Ludwig Thoma
Gelähmte Schwingen
Ludwig Thoma

Ludwig Thoma

Gelähmte Schwingen

Lustspiel in einem Aufzug


Personen:

Otto Haselwanter, ein Dichter
Marie, seine Frau
Benno Summerer, Metzgermeister, Vater der Marie H.
Sophie Summerer, dessen Frau, Mutter der Marie H.
Babett, Köchin bei Haselwanter

Zeit: Gegenwart

Ort: München. In der Wohnung Haselwanters.


 
Erste Szene

Wohnzimmer bei Haselwanter. Reproduktionen beliebter Bilder an den Wänden. In der Rückwand zwei Fenster mit schweren Vorhängen. Zwischen den Fenstern ein Kanapee, Muschelgarnitur. Ein Tisch in der Mitte des Zimmers, etliche Polsterstühle. An der Wand rechts ein Lehnstuhl. Auf dem Lehnstuhl liegt ein Lorbeerkranz mit Schleife. An der Wand links ein Büfett. Eine Tür links führt in das Schlafzimmer, die Tür rechts in den Flur.

Der Tisch ist zum Frühstück gedeckt. Babett hat eben den Kaffee aufgetragen. Frau Marie steht an der Tür links und horcht.

Babett: Soll i an Kaffee nomal auf'n Herd stellen?

Marie: Bscht! Net so laut! Horcht. Er schlaft scheinbar noch. Und aufweck'n möcht i 'n ja net.

Babett mitleidig und neugierig: Is denn gar so arg g'wesen, gnä Frau?

Marie geht auf den Zehenspitzen von der Tür weg; seufzt schwer: Es war mehr, wie arg. Sie setzt sich müde an den Tisch und stützt den Kopf in eine Hand. Na! Na! So eine Enttäuschung! So ein Unglück! I red ja net von mir. Aber für ihn muß dös ein Schmerz g'wesen sei... Sie erblickt den Lorbeerkranz. Jessas, Babett! Tun S' nur grad den Kranz weg... Dös is wie a Spott, wenn er'n siecht...

Babett nimmt den Kranz und bleibt stehen.: Den hamm mir alle g'stift. 's Personal vom ganzen Haus, weil da Dichta da herin wohnt...

Marie sehr ängstlich: Bscht! Er derf'n net sehg'n... Seufzt. A ja! De kleina Leut san allaweil die anständigsten.

Babett: I bin froh, daß i net im Theata war; z'erscht hat's mi verdrossen... aba dös hätt i net hör'n mög'n. Pfiffen hamm s', hat d' Sekretärsköchin verzählt.

Marie: Und wie! Einen Spektakel hamm s' aufg'führt, i hab glaabt, 's jüngste Gericht is da.

Babett hat den Kranz in den Arm gehängt und tritt wieder an den Tisch heran: I vasteh de Leut net. Mein' Scharschant'n hat's gefallen... So schön war's, sagt er, so rührend! Und de Lackel hamm pfiffen! –

Marie seufzt: Ich versteh's auch net.

Babett: Mei Scharschant hat g'sagt, am liabern hätt er an gnä Herrn vateidigt, aber no... es war'n z'viel.

Marie: Wenn er wieder kummt, wer' i schau'n, daß er a paar Ziegarrn kriegt. Seufzt. Ah ja... I bin aus alle Himmi g'fall'n... aba i red ja net von mir! Der arme Otto! Ein Spielball der Gemeinheit! hat er g'sagt, wie er am Bett g'sessen is und hat d' Stiefi auszog'n. Ganz dabrochen war a, und in Bod'n hat er nei'g'schaugt. Ein Spielball der Gemeinheit! hat er g'sagt.

Babett sehr mitleidig: O mei! O mei!

Marie: Bscht! Horcht. I glaub, i hab was g'hört... G'schwind, Babett, an Kranz naus... An Kaffee lassen S' nur da!

Babett mit dem Kranz ab. Marie geht zur Tür links und horcht. Dann ruft sie sehr zärtlich:

Muckerle! Bist scho auf? Sie horcht. Man hört eine Stimme.

Muckerle! Willst net dein Kaffeezerl trink'n, solang er warm is?

 
Zweite Szene

Haselwanter tritt von links ein. Im Schlafrock, das Haar zerrauft, offenbar ungewaschen. Er ist mürrisch.

Marie sehr weich: Gut Morg'n, Otti! Sie will ihn küssen.

Haselwanter weicht ihr aus.: Is schon recht... gut Morgen!

Marie: Bist später do no eingeschlafen, gel? Hast d' schlafen können, hm?

Haselwanter: Tu nur nicht, als wenn ich todkrank wär!

