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Wie mit staubfeiner Lava bedeckt, flimmerte die sandige Piazza.
Die weißgetünchten Häuser umher glänzten eigentümlich metallisch und glühten wie die Wände eines erlöschenden Ofens. Die Steinpilaster der Kirche waren vom Widerschein der irisierenden Wölkchen rotgefärbt. Die Verglasungen funkelten, als ob es im Innern lichterloh brenne. Die Bildnisse und Ornamente schienen belebt, voller Kolorit und Bewegung. Mächtig und übergroß in der seltsamen, phänomenalen Abendbeleuchtung, beherrschte das große Gebäude die Häuser der Radusaner.
Gruppen von gestikulierenden und schreienden Männern und Frauen durcheilten die nach der Piazza führenden Straßen. Alle erfüllte eine abergläubische, wachsende, bis ins Ungeheure sich steigernde Angst vor dieser nie gesehenen Himmelsfärbung, und in tausend Schreckbildern von Strafen des Himmels erging sich die Phantasie dieser Menschen, die von keiner höheren Kultur berührt waren. Geschwätz, hartnäckiges Streiten, Klagen, Verwünschungen, Gebete, Geschrei mischten sich wild durcheinander und glichen dem Grollen des Donners, ehe das Gewitter losbricht.
Seit mehreren Tagen schon überzog nach Sonnenuntergang diese blutige Röte das Firmament, beleuchtete gespenstisch die träumende Ferne, drang in die Stille der Nacht und erregte das Gebell der Hunde.
Am Eingang der Kirche, um einen Pilaster gedrängt, stand eine Gruppe und unterhielt sich mit gedämpfter Stimme. Dann winkten einige und riefen: Giacobbe! Giacobbe!
Ein Mensch, lang, hager, wie von hektischem Fieber verzehrt, erschien unter der Hauptthüre der Kirche und trat zu den Rufenden. Sein Schädel war kahl; nur Schläfe und Nacken waren von brandroten Haaren umsäumt, die in langen Strähnen herabhingen. Die kleinen, tiefliegenden Augen waren ein wenig schief gegen die Nasenwurzel gestellt und hatten keine bestimmte Farbe, aber ein unheimliches, leidenschaftliches Feuer flackerte darin. Das Fehlen zweier Vorderzähne des Oberkiefers und eine eigentümliche Bewegung des mit spärlichem Bart bedeckten Kinnes gaben ihm beim Sprechen einen Zug faunartiger Greisenhaftigkeit. Der ganze übrige Körper bestand aus einem kläglichen Gerüst schlotternder Knochen. Zur Erinnerung an heilige Orte, an empfangene Gnaden, an vollführte Gelübde hatte er sich mit Nadel und Indigo bläuliche Figuren in den Körper geritzt, welche die Hände, Knöchel, die oberen Arme und sogar die Brust bedeckten.
Als der Fanatiker sich der Gruppe an der Säule näherte, lichteten die von Angst bethörten Menschen eine Flut von Fragen an ihn: – Nun? Was hat Don Consolo gesagt? Lassen sie nur den silbernen Arm heraustragen? Wäre es nicht besser die ganze Figur? Wann wird Pallura mit den Kerzen zurückkommen? Werden es hundert Pfund Wachs sein? Nur hundert Pfund? Und wann werden die Glocken zu läuten anfangen? – Nun sag', wie wird's?
Der Lärm um Giacobbe wuchs; die ferner Stehenden drängten nach der Kirche. Aus allen Straßen kam das Volk herbei und füllte die Piazza.
Und Giacobbe antwortete den Fragenden mit gedämpfter Stimme, als ob es sich um schreckliche Geheimnisse, um alte Prophezeiungen handle:
Hoch droben hatte er eine drohende, im Blute schwimmende Hand gesehen und dann einen schwarzen Schleier, ein Schwert, eine Tromba ...
Erzähle! Erzähle! riefen die Nächsten voll scheuer Neugier und Spannung, etwas Ungewöhnliches zu vernehmen.
