Otto Julius Bierbaum
Die Lavendel-Ehe
Otto Julius Bierbaum

Otto Julius Bierbaum

Die Lavendel-Ehe

Sie war klein und schmächtig und hatte ganz hellblaue Augen, so hellblau, wie an Vorfrühlingsabenden manchmal der Himmel ist, – viel Sehnsucht ist in solchem Blau. Und eine zage Stimme hatte sie, richtig noch die Stimme eines kleinen Mädchens, das so schreckliche Angst vorm Herrn Schullehrer hat und doch so artig ist, – eigentlich zu artig. Und ihre Bewegungen waren gleitend, unhörbar beinahe, wie wenn sie immer fürchtete, jemanden zu stören. Sanft schmiegte sich ihr in zwei glatten Scheitelhälften aschblondes Haar um Stirn und Schläfe. Regelmäßig war ihr Gesicht, ein klares, deutsches Gretchenantlitz mit viel Gemütshauch, der sich nicht schildern läßt, und mit wenig scharf sprechendem Geist, den man aber nicht vermißt bei solchen Engelsköpfen. Ihr Augenaufschlag war das Merkwürdigste an ihr, – wie ein in den Himmel gerichtetes Gebet voll tausend Ach's der Demut sah er aus. Ihr Großvater hatte das Richtige mit ihr getroffen: »Kleines, liebes, dummes Veilchen« nannte er sie bis zu ihrem fünfzehnten Jahre, dann »Fräulein Veilchen« und schließlich »Madame la Violette«, als sie geheiratet worden war. Ja: worden war, denn sie hätte es sich doch gewiß nie unterstanden, ihn zu heiraten, ihn, den »jungen Meister«, den alle bewunderten, dem die Welt lauschte und den sie anbetete. Aber er hatte sie geheiratet, wirklich – ja, wie war denn das möglich!?

Sie hatte es kaum begriffen.

Er hatte – sie geheiratet!

Wie ein Gnadenstrom vom Himmel war es über sie gekommen, als er sie eines Abends gefragt hatte, ob sie seine Frau werden wolle. Sprechen darauf? »Ja« sagen? Oh, oh: sie hatte nur geweint und war hinausgerannt aus dem Zimmer, in die Küche hinaus, sie, in ihrem Spitzenkleide, zur dicken Resi, die sie sonst kaum sah, und hatte geschluchzt und gejauchzt. Und wirklich, er hatte um sie angehalten, und Papa, der Herr Professor, hatte nichts dagegen, denn es war ja ein großer Künstler, und sie, sie betete ihn ja an. Man brauchte sie gar nicht zu fragen.

Schon ehe sie ihn persönlich kannte, hatte sie ihn angebetet, da sie seine Stücke spielte, und nichts als seine Stücke, und immer sein Bildnis auf dem Titelblatte ansah, dieses scharfe Südländergesicht mit den in die Stirn hereinrollenden schwarzen Locken, der kühn gebogenen Nase, den vollen Lippen und dem dunkel glutenden Auge.

Nun war sie seine Frau.

Seine Frau. Aber nein doch, – seine Frau!? Ach, sie konnte sich nicht hineinfinden, die Arme.

Schon am Hochzeitstage: Immer von unten sah sie zu ihm hinauf, voller Anbetung, und wie Nonnenglut flammte es in ihrem Auge.

»Wie gehts, Madame la Violette?« fragte sie der Großvater beim Hochzeitsdiner, als er sie einen Augenblick allein fand.

»Ach! Großpapa!« Und wieder weinte sie, heiß, heiß.

»Aber Veilchen, Veilchen! Mein kleines, süßes, dummes Veilchen! Sei doch gescheit. Du weißt, du bist jetzt Madame la Violette, und da mußt du halt vernünftig sein, Veigerl du, kleins!«

»Ach, Großpapa!«

»Du, du, du: Nimm dich zusammen. So geht's nit, wenn die Veilchen heiraten. Risch und frisch! Ja, wo fehlt's denn? Du hast ihn doch lieb?«

»Ach, so sehr!«

»Na, siehst du. Munter also, munter mein Veilchen. Sei lustig und blüh' ihm an die Brust, – aber nicht so weinerlich, sonst gehst mir no' ganz ausanand, und mehr reden mußt auch, mehr reden, nit bloß ihn alleweil' anschaun.«

Und dann war er wieder gekommen, der Große, Gebietende, Schwarze, mit den Genieaugen.

»Sie ist halt noch a bisl ängstlich, das Veilchen,« sagte ihm leise der Großvater.

Das Genie nickte träumerisch mit dem Kopfe.

In ihrem Herzen aber ging der Spruch: Blüh' ihm an die Brust!

