Honoré de Balzac
El Verdugo
Honoré de Balzac

Honoré de Balzac

El Verdugo

Von dem Turm der kleinen Stadt Menda hatte es Mitternacht geschlagen. Ein junger französischer Offizier stand an der Brüstung der langen Terrasse, welche die weiten Gärten des Schlosses von Menda umschließt. Er schien versunken in tiefere Gedanken, als man sie sonst einem unbekümmerten, jungen Soldaten zutraut. Aber selten haben Stunde und Landschaft mehr zur Nachdenklichkeit eingeladen. Der herrliche Himmel Spaniens entfaltete eine Kirchenwölbung von reinstem Azur über seinem Haupte, das Funkeln der Sterne und das hingehauchte Licht des Mondes liehen dem wundervollen Tal, das sich in seinem ganzen Zauber zu seinen Füßen ausbreitete, einen unbeschreiblichen Schimmer. Der Offizier, ein Bataillonschef, lehnte sich an einen blühenden Orangenbaum. Hundert Fuß unter sich sah er die Stadt Menda, die sich zum Schutz vor dem Nordwind unter die Felsen geschmiegt zu haben schien, auf deren steiler Höhe das Schloß stand. Wenn er den Kopf wandte, erblickte er das Meer, dessen dunkel strahlendes Gewässer die Landschaft mit einem breiten Streifen Silber umrahmte. Das Schloß war hell beleuchtet. Das fröhliche Getümmel eines Balles, die rauschenden Fanfaren der Orchesterinstrumente, das Lachen der Offiziere und der Tänzerinnen, alles dies erreichte sein Ohr, ohne daß je die tiefe Untermelodie des ferne rauschenden Meeres verstummte. Die herbe Kühle der Nacht ließ seinen Körper, so ermüdet er von der Hitze des Tages war, wieder aufleben, die Gärten ringsum waren erfüllt von so stark duftenden Bäumen und so süß hauchenden Blumen, daß der junge Mensch wie in ein Bad von Parfüm getaucht war.

Das Schloß Menda gehörte einem spanischen Granden, der es im Augenblick mit seiner Familie bewohnte. Während des heutigen Abends hatte die ältere Tochter des Hauses den Offizier so teilnahmsvoll und zugleich so traurig angesehen, daß das Gefühl des Mitleids, das die Spanierin in ihren Blick gelegt hatte, den Franzosen wohl nachdenklich stimmen konnte.

