Als der große Gott Pan lange genug tot gewesen war, da dachte er sich, es möchte wohl an der Zeit sein, wieder lebendig zu werden. Denn die Götter, da sie keine Übermenschen sind, sondern eben Götter, sind mitleidig. Also ward Pan lebendig aus Mitleiden.
Irgendwo tauchte er auf und wandelte umher. Es war auf einer kleinen Insel in einem kleinen See. Niemand sah ihn dort außer zwei Dichtern, die auf einem Kirschbaum saßen wie schmausende Spatzen. Es war ein Dicker und ein Dünner. Der Dicke sprach: Ich wünschte, die Welt wäre so drall wie diese schwarzen Kirschen.
Der Dünne aber, der manchmal kosmophantasierte, stopfte sich ein ganzes Büschel wachsgelber ins Maul, gab einen Sprühregen von Kernen von sich und bemerkte: Was weißt du von der Welt!? Wer weiß, ob sie nicht ein Kirschbaum ist und unsre Erde eine Kirsche dran?
Aber der Dicke schüttelte sein rundliches Haupt, daß die Kirschgehänge an seinen Ohren schwermassiv baumelten, und sagte nichts als: Madig!
Das, mein Dicker, erwiderte der Dünne, überlasse dem Urteil der Götter. Sie, nicht wir, sitzen im Baume und essen.
Und der Dicke, der der schwarzen zu viele gegessen hatte, entgegnete milde: Seien wir fromm und wünschen wir, daß sie sich den Magen nicht verderben.
Scilicet: an uns, bemerkte der Dünne.
Pan hörte das Gespräch und amüsierte sich darüber so sehr, daß er laut lachte.
Wenn aber Götter lachen, erschrecken die Menschen, und so fuhren denn die beiden Dichter ratsch den Baum hinab ins Gras, genau zu Füßen des Gottes.
Himmel! sagte der Dicke, als er aufschaute: Bist du nicht jener Pan, von dem die Zeitgenossen sagen, er sei tot?
Der Dünne aber, skeptischer und schon wieder mutig, fühlte die Bocksbeine über sich an und meinte: Es wird eine Imitation sein.
Da mußte der Gott zum zweiten Male lachen, und so gewaltig schwankte sein Bauch zum Moll-Donner seines Mundes, daß der Dünne wieder Angst kriegte und etwas leise bemerkte: Nein, das Lachen läßt sich nicht imitieren.
Und beide Dichter sanken in die Kniee, hoben die Arme in lieblichem Schwunge auf und beteten etwas Anapästisches.
Schon gut, sagte der Gott. ich sehe, daß ihr bessere Menschen seid, und es ist mir angenehm, daß ich just zwei Dichtern zuerst begegne. Auch freue ich mich, daß ich euch bei so freundlicher Beschäftigung und auf einem Baume sitzend traf. Aber: wo habt ihr eure Mädchen? Denn ich hoffe, daß ihr verliebt seid.
Wir sind es! riefen beide Dichter gleichzeitig. Unsere Mädchen baden dort hinten im Schilfe.
In diesem Augenblick hörte man helles Gelächter vom See her.
Die Mädchen scheinen lustig zu sein, bemerkte der Gott, der sich mit übereinandergeschlagenen Beinen im Grase niedergelassen hatte.
Sie sind es! riefen beide Dichter wie aus einem Munde.
Das lass' ich mir gefallen, sprach Pan. Wenn es euch recht ist, amüsieren wir uns ein bißchen zu fünft. Nur keine Feierlichkeiten! Wenn ihr beten wollt, tut's mit den Beinen. Mir ist das lieblich und euch gesund. Holt die Mädchen! Ich will mir derweil eine Flöte machen, nach der ihr tanzen sollt.
Die Dichter rannten entzückt davon und holten die Mädchen.
Aber wir müssen uns doch erst anziehn! meinte die Blonde, die zu dem Dünnen gehörte und gewöhnlich Maus genannt ward.
Unsinn! kommandierte der Dünne. Nehmt euch die Bademäntel um und kommt!
Die Braune, die des Dicken war und an die hundert Namen hatte (zur Zeit aber hieß sie Wauti), wollte sich halbtot lachen und war doch ein bißchen ängstlich, wie sie hörte, es ginge zum großen Pan, und der wäre haarig.
Müssen wir ihm auch einen Kuß geben? fragte die Maus.
Das hängt von ihm ab, entschied der Dünne.
Wenn er aber gar zu wüst ist? warf Wauti ein.
