ist nicht zu Luft geworden,
Wenn sich sein Glanz für Zeiten auch verlor.
Menschikoff verbeugt sich beinahe brüsk und folgt zitternd den Generalen.
Sascha bückt sich schnell zu Katharina.
Er zittert, Kaiserin, der Menschikoff, –
Seht nur, er zittert wie ein Zitteraal,
So habt Ihr ihn erschreckt mit dem Gerase.
Katharina steht auf, streckt beide Arme in die Luft, dehnt sich.
Uff, uff, uff, wie muß man schreien in die taube Welt,
Bis man verstanden wird von einem einzigen.
Sascha rasch
Zariza haben nun doch recht behalten:
Die Türken zogen ab, wir werden nicht geprügelt,
Und alle Knöpfe riß ich ganz umsonst vom Kleid;
Nicht einer sagte wahr, die Knöpfe logen alle.
Katharina matt und seufzend
O Sascha, deine Knöpfe sagten alle wahr,
Ich fühle mich am ganzen Leib geprügelt.
Das Schicksal hat die Sehnsucht sich geschickt erschaffen.
Sehnsucht ist eine böse Knute uns, die mürbe haut.
Und, demütig vor Sehnsucht, fühle ich
Mich mehr als Bettelweib denn Kaiserin von Rußland heute.
Ich bettelte mit allen Künsten hier
Um meinen Liebsten, der mich fast vergessen.
Sie wirft die Hände über den Tisch und legt den Kopf schluchzend in die Hände.
Vorhang
Katharina, Gemahlin Peters I. | |
Fürst Menschikoff | |
Prinzessin Sascha | |
Ein französischer Graf |
Dritter Akt: Im Boudoir der Kaiserin Katharina im Winter 1720 in St. Petersburg
Katharina. In diesem Akt zeigt die Kaiserin den vollen Ausbruch ihrer Leidenschaft zu Menschikoff offen. Sie hat alle ihre Liebesgefühle für ihn bewußter, wie Bilder, vor sich. Ihr Gang ist beherrscht und ihr Wesen vollständig in ihre Stellung als Kaiserin eingelebt. Sie ist nur etwas müder in ihrer Lebenslust, eingewöhnt in höfische Sitte und höfische Beherrschung, und nur nicht eingelebt in die Entsagung ihrer Liebe zu Menschikoff.
Sie trägt ein weißes, bauschiges Brokatkleid mit eingewebten großen weißen und silbernen Blumen. Mit viel Spitzen an den Ärmeln. Mit silbernem Mieder. Eine lose, russische Jacke ohne Ärmel aus mauvefarbenem Samt mit Hermelinbesatz darüber. In den Samt sind silberne Blumensträuße reich gestickt. Sie trägt viele Perlenketten, viel grüne Smaragdenketten.
Menschikoff in reicher Bojarentracht. Das Haar an den Schläfen in Zöpfe geflochten.
Er ist verdüstert, lacht niemals. Ist eisig ironisch und in sich gekehrt.
Sascha in veilchenfarben und weiß gestreiftem Kleid mit korallenrotem Mieder, nicht mehr als Närrin, sondern als Freundin der Kaiserin in Gesellschaftstoilette. Trägt rot, blau und weiße Bänder und ein kleines, goldenes Füllhorn im Haar, aus dem künstliche Blumen fallen.
Der französische Graf in grausilbernem, französischem Brokatfrack mit eingewebten bunten Blumensträußen, grüner Weste und himbeerfarbenem kurzem Beinkleid. Er ist nicht übertrieben geckig, aber süßlich hübsch und vornehm höflich und lebhaft.
Ein Boudoir der Kaiserin. Das Boudoir ist auf rosa und weiß gestimmt. Die Möbelbezüge rosa. An den Wänden viel weißer Stuckschmuck. Die Tische sind silbern mit blauen Platten aus Lapislazuli. Ein Kamin aus grünem Malachitstein mit großem Feuer darin ist an der linken Seitenwand. Ein großer Spiegel in grünem Malachitrahmen darüber. Ein Stück der Kaminecke ist abgeschlagen.
Die Flügeltüren sind aus getriebener Silberbronze. Eine Tür im Hintergrund. Eine Tür links vorn. Eine Tür rechts in der Mitte. Das Zimmer hat nur ein langes Fenster ohne Vorhänge im Hintergrund rechts.
In der Mitte des Zimmers ein Sofa schräg. Daneben ein Sessel gegen den Kamin gerichtet, als Platz, um vor dem Feuer zu sitzen. Ein grüner Spieltisch rechts, beinah in der Mitte. Vier Stühle darum. Zwei Leuchter mit brennenden Kerzen auf dem Spieltisch. Reiche Kerzenleuchter brennen auf dem Kamin und auf Nebentischen.
Im Hintergrund in der Fensterecke ein prächtiges goldenes Heiligenbild eingerahmt. Ein Gebetschemel davor; mehrere rote kleine Ampellichte brennen vor dem Heiligenbild in Silbergefäßen.
Mondschein vor dem Fenster.
Katharina, Menschikoff, ein französischer Graf und Sascha sitzen um einen Spieltisch.
Katharina.
Ei, Graf, ein Taschentuch nennt Ihr das kleine Tuch in Frankreich heutzutage!
Ein Taschentuch? Von dieser neuen Mode hört' ich noch nichts bei uns in Rußland.
In solche Tüchlein steckt der Hof jetzt in Paris die Nase, sagtet Ihr?
Wir schneuzen uns gut russisch in die Hand.
Umständlich, ach, und feierlich legt Ihr sogar die Nase in ein Tuch?
Gleichwie man Kindlein frische Windeln reicht.
Man könnt' ein Taschentuch auch Nasenwindel nennen!
Graf.
Man nennt's noch vielerlei; mal Schnupftuch, Schneuztuch, Majestät,
Sacktuch und Fächeltuch; weil man, wird es zu heiß, sich Kühlung damit fächelt.
Paradetuch: man kokettiert damit und spielt Verstecken;
Schmolltuch, wenn Herrn und Damen verliebt dahinter schmollen.
Auch Tränentüchlein nennt man es; man tupft es an die Augen
Und drückt sein Schmachten aus und sein Verschmachten,
Wenn Angebetete uns auf die Folter spannen.
Der Graf begleitet die Beschreibungen der Verwendung des Taschentuches mit den dazu gehörigen affektierten Gesten.
Katharina.
Ach, drückt das Tüchlein doch nochmal dicht an die Augen!
Verrückt und lustig sieht das aus, wenn große Männer weinen wollen.
Sascha.
Macht, bitte, noch einmal das Schneuzen vor, das war zu hübsch zu sehen.
Graf tupft erst das Taschentuch an die Augen und affektiert dann das Schneuzen.
Es sprengt mir mein Gehirn. Ich tat mein Möglichstes bereits heute Abend schon.
Sascha entzückt lachend, klatscht in die Hände.
Nein, reizend unanständig ist der Handgriff mit dem Tuch,
Als wollt' sich einer gleich mit seiner Nase in einen Weiberunterrock verirren.
Katharina.
Das Schneuzen ist nicht halb so hübsch als wie das Weinen.
Ach, Mode, die erfindet in Paris stets Spielereien gegen Langeweile.
Graf.
Die Mode ist uns heilig, wie Heiligenbilder in den Zimmerecken den Russen heilig sind.
Katharina.
Ja, was aus Frankreich kommt, das scheint uns stets verlockend.
Sascha.
Ihr selbst, Herr Graf, seid wie ein Äffchen possierlich und so wunderlich.
Graf nickt Sascha spöttisch zu.
Ich dank' Prinzessin Sascha für die Ehre, ein menschenähnlich Tier zu sein.
Katharina beschwichtigend
Prinzessin Sascha selber nenn ich Äffin,
Weil sie gescheit, gewandt, erfinderisch und sehr verliebt sein kann.
Sascha.
Ja, Assen lieben heftiger und ungeduldiger als die Menschen.
Graf zur Zarin
Ei, wenn Ihr diese Meinung teilt, Zariza,
So bin ich gerne hier am Hof ein Äffchen unter Euern Augen.
Katharina.
Wir Russen lieben's, offene Bosheit hinzureden,
Konträr den Deutschen, die mit Wahrheit protzen.
Sascha.
Und eitel sind wir gar nicht, wie ihr Herrn Franzosen.
Katharina.
Und Etikette ist uns lästig, so wie der Maulkorb einem Hund.
Viel glatter als das Eis der Newa, sagt man,
Ist das Parkett bei dem Franzosenkönig.
Als Peter einst und ich im Ausland waren,
Hat es mich sehr geniert, hin nach Paris zu gehen.
Die Freiheit auf den Reisen war mir lieber
Als Euer faxiges Geduldspiel Etikette.
Vielleicht an Euerm Arm, Herr Graf, hätt' ich mich zum pariser Hof gewagt.
Ihr seid geschmeidig wie ein Windhund, Herr.
Graf.
Ich würd' Euch sicher vorsichtig dort führen, o Zariza,
Auch wenn die Böden Spiegelscheiben wären.
Sascha.
Zeremoniös sind sehr die Herrn Franzosen,
Doch noch viel komischer im ewigen Ernst die Deutschen sind.
Wißt Ihr, Zariza, noch, wie wir auf einem Spreekahn in Berlin,
In Montbijou damals, den Einzug bei dem Preußenkönig hatten
Und jede Eurer Damen ein Wickelkind statt eines Schoßhunds trug,
So daß die Preußenkönigin erstaunend fragte, wie all die Kindlein zu den Damen kämen.
Die zimperliche Gräfin von Bayreuth war einer Ohnmacht nah am Ufer,
Als jede Dame auf die Frage der Königin
Als Antwort sagt': Dies Kind hat seine Majestät der Zar
Die Ehre sich gegeben mir zu machen.
Und dreißig Damen zeigten dreißig Kindlein und sagten ihren Spruch.
Ich sag' Euch, Graf, es war ein lustig Defilieren von dreißig wohlgenährten Wickelkindern!
Katharina.
Wir führten gern die Gräfin von Bayreuth an ihrer Gouvernantennase irr.
Man hatte uns erzählt, sie führe peinlich Tagebuch dort in Berlin.
Wir arrangierten die Parade mit den Wickelkindern,
Damit ihr zimperlicher deutscher Gänsekiel
Beim Niederschreiben sich von Grund aus sträuben sollte.
Bei den Zivilisierten hatten wir, Sascha und ich, recht boshaft frohe Stunden.
Im Ausland wird ein jeder Bär zahm mit dem Nasenring geboren,
Wir lernen hier in Rußland nicht den Walzer und's Gehorchen nie;
Uns fehlt der angeborene Nasenring, nicht wahr, Herr Feldmarschall?
Sie gibt dem ganz in sich vertieften Menschikoff, der nervös mit den Karten spielte und Kartenhäuser baute, einen Puff mit dem Ellenbogen, daß seine Kartenhäuser umfallen.
Menschikoff.
Verzeiht, Zariza, wenn ich nicht der gleichen Meinung bin!
Ich glaub', den Nasenring kann man auch später noch erhalten;
Und später angeschmiedet, ist er so gut wie angewachsen,
Man wird damit sogar begraben, war man ein Tanzbär mal.
Katharina.
Ihr seid den ganzen Abend knurrend aufgelegt gewesen, Fürst,
Heut' nie zur gleichen Meinung zu bewegen,
Ihr sitzt vertrutzt da und voll Widerspruch;
Seid Ihr verschnupft, Fürst Menschikoff, heut Abend?
Katharina muß niesen.
Menschikoff.
Zum allerhöchsten Wohlsein, Majestät.
Ich glaub', Zariza selber sind erkältet.
Graf reicht der Zarin ein Etui mit kleinen Taschentüchern.
Ein nagelneues Tuch. Darf ich's aus dem Etui
Von meinem kleinen Vorrat Majestät hier reichen?
Katharina nimmt ein Rosatuch, führt es an die Nase und fährt mit der Nase zurück.
Pfui, welch ein greller Wohlgeruch ist an dem rosa Lappen dran!
Graf.
So wie es jetzt die heilige Mode uns in Paris befiehlt.
Man tupft sich scharfen Duft auf solch ein Tuch,
Um mit den Nasen anderer die Freundschaft schnell zu schließen.
Doch wählt ein anderes, Zariza; dies blaue da hat sanfteren Geruch.
Die Zarin tauscht ihr rosa Tuch gegen ein blaues ein; der Graf spielt von dem Augenblick an mit dem rosa Tuch, weil es die Zarin in der Hand gehabt hat.
Menschikoff etwas bärbeißig
Macht man sich künstlich jetzt beliebt in Frankreich
Durch Kunstgeruch, so, mein' ich, darf man nicht
Mit solchem süßen Stank zu uns nach Rußland kommen.
Kräftige, russische Luft bringt alle Süßgerüche um,
Juchtne Soldatenstiefel und Wodka sind die Hofluft hier beim Zaren.
Katharina.
Er riecht nicht allzu schlecht, französischer Duft;
Er riecht doch immer sehr nach Liebenswürdigkeit.
Sie niest wieder.
Menschikoff.
Die Liebenswürdigkeit, die wie der Salmiak stinkt
Und Eure Nase, Kaiserin, zum Niesen reizt,
Die habt Ihr niemals sonst vertragen.
Katharina gähnt.
Ach, ich bin müde, Menschikoff, schon allzu müde.
Sagt, wieviel ist die Uhr nach diesem langen Abend,
Wo ich im Kartenspiel nur immerfort verlor an Euch?
Nach soviel Zeitverlust ist mir der Schlaf willkommen.
Menschikoff.
's ist nicht zu spät; zwei Uhr ist's, Kaiserin,
Doch will ich gleich im Schlosse Ruh' befehlen.
Wir wollen auch nicht länger stören hier,
Wenn schlafen not tut nach versäumter Zeit.
Katharina.
Ach, laßt die Unruh hier im Schloß zur Nacht, die hab' ich gern.
Das Liedersingen aus Gesindezimmern und den Soldatenstuben
Zerstreut mich oft die langen, öden Nächte.
Ich bin, seit ich allein, seit Peter in den Kaukasus gezogen,
Nicht mehr vom Lärm verwöhnt, entbehre den Spektakel.
Seht, Graf, die Ecke dort am marmornen Kamin
Schlug Peter mit der bloßen Faust vom Simse ab.
Von seiner Stimme bricht das Newaeis in Stücke.
Er ist ein Lärmbold, Tag und Nacht, ohn' Ende.
Sascha.
Oft hab' ich hier die ganze Nacht jetzt künstlich lärmen müssen,
Weil Majestät nicht schlafen kann, wenn's allzu ruhvoll ist.
Graf.
Ei, haben Majestät es nie noch mit magnetischer Kraft probiert?
Mit starkem Magnetismus schläfert man oft leicht den andern ein.
Menschikoff.
Es ist das wieder eine letzte Neuheit aus Paris?
Graf.
O, Zariza, wär' ich Ihr Offizier du jour, nur eine Nacht,
Und ließ man mich in diesem Nebenzimmer wachen,
Ich wollte mich getrauen, magnetisch durch verschloss'ne Türen stark zu wirken,
Die Ruh' auf Euer schlaflos' Aug' zu breiten.
Ich hab' unwiderstehliche magnetische Kräfte zur Verfügung,
Und gern in angenehme Träume getrau' ich mich Zariza zu versenken.
Katharina tut scheinbar überrascht.
Wahrhaftig, könnt Ihr das durch Magnetismuskraft, –
Das will ich mir noch einmal überdenken.
