Otto Julius Bierbaum
Die rote Sphinx
Otto Julius Bierbaum

Otto Julius Bierbaum

Die rote Sphinx

Winter-Frühlingsstimmung

Draußen drückt der Winter auf den Garten. Alle Wipfel stehen still, starr, schwarz. Es hat noch keinen Schnee gegeben. Nur harter Frost schneidet die Luft, und es fallen blinkende Krystalle.

Das ist so eigen: Dieses Bild, wie alles kahl und kalt, müd und alt dasteht, geduckt unter einer stummen, unabwendlichen Macht, dieses Bild überkältet mein Herz und giebt mir ein greisenhaftes Fühlen. So eine wunderliche, unjugendliche Ruhe, so einen harmonischen Herzschlag, pulslinde, gemessen, getragen beinahe, und ich könnte mir einbilden, daß ich weiße, dünne Haare hätte und Hände mit faltiger, weicher, dünnpergamentener Haut, unter der sich die Knochen kalt anfühlen.

Herrgott, ich begreife das Wort »beschaulich«! Wirklich! »Auf die Postille gebückt, zur Seite des wärmenden Ofens, saß der . . .«

Da schwankt ein Wipfel drüben. Eine junge Birke ist's. Kein Baum ist wie dieser so voller keuscher Seele, so mädchenzart. Drum schmiegt er sich auch so den Winden, drum zittert auch so sein Laub, sein Helles, zages, wenn der rote Herbst ins Hifthorn stößt, der nehmende, fruchtheischende Mann.

Die Birke. Hin und her, hin und her im Winterwinde. Und das Silber ihres Stämmchens ist grau geworden.

Als die Margueriten ihren Stamm umblühten . . . . .! Ein weiter Kranz von flockigen Sternen war's, schön bogenrund, wie hingesät in berechnendem Armwurf . . . Wir nannten ihn »unsrer lieben Frawen Birke Heiligenschein« . . .

Ach ja, da war Frühling . . . . .!

Wie schön der Garten damals, die ganze Erde wie schön! Einmal sah ich ein nacktes Amorbübchen die Birke hinaufklettern. Himmel, wie glänzten die rosigen Hinterbäckchen in der Frühlingssonne! Und ein leiser Wind legte seine blauen Falterflügel um. Willst du wohl, Kletterbub! Und bsch! flog das Gottchen aus dem grünen Laube in die blaue Luft, richtig wie ein Spatz auffliegt.

Jaja, der Frühling:
Es ist ein Reihen geschlungen,
Ein Reihen auf dem grünen Plan,
Und ist ein Lied gesungen,
Das hebt mit Sehnen an,
Mit Sehnen also süße,
Daß Weinen sich mit Lachen paart;
Hebt, hebt im Tanz die Füße
Auf lenzeliche Art!

Und durch den grünen Mai flog ihr rotes Haar, flog wie ein Schleier im Kreise um den silbernen Birkenstamm, und ich höre noch ihre Stimme, die wie ferner Glockenwiderhall war, im wunderlichen Liede:

Aus dem Rosenstocke
Vom Grabe des Christ
Eine schwarze Laute
Gebauet ist;
Der wurden grüne Reben
Zu Saiten
Gegeben.
O wehe du, wie selig sang,
So erossüß, so jesusbang
Die schwarze Rosenlaute.
  Ich hörte sie singen
In mailichter Nacht,
Da bin ich zur Liebe
In Schmerzen erwacht,
Da wurde meinem Leben
Die Sehnsucht
Gegeben.
O wehe du, wie selig sang,
So jesussüß, so erosbang
Die schwarze Rosenlaute

Das war die »rote Sphinx«, die so sang.

Die rote Sphinx . . . . In diesem Liede – wer weiß, wer es ihr geträumt; ich glaube, daß sie es sich selber gefügt hat aus Ahnen und Sehnsucht – war ihr ganzes Wesen.

Nonne war sie halb, und halb Bacchantin. Monstranz und Korybantenbecken gaben wir ihr ins Wappen.