Klara war schön. Obwohl sie mit drei Brüdern und einer Schwester teilen mußte, schienen doch die Besitztümer des Marquis von Leganes bedeutend genug, um Victor Marchand davon zu überzeugen, daß das junge Mädchen auf eine große Mitgift rechnen konnte. Aber sollte er so kühn sein zu glauben, daß die Tochter des stolzesten aller Granden Spaniens ihm zur Frau gegeben würde, ihm, dem Sohn eines Spezereikrämers von Paris? Und wie waren die Franzosen verhaßt! Stand doch der Graf im besonders dringenden Verdachte des Generals G., des Gouverneurs der Provinz. Man flüsterte von einem Aufstand zugunsten Ferdinands VII., und Victor Marchands Bataillon war in der kleinen Stadt von Menda einquartiert einzig zum Zwecke, die umliegenden Gebiete, die dem Marquis von Leganes gehörten, in Schach zu halten. Eben war eine Depesche von Marschall Ney eingetroffen, die fürchten ließ, daß die Engländer demnächst an der Küste landen würden, und sie bezeichnete den Marquis als den Mann, der die Verbindung mit der Regierung in London aufrecht erhielt. So kam es, daß Victor Marchand sich trotz des guten Empfangs, den dieser spanische Grande ihm und seinen Soldaten seinerzeit bereitet hatte, dauernd in Reserve hielt. Wenn der junge Offizier sich jetzt zu der Terrasse wandte, von wo er die Stadt und die ihm anvertrauten Landgebiete weithin übersehen konnte, fragte er sich und nicht zum erstenmal, wie sollte er die Freundlichkeit verstehen, die der Marquis ihm unaufhörlich zu bezeugen nicht müde wurde, wie konnte der Frieden dieses ruhenden Landes in Einklang gebracht werden mit der mißtrauischen Unruhe seines Generals? Und im letzten Augenblick schwand diese Überlegung plötzlich mit einem Schlage aus dem Geist des jungen Kommandeurs vor dem Gefühl der Vorsicht und einer höchst begründeten Wißbegierde, denn er hatte eben in dieser Sekunde in der Stadt eine große Anzahl von Lichtern bemerkt. Wohl feierte man das Fest des heiligen Jakob, aber das änderte nichts an seinem Befehl von heute morgen, alles Feuer müsse zur vorgeschriebenen Stunde gelöscht sein. Einzig das Schloß fiel nicht unter diese Maßnahme. Hier und dort sah er zwar die Bajonette der Soldaten an den gewohnten Posten aufblitzen, aber das Schweigen war zu tief, und nichts mochte darauf hindeuten, daß sich die Spanier der wilden Freude eines Fests hingegeben hätten. Er versuchte sich auf irgendeine Weise diese Übertretung, deren die Einwohner sich zweifellos schuldig gemacht, zu erklären, fand aber um so weniger den Schlüssel des geheimnisvollen Vorganges, als er in der Stadt Offiziere zurückgelassen hatte, mit dem Auftrag, die Straßenpolizei und die Inspizierung der Posten zu überwachen. Mit dem ganzen Ungestüm seiner Jahre eilte er ohne den geringsten Verzug durch eine Lücke in der Mauer hinab über die Felsen, um schneller als auf dem gewöhnlichen Wege zu einem kleinen Wachposten zu gelangen, der auf der Seite des Schlosses am Eingang der Stadt aufgestellt war. Da unterbrach ihn ein schwaches Geräusch in seinem Lauf. Er glaubte den Sand der Allee unter dem leichten Schritt einer Frau knirschen zu hören. Er wandte den Kopf, sah aber nichts. Seine Augen wurden überwältigt durch den unbeschreiblichen Glanz des Ozeans. Da wurde er plötzlich eines so furchtbaren Schauspiels gewahr, daß er wie versteinert still blieb, denn er traute seinen Sinnen nicht. Die weißen Strahlen des Mondes ließen ihn in weiter Ferne Segel von Kriegsschiffen erblicken. Er zitterte, wollte sich glauben machen, diese Vision sei nichts als eine optische Täuschung, Spiegelung der Wellen und des Mondes. Aber in diesem Augenblick stieß eine unterdrückte rauhe Stimme den Namen des Offiziers hervor, der eben den Blick auf die Bresche richtete; und dort richtete sich langsam der Kopf des Soldaten auf, der ihn vor kurzem bis ins Schloß begleitet hatte.

»Sind Sie es, Herr Kommandant?«

»Ja, was gibt's?« antwortete der junge Mann mit leiser Stimme, denn eine Vorahnung ließ ihn sich in acht nehmen.

»Die Schurken rühren sich wie die Würmer, und ich beeile mich mit Ihrer Erlaubnis, Ihnen meine kleinen Beobachtungen mitzuteilen.«

»Vorwärts!« sagte Victor Marchand.

»Ich bin eben einem Mann aus dem Schloß gefolgt, welcher sich hierher geschlichen hat, eine Laterne in der Hand. Eine Laterne ist etwas Verteufeltes, denn ich glaube nicht, daß dieser gute Christ jetzt um diese Stunde Kerzen anzünden will. Fressen wollen sie uns, das habe ich mir gesagt, und ich begann ihm auf den Fersen zu folgen. Und so, Herr Kommandant, habe ich drei Schritte von hier auf einem Felsstück einen hohen Haufen Reisig entdeckt.«

Ein furchtbarer Schrei mit seinem noch fürchterlicheren Widerhall unten in der Stadt unterbrach den Soldaten. Eine plötzlich aufschießende Helle beleuchtete den Kommandanten. Der arme Grenadier erhielt eine Kugel in den Schädel und fiel. Ein Feuer aus Stroh und trockenem Holz brannte zehn Schritte von dem jungen Mann lichterloh auf. Mit einem Schlage waren die Instrumente und das Lachen im Ballsaal verstummt. Nichts als Totenstille, unterbrochen von Stöhnen. Ein Kanonenschuß dröhnte auf der weiten Fläche des Ozeans.