Marie flehend: N...nein! Unberufen! Unberufen! Aber komm... laß an Kaffee net kalt wern! Er setzt sich, sie schenkt ein; sehr lieb. Soll i dir a Butterbroterl streich'n?

Haselwanter: Von mir aus. Sieht suchend auf den Tisch. Wo ist denn 's Morgenblatt?

Marie hastig, um ihn davon abzubringen: Du... i hab di gestern scho frag'n woll'n... essen mir heut net auswärts? Weißt, d' Babett soll d' Küch' stöbern...

Haselwanter: Das braucht doch keine lange Beratung!

Marie kindisch zutunlich: Weißt... da geh ma z'erscht spazieren, nacha essen mir was Gutes, nacha setz'n mir uns in Hofgarten...

Haselwanter ihren Ton nachäffend: Nacha trinkt 's Weibi mit'n Manni ein Kaffeezerl... Unwirsch. Ja, was hast denn du eigentlich?

Marie schmollend: No – ja!

Haselwanter: Spielst du Kindsmagd oder Krankenschwester? Ungeduldig. Zum Teufel... wo ist denn das Morgenblatt?

Marie: Warum willst dich denn scho wieder aufregen?

Haselwanter: Ach so! Der Kranke soll die Zeitung nicht in die Hand kriegen! Das verbitt' ich mir. Gelt?

Marie: Wenn's d' as net anders haben willst... Sie zieht unter der Tischdecke die Zeitung hervor und gibt sie ihm zögernd ... aber...

Haselwanter nimmt ihr die Zeitung unhöflich weg: Ich brauch deine Schonung nicht... merk dir das! Ich bin gesund... verstanden?... und auf die Zeitung schlagend was so ein Schmierfink schreibt, ist mir doch ganz wurscht!

Marie: Warum lest as nacha?

Haselwanter zornig: Weil ich mich amüsieren will... Und jetzt sei so gut und gib die neue Manier auf! Behandelt mich wie ein krankes Bubi... Das ist doch... direkt... Murmelt und vertieft sich in die Zeitung.

Marie seufzt tief auf. Ah... Ja! Euch kann man 's net recht mach'n... so net... und so net... Sie setzt sich etwas schmollend ihm gegenüber.

Haselwanter liest, lacht grimmig auf: Ha! Ha! Papierene Figuren! Pa...pier...ene Figuren! Rhi-no-zer-os! Ha! Ha! Es fehlt jedes wirkliche Leben... So ein... so ein... Horn...vieh!

Marie flehend: Geh, Otti, leg's weg!

Haselwanter grob: Laß mich doch endlich in Ruh! Liest und lacht wieder grimmig. Ha... ha! Liest vor. Dieses Stück... wenn man es schon so heißen mag... heiß es nicht so, blöder Affe!... dieses Stück war zur Zeit der Großväter schon veraltet. Wir verlangen einige Rücksicht auf modernes Empfinden... Legt die Zeitung weg und schlägt auf den Tisch. Wenn dem Roß Gottes nichts mehr einfällt, sagt er: modernes Empfinden...

Marie gutmütig, mitleidig: Da hast as jetzt!

Haselwanter auffahrend: Was hab ich?

Marie: Der Kaffee is kalt, und du bist ganz ausanander...

Haselwanter: Ich? Hohnlachend. Weil ich mich schon um so was kümmere!

Marie nach der Kaffeekanne greifend: I laß 'n warm stellen...

Haselwanter unwirsch: Ach was!... Trinkt hastig die Tasse aus und steht auf und stellt sich an ein Fenster. Drei Jahre war ich der Volksdichter... Der kernige Haselwanter... Der taufrische Haselwanter... Jeder Schmock grinste und tat so, als müßt' er innerlich Juhu schreien, wenn er mir begegnete... Jetzt bin ich abgelegt... veraltet... Hab ich mich geändert? Nein! Die Ansicht des Herrn Kritikus hat sich geändert. Was geht mich das an? Was geht mich die Mode an? Bin ich ein Hutmacher?

Marie seufzt: Es is schrecklich!

Haselwanter: Gar nicht! Dumm ist es – blöd ist es... frech ist es!

Marie zögernd: I hab mir scho oft denkt...

Haselwanter dreht sich ungestüm nach ihr um: Was?

Marie faßt Mut: Weißt, Otti... i hab scho oft denkt... wenn's d' Leut positiv haben wollen, meinst net, du solltst doch a bissel moderner schreib'n?

Haselwanter brüllt verwundet auf: Wie?... Was? Bist du verrückt? Ja, wie kannst du dir denn erlauben, so was zu sagen?

Marie erschrocken und beschwichtigend: Es meint's do niemand besser, wie i...