Die Gefahr liegt höchstens darin, antwortete der Dicke, daß du dich in ihn verliebst.
Dieser Mensch ist imstande und wird auf den großen Pan eifersüchtig, meinte der Dünne.
Worauf der Dicke mit einer Spitzigkeit bemerkte: Man sieht, daß du in der Mythologie schlecht beschlagen bist.
Das Gespräch verstummte, als sie den Gott sahen. Er sah gar herrlich aus in seiner frohen, ruhenden Kraft und Güte. Zwar hatte er keine Gloriole ums Haupt, aber um ihn her war ein lichter Kreis, in dem es flimmerte und wellte, und so weit der Kreis ging, waren üppig Blumen aufgeschossen in Gelb und Rot. Und Pan lächelte, wie er die Mädchen sah, und sagte: Allerliebst seid ihr, Kinder. Ich fühle jetzt schon den Kuß, den ihr mir gleich geben werdet. Seht, wie gut es ist, daß mein Mund größer ist als der der Menschen. So könnt ihr mich beide gleichzeitig küssen. Die Braune rechts, die Blonde links, und jede auf einem Knie sitzend. Und so geschah's. Es war lieblich anzusehen. Dann aber sprach Pan: Nun paßt auf, was eure Küsse meine Lippen gelehrt haben.
Und er blies auf einer breiten Bündelflöte ein Lied, das war so voll Liebe und Verstand des innersten Lebens, so aus der Tiefe allen Schaffens und Werdens, so einfach und gewaltig, daß es den vier Hörenden zu Sinne ward, als wüchsen sie mit der Welt zusammen, und sie fühlten die Seligkeit der Kreatur, die nichts vom Leben weiß, weil sie bloß fühlendes, sich selbst auskostendes Leben ist. Dies starke, stille Triebglück ward zum Tanze. Wie große, stengelstarke Blumen im Winde bewegten sie sich in der Melodie des Gottes. Solange die Sonne über dem Kreise lag, war es ihnen, als seien sie tanzende Flammen, die ineinanderschlugen und durcheinandergingen in gebender und nehmender Wollust. Als die Dämmerung kam und um den Kreis einen silbergrauen, leise bewegten Schleier wand, aus dem die letzten Düfte des Tages wehten, ward ihr Tanz wie das leise Aneinanderrauschen langblättriger Zweige, die sich ineinander linde verbergen wollen. Als es aber Abend ward und um den Kreis des Gottes ein brauner Wall sich hob mit schwarzen darüber wandernden Schatten, da war es ihnen, als wären sie nebeneinander ziehende große Wellen, die weit, weit hinauswogten in eine unendliche Ferne und Fülle, in der sie ganz und ewig eins wurden. So selig waren sie, daß es ihnen nicht wehe tat, als die Flöte schwieg. Denn Lied und Tanz waren nun in ihnen.
Der Gott aber sprach: Nun gehet hin, Kinder, und erzählt den Menschen, was ihr gesehen habt, und daß es schön ist, nach meiner Flöte zu tanzen. Seid aber klug und sagt es den rechten Leuten! Ich will hier warten, wer zu mir kommt.
Und sie gingen. Sie waren so voll des Gefühles der Übergnadigung, daß sie keine Worte hatten. Als sie aber auf dem See waren und sich umsahen, da sahen sie, daß alles hinter ihnen der Gott Pan war, alles eine große ruhend bewegte Lust, und sie wunderten sich ihrer früheren Blindheit.
Erst am nächsten Tage, in der großen Stadt, kamen ihnen Worte.
Jetzt wollen wir, sprach der Dicke, hingehen und den Leuten erzählen, was wir gesehen haben. Mitten auf den Gensdarmenmarkt stell' ich mich und predige los!
Aber der Dünne starrte in sein Tintenfaß und schüttelte den Kopf: Willst du's nicht lieber gleich in den Lokalanzeiger einrücken lassen? Um Gottes willen! Mach keine Dummheiten! Die psychiatrische Klinik ist dir sicher, wenn du's so andrehst. Solche Sachen kramt man nicht vor der Herde aus. Auf unsern Märkten verkauft man keine Ananas.
So wollen wir es allen denen sagen, die Künstler sind, meinte nun der Dicke. Die werden's fühlen und hinströmen und selig sein wie wir, und ihre Seligkeit wird über die Menge und in die Menge strömen.