Menschikoff.
Daß man durch Türen, durch verschlossene Türen, in Frankreich einer hin zum andern wirkt,
Das glaube ich in Rußland auch, Herr Graf, nur glaub' ich's nicht im Hause unseres Zaren.
Die Türen sind hier trutzig wie die Festungswälle,
Solide und gewichtig liegen sie im Mauerwerk
Und fallen zu, gleich wie ein schweres Beil auf einen harten Block.
Ich möchte keinem raten, vorwitzig seinen Kopf hier durchzuschieben,
Solch eine Tür schlägt leicht den Nacken ab.
Katharina zum Grafen
Singt jetzt noch ein pariser Lied auf Eurer Mandoline, Graf;
Schwerfällig sind die russischen Lieder hier am Hof
Und wachsen sich wie die Gewohnheit gern zu plumpen Höckern aus;
Zu würdevoll, zu rührend, zu melancholisch und langweilig auch
Sind alle Lieder unserer Mandolinen,
So gravitätisch wie der Feldmarschall heut' Abend hier;
Er tadelt jede Spielerei der Laune.
Menschikoff.
Ich tadle nie als Diplomat ein wetterwendisches Programm.
Die Spielereien sind der Zarin noch niemals ernst gewesen,
Und für den Ernstfall nur bin ich als Russe boshaft.
Menschikoff nimmt, ehe der Graf danach greiffen kann, die Mandoline, die auf einem Sessel liegt, und hält sie, darauf klimpernd, an die Brust.
Sascha.
In Euren Händen, Feldmarschall, ist diese Mandoline gleichwie ein Singvöglein,
Das in den Zähnen einer Bulldogg' steckt.
Ist das nicht schön gesagt und gründlich boshaft?
Menschikoff.
Die Frauen üben Bosheit stets realer,
Wenn sie sich vor dem Manne wehren müssen.
Katharina.
Ich finde, Menschikoff, Ihr werdet heute Abend
Von Stund' zu Stund' um Jahre älter
Und ungenießbar ganz wie ein gekränkter Greis.
Indessen der französische Monsieur bei Frauen sich verjüngt,
Je länger ich ihn übern Tisch betrachte.
Graf.
Ein Russenfeldmarschall wird nur im Schlachtfeld jünger,
Und wir Franzosen, wir verjüngen am liebsten uns in dem Salon,
Wie Majestät so treffend hier bemerkten.
Sascha zu Menschikoff
Wollt Ihr denn selbst ein Lied zum besten geben,
Herr Feldmarschall, Weil Ihr die Mandoline an Euch drückt?
Katharina.
Das wäre heut' zum ersten Mal seit langer Zeit,
Daß ich den Fürsten singen hören würde.
Menschikoff zur Zariza
Ich singe mit Verlaub, ein Lied für den Monsieur.
Dann aber muß ich Euch um Urlaub bitten,
Weil mich zur Nacht Depeschen noch erwarten.
Katharina warm
Ja, singt mal wieder, Menschikoff, singt wieder mal von Herzen
Und meinetwegen dann geht heim zu den Depeschen.
Sascha heimlich zum Grafen
Graf, haben's alle Diplomaten des Nachts in Frankreich auch so eilig
Und sprechen von Depeschen bei den Damen?
Menschikoff stellt sich in den Vordergrund und singt zur Mandoline.
Ein jeder Degen will einmal in warmem Blut gewaschen sein;
Die Diplomaten und Verliebten verstehen sich mit List allein.
Doch dort, wo zwei im Herz versteckt und wortlos umeinander frein,
Da steck' als dritter nicht den Kopf als Unwillkommener herein.
Denn wie die Hand im Handschuh drin nicht immer unverletzbar ist,
Steckst locker du in eigener Haut. Gar leicht der Tod in Seelenruh'
Den Leib dir von den Knochen frißt.
Katharina wiederholt nachdenklich für sich.
Denn wie die Hand im Handschuh drin nicht immer unverletzbar ist,
Steckst locker du in eigener Haut. Gar leicht der Tod mit Seelenruh'
Den Leib dir von den Knochen frißt.
Sascha.
Uhu, zitiert Fürst Menschikoff das schauerliche Tier, den Tod.
Graf.
Bei dem Gedanken an den Tod schmeckt Wodka süffiger den Russen,
Und man vertreibt sich Wünsche gern, die wie die sauren Trauben sind,
Die höher hängen, als der Hals gewachsen;
Wie in der Fabel des Herrn La Fontaine,
Wo hübsch der Fuchs vom Weinstock schleicht.
Menschikoff.
Es war ein Lied, wie's die Soldaten singen,
Wenn's ihnen leichter nicht vom Herzen kommt.
Sascha.
Ihr habt's zu gut gemeint mit Eurem Liede, Feldmarschall,
Habt alle Saiten abgerissen von dem französischen Instrument.
Katharina zum Grafen
Er reißt im Ärger gern die Welt entzwei!
Nehmt Eure Mandolin' ein andermal in Acht vor diesem Bären.
Sascha.
Zu eifrig sind die Hände mancher Spieler, die's allzu eilig haben
Und heim zu den Depeschen müssen, Kaiserin.
Menschikoff zum Grafen
Französische Mandolinensaiten, die sind wie Spinnwebfaden so empfindlich.
Auch Euer rosa Taschentuch wär' nichts, Monsieur, für mich gewesen,
Es kriegte Löcher, faßte ich's nur an.
Darf ich mal sehen, ob ein Taschentuch sich anfühlt, wie es aussieht, Graf?
Katharina hat, während Menschikoff das Lied vortrug, ihr blaues Taschentuch mit dem rosa Taschentuch vertauscht und dieses zu sich in ihre Corsage gesteckt. Sie macht dieses Manöver halb heimlich, halb auffallend, um Menschikoff eifersüchtig zu stimmen, indessen der Graf entzückt ist und glaubt, die Aufmerksamkeit gelte ihm.
Graf antwortet Menschikoff ziemlich bestürzt.
Ich hab' das Tuch verloren, glaube ich.
Menschikoff ironisch lächelnd.
O nein, ich glaub', die Kaiserin, sie hat es für Euch aufgehoben.
Katharina greift unwillkürlich an die Brust und zieht das rosa Tuch heraus.
Ei, Menschikoff, seid Ihr wohl eifersüchtig?
Menschikoff.
Nein, nur erstaunt bin ich, Zariza.
Denn Ihr bewahrt sonst tote Dinge an Eurem Herzen niemals auf.
Katharina.
Ihr könntet mir mit Euern Augen besser dienen,
Als mich bei Spielereien zu belauschen.
Menschikoff.
Kann ich Zariza besser dienen, als wenn ich meine Augen offen halte als Diplomat,
Und fremdes Land beargwöhne.
Zum Beispiel Frankreich, Preußen, England, Osterreich und . . . . .
Katharina gähnt.
Und welches Land dann noch? Und . . . . .
Menschikoff.
Und nochmals Frankreich, denk' ich.
Graf.
Ach, welche Ehre, Fürst, daß die Franzosen doppelt gelten!
Menschikoff.
Die Menschen, die man doppelt sieht, entgehn uns nicht.
Sascha.
Daß alle hier in Rußland doppelt sehen,
Das kommt vom Wodka hier, den wir mit Portwein mischen.
Katharina.
Und davon spricht die Zunge doppelt
Bei manchen Russen, die sich schnell erbosen.
Graf höhnisch zu Menschikoff
Manch einer fühlt sich wichtiger als Doppelnull.
Menschikoff ist an das Fenster getreten und sieht zum Mond.
Sascha deutet auf Menschikoff und sagt halblaut.
Man schmachtet nach dem Mond wie nach den sauren Trauben.
Menschikoff dreht sich am Fenster um.
Mir war, als hört ich einen Hahn im Küchenhause drunten krähen,
Als übt sich einer hier im Schloß noch laut, nicht ahnend,
Daß man ihn vor Sonnaufgang noch erwürgen könnte.
Sascha.
Pfui! Morgen eß ich keinen Hahnenbraten!
Ach, Fürst, Ihr könnt das Frühstück uns verleiden!
Delikatesse scheint der Tod Euch auf der Zunge.
Zu oft sprecht Ihr vom Tod in dieser Nacht.
Katharina.
Nicht bloß das Frühstück, Sascha, auch Musik
Hat mir der Feldmarschall für heut' verleidet.
Ich mag auch kein französisch Lied mehr hören;
Hier, Graf, habt Ihr das Taschentuch zurück.
Ich mocht' wohl stärkeren Duft der Liebenswürdigkeit,
Daß ich es in Gedanken zu mir steckte.
Ich glaub auch nicht, daß ich viel schlafe diese Nacht.
Wir könnten's drum mit Magnetismus mal versuchen.
Ich möchte, Graf, daß Ihr im Nebenzimmer wacht.
Graf.
O, welch Vertrauen, Majestät! Ich danke Euch.
Menschikoff zu Katharina
Ihr schlaft nicht gut, seitdem der Zar verreist?
Katharina überhört ihn.
Jawohl, ich will's; im Zimmer hinter jener Türe drüben
Wacht heut der Graf! Es ist mein Wille, Menschikoff.
Menschikoff höhnisch
O Kaiserin, ich wagte nie im Weg zu steh'n, wenn Ihr befehlt.
Von allen Wächtern wacht hier keiner besser, als den sich Majestät gedacht.
Versuchen Majestät es mal mit Magnetismus!
Katharina.
Mich reizt das Neue stets an jedem Augenblick;
Sonst wirkt das Leben wie ein alter Gaul,
Der schon den Weg zum Stalle kennt.
Hat man die großen Leidenschaften zum alten Eisen werfen müssen,
Nützt man sein Leben ab an Augenblicken.
Menschikoff.
Und Majestät dressieren sich die Augenblicke!
Sie müssen nach der Pfeife tanzen, wie Bären an dem Nasenring.
Ich warte gern mit Muße im Gewühl der Zeit.
Die Lust am Augenblick hab ich schon längst verloren.
Ich warte in der Ebbe auf die große Flut,
Die Flut, die einmal wiederkehren muß.
Die Flut ist niemals ausgeblieben, sie kommt nur nicht im Augenblick.
Die Zeit läßt sich nicht wie ein Aff' dressieren.
Und gegen Zeit nimmt man Geduld; Geduld ist eine Medizin.
Katharina heftig
Geduld, Geduld! Sprecht von Geduld zum Wachslicht auf den Leuchtern!
Es wird Euch nicht begreifen, abbrennt es und verlöscht.
Uns Menschen ist wie einer Kerze die Lebensdauer angeboren.
Wir brennen weg, wir sehen es im Spiegel, daß wir's tun.
Geduld, Geduld! Ich haß die Worte, die nicht Fisch noch Fleisch.
Geduld ist körperlos, ist ohne Anfang, ohne Ende,
Ein Schatten, der sich blutlos unterm Mond bewegt;
Ich hasse die Geduld! Ich bin kein Diplomat, den die Geduld gezeugt!
Mich tötet die Geduld . . . .! Gut Nacht, Ihr Herrn!
Sie dreht heftig, jede Widerrede abweisend, dem Tisch den Rücken und geht zu einem Kaminspiegel, ihren Halsschmuck zu ordnen. Menschikoff verbeugt sich tief und geht ernst und gewichtig, ohne sich umzusehen, durch die Türe links im Hintergrund.
Sascha zum Grafen, welcher gleichfalls gehen will. Sie deutet über ihre Schultern auf die Kaiserin.
Sie meint die Ungeduld und stellt die Dinge gerne auf den Kopf,
Er meint Geduld und stellt gern ihrer Ungeduld ein Bein.
So quälen beide sich seit Jahren, Graf.
Graf.
O, dieser Menschikoff, der seine Leidenschaft zu Grabe trägt,
Verdient, daß man sich über ihn belustigt.
Der Graf will sich verabschieden.
Sascha.
Der Weg zum Wachtgemach ist hier,
Wo Sie das Bett dicht bei der Schwelle finden.
Sie schnarchen hoffentlich nicht allzu laut?
Katharina wendet sich am Spiegel um, zum Grafen
Ich schnarche nämlich, Graf, und knirsche mit den Zähnen.
Graf.
Glauben Zariza, das könnt' mich vertreiben,
Wenn hier zur Wach' mein Bett dicht an der Türe steht?
Katharina.
Ei, schnarchen Sie so fest, daß nichts Sie wecken kann!
Ich dacht', Sie wachen, Graf; ich rate Ihnen,
Bewachen Sie sich selbst, und schlafen Sie nicht, Graf,
Heut' Abend hat manch' Ding mich nachdenklich gestimmt.
Graf.
Ich schlafe niemals in der Nähe von schönen Damen ein.
Der Mond, der an dem Fenster steht, zudringlich, wie er immer ist,
Der läßt wie meine Augen nicht von seinen wachen Träumen los.
Der Mond, glaubt mir, und ich, wir werden uns versteh'n, Zariza.
Sascha.
Ja, starren Sie den Mond nur lange an,
Er ist wie eine silberne Medaille, Graf,
Und hier in Rußland sagen sich die Leute,
Das Bild der Kaiserin sei aus den Mond geprägt.
Wer lang ihn ansieht, dem kann gar Zariza nachts im Mond erscheinen.
Katharina.
Du Närrin, du, der Graf ist ja kein Russe.
Er wird die Kaiserin im Monde niemals sehen,
Ist nicht nach Rußland hergekommen,
Um mich im Monde aufzusuchen.
Graf vor Katharina
Nein, nicht im Mond such' ich die Kaiserin,
Wenn ich direkt in ihre Züge wie in die große Sonne sehe.
Sascha.
Das habt Ihr recht und zuckersüß französisch hergesagt,
Wie ich's nie fertig bring', wenn ich die Wahrheit rede.
Katharina.
Gut' Nacht, Herr Graf, und träumt mit offnen Augen.
Hol' mir doch meinen Zobelpelz, ich friere, Sascha.
Sascha läuft nach der Tür links und dreht sich unterwegs um.
Verpaßt's nicht, Graf, wenn Euch die Sonn' aufgeht!
Sie geht hinaus.
Graf stürzt vor der Kaiserin sofort auf die Kniee.
O, hohe, schönste Frau!
Verzeiht, Ihr gabt mir Mut um Mut an diesem Abend.
Darf ich Euch danken für so viele Gunst,
Daß Ihr mich ausgezeichnet und ich wachen darf,
Daß Ihr das Taschentuch mit meinem tauschtet?
Ich werd' dies Tuch in meinem Sarge einst
Noch auf mein Herz mir legen lassen,
Als Ehrenzeichen schmück' es noch den Toten
Katharina.
Um Gotteswillen, Graf, sprecht nicht von Sarg und Toten!
Steht auf, mir fällt was ein, noch eine Andacht hab' ich abzuhalten.
Mein Mann starb heut' vor vielen Jahren, mein erster,
Er, der Dragoner war; heut' ist der Jahrestag von seinem Tod.
Ich muß noch vor den Heiligenbildern knieen
sie deutet auf die Ecke, wo die Heiligenbilder stehen
Und beten erst . . . . . .
Graf sich erhebend
Erst beten, Majestät, und dann?
Katharina.
Dann wachen, Graf; Sie wissen, daß ich wache.
Ich habe schon seit langem nicht Geduld,
In einen Schlaf wie andere einzuschlafen.
Graf.
Der Magnetismus, Majestät, wenn Sie an Magnetismus glauben,
Der kann, wo Schlaf fehlt, Wunder wirken.