Haselwanter: Innigsten Dank! Ah! Läuft auf und ab. Sie meint es ja so gut! Ah! Ich weiß nicht, womit ich es verdient habe... dieses Wohlwollen! Bleibt stehen, mit einer Handbewegung nach ihr hin. Da sitzt sie! Auf einem andern Planeten geboren! Die Tochter des Metzgermeisters! Äfft sie nach. Meinst net, du solltst moderner schreib'n?... Ah!

Marie beleidigt: Gar so... gar so verachten brauchst mich auch net!

Haselwanter setzt sich gebrochen in den Lehnstuhl; dumpf: Sie ist imstand und fragt mich, wie viel Seiten gegangen sind. Wie die Verse gegangen sind! So, als wenn ich auch mit der Wurstspritze arbeiten müßte... Schreit auf. Meine Verse sind keine Würste. Sie werden nie... nie... in drei Teufels Namen – nie – Würste sein...

Marie sehr gekränkt: Weißt... Otto... alles laß ich mir net g'fallen...

Haselwanter vergräbt den Kopf in die Hände und stöhnt: Oh! Oh! Oh!

Marie: Wenn i von dir gar nix hab, wie Spott und Hohn und... und schlechte Reden über meine braven Eltern bricht in Weinen aus nacha geh' i halt hoam, wo i net so veracht' wer...

Haselwanter ganz dumpf: Oh! Oh! Oh!

Marie schluchzend: Wie... du... mich g'fragt hast... ob i mag... ob... i di heiraten will... da hab i g'sagt... i pass' vielleicht net zu dir... weil i... vielleicht... dein Flug net mitmacha ko...

Haselwanter zur Decke empor: Meinen Flug... mei...nen Flug! Oh! Oh! Oh!

Marie etwas energischer: Jawol! Und du hast g'sagt... i woaß no wie heut... du hast g'sagt, du willst überhaupts koa Frau net, die wo dein Flug mitmacht... du willst a häusliche Frau... hast g'sagt...

Haselwanter schreit: Hab ich gesagt... jawoll! Eine Frau, die kocht. Eine Frau, die Strümpfe stopft... aber nicht fragt... die mich in dreitausend Teufels Namen nicht fragt, wie die Verse gehen...

Marie: Ma darf doch noch Anteil nehmen!

Haselwanter brüllt: Nein! Man darf nicht Anteil nehmen. Ich habe keine Wurstspritze. Ich konstatiere, daß ich keine Wurstspritze habe!

Marie: So schrei doch net so!

Haselwanter brüllend: Ich kon-sta-tiere.

Marie sehr beleidigt: Also schön! I frag' überhaupts nimma. Von mir aus geht's dir, wie's mag.

Haselwanter springt auf: Es geht mir auch, wie's mag. Es geht nie so, wie du meinst. Ich lebe auf einem andern Planeten, du hast keine Ahnung, du sollst auch keine haben, wer ich bin, was ich bin, was ich erstrebe... Und brüllt furchtbar hiemit erkläre ich zum tausendsten und letzten Male, daß ich mir deine Fragen verbitte. Sinnlos schreiend. Ver – bi – – i...i...tte...

Marie entsetzt aufschreiend und aufspringend: Jessas! Otto!

Er stürzt nach links ab und wirft die Tür schmetternd zu. Von rechts stürmt Babett mit aufgekrempelten Ärmeln herein.

 
Dritte Szene

Babett: Um Gottes – Christi willen! Fehlt's an gnä Herrn?

Marie hat sich gesetzt und weint ins Taschentuch: Jetzt macht er's mir so... Jetzt muß i... alles... aushalt'n... dös is der Dank dafür, daß i mi so runterkümmert hab...

Babett mitleidig: Ach, gengan S', gnä Frau!... Dös müassen S' net so arg nehma...

Marie schluchzt: I geh'... hoam... zu meine bescheidna Eltern... de mi net so veracht'n... wo i net so... runterg'setzt wer...

Babett: Ja freili! Waar ja net aus! Sie müass'n Eahna denk'n, da gnä Herr hat's net ganz beinanda...

Bei den letzten Worten sind von rechts Herr und Frau Summerer eingetreten. Summerer trägt braunkarierten Anzug, Steyrerhut mit Gemsbart, weit ausgeschnittenen Hemdkragen, Lavallierekrawatte; er hat einen Stock mit großer Kirschhorn-Krücke. Mächtiger Schnurrbart mit Anleihe, gesunde Gesichtsfarbe. Große Ringe. Charivari. Frau Summerer ist ohne Geschmack aufgedonnert.

 
Vierte Szene

Summerer rauh: Was gibt's denn da für an Ramasuri?

Frau Summerer mitleidig: 's Kind schwimmt in Tränen!

Marie trocknet sich hastig die Augen; macht den Versuch, harmlos auszusehen: Ah grüß Gott... Ihr seid da?

Summerer: Ja... mir samma do... und wia ma scheint, zu da recht'n Zeit...