Unterdessen verbreitete sich die Fabel mit Windeseile unter der versammelten Menge.
Der zinnoberrote Streifen am Horizonte stieg langsam höher und breitete sich über das ganze Himmelsgewölbe aus. Flüssiges Metall schien über den Dächern der Häuser zu wogen, und in den allmählich erlöschenden Dämmerschein mischten sich gelbliche und violette Töne. Ein langer, hellaufleuchtender Lichtstreif huschte über die auf den Flußdamm mündende Straße, verlor sich zwischen den hochstrebenden Stämmen der Pappeln und verschwand in den glitzernden Spiegeln der Fluten. Dahinter lag ein Streifen dürrer Ebene, und die alten Sarazenentürme erhoben sich wie Steininseln in unbestimmten Konturen aus dem dichten Nebel. Die Luft war gewürzt mit dem Dufte frisch geschnittenen Heues, zuweilen so süß, wie er den am Rebstock dörrenden Trauben entströmt. Schwärme zwitschernder Schwalben durchmaßen pfeilschnell und unaufhörlich den Raum zwischen dem Uferrand und den Dächern der Häuser.
Plötzlich unterbrach erwartungsvolle Stille das Tosen der Menge. Der Name Pallura ging von Mund zu Mund. Hier und da schallten ungeduldige Verwünschungen durch die Luft.
Längs der Flußstraße war von dem Karren noch nichts zu sehen. Die Kerzen fehlten noch. Deshalb allein zögerte Don Consolo, die Reliquie auszustellen und den Exorcismus zu beginnen. Die Gefahr war also noch nicht vorüber.
Der Schrecken durchlief die wie eine Schafherde zusammengedrängten Menschen, die nicht wagten, ihre Blicke zum Himmel zu erheben. Aus der Brust der Weiber rangen sich Seufzer los, und unter dem beängstigenden Drucke dieser Klagelaute ergriff die Masse eine unbeschreibliche Bestürzung.
Endlich begannen die Glocken zu läuten. Das Gestühl befand sich in mäßiger Höhe, und der dröhnende Klang des Anschlags gellte der Menge in den Ohren. Zwischen den einzelnen Schlägen surrte und summte es durch die Lüfte.
»San Pantaleone! San Pantaleone!«
Zu einem einzigen flehenden Aufschrei vereinten sich die Stimmen der Verzweifelten. Alle lagen auf den Knieen und beteten mit gefalteten Händen.
Zwischen zwei geschwungenen Weihrauchfässern trat Don Consolo aus der Pforte der Kirche, angethan mit violettem, goldgesticktem Meßgewande. Er hielt den heiligen silbernen Arm hoch erhoben und rief, die Lüfte beschwörend:
Ut fidelibus tuis aëris serenitatem concedere digneris. Te rogamus, audi nos!
In der Menge rief das Erscheinen der Reliquie einen Taumel der Verzückung hervor. Alle Augen füllten sich mit Thränen, und die feuchten, verschleierten Blicke sahen einen überirdischen Glanz aus den zum Segnen erhobenen Fingern hervorstrahlen. Die Gestalt des Armes schien in der Höhe übergroß, die kostbaren Juwelen funkelten in prächtigen Reflexen. Der Weihrauchduft nahm die Sinne der Andächtigen gefangen:
Te rogamus, audi nos!
Als der Arm niedersank und die Glocken verstummten, hörte man von der Flußstraße her Geklingel näher kommen. Da entstand eine Bewegung nach jener Seite hin, und einige riefen:
Pallura ist es mit den Kerzen! Pallura kommt! Da – Pallura!
Von einer grauen, schweren Stute gezogen, auf deren Hals das messingbeschlagene Kummet glänzte, bewegte sich der Karren knirschend über den Kies.
Als Giacobbe und die andern ihm entgegengingen, blieb das Tier stehen und schnob kräftig durch die Nüstern.