Kalter Schweiß trat auf die Stirne des jungen Offiziers. Er hatte keinen Degen mit. Seine Soldaten mußten umgekommen sein, die Engländer standen vor der Landung. Er sah sich entehrt, falls er am Leben blieb, er sah sich verloren vor einem Kriegsgericht, und so maß er mit den Augen die Tiefe des Felsenhangs und wollte sich eben herabstürzen, als Klaras Hand die seine erfaßte.

»Flieht!« sagte sie. »Meine Brüder folgen mir, um Sie zu töten. Am Fuß des Felsens werden Sie Juanitos Pferd finden. Gehen Sie!«

Sie trieb ihn vorwärts. Der junge Mann blickte sie einen Augenblick starr an, dann gehorchte er dem Selbsterhaltungstriebe, der auch den stärksten Mann nicht verläßt, stürzte sich in der angegebenen Richtung in den Park, rannte über die Felsen, die bis jetzt bloß Ziegen betreten hatten. Hinter sich hörte er Klara ihren Brüdern zurufen, sie sollten ihr folgen, er hörte die Schritte seiner Mörder, an seinen Ohren pfiffen immer wieder Kugeln vorbei, aber er erreichte das Tal, fand das Pferd, bestieg es und verschwand wie der Blitz.

In wenigen Stunden erreichte der junge Offizier das Quartier des Generals G., den er mit seinem Generalstab bei der Tafel traf.

»Hier bringe ich Ihnen meinen Kopf«, rief der Bataillonschef, leichenblaß und verstört, an der Schwelle. Er setzte sich und begann das furchtbare Abenteuer zu erzählen. Ein schreckliches Schweigen war die Antwort.

»Ich finde Sie mehr unglücklich als tadelnswert«, antwortete endlich der furchtbare General. »Sie sind nicht verantwortlich für das Verbrechen der Spanier. Und wenn nicht der Marschall eine andere Entscheidung fällt, so spreche ich Sie frei.«

Diese Worte mußten dem unglücklichen Offizier einen schwachen Trost geben.

»Was wird der Kaiser dazu sagen, wenn er's erfährt?« flüsterte er.

»Wenn der Kaiser davon hören wird, dann wird er Sie füsilieren,« sagte der General, »aber noch ist es nicht so weit. Wir wollen jetzt«, setzte er ernsten Tones fort, »nur davon reden, wie wir uns rächen können und wie wir einen heilsamen Schrecken diesem Lande einjagen, wo man den Krieg wie unter Menschenfressern führt.«

Schon eine Stunde später waren ein Regiment Infanterie, eine Kavallerieabteilung und eine Artilleriebrigade auf dem Marsche; der General und Viktor waren an der Spitze dieser Kolonne. Die Mannschaft, der man das Massaker ihrer Kameraden mitgeteilt, war in beispielloser Wut. In Blitzesschnelle ward die Entfernung zwischen dem Standort des Generals und der Stadt Menda durcheilt. Auf dem Wege traf der General ganze Städte in Aufruhr unter Waffen. Alle diese elenden Ortschaften wurden umzingelt und die Einwohner dezimiert.