Frau Summerer: Was is denn mit dir, Madel?

Marie ausweichend: N...nix... wie seid's denn ihr rei'kommen?

Summerer: Wenn d' Tür sperrangelweit auf is!

Babett: Jessas... de hab i off'n lass'n...

Summerer: Is ja recht! D'Feuerwehr muaß a so glei da sei... da herob'n war ja a G'schroa, als waar des größt' Unglück passiert...

Frau Summerer: Gib do an Antwort! Is was g'schehg'n?

Marie: N...na! Was soll denn g'schehg'n sei?... Geh... Babett... machen S' d' Tür zu!

Babett: Jawoi, gnä Frau... Sie wirft im Abgehen einen mit Entsetzen geladenen Blick auf Frau Summerer. Ab.

 
Fünfte Szene

Summerer: Also, – raus mit da Sprach'! Was hat's geb'n?

Frau Summerer: Hat er sein' Zorn an dir auslass'n?

Summerer: Als wann unser Familli schuld waar, wann er net dicht'n ko...

Frau Summerer: I muß scho sag'n...

Marie: N...na... geh, Muatta... mir hamm halt g'redt...

Summerer: G'redt! Daß d' Feuerwehr ausruckt... Aber mir is ganz recht, daß dös dazua kimmt. Jetzt geht's in oan Aufwasch'n...

Marie klammert sich erschrocken an Frau Summerer: Um Gottes will'n! Der Vata werd doch an Otto net Spektakel... mach'n?... Weint. Muaß i denn mit Gwalt unglückli wer'n?

Frau Summerer: Beni... mir als Eltern derf'n koan Unfried'n ins Haus trag'n...

Summerer: Weil's da scho so friedli zuageht!

Marie: Was hab i denn verschuldet, daß dös all's über mi kemma muaß?

Frau Summerer: Tröst di no... Madel... und reg di net auf... Zu Summerer. Der Vata werd so vui Verstand hamm, daß er de Sach' net no ärger macht...

Summerer: Er werd scho wiss'n, was er z'toa hat...

Frau Summerer: Uns muaß do recht sei, wenn si de junga Leut vertrag'n...

Summerer: M–hm... Vertrag'n... das ma's drei Straß'n weit hört!

Frau Summerer: Eppas gibt's überall...

Summerer: Wer hat denn heut nacht zu mir g'sagt, i müaßt amal richti aufdrahn? Wer hat'n dös g'sagt?

Frau Summerer: Und wenn i 's gesagt hab, na sag' i jetzt: schaug da 's Madel o! Wia's förmli vergeht in seiner Angst...

Summerer: Angst hamm... dös mog i... Vor wem denn? Vor so an Fretta?

Frau Summerer beschwichtigend: Geh... Beni!

Summerer zornig: Is ja wahr! Jetza sam ma so weit... Angst hamm... hätt s' an Schecker Pauli g'heirat! Wia 'r i woll'n hab und g'red't hab und predigt hab... da stand s' jetzt drin in da Bank als erste Metzgamoasterin... und waar was... und hätt' was... aber na! A Dichta hat's sei müass'n! Mit alla G'walt...

Frau Summerer: Und jetzt hat s 'n amal...

Summerer: Und mir damit. Sei no du staad! Du bist ja de irger g'wen... Du hast ja d' Schwiegamuatta sei müass'n von an Dichta... von an auspfiffan.

Marie klammert sich fester an Frau Summerer: Muatta... wenn der Otto dös hört... i überleb's net...

Frau Summerer zu ihrem Mann: Laß's amal ausgeh... sag' i...

Summerer: Is vielleicht net wahr? Hat ma scho amal bei da Preissuach so pfeifa hör'n, wia gestern im Theata...? Und da waar er no grob mit'n Madel... Dös geht halt leichta, wia's Dicht'n...

Marie flehend: Vata!

Frau Summerer.: Laß di no net gar a so aus!

Summerer: I bin so frei und red'... weil i aa so frei bin und zahl'...

Marie sinkt in einen Stuhl: I woaß ma nimma z'helfa!

Frau Summerer: Du bringst as so weit, daß 's Madel unglückli werd!

Summerer: Hätt' s' an Schecker Pauli g'heirat!...

Von links tritt, hastig die Tür aufreißend, Haselwanter ein. Er ist noch im Schlafrock und gibt sich sehr unwirsch.

 
Sechste Szene

Haselwanter gereizt: Was ist denn los?

Summerer mit Größe ihm entgegentretend: I bin los. Wenn da Herr Schwiegersohn allergütigst erlauben...

Haselwanter mürrisch: Ihr seid da? Gut'n Tag... was wollt ihr denn?

Summerer: Woll'n? Hm... Mir? Hm... I sag' amal z'erscht, was mir net woll'n...