Giacobbe, der zuerst beim Wagen anlangte, sah sofort den blutbedeckten Körper Palluras, der auf dem Boden des Karrens hingestreckt lag; entsetzt hob er die Arme und rief den andern zu:
Er ist tot! Er ist tot!
Wie der Blitz verbreitete sich die traurige Nachricht. Alles drängte sich um den Karren und reckte den Hals, um etwas sehen zu können, und man dachte nicht mehr an das Drohen von oben. Alle trieb jene unwiderstehliche Neugierde heran, welche die Menschen beim Anblick von Blut ergreift.
Ist er tot? Was, er ist wirklich tot?
Pallura lag mit einer tiefen Stirnwunde, mit zerfetztem Ohr, die Kleider an den Armen, den Seiten und an den Schenkeln zerrissen, rücklings auf den Brettern. Ein warmer Blutstrom lief über die Augen, über das Kinn und den Hals herunter, färbte das Hemd und bildete auf der Brust, dem ledernen Gürtel und den kurzen Hosen schwärzliches Gerinsel.
Giacobbe stand über den Körper gebeugt, die anderen umringten ihn erwartungsvoll. Das anbrechende Morgenrot beschien die verstörten Gesichter, während in der lautlosen Stille vom Ufer des Flusses das Gequak der Frösche herüberklang und die Fledermäuse dicht über den Köpfen hin und her strichen.
Giacobbe, der sich so dicht auf den Daliegenden gebeugt hatte, daß seine Wange mit Blut gefärbt war, richtete sich auf und rief: Noch ist er nicht tot. Er atmet noch!
Ein dumpfes Gemurmel lief durch die Umstehenden, sie drängten sich näher heran. Die Entfernteren wurden unruhig und riefen durcheinander. Zwei Frauen brachten Wasser in einem Gefäß herbei, eine andere reichte Leinwand hinauf; ein junger Bursche hielt seine weingefüllte Kürbisflasche hin.
Man wusch das Gesicht des Verwundeten; das aus der klaffenden Stirnwunde hervorquellende Blut wurde gestillt, der Kopf aufgerichtet.
Es wurde lauter und lauter, man wollte wissen, wie es sich zugetragen habe. Die hundert Pfund Wachs waren nicht da; in den Spalten zwischen den Brettern des Karrenbodens fanden sich nur noch wenige Bruchstücke.
Man tauschte Vermutungen aus, und es wurde erregt und heftig hin und her gestritten. Der alte Haß gegen die Gemeinde auf dem anderen Ufer des Flusses, gegen Mascalico, begann wieder in ihnen zu gären.
Giacobbes Stimme klang rauh, als er giftig hervorstieß:
Sollten die Kerzen etwa San Gonzelvo dargebracht sein?
Das wirkte wie eine Brandfackel. Auf einen Schlag wurde der kirchliche Fanatismus in diesem Volke lebendig, das seit Jahrzehnten in stumpfer Gewohnheit dem blinden und rohen Kultus seines einzigen Idols huldigte. Die Worte des Fanatikers pflanzten sich von Mund zu Mund fort. In dem düstern Dämmerscheine glich die tumultuierende Menge einer Bande rebellischer Zigeuner.
Wie ein Kriegsruf erscholl aus allen Kehlen der Name des Heiligen. Sie fuchtelten mit den Armen in der Luft, und die Heißblütigsten schüttelten drohend die Fäuste nach dem Flusse zu und stießen Verwünschungen aus. Dann wieder brach das Mitleid durch, und die vom Zorn und von der ungewöhnlichen Beleuchtung geröteten Gesichter, denen die goldenen Ringe in den Ohren und das wirre Stirnhaar einen fürchterlichen, barbarischen Ausdruck gaben, wandten sich liebevoll dem Dahingestreckten zu.
Die Weiber umgaben gerührt und hilfsbereit den Karren und mühten sich, den mit dem Tode Ringenden ins Leben zurückzurufen. Fürsorgliche und liebreiche Hände wechselten die Leinwand auf den Wunden, besprengten das Gesicht mit Wasser, flößten den bleichen Lippen Wein ein und schoben weiche Polster unter den Kopf.