Unser kleiner Präraphaelit – er ist nun auch gescheit geworden und hat sogar den »Michel vierter Verdünnung« erhalten; Gott lasse ihm die Würdelast leicht sein – hat es gemalt. Es war in der Herzform des Lindenblattes, das heraldisch in drei Felder geteilt war. Im linken Felde oben war die goldene Monstranz, gehalten von zwei blührieselweißen schmalen Händen, von denen weißseidene Ärmel in steinstarren Falten fielen, Daneben im rechten Felde zwei nackte, volle, rötlich überhauchte Arme (wie wenn der Widerschein eines Pokals voll dunkelroten Weines auf sie fiele), in deren niedlichen, festen Händen die silbernen Becken wirbelten. Hinter dem Golde des linken Feldes war Silber, hinter dem Silber des rechten Feldes war Gold, – sehr unheraldisch das, aber sehr schön. Unten aber im Hauptfelde lag sie, lag sie als zarte Sphinx mit dem Leibe einer jungen Löwin, mit ihrem brennroten Haar, mit ihren grünen Augen, in denen ein Tiefton von gelb drohte. Hinter ihr war blaue, bestirnte Nacht, weit ausgewölbt in schweigende Unendlichkeit; zur Linken wuchs ihr eine mondlichtweiße Lilie, zur Rechten flammte eine dunkelrote auf; beide steif und steil und mit stahlblauen Blättern wie scharfe Schwerter.

* * *

Wir sahen sie nicht gar oft. Sie war nur Gast in unserm Kreise, den wir die »Tafelrunde ohne Tafel« nannten, weil wir nicht immer was zu essen hatten.

Sie hatte einen kranken Onkel zu pflegen, der mit dem gräßlichen Egoismus des langsam Sterbenden ihre Jugend an sein Siechbett fesselte. Mitten in der Stadt stand das ewig dunkle Haus, in dem sie wohnten. Das Krankenzimmer war stets im Dämmer; niemals ließen offene Fenster Luft in den stickigen Raum; an den Wänden hingen alte verstaubte Bilder. Ewig stöhnend lag der mürrische, graue Kranke im Bett; seine einzige Bewegung war das Zittern seiner knochigen Hände auf der dunkelroten Bettdecke.

Dort mußte sie weilen, Tag für Tag, und durfte nur fort, wenn der Alte schlief, und mußte stundenlang aus alten Büchern vorlesen, schaurig romantische Geschichten voll lächerlichem Pathos und weinerlicher Sentimentalität, und die abgeschmacktesten Stellen wollte der halb idiotische Kranke immer zehnmal haben.

Sie trug dies Leben ohne Klage, sie lehnte, streng und doch mit innerlicher Bitte, jedes Mitleid ab. Sie kam zu uns, in unsern wilden Kreis, wo ein jeder am liebsten mit den Sternen jongliert hätte, und wo köstlicher Aberwitz in Hyperbeln und Paradoxen tollte, »auf Ferien«, wie sie sagte. Da wollte sie nichts wissen von der Krankenstube, in der – sie starb. Denn sie wußte es, sie fühlte es mit greller Gewißheit, dort würde sie vergehen, bald, schnell. Der Sterbende hatte sie in seinem Bann, der Sterbende, den sie nicht liebte, während . . . O, wir konnten nur ahnen, wie tief die Tragik dieser gelähmten Jugend war, denn nur in seltenen Andeutungen erfuhren wir etwas von ihr.

Da war ein Bild, von dem sie uns einmal sprach, ein Traumbild: Blendendes Frühlicht des Frühlings über einer blumigen Wiese; glitzernder Tau an allen bunten Kelchen; unendlich weit der Blick bis zu hohen, blauen Bergen; wolkenlos, wundertiefblau, jubelblau, so sagte sie, der Himmel. Nur da, aus fernster Ferne, langsam, schwül heran, eine dicke schwarze, gelbgeäderte Wolke. Und mitten im Blühen, in Lust und Leben, ein Mädchen, jugendrot, weit offen die Augen zu der schwülen, kommenden Wolke, und über ihr, aus der frischen Bläue der Luft heraus eine gelbgraue beinene Hand, von der es blutrot auf den Scheitel der Starren heruntertropfte . . . . . . . . »Malen könnt ihr das freilich nicht,« fügte sie hinzu, »denn die schwarze Wolke müßte ein Gesicht haben, wie ein Mensch.« Und sie wandte sich ab, wie von einem grauenhaften Ekel erfaßt.

Sie mußte furchtbar leiden, das sahen wir oft. Es war ein unaufhörlicher Kampf in ihr, ihr Leben zuckte unter den Würgegriffen eines Verhängnisses, hinter dessen letzte Geheimnisse wir nicht gekommen sind. Wir konnten es nur äußerlich wahrnehmen.

Bis ins Tiefste ergriff es uns oft, wie ihr Wesen jäh umschlug: aus einer jauchzenden, stürmischen, tanzrhythmischen Lustigkeit in beklommenes Insichsinken, daß sie wie eine Somnambule ward, deren Seele im Wachschlaf die große Leidensgeschichte von Golgatha herzblutend in sich wiedererlebt.