Katharina.
Das Wichtigste hatt' ich vergessen!
Noch drei Sekunden setzen wir uns hier
Und sprechen noch ein Wort vom Magnetismus.
Gibt's denn ein Ding, das ernst zu nehmen ist?
Katharina hat sich gesetzt, der Graf hat sich ebenfalls auf einen Stuhl in ihrer Nähe niedergelassen.
Graf.
Die kleinen Füße, Kaiserin, die vorschaun unterm Kleidersaum,
Die sind wohl ernst zu nehmen, denk' ich, wenn sie sich her zu mir bewegen.
Katharina.
Sind Füße denn verantwortlich,
Wenn sie den Weg einmal verfehlen?
Graf.
Sie sprechen, wie die Pythia sprach auf ihrem Dreifuß, Majestät,
Die gern Verfängliches in Griechenland in Bildern redete.
Die blieb dabei unnahbar, tief verborgen
In Nebeln, die aus einem Abgrund stiegen.
Katharina.
Französische leichte Kleider tragen wir am Hof,
Doch schweres russisches Blut darunter, das herzlos ist. –
Nun weiter jetzt vom Magnetismus, Graf!
Graf.
Das Mächtigste ist er im Leben.
Der Magnetismus lockt die Menschen.
Die Seelen müssen alle ihm gehorchen;
Er führt trotz Widerstand die Menschen näher.
Ein unsichtbares Fluidum ist seine Kraft,
Verbindet zwei er wie ein Adernetz.
Katharina ganz in Gedanken, spricht wie in somnambulen Zustand. Ihre Augen sehen vergeistigt geradeaus.
Und bindet zwei er wie ein Adernetz, –
Durchsichtig sind die Mauern dann den Menschen!
Dann sind der Berge keine mehr im Wege!
Dann schwebst du lautlos wie der Schnee im Himmel!
Dann reden Steine wie der Liebste zärtlich!
Dann bist du nie allein und nie verlassen!
Dann fühlst du Kälte nicht und keine Wärme und keinen Frieden mehr!
Dann bist du ruhlos, ruhelos gleich den Kometen!
Dann fällt ein brennend Gift in jeden Trank!
Dann knirschen dir die Zähne Tag und Nacht!
Dann wird die Stunde dir zum Scheiterhaufen,
Die dich verzehrt und nichts als Asche läßt!
Und die Gedanken stürzen ein wie Kartenhäuser!
Dann wehrst du dich mit Tücken wie die Katzen!
Dann ringelst du dich wie die Schlangen lautlos
Und stürzt ins Dunkel hin wie Fledermäuse!
Dann bist du wie ein Acker, der voll Würmer,
Die sich gebären und verenden müssen,
Die von dem Dasein nur die Zuckung kennen
Und, wenn ein Messer sie in Teile trennt,
Dann doch noch weiter leben zweigeteilt!
Graf weiter kokettierend, ohne den Ernst des Augenblicks zu bemessen
Vorzüglich, Majestät, vorzüglich!
Die Mystik kleidet ausgezeichnet im Mondschein hier.
Der Mond, paßt er nicht prächtig hier zur Pose
Und zu dem Thema ebenso?!
Katharina fährt wütend in die Höhe und schleudert im höchsten Zorn und wie von Sinnen zum Grafen ihre Worte hin.
Mensch, hüte dich, ich kann dich rädern lassen, –
Dies Thema war mein Herz, das durch das Zimmer ging!
Graf steht gleichfalls verblüfft auf und will beschwichtigen.
Ich sah nur erst das Bild der Kaiserin im Monde
Und war noch nicht auf Euer Herz gefaßt.
Katharina sieht über ihre Schulter nach der Tür.
Sascha, Sascha, wo bleibt mein Pelz denn, Sascha!
Sascha kommt mit dem Pelz hereingelaufen.
Hier, Majestät, ich wußte nicht, ob ich Euch unterbrechen durfte
Und eine Zwiesprach stören, die Ihr hieltet?!
Katharina spricht zu Sascha und wendet dem Grafen den Rücken und läßt sich den Pelz umgeben.
Führt diesen Gecken fort, ich hasse ihn!
Er hat mich nackt gesehen vom Kopfe bis zum Fuß
Und nannte meines Herzens Nacktheit – Pose!
Sascha zum Grafen, der verschüchtert dasteht
Ihr habt die Zarin nur als Mondbild aufgefaßt,
Sie ging indessen um als Sonnenfinsternis.
Graf demütig zu Katharina
Ich weiß nicht, ob die Stunde hier mich lieben oder hassen will,
Ob sie mich leben oder sterben sehen möchte.
Katharina kurz
Geht, geht, wir beten hier für einen Toten!
Der Graf verbeugt sich und geht lautlos, von Sascha bis zur Türe begleitet, rechts hinaus. Sascha schließt hinter ihm die Tür und kommt zur Zarin zurückgelaufen, welche in tiefe Gedanken ins Kaminfeuer starrt.
Sascha.
Warum ließt Ihr denn das Französlein laufen?
Zum Schäferstündchen schien er wie geschaffen;
Nicht, Majestät?
Katharina.
Ich hab' nicht die Sekunden hier beschworen,
Um eine Schäferstund' zu arrangieren.
Sie sind zu fix, wie Spinnen, die Franzosen,
Wie Blitze, die nie Zeit zum Fühlen haben.
Jetzt wird er's büßen müssen mit dem Leben,
Daß er sich aufwarf zum Rivalen Menschikoffs,
Der Graf, der arme Geck.
Sascha hastig und geheimnisvoll
Ihr schicktet mich doch fort, den Pelz zu holen,
Da sah ich drunten übern Schnee sechs Kerle schleichen,
Die trugen eine Leiter um das Schloß.
Katharina glücklich und überrascht
Sahst du das wirklich, Sascha?
Sascha.
Glaubt Ihr, daß Menschikoff den Grafen kapern will?
Habt Ihr deshalb den Grafen hier behalten
Aus Mitleid, um den Armen schnell zu retten?
Katharina.
Ich spielte mit dem Taschentuch des Grafen nur, um Menschikoff zu reizen,
Zu fühlen, ob er sich von mir noch reizen läßt.
Der Graf jedoch, er nahm es allzu ernstlich.
Sascha.
Umsonst hat Menschikoff nicht von dem Tod gesungen,
Und nicht umsonst vom Hähnlein laut gesprochen,
Das man vor Morgen noch erwürgen könnte.
Katharina.
Ich wollt' den Graf hinhalten hier zum Morgen,
Bis dann vielleicht dem Menschikoff der Zorn verraucht.
Durch Plaudern und Gespräch dacht' ich's zu können,
Doch weit fort war mein Herz und folgte nicht der Zeit.
Ich konnte nur von meinem Herzen zu mir sprechen.
Mein Herz, das nachlief meinem Menschikoff und wissen wollte,
Ob wohl der Fürst, verschlagen wie ein Drache,
Die Fenster drunten in dem Schnee umkreist,
Dem Grafen eifersüchtige Flüche sendet . . .
Sascha Ich fürchte, der Franzose wird, Zariza,
Jetzt nicht den Hunger mehr zur Morgensupp' erleben.
Der Menschikoff ging Galle speiend und wie ein Henker finster fort von hier.
Der leichte, offene französische Graf!
Und unergründlich unser eigensinniger Fürst daneben!
Welch himmelweiter Unterschied der Männer!
Ich liebe mehr den fixen Herrn Franzosen,
Dem Menschikoff seid nur von allen Frauen,
Zariza, Ihr allein gewachsen..
Katharina setzt sich vor dem Kamin nieder.
Hu, wie mich friert, auch noch im dicken Pelz.
Knie dich vors Heiligenbild und bete laut!
Ich sagte, daß ich beten wollt' für meinen ersten Mann.
Er ahnt nicht, daß ich seiner Seele dabei gedacht, der arme Graf!
Ermordet Menschikoff ihn heute Nacht,
Dann muß ich jubeln, weil der Mord der Liebe gilt!
Dann weiß ich, daß der Unergründliche mich unergründlich weiter liebt;
Und eifersüchtig mordet er für mich wie ein erboster Gott.
Sascha.
Der arme Graf sitzt ahnungslos da drüben.
Es sitzt im Mondschein schmachtend das Französlein,
Nicht mal ein Küßlein ward ihm hier bescheert.
Ich will doch gleich zu allen Heiligen beten,
Daß ihm das Himmelreich ersetzen soll,
Was heute Nacht das Leben an ihm frevelt.
Katharina.
Lösch' alle Kerzen aus, laß keinen Leuchter brennen,
Daß man im Schloßhof glaubt, wir schlafen jetzt.
Sascha löscht alle Kerzen aus; man sieht nur den Kaminfeuerschein im Zimmer. Katharina sitzt, rot beschienen, vor dem Feuer; Sascha kniet im Mondschein in der Zimmerecke vor dem Heiligenbild nieder.
Sascha niederknieend
Hu, nur der Mond ist hier bei uns und 's Feuer im Kamin.
Ich will zu allen guten Geistern beten.
Gott schütz' den armen Graf vor Menschikoff.
Katharina.
Wie sah der Menschikoff wohl aus vorhin?
Als er den Rücken wandte und den Grafen
Allein als Wache bei mir ließ,
Da hätt' ich gern sein Angesicht betrachtet.
Sascha.
Er wurde wie ein Truthahn rot,
Als pfauchte er im Koller vor sich hin,
Als blies' er alles um aus seinem Weg.
Katharina.
Als ich das Taschentuch vom Grafen heimlich nahm, sah's Menschikoff;
Gleich sah er's wie ein Luchs; ich freute mich.
Sascha.
Verliebte gehn in alle Fallen, die Eifersucht am hellen Tage stellt.
Katharina.
So wie der Jagdhund seine Fährten wittert,
Ging Menschikoff heut' meiner Fährte nach.
Sascha.
Doch glaubt, wenn Ihr den Menschikoff zur Wache
Ins Zimmer nebenan statt des Franzosen herbefohlen hättet,
Er wäre nicht mit Schwüren zu bewegen,
Heut' Nacht die Schwelle hier zu übertreten.
Katharina.
Er rupft, wie nur die Pelikanenmutter,
Fürs Vaterland allein den Leib sich nackt,
War treu dem Zar, standhaft in allen Jahren.
War nie ein offener Geliebter mehr, stets nur Minister und Soldat
Und doch ein heimlich Liebender, verschmachtend schier.
Sascha erschrocken, halblaut
O Majestät, es klopft; wer will herein?
Der Graf hat wohl Verdächtiges bemerkt!
Sascha steht auf.
Katharina horcht.
Das Klopfen scheint mir drüben im Kamin,
Vielleicht schürt er das Feuer, friert wie wir.
Sascha kommt dicht zu Katharina.
Ach Gott, ich glaub', ich höre deutlich Schritte drüben.
Katharina horchend
Er geht wohl auf und ab und kann nicht schlafen,
Ist voller Ungeduld wie alle die Franzosen.
Sascha ängstlicher
Jetzt stieß er heftig an den Tisch, hört nur, er stöhnt!
Jetzt klingt ein Fenster, und jetzt fiel ein Stuhl!
Katharina steht auf
Der Lärm beginnt mich doch zu interessieren.
Licht, Sascha, geh', vom Schlafgemach den Leuchter!
Ich will doch nicht, daß er ihn morden soll;
Mir ist's genug, daß Menschikoff es will!
Sascha angstvoll, huscht rasch zur Türe links, findet sie verschlossen, läuft zur Ausgangstüre im Hintergrund links und findet sie auch verschlossen.
Ein Mord, ein Mord, die Türen sind verschlossen!
Katharina erschrocken
Die Tür verschlossen, alle Türen?
Sie springt schnell an die Tür, hinter welcher der Graf wachen soll.
Graf, Graf? Er stöhnt, als ob er reden möchte!
Sascha leise, ist zu ihr hingelaufen und horcht mit ihr an der Türe, welche der Mond bescheint.
Die Diele zittert, hört, ein Körper fällt!
Es kämpfen viele drüben auf der Diele,
Viel Schritte gehen, ohne Schuhe dumpf!
Sie töten ihn, Zariza, rettet, rettet doch,
Ihr seid doch Herrin hier, man mordet uns, Zariza!
Und kein Licht! Wir werden alle sterben!
Katharina steif aufgerichtet, lehnt unbeweglich mit dem Ohr an der Tür, während Sascha niederkniet und sich bekreuzigt.
Dicht an der Türe atmet Menschikoff!
Katharina schreit plötzlich leidenschaftlich, zärtlich auf und spricht eindringlich und immer eindringlicher, bald taut, bald halblaut durch die Tür.
O, Menschikoff, Geliebter! Komm, Geliebter,
Komm, Zärtlicher, ich kenne dich am Atmen,
Am ungeduldigen; ach, öffne doch die Tür, ach, komm!
Wir suchen beide uns durchs lange Leben.
Geliebter sag ein »ja«, ein »ja«, liebst du mich? Sag?
Sag, Liebster, nur ein einzig Mal ein »Ja«! –
Mach' auf, mach' auf, ich bin geliebt, –
Er sagte deutlich »ja«! O öffne, öffne doch, Geliebter!
Laß mich zu dir nach langen Jahren, –
Schweig nicht, du sagtest eben doch, du liebtest mich?
Sascha halblaut
O, Majestät, die Schritte gehen fort.
Katharina schreit verzweifelt auf.
Geh nicht von mir, geh nicht, geh nicht!
Sascha.
Sie gingen alle fort, nichts rührt sich drüben mehr.
Sie atmet tief auf.
Katharina richtet sich auf.
Als hätte ich von einem Menschen Blut getrunken,
So heiß ist mir! Geh, fürchte dich nicht mehr und suche Licht zu machen!
Sascha versucht noch einmal die Tür der linken Wand zu öffnen.
Die Türe ist jetzt offen, wie zuvor.
Sie läuft hinaus.
Katharina sinkt auf einen Stuhl.
Ja, ja, – er sagte ja; – o Liebster mein!
Und morgen steht er wortkarg neben mir,
Weiß nichts von dieser Nacht, schweigt wie begraben.
Sascha kommt mit einem dreiarmigen Leuchter.
Gottlob, Licht, hier ist Licht, ich starb vor Angst!
Ich dachte, Menschikoff will uns ermorden!
Sie versucht, die Tür zum Grafen zu öffnen.
Die Türe geht zu öffnen, Kaiserin,
Doch fürcht ich mich vor ihr, als wäre diese Tür der Deckel eines Sarges.
Katharina sitzt tief in Gedanken versunken, hört nichts. Sascha schreit auf. Sie hat nochmals versucht, die rechtsliegende Türe zu öffnen, und bringt sie halb auf.
Was fürchtest du dich vor der Tür?
Glaub, Menschikoff ist längst gegangen.
Er weiß es kaum noch, daß er dagewesen.
Sascha kommt zu Katharina gelaufen.
Quer liegt ein Körper an der Schwelle drin,
Die Tür geht halb nur auf, Zariza . . . . .
Katharina steht auf und drückt mit einem energischen Ruck die Tür auf. Sascha leuchtet hinter ihr mit dem Leuchter, schreit auf und kniet mit dem Leuchter nieder.
Sascha schreit auf.
Der Graf ist tot, Herrgott, erwürgt!
Mit seinem Taschentuch erwürgt von Menschikoff!
Herrgott, sei seiner armen Seele gnädig!
Kein Gott wird Menschikoff den Mord verzeihen!