Pallura, armer Pallura, antworte doch!
Er lag zurückgelehnt mit geschlossenem Munde, die Augen halb geöffnet; um Kinn und Kehle kräuselte sich der sprossende, braune Bart. Die sonst sanften Züge voll jugendlicher Anmut waren von Schmerz entstellt. Von der Stirne, dicht unter dem Haaransatze zog sich ein blutiger Streifen bis zu den Schläfen. In den Mundwinkeln standen kleine Flocken rötlichen Schaumes. Aus der Kehle kamen gebrochene, schwache, gurgelnde Laute.
Immer besorgter und dringender wurden die Fragen, immer ängstlicher die Blicke der Umstehenden.
Indessen schüttelte die Stute den gebogenen Hals und wieherte gegen die Häuser zu.
Drückend wie bei einem bevorstehenden Sturme lag es über der ganzen Menge.
Von der Piazza her ertönte lautschallend durch die eingetretene Stille das herzzerreißende Jammern einer weiblichen Stimme, die Klage der Mutter. Eine dicke Frau, die im Fette zu ersticken drohte, drängte sich durch die Menge und erreichte mit einem Aufschrei den Karren. Mit ihrem schwerfälligen Körper versuchte sie vergeblich, auf den Karren hinaufzusteigen. Schluchzend warf sie sich zu den Füßen des Sohnes nieder. Unter herzzerreißenden Klagetönen liebkoste sie ihn. Bei all ihrem Jammer und Schmerz war ihr Gebaren so komisch, daß die Umstehenden verlegen zur Seite sahen, um ein Lächeln zu verbergen. Zaccheo! Zaccheo! – Mein Herz, mein Liebling! rief die Witwe unaufhörlich, küßte dem Sohne die Füße und suchte ihn zu sich heranzuziehen.
Der Verwundete bewegte sich und öffnete krampfhaft den Mund. In seinen nach oben gerichteten Augen sah man das Weiße, aber er selbst konnte nichts erkennen, seinen Blick verschleierte eine klebrige Feuchtigkeit. Dicke Thränen rannen aus den Augenwinkeln über die Wangen und den Hals herab; der Mund blieb verzerrt, gurgelnde Laute, mit einem rasselnden Geräusche vermischt, kamen aus der Kehle. Um ihn her schwirrte es unaufhörlich:
Sprich, Pallura, wer hat dich verwundet? Wer hat es gethan? Rede, rede!
Fragen und Verwünschungen wechselten ab, die Wut nahm zu, das dumpfe Gären der Rache drängte zum Ausbruche, und in allen Gemütern kochte der ererbte Haß gegen den alten Gegner.
Sprich, wer hat es gethan! Sag es uns! Sag es!
Da öffneten sich die Augen des Verwundeten völlig; die Besinnung kam ihm wieder, vielleicht geweckt durch die wärmende Berührung und den Händedruck aller derer, die sich um ihn bemühten.
Der Blick belebte sich, auf die Lippen trat ein unbestimmtes Lallen, der Schaum in den Mundwinkeln wurde reichlicher und färbte sich tiefer. Noch konnte man kein Wort verstehen. Durch die eingetretene Stille hörte man das schwere Keuchen der Menge, in aller Augen flammte es. Alle erwarteten nur ein einziges Wort.
Ma ... Ma ... Ma ... scalico ..
Mascalico! Mascalico! schrie Giacobbe, der sich über ihn gebeugt hatte und ihm das Wort von den Lippen las.
Erst ging es durch die Menge wie der Sturm durch die tosende Brandung. Als aber eine schneidende Stimme zur Rache aufrief, brach die Wut los. Ein einziger Gedanke zuckte wie der Blitz durch die zügellose Menge: Waffen ergreifen und morden!
Mitten in der schreckensvollen Dämmerung und der Gewitterschwüle, die über der Campagna brütete, hatte alle ein blutdürstiger Fanatismus gepackt.