Nun waren aber durch einen unerklärlichen Zufall die englischen Schiffe draußen liegen geblieben, ohne weiter vorzurücken. Erst später erfuhr man, diese Schiffe hätten bloß Artillerie getragen und wären dem Rest des Transportes vorausgeeilt. So war die Stadt Menda von den Verteidigern, die sich ihr durch die Erscheinung der englischen Segel angekündigt hatten, noch frei und konnte von den französischen Truppen ohne Schwertstreich genommen werden. In ihrem furchtbaren Schrecken wollten sich die Einwohner auf Gnade und Ungnade ergeben, aber in einem aufwallenden Opfergefühl, das dem Spanier nicht fremd ist, machten sich die Franzosenmörder anheischig, sich persönlich dem General zu stellen, denn sie konnten angesichts der bekannten Grausamkeit des Generals im voraus damit rechnen, daß andernfalls die Stadt Menda durch Brand vertilgt und die ganze Bevölkerung hingemordet würde. Der General nahm nun dieses Angebot an und stellte zur Bedingung, daß alle Bewohner des Schlosses, vom letzten Diener bis zum Marquis, in seine Gewalt überliefert würden. Unter der Voraussetzung dieser Kapitulation versprach der General dem Rest der Bevölkerung Gnade zuteil werden zu lassen und seinen Soldaten Plünderung und Brandstiftung in der Stadt zu untersagen. Eine ungeheure Kontribution wurde angeordnet, die reichsten Einwohner stellten sich als Geiseln, um Zahlung innerhalb von vierundzwanzig Stunden zu verbürgen.

Der General traf nun alle Vorsichtsmaßregeln für die Sicherheit seiner Truppen, sorgte für die Verteidigung des Landes und verbot, die Soldaten in den Häusern unterzubringen. Er ließ sie im Freien kampieren, dann stieg er zum Schloß empor und bemächtigte sich dessen mit militärischer Gewalt. Die ganze Familie de Léganès ebenso wie die Dienstboten wurden auf das sorgfältigste bewacht. Man hielt sie in Gesichtsweite geknebelt und gebunden in dem Saale, wo seinerzeit der Ball stattgefunden hatte. Von den Fenstern dieses Raumes aus konnte man die Terrasse, welche die Stadt beherrschte, überblicken. Der Generalstab etablierte sich in einer benachbarten Galerie. Der General hielt nun vor allem Kriegsrat ab, durch welche Maßnahmen man sich gegen die Landung schützen könne. Er sandte einen Adjutanten an Marschall Ney, stellte eine Anzahl Batterien auf die Höhe, und nun konnten der General und sein Stab sich mit den Gefangenen befassen. Zweihundert Spanier, von den Einwohnern ausgeliefert, wurden unverzüglich auf der Terrasse füsiliert. Nach dieser militärischen Exekution befahl der General ebensoviel Galgen auf der Terrasse aufzurichten, als es Gefangene in dem Saale des Schlosses gab. Auch befahl er dem Henker der Stadt, zu kommen. Victor Marchand benützte die Zeit vor dem Diner, um die Gefangenen zu sehen. Bald kehrte er zum General zurück.

»Ich bin erschienen,« sagte er mit bewegter Stimme, »Sie um Gnade zu bitten.«

»Sie!« antwortete der General mit bitterer Ironie.

»Ach,« antwortete Victor, »es handelt sich um eine traurige Gnade. Der Marquis hat gesehen, daß Galgen aufgerichtet wurden. Er hat gehofft, daß Sie die Art der Strafe für seine Familie ändern würden und fleht Sie an, die Adeligen durch das Schwert hinrichten zu lassen.«

»Einverstanden«, sagte der General.

»Sie bitten außerdem, man möge ihnen den Beistand der Religion zuteil werden lassen und sie von ihren Fesseln frei machen. Sie versprechen keinen Fluchtversuch zu unternehmen.«

»Auch damit bin ich einverstanden,« sagte der General, »aber Sie bürgen mir dafür.«

»Der alte Herr bietet Ihnen außerdem sein ganzes Vermögen, wenn Sie seinen jüngsten Sohn pardonieren wollen.«

»Was heißt das,« antwortete der Chef, »seine Güter gehören bereits dem König Josef.«

Dann überlegte er; Verachtung zeichnete sich auf seiner Stirne ab, und er sagte: »Ich will sogar noch weiter gehen, ich ahne die Bedeutung seiner letzten Bitte. Nun gut, er mag die ewige Dauer seines Namens erkaufen, aber ebenso möge sich immer Spanien seines Verrates und seiner Strafe erinnern. Ich lasse seine Güter, das Leben und sein Vermögen demjenigen seiner Söhne, der das Amt des Henkers übernimmt. Nun gehen Sie und sprechen Sie nicht weiter davon.«