Katharina sieht ohne Erregung auf den Leichnam hinunter und sagt einfach und schlicht:
Den Mord verzeiht dir die Geliebte, Menschikoff,
Wenn auch kein Gott den Mord verzeiht.
Vorhang
Katharina | |
Fürst Menschikoff | |
Prinzessin Sascha | |
Ein Mohr, Ofenheizer im Schloß |
Damen, Zug aus Frauen und Kindern. Kammerdiener, Kosaken.
Vierter Akt. In einem Bilder- und Bücherzimmer der Kaiserin im Jahre 1725 am Todestage Peters I.
Katharina ist gealtert. Sie ist üppiger. Sie ist zu bewußt. Sie wurde müder und hat sich an ihrer Sehnsucht nach Menschikoff erschöpft. Im Augenblick, wo ihr Gemahl Zar Peter I. stirbt, ist sie beim Verzichtleisten ihrer großen Leidenschaft angekommen. Sie kann nur noch frivol von ihrer Leidenschaft sprechen und glaubt nicht mehr an Menschikoff.
Ihre Bewegungen sind nicht mehr hochmütig leidenschaftlich, sie ist nur gereizt und aufs äußerste überreizt. Sie weiß kaum noch, was sie will, und wechselt ihre Launen und ist fahrig in ihren Gesten. Sie ist immer noch eine schöne Frau, aber ihre Seele ist entstellt von Zerrissenheit. Sie ist in Schwarz gekleidet und ohne Schmuck; nur ihr schönes goldrotes Haar leuchtet.. Schwarze, glänzende Steine sind in russischen Ornamenten auf das schwarze steife Kleid genäht.
Sascha in Schwarz gekleidet.
Menschikoff in Schwarz gekleidet. Er ist umgewandelt, frei und natürlich.
Der Mohr in Grau mit Gelb als Lakai gekleidet.
Ein Bilder- und Bücherzimmer im Schloß. Große holländische Gemälde, über der schwarzen Holzverkleidung der Wände hochgehängt, große Landschaften in schwarzen Rahmen. Den Hintergrund nimmt eine Glaswand ein; man sieht auf eine Galerie hinaus und dahinter große, beschneite Baumzweige in der Luft. Eine Glastüre führt in der Mitte hinaus.
Ein schwarzer geschnitzter Holztisch ohne Tischdecke. Schwarze Holzsessel mit Lederbezug und Schnitzereien. In einer Ecke stehen Haubenstöcke und große Haubenschachteln voll Witwenhauben.
Eine große schwarze Schiefertafel, wie sie in Schulen gebräuchlich ist, steht auf einer Staffelei; ein Stück Kreide hängt an einer Schnur daran. Auf der Tafel steht A B C geschrieben mit kleinen Buchstaben oben an dem Rand. Ein Kamin rechts aus weißem Gips. Ein großer Gobelin über dem Kamin. Eine Holztür in der linken Seitenwand. Das Zimmer ist nüchtern auf schwarzweiß gestimmt. Ein roter, feuerroter Fußboden.
Ein Mohr in greller, bunter Livree als Ofenheizer kniet an einem großen Kamin rechts im Vordergrund und schürt das Feuer. Sascha kommt durch die Glastür im Hintergrund und setzt sich auf einen Stuhl am Kamin.
Sascha.
Huhu, – mich friert! Ich muß mich ausruhn hier.
Der Zar liegt drüben immer noch im Sterben.
Bedenke, viermal vierundzwanzig Stunden
Stirbt er jetzt schon und wird nicht fertig mit.
Ich bin, aufrichtig unter uns gesagt,
Längst müde von dem vorschriftsmäßigen Weinen.
Wenn so ein Kaiser zu lang stirbt und doch nicht stirbt,
Ist auch der kaiserliche Tod schon gar nicht mehr erbaulich.
Es wirkt stupide und fast ordinär,
Wenn's gar kein Ende nimmt, das kaiserliche Ende.
Der Mohr vor dem Kamin knieend
Mir tut des Zaren ew'ges Sterben auch nicht gut.
Ich esse heute schon zum vierten Mal
Den vierten Todesschmaus aus kaiserlicher Küche.
Viermal war Majestät schon tot erklärt,
Und viermal war ein Schmaus schon angerichtet.
Und weil es nicht verderben soll, das viele Essen,
Ißt sich das Küchenpersonal daran kaput.
Ihr seid vom Weinen müd' und wir vom Kauen.
Am Traueressen sind wir alle krank.
Und zögert unser Kaiser jetzt acht Tage noch,
Wird man das Küchenvolk vor ihm begraben.
Sascha zieht unter ihren Kleidern zwei kleine Lederkissen vor.
Fast kann ich meine Knie nicht grad' mehr stellen.
Vier Tage hab' ich vor den Heiligen gekniet,
Gebete um Gebete hergesurrt.
Fast hätt' ich mir mein Schienbein wund gerutscht.
Drum band ich diese kleinen Kissen drunter.
Der Mohr.
Kniet denn die Zarin auch herum und betet?
Sascha.
Die Zarin, – Gott bewahr', die macht sich's leicht.
Sie läßt uns Tag und Nacht vor allen Heil'gen rutschen.
Der Mohr.
Ihr seid halt nur Prinzessin und nicht Zarin,
Deshalb zum Beten immer gut genug.
Sascha.
Und Ihr ein schwarzer Mohr und Ofenheizer!
Mit Eurer Trauerfarbe reizt Ihr mich.
Das Schwarz an Euch reizt mich wie Dunkelheit.
Und küss' ich Euch, glaub' ich, es sieht es niemand,
Nicht mal Ihr selbst.
Ein Zug von Frauen und Kindern zieht draußen an der Glaswand in der Galerie vorüber.
Mohr richtet sich auf.
Wenn Ihr mich küßt, fühl' ich mich Prinz, Prinzessin.
Er deutet hinaus auf den Zug, der langsam vorüberzieht und verschwindet.
Jetzt kommt die Bande schon zum fünften Mal!
Sascha.
Kebsweiber Seiner Majestät,
Zum Sterbezimmer vorgelassen alle;
Sie wollen Abschied nehmen.
Mohr.
Herrgott, wie sind die Herrscher doch beliebt!
Sascha.
Das ist ja nur die Auswahl erst von seinen Liebsten.
Mohr.
Nur Adelige sind sie, hoff' ich, all diese vorgelassenen Weiber,
Die Bürgerlichen dürfen doch nicht Abschied nehmen?
Sascha.
Hochmütig seid Ihr sehr, Herr Ofenheizer!
Ihr tut, als könnt' Euch eine Bürgerliche
Beim Ofenheizen hier im Schlosse stören.
Die Zarin selbst ist eine Bürgerliche,
Und jetzt bekommt sie noch die Krone obendrein,
Die Krone von dem russischen Kaiserreich.
Von Menschikoff kriegt sie sie aufgesetzt.
Das ist bis heut noch niemals dagewesen,
Daß eine Frau regiert im Land der Grobiane.
Mohr.
Hei, Saprament, wird man sich das erlauben?
Statt einer Haube kriegt jetzt ein Dragonerweib die Krone?
Sascha.
Just, weil sie ein Dragonerweib gewesen
Und bis ins Eingeweid' geblieben ist
Und Menschikoff Pastetenbäcker war,
Zieh'n beide jetzt am gleichen Karren.
Mohr.
Das macht mir keiner weis, – da steckt noch was dahinter!
Sascha.
Du Schwarzer siehst vielleicht im Dunkeln mehr?
Mohr.
Habt Ihr mir nicht einmal erzählt, der Menschikoff,
Der hat der Zarin zwei Geliebte umgebracht?
Erst den französischen, den er erwürgt, den Grafen,
Und später dann den Pagen Mons, den man geköpft,
Seitdem verfolgt die Zarin Menschikoff mit Haß;
Und glaubt Ihr, er wird seine Feindin krönen?
Sascha gleichgültig
Zariza liebt und haßt in einem Atemzug.
Mohr.
Noch manches Feuer wird im Schloß verbrennen,
Bis Bürgerliche Kaiserinnen werden.
Wo soll das Russenreich dann hingelangen,
Wenn Bäcker und Dragonerweib regieren?
Ich weiß was andres, was im Anzug ist.
Sascha ironisch
Du, Mohr, wirst dich vielleicht heut über Nacht,
Als Kaiser aller Russen hier kreieren?
Mohr geheimnisvoll
Im Schloßhof, da kampiert ein Regiment;
Die springen ein zur rechten Zeit.
Soldaten sollen einen Zar ausrufen,
Nicht eine Bürgersfrau, und auch nichts Weibliches.
Sascha.
Der Menschikoff, der für die Katharina
Aus Eifersucht zweimal getötet hat,
Hat auch die Faust dazu, sie jetzt zu krönen,
Trotz den Soldatenregimentern und trotz den Generalen und den Ständen.
Wenn's ihm beliebt, krönt er den Haubenstock dort auf dem Tisch
Und nennt ihn Kaiserin von Rußland; wenn er will.
Mohr.
Ich glaub, die Kaiserin schafft man sich heut vom Hals.
Man wird sie schleunigst an die Grenze bringen,
Sobald's dem Kaiser mal beliebt, zu sterben.
Sascha stolz
Schwätz kein Geschwätz! Ich bin der Zarin Freundin.
Man hört plötzlich dumpfes Glockenläuten.
Wahrhaftig, – horch! Der Zar ist endlich tot!
All die Soldatenkerle tummeln sich im Hof!
Horch nur, – sie treten alle ans Gewehr!
Sie spricht feierlich:
Die Glocken läuten, als ob Bienen schwärmen,
Wie wenn die Bienenvölker einen Korb verlassen
Und eine Königin sich wählen in der Luft.
Mohr atmet auf.
Jetzt scheint der Zar mir wirklich richtig tot.
Man braucht nicht mehr zu beten und zu knien
Und sich den Magen nicht mehr zu verderben.
Noch einen letzten Totenimbiß halt' ich aus.
Sascha gleichfalls aufatmend
Man fühlt schon an der ganzen Luft im Schloß,
Daß endlich wieder mal sich was ereignet;
Die Treppen werden wieder mal lebendig.
Mohr sieht durch die Glastüren im Hintergrund
Die Leute kommen schon zurück vom Sterbebett,
Und die Kosaken öffnen alle Türen.
Sascha wieder komisch werdend
Der Tod ist doch ein festlich Ding, wenn man ihm zusieht aus der Ferne.
Er gruselt angenehm und feierlich.
Wenn einer fortgeht und nicht wiederkommt,
Fühlt man die eignen Nieren doppelt mollig leben.
Mohr schürt den Kamin.
Neugierig bin ich nur, den Wettlauf hier zu sehen,
Wer Zar heut wird und sich die Krone fängt.
Sascha geschäftig werdend
Die Zarin wird hier gleich herüberkommen,
Um ihre Witwenhaube zu probieren.
Man hat die Hauben in den Schachteln schon acht Tage aufbewahrt.
Nun muß ich schleunigst für den Spiegel sorgen.
Mohr.
Ich geh', um mir den Zaren zu betrachten.
Sascha.
Du brauchst nicht tiefe Trauer anzulegen, du Schwarzgeborener du!
Sie lacht und geht links fort. Er lacht und geht durch die Glastür im Hintergrund. Zwei Frauen kommen von links und bringen einen venezianischen Toilettenspiegel, den sie auf den Tisch stellen. Sie holen die Haubenschachteln, die auf der Seite aufgestapelt stehen, und stellen ein paar Haubenstöcke auf den Tisch. Sie gehen dann durch die Glastür im Hintergrund fort. Die Kaiserin erscheint, auf Sascha gestützt, in schwarzer Trauertracht, umgeben von fünf schwarzgekleideten Damen, von Kammerdienern gefolgt, welche die Tür vor ihr öffnen und schließen. Mit einer Handbewegung verabschiedet Katharina die Hofdamen. Diese und die Diener verlassen durch die Glastüre das Gemach, und Katharina, immer noch auf Saschas Arm gestützt, geht einige Male im Zimmer auf und ab und spricht in drastischer Ekstase.
Katharina pathetisch
Der Peter! Ja, er war ein großer Mann!
Er war ein großer, großer Mensch!
Er war ein großer und der größte Zar!
Sie weint erschüttert und übertrieben.
Ich bin sein elend und gemeines Weib.
Hörst du es, Sascha, – er, so himmelhoch!
Niemals hab' ich verdient, sein Weib zu sein!
Niemals. Er war zu gut, zu groß!
Er war zu edel – sage ich – zu edel!
Sie reibt mit der Handfläche die Tränen aus den Augen. Nach einer Pause in ganz anderem Ton. Sie setzt sich.
Im Grunde mag ich edle Menschen nicht!
Jetzt ist er tot, ganz tot, der edle Mann.
Und etwas reizt mich immer an den Toten.
Sascha.
Was reizt Sie an den Toten, Majestät?
Katharina setzt sich, platzt heraus und schlägt auf den Tisch.
Der Hochmut reizt mich an den Toten,
Hochmütiger sind alle als die Lebenden!
Und stirbt dann so ein edler Mann,
Soll man gleich glauben, daß er Engel werde,
Wenn er noch kurz vorher die Wand bespuckte
Und ihn sein Weib mit »Schafskopf« titulierte.
Dem Edellebenden traute ich niemals ganz bei Nacht,
Vor edlen Toten doch, da fürcht' ich mich am hellen Tag.
Sascha.
Ei, Majestät, die Toten, die, die kann man ja vergessen!
Katharina furchtsam
Zudringlich, sag' ich dir, sind alle Toten,
Kannst ihnen weder Bett noch Leib verweigern.
Sie gehen in Gedanken ein und aus
Und lassen sich von niemandem befehlen.
Sascha.
Bald kümmern alle Toten Euch nicht mehr.
Ihr könnt bald allen Lebenden befehlen
Im großen Russenreich bis zur Chinesenmauer.
Der Menschikoff setzt Euch die Krone auf.
Katharina in Gedanken
Der Menschikoff, der quält mich mehr noch als die Toten.
Sascha.
Er ließ sich leider nie zur Lieb' befehlen!
Solang' Ihr Zarin seid, blieb er Euch fern.
Katharina erbittert
Den Menschikoff, den muß ich ganz vergessen,
Noch mehr, als man die Toten sich vom Leibe hält.
Er lebt als Diplomat, lebt nur dem Zaren und dem Reich.
Und ich bin kaiserliche Puppe nur für ihn,
Ich seh' schon, wie er mich zum Throne führt,
Vorsichtig mich behandelt, gleich wie ein venezianisch Glas.
Wie gern ich doch den Fürsten und den Diplomaten möchte schlachten lassen,
Um Wiedersehn mit seinem Blut zu feiern,
Mit diesem Blute, das mich einst geliebt!
Sascha.
Befehlt als Kaiserin ihn doch noch heut' in Euer Bett;
Ich bin ganz sicher, daß er heute kommt.
Katharina.
Wenn auch sein Blut ihm mal befahl, er soll mich, Katharina, lieben,
Sein Hirn sagt nichts und war nur stets Minister.
Verbeugung macht er mir und höfisches Gephrase,
Doch scheint das Herz dem Fürsten weggeblasen.
Sascha.
Daß er Euch an den Zaren abgetreten,
Die Reue läuft ihm, wie ein Hund, stets nach.
Katharina.
Er trug die Treu' zum Zaren wie 'nen Panzer mit sich,
Er hielt mir das Ministerportefeuille als seinen Tugendschild entgegen.