Ja, das, das wollte sie: wie ein junger Epheu am Götterbilde, weich, zärtlich, umrankend.

Und es behagte ihm diese stille Anbetung wohl. Mit lautlosen Schritten ging die Liebe durch sein Haus, Blumen streuend umschritt sie leichtfüßig einen Altar, und er war der Gott, der darauf stand.

Ah, so läßt sich's schaffen! Nach jedem Akkord dankleuchtende Augen und für jede Wallung des Herzens weiche Hingabe. Das war ein Hinwandeln auf duftendem Moos, unter blauem Himmel, zwischen lauter süß duftenden Jasminen. – Und er schuf eine Symphonie: Veilchen. Oh, ein Schaffen aus dem Glück. Aus einer schwebenden Wolke weicher Seligkeiten warf er seine Harmonien herab in die rauhe Welt, die nur ein Vorhof seiner Wonnen war, er, der selige Gott, angebetet von der Liebe selber. Und ihr Herz war voll der Wonne der Anbetung und Begnadung. So immerfort in alle Ewigkeit, in alle Ewigkeit auf den Knien, den Blick nach oben, übergossen von Gnadenströmen.

Und die Symphonie war fertig. Freunde hörten sie.

»Zu weich, lieber Freund. Wo ist dein Schwung hin, deine Feuergarben von Tönen, die in die Hölle und in die Herzen zucken? Du verkommst in lauter Moll und Süßholz.«

Überall dasselbe:

»Besinne dich auf deine Kraft! Leidenschaft ist deine Stärke! Schreibst du denn für Liedertafeln? Raffe dich auf, Freund, du bist nahe, Philister zu werden.«

Philister?

Ja, freilich, recht besehn, war diese Weichheit, diese wollüstig parfümierte Musik, ihm doch fremd. Nichts als Idylle und Schafschur, und die große Kühnheit fehlte. Und es grub sich in seine Seele die Sehnsucht nach neuer Raserei, wie sie seine alte Art gewesen war, und er ging wilden Tönen nach und stürmischen Phantasien. Weg da diese ewige Gemütlichkeit!

Aber wie auf weichen Pantoffeln zog da fortwährend etwas hinter ihm her.

»Rosa, laß' doch endlich dein ewiges Schmachten! Schleich' nicht so. Es macht mich nervös, dies ewige Anschaun.«

»Robert!«

»Aber so versteh' mich doch! Ich vertrage die ewige Weichheit nicht. Wir verfilzen uns noch in lauter Liebe und Langerweile.«

Sie erschrak vor der Brutalität dieser Worte, und ein erster Schmerz blinkte in ihrem Auge.

»Herrgott, hast du denn gar keine Glut in dir? Glut, heißes, brausendes Leben, Leidenschaft? Ach, dieses ewige Schmelzen!«

Er raste sich aus auf dem Klavier. Schweigend in einer Ecke lauschte sie.

Er klappte den Flügel laut zu und ging. Kein Adieu. Es ward ihr bange. Aber nein, nein! Wie hatten diese Akkorde wieder ihr Herz ergriffen. Sein Genie, ja sein Genie! Alles andere versank. Oh, dieser große Mann, dieser große, große Mann.

»Blühe an seine Brust! – Kann ich denn mehr?«

Erst spät kam er wieder. Er sah so wirr aus.

»Robert!«

»Laß mich!«

Sie konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Was hat er nur? Was soll ich thun?

Und am nächsten Tage begann sie wieder ihre schweigende Anbetung, und je mehr er sich einwühlte in die Leidenschaft seines Innern und es in brausende Harmonien strömte, um so mächtiger fühlte sie die Größe seiner künstlerischen Mannheit, und um so brünstiger hing sie ihm an in ihrer wortelosen, duldenden Verehrung. Aber er entfernte sich weiter und weiter von ihr, und sie wurde ihm ein lästiger Weihrauchduft.

Mehrfach versuchte er, sie zu »wecken«.

»Ah, nichts mit diesem – Veilchen!«

Und sie durfte nicht mehr in seinem Zimmer sein, wenn er phantasierte und schrieb, und war er seines Schaffens müde, so suchte er sich Erholung draußen, – wer weiß wo.

Sie fühlte, daß seine Liebe schwand, aber ihre Verehrung besann sich nicht auf das, was seine Liebe wieder hätte gewinnen können.

Sie war nur geschaffen, still an seine Brust zu blühen, wie ein Epheu an ein Götterbild, und er wollte ein Weib statt einer Blume.

»Ist Madame la Violette nicht glücklich?« fragte der Großvater.

»Glücklich . . ? . . Oh . . . doch . . . . Großpapa!