Frau Summerer dringlich: Beni...

Summerer mit unwilliger Kopfbewegung gegen sie: ... Net... woll'n... Zum Beischpiel woll'n mir net, daß unsa Kind mißhandelt werd...

Frau Summerer hastig einfallend: Dös macha de junga Leut mitanand aus... Also... mir hamm halt herg'schaut... wie's euch geht...

Summerer: Und hamm vernommen, daß de Herrschaft'n scho auf san... Zehn Häusa weit hamm ma's vernommen.

Frau Summerer: Ma schaugt doch, wie 's geht... nach so an Abend...

Haselwanter: Ich finde es sehr taktvoll, daß man mir das unter die Nase reibt...

Frau Summerer: Das will ma doch net...

Marie flehend: D' Muatta meint's ja so gut... Otto!

Haselwanter ungnädig und gereizt: Ich bin kein Patient... Man braucht sich nicht erkundigen, ob ich mich erholt habe... von einer Pöbelgemeinheit...

Marie: Aber schau! Wenn ma halt Kummer hat für dich...

Summerer grob einfallend: Ditschi! Datschi! Jetzt hört's amal auf mit dera Säuslerei! Jetzt red'n ma'r amal anderst!

Haselwanter sehr ungnädig: Ich bin gar nicht aufgelegt...

Summerer: I aa net. Und guat scho gar net.

Frau Summerer flehend: Beni!

Summerer: Nix Beni! I steh' da als Vata... Vastand'n... und bitt' ma Reschpekt aus... vastand'n?

Marie: Vata!

Summerer derb: Mein Ruah will i... Mit unheimlicher Ruhe zu Haselwanter. I tat an Herrn Schwiegersohn gehorsamst um Auskunft bitt'n, betreff meiner Zahlungserlaubnis. Macht die Gebärde des Geldzählens. Wia lang' i no de Erlaubnis hab zum Zuaspitz'n...

Haselwanter lacht höhnisch auf: Ach so... Das soll mir vorgeworfen werden!

Summerer: Auskunft, hab i g'sagt. Da werd nix vorg'worf'n. I hab gern mei Ordnung und möcht' wiss'n, wia lang' i no Gebühr'n und Abgab'n entrichten muaß für de sogenannte Dichtkunst?

Haselwanter: Also... das!!...

Summerer unerschütterlich ruhig: Re-schpekti-ve... wann sich die sogenannte Dichtkunst amal selber auszahlt.

Haselwanter fährt sich in die zerwühlten Haare und läuft nervös auf und ab: Auszahlt!... Ha... ha... ha! Krampfhaft lachend. Selber... einmal... auszahlt! ha! ha!... Das sagt mir der Vater meiner eigenen Frau!

Summerer trocken: Sagt a...

Haselwanter wie vorher: Irgend... eine Intrige... irgendeine Roheit... genügt... daß mir meine eigene Familie die Pistole auf die Brust setzt...

Marie ist in einen Stuhl gefallen und bedeckt ihr Gesicht mit dem Taschentuch: Muatta!... I überleb's... net...

Frau Summerer energisch: Beni... Jetzt magst d' o'schneid'n!

Summerer: Sei no du staad! Hätt' s' an Schecker Pauli...

Frau Summerer. I lass' mei Kind net unglückli macha von dir!

Summerer: Und i net vo dem Herrn da! Und deszweg'n red' i.

Haselwanter läuft auf und ab: Die... so... genannte... Dichtkunst... auszahlen, sagt er!

Summerer ruhig: Und zuaspitz'n, sagt a... Wie lang' 's no dauert... fragt a.

Haselwanter bleibt stehen, deklamiert mit dumpfer Stimme: Gestern mußte ich erfahren... was Pöbel ist... und heute...

Summerer: Was a Schwiegervata is... Tua di no äußern!

Haselwanter düster: ... Und heute... stellt man mir, wie einem Verfemten... den Stuhl vor die Türe...

Marie springt auf und eilt zu ihm, stürmisch: Na... Otto! Glaub' dös net!

Haselwanter: Es ist so...

Frau Summerer geht auf ihren Mann zu, sehr drohend: Glaubst du, i schaug no lang zua?

Summerer grob: Na schaugst halt weg! Wer hat denn gestern g'sagt, daß i auftret'n muaß? Wer hat denn g'sagt, daß i a Lattierl bin, wann i net auftritt...

Frau Summerer: Dös sagt ma oft...

Summerer: Aba i mag's nimma hör'n... gel? Und jetzt tritt i auf...

Frau Summerer einlenkend: Wenn 's 'n aba so angreift!

Summerer: Ditschi! Datschi! Mi greift de Zahlerei aa'r o... und jetzt red' i amal...