Das Diner stand bereit. Die Offiziere an der Tafel befriedigten ihren Appetit, den die Anstrengung noch vermehrt hatte. Nur einer, Victor Marchand, fehlte. Lange hatte er gezögert, dann trat er in den Saal ein, wo die stolze Familie de Léganès schmachtete. Er warf traurige Blicke rings in den Saal, wo noch vor zwei Tagen, hingerissen vom Zauber der Ballmusik, die Häupter der zwei jungen Mädchen und der drei jungen Männer sich im Tanze gewiegt hatten. Er dachte mit Zittern daran, daß sie binnen kurzem rollen sollten, abgeschlagen von dem Schwerte des Henkers. An ihre goldenen Fauteuils gebunden, blieben alle, Vater und Mutter, drei Söhne und zwei junge Mädchen, in völliger Bewegungslosigkeit. Acht Diener standen hinter ihnen, die Hände an den Rücken gebunden. Diese fünfzehn Personen sahen einander ernst an, und ihre stummen Augen verrieten kaum ihre innersten Gedanken. Und doch las man Bekümmernis auf dieser oder jener Stirne und tiefe Trauer, daß ihr Unternehmen mißlungen war. Regungslose Soldaten bewachten diese grausamen Feinde und achteten ihren Schmerz. Eine Regung der Neugier belebte die Gesichter, als Victor erschien. Er gab Befehl, die Verurteilten zu lösen und gab sich selbst die Mühe, die Stricke zu durchschneiden, welche Klara an ihren Stuhl fesselten. Sie lächelte düster. Der Offizier konnte es sich nicht versagen, den Arm des jungen Mädchens zu streifen. Er bewunderte ihre schwarze Haarflut, ihre biegsame Taille. Es war eine echte Spanierin. Spanischer Teint, spanische Figur, lange, emporgebogene Wimpern und ein Auge, schwärzer als der Flügel eines Raben.

»Ist es Ihnen gelungen?« fragte sie, und bot ihm ein verschleiertes Lächeln, in dem doch noch sehr viel Mädchenhaftes war.

Victor mußte tief seufzen. Er sah nacheinander die drei Brüder und Klara an. Der älteste war dreißig Jahre, klein, schlecht gewachsen, von stolzem, geringschätzigem Wesen, und doch verriet er einen gewissen Adel in seinem Benehmen und schien nicht ganz jenes Herzenstaktes zu entbehren, der zu anderen Zeiten die spanische Galanterie so berühmt gemacht hat. Er nannte sich Juanito. Der zweite, Philipp, war ungefähr zwanzig Jahre alt. Er glich Klara. Ein Maler hätte vielleicht in den Zügen des dritten Sohnes, Manuel, ein wenig von jener römischen Standhaftigkeit entdeckt, die David den Kindern auf seinen republikanischen Bildern gegeben hat. Der alte Marquis mit seinen weißen Haaren schien aus einem Bilde von Murillo herausgetreten zu sein. Bei diesem Anblick warf der junge Offizier seinen Kopf zurück, denn er konnte nicht hoffen, daß eine von diesen vier Personen den Antrag des Generals annehmen würde. Nichtsdestoweniger wagte er Klara alles anzuvertrauen; die Spanierin erbebte, dann fand sie ihre Ruhe und kniete vor ihrem Vater nieder.

»Teuerster,« sagte sie, »lassen Sie Juanito schwören, daß er treu Ihren Befehlen gehorchen wird, und wir alle können zufrieden sein.«

Die Marquise zitterte vor Hoffnung. Als sie aber, gelehnt an ihren Gatten, Klaras furchtbares Wort hörte, fiel sie in Ohnmacht. Juanito verstand alles, er bäumte sich auf, wie ein Löwe im Käfig. Victor nahm es auf sich, die Soldaten fortzuschicken, nachdem er vom Marquis das Versprechen völliger Unterwerfung erhalten hatte. Die Diener wurden herausgeführt und dem Henker überliefert, der sie aufhing. Als die Familie nur Victor als Wächter über sich hatte, erhob sich der alte Vater.

»Juanito!« sagte er.