Die Rotte bewaffnete sich mit Sicheln, Hacken, Beilen, Schaufeln, Flinten und sammelte sich vor der Kirche auf der Piazza. Alles schrie: San Pantaleone!
Von dem Lärm erschreckt, war Don Consolo in einen Winkel hinter den Altar geflüchtet. Von Giacobbe geführt, stürzte eine Handvoll Männer in die Hauptkapelle, erbrach das bronzene Gitter und drang in den unterirdischen Raum, wo das Bildnis des Heiligen aufbewahrt wurde. Drei von Olivenöl gespeiste Lampen brannten ruhig in der feuchten Luft des Sacrariums. Hinter der Kristallscheibe glitzerte das christliche Götzenbild mit dem blanken Kopfe, den ein metallener Heiligenschein umgab. Die schweren Vorhänge des Heiligenschreines verschwanden fast unter der Masse der geweihten Geschenke.
Als das Idol auf den Schultern von vier herkulisch gebauten Gestalten sich endlich zwischen den Pilastern des Eingangs zeigte und in dem Frührotlichte erstrahlte, durchlief ein langes leidenschaftliches Zittern die erwartungsvolle Menge. Ein freudeerfüllter Ausdruck glättete wie Windessäuseln alle Stirnen.
Die Schar setzte sich in Bewegung, und über ihr, mit den leeren Augenhöhlen vor sich hinstarrend, schwankte der Kopf des Heiligen hin und her.
Flüchtig glitten hier und dort Sternschnuppen im Bogen über das Himmelsgewölbe; zarte Wölkchen lösten sich vom Rande des zusammengeballten Gewölks und schwebten in leichter Auflösung vorüber. Die Häuser von Radusa lagen im Hintergrunde wie ein Berg von Asche über verglimmendem Feuer, die Ebene lag da in unbestimmtem Schimmer. Das laute Quaken unzähliger Frösche erfüllte die eintönige Stille.
Der Karren Palluras stand immer noch auf der nach dem Flusse führenden Straße. Er war nun leer, doch sah man hier und da noch Blutspuren. Durch die Stille schallten Zornrufe und Verwünschungen.
Giacobbe rief: Kommt, hebt den Heiligen hinauf!
Das Bildnis wurde auf die Bretter gesetzt und mit vereinten Kräften durch die Furt gezogen. So überschritt die kampfeslustige Prozession die Grenze. Durch die Reihen lief das Blitzen der Waffen. In der Ferne, den viereckigen Türmen zu flammte durch die Pappeln in rotem Scheine der sich dahinwälzende Strom.
Das bedrohte Mascalico lag schlafend, umgeben von Olivenhainen auf einer kleinen Anhöhe. Nachdem die Furt durchschritten, verließ die vorwärts hastende Schar die gewöhnliche Straße und drang in gerader Linie quer durch die Felder vor. Die silberne Figur wurde von neuem auf die Schultern gehoben und ragte weit über die Köpfe der Männer. So schwankte sie über dem hohen, duftenden Getreide hin, während zahllose Glühwürmchen von allen Seiten sie umschwärmten.
Ein Hirte, der neben seiner Strohhütte auf dem Felde stand, schrak auf und floh beim Anblick so vieler Bewaffneter entsetzt davon, aus vollem Halse um Hilfe schreiend. Sein Ruf wiederhallte in den Olivenhainen.
Jetzt gingen die Radusaner zum Angriffe vor. Wenn die Träger über die Wurzeln stolperten oder die herabgebrochenen Aeste zertraten, tönte das silberne Bildnis mit vibrierendem Klange in das Gequak der Frösche. Und als die Angreifer die Anhöhe erstiegen, leuchtete es blitzend voran.
Zehn, zwölf, zwanzig Schüsse krachten gegen die Masse der Dächer. Man hörte das Aufschlagen der Geschosse, dann Schreie und lärmendes Hin- und Herrennen. Thüren wurden aufgerissen und zugeworfen; Fensterscheiben zerbrachen klirrend; Blumenstöcke fielen auf die Straße und zerschellten. Weiße Rauchwölkchen zogen über den Vorwärtsstürmenden hin und lösten sich allmählich in bläulichen Dunst auf, bis sie sich in der Höhe verloren.