Frau Summerer wendet sich an Haselwanter und Marie: Schauts, Kinder! Schaug, Marie... schaug, Otto!... Net wahr... unser Vata is a bissel resch... aber er hat des Allerbeste im Sinn... ma red't halt... net?... Mir san halt im Theata g'wen und hamm dös Unglück mit erlebt... net... und da red't ma halt...

Haselwanter ungestüm und wieder sehr gereizt: Was redet man? Was gibt's dabei zu reden?

Summerer: Dös red' i... Daß 's an Änderung geb'n muaß.

Haselwanter höhnisch: Än-der-ung!

Summerer: Jawoi... de Schlamperei muaß an End' hamm. Groß. Von heut ab... verstanden?... Von heut ab werd modern dicht'.

Haselwanter traut seinen Ohren nicht: Wie?

Summerer sehr bestimmt: Mit der Zeit werd ganga... modern werd dicht'.

Haselwanter läuft wieder aufgeregt weg: Das... sagt mir...

Summerer: Da Metzgamoasta Summerer vom Lechl... Wenn er aa gar nix vasteht von dera Spassetlmacherei.

Frau Summerer zu Haselwanter: Schau, wenn's amal de Zeitunga einstimmig verlanga!

Marie: Du brauchst es ja net glei z' arg macha... Otto!

Frau Summerer: Bloß' daß d'Leut an Ruah geb'n!

Haselwanter sinkt auf einen Stuhl und sagt dumpf vor sich hin: Aus!... Die Arbeit meines Lebens... ist... nichts... die Ideale – sind nichts! Schreit. Ich habe ganz einfach dem Götzen zu opfern!... matt auf Verlangen der Familie Summerer...

Summerer aufbrausend: Net so vui Summerer!

Marie streicht Haselwanter zärtlich übers Haar: Schau... Ottl... nur a ganz... ganz... kleins bissel modern...

Haselwanter gequält: Schön!... Äfft Marie nach. Ich werde ein ganz, ganz kleines bißchen modern sein. Schreit. Nicht zu arg! Nur genau so viel, wie die Familie befiehlt!

Marie erschrocken: Otto!

Summerer grob: Net scho wieda den Ramasuri! Gar so geschmerzt braucht's as net... De teure Dichtkunst is bloß für mi teuer g'wen...

Haselwanter mit erzwungener Ruhe zu Summerer: Weißt du eigentlich, was du von mir verlangst?

Summerer: Jawoi woaß i's... Ganz genau woaß i's...

Haselwanter schreiend: Nein! Keine Ahnung hast du davon! Sonst... ah! Fährt sich in die Haare. Es gibt Menschen, die nicht... zart besaitet sind... Es gibt harte Naturen... Aber einem das zu sagen... das hättest nicht einmal du fertiggebracht!

Frau Summerer zu ihrem Mann: Mach's net z' arg, Beni!

Summerer: Was is z' arg? Möcht' i scho wiss'n...

Haselwanter dumpf: Du verlangst nichts anderes von mir, als daß ich mich selber aufgeben soll...

Summerer: Daß d' dei Schreiberei anderst macha sollst... hab' i g'sagt... daß ma mit da Zeit geht... sag' i... Und dös ander... dös san solchane Tanz...

Haselwanter mit einem plötzlichen Entschluß. Unheimlich ruhig: Gut! Ich werde mich ändern.

Summerer: Also!

Haselwanter: Gut! Ich erkläre mich für besiegt... Und jetzt bitte... mir zu sagen, was und wie ich zu dichten habe...

Frau Summerer zu ihrem Mann: Jetzt red!

Summerer: I? Was geht denn dös mi o? I hab Gott sei Dank an anders G'schäft g'lernt.

Haselwanter: Bitte..... du verlangst kategorisch, von heute ab wird anders gedichtet... schön... ich ehre deinen Wunsch... aber... er muß mir doch deutlich erklärt werden... Etwas höhnisch. Ich möchte nicht noch einmal in die Lage kommen, gegen die Intentionen meines Schwiegervaters zu stoßen...

Frau Summerer zu ihrem Mann: Dös kann er verlanga. Du muaßt as eahm g'nau sag'n, wia's d'as hamm willst...

Marie: Wenn er doch so nachgiebig is...

Summerer aufgebracht: Geh, laßt's ma do mein Ruah mit dem Schmarr'n! Vielleicht wer i no Versel macha...

Haselwanter: Wenn du...

Summerer sehr bestimmt: Nix! I hab g'sagt, du muaßt mit da Zeit geh und muaßt dös macha, was dei Kundschaft hamm will. I g'hör net dazua; vo mir aus brauchat's koan Dichta net z' geb'n, aba... der, wo oana is und sei will und sein Vadeanst suacht mit'n Spassetlmacha, der muaß halt aa tracht'n und muaß den G'schmack vom Publikum derrat'n. Und muaß einfach dös Neueste bringa... net wahr? Sunst valiert er sei Kundschaft...