Juanito antwortete nur durch eine Kopfbewegung, die einem Nein gleichkam. Er sank in seinen Stuhl zurück und sah seine Eltern mit traurigen und furchtbaren Augen an. Klara setzte sich auf seine Knie und sagte ganz heiter:

»Mein lieber Juanito, wenn du nur wüßtest, wie süß mir der Tod von deiner Hand sein wird.«

Sie breitete den Arm um seinen Hals und küßte ihn auf die Augenlider.

»Ich werde nicht die verhaßte Berührung der Henkershände zu erdulden haben. Du wirst mich von allen künftigen Leiden heilen und – mein lieber Juanito, du wolltest mich doch keinem Mann gönnen.«

Ihre Samtaugen schleuderten einen Feuerblick auf Victor, um im Herzen Juanitos neuen Abscheu gegen die Franzosen zu erwecken.

»Mut,« sagte sein Bruder Philipp, »sonst ist unser fast königliches Geschlecht erloschen.«

Plötzlich erhob sich Klara; die Gruppe, die sich rings um Juanito gebildet hatte, trat auseinander und Juanito, dieses aufrührerische Herz aus Treue, sah seinen alten Vater vor sich stehen und hörte seine feierliche Stimme:

»Juanito, es ist mein Wille.«

Der junge Graf blieb ohne Regung, sein Vater stürzte zu seinen Füßen hin. Unwillkürlich folgten Klara, Manuel und Philipp seinem Beispiel. Alle erhoben die Hände gegen den einzigen, der die Familie vor dem Vergessen bewahren konnte, und alle schienen in die Worte des Vaters mit einzustimmen:

»Mein Sohn, hast du keinen spanischen Mut, kein wahres Gefühl, willst du mich lange auf den Knien lassen, darfst du nur an dein Leben und dein Leiden denken? Ist das mein Sohn?« setzte der Alte hinzu, indem er sich an die alte Gräfin wandte.

»Er willigt ein«, rief die Mutter verzweifelnd.

Sie sah Juanito mit den Augenbrauen eine Bewegung machen, deren Bedeutung nur ihr bekannt war.

Marequita, die zweite Tochter, lag auf den Knien, ihre Mutter hielt sie mit ihren schwachen Armen umschlungen. Und da sie heiße Tränen weinte, kam ihr kleiner Bruder Manuel herbei, um sie zu schelten. In diesem Augenblick näherte sich der Almosenier des Schlosses und wurde sofort von der ganzen Familie umringt, die ihn zu Juanito hinführte. Victor konnte nicht länger diese Szene ertragen. Er machte Klara ein Zeichen und eilte fort, um einen neuen Versuch beim General zu unternehmen. Er traf ihn in guter Stimmung mitten an der Festtafel, wie er mit seinen Offizieren zechte. Die Gesellschaft begann fröhliche Reden zu führen.

Eine Stunde später kamen hundert der vornehmsten Bewohner auf die Terrasse, um auf Befehl des Generals Zeugen der Exekution der Familie de Léganès zu sein. Eine Abteilung Soldaten wurde aufgestellt, um die Spanier in Schach zu halten, denen man unter den Galgen Plätze anwies, an denen die Dienstboten des Marquis aufgehängt worden waren. Die Köpfe dieser edlen Bürger berührten fast die Füße der Märtyrer. Dreißig Schritte von ihnen entfernt erhob sich ein Block und es glitzerte ein Richtschwert. Der Henker stand da, um im Falle der Weigerung Juanitos sein Werk zu verrichten. Bald hörten die Spanier im tiefsten Schweigen die Schritte von einigen Personen, den taktmäßigen Schall einer Soldatenabteilung auf dem Marsch und das leise Klirren ihrer Gewehre. Dazu kam der fröhliche Lärm des Festmahls und mischte sich damit, wie einst die Walzerklänge eines Balles die Vorbereitungen des blutigen Verrats überdeckt hatten. Alle Blicke wandten sich gegen das Schloß, und man sah, wie die edle Familie sich mit unglaublicher Sicherheit vorwärts bewegte. Aller Stirnen waren ruhig und heiter. Ein einziger Mann, blaß und gebrochen, stützte sich auf den Priester, der alle Tröstungen der Religion diesem Manne anbot, dem einzigen, der leben sollte. Der Henker verstand ebenso wie jedermann, daß Juanito seinen Platz für einen Tag angenommen hatte. Der alte Marquis und seine Frau, Klara, Marequita und die zwei Brüder knieten einige Schritte vor der Todesstätte nieder. Juanito wurde von dem Priester hingeführt. Als er zur Richtstätte kam, zog ihn der Henker am Ärmel zu sich und gab ihm einige Anweisungen. Der Beichtvater stellte die Opfer so auf, daß sie die Hinrichtung nicht sehen konnten. Aber es waren echte Spanier, die sich aufrecht hielten und Schwäche nicht kannten. Klara stürzte als erste vor ihren Bruder hin:

»Juanito,« sagte sie, »habe Mitleid mit meinem bißchen Mut und beginne mit mir!«

In diesem Augenblick hörte man die schnellen Schritte eines Mannes. Victor erschien. Klara war schon niedergekniet, ihr blanker Hals schien das Richtschwert zu rufen. Der Offizier erbleichte, aber er fand die Kraft, hinzuzueilen.

»Der General begnadigt dich, wenn du mich heiraten willst«, sagte er mit leiser Stimme. Die Spanierin warf auf den Offizier einen Blick voll Verachtung und Stolz.

»Komm, Juanito«, sagte sie mit ihrer tiefen Stimme.

Ihr Haupt rollte zu Füßen Victors hin. Die Marquise de Léganès bäumte sich in einer plötzlichen krampfhaften Bewegung, als sie diesen Laut hörte. Das war alles.

»Halte ich mich so gut, mein lieber Juanito?« frug der kleine Manuel seinen Bruder.

»Ach, du weinst, Marequita«, sagte Juanito zu seiner Schwester.

»Ja«, antwortete das junge Mädchen, »ich denke an dich, du wirst sehr unglücklich ohne uns sein.« Bald erschien die hohe Gestalt des Marquis. Er betrachtete das Blut seiner Kinder, wandte sich gegen die stummen und regungslosen Zuschauer, streckte die Hände gegen Juanito aus und sagte mit lauter Stimme:

»Spanier, ich gebe meinem Sohn den väterlichen Segen. Jetzt, Marquis, tu deinen Schlag ohne Furcht, denn du bist ohne Tadel.«

Aber als Juanito seine Mutter an den Armen des Beichtvaters kommen sah, schrie er auf: »Das ist der Leib meiner Mutter, die mich geboren hat!«

Seine Stimme weckte einen Schrei des Abscheus in der Gesellschaft. Der Lärm des Festes und das heitere Lachen der Offiziere verstummte vor diesem furchtbaren Schrei. Die Marquise fühlte, daß der Mut ihres Sohnes zu Ende war. Sie warf sich in verzweifeltem Schmerz über die Balustrade und zerschmetterte ihr Haupt an den Felsen.

Ein Schrei der Bewunderung erhob sich. Juanito war ohnmächtig geworden.

»Mein General«, sagte ein Offizier, der etwas angeheitert war, »Marchand erzählt mir eben von dieser Hinrichtung; ich wette, das war nicht Ihr Befehl.«

»Haben Sie denn vergessen, meine Herren,« schrie der General, »daß von heute in einem Monat fünfhundert französische Familien in Tränen schwimmen werden und daß wir in Spanien sind? Wollt Ihr Eure Knochen hier lassen?«

Nach dieser Ansprache war kein Mensch mehr da, auch kein Unteroffizier, der Lust hatte, sein Glas zu leeren. –

Trotz der hohen Achtung, die er genießt, trotz des Titels »El Verdugo«, der Henker, den ihm der König von Spanien als Ehrentitel verliehen hat, wird der Marquis von Léganès von Kummer verzehrt. Er lebt in der Einsamkeit, kaum daß man ihn jemals sieht. Er wartet mit Ungeduld darauf, daß ihm die Geburt eines Erben das Recht gibt, den Schatten sich anzuschließen, die ihn unablässig verfolgen.

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