Zwei Menschen sahen wir da oft in einem, zwei ganz verschiedene Menschen: ein lebenverliebtes Geschöpf, rot von Lust und Tanz; mit Augen, die sonnig hell und tief waren, wie beim ersten Kusse der Braut; mit einer Stimme voll blutwarmer Tiefe, beglückend und beglückt und von einem starken, strömenden Atem getragen, wie von erstem, ästehebendem Frühlingswind; die Bewegungen ein Schreitetanz, Berge hinauf, fröhlich, ausgelassen, kraftherrlich, – und dann . . .: eine Müde, innerlichst Verwundete, eine Verwelkende, Flehende: laßt mich, laßt mich allein, laßt mich am Wegrande liegen . . . und beten . . . und sterben . . . Ihr Gesicht war dann grünlich blaß, ihr Auge tief eingesunken, stumpf, ihre Stimme zage und gebrochen, der Atem matt verhauchend, der Gang ein mühsames Schleppen.

Aber auch um diese Müde, Verendende war eine Atmosphäre von bannender Macht, von unwiderstehlicher Anziehungskraft. An ihrem Übermut freuten wir uns, ihre helle Freude nahmen wir wie die köstliche Gabe des jungen Frühlings, – ihr tiefes Müdesein liebten wir, ihre Qual beteten wir an, wie ein großes, wunderbares Symbol.

Nur einer unter uns, der einzige Nichtkünstler, ein junger Arzt, cynisch bis zum Unerträglichen, aber ehrlich in seiner schnellfertigen Kraftstoffelei, warnte: »Jungens, das Mädel ist ein Unglück! Sie macht euch allemit'nander zu Leichenbittern. Stigmatisiert seid ihr allemit'nander. Verdammt noch mal: sogar die Gesundheit ist bei der Roten krank!«

Ja, sie litt wohl schwer am Leben, weil sie nicht die Kraft hatte, es gering zu schätzen, wie es manche Kranke so gut verstehen.

Sie wollte, wollte, wollte leben und glücklich sein, gesund sein.

* * *

Unser cynischer Medizinmann brachte uns eines Tages die Nachricht: Sie ist tot.

Er hatte sie, zu spät gerufen, im Lehnstuhl zusammengesunken gefunden, auf dem Schoße ein altes Buch. Der Kranke hatte ununterbrochen auf sie gescholten, in unverständlichen Redensarten. –

Ganz in Weiß gekleidet lag sie da, die schmalen Hände über der Brust gefaltet. Die roten Haare flossen so hart und tot die Sargwände entlang. Der Ausdruck ihres Gesichtes war streng und weh. Das Nonnenhafte an ihr hatte der Tod gesteigert.

Mir aber schien es, als habe der Tod uns nur die Nonne genommen, die nun da läge im toten Gebete, aber plötzlich würde sich aus ihr die Lebfreudige erheben, strack sich aufrichten im Sarge und laut, laut, laut wie silbernes Freiheitsgeläute lachen, hinauslachen in den Frühling: »Ich bin gesund, meine Freunde, ich habe mich gefunden und lebe nun in heller Liebe und aller Hoffnung! Seht, meine Augen sind blau geworden wie der lichte Himmel und meine Wangen rot wie Apfelblust; nun sollt ihr euch mit mir freuen und tanzen in alle Ewigkeit um die junge Birke und ein Loblied singen dem lichten Leben! Denn Krankheit, Not, Bangheit und Tod, alles was dumpf und häßlich ist, – oh, das ist nur Traum und träger Irrtum! Jung sind wir und gesund und schön und voller Kraft, und in Liebe und Zuversicht wollen wir ein neues Leben gründen der grauen Welt!« –

Das war wohl der Frühling, der mich so schwärmen ließ, der junge, preisliche Held mit dem grünen Panier, der lachend über die Erde schritt, als wir sie der Erde gaben.

Ja, der Frühling war's wohl, aber ich weiß: was er mir eingab, kam aus ihrer Seele, und es soll mir ein Vermächtnis sein.

 

Es ist ein Reihen geschlungen,
Ein Reihen auf dem grünen Plan,
Und ist ein Lied gesungen,
Das hebt mit Sehnen an,
Mit Sehnen also süße,
Daß Weinen sich mit Lachen paart,
Hebt, hebt im Tanz die Füße
Auf lenzeliche Art!