Frau Summerer ist zufrieden mit ihrem Mann: Jetzt hat da Beni recht.

Haselwanter: Der Kernpunkt ist, ich soll dem Geschmack des Publikums entsprechen...

Summerer trocken: Jawol...

Haselwanter heftig: Das habe ich doch! Ich habe ihm doch entsprochen. Lest, was die Zeitungen schon vor zehn Jahren geschrieben haben!

Summerer: Zehn Jahr!

Haselwanter: Da bin ich als der Volksdichter bezeichnet worden...

Marie: Dös is wahr, Vata!

Summerer: Zehn Jahr! Desweg'n gibt's ja a Modi!

Haselwanter ist zu einem Entschluß gekommen: Schön! Ich muß trachten, dem Publikum zu gefallen... das heißt... einem Teile...

Summerer: Möglichst vui.

Haselwanter: Alle haben nicht den gleichen Geschmack, und ich... nicht wahr, ich wende mich an das bürgerliche Element unserer Nation... weil ich hier Gemüt und Herz suche...

Summerer: Dös laßt si hör'n...

Frau Summerer glücklich: Ös kemmts scho no z'samm...

Summerer: Aber red'n hat's braucha...

Haselwanter lehrhaft: Wer oder was sagt mir, daß das bürgerliche Element mit meinem Schaffen nicht im Einklang steht?

Summerer: Weil s'pfiffa hamm.

Haselwanter: Ich gebe zu, daß ein Teil des Publikums nicht mitgegangen ist, daß einige Mißfallen geäußert haben...

Summerer: Pfiffa... hamm s'...

Haselwanter etwas unwillig über die Unterbrechung: Gut... ich gebe zu, daß einige so roh waren... Aber welche Elemente im Publikum? Wenn ich mich, meine Persönlichkeit, mein Schaffen, mein ganzes Ich ändern soll, muß ich doch zum mindesten wissen, wie der Teil der Nation, dem ich etwas sein will, dem ich etwas bieten will, sich mein künftiges Schaffen denkt...

Frau Summerer: Jetzt hat er recht, Beni...

Summerer hilflos und daher grob: Ditschi! Datschi! Von koana Persönlichkeit hamm mir überhaupts net g'red't...

Marie: Es san halt geistige Sacha... Vata.

Summerer faßt wieder besser Fuß: Ah so! Und da kann i net mitred'n, moanst d? Aba du nacha!

Frau Summerer: Jetzt fang' net mit ihr aa no 's Streit'n o!

Haselwanter entschieden und über der Situation stehend: Bitte, laßt mich zum Wort kommen! Zu Summerer. Nicht wahr, du bist auch Publikum, bist Vertreter eines ganz bestimmten Teiles des Publikums... bist mit deiner Frau besseres Publikum, als sehr viele, die gestern im Theater waren...

Frau Summerer: Dös koost net laugna, Beni...

Summerer: Laugn' i aa net...

Haselwanter stark: Gut! Also hast du ebenso das Recht, eine Meinung zu haben, und du hast die Pflicht, sie jetzt zu sagen... Nimmt ein Buch vom Tisch weg. Hier ist mein Stück, die Fischer Nanni... zeig mir, was nicht gut ist... was ich ändern muß...

Frau Summerer: Dös kann er verlanga...

Summerer verlegen und zornig: Waar ma scho gnua, sag' i. Zu Frau Summerer. Und du erst! Red halt du! Sag amal dös, was d' gestern g'sagt hast...

Frau Summerer: Er vateidigt si einfach, und dös derf ma bei jed'n G'richt...

Marie: Und er ist ja so nachgiebig...

Haselwanter: Wenn ihr mir Gehör schenken wollt, – ich lese vorerst einmal eine Szene vor. Räuspert sich und schlägt das Buch auf.

Summerer unwillig: Was soll denn dös für an Wert hamm?

Frau Summerer: Herrschaft! Spreiz di no net gar a so ei!

Haselwanter räuspert sich, verweisend: Darf ich bitten? Ich lese also die kurze Szene, wo die Fischer Nanni ihren verwundeten Sohn, den Wilderer Sepp auffindet...

Summerer setzt sich vorne auf einen Stuhl, das Gesicht dem Zuschauerraum zugewandt, Frau Summerer steht auch rechts vorne, Marie steht neben ihrem Mann, der sich leicht an den Tisch lehnt.

Haselwanter liest mit steigendem Pathos: ... Fischer Nanni erblickt ihren verwundeten Sohn und schreit auf: Himmlischa Voda! Er is! Da liegt a. Da liegt mei oanziga Bua und verströmt sei warms Herzbluat! Sepp, wie is denn mögli!