Darauf der Dünne: Hm. Künstler. Jawohl. Es gibt deren. Aber man muß eine Auswahl treffen. Weißt du: solche, denen man es dann glaubt, wenn sie's sagen. Anerkannte, verstehst du! Den andern ginge es so wie uns. Dalldorf sagt Herr Meyer und zeigt auf seine Stirne.
Also gut! Wählen wir aus! Du magst recht haben.
Aber, nicht wahr, wir wählen nicht bloß nach der, Gott strafe mich, Berühmtheit! So der Dicke.
Hältst du mich für ein Schwein? brauste der Dünne auf. Denkst du, weil ich verständig bin, ich wäre ein Hundsfott? Natürlich sagen wir's bloß Echten! Die bloß Berühmtheiten sollen ... kurz und gut: die kommen nicht in Betracht.
Jetzt machte der Dicke: Hm. Jawohl. Aber. Weißt du: ich fürchte: den wirklichen Künstlern, auch wenn sie anerkannt sind, glauben's die Leute schließlich doch auch nicht. Die sind doch eben auch anrüchig, zumal, wenn wir dabei sind.
Der Dünne grübelte sehr und rieb sich dabei die Hände.
Und der Dicke fuhr fort: ich fürchte auch, sie haben nicht die Courage zum Bekennen. Denk mal: wenn sie an Ernstschätzung einbüßten durch so, na, so extravagante Bekenntnisse. Wie?
Pfui Teufel! meinte der Dünne.
Aber der Dicke, sehr objektiv: Sag lieber ω ποποι und denke dir Schweinehund dabei. Aber es ist schon so, wie ich sagte. Ich wäre immer noch für einen Aufruf an die Jungen, Lebendigen. Nur ein paar, ganz wenige, von den anderen dazu, die paar Ehrlichen, Starken, die sich nicht bange machen lassen.
Der Dünne grübelte immer mehr. Schließlich sprang er auf, hockte sich auf das Kopfende eines Sofas und rief: jetzt hab' ich's! Das mit den Jungen, Lebendigen ist nichts. Auch das mit den Ehrlichen, Starken geht nicht. Große Sachen darf man nicht mit verehrungswürdig unpraktischem Idealimus schädigen. Wir müssen, wollen wir die werte Mitwelt von der Existenz des großen Pan überzeugen, alles zusammen haben, was wirklich was in der Kunst kann und trotzdem berühmt ist, aber wir müssen, um einesteils die Fülle dessen, was auf die biedere Zeitgenossenschaft als Autorität wirkt, zu vergrößern, und um andrerseits den behutsamen Meistern eine kleine Dosis von Mut einzuflößen, Leute hinzunehmen, die, ohne eigentlich für die Kunst etwas zu bedeuten, doch dem Publikum gegenüber die Qualitäten von Sachverständigen und den Künstlern gegenüber die ermutigenden Eigenschaften von Staatsbeamten haben.
Der Dicke riß seine Augen beängstigend auf: Ich habe dich in meinem Leben noch nicht in diesem Stile Mißbrauch mit unsrer Sprache treiben sehn, aber ich fühle, daß du etwas sehr Gräßliches vorhaben mußt. Vertraute ich dir nicht absolut, so würde ich jetzt geneigt sein, dich für irgend etwas höchst Miserables zu halten, das ich nicht näher bezeichnen mag. Denn ich merke, worauf du hinauswillst: Du denkst an die Kaste der Kunstgeheimräte.
In der Tat! bekräftigte der Dünne. ich denke an diese Braven.
Unerhört! rief der Dicke. Wie ist es möglich? Gestern die Flöte des großen Pan gehört und bringt es fertig, heute an diese Menschenklasse zu denken! Das ist Sünde, lieber Freund!
Nein, sagte der Dünne sehr milde, das ist bloß Klugheit. Sieh: Wir wollen der Welt das Heil zeigen, das wir selber gesehen haben. Wie könnten wir das besser, als indem wir die Leute vorschicken, denen die Welt, von deren Intelligenz wir nicht zu hoch denken dürfen, aus wunderlicher Verirrung glaubt? Hat die Welt dann das Heil mit gesehen, so ist sie ja auch sehend geworden für die Unzulänglichkeit dieser Mittelspersonen, und wir befreien uns von diesen, indem wir uns ihrer bedienen.
Du bist infam klug, du, aber ich habe Angst vor so diplomatischer Schläue. Zudem: woher weißt du, daß die ... Mittelspersonen auf so ungewöhnliche Sachen eingehen werden?
