»Ich kann mir einfach nicht erklären,« sagte Sir Godfrey zu seiner Dame »warum wir in solch unzumutbaren Behausungen wie dieser ausharren, in einer armseligen Marktstadt, wenn wir doch drei gute eigene Häuser haben in den besten Gegenden Englands und gänzlich bereit uns aufzunehmen!«
»Ich bin sicher, Sir Godfrey,« entgegnete Lady Marlow »nichts lag mir ferner, als daß wir hier so lange geblieben sind; oder weshalb wir überhaupt erst hierherkamen, war für mich ein Rätsel, denn keines unserer Häuser verlangte nach der geringsten Instandsetzung.«
»Oh nein, meine Liebe,« antwortete Sir Godfrey »du bist die letzte Person, der mißfallen sollte, was doch von Beginn an als Anerkennung für dich gemeint war; denn es müssen dir doch die außerordentlichen Unannehmlichkeiten bewusst sein, denen deine Töchter und ich ausgesetzt waren während der zwei Jahre, die wir gedrängt in dieser Unterkunft blieben, um dich zu erfreuen.«
»Mein Guter,« erwiderte Lady Marlow »wie kannst du nur dastehen und solche Lügen erzählen, obwohl du doch sehr wohl weißt, daß es lediglich aus Pflicht für die Mädchen und dich geschah, daß ich ein äußerst komfortables Haus verließ in einer äußerst entzückenden Landschaft und umgeben von einer äußerst liebenswürdigen Nachbarschaft, um zwei Jahre beengt in einer Unterkunft, drei Stockwerke hoch, in einer verrauchten und ungesunden Stadt zu verleben, die mir ein beständiges Fieber bescherte und mich beinahe in eine Schwindsucht stürzte.«
Als sie, nach einigen weiteren Reden beider Seiten, nicht ausmachen konnten, wer die größte Schuld trug, legten sie vernünftigerweise die Debatte beiseite und brachen mit gepackter Habe und gezahlter Miete am nächsten Morgen mit ihren beiden Töchtern auf zu ihrem Sitz in Sussex.
Sir Godfrey und Lady Marlow waren in der Tat vernünftige Leute und dennoch taten sie (wie in diesem Fall), wie viele andere vernünftige Leute, manchmal etwas Törichtes, doch im Allgemeinen waren ihre Handlungen geleitet von Vernunft und reguliert von Besonnenheit.
Nach einer Reise von zwei Tagen und einem halben trafen sie auf Malhurst in guter Gesundheit und froher Verfassung ein; sie alle waren so überglücklich, wieder einen Ort zu bewohnen, den sie mit allseitigem Bedauern für zwei Jahre verlassen hatten, daß sie veranlassten, daß die Glocken geläutet wurden, und verteilten Ninepence-Münzen unter den Glöcknern.
Die Nachricht von ihrer Ankunft, die sich schnell über das Land zog, brachte ihnen in wenigen Tagen Gratulationsbesuche einer jeden Familie in ihm ein.
Neben all den anderen kamen auch die Bewohner von Willmot Lodge, einer Villa unweit von Malhurst. Mr. Willmot war der Stellvertreter einer sehr alten Familie und besaß neben seinem elterlichen Besitz einen beträchtlichen Anteil an einer Bleimine und einen Schein in der Lotterie. Seine Dame war eine liebenswürdige Frau. Ihre Kinder waren zu zahlreich, um einzeln beschrieben zu werden; es reicht aus zu sagen, daß sie im Allgemeinen von tugendhafter Art und keinerlei frevelhafter Manier zugetan waren. Da ihre Familie zu groß war, um sie bei jedem Besuch zu begleiten, nahmen sie abwechselnd ihrer neun mit sich. Als ihre Kutsche vor Sir Godfreys Tür hielt, pochten die Herzen der Miss Marlows in der freudigen Erwartung, eine Familie wiederzusehen, die ihnen so lieb war. Emma, die jüngste (die sich ganz besonders für ihre Ankunft interessierte, war sie doch deren ältestem Sohn zugetan), blieb am Fenster ihres Ankleidezimmers in gespanntem Hoffen, den jungen Edgar aus der Kutsche entsteigen zu sehen.