Wilderer Sepp mit brechender Stimme: O mei arms Muatterl!...

Fischer Nanni: Um Gottes und aller Heiligen will'n, wer hat dir dös to?

Wilderer Sepp deutet mit der letzten Kraft auf den im Hintergrunde stehenden Grafen Reichendorf: Der dort! Der hat mir die Kugel g'schickt... Der hat mi niedag'schoss'n zweg'n an lausig'n Rehbock...

Die Vorlesung wirkt mächtig auf alle Zuhörer. Summerer zieht sein großes blaues Sacktuch aus der Tasche und kämpft mit Tränen.

Haselwanter erklärend: Ich gebe zu, daß der Ausdruck lausig etwas stark ist, aber er muß hier stehen bleiben, weil er volkstümlich ist...

Marie hingebend, weich, auch mit Tränen kämpfend: Les... weida... Otti!

Haselwanter Mit starker Betonung weiterlesend: Fischer Nanni. Der? Di? Der? Und zweg'n an Rehbock?

Der Graf – eiskalt und abweisend: Ich habe mein gutes Recht gewahrt...

Nanni: Eahna Recht? Dei Recht? Kennst d' mi nimma? Hast d' Freihof Nanni vom Gasteig ganz vagess'n?

Der Graf – mit erstickter Stimme –: Die Frei-hof-tochter? Vom Gasteig? Sie... Du?

Nanni: Jawoi! I bin's. I bin dieselbige, dera wo du die Ehr' gnumma host; de, wo du sitzen hast lassen in da Schand' und mit 'n Kind. Schaug mi o, du stolza Graf! Und da – –

Der Graf – im Schüttelfrost wilden Entsetzens: Sprich das Furchtbare nicht aus!

Nanni: I sprich's aus... Du bist der Mörder von – dein' Kind!

Wilderer Sepp richtet sich mühsam auf.... Er?

Nanni: Ja – Bua – er.

Der Graf sinkt in die Knie: Es darf nicht sein! Gerechter Himmel! Es darf nicht sein!

Stillschweigen. Pause der Ergriffenheit. Haselwanter klappt das Buch zu. Summerer wischt sich von Gesicht und Weste die Tränen ab; tonlos; kein Laut darf vernommen werden. Frau Summerer steht tiefbewegt da. Marie blickt verklärt zu ihrem Gatten auf, und lehnt sich an ihn. Babett, die still hereingekommen war, hat das Gesicht in die Schürze gedrückt. Frau Summerer faßt sich zuerst.

Frau Summerer zu ihrem Mann: Was sagst jetzt?

Summerer grantig: Sag'n... sag'n... was soll ma sag'n?

Frau Summerer: Ob's da g'fall'n hat?

Summerer: Dös is amal klar, daß oan dös g'fallt, aba...

Haselwanter rasch einfallend: Halt! Das wollte ich hören... Kein Wort weiter, bitte! Es hat dir gefallen, es hat dir sogar trotz deines Widerstrebens gefallen; es hat dich, den Vertreter unseres kernigsten Bürgertumes, gerührt und ergriffen... Ja... was will ich denn mehr? Für deinesgleichen dichte ich, für das Volk dichte ich... nicht für Zeitungsschreiber... Was heißt denn die Mode? Du bist erschüttert... deine Frau ist erschüttert...

Marie flehend: I aa...

Haselwanter: Die Tochter des Bürgerhauses ist erschüttert... warum soll ich mich ändern? Soll ich diese beste Wirkung auf die naiv Empfindenden verlieren? Und mich selber dazu?

Marie klammert sich an ihn: Na! Laßt's eahm sei dichterische Ada!

Frau Summerer gut: Gib nach, Beni!

Summerer: Also resolut vo mir aus! Dicht wia's d' magst! Und jetzt geh ma zum Früahschopp'n... mir is zwoaraloa...

Haselwanter herzlich ihm die Hand reichend: Und wir verstehen uns wieder... Entschuldigt mich einen Augenblick, bis ich fertig bin...

Links ab. Marie hüpft ihm fröhlich nach.

 
Siebente Szene

Summerer zu seiner Frau: So... Wia is jetzt der ganz Gregori außi ganga?

Frau Summerer: Guat. San ma froh!

Summerer: Ja – froh! Auskenna tua i mi nimma, du hast g'woant...

Frau Summerer: Du aa...

Summerer unwirsch: Also... i aa... und de andern hamm pfiffa. Wer hat recht?

Frau Summerer: Es san halt geistige Sacha...

Summerer: Wann i no nix wissat davo! Was i allaweil sag'... hätt s' an Schecker Pauli g'heireth! Dem kunnt i nei schaug'n in sei G'schäft... und nix Geistigs waar's net... – aba schöner waar's...

Vorhang