Weil ich nur an die unter ihnen denke, die sich, um die Kollegen von der noch lederneren Observanz zu ärgern, gern als starke Geister und kühne Precurseurs aufspielen. Ihrer bin ich mir sehr sicher, wenn ich mir auch klar bin, daß sie mit Vorsicht genossen sein wollen. Darum denke ich sie mir mehr als ornamentales Beiwerk, als Randleiste ohne Einfluß auf den Text, weißt du. Das ist ja eigentlich auch sonst ihr Amt, und nur das brave Publikum nimmt sie für mehr.
Der Dicke knetete seine Stirn, wie er immer zu tun pflegte, wenn ihm ein Entschluß weh tat. Dann sprach er: Ich sehe ein, die Sache erfordert außergewöhnliche Maßnahmen, Schritte, bei denen nicht bloß das Temperament losgelassen, sondern auch die Klugheit befragt sein will. Das ist eine infame Notwendigkeit. Es bleibt uns nichts anderes übrig: wir müssen gescheit sein. Mir fällt das schwer. Ich mache immer was Dummes, wenn ich gescheit sein will. Du hast mehr Talent dazu. Also sollst du in dieser Hinsicht die Führung haben. Und so rufe sie denn in Gottes Namen herbei, diese Glanzledernen. Mir graut über die Maßen davor, aber ich habe die Zuversicht zu dir, daß du dich mit den bedenklichen Würdenträgern nicht tiefer einläßt, als es unbedingt nötig ist. Glückt es uns, so werden wir den Erfolg um so inniger genießen, weil wir Opfer gebracht haben.
Er wurde fast weich, wie er das sagte, und kam sich vor wie ein Märtyrer, der sich für seine Sache in üble Gesellschaft begibt.
Der Dünne aber ward ungemein lebendig und sah schon durch seine Klugheit die Erde mit Pan-Tempeln übersät.
Eine rastlose Tätigkeit begann. Die beiden Dichter liefen in der Stadt herum und erzählten allen, die sie zum großen Werke für würdig oder nötig hielten, ihr Erlebnis auf der stillen Insel, und daß der große Pan erwacht sei und auf tätige Jünger warte. Und so stürmisch und fröhlich waren sie in ihrem Werben, daß sie überall guten Zuspruch fanden. Man hatte ja überall auf ihn gewartet und gehofft, und so wenig erstaunlich klang die Kunde, daß die meisten sagten: ja freilich, wir wußten es ja schon, daß er nicht mehr schläft. Nur, daß er grade auf dieser kleinen Insel sich die Augen riebe, das wußten wir nicht. Na, wir wollen unser möglichstes tun.
Zuerst gab es natürlich, da die Sache in Deutschland vor sich ging, eine Generalversammlung mit einem Präsidenten, der alles mit Feierlichkeit tat und ungewöhnliche Satzgebilde würdevoll zusammenfügte, nachdem er sie sich vorher von den beiden erglühten Dichtern hatte aufschreiben lassen. Es fehlte auch nicht an lebhaften Debatten, denn man war gar gründlich und entwarf schon den Normalplan für die künftigen Pan-Tempel. Da man sich aber nicht einigen konnte, denn ein jeder wünschte diesen in einem anderen Stil aufgeführt, und zwar in seinem, so beschloß man auf Antrag der beiden Dichter, die der feurigen Zuversicht lebten, es würde alles in einer großen Harmonie zusammenstrahlen, wenn man nur den Herrlichen erst gesehen hätte, dem großen Pan einen Besuch abzustatten.
Als die Versammlung vorüber war, prügelten sich die beiden Dichter freundschaftlich ein wenig durch. Der Dicke behauptete nämlich, der Karren säße schon im Sumpfe, denn die Gesellschaft passe nicht zusammen. Es hätte ein jeder nicht nur einen besonderen Plan für den verfluchten Normaltempel, sondern es bilde sich ein jeder für sich einen besonderen Pan ein, sogar dieser köstliche Präsident. Jeder wolle seinen Spezial-Gott haben, und es hätten ihm schon ein paar, und nicht die schlechtesten, nämlich die Künstler und Dichter, gesagt, sie machten die Antrittsvisite nicht mit, denn sie fühlten den Gott in ihrem Herzen. Der Dünne dagegen erklärte, er pfeife auf diese gottbesessenen Herren, diese Dichter und Künstler. Die gehörten schon von Metiers wegen zur Gemeinde und würden, wenn einmal die Glut im Schusse sei, schon feurig mittun. Der enorme Gewinn dieser Generalversammlung bestehe darin, daß die Geheimräte warm geworden und gewonnen seien. Seine einzige Angst sei gewesen, sie möchten im letzten Augenblicke abschnappen. Nun aber, da sie dem Gotte ihre persönliche Reverenz machen wollten, sei der Sieg schon da. "Denn, wenn sie ihn sehen, werden auch sie, glaube mir, zu Menschen werden und mit uns tanzen."