Sascha. bestimmt
Er liebt Euch noch. Ihr könnt Euch heut' noch rächen.
Laßt ihn jetzt schmachten, wenn er zu Euch kommt.
Jetzt ist der Zar ein Toter wie die andern,
Und Tote stehen nicht der Lieb' im Wege.
Katharina abwehrend und pathetisch
Ich bleibe meinem Peter treu. Ich will verzichten auf den Menschikoff.
Vor einigen Jahren noch hatt' ich dem Fürsten es verziehen.
Doch jede meiner Spielereien mußt er stören.
Daß er mir den französischen Grafen würgen ließ,
Das konnt' ich ihm verzeihen ganz und gar;
Daß aber auch mein Page dann von Menschikoff verraten wurde,
Worauf der Zar vor Wut und Schreck erkrankte,
Das darf ich Peters wegen nie vergeben.
Einmal im Leben möcht' ich edel handeln!
Wenn stets der große Peter edel war, so wie es alle heute schrein,
So will auch ich das Edelsein probieren.
Auch Katharina soll man edel nennen.
Ich will auf meine große Liebe stolz entsagen,
Mit Pomp entsagen einem alten ewigen Leid.
Die Lieb' zu Menschikoff soll mir im Herzen sterben,
Ich trete sie mit beiden Füßen tot.
Sascha schelmisch bekümmert
Ich fürchte, alles geht Euch ewig schief,
Wenn solch ein Edelsinn nicht bald Euch reut.
Katharina elegisch und sich ereifernd
Ich halt's vielleicht nicht lange aus, mag sein,
Ich lenke schon bei Zeit von selber ein,
Doch muß ich einmal edel sein, ich will's.
Der Zar hat mich geprügelt wie 'ne Magd,
Als ihm der Menschikoff den Pagen Mons verriet.
Den Peter hat's erwürgt, er ist daran gestorben.
Er lebte heute noch, wär' ihm der Menschikoff
Nicht stets wie eine Laus im Bart gesessen;
Und hätt' er ihm den Kummer nicht bereitet,
Von meiner Spielerei mit Mons zu schwatzen.
Sascha.
Doch habt Ihr Euch so unschuldig verstellt,
Der Zar hat nie an Eure Schuld geglaubt.
Katharina seufzend und pathetisch werdend
Ein Mann, der zweifelt, ist wie'n Haus, das wackelt,
Und eines Tages stürzt es doch mal ein.
Wenn Zweifel zwischen Schuld und Unschuld wählen,
So ist die Welt nicht weiß mehr und nicht schwarz;
Die Welt ist für die Zweifler wie durchlöchert.
Der große Peter ist aus Gram gestorben,
Weil meine kleinsten Spielereien
Der Fürst ihm gleich aus Eifersucht verriet.
Nun will ich edel sein und ewig Witwe bleiben;
Wenn Witwentum nicht stolpert, hat's was Edles.
Sascha bricht in Lachen aus und lacht unbändig.
Katharina nickt.
So lache, lache nur, wenn es von Herzen kommt.
Sascha fährt sich mit der Hand an den Mund.
Herrgott, die Toten nehmen 's Lachen übel.
Katharina muß beinahe auch lachen.
Lach' nur, vielleicht kommt dein Verstand dann bald zurück.
Du Närrin, andre weinen hier im Haus,
Und du, du steckst mich an mit deinem Lachen.
Ich weiß es wohl, das Edelsein wirkt öfters komisch.
Sascha schüttelt sich vor unterdrücktem Lachen.
Ich möchte bersten vor Vergnügen,
Wenn ich die Witwenschaft bedenke,
Die Ihr im Arm von Menschikoff vergnügt beschließt;
So wahr ich niemals bucklig war von Kindesbeinen,
So wahr ist's, daß Ihr nie zum Witwenstande taugt.
Katharina schüttelt den Kopf, wird wieder pathetisch.
Nein, diesmal bin ich stolz, unweigerlich.
Ich hasse diesen Menschikoff von Herzen,
Den Mann, der glaubt, unfehlbar hier zu sein,
Der immer gibt und nimmt wie's ihm beliebt.
Ich will ihn quälen, sehn' mich, ihn zu quälen.
Will sagen ihm, daß ich 'nen andern lieb',
Nie soll er's wissen, daß er es ist, der mich gequält.
Und schweigend bis ans Lebensende, nehm' ich die Liebe in mein Grab.
Nie soll es der Tyrann jemals erfahren,
Daß er mich Jahr um Jahr nur schmachten ließ.
Sascha einfach
Euch macht ja auch die Liebe ganz tyrannisch,
Ihr haßt und liebt den Mann in einem Atemzug,
Ihn, der wie Ihr durch Jahre schmachtete.
Katharina steht auf
Mit Menschikoff hab' ich jetzt abgerechnet;
Und kommt er als Verliebter an mit Feuer,
So findet er in mir die Witwe nur,
Die ihre Witwenhaube eisig ihm entgegenträgt,
Wie er mir das Ministerportefeuille
Bis dato stündlich vor die Nase hielt.
Ich räche mich, ich litt zu viel, ich liebe nichts mehr als die große Rache!
Sascha.
Ja, rächt Euch erst von Herzen an dem Eiszapf schnell,
Dann aber schmelzt die schwarze Trauerschaft,
Wie schwarze Kohlen Diamanten geben;
Laßt nicht die Jahre lieblos mehr verkümmern.
Katharina heftig
Was schert es dich, daß ich jetzt lieblos lebe.
Bring' jetzt die Hauben zu dem Haubenstock.
Sascha holt von einem Seitentisch den Toilettenspiegel.
Hier ist ein Spiegel, hier dann, Majestät,
Die Hauben, die der Trauer Nachdruck geben.
Auf dieser ist aus Perlen eine Krone.
Sascha hat eine große schwarze Haube mit einer kleinen Perlenkrone auf einem Haubenstock neben andere Hauben gesetzt. Katharina deutet auf die große Haube und läßt sie sich von Sascha aufsetzen; sie steht vor dem Spiegel und betrachtet sich.
Katharina.
Ja, gib mir diese mit der Krone her.
Ich will nicht auf den Menschikoff erst warten,
Bis er zur Krone die Erlaubnis bringt.
Sieh, – – wackelt nicht die Krone auf der Haube?
Sascha.
Die Krone sitzt wie angegossen, Zarin.
Und auch die Haube ist recht schwarz und düster,
Und Eure weiße Haut glänzt bei der Trauerfarbe doppelt weiß,
Und Euer rotes Haar lebt doppelt auf;
Wie eine Rachegöttin seht Ihr aus.
Katharina unwirsch und mißmutig
Halt' dein Gebiß doch endlich still, du Närrin!
Sie stößt die Haube auf dem Kopf ärgerlich hin und her.
Sonst räch' ich mich zuerst an dir,
Daß ich das simple Ding da tragen soll,
Wie eine Nonne arm erschein' ich in der Haube.
Es sollten schwarze Straußenfedern drüber nicken;
Die wären wie ein schwarzes Nest von Grabgedanken,
Und weithin sichtbar wär' die Trauer dann.
Katharina wendet sich vom Spiegel weg, gereizt und weinerlich, und hält die Hände vors Gesicht.
Sascha schelmisch
Weint nicht, weint nicht, weint doch nicht über Euer Edelsein.
Katharina schreit fast.
Ich wein' nur über die bescheidenen Hauben,
Und daß man gar so wenig Aufwand macht,
Wenn ich aufs Liebste auf der Welt verzichte.
Wenn ich so edel bin, wie ich es nie geglaubt,
Dann will ich auch, daß man's symbolisch sieht.
So aber schein' ich mir erbärmlich nur
Und schäbig einfach unterm schwarzen Samt.
Als hätt' ich Kopfweh und Migräne nur,
Statt Aufruhr in dem ganzen Leib.
Katharina wirft sich plötzlich verzweifelt auf einen Stuhl und weint hysterisch.
Sascha.
Weint nicht, Fürst Menschikoff ist drüben eingetreten,
Ich höre ihn im Vorzimmer schon husten.
Katharina ist einen Augenblick noch ärgerlich, wischt sich plötzlich die Tränen fast demütig ab und wird wieder pathetisch.
Ich kenne diesen Husten jetzt seit Jahren,
Er schluckt sein Herz hinunter, wenn er hustet.
Die Haube mit der Krone laß ich auf.
Er soll sofort verstehen, wie ich's meine.
Zur Abdankung bin ich gerüstet; laß ihn ein!
Mein Herz dankt ab, mein Kopf regiert mein Leben!
An meinen edlen Peter will ich denken,
Wenn Menschikoff mich schwanken machen sollte.
Ich bleibe Witwe! Sascha, sorg' inzwischen,
Daß man noch heut' mir würdige Hauben bringt
Mit großen, schwarzen Federn, imponierend.
Katharina tritt wieder vor den Spiegel und setzt ihre Haube mit der Krone zurecht.
Er hustet nochmals draußen, kann es nicht erwarten.
Laß ihn nur stehn, bis meine Haube sitzt!
Sie spricht in den Spiegel hinein, während sie die Haube festdrückt.
Im Sterben legte uns der Zar vorhin,
Dem Menschikoff und mir, die Hände ineinander;
Ich aber riß die Hand von ihm erkältet weg.
Der Menschikoff, er hat kein Blut im Leib,
Wie Eis, so tödlich kalt sind seine Glieder.
Mir wallte große Glut, wie Flügel, hoch!
Vom langen Wachen kreiselte mir das Gemach,
Ohnmächtig halb, fing Menschikoff mich auf;
Ich lag nur für Sekunden kurz an seinem Hals, ich hasse ihn,
Mich streifte kaum am Ohr sein Kinn,
Kalt war sein Kinn wie das Kristall, das von der Decke da als Leuchter hängt.
Sie winkt Sascha, zur Türe zu gehen, um Menschikoff einzulassen, weil man Menschikoff wieder husten hört; sie spricht zu ihrem Spiegelbild.
Ein Gräuel ist's, so düster aufgeputzt zu sein
Als Witwe mit dem Trauerturm am Kopf
Und vor dem Liebsten häßlich dazustehen.
Doch ist die Haube eine Barrikade,
Dahinter ich verschanzt sein will.
Menschikoff kommt herein, gefolgt von Sascha, welche sich wieder zur Tür zurückziehen will, um die beiden allein zu lassen. Katharina schrickt am Spiegel bei seinem Schritt zusammen, wendet sich um und geht vom Spiegel fort zu einem andern Tisch und Stuhl.
Menschikoff sich verbeugend
Ich bin's nur, Majestät!
Katharina Sascha, welche an der Türe steht, befehlend zurufend
Sascha, du bleibst!
Menschikoff zu Katharina
Ich hätte gern mit Euch allein gesprochen.
Katharina ironisch
Dann gehe, Sascha, denn ich muß dem Fürsten
Von jeher stets aufs Wort gehorchen.
Menschikoff.
Ich störe, Majestät?
Katharina jedes Wort betonend
Wie immer stört Ihr jede Stunde meines Lebens,
Die frohen sonst und heut' die traurigen.
Sie weist ihm einen Stuhl an und setzt sich.
Ich glaub', ich muß Euch heute hier
Noch unter Tränen grob die Wahrheit sagen.
Menschikoff ernst, verbeugt sich, ehe er sich setzt.
Die Tränen eines alten Zarendieners, Majestät,
Vermischen sich mit Euren Tränen.
So wie das Russenreich vom Kaukasus bis zum sibir'schen Meer
Heut' übern Tod des edlen Zaren weint . . .
Katharina unterbricht ihn rasch.
Ihr habt bereits am Sterbebett mir Euer Beileid ausgedrückt,
Sprecht von was andrem, Menschikoff, und stört mich nicht!
Im Leben ist das Ernsteste nicht stets der Tod!
Menschikoff.
Wenn Ihr befehlt, werd' ich nicht weitersprechen;
Doch dacht' ich nicht, daß Euch die Toten stören.
Katharina höhnisch, belustigt
Die Toten sind oft beste Kameraden,
Sie reden wahrer als mancher Feldmarschall.
Das ist das Große an dem Tod, daß er nie lügt
Und deutlich mit der Farbe die Absicht zeigt.
Menschikoff immer ernst und einfach
Ich wollt' von nächster Zukunft zu Euch sprechen.
Katharina immer die Höhnische spielend
Das kann nicht schaden, Fürst, wenn wir von Zukunft sprechen
Und mal Vergangenes von Grund aus jetzt vergessen.
Menschikoff.
Ich hoffe, Eurer Majestät wird von den Ständen
Die Zarenkrone noch vor Abend zugesprochen.
Abstimmend treten jetzt der Adel und die Stände
In dieser Stund' im Weißen Saal zusammen.
Katharina unvermittelt, enttäuscht
Ach, ist's nur Diplomatenweisheit,
Die Ihr mir hersagt jetzt in dieser Stunde?
Noch höhnischer und lachend
Das große Möbel dieses Hauses:
Die Kaiserkrone, rettet Ihr zuerst;
Es brennt das Haus, und Katharina
Laßt Ihr im Rauch ersticken aus Vergeßlichkeit.
Menschikoff warm und einfach
Ich rette Euer Gut, weil ich Euch sicher weiß.
O Katharina, wer spricht vom Vergessen!
Katharina fällt ihm ins Wort, laut und bös auflachend.
Ach, seid Ihr meiner sicher, Herr; wie unvorsichtig, Herr!
Ich rede frei heraus, Herr Feldmarschall,
Ich war noch niemals meiner selber sicher.
Wir beide kennen uns von ungeschminkten Stunden,
Wir kannten uns vor Zeiten sehr, sogar im Negliglé.
Deshalb will ich heut' nicht Versteck hier spielen.
Ich muß Euch dringend danken für den Eifer,
Den Ihr bezeigt zur Rettung meines Guts,
Und daß Ihr eine Kaiserkrone wünscht
Für's simple Weib, wie ich es bin.
Verblüfft Euch nicht, wenn ich in dieser Stund',
Statt nur von einer Krone, auch von Heirat rede.
Ich bin mal so; mein Peter, der mich kannte,
Verübelt's mir im Sarg gewißlich nicht.
Eh' ich von Euch die Kron' mir bringen lasse,
Und Ihr Euch müht, besinnt Euch erst,
Ob sich die Mühe auch bei mir verlohnt.
Ich sag Euch frei heraus, stets will ich Witwe bleiben.
Ich lieb zwar heimlich einen Mann,
Dem werd' ich baldigst heimlich angetraut,
Doch öffentlich bleib' ich die Witwe,
Die ich seit dieser Stund' im Reiche bin. –
Ihr werdet diesmal nicht den Mann,
Den ich gewählt, mir wieder töten,
Wenn Ihr ihn kennt, könnt's seinem Frieden schaden,
Ihr sollt ihn darum nie erraten, und niemals nennt ihn Euch mein Mund.
Und werd' ich Kaiserin, so will ich auch befehlen ganz allein.
Will nicht als Marionette baumeln in Eurer Gnadenhand,
Im voraus sag' ich's deutlich, Fürst: werd' ich gewählt,
Undankbar bin ich dann zu Euch wie nie;
Erwartet also nichts von meiner Krönung;
Von meinem Thron seid Ihr auch gleich entlassen. –
Und wird ein Anderer Kaiser heute Abend,
So geh ich außer Landes still,
Geh hin nach Spanien, Frankreich, irgendwo,
Leb als Zigeunerin mein Leben,
Verliebt nur wie die Mücken in der Sonne. –
Was sagt Ihr jetzt dazu, daß ich geheim gewählt?