Von bestialischer Wut gepackt, schrieen die Verblendeten: Mord! Mord!
San Pantaleone war von einer Schar Fanatiker umringt. Das Geklirr geschwungener Sicheln und Aexte vermengte sich mit wilden Verwünschungen gegen San Gonzelvo.
Räuber! Diebe! Bettelpack! Die Kerzen! Die Kerzen!
Andere bearbeiteten die Thüren mit Beilhieben, und wie die Pforten splitternd und krachend fielen, stürzten sich die Angreifer mit Wutgeheul und Mordgier in das Innere. Halbbekleidete Weiber flohen, um Erbarmen flehend, in die Ecken, wehrten mit den Händen die Schläge ab und zerschnitten sich dabei die Finger; sie warfen sich zu Boden und suchten sich zwischen den umhergeworfenen Betten und Leintüchern zu verkriechen.
Giacobbe, lang, beweglich und brandfarbig wie ein Känguruh, war der Führer der Bande; von Zeit zu Zeit blieb er stehen, um Befehle auszuteilen; über seinem unbedeckten Kopfe schwang er eine riesige Getreidesichel, so schritt er unerschrocken im Namen San Pantaleones voran. Mehr als 30 Mann folgten ihm. Alle erfüllte das schreckliche und grauenhafte Gefühl, als gingen sie mitten durch brennendes Feuer, unter sich den bebenden Erdboden, über sich ein glühendes Gewölbe, das jeden Augenblick einzustürzen droht.
Bald aber eilten von allen Seiten die Verteidiger herbei. Die Mascalicesen, stark und dunkelgefärbt wie Mulatten, kämpften mit ihren langen Schlagmessern und richteten mit heiserem Geschrei die Stöße auf Hals und Leib.
Das Kampfgewühl zog sich allmählich zur Kirche hin. Aus zwei, drei Häusern züngelten unter dem Dache die Flammen hervor. Eine Herde Frauen und Kinder flüchtete sich, vom Schrecken erfaßt, blindlings den Abhang hinab und verschwand zwischen den Oliven. Nicht mehr durch das Wimmern und Klagen der Weiber behindert, entspann sich der Kampf der Männer Brust an Brust um so heftiger.
Unter dem brandgeröteten Himmel bedeckte sich der Boden mit Getöteten. Die Getroffenen stießen gräßliches Geschrei und Verwünschungen hervor, und unaufhörlich ertönte der Ruf der Radusaner:
Die Kerzen! Die Kerzen!
Die schwere, eichene, mit eisernen Nägeln beschlagene Thür der Kirche widerstand den Andrängern. Die Mascalicesen verteidigten sie gegen die Beilhiebe und Stöße. In dem wogenden Streite schwankte fühllos der silberne, blinkende Heilige, noch getragen von den kräftigen Gestalten, die, vom Kopf bis zu den Füßen mit Blut bedeckt, nicht wichen und nicht wankten; war es doch ihr heißes Gelübde, das Idol auf den Altar der Feinde zu heben.
Während die Mascalicesen, wie Löwen fechtend, sich auf den Stufen der Kirche verteidigten, verschwand Giacobbe plötzlich, wandte sich der Seite des Bauwerks zu und spähte nach einem Eingang aus, um in das Innere des Heiligtums einzudringen.