Der Dicke wieherte vor Ingrimm und machte despektierliche Bemerkungen, der Dünne riß sich knurrend am Barte und gab jede Schnödigkeit mit Zinsen zurück. Als sie sich aber müde gezankt hatten, gaben sie sich die Hände und sprachen: Na, wir werden ja sehen.
Und sie sahen.
Der Tag kam. Man fuhr in einem buntbewimpelten Schiff hinaus. Wozu die Wimpel?! fragte ärgerlich der erste Geheimrat. Weil wir so fröhlich sind, gab der Dünne zur Antwort. Man hätte indessen füglich jedes Aufsehen vermeiden sollen, erwiderte jener. Und der Chor der Geheimräte pflichtete bei: Sehr wohl. Wir müssen, meine Herren, sprach der zweite Geheimrat, es uns zur strikten Pflicht machen, behutsam und mit gemessener Zurückhaltung vorzugehen. Sie wissen es: wir haben Feinde, und unsre Stellung gebietet es uns, wenn anders wir diese zum Schweigen bringen wollen, mit äußerster Kritik vorzugehen. Unser Amt ist es, zu prüfen und das Geprüfte so an die Öffentlichkeit zu stellen, daß ein Widerspruch schlechterdings unmöglich ist. Sehr wohl, fiel der Chor der Geheimräte ein. Und der dritte Geheimrat, der witzig war, sprach: Neue Götter gibt es viele. Wir haben die Wahl und wollen uns hüten, einen zu proklamieren, der nicht ganz zweifelsohne ist. Die Geschichte lehrt, daß man sich zuweilen in den Göttern vergriffen hat. Und einen unbequemen Gott wird man noch schwerer los als eine unbequeme Geliebte. Eine leise Lächelwelle glitt über die würdigen Gesichter. Einer der wenigen Dichter, die die Fahrt mitgemacht hatten, ließ sich also vernehmen: Ich sehe der Sache mit Ruhe entgegen. Was auch immer kommen mag: irgendeine Stimmung fällt für unsereinen doch dabei ab. Und reicht's nicht für ein Gedicht, so langt's doch für ein Feuilleton. Und der witzige Geheimrat erwiderte darauf: Wobei es noch fraglich ist, ob man Ihnen nicht wünschen soll, daß die Stimmung bloß für ein Feuilleton genügend sei. Ich habe sagen hören, daß derlei rentabler ist als Reimverse. Überhaupt Lyrik! rief ein Maler dazwischen. Gibt es das denn noch? Man ward sehr fröhlich bei dieser Frage und kam recht heiter auf der stillen Insel an.
Die stand üppig in allen Farben des Sommers und war voll Sonne und einem geheimen Rauschen überall. Ein Schwarm weißer Tauben flog aus einer riesigen Linde auf und schwand wie ein Silberstreif in blauer Luft. Ein großer Pfau stand zwischen fünf Pfauenweibchen und ließ sein Rad reihum an ihnen vorüberklirren. Dann nahm er Luft unter die Flügel und flog schwerfällig auf das Dach eines weißen Hauses. Plärrend flogen ihm die Weibchen nach. Ein großer schwarzer Hund bläffte; eine Truthenne führte eine flaumgelbe Schar Küken quer über den Hof; von ferne kam ein Schrei wie von einem Rehbock. Dann ward alles ruhig. Fast beklemmend. Selbst der witzige Geheimrat schwieg. Die Zylinderhüte, wie auf einen Befehl von oben, wurden in die Stirne gerückt. Man zog langsam den beiden Dichtern nach, die mit einem innerlichen Beben nach dem Kirschplatze schritten, wo sie IHN zum ersten Male gesehen hatten. Je weiter sie hineinkamen in das Dickicht von spanischem Ginster, der dort üppig wuchs, um so wundersamer ward die Stimmung des Lichtes. Es war nichts Märchenhaftes daran an diesem Weben des Lichtes, aber es war so eigen stark und drängend, so aus dem Innersten des Lebens herauf, wie es über all dem Fruchten lag. Es war den beiden, als saugte das Licht an ihnen. Aber dieses Saugen nahm nicht, sondern gab. Es war ihnen, als würde ihre Seele umhergesät in diese stille Welt des Gedeihens, als würde ihr Wesen ausgeteilt über alles Leben. Sie faßten sich an den Händen, und ihre Augen sprachen zueinander: Er ist schon da.