Und Euch bleibt's unerforschbar, Herr Minister?
Menschikoff verbeugt sich unverändert.
Ich kam als Diplomat her, Majestät.
Ein Diplomat muß aus Natur sich fassen.
Indessen ich mich tief verbeuge, wünsch' ich dem russischen Reich
Nichts besseres als Euer glückliches Gesicht.
Heiraten, Majestät, ist Frauen meistens gut bekommen,
Besser als oft so manchem Mann.
Katharina außer sich, daß Menschikoff sich so schnell faßt, verliert vollständig die Fassung und ihre höhnische Haltung.
Das sagt Ihr mir, mir, die ich wehrlos bin, –
Mir, der der Mann gestorben, und die einsam steht?
Menschikoff erkennt die ganze Komödie, lenkt beschwichtigend und zärtlich ein.
Ich bitt' Euch, Katharina, laßt das Maskenspiel!
Katharina heftig
Ah, weil Ihr kommt, um mir die Krone aufzupfropfen,
So soll ich still sein hier und mich beschimpfen lassen!
Die Witwenhaube gibt Euch noch kein Recht, Grobheiten mir zu sagen.
Ihr haltet es in keiner Ehe aus, das glaub' ich Euch!
Glaubt Ihr wohl gar, zur Ehe wollt' ich Euch bewegen!?
Menschikoff tut bestürzt.
Ich denke, Majestät, Ihr habt bereits gewählt?
Katharina aufspringend, auf und ab laufend
Ich war ein Werkzeug stets in Eurer Hand. Ich war nie frei!
Nie frei, seit vor Marienburg es Euch gefiel,
Ein armes Ding mit Säbelrasseln und mit Befehlen einzuschüchtern,
In Haft zu nehmen, unters Joch der Leidenschaft zu zwingen,
Der unausrottbaren! Die Leidenschaft, die unausrottbar blieb.
Menschikoff ist zugleich mit Katharina aufgesprungen.
Die Krone bring ich Euch, o Katharina,
Noch heut, damit Ihr Menschikoff befehlen könnt,
Befehlen, was Ihr wollt, zu allen Zeiten und vor aller Welt.
Katharina lacht auf und ist geringschätzig.
Was ließt Ihr Euch die Jahre durch wohl je von mir befehlen?
Ihr schiebt auf diplomatischer Bühne mich als Kulisse hin und her,
Verändert wie ein Regisseur im Bühnenspiel die Szenenfolgen.
Ich hab es satt, in dieser Stunde noch fall ich aus meinen eingelebten Rollen.
Will meinen Abgang selbst agieren, wie mir's beliebt. –
Ich laß Euch köpfen, sag ich, werd' ich Kaiserin!
Bringt mir die Krone in der einen und Euren Kopf in Eurer andern Hand,
So nur könnt Ihr mir nützen und dem Haß im Herzen.
Mein Herz für Euch ist längst verraucht und abgestanden, kalt wie Morast.
Dumpf und voll Ekel stockt mir 's Blut vor Euch und friert in allen Adergängen.
Menschikoff mit verhaltener Erregung
Ich dank Euch, Majestät, daß Ihr kein Blatt vor'm Mund behaltet.
Doch nehmt Euch nicht die Müh', den Mann auf's Blut zu hassen,
Der Euch nichts mehr als Spielerei nur war.
Katharina springt vom Thema ab und fängt nur das Wort Spielerei auf; redet leidenschaftlich offenherzig.
Neunt meine Schmerzen Spielereien, denn schmerzlich hab' ich oft gespielt.
Ja, jede Spielerei, wie furchtbar ernst habt Ihr sie doch genommen,
Und jede Spielerei war nur erdacht, zu reizen Euch;
Und wohler war's mir nie, als wenn Ihr's Spiel verdorben,
Die Liebhaber ertappen, köpfen, würgen ließet!
Wie wohl war mir an einem solchen Tag im Herzen,
Euch grau und weiß vor Wut zu seh'n wie eine Leiche,
Wenn Ihr's entdecktet, daß ich, Weib, geliebt sein wollte
Und mir zum Zeitvertreib ein junges Blut anlockte,
Um es im Leichtsinn zu vergessen, daß Ihr mein Herz verschenken durftet.
Verschenken an den Zaren und die Welt, um eine Kaiserin Euch zu verschaffen.
Ein Puppenspiel habt Ihr mit meinem Herzen stets gespielt,
Und wollt das Püpplein heute krönen lassen! –
Wär' nicht der Meuchelmord unsauberes Geschäft für Weiber, –
Kaltblütig, Herr, möcht' ich Euch Gift anstatt des reinen Weins einschenken.
Ein Gift, das Euch so stumm macht wie die Erde,
Auf der Ihr immer noch mit Frechheit vor mir steht.
Von Herzen sehne ich mich heut', die Jahre, die ich litt,
Zu rächen einzeln, Jahr um Jahr, an Euch.
Drum nehm ich auch vor meinen Mund kein Blatt und rede.
Und wär' ich nicht ein Weib, so würd' ich handeln jetzt, nicht schwätzen erst.
Wollt Ihr die Krone jetzt noch bringen,
Wo ich mit Haß und Gift Euch danke?
So tut's, wenn Euch mein Haß ein Vorteil scheint.
Menschikoff einfach
Die Zarenkrone bring ich Euch, so wie ich Euch versprochen.
Ob auch mein Kopf sofort gefällig vor Eure Füße rollt,
Versprech' ich nicht, weil's Prahlerei nur wäre, –
Denn kopflos, Majestät, war ich von je in Eurer Nähe.
Ich habe längst als Rumpf stumpfsinnig nur gelebt,
Und meine Augen, Ohren, Lippen und Gehirn
In Eurer Näh' nach Kräften abgetötet.
Die langen Jahre ohne End' ging ich geköpft einher.
Bring ich die Krone jetzt, dann, wunderliche Frau,
Könnt nach Belieben Ihr den Kopf mir wiedergeben,
Oder behalten ihn; den Rumpf leg' ich dazu,
Tot oder lebend, wie Ihr's wollt, vor Eure Füße.
Katharina.
Heuchler! Ihr hättet all' die Jahre selbstlos Diplomatie getrieben?
Haha! – fast hätt' ich's tölpelhaft geglaubt.
Nein, Euer Ehrgeiz nur lag Euch am kalten Herzen.
Ehrsucht und Herrschsucht einzig waren im Leben Eure Leidenschaften.
Da Ihr Euch selbst nicht krönen könnt, bringt Ihr die Krone mir,
Erschleicht Euch Macht bei einer Frau und heuchelt Herzlichkeit.
Ich sag' es nochmals: bringt die Krone und seid entlassen dann!
Menschikoff.
Ich bin kein Heuchler! Katharina! Mir bluteten die Stunden Tag und Nacht.
Hast du vergessen, wie du außer dir vor Freude tanztest,
Als dir die zweifelhafte Ehre wurde, dem Zaren erstmals zu gefallen?
Katharina.
Was weiß ein Weib vom Leben, wenn das Leben wirr,
Wie Nordlicht glänzend, vor die Fenster springt!
Geblendet stürzt man leicht vom Fenster auf die Straße,
Wenn der uns nicht im Hause hält, der Haus und Herz als Halt gegeben.
Nein – Menschikoff –, zu spät; ich glaub's nicht mehr.
Zu viele Jahre zogen fremd durch dieses Haus,
Wo Ihr als Fremder aus- und eingegangen;
Und unbekannt bin ich mir selbst geworden.
Wenn ich in diesen Spiegel schaue und Katharina still besuchen will,
Ist jemand Totes in dem Spiegelglas, den meine Augen nicht erkennen.
Die toten, fremden Jahre sehn mich an,
Die Jahre, die wie dürrer Steppensand durch meine Hände hingerieselt sind.
Und nur die tote Form von mir liegt in dem Spiegel dort,
Wie eine starre Leiche auf dem Wasser schwimmt –,
Und Jahr um Jahr riß Stück um Stück den Boden unter meinen Füßen fort.
Menschikoff hingerissen, weich, zärtlich, nähert sich vertraut Katharina.
Ich trage dich auf Händen, Katharina,
Ich geb' dich keinem andern, keinem! Hörst du!
Wen du auch wählst, und seien es die Engel Gottes selber!
Ich dulde nicht das Zuschau'n mehr, wie in den ewigen Jahren,
Wo ich als Prellstein an dem Zarenschloß gesessen.
Zu gut zu bloßen Spielereien, hab' ich mich schwer und hart gemacht,
Und auf den heut'gen Tag gewartet, wie nur ein Toter auf die Auferstehung.
Ich lieb' dich, Katharina, wie nur ein Zwanzigjähriger hingebend stehen könnte.
Geliebte, sag', sag', liebst du mich? Lieb' mich! . . .
Katharina hat ihm den Rücken gewandt. Hört ihm ergriffen, totenblaß zu, schließt die Augen und murmelt.
Mehr! Mehr! – Ich glaube, daß die Steine singen lernen . . .
Sascha kommt durch die Glastüre im Hintergrund hereingelaufen. Sie ist atemlos, geheimnisvoll und scheint nicht zu hören und nicht zu sehen; hastig
Herrgott, – Herrgott, verzeiht, Zariza!
Die Stände sind versammelt drüben! Zu Menschikoff
Man sagt, es wird bald abgestimmt und ohne, Fürst, auf Euch zu warten.
Man hintertreibt die Wahl der Kaiserin
Und will des Großfürsten Alexis Sohn,
Den Prinzen Peter, krönen, wenn Ihr zögert.
Eilt Euch, man wählt, Fürst Menschikoff! Man wählt!
Menschikoff wie aus tiefen Gedanken aufwachend, sieht zur Tür, hält die Hand vor die Stirn, spricht erst barsch, dann wieder in Gedanken fallend
Man wählt??!
Man wählt nicht ohne mich! Man wählt . . .?!
Er verbeugt sich ehrerbietig, aber geistesabwesend, als wenn er sich vor der Luft verbeugt, und geht fort.
Sascha allein mit Katharina
Verzeiht, ich störte ernstlich wohl, ich weiß es,
Doch Majestät, ich mußte stören.
Katharina schüttelt heftig den Kopf, reißt sich die Witwenhaube vom Kopf, fährt sich in ihr Haar, daß die Haarnadeln herunterfliegen, lacht wahnsinnig auf, schüttelt ununterbrochen den Kopf, daß ihre Locken über die Schultern fallen, lacht und fährt sich in die Haare und fällt auf einen Stuhl.
Hahahaha, – da sieh dem eiteln Komödianten nach!
höhnisch und bitter
Man wählt . . .! man wählt! . . .
Er war in schönster Liebesraserei! –
Sie wirft die Arme in die Luft und ruft höhnisch, spöttisch.
Man wählt! – Man wählt! –
Kaum hört er's Stichwort in dem Ohr,
Steht statt des Liebenden der Diplomat sich neigend vor mir auf.
Man wählt! –Man wählt! – Hahahahahaha!
Sascha zart und schelmisch
O Majestät, meint er es denn nicht gut?
Er nimmt das Wählen ernst, weil er Euch liebt!
Das ganze Haus würd' einen Knax bekommen,
Ihr stürbt vor Ärger, habt Ihr nicht die Krone,
Eh' heut' die Sonne untergeht in Petersburg.
Katharina wird plötzlich ganz ruhig, erwacht zur Wirklichkeit und betrachtet Sascha fragend, sagt leise und gedankenvoll:
Kennt wirklich dieser Mann mich besser als ich selbst?
Ihn treibt's zum Handeln, während ich hier schwärme nur und mich versäume.
Sascha nickt.
Er ist ein reifer Mann und nützt sich die Sekunden streng.
Ihr müßtet ohne ihn in einer Stund' vielleicht das Schloß verlassen,
Vielleicht auch noch das Land, und im Exil, verbannt, als Heimatlose vegetieren,
Fern von dem Mann, den Ihr verehrt,
Wenn er die Krone nicht für Euch erzwingt.
Katharina steht auf, stößt auf den Tisch; entschlossen
Niemals verlass' ich dieses Haus für einen andern!
Sascha schelmisch lachend
Da seht, wie Euch der Herrscherkamm schon steigt!
Katharina legt den Finger vorsichtig an den Mund.
Schweig, Närrin! Wahrheit sagt man wohl den Ohren laut,
Doch nicht den Wänden laut, die's weitersagen.
Sascha lachend
Was gebt Ihr ihm, wenn er die Krone bringt?
Katharina besänftigt, lächelnd
Die Witwenhauben alle zum Verbrennen.
Sie deutet auf die Ecke, wo eine große Schulschiefertafel auf einer Staffelei aufgestellt steht. Darauf sind einige Buchstaben und Silben geschrieben, wie für einen, der Lesen und Schreiben lernt.
Sascha, hol' rasch die große Tafel aus der Ecke!
Indessen Menschikoff im Thronsaal an der Arbeit ist,
Will ich auch hier mein Pensum schnell studieren.
Ich muß doch lernen, meinen Namen schreiben,
Damit ich mich im Kronrat nicht blamiere.
Wie macht man doch das große K? Sie seufzt.
Daß ich den Buchstaben so schwer behalte!
Sascha hat die Staffelei mit der Tafel herbeigerollt, nimmt die Kreide und malt langsam und erklärend den Buchstaben K.
Das große K! Erst ein gerader Strich und dann ein Pfeil,
Der ihm in's Herz hinzielt. Auch könnt' man's einen Vogelschnabel nennen,
Der weit geöffnet wie nach Nahrung schreit.
Katharina.
Ein Schnabel, dem die Zunge ausgerissen,
Und der nicht schreien kann und schreien möchte.
Nie werd' ich mehr das große K vergessen.
Sie malt groß »Katharina« auf die Tafel.
Sascha bemerkt durch die Glastüre den Mohren, der grinsend und zähnefletschend auf der Galerie draußen erscheint. Zur Kaiserin, welche noch den Namen auf die Tafel malt
Da kommt der Mohr, mein Schatz, er will was melden.
Umsonst fletscht er nicht vor der Glastür dort die Zähne.
Es wird ihm schwer, was Neues zu verschlucken.
Darf ich ihn zu uns rufen, Majestät?
Denn sicher hat er Gutes angehorcht.
Katharina nickt und schreibt weiter. Sascha läuft zur Glastüre, winkt den Mohren herein, wechselt ein paar Worte mit ihm und kommt zur Kaiserin gelaufen.
O hört nur, Majestät, was er mir sagt!
Fürst Menschikoff kam just im letzten Augenblick
Und stürzte schnell die Wahl schon beim Erscheinen.
Mohr tritt bescheiden näher und spricht wichtig.
Ein Offizier wollt' nach dem Hof das Fenster öffnen;
Man sagt, das war ein Zeichen für die Garde;
Die Regimenter, die im Hof vorm Schloß kampieren,
Die sollten einen Zaren fordern: des Großfürsten Alexis Sohn.
Doch rief Fürst Menschikoff, daß es zu kalt sei und durch's Fenster ziehe,
Und er verbat sich fest und drohend, daß einer an das Fenster rühre.
Sascha fällt ihm ins Wort.
Und weiter sprach er eifrig Euch, o Majestät, das Wort:
Ihr nur könnt Rußland groß und glücklich machen.
Katharina glücklich
Ich seh' ihn deutlich dort, er redet, reißt die Leute mit,
Wie ein Orkan so wild und wirbelnd unbekümmert.