In mäßiger Höhe fand er eine unverwahrte Oeffnung, schwang sich, an den Vorsprüngen Halt suchend, hinauf und preßte seinen langen Körper durch das enge Gitter. Der weite stille Raum des Gotteshauses war erfüllt mit süßduftendem Weihrauchgeruch. Und Giacobbe tastete sich nun im Dunkel mit vorgestreckten Händen weiter durch die umstürzenden Sessel hin; er achtete nicht darauf, daß er sich Kopf und Hände zerstieß; endlich erreichte er sein Ziel. Von außen krachten die Beilhiebe der Radusaner gegen die harten, eichenen Bohlen, während Giacobbe mit einem Eisen das Schloß zu erbrechen suchte. Er keuchte schwer und kämpfte gegen eine Beklemmung, die ihn zu erdrücken drohte und seine Kräfte lähmte; sein Blick war stier, er fühlte sich ermattet von den empfangenen Wunden, und das heiße Blut hämmerte ihm in den Schläfen.
San Pantaleone! San Pantaleone! schrieen draußen mit heiserer Stimme die Seinigen, als sie merkten, daß die Thür nachgab. Und mit vermehrter Kraft führten sie Hammer und Beil. Durch die Bohlen drang der dumpfe Aufschlag der niederstürzenden Körper und der harte Stoß des Messers, das sich einem zwischen die Rippen bohrte.
Dieses ärmliche, wutbethörte Volk war von einem Wahn beherrscht, ähnlich der Verzückung eines Helden, der ein Retter des Vaterlandes ist.
Noch eine letzte Anstrengung, und die Pforte gab nach. Mit wildem Siegesgeheul stürzten sich die Radusaner in das Innere. Ueber die Leiber der Gefallenen zogen sie den Heiligen nach dem Altar hin.
In das Dunkel des Gewölbes brachen plötzlich helle Lichtstrahlen, und die goldenen Kandelaber und die Orgelpfeifen in der Höhe glänzten darin auf. In dieser düstern Erhellung, die von den nächsten brennenden Häusern herrühren mochte, entspann sich ein zweiter Kampf. Die sich umschlungen haltenden, zusammengepreßten Körper wanden sich auf den Steinfliesen, ließen nicht ab von der fürchterlichen Umarmung, rollten hierhin und dorthin in rasender Wut, zerfleischten sich gegenseitig mit den Messern und verendeten unter den Bänken, auf den Stufen, in der Kapelle oder stürzten an den Beichtstühlen zusammen. In der widerhallenden Wölbung des Gotteshauses hörte man auf das deutlichste den Klang des Stahles, wenn er die Weichteile durchdrang und an den Knochen abglitt, den letzten gebrochenen Seufzer eines tödlich Getroffenen, das Brechen eines vom Beilhieb getroffenen Schädels, das Gebrüll eines, der nicht sterben will, den schrecklichen Ausbruch der Freude des andern, dem der tödliche Streich gelang: alles hörte man mit erschreckender Deutlichkeit. Und über dem Handgemenge schwamm ein leichter Rauch und der scharfe Brandgeruch.
Der Ruhm, ihr silbernes Idol auf den Altar der Feinde erhoben zu sehen, ward den Angreifern nicht zu teil. Eine Rotte der Feinde hielt die Stufen besetzt. Giacobbe, aus mehreren Wunden blutend, hieb wild mit der Sichel um sich, ohne auch nur einen Zoll breit zurückzuweichen. Es waren nur noch zwei, die den Heiligen aufrecht hielten. Der enorme, blanke Kopf wackelte und taumelte wie eine betrunkene, groteske Maske. Die Mascalicesen rasten.
Endlich fiel Pantaleone mit schrillem Klang auf den Estrich nieder. Als Giacobbe hervorsprang, um ihn aufzuheben, streckte ein großer Teufel von Mensch ihn mit einem Axthiebe zu Boden. Zweimal erhob er sich, zwei neue Schläge trafen ihn; das Blut lief ihm in Strömen über Gesicht, Brust und Hände herab, und doch sprang er wieder auf. Drei, vier, fünf Viehhirten zugleich gaben ihm den Rest, so daß die Gedärme heraustraten.
Der Fanatiker brach zusammen, fiel mit dem Nacken auf die silberne Figur, schnellte auf, zuckte zusammen, stürzte mit vorgestreckten Armen in die Kniee und schlug mit dem Gesichte auf das Metall.