Mr. und Mrs. Willmot erschienen mit ihren drei ältesten Töchtern zuerst -- Emma begann zu zittern. Robert, Richard, Ralph und Rodolphus folgten -- Emma wurde blaß. Ihre zwei jüngsten Mädel wurden aus der Kutsche gehoben -- Emma sank atemlos auf ein Sofa. Ein Diener kam, um ihr die Ankunft der Gäste bekanntzugeben; ihr Herz war zu voll, um seine eigenen Leiden zu beherbergen. Ein Vertrauter war notwendig -- mit Thomas hoffte sie einen loyalen solchen zu erleben -- denn einen mußte sie haben und Thomas war der einzige verfügbare. Ihm öffnete sie sich rückhaltlos und nachdem sie ihre Leidenschaft für den jungen Willmot eingestanden hatte, erbat sie seinen Rat, in welcher Weise sie sich verhalten solle in der melancholischen Enttäuschung, unter der sie litt.
Thomas, der sich nur zu gern dem Anhören ihrer Klage entzogen hätte, bat darum, keinen Rat bezüglich dieser Angelegenheit geben zu müssen, dem sie sich, sehr entgegen ihrem Willen, fügen mußte.
Nachdem sie ihn daraufhin mit zahlreichen Vorschriften zur Verschwiegenheit weggeschickt hatte, begab sie sich mit schwerem Herzen hinunter in den Salon, wo sie die gute Gesellschaft gemeinsam um ein loderndes Feuer sitzend vorfand.
Emma war bereits einige Zeit im Salon, bis sie genügend Mut gesammelt hatte, um Mrs. Willmot nach dem Rest ihrer Familie zu befragen, und als sie es dann tat, geschah dies mit so schwacher, so zögernder Stimme, daß niemand es bemerkt hatte. Entmutigt durch den Mißerfolg ihres ersten Versuchs, wagte sie keinen weiteren, bis zu Mrs. Willmots Wunsch, eines der kleinen Mädel möge nach ihrer Kutsche läuten; nun durchschritt sie das Zimmer und, die Kordel der Glocke packend, sagte sie in resoluter Weise:
»Mrs. Willmot, Sie rühren sich nicht aus diesem Hause, bis Sie mich wissen lassen, wie es dem Rest Ihrer Familie geht, insbesondere Ihrem ältesten Sohn.«
Sie waren alle außerordentlich überrascht von einer so unerwarteten Anrede und vor allen Dingen in Anbetracht der Art und Weise, wie sie ausgesprochen wurde; Emma jedoch, die sich nicht noch einmal enttäuschen lassen würde, erwartete eine Antwort und so gab Mrs. Willmot folgende beredsame Ansprache:
»Unsere Kinder sind alle überaus wohlauf; im Moment jedoch größtenteils von Zuhause fort. Amy ist bei meiner Schwester Clayton. Sam in Eton. David bei seinem Onkel John. Jem und Will in Winchester. Kitty im Queen's Square. Ned bei seiner Großmutter. Hetty und Patty in einem Konvent in Brüssel. Edgar auf dem College, Peter bei der Amme und der gesamte Rest (außer die neun hier) zuhause.«
Nur mit Not konnte Emma die Tränen zurückhalten, als sie von Edgars Abwesenheit erfuhr; sie blieb jedoch einigermaßen gefaßt, bis die Willmots gegangen waren; als sie sodann dem Bersten ihrer Trauer keinen Einhalt mehr gebieten konnte, gab sie ihm vollends nach und verblieb, nachdem sie sich in ihr Zimmer zurückgezogen hatte, in Tränen für den Rest ihres Lebens.
Finis