Und die Idioten, hingerissen, mit ihrer Nase in der Luft,
Gehorchen alle; sie, die doch eben noch mich gerne Lands verwiesen hätten.
Sascha hat dem Mohren abgewinkt. Der Mohr geht
Und alle Lippen haben schon in diesem Augenblicke Euch gewählt.
Katharina leise zu Sascha
Er liebt mich wirklich endlich, und ich glaube ihm.
Schreib rasch dort auf die Tafel, Sascha,
»Ich lieb' dich heute, Menschikoff, wie immer.«
Mein Nam', der drunter steht, der soll's bestätigen.
Sascha hat den Satz rasch auf die Tafel geschrieben, sie sieht rasch auf die Galerie hinaus.
Der Fürst kommt schon am End' der Galerie,
So blaß, als holte er sein Todesurteil!
Vielleicht ist ihm die Thronrede mißglückt?!
Katharina glücklich
Jetzt ist's mir gleich, jetzt hab' ich's überwunden.
Ich kann auch auf die Krone gern verzichten,
Wenn Menschikoff mir gut ist und mich liebt.
Betrachten will ich ihn erst aus der Ferne;
Geh, Sascha, wenn er kommt.
Ich stelle mich in diese Fensternische
Und laß ihn erst die Tafel lesen.
Sascha nickt und geht links hinaus.
Menschikoff tritt eilig durch die offen gelassene Glastüre im Hintergrund ein, sieht sich um, sucht die Kaiserin, sieht die große Tafel und die Schrift darauf, liest, – liest zweimal.
O Katharina, o Geliebte – und meine Kaiserin!
Er nimmt blitzschnell die Kreide und schreibt triumphierend eine römische I hinter den Namen Katharina.
Katharina tritt aus der Fensternische, kommt ihm mit offenen Armen entgegen; er breitet die Arme aus und ruft.
Menschikoff.
O Katharina! Heut wie immer!
Beide halten sich leidenschaftlich umarmt.
Vorhang
Kaiserin Katharina I. | |
Fürst Menschikoff | |
Prinzessin Sascha | |
Ein weißer Pierrot |
Hofdamen und Kammerdiener
Epilog: Im Schlafzimmer der Kaiserin Katharina I. 1727.
Katharina im lila Seidenkleid mit feuergelbseidener, loser Jacke. Goldseidene Blumen in die lila Seide gewebt. Sie trägt ein Diadem im Haar.
Katharina ist krank und zerrüttet. Übertrieben geschminkt. Sie fiebert. Sie hat blaue, tiefe Augenhöhlen und spricht heiser und oft sonor wie ein Mann. Sie trinkt viel und möchte leben. Sie ist noch lebenshungrig und nicht mehr übermüdet wie im vierten Akt. Sie spricht rasch und hastig, als möchte sie sich mit Sprechen vor dem Sterben schützen. Sie weiß, daß sie stirbt, und fühlt es schon am Anfang des Epilogs. Aber sie bleibt mutig und wird nur manchmal plötzlich weinerlich. Sie stirbt schnell, fällt zurück, streckt sich und sieht dabei im letzten Augenblick aus, als glaubte sie plötzlich nicht mehr daran, daß es der Tod ist, der sie anfaßt; sie lächelt belustigt, während sie stirbt.
Menschikoff ist breit und behäbig und versöhnt mit dem Schicksal. Er hat gleichfalls Humor und ist grau geworden. Menschikoff erscheint in pelzverbrämtem Kaftan, mit weiten Beinkleidern, reich, aber gemütlicher gekleidet und behäbiger, weiß mit rot.
Sascha in weißem Kleid mit efeugrünem Laubmuster. Grüne Federn im Haar. Sie hat einen hellblauen Seidendomino übergeworfen.
Ein weißer Pierrot mit weißer Maske und weißgeschminkten Händen. Er hat ein geisterhaftes, groteskes Benehmen, als ob er aus weißem Papier ausgeschnitten wäre, so zitterig und halb komisch tritt er auf und hat die Bewegungen einer automatischen Puppe, ist dabei spukhaft wie ein Geist.
Das Schlafzimmer der Kaiserin. Ein goldgelbes Gemach. Ein riesiges, geschnitztes, schweres, goldenes Bett steht, mit dem Kopfende gegen den Hintergrund, in der Mitte des Zimmers. Das Bett füllt fast das ganze Zimmer. Das Gemach ist nicht sehr groß. Links und rechts im Hintergrund zu beiden Seiten des Bettkopfendes je ein Fenster. Ein Kamin schräg in der Ecke, aus schwarzem Marmor. Auf dem Gesims steht der silberne Schmuckkasten der Kaiserin. Eine große, gebauchte Mahagonikommode mit Goldbeschlägen. Heiligenbilder aus Gold mit kleinen blauen Ampeln in den Ecken. Ein hellblauer Teppich am Boden. Goldgelbe Bettvorhänge, von einer mächtig goldenen Krone an der Decke gehalten. Das Bett steht etwas erhöht. Ein goldener Serviertisch zum Rollen, mit Flaschen, Kannen und Gläsern und Bechern bedeckt.
Blaue Morgendämmerung draußen und Morgenröte. Eiszapfen am Fenster. Über einem Sessel liegt ein Blaufuchspelz, mit blauem Samt überzogen. Eine Tür in der linken Seitenwand.
Sascha, in Balltoilette mit übergeworfenem Domino, kommt durch die Korridortüre links; sie flüchtet vor einem weißen Pierrot. Dieser hat eine weißseidene Maske vor dem Gesicht.
Sascha komisch ernst, bleibt in der Mitte des Zimmers stehen. Sie hat es eilig, weil sie etwas von der Kommode holen soll.
Du Unverschämter, du, bist mir vom Maskenballe nachgelaufen!
Durch alle Korridore von dem Schloß, unheimlich Weißer du!
Hängst wie ein Schneeball mir an meinen Stiefelhacken!
Weißt du denn, wo du bist?
Sie deutet mit einer Geste über das Zimmer.
Der Kaiserin Schlafgemach.
Ich muß ihr Riechsalz und Pastillen holen,
Sie wurde unwohl auf dem heißen Ball, doch keiner soll es merken.
Welch Auge du jetzt machst, seit du erfahren, wo du hingeraten!
Die weiße Maske ist bis an das Bett gekommen.
Sascha mit großer Geste
Ein Riesenbett, ein Kaiserinnenbett, siehst du die Krone von der Decke hängen?
Sascha holt inzwischen Riechsalz und Pastillen von einer Kommode im Hintergrund. Sie wendet dem Pierrot den Rücken. Rückwärtsgehend schlüpft dieser durch dieselbe Tür, durch die er gekommen, hinaus und ist verschwunden, als Sascha sich wieder nach ihm umsieht.
Sascha.
Ah, ist er denn zu Luft geworden! Er lief zum Fest zurück!
Die Türe ist noch offen! Find' ich ihn wieder, dann verlieb' ich mich.
Die Kaiserin Katharina, in gelb und violett seidenem Kleid, das reich mit Hermelin besetzt ist, kommt herein; sie stützt sich halb ohnmächtig auf mehrere Frauen und ist von zwölf Damen umgeben, alle in reichen Maskentoiletten. Sascha kommt ihr entgegengelaufen, bestürzt, und reicht ihr das Riechsalz; die Frauen führen die Kaiserin auf das große Bett und legen sie nieder, während sie mit sonorer Stimme, atemlos und halb schimpfend, spricht.
Katharina.
Mir ist so niederträchtig und gemein zu Mut,
Ich fiel betrunken um und bin doch nüchtern!
Mein Kopf steckt wie in einem heißen Sack,
Daß ich schon alles dunkel nur noch sehe.
Verwünschtes Fieber! Sascha, ruf' den Menschikoff!
Muß mir den Dusel aus dem Hirn fortschwatzen.
Und bring uns Wodka, Wein, wie jeden Morgen!
Sie zittert im Schüttelfrost.
Frühluft ist schauerlich, und trinken muß man;
Und regenbogenfarbiger sieht sich das Leben an,
Betrachtet man's durch Weinbouteillen.
Die Kaiserin verabschiedet die Frauen; sie verbeugen sich alle auf einmal und gehen. Sascha rollt einen goldenen Serviertisch aus der Ecke neben das Bett. Der Tisch steht voll Weinkaraffen, Schnapskaraffen und Gläser.
Sascha.
Mir, Majestät, scheint ohne die Bouteillen
Das Leben süffiger als der Wein.
Katharina erschöpft, in den Kissen
Sascha, das Leben lebt sich nicht von selbst,
Und Totes muß man mit dem Wein beleben;
Denn jeder, der lang lebt, der trägt auch Totes,
Gleich Steinen, in der Tasche mit herum.
Geh, ruf mir Menschikoff, wir wollen Tote wecken.
Nur er und ich verstehen uns darauf.
So'n Maskenball mit seinen Masken war
Gleich einer Kinderstube voll Puppen anzusehen;
's war nicht die Teufelsbande mehr wie sonst,
Mit der ich manche Höllenfahrt beim Karneval oft mitgemacht;
Die Weiber gingen wie die Ammen nur
Heut' plump und wohlgenährt im Saal herum,
Und alle Kavaliere hingen an ihren eignen Eheweibern,
Wie nur die Säuglinge am Milchvorrat.
Sascha.
Mich, Majestät, verfolgte einer, der war nicht abzuschütteln,
Ein kreideweißer Mann, und mit mir kam er bis
In Euer Schlafgemach; den, wenn ich wiederfände,
Der war so diebisch in den Augen, dem sänk' ich gern an seinen Hals,
Und wäre es der Tod in Mannsgestalt.
Katharina lacht auf und richtet sich in dem Kissen höher.
Haha, du liebst am Tod die Mannsgestalt?
Sie stöhnt; die Augen treten ihr weit aus den Höhlen. Sie spricht heiser.
Mir ist, als wär mein Bett ein Wagen
Und jagte mit zwölf Hengsten durch die Luft,
Das Blut rast mit wie eine Koppel Hunde.
Sascha stützt den Rücken der Kaiserin mit einem Kissen.
Ich liege gut, laß jetzt den Menschikoff herein,
Sonst aber keine andere Mannsgestalt
Und keinen Leibarzt über meine Schwelle;
Zuschauer sind sie alle nur in ernster Stunde.
Sascha will gehen; die Kaiserin hält sie zurück.
Der Fürst ist sicher schon auf seinem Weg hieher
Und kommt wie jeden Morgen, Majestät.
Katharina deutet aus einen Handspiegel, den ihr Sascha reicht.
Werd' ich denn schon in eine Gruft gemauert! –
Ich seh' nicht mehr im Spiegel mein Gesicht.
Sie atmet auf.
Die Luft war dunkel, jetzt wird's wieder hell,
Ich sehe meine Maske wieder drinnen im Spiegelglas erscheinen.
Sie deutet in den Spiegel.
Sascha, schau her, so sehn die Menschen aus,
Die Menschen, welche nichts bereuen.
Das sagt der Menschikoff, wenn er betrunken ist.
Wer weiß, vielleicht reut ihn doch jetzt die Zeit . . .
Sie hustet.
Sascha.
Dem Menschikoff reut niemals nichts im Leben.
Katharina spricht weiter im selben Satz.
. . . die Zeit mein ich, die er mit einer Kranken
Jetzt jeden Morgen hier versäuft. Ich bin zu krank.
Sascha, er weiß, ich lieb ihn nicht mehr lang.
Mich liebt ein anderer seit einigen Tagen.
Ein sehr gewaltiger, inbrünstiger Gesell'.
Sascha erstaunt, erschrocken
Ein anderer! Ach, ist es der gewesen, –
Der weißmaskierte Herr, der mir gefolgt?
Katharina lacht und seufzt.
Der andere, Närrin, war noch niemals hier.
Sascha halb furchtsam
Es trat hier vorhin einer an das Bett
Und war verschwunden, plötzlich, wie ein Geist.
Katharina.
Der mich sucht, Sascha, Närrin, der,
Der kommt und geht nie fort, wenn er gekommen.
Sascha.
Es schaudert mich, wenn ich dran denke,
An diesen weißen Mann, der mich verfolgt . . .
Katharina lacht heiser.
Der, wenn er's war und hat mich nicht gefunden,
Dann kommt er wieder; kannst mir's glauben.
Sie versucht zu spaßen.
Haha, ein weißer Pierrot war bei mir;
Er hatte lange, dürre Finger, was?
Er tanzte gern auf einem Bein, nicht wahr,
Und zeigte blanke Reihen Zähne, grinsend?
Sascha.
O, wie Ihr lustig von der Maske redet,
Trotzdem ich sicher weiß, es war ein Hofherr nur,
Der auf dem Ballsaal keck mir nachgelaufen,
Glaub' ich, man könnt' Gespenstern noch begegnen,
Wenn Majestät von einem andern redet,
Den Ihr erwartet jede Stund'!
Es klopft an die Tür; Sascha schreit entsetzt laut auf.
Katharina ruhig
Es klopft; was schreist du? Menschikoff, herein!
Menschikoff tritt ein; die Kaiserin deutet auf Sascha.
Hört nur, wie Sascha schreit! – Gut' Morgen, Liebster!
Sascha. außer sich
O, Majestät, ich weiß, Ihr meint den Tod;
Er kommt, wenn Ihr ihn in Gedanken ruft,
Er ist ja wie ein räud'ger Hund versteckt,
Den man nicht vorlockt unterm Bett;
Ist er mal da, zeigt er die Zähne.
Menschikoff angeheitert
Wer will denn sterben hier, wo doch das Leben
Frühmorgens schon mit hellem Wein beginnt!
Ganz überflüssig, find' ich, ist der Tod
Und kommt auch nicht zu denen, die ihn rufen.
Er ist ein Geck, den Lustigkeit verdrießt;
Der Tod sucht gern die Sauertöpfe auf,
Weil er selbst nur ein Sauertöpfer ist.
Sascha.
Für mich ist schon der Name »Tod«
Was für die Kinder eine Rute hinterm Spiegel;
Schon bei dem Namen spür' ich Schmerz vor Schreck.
Menschikoff welcher der Kaiserin die Hand geküßt hat, zu Sascha
Laßt Ihr uns nur ein kleines Weilchen
Bei unsern Flaschen hier allein, Prinzessin,
So wollen wir das Leben leben lassen,
Wie jeden Morgen hier beim vollen Glas!
Katharina.
Ja, Sascha, lass' uns, aber bring' den Pelz zuerst,
Den Blaufuchs, Sascha, den ich öfters liebe.
Sascha.
Den Blaufuchs, Majestät? Ihr seid rauflustig heut'?
Menschikoff.
Ja, schlüpft Ihr in den Blaufuchs, Kaiserin,
So seid Ihr bald dem besten Freund ein Feind.
Katharina. läßt sich von Sascha den Pelz umlegen und die Kissen aufschütteln, indessen Menschikoff die Flaschen betrachtet und gegen das Licht hält und verschiedene Gläser einschenkt.
Heut' nicht, heut' ist ein seltner Tag.
Heut herrscht auch Burgfried in dem Blaufuchs, heut'!
Ich will den Pelz zur Ausfahrt mit mir nehmen . . .
Menschikoff.
Fahrt Ihr denn aus, so früh schon, Majestät?!
Sascha will sich zurückziehen.
Katharina.
Vielleicht so früh. Zu Sascha Geh nicht zu weit fort, Närrin,
Ich brauche dich vielleicht zur Ausfahrt später.