Als sie an den Platz kamen, wo sie getanzt hatten, mußten sie stehenbleiben.
Hier war es, sagten sie.
Die Geheimräte schauten um sich und sagten: Hm.
Schöne Kirschen! bemerkte der eine.
Man möchte ein Spatz sein, sagte der Witzige. Aber der große Pan scheint ausgezogen zu sein.
Im Chorus kicherte es leise.
Da kam der Gott heran. Plötzlich. Man wußte nicht, wo eigentlich her. Aber er war eben da und stand zwischen den Würdenträgern. Die nahmen die Zylinderhüte ab und sagten: Wir haben die Ehre.
Pan zog den Mund breit und rollte seine Blicke der Gesellschaft entlang. Dann machte er runde einladende Bewegungen mit den Zottelarmen und sprach: Sind das Dichter?
Der Dünne sprang vor und sagte: Nein, es sind sogar Geheimräte.
Nun, sagte Pan, auch mein Freund Goethe war einer. Eine Schande ist es demnach nicht. Setzen wir uns.
Aber die Geheimräte setzten sich nicht, denn es waren keine Stühle da.
Pan aber ließ sich auf seine Füße, die er unter das Gesäß schlug, nieder und sagte: Na, was meinen die Herren dazu, daß ich wieder lebendig bin?
Hm, sagten die Geheimräte. Und die Maler raschelten mit ihren Skizzenbüchern.
Unterhalten wir uns doch ein bißchen, rief Pan.
Aber es sagte keiner einen Mucks.
Pan strich sich den Bocksbart und lächelte. Nur keine Gene! Ich beiße nicht. Also: wie denken Sie über mein Lever?
Die Geheimräte rührten sich nicht, aber sie beobachteten krampfhaft.
Die Herren sind noch etwas befangen, meinte der Dünne. Sie haben noch keinen Gott gesehn.
Ei, so sollen sie tanzen, wenn sie nicht reden können! rief Pan. Aber freilich, es sind keine Mädchen da. Oh, ihr Dichter, wie konntet ihr ohne Mädchen kommen? Kann man denn in der Tiefe fröhlich und ausschöpfend andächtig sein ohne die, die mit den Augen beten? Ohne die Weiblein wird kein Kraut fett, meine Lieben. Wahrlich, ich sage euch: euer Fühlen ist immer bloß halb, und es wird nie was hurtig Heitres daraus, wenn nicht die Empfangenden dabei sind, die bloß sich selber, aber sich selber ganz geben. ich sehe da eine Anzahl Gehirne, deren Windungen sich kalt umarmen. Gottlob, daß sie nicht reden.
Dann sah er nur gerade vor sich hin.
Den Geheimräten war es unbequem zumute. Sie sahen bunte Ringe wirr um Pans Haupt flirren. Seine Augen kamen ihnen vor wie sprühende Feuerräder. In seinem Leiblichen sahen sie alle Tierheit wirr im Durcheinander üppiger Zeugung.
Den Dichtern aber schien es, er sei gar nicht mehr da, und nur seine Augen sahen sie sich weiten zur Welt, die wie ein klares Kunstwerk zum ersten Male vor ihnen lag.
Sie sanken auf die Kniee nieder und stammelten: Gib uns die Kraft, zu bilden, was wir sehen! Gib uns die Klarheit aus dem Wirren!
Pan stand auf: Das Wirre müßt ihr euch schon selber klären, meine Freunde. Aber verachtet es nicht. Nur wer das Wirre liebend ansieht, gewinnt sich aus ihm das Klare. Liebt und zeugt! Werft euch in das Bunte! Taucht euch in die Strudel! Ihr werdet nicht untergehen darin, wenn ihr kräftig in ihnen webt. Kostet alles, dringt in alles und laßt euch von allem durchdringen. Nur der Genießende versteht zu schaffen. Denn das Schaffen ist die Fülle des Genusses, ist tätiges Verstehen. Nicht draußen bleiben! Immer hinein in den Tummel! Kopfüber hinein in den Gischt! Wer schwach ist, falle und sinke. Wer stark ist, kommt empor und hat in sich, was er überwand. Seine Seele wird zur Welt, und er selber ist ihr Gott, denn er hat das Rasen hinter sich, und die Ruhe ist sein Teil. Ich will erworben sein in kämpfender Liebe.
Da ward es schwarz über der Insel, und ein Gewitter brach wütend nieder mit Blitz und Donner.
Die Geheimräte spannten die Regenschirme auf und flohen davon. Ganz naß traf man sich im Schiffe.
Nun? riefen die Dichter, ist es nicht wahr, was wir gesagt haben? Ist er nicht herrlich lebendig, der große Pan?
Leider, klagten die Geheimräte. Uns wäre besser, er wäre tot. Was sollen wir mit diesem unheimlichen Subjekte? Für diesmal hat er uns bloß die Krallen gezeigt. Aber jetzt schon fühlen wir uns geschunden. Wehe, wenn das anachronistische Phänomen ganz über uns kommt! Er würde uns zerreißen und zerschmeißen.
Wenn man ihm wenigstens Hosen anziehen könnte, meinte der Witzige. Er ist geradezu anstößig in seiner Haarigkeit.
Ja, und prinzipienlos! meinte der Älteste unter ihnen. Man müßte füglich in den Geruch des Anarchismus kommen, wollte man ihn predigen.
ich sehe schon unsre guten Freunde, wie sie sich die Seiten halten würden, kämen wir mit diesem Popanz an, meinte ein andrer.
Tun wir, als hätten wir ihn nie gesehen, rief wieder einer.
Ja, wenn das noch ginge, murmelte der Berühmteste unter ihnen. Leider habe ich schon etwas verlauten lassen darüber.
Eine infame Geschichte! Eine ganz infame Geschichte! flüsterte der, der bisher überhaupt noch nichts gesagt hatte, der halbe Geheimrat, als welcher er immer erst zu sprechen pflegte, wenn die ganzen Geheimräte sich irgendwie bestimmt erklärt hatten.
Dann eine Weile Schweigen. Die Blicke der konsternierten Geheimräte schossen wie aneinandergekettete glühende Kugeln auf die beiden Dichter, die vorn an der Spitze des Schiffes standen und ins Wasser blickten, um die gelb gewordenen Masken hinter sich nicht zu sehen.
Der berühmteste Geheimrat brach das Schweigen. Er sagte: Meine Herren! Wir müssen einen Entschluß fassen.
Bravo! rief der halbe Geheimrat.
Wir dürfen nicht eher ans Land, als bis wir wissen, was wir mit diesem Pan anfangen!
Bravo! rief der halbe Geheimrat.
Hat jemand von Ihnen einen Vorschlag?
Bravo, rief der halbe Geheimrat, der nun mal im Schusse war.
Ich denke, sprach der zweite Geheimrat, wir lassen die Sache auf sich beruhen und dementieren die beiden Heiden da!
Die beiden Dichter wandten sich um, und der Dicke rief, etwas laut: Schmeißen Sie uns doch ins Wasser! Wozu sind Sie die Mehrheit?
Würdevoll der Berühmteste: Bleiben wir ruhig! Ein Dementi ist unmöglich. Kein Zweifel: dieser Pan ist da. Die Stellung als Staatsbeamte verbietet uns zu lügen.
Der zweite Geheimrat wimmerte.
Der dritte, der den zweiten ohnehin nicht leiden konnte, rief: Nur die Wahrheit! Immer die Wahrheit! Nichts als die Wahrheit!
Hm! murmelte der Chor.
Und wieder der Berühmteste: Meine Herren! Der Kreis zur Beförderung des Pankultus ist seit unserer Generalversammlung eine Tatsache. Den Pan selber haben wir, äh, haben wir sozusagen auch. Mja!
Ich dächte demnach, ... wie beliebt?
Aber es hatte leider niemand etwas gesagt.
Daher denn der Berühmteste nicht umhin konnte, weiter zu reden, und zwar wie folgt: Meine Herren! In unserem Metier kommt alles auf die Auslegung an! Ein jeder von uns hat schon - wir sind ja halb und halb unter uns - irgendwas für einen Rubens oder so gehalten, was irgendwas anderes war - nicht wahr? Warum sollten wir nicht auch einmal - bitte, Herr Professor, ich verzichte gerne aufs Wort ... !
Aber der Professor hatte wirklich nichts sagen wollen.
Also wiederum der Berühmteste: Kurz gesagt, meine Herrschaften: legen wir uns diesen p. p. Pan so aus, wie es das Interesse der Wissenschaft erheischt.
Jetzt wurde es dem Dicken zu bunt: Was geht uns denn Ihre Wissenschaft an? Haben wir Sie eingeladen, Dissertationen zu schreiben? Handelt es sich denn um eine Doktorfrage?
Hohohoh! lachte kriegerisch der halbe Geheimrat.
Ruhe! Meine Herrschaften! Ruhe! gebot der Berühmteste, und der Halbe war gleich wieder friedlich. Invektiven werden uns, die wir dem Pankreis als Leitende angehören, nicht von unsrer Pflicht abbringen. Die beiden Herren, die jenes haarige Wesen entdeckt haben, mögen es behalten. Uns geziemt es, der Wissenschaft, der Kunst, der Menschheit etwas Zeitgemäßes zu bieten. (Er kam in eine Art von Schwung.) Wofür haben uns die Herren denn gehalten? Wir sind keine Griechen, meine Herrschaften! Wir sind königliche Beamte und Autoritäten. Man erwartet von uns Brauchbares. Was bewog uns, dem Pangedanken näherzutreten? War es nicht die zielklare Absicht, gewisse Temperamente zu korrigieren? Wußten wir nicht schon, ehe wir dieses ungeschliffene Wesen gesehen hatten, daß uns etwas Korrekturbedürftiges bevorstand? Ich wenigstens war mir dessen sicher.
Und nun, meine Herrschaften, sehen wir klar vor uns, wo wir einzusetzen haben. Jene Herren würden, unerfahren und verantwortungslos, wie sie sind, dieses Gottungetüm in seiner ganzen Nacktheit angenommen und vor die Welt hingestellt haben. Was wäre die Folge gewesen? Eine regellose Orgie. Gottlob, daß wir uns bestimmenden Einfluß erwarben, der es uns möglich macht, dieses Gräßliche abzuwenden. Auch wir werden, gemäß unserm Generalversammlungsbeschlusse, den neu erstandenen Pan predigen, aber es wird ein Pan sein, den wir verantworten können, ein Pan, der in die Entwicklung paßt, die wir vertreten. Es wäre verbrecherisch, sich an die Zufälligkeit der wahren Erscheinung zu halten, denn es ist klar, daß ein Gott wie dieser nur Unheil anstiften könnte. Das, meine Herren, ist unsre Größe, daß wir auch an derlei Göttern Kritik üben. Was heißt das überhaupt: Ein Gott! Was wir aus ihm machen: das ist's!
Gemurmel der Bewunderung. Der halbe Geheimrat schwang steif die Arme in Entzücktheit. Dann rief er: Das ist's! Das ist's! Das ist's!
Da trat der Dünne, ganz bleich, vor und fragte: Und was werden Sie belieben, aus dem Gott zu machen?
Eben, was uns beliebt, erwiderte kühl der Berühmteste.
Und wenn wir es nicht dulden?
Bitte, lesen Sie das Protokoll der Generalversammlung vor, war des Berühmtesten Antwort, indem er sich an den Halben wandte.
Aber der Dicke, der seinen Humor wiedergewonnen hatte bei der schönen Rede des klugen Mannes, rief: Unnötig! Ganz unnötig! Es ist keine Frage: Sie haben recht. Unsere Zeit braucht Götter, die Hosen anhaben und mit den Menschen durch Geheimräte verkehren. Im Grunde haben selbst wir Ahnungslosen das geahnt. Weshalb hätten wir uns sonst an Sie gewandt, meine Herren? Gehen Sie denn hin und ziehen Sie den großen Pan nach Ihrem Geschmacke an. Vergessen Sie aber nicht, ihn vorher zu frisieren. Und sparen Sie nicht mit Stangenpomade! Brillantine genügt bei solcher Art Haarwuchs nicht. Auch würd' ich Ihnen, unter uns gesagt, raten, eine kleine Operation an ihm vorzunehmen. Denn, abgesehen von allem andern, kann seine Stimme eine kleine Abtönung zum Diskant der päpstlichen Sänger wohl vertragen. Passen Sie auf: Sie werden sich ein manierliches Stück Gott zusammenfrisieren, und für unsereins wird's was zum Lachen geben. Das aber ist der Humor davon.
Nach diesen Worten nahm der Dicke den Dünnen, der immer noch ärgerlich war, beim Arme, löste hinten am Schiff das Rettungsboot, sprang mit dem Dünnen hinein und fuhr mit einem herzlichen Gelächter davon zur Insel des großen Pan.
Die aber war in einen blauen Dampf gehüllt, aus dem eine tiefe Stimme klang: Ich schwefle meine Insel aus und leg' mich wieder schlafen. Ach, was seid ihr dumm gewesen, meine Lieben!