Sascha an der Tür
Ich geh und frage nur im ganzen Schloß,
Wer hier der weiße Maskenherr gewesen,
Daß sich vor Neugier nicht mein Haar verfärbe.
Katharina.
Geh, frag, doch laß vor allem keine Ärzte ein,
Natur läßt sich nicht gern in's Handwerk pfuschen.
Sascha verneigt sich und geht. Menschikoff reicht der Kaiserin auf einem Tablett einige gefüllte Gläser und stellt diese neben sie auf den Tisch.
Menschikoff.
Trinkt, Majestät, der Schnaps ist auch ein Fuchs
Und wird sich mit dem Blaufuchs wohl vertragen.
Katharina läßt das Glas unberührt stehen und spricht in ihren Gedanken weiter, indessen Menschikoff ihr zutrinkt.
Schad', Menschikoff, daß ich nicht klug gewesen
Und im Palast vergessen habe,
Für Raritäten mir ein Kabinett zu bauen.
Ich hätt' dran große Freude jetzt im Augenblick.
Gar manche Dinge zähl' ich in Gedanken noch,
Die ich wie diesen Pelz als Rarität verehre.
Menschikoff trinkend
Daß du so viel Erinnerungen brauchst?!
Katharina.
Weißt du, das Reitkleid in Marienberg,
Das du mir schenktest an dem ersten Tag,
Darin ich einschlief als Dragonerweib,
Das hätt' ich gern als Rarität bewahrt.
Die Scherben auch von dem zerbrochenen Service,
Das dir der Zar damals im Zorn zerschlug, –
Und auch den goldnen Teller, drauf er Nüsse knackte.
Menschikoff.
Des Zaren Wille ging nicht leicht in Scherben,
Du bliebst sein Lieblingswunsch seit jener Stunde.
Katharina nimmt ein Glas in die Hand; aber sie beginnt plötzlich zu weinen.
Du bist empfindsam heute, Katharina,
Du weinst ja über das gefüllte Glas.
Schluck lieber Wodka statt der eigenen Tränen!
Er hebt sein Glas.
Dein Wohlsein, Kaiserin! Mach' mich nicht zittern!
Katharina.
Dein Wohl, mein Liebster! Zitterst du?
Du, der einmal vor mir nicht zittern wollte?!
Menschikoff deutet auf den Kamin.
Dort steht der Kasten noch auf dem Kamin,
Den du »o Schatz, mein Schatz« laut angeredet.
Katharina unter Tränen
Wie hast du mich so schwer damals verstanden!
Ich mußte erst zu einem Kasten reden,
Damit du hörtest, daß ich dir zurief.
Haha, wie köstlich war der ganze Lärm!
Menschikoff.
Du bist so blaß, daß ich fast zittern möchte.
Katharina aufflackend, heiser
Denk' halt, ich sei ein weißer Domino!
Prost, Menschikoff, es leb' die Maskerade!
Sie trinkt ihm zu, er trinkt auch.
Vielleicht ist's Leben wie ein Taschentuch,
Man wirft es weg und nimmt ein anderes.
Werd' nicht nachdenklich jetzt und schenke ein!
Menschikoff.
Ach ja, ein Taschentuch ist bei den Raritäten.
Er trinkt ein großes Glas aus und schenkt verschiedene Gläser ein.
Katharina lächelnd
Ja, ja, das Taschentuch, das echt französische,
Das sollte dicht bei diesem Blaufuchs liegen.
Zwei Tote können beide schnell erwecken,
Bei diesen wollte damals ich den Menschikoff
Fürs Leben gern einmal vergessen.
Doch, ach, die unvergeßlich Liebenden,
Du Gottvergessener, die machtest du zu Toten mir.
Tyrann du, daß du sie jetzt auferweckst!
Menschikoff.
Du meinst den Pagen Mons und den Franzosen?
Er trinkt wieder ein Glas aus.
Ich möchte fast, wie Sascha vorhin sagte,
Dran glauben jetzt, daß du heut' Rauflust hast,
Weil du die Kerle unvergeßlich nennst.
Katharina trinkt ihr Glas schnell aus und zieht Menschikoff am Ärmel zu sich; Menschikoff setzt sich auf den Bettrand.
Du weißt nicht, Schatz, was mir der blaue Fuchs
Für Augen oft im Dunkeln machen kann.
Dann knistert er wie's Haar vom jungen Pagen.
Der blaue Fuchs und ich wir haben beide, weißt du,
Das blutige Schafott in vollem Gang gesehen,
Als du mir meinen Pagen unters Beil gebracht,
Den jungen, jungen Mons mit seinem blonden Haar.
Der Henker schwenkte seinen Kopf am Haar.
Es war ein Morgen, grad' wie heut', voll Eis;
Eiszapfen am Schafott, wie jetzt am Fenster dort,
Als schnell der Zar mich zwang, mit auszufahren,
Im off'nen Schlitten in den Morgennebel.
In seinem Schlitten am Schafott entlang zu fahren
Darauf man meinen Pagen just geköpft;
Es tropfte von den großen eisigen Zapfen
Vom Rande des Schafotts das rote Blut; das Blut war weit im Bogen fortgeschossen,
Der Zar saß neben mir im Schlitten, mich zu prüfen,
Mißtrauisch, ob ich ihn mit Mons betrogen;
Doch über'n Pelz vergaß ich meinen Pagen,
Denn mir war wirklich bang um meinen blauen Fuchs.
Menschikoff.
Du liebtest mehr den Pelz als deinen Pagen?
Katharina.
Gleichgültig war mir alles, was ich sah,
Ich dachte nur an dich und meinen neuen Pelz,
Auf den das Blut hoch vom Schafott hintropfte.
Den Pelz, den ich mir sehnlichst lang gewünscht,
Hatte der Kaiser mir am Morgen erst geschenkt.
Hätt' ich in meinem Pelz nicht stets an dich gedacht,
Daß ich drin gerne dir gefallen wollte,
Ich wäre ahnungslos vor dem Schafott erblaßt
Und hätte vor dem Kopf des Pagen aufgeschrieen
Und hätte mich verraten vor dem Zaren.
So war ich ganz auf meinen Pelz bedacht,
Daß du ihn sehen solltest unbesudelt.
Der blaue Pelz war Retter mir vor Peter,
Der zwischen Schuld und Unschuld schwankend wurde.
Erst heute werd' ich blaß, wenn ich dran denke,
Wie knapp ich am Schafott vorüberfuhr.
Menschikoff.
Du hast's zu hundert Malen schon erzählt,
Doch sah ich's niemals deutlicher als heute.
Katharina.
Mich hat auch nie der Blaufuchs so gewärmt,
Wie jetzt, wo ich im Schüttelfroste friere.
Menschikoff.
Ja, ja, vergossenes Blut macht jeden heiß.
Gehaßt hast du den Zaren seit der Stunde.
Er trinkt sein Glas aus.
Katharina zieht Menschikoff an sich und küßt ihn.
Weil ich ihn niemals so geliebt wie dich. –
Schenk ein, die Toten werden zu lebendig!
Menschikoff schenkt die Gläser voll.
Mal schenkt man Blut ein, und mal Schnaps ins Glas,
Man wechselt eben ab auf Erden.
Prost, Katharina, hoch die Raritäten!
Katharina.
Prost, Schatz, ich hätt' noch eine Rarität.
Das ist der Schlußeffekt und wertvoll bis ans Ende.
Menschikoff.
Ich werd' noch eifersüchtig auf die Dinger.
Katharina.
's ist nur die Tafel, meine Schreibstundtafel!
Und ich, ich selber hab's nicht mal geschrieben,
Nur unterschrieben groß mit meinem Namen.
Ich lieb' dich heut' wie immer, Menschikoff!
Menschikoff küßt sie.
Ja, ja, ich sagt' es mir die letzten Nächte,
Als ich nicht schlief, laut vor mich hin:
»Ich lieb' dich heut' wie immer, Menschikoff.«
Und wenn ich's sage, kenn' ich keine Schmerzen.
Menschikoff streichelt ihr Haar.
Die Kaiserin spielt heut' mit Sentimenten!
Von dieser Seite kenn' ich sie sonst kaum;
Sonst mußte Wodka stets den Schmerz vertreiben.
Katharina streichelt Menschikoffs Hände.
Das Leben ist wie Wodka: niemals nährt es
Und gibt nur Appetit zum Weiterleben.
Und durstig gehen wir, wenn wir mal gehen;
Durstig, wie wir es nicht uns träumen konnten,
Als wir bescheiden angekommen sind.
Menschikoff richtet sich auf und lacht.
Was wir auch trinken, Durst kehrt immer wieder,
Der große Trinker züchtet sich stets größeren Durst.
Katharina.
Wo will das hin, wenn's Leben durst'ger wird
Und nie zu stillen ist, nie auszuleben? – –
Ich sehne mich, beim nächsten Glas
Ein wenig drüber einzuschlafen.
Sie lächelt ermüdet.
Menschikoff leicht scherzend
Und hoffst, daß man neu einschenkt dir indessen.
Katharina lehnt sich in die Kissen zurück.
Du trinkst für mich, indessen ich verschnaufe.
Menschikoff schenkt neue Gläser ein.
Das Leben will wie Wein genossen sein,
Will, daß man's auf der Zunge schmatzend koste.
Beim Lieben und beim Trinken sollt' man nie ermüden
Siebenunddreißig Jahre zählst du erst.
Katharina.
Beim Trinken und beim Küssen zählt man nicht.
Wir haben beide stets ein heftig Tempo angeschlagen.
Ich hasse die Bedächtigen, die allzu müd geboren wurden,
Die nur als Publikum sich hin vors Leben setzen
Und über ihre Nasenspitze verächtlich hin zur Bühne blinzeln.
Sie brauchen nur das rechte und das linke Ohr,
Um sich nach rechts und links hin taub zu stellen;
Den Mund, um die Gefühle zu verschlucken,
Und geben Durst und Hunger keine Zeit.
Menschikoff.
Weil sie ihr Blut beargwöhnt stündlich haben,
Als wär's gepanschter Muskatellerwein.
Katharina.
Warum sind Menschen nicht verschwenderisch,
Wie's Götter sind, mit den Gefühlen!
Menschikoff.
Mein Schatz, die Öfen alle heizen nicht
Gleich, einer wie der andere, im Russenreich.
Gottlob, die Menschen ändert oft ein Nachmittag
Und Seelen sind beweglich wie die Launen.
Menschikoff reicht ihr ein frisches Glas.
Katharina.
Die Menschen geizen mit der Freude.
Menschikoff.
Sprich nicht, als ob du Magenbitter schlürfst,
Statt des gezuckerten und süßeren Genevers.
Du, als Dragonergattin einst, und ich, als Zuckerbäcker,
Wir dürfen's Leben heut nicht sparsam nennen.
Wir schwimmen heute mehr im Fett
Als alle Krapfen in der Butterwoche.
Der Andern Leben ist ein stiller Baum,
Doch deins und meines rauschte gleich den Wäldern.
Wir schauen auf die Liebestage statt auf die Ahnenreihen.
Katharina.
Ja, unsre Ahnen sind die Liebestage! –
Die Tage müssen gleich den Bildern dunkeln
Und schauen aus den Rahmen, sanft versöhnt.
Ach, alle Jahre mästen uns mit frischen Tagen,
Bis uns ein Tag dann mal als Mahlzeit braucht,
Und Balg und Knochen wirft er unter'n Tisch.
Menschikoff.
Die Jahre wollen ihren Rausch,
So wie wir jeden Morgen uns berauschen.
Katharina.
Beim Prost und Klingklang, den die Herzen geben,
Erschüttert unser Leib in allen Fugen.
Doch eh' der Tag kommt, der uns frißt,
Kommt erst ein Augenblick, der's Blut uns trinkt . . .
Menschikoff ihren Satz fortsetzend
. . . langsam uns kostend, wie ein Glas Madeira.
Den süff'gen Augenblick, den nennen Menschen »Liebe«.
Katharina.
Den Augenblick kann niemand rufen.
Die Liebe ruft den Menschen ganz allein. –
Wer hätte das gedacht, wir sind ja alle arme Happen nur.
Ein Happen, der heißt Bettler, einer – Kaiserin,
Doch für die Zeit sind alle gut zum Kauen. –
Prost, auf die großen Schmerzen, Menschikoff,
Die Schmerzen, die uns heute Freude machen!
Sie stoßen beide an, trinken aus; und Katharina seufzt erleichtert auf; dabei verändert sich ihr Gesicht; nachdem sie sich mit einem Tuch über die Stirn gefahren ist, ist sie todbleich und leuchtet vor Blässe.
Menschikoff.
Seufzt du aus Freude oder Schmerzen jetzt?
Katharina.
Ich weiß nicht, daß ich eben seufzte, –
Ich glaub', es seufzte jemand neben mir.
Weit fort bin ich, ach, weiter, als es gut ist.
Ich hör' Musik; ist denn Musik im Schloß? . . .
Ach nein, in meinem Kopf sind's die Gedanken,
Und die Erinnerungen musizieren.
Sie richtet sich plötzlich hager auf; Menschikoff steht neben ihr am Bett.
Weißt du, ich fühl' im Rücken eine Hand, –
Als will mich einer um die Hüfte fassen.
Sie lächelt schwach.
Vielleicht werd ich dir heute untreu, Schatz.
Menschikoff fest und bestimmt
Ich töte auch für dich zum vierten, fünften Mal.
Katharina.
Ach, dessen Hand ich fühle,
Den bringst auch du nicht um.
Von allen meinen Liebhabern ist der der stärkste.
Menschikoff erschrocken
O, Katharina, sprachst doch eben noch
Von einer Ausfahrt in die Morgenluft?
Katharina packt ihn am Arm.
Jetzt legt die fremde Hand sich an mein Herz . . .
Nein, Menschikoff, es geht um's Leben jetzt . . .
Menschikoff verzweifelt, ballt seine Fäuste.
So schüttel sie doch ab, die Hand!
Er schlägt sich die Fäuste an die Stirn.
Herrgott, zehn Finger, und nicht einer taugt
Ihr Leben aufzuhalten; Herr, sie stirbt . . .
Katharina hat sich zurückgelehnt, streckt sich, Menschikoff schreit verzweifelt auf.
Er ist ein Feigling, der es wagt,
Dich anzurühren unsichtbar . . .
Katharina schwach
Ei, Menschikoff, es tut nicht weh, es ist . . .
Menschikoff kniet am Bett nieder.
O Katharina, Kaiserin, o bleib!
Katharina streckt sich und stirbt lächelnd.
Nichts – es ist nichts – nur eine Spielerei.
Menschikoff schluchzt und bedeckt ihre Hand mit Küssen. Sascha kommt herein. Menschikoff hat sich aufgerichtet und betrachtet lange die Tote.
Sascha kommt laut lachend herein und ruft unter der offenen Tür:
Der weiße Pierrot ist ein Automat!
Das Küchenvolk erzählt's im ganzen Schloß.
Er hat ein kunstvoll Walzenwerk im Leib
Und lief aus Rädern durch die Korridore.
Wollt Ihr, daß ich die weiße Puppe hole?
Das Uhrwerk zieht man auf, wenn's abgelaufen,
Mechanisch ist es, und kein Geisterspuk!
Sie tritt näher und fragt halblaut:
Die Kaiserin, – fährt sie nicht aus? – Sie schläft?
Ist sie schon lange eingeschlafen?
Sie erkennt, daß die Kaiserin tot ist, und wirft sich aufschluchzend an der andern Seite des Bettes nieder